2 • 2017 Fortbildung Pharmakotherapie gegen Schmerzen im Alter Chronische Schmerzen sind häufiger Anlass für den Arztbesuch älterer Men- Polypharmazie ist nicht PD Dr. med. Heinrich Burkhardt gleich Polypharmazie schen. Doch Schmerz ist nicht gleich Nicht nur die Mehrzahl der Medikamente wird äl- Schmerz und Patient nicht gleich Pa- und ohne einschlägige geriatrische Probleme. In teren Patienten (> 65 Jahre) verordnet, ein Drittel tient. Insbesondere im Alter muss auf vielen Fällen kann man die aus den Zulassungs- von ihnen nimmt auch mehr als 3 Medikamente körperliche Beeinträchtigungen und an- studien publizierten oder abgeleiteten Risiko- täglich ein. Dies führt bei vielen Patienten über dere Begleiterkrankungen geachtet wer- Nutzen-Relationen eines Medikaments oder einer das Phänomen Multimorbidität zur Polypharma- den. Eine individuell zugeschnittene Therapie auch nicht so ohne Weiteres extrapolie- zie, von der man ab einer Anzahl von 5 und mehr Therapie ist erforderlich, oft aber nicht ren – zumindest nicht ohne spezielle Risikoab- täglich verordneten Präparaten sprechen kann. so einfach zu etablieren. Ansätze für schätzungen. Darüber sollte sich jeder Verordner Ähnliches gilt für die Multimorbidität. Hier gibt es mögliche Lösungen werden hier vorge- im Klaren sein. Schmerzmedikamente gehören noch weniger Konsens über die Definition, häufig stellt. auch in der Schweiz zu den verordnungsstärksten wird bei gleichzeitigem Vorliegen von drei chroni- Arzneimitteln überhaupt, wobei Medikamente, schen Erkrankungen davon gesprochen. Poly- Der chronische Schmerz ist bis heute nicht ein- die ohne ärztliche Verordnung in Apotheken oder pharmazie ist aber nicht gleich Polypharmazie deutig definiert, was die Schmerzdauer angeht. anderswo erworben werden, in den Statistiken und Multimorbidität nicht gleich Multimorbidität. Aus pharmakotherapeutischer Sicht ist ab einer noch nicht enthalten sind. Es kommt hier entscheidend auf die Kombination Therapiedauer von über zwei Wochen mit den Problemen einer Dauertherapie, wie unerwünschten Wirkungen, zu rechnen. Die Behandlung von Tabelle 1: Schmerzen ist naturgemäss stark von der jeweili- Altersassoziierte Veränderungen mit Relevanz für die Pharmakotherapie gen Ursache abhängig. Für viele wichtige Veränderung wege, zum Beispiel in der Behandlung der Migräne oder bei spasmolytischen Substanzen gegen kolikartige abdominale Probleme. Für den Einsatz von Medikamenten gibt es zwei bedeutsame Situationen: zum einen den chronisch muskuloskelettalen Schmerz im Gefolge degenerati- Akkomodation eingeschränkt Trübung der Augenlinse Gesamtkörperwasser vermindert Leberdurchblutung reduziert2 ver Skelettveränderungen – ein häufiges Problem, dessen Prävalenz mit steigendem Lebensalter zunimmt – und zum anderen den chronischen neuropathischen Schmerz. Hier sei als Modellfall die Post-Zoster-Neuralgie genannt, von der ältere Patienten ebenfalls besonders betroffen sind. Trotz der Tatsache, dass die meisten Medikamente für die Gruppe der älteren Menschen und ein beträchtlicher Teil für Hochaltrige verordnet glomeruläre Filtrationsrate vermindert1 Rückresorption von Natrium vermindert Muskelmasse nimmt ab Albuminkonzentration im Serum nimmt ab3 kognitive Einbussen Arthrose Handgelenke UAW1 Pharmakokinetik nein Pharmakodynamik nein Selbstmanagement ja Sturzgefahr erhöht nein nein ja Sturzgefahr erhöht verändertes Verteilungsvolumen Akkumulationsgefahr bei eingeschr. therap. Breite Akkumulationsgefahr bei eingeschr. therap. Breite nein nein nein nein nein nein nein nein nein ? (ja) nein nein nein nein ja ja Schmerzprobleme existieren spezielle Zugriffs- verändertes Verteilvolumen ja (nachrangiger Faktor) nein nein Hyponatriämierisiko erhöht Sturzgefahr erhöht Delirrisiko erhöht werden, sind die Wirksamkeit einzelner Substanzen, ihre Risiken und ihre Effektivität nicht in dieser Zielgruppe untersucht, sondern bei wesent- UAW: unerwünschte Arzneimittelwirkung; 1 Bed-side-Bestimmung mittels Schätzformel möglich und empfohlen; 2 keine Bed-side-Messung möglich – erwarteter Faktor etwa bei 30% Reduktion; 3 nur für bestimmte Medikamente mit Eiweissbindung und geringer therapeutischer Breite von Relevanz. lich jüngeren Patienten ohne Komorbiditätslast – 33 – 2 • 2017 Fortbildung beziehungsweise die entstehenden Muster an, Die Nierenfunktion beim älteren Menschen sollte Zwei weitere spezielle geriatrische Risikoereig- die Symptomdruck und klinischen Therapieauf- nicht nur regelmässig überprüft werden, um eine nisse, die im geläufigen Diskurs zur Risiko-Nut- trag auf der einen Seite und mögliche Interaktio- Dosisakkumulation zu vermeiden. Auch die Vul- zen-Abwägung oft nicht angemessen beachtet nen oder eine pharmakotherapeutische Proble- nerabilität gegenüber nephropathogenen Noxen werden, verdienen unsere Aufmerksamkeit: zum matik auf der anderen bedingen. So kann die ist bei älteren Patienten häufig erhöht. Daher sind einen das durch eine medikamentöse Therapie Behandlung der arteriellen Hypertonie mit meh- potenziell nephrotoxische Medikamente wie die begünstigte Sturzrisiko lokomotorisch bereits reren Medikamenten meist relativ unproblema- NSAID auch mit entsprechender Vorsicht einzu- vulnerabler Patienten und zum anderen das tisch etabliert werden, die gleiche Anzahl von Arz- setzen. Delirrisiko im Alter. Bezüglich des Delirs oder des neimitteln im Rahmen der Schmerztherapie Verwirrtheitszustands muss aus geriatrischer Schätzformel der GFR nach Cockcroft und Gault aufgrund der viel höheren Rate unerwünschter Nebenwirkungen jedoch viel schwieriger sein. Auch andere Aspekte aus der Epidemiologie sind Clearance (ml/min) = (140 – Lebensalter) × Körpergewicht (kg)/ (72 × Serumkreatinin [mg/dl]) (Korrekturfaktor 0,85 für Frauen) wichtig. Zu bedenken ist zum Beispiel, dass sich für viele zu erwartende unerwünschte Wirkungen einer Medikation, also für deren Risiken, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bei älteren Pa- Sicht betont werden, dass dies – besonders wenn eine hypoaktive Form vorliegt – häufig übersehen und nicht als relevantes Warnzeichen erkannt wird, was es aber unbedingt ist. Ein erhöhtes Sturzrisiko kann durch die Gabe von Opiaten bedingt, ein höheres Delirrisiko hauptsächlich durch anticholinerg wirksame Medikamente hervorge- tienten deutlich erhöht. Ein gutes Beispiel ist die rufen sein. Aber auch durch die zentral wirksamen Blutungsgefahr, die mit dem Alter aus unter- Adhärenz und Selbstmedikation schiedlichen Gründen kontinuierlich zunimmt und Die Adhärenz (Therapietreue) älterer Patienten ist zentrale Effekte der NSAID können Verwirrtheits- so auch in verbreiteten Scores (HASBLED) zur nicht grundsätzlich problematischer als bei jün- zustände hervorgerufen werden. Wichtig ist, bei Risikoabschätzung Eingang findet. In der Praxis geren, aber es spielen andere Faktoren bei dieser der Verordnung entsprechender Medikamente im ist dies bei der Verordnung von nicht steroidalen Patientengruppe eine zunehmend dominante Vorfeld die einschlägige Vulnerabilität der Patien- Entzündungshemmern (NSAID) relevant, die oft Rolle. Dazu zählen ein reduzierter Visus, eine ein- ten zu erfassen, entsprechend vorsichtig zu Opiate und, was meist nicht bekannt ist, durch bei Schmerzen älterer Patienten eingesetzt wer- geschränkte manuelle Motorik und kognitive Pro- dosieren und schliesslich engmaschig die Verträg- den, weil in der Dauertherapie ein erhebliches bleme. Sie behindern diese Patienten meist zu- lichkeit zu prüfen. Auch hierzu können funktio- Blutungsrisiko zu beachten ist. nehmend, sodass schon das Auffinden und die nelle Tests aus dem Feld des geriatrischen As- Tabelle 1 zeigt die klinisch bedeutsamsten Verände- korrekte Einnahme einer kleinen Tablette schwie- sessments hilfreich sein. Besonders anfällig sind rungen im Kontext der medikamentösen Therapie. rig werden kann. Diese Aspekte mit direktem Be- durch Sarkopenie eingeschränkte, gebrechliche Neben pharmakologischen Aspekten, die haupt- zug auf relevante Funktionalität für eine sichere Patienten mit Demenz. Sie sind sowohl lokomo- sächlich auf veränderte pharmakokinetische Ver- Medikamenteneinnahme können gut über geeig- torisch als auch kognitiv wenig belastbar und hältnisse andere nete kurze Performancetests abgefragt werden. können sehr empfindlich auch auf kleine Dosen von Medikamenten reagieren. abheben, bedingen Gesichtspunkte die Einschränkungen im Selbstma- Ein aus gerontopharmakologischer Sicht gut ge- nagement und das Auftreten von Einnahmefehlern. eigneter Test ist der Geldzähltest nach Nikolaus, Unter den pharmakokinetisch relevanten Punkten der als Bestandteil des geriatrischen Assess- Wie gut sind welche hat sicher die eingeschränkte Nierenfunktion die ments entwickelt und in relevanten Situationen Schmerzmedikamente? grösste Bedeutung. Sie ist bei älteren Menschen evaluiert wurde. Ist dieser auffällig, sollte über- Trotz der Vielzahl der Arzneimittel bleibt die me- aufgrund der häufig reduzierten Muskelmasse oft legt werden, inwiefern nicht die Handhabung von dikamentöse Schmerztherapie gerade beim älte- erst deutlich später auffällig. Eine Überprüfung der Medikamenten durch Dritte unterstützt werden ren und geriatrischen Patienten problematisch. Serum-Kreatinin-Werte alleine reicht deshalb nicht muss. Dies liegt an der hohen Rate unerwünschter Wir- aus. Es sollte immer versucht werden, sich mit Auch ältere Menschen kaufen Medikamente aus- kungen vieler Präparate und an der leider bei den Schätzformeln – trotz aller darin liegender Ungenau- serhalb der ärztlichen Verordnungspraxis in Apo- verträglicheren Medikamenten häufig einge- igkeit – ein besseres Bild zu machen. Gemessene theken, Drogerien oder andernorts und sind sich schränkten Wirksamkeit. Dies gilt zum Beispiel für Kreatininclearance mittels Sammelurin wird allge- oft wenig über die Gefahren einer unkontrollier- Paracetamol. Dennoch stellt es sich aus geronto- mein für ältere Patienten nicht mehr empfohlen. Hier ten Selbstmedikation im Klaren. Hier bedarf es pharmakologischer Sicht – aufgrund der erheblich sind aufgrund von Sammelfehlern keine genaueren gerade bei komplexen Verordnungssituationen höheren Problematik bei NSAID – als Mittel der Ergebnisse zu erwarten. Nicht alle Schätzformeln und durch Multimorbidität getriggerter Polyphar- ersten Wahl bei leichten bis mässig ausgeprägten sind auch für die Gruppe der älteren Patienten eva- mazie einer umsichtigen Beratung. Besonders muskuloskelettalen Beschwerden dar. Für Meta- luiert. Nach wie vor kann aus geriatrischer Sicht die problematisch ist die unkontrollierte Einnahme mizol gilt, dass hier eine seltene unerwünschte Cockcroft-Gault-Formel empfohlen werden. von NSAID. Wirkung (idiosynkratische Schädigung des Kno- – 34 – 2 • 2017 Fortbildung chenmarks bis zur aplastischen Anämie) grosse hervorgerufene kardiovaskuläre Übersterblich- krankung sollte man diese Medikation unbedingt Unsicherheiten hervorruft. Zurzeit ist die Verord- keit. Hierbei handelt es sich wohl um einen Klas- vermeiden. nungspraxis bezüglich Metamizol in Deutschland seneffekt, wobei einige Hinweise existieren, dass Die Bewertung der Opiate folgt prinzipiell zwei Ar- wieder relativ grosszügig. Man kann sagen, dass Naproxen unter allen NSAID das geringste Risiko gumenten, zum einen der erforderlichen Wirk- das Risiko nach allen Daten, die hierzu vorliegen, aufweist. Im Einzelfall wird es aber schwer sein, stärke, zum anderen dem zu erwartenden Risiko- gering ist. Bei einer hämatologischen Problematik eine Kausalität so direkt abzuleiten wie bei der potenzial. Bei der Stärke können die Unterschiede darf es keinesfalls eingesetzt werden. Ausserdem Ulkusblutung unter NSAID. Daher ist auch die der Wirkstoffe gut beschrieben werden, beim Ri- hat bei der Anwendung von Metamizol eine kurz- Umsetzung dieses eindeutig gefundenen Risiko- sikoprofil bestehen dagegen deutlich grössere fristige Kontrolle des Blutbildes zu erfolgen. Dies signals in die Praxis schwierig. Bei Patienten mit Unsicherheiten. sollte auch im ambulanten Verordnungsbereich einer instabilen Gefässsituation, zum Beispiel Opioide neben Übelkeit und Obstipation zere- beachtet werden. nach Infarkt oder einer deutlichen Gefässerkran- brale Symptome wie Schwindel, Gangunsicher- Bei den klassischen NSAID und den Coxiben wur- kung (KHK), stellt dies aber ein sehr gewichtiges heit und Verwirrtheitszustände auslösen. Beson- den die Unterschiede in Wirkung und Profil der Argument dar und spricht gegen eine Therapie mit dere Vorsicht ist daher in der Eindosierungsphase unerwünschten Wirkungen in der Vergangenheit NSAID. Besonders in Akutphasen einer Gefässer- bei gebrechlichen oder bereits zerebral vorge- Grundsätzlich können alle überbewertet. Grundsätzlich sind all diese Medikamente wegen des teilweise hohen Risikos für Tabelle 2: unerwünschte Wirkungen bei älteren Patienten Bewertung der Schmerzmedikamente aus geriatrischer Sicht schwierig, insbesondere in der Dauertherapie. Eine differenzielle Bewertung der unterschiedlichen Substanzen bleibt trotz gewisser Unterschiede unsicher. Die Rate der gastrointestinalen Wirkstoff Paracetamol Metamizol Probleme kann bis über 30 Prozent erreichen. Interessant ist, dass der bezüglich der Magenblutung postulierte und in Studien teilweise aufge- Diclofenac tretene günstigere Effekt der Coxibe so in Beobachtungskohorten nicht nachgewiesen wer- PRISCUS als Alternative für NSAID favorisiert als Alternative für NSAID unter RisikoNutzen-Abwägung gelistet nicht erwähnt; Piroxicam, Meloxicam, Indometacin und andere als ungünstig bewertet FORTA A B D den konnte und die mit der Entwicklung spezifischer Hemmstoffe der Cyclooxygenase 2 verbundenen Erwartungen in dieser Form nicht erfüllt Naproxen nicht erwähnt D wurden. Celecoxib nicht erwähnt Etoricoxib als ungünstig bewertet D Bestehen einschlägige anamnestische Hinweise für ein Ulkusrisiko, sollte zu den NSAID ein Protonenpumpeninhibitor gegeben werden. Die Gefahr Tramadol der Blutdruckentgleisung wird ebenfalls oft unterschätzt und ist für Hypertonuspatienten relevant. Hier sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, Tapentadol Morphin dass auch bei einer gelegentlichen Selbstmedikation mit einem NSAID beim Gelenkschmerz mit Blutdruckentgleisungen gerechnet werden muss. Opiate nicht differenziert erwähnt C Hydromorphon Oxycodon Den meisten Hochdruckpatienten ist das nicht bewusst. Schliesslich agieren diese Medikamente nephrotoxisch, besonders wenn eine Volumende- Buprenorphin B pletion eintritt (mangelnde Flüssigkeitsaufnahme, Kotherapie mit Diuretika). Im Monitoring Kommentar eingeschränkte Wirksamkeit, aber gut verträglich bis 3 g/Tag sehr seltene, aber ernsthafte hämatologische UAW (bis zur aplastischen Anämie), kontraindiziert bei vorbestehenden Blutbildungsstörungen und verwandten KM-assoziierten Erkrankungen Klassisches NSAID, gute Wirksamkeit bei mässigen, muskuloskelettalen Schmerzen, aber UAW-Risiko bis zu 30%; UAW für alle NSAID: Blutdruckkrisen, Ulkus und andere gastrointestinale Probleme, kardiovaskuläres Risiko insgesamt erhöht (Daueranwendung), nephrotoxisches Potenzial evtl. einziges NSAID ohne zusätzliches kardiovaskuläres Risiko kein sicherer Vorteil gegenüber klassischen NSAID (evtl. etwas geringes Ulkusrisiko) relativ geringe Wirksamkeit, zusätzliches Problem: serotonerges Syndrom, nicht mit SSRI gemeinsam anwenden! Weiterentwicklung des Tramadol mit ähnlichen Problemen und etwas stärkerer Wirksamkeit klassisches Opiat, verzögerte Elimination bei reduzierter Nierenfunktion auch bei reduzierter Nierenfunktion anwendbar, analgetische Potenz 7,5 Analgetische Potenz ca. 2, fixe Kombination mit Naltrexon zur Verminderung des Obstipationsrisikos verfügbar stark wirksames Opioid, geringeres delirogenes Potenzial, aber etwas stärker sedierend als transdermales System oder sublinguale Tablette, analgetische Potenz 30–40 ist daher, neben der Abfrage gastrointestinaler Probleme, die Kontrolle der Nierenfunktion und des Blutdrucks zu fordern. Ein weiterer Schwachpunkt der NSAID, der in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt hat, ist die bei Langzeitanwendung PRISCUS: Deutsche Negativliste des PRISCUS-Konsortiums – identifiziert potenziell ungeeignete Medikamente für ältere Patienten (PIM); FORTA: Bewertung von Medikamenten unter geriatrischen Aspekten aus dem FORTAVerbund – Bewertung von A bis D – A = ohne Einschränkung geeignet für ältere Patienten – D = ungünstig für die Anwendung bei älteren Patienten; UAW: unerwünschte Arzneimittelwirkung; NSAID: nicht steroidales Antiphlogistikum. – 35 – 2 • 2017 Fortbildung Tipps für die Schmerztherapie älterer Patienten 1. Fragen Sie Ihre Patienten aktiv nach eventueller Selbstmedikation. 2. Erklären Sie Ihren Hypertonuspatienten, dass NSAID die Blutdruckkontrolle erschweren. 3. Vergewissern Sie sich, dass Ihre Patienten genügend funktionelle Ressourcen haben, um selbst mit der Medikation zurechtzukommen. 4. Versuchen Sie bei leichten bis mässig stark ausgeprägten muskuloskeletalen Schmerzen zunächst Paracetamol. 5. Kontrollieren Sie regelmässig die Nierenfunktion und das Blutdruckverhalten, wenn Sie NSAID einsetzen. 6. Beginnen Sie bei zerebral vulnerablen Patienten besonders vorsichtig mit niedrigen Dosen, wenn Sie Opioide eindosieren. 7. Vermeiden Sie trizyklische Antidepressiva als Adjuvanzien. 8. Nutzen Sie spezielle Scoringsysteme, um Schmerzen bei verbal eingeschränkten Patienten einschätzen zu können. 9. Überprüfen Sie das Blutbild beim Einsatz von Metamizol. 10. Setzen Sie keine NSAID ein, falls bei Ihrem Patienten eine instabile Gefässsituation vorliegt. Stufe Adjuvanzien (Antidepressiva oder Antiepi- Situationen kann die Anwendung bukkal oder leptika) zum Einsatz. NSAID oder andere Nicht- transnasal applizierbarer Präparate (Fentanyl opioide sind hier meist wenig wirksam. Auch oder Buprenorphin) helfen und erlaubt auch eine Opioide zeigen eher geringere Effektivität. Aller- rasche Behandlung bei Schluckstörungen. Für die dings sind sowohl Antidepressiva als auch Anti- Dauertherapie können bei stark hilfsbedürftigen epileptika mit einer Reihe von unerwünschten Patienten ohne erhaltenes Selbstmanagement Wirkungen verbunden, die gerade beim vulnerab- gut transdermale Systeme mit Opioiden ange- len älteren Patienten eine grosse Rolle spielen wendet werden (Fentanyl oder Buprenorphin). Die (Gangunsicherheit und Delir). Wichtig ist, Trizy- individuell richtige transdermale Dosis aus einer klika bei dieser Indikation zu vermeiden, auch zuvor als wirksam erkannten oralen Dosierung wenn man eine adjuvante Wirkung oft mit wesent- kann allerdings nur grob abgeschätzt werden, da lich geringeren Dosen erreichen kann, wie zur Er- die transdermale Resorption vielen individuellen zielung eines antidepressiven Effekts. Leider gibt und lokalen Faktoren unterliegt. Gelegentlich wird es zur differenziellen Bewertung der möglichen eine Wirkabschwächung am Ende der Applikati- Wirkstoffe nur begrenzt belastbare Daten. Emp- onsphase beobachtet. Hier sollte dann nicht die fohlen werden können unter den Antidepressiva Dosis gesteigert, sondern das Applikationsinter- Duloxetin und Venlafaxin, unter den Antiepilep- vall um einen Tag verkürzt werden. Pflastersys- tika das Pregabalin. Auch hier sollte immer mit teme sollten niemals auf ein morphologisch er- einer möglichst niedrigen Dosis in der Eindosie- kennbar verändertes Hautareal aufgebracht und rungsphase begonnen und die Gangstabilität be- immer an vergleichbaren Hautarealen appliziert obachtet werden. werden (am besten am Rumpf ), da auch lokal die In den letzten Jahren beschäftigten sich zwei Ar- Resorptionsrate sehr unterschiedlich sein kann. x beitsgruppen in Deutschland intensiv mit der Frage Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Heinrich Burkhardt IV. Medizinische Klinik D-68167 Mannheim schädigten Patienten geboten. Für die Dauerthe- der potenziell ungünstigen Medikamente für ältere rapie werden retardierte Opiatzubereitungen Patienten: die PRISCUS-Gruppe und die FORTA-Au- verwendet, um eine möglichst gleichmässige Ab- toren (Tabelle 2). Die ursprüngliche Zielsetzung und deckung zu erreichen. Zur Kontrolle etwaiger die Methoden beider Gruppen unterscheiden sich Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert. Schmerzexazerbationen sollten schnell wirksame in gewissen Punkten. Beide haben aber inzwischen nicht retardierte Formulierungen zusätzlich für in einem engen Abstimmungsprozess ihre Einschät- Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 2017; 39 (21) 8–13. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. den Bedarfsfall verordnet werden. Abhängigkeits- zungen auf eine breitere Expertenbasis gestellt und probleme werden in der Regel überschätzt, auch netzbasiert zugänglich gemacht (http://priscus. wenn sie nach wie vor zur Diskussion stehen. Sie net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011. dürften aber bei einer umsichtigen Dosierung, die pdf und www.umm.uni-heidelberg.de/ag/forta/ insbesondere von engmaschiger entsprechender FORTA_liste_deutsch.pdf ). Beratung und Betreuung des Patienten begleitet ist, kaum eine Rolle spielen. Das Gleiche gilt für Besondere Situationen und Aspekte die Atemdepression, die erst bei hohen Dosen, Die Behandlung demenzkranker Patienten stellt insbesondere bei bis anhin opioidnaiven Patien- auch in der Schmerztherapie eine Herausforde- ten, zu erwarten ist und ebenfalls durch eine um- rung dar. Nicht nur weil sie generell als zerebral sichtige Eindosierungsphase abgewendet werden anfällig gelten könnten und das Delirrisiko infolge kann. Tramadol und Tapentadol werden in der einer Opioid- oder NSAID-Therapie hoch ist – Therapie älterer Patienten eher kritisch gesehen, auch das Erkennen und Bewerten eines Schmerz- da sie in Komedikation mit einem selektiven Se- problems kann schwierig werden, vor allem in rotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) die Ge- fortgeschrittenen Stadien mit eingeschränkter fahr eines serotonergen Syndroms bergen. Da verbaler Kommunikation. Dazu wurden spezielle SSRI relativ häufig eingesetzt werden, sollte die- Ratingscores (z.B. BEST) entwickelt, mit denen ser Umstand unbedingt beachtet werden. Pflegemitarbeiter und Ärzte das Schmerzproblem Beim neuropathischen Schmerz kommen nach einschätzen können. den WHO-Empfehlungen schon in der ersten In terminalen und stärker palliativ geprägten – 36 – 2 • 2017 Fortbildung Literatur: 1. Schwabe U: Arzneiverordnungen 2012 im Überblick. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.) Arzneiverordnungsreport 2013, Springer, Heidelberg, 2013. 2. 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