Zeitliche Verschiebungen von Austrieb, Blüte, Fruchtreife und

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Forum für Wissen 2006: 47–53
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Zeitliche Verschiebungen von Austrieb, Blüte, Fruchtreife
und Blattverfärbung im Zuge der rezenten Klimaerwärmung
Annette Menzel
Lehrstuhl für Ökoklimatologie, Department für Ökologie, Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung,
Landnutzung und Umwelt, TU München, Am Hochanger 13, D-85354 Freising
[email protected]
Das Einsetzen der Jahreszeiten, so wie sie in der Natur zu beobachten sind, hat
sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Austrieb, Blüte und Fruchtreife setzen
im Frühjahr und Sommer immer früher ein, und im Herbst sind Blattverfärbung
und Blattfall teilweise verspätet. Eine umfangreiche Studie für Europa
(COST725) bestätigte dies für die letzten 30 Jahre anhand von 75 218 Zeitreihen:
Blüte und Blattentfaltung verfrühten sich im Frühjahr um durchschnittlich 2,5 Tage pro Dekade, und in Mitteleuropa dauert heute die Vegetationsperiode bis zu
zwei Wochen länger. Die Signale sind klar auf die Erwärmung durch den anthropogen verstärkten Treibhauseffekt zurückzuführen. Sie sind in ganz Europa zu
beobachten, wobei Länder mit stärkerer Erwärmung in den letzten Jahren auch
die grössten Veränderungen zeigten.
1 Beobachtete Veränderungen in der Natur
im Zuge der rezenten
Klimaerwärmung
140
a
130
120
110
100
90
1900
b
11
Temperatur März / April [°C]
Rosskastanienblüte [Tag seit Jahresbeginn]
Im Jahre 2001 folgerte das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate
Change, zwischenstaatlicher Ausschuss
für Klimaänderungen) in seinem letzten Sachstandsbericht, dass sich unser
Klima in den letzten zwei Jahrhunderten wesentlich verändert hat. Diese beobachteten Klimaänderungen, vor allem in den letzten Jahrzehnten, hätten
bereits vielfältige Auswirkungen in
physikalischen und biologischen Systemen gehabt (IPCC 2001). So haben
sich beispielsweise Verbreitungsgebiete von Arten polwärts und in höhere
Lagen verschoben, die Dichte der Vegetation hat an machen Stellen, wie in
der Arktis, zugenommen. Die Zusammensetzung der Vegetationsgemeinschaften hat sich teilweise verändert
und der Anteil wärmeliebender Arten,
z. B. in den Niederlanden und Norwegen, hat zugenommen.
Die am einfachsten festzustellende
Veränderung betrifft jedoch Eintrittstermine von wiederkehrenden Ereig-
10
9
8
7
6
5
4
1920
1940
Jahr
1960
1980
2000
nissen im Jahresverlauf, wie Blattentfaltung, Blüte, Fruchtreife, Blattverfärbung und Blattfall. Diese Phasen werden in vielen Ländern Europas von naturinteressierten Bürgern beobachtet
und auf den Tag genau festgehalten;
deshalb sind zeitliche Verschiebungen
genau quantifizierbar. Abbildung 1a
zeigt ein Beispiel einer langjährigen
(100jährigen) Beobachtungsreihe der
Blüte der Rosskastanie in Geisenheim
(nähe Frankfurt am Main). Eine Veränderung (Verfrühung) der Eintrittstermine zum Ende der Zeitreihe ist
deutlich zu erkennen.
Ein weiterer Vorteil dieser Bio-Indikatoren für den Klimawandel ist ihre
direkte Abhängigkeit von der Temperatur. Laubabwerfende Pflanzen in unseren mittleren Breiten benötigen zunächst kalte Temperaturen («chilling»), um die genetisch bedingte echte
Winterruhe (endogene Dormanz; dormancy) zu durchbrechen. In der sich
anschliessenden erzwungenen Winterruhe (exogene Dormanz; rest) hindern
nur noch kalte Umgebungsbedingungen die Pflanze am Austrieb – warme
Bedingungen (forcing) dagegen för-
90
Mai
April
120
Rosskastanienblüte [Tag seit Jahresbeginn]
150
Abb. 1. a) Beispiel einer langjährigen phänologischen Beobachtungsreihe: Blühbeginn der Rosskastanie in Geisenheim (nähe Frankfurt am
Main), von 1900 bis 2000 (Regressionsgerade: y = –0.08x + 280.9; R2 = 0.09); b) Eintrittstermine der Rosskastanienblüte und Mitteltemperatur der Monate März/April in Geisenheim 1935 bis 2000 (Korrelationskoeffizient r = –0,797, 63,5 % der Varianz werden durch die Frühjahrstemperaturen erklärt).
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Forum für Wissen 2006
dern die ontogenetische Entwicklung
und führen dann zu Blattentfaltung
und Blüte. Auch der Zeitpunkt der
Fruchtreife wird durch die Temperatur
gesteuert, denn zusätzliche Wärme beschleunigt den Prozess. Deshalb zeigen
sich Erwärmungen ausgangs des Winters, im Frühjahr und im Sommer in
diesen Gebieten in sich verfrühenden
Eintrittsterminen von entsprechenden
Frühjahrs- und Sommerphasen (SPARKS
und MENZEL 2002; MENZEL 2002; MENZEL 2003). Die Tageslänge gibt dabei
einen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Pflanze dann auf Temperatursignale reagiert (siehe Schema
in Abb. 2). In unserem Beispiel der
Rosskastanienblüte (Abb. 1b) zeigt eine Korrelation zwischen Eintrittsterminen und Frühjahrstemperaturen
diesen engen (statistischen) Zusammenhang deutlich auf (Korrelationskoeffizient r = –0.797). Aus Manipulationsexperimenten in Gewächshäusern
und phänologischen Modellen weiss
man, dass dieser Zusammenhang auch
eine kausale Beziehung darstellt.
Der beobachtete Zeitpunkt der
herbstlichen Laubverfärbung und des
Blattfalls ist dagegen weitaus schwieriger mit Witterungscharakteristika, sei
es Temperatur, Tageslänge oder Bodenfeuchtigkeit, zu erklären. Es kann
lediglich statistisch gezeigt werden,
dass ein warmer Spätsommer die
Laubverfärbung im Durchschnitt verzögert, ein warmer Juni dagegen beschleunigt. Deshalb können beobachtete Veränderungen im Herbst bisher
keinem Klimaänderungssignal eindeutig zugeschrieben werden (ESTRELLA
und MENZEL im Druck).
Chilling («Kältereiz»)
Forcing
Um Veränderungen in längeren phänologischen Zeitreihen (> 30 Jahre,
Kasten S. 49, A) festzustellen, muss gezeigt werden, dass die Veränderung
nicht zufällig ist (d. h. statistisch signifikant) und dass es sich um keine natürliche (interne) Variabilität des beobachteten Faktors handelt (Kasten, B).
In vielen Studien wurden diese Veränderungen bisher mit linearen Regressionen beschrieben (siehe SPARKS und
MENZEL 2002; SPARKS und TRYJANOWSKI 2005). In Abbildung 1a ist
solch eine signifikante lineare Regressionsgerade für das Beispiel der Rosskastanienblüte in Geisenheim eingezeichnet.
Soll nun eine beobachtete, signifikante Veränderung in Eintrittsdaten
der Klimaerwärmung zugeschrieben
werden, so ist ein zweistufiger Prozess
notwendig (Kasten, C). Zuerst muss
gezeigt werden, dass die Veränderung
durch eine Änderung in einem Klimaparameter (meist Temperatur) hervorgerufen wurde und nicht durch irgendeine oder mehrere andere lokale
Antriebsfaktoren wie Landnutzungsänderung oder Erhöhung der atmosphärischen CO2-Konzentration. Hier
kommen die Vorteile phänologischer
Daten zum Tragen, denn gerade das
Eintreten von Frühjahrs- und Sommerphasen ist in unseren Breiten nahezu
ausschliesslich von der Temperatur abhängig.
Abb. 2. Phänologische Uhr für
Süddeutschland mit den phänologischen Jahreszeiten Vor-,
Erst-, Vollfrühling, Früh-, Hoch-,
Spätsommer, Früh-, Voll-, Spätherbst und Winter und ihren
charakteristischen Phasen: Blüte
von
Hasel/Schneeglöckchen,
Forcing
Forsythie/Weide, Apfel, Schwar(«Wärmereiz»)
zer Holunder, Sommerlinde,
Fruchtreife von Apfel, Schwarzer Holunder, Stieleiche/Rosskastanie, Blattverfärbung Stieleiche, Auflaufen von Winterweizen. Wichtige beeinflussende
Witterungsfaktoren sind im Text
erläutert.
Tageslänge
?
2 Methodik: Feststellung von
beobachteten Veränderungen und ihre Zuschreibung zur Klimaänderung
Wenn im Beispiel der Rosskastanienblüte (Abb. 1b) 63,5 Prozent der
Varianz der Blüte allein durch die
Monatsmitteltemperaturen von März
und April erklärt werden und kein anderer möglicherweise beeinflussender
Faktor bekannt ist (beispielweise gibt
es keine schlüssigen Hinweise aus Experimenten, dass ansteigende CO2Konzentrationen die Eintrittstermine
gerichtet verändern), so ist dies der erste Schritt der Zuordnung von beobachteter phänologischer Veränderung
zur lokalen/regionalen Temperaturänderung.
In einem zweiten Schritt muss gezeigt werden, dass die lokale oder regionale Änderung der Lufttemperatur
durch den anthropogen verstärkten
Treibhauseffekt bedingt ist und nicht
etwa durch eine städtische Wärmeinsel
oder interne (natürliche) Variabilität
im Klimasystem. Nach KAROLY und
WU (2005), die diese Frage bereits für
die gesamte Erde und für drei verschiedene Zeiträume analysiert haben,
gilt u.a. für Europa, dass die beobachtete Temperaturerhöhung in den letzten drei Jahrzehnten auf den menschlichen Einfluss zurückzuführen ist.
Neue, auf der Bayes’schen Theorie
aufbauende Ansätze erlauben eine verbesserte Analyse der Veränderungen
in phänologischen Zeitreihen und
Temperaturreihen. Hierzu wird zunächst die Güte verschiedener Modelltypen zur Beschreibung der Daten verglichen. Für jeden dieser Typen, beispielsweise konstanter Eintritt der
phänologischen Phasen, lineare Änderung der Eintrittstermine und Änderung mit einem oder mehreren Umkehrpunkten, werden die jährlichen
Funktionswerte und die erste Ableitung (Trend), beide mit Konfidenzintervallen, berechnet (siehe DOSE und
MENZEL 2004).
In Abbildung 3 werden am Beispiel
der Rosskastanienblüte und der Monatsmitteltemperatur März/April in
Geisenheim (siehe Abb. 1) die Ergebnisse dieser Bayes’schen Zeitreihenanalyse aufgezeigt. Jahre mit wärmerem Frühjahr sind mit früheren Blühterminen verbunden, in den letzten
Jahrzehnten ergeben sich bei den gegenläufigen Zeitreihen deutliche Änderungen (Abb. 3a). Die Rosskastanienblüte weist Mitte der 1980er Jahre
einen deutlichen Umkehrpunkt auf (in
Forum für Wissen 2006
49
Methodisches Vorgehen, um phänologische Veränderungen dem anthropogenen
Klimawandel zuzuschreiben.
A Auswahl von phänologischen Zeitreihen
B Detektion von signifikanten, beobachteten Veränderungen
d. h. beobachtete Veränderung ist signifikant und nicht durch natürliche interne
Variabilität zu erklären
C Zuschreibung an Klimawandel
1) in Verbindung mit einer beobachteten Veränderung in einem Klimaparameter
d.h. nicht in Zusammenhang mit einem oder mehreren anderen Antriebsfaktoren
2) beobachtete regionale Klimaänderung muss anthropogenen Ursachen zugeschrieben werden
Aus der Literatur ist bekannt, dass die Temperaturänderung in Mitteleuropa
menschlichem Einfluss zugeschrieben werden kann.
den Jahren 1985 / 86 jeweils 12 Prozent
Umkehrpunktwahrscheinlichkeit)
(Abb. 3b), ganz ähnliches gilt auch für
die Temperatur der Monate März/
April mit sieben Prozent Umkehrpunktwahrscheinlichkeit im Jahr 1986.
In diesen Jahren setzt dann auch eine
deutliche Verfrühung der Blühtermine
und eine Erhöhung der Temperatur ein
(Abb. 3c). Während bei der Rosskastanienblüte im Jahr 2000 ein Verfrühungstrend von etwas über einem Tag/
Jahr erreicht wird, der deutlich von
Null verschieden ist, zeigt sich bei der
Frühjahrstemperatur nur eine Änderung um rund 0,1 °C/Jahr (Abb. 3d).
Das Beispiel der Rosskastanienblüte
zeigt deutliche Veränderungen in phänologischen und Temperaturzeitreihen. In beiden ist eine starke Änderung Mitte der 1980er Jahre festzustellen, die möglicherweise mit der
Nordatlantikzirkulation in Zusammenhang steht.
ons» (www.cost725.org) wurde eine
umfangreiche Analyse sämtlicher verfügbarer phänologischer Zeitreihen in
Europa durchgeführt (MENZEL et al.
2006). Dabei wurden über 125 000
Zeitreihen (1971–2000) aus 17 Ländern von 31 Wissenschaftlern bearbeitet. Ziel dieser Studie war es, (1) für einen ganzen Kontinent systematisch zu
untersuchen, wie sich phänologische
Eintrittstermine verändert haben, und
(2) zu zeigen, dass bisherige Veröffentlichungen nicht selektiv waren und
vorwiegend von starken Veränderungen berichtet haben.
Zunächst konnte anhand von 254 nationalen Zeitreihen (1951–1999) aus
neun Ländern demonstriert werden,
dass es gerade für Frühjahrs- und Sommerphasen wie Blattentfaltung, Blüte
und Fruchtreife, einen engen Zusammenhang mit der Temperatur vorangehender Monate gibt (Korrelationsanalyse) und dass sich diese Phasen um ein
bis fünf Tage pro Grad Celsius Tempe-
raturerhöhung verfrühen (Regressionsanalyse). Die herbstliche Blattverfärbung zeigt einen weniger engen
Zusammenhang mit der Sommertemperatur, sie verspätet sich im Durchschnitt um bis zu zwei Tage pro Grad
Celsius (Abb. 4).
Die Ergebnisse aller linearen Trends
(1971–2000, mindestens 20 Beobachtungsjahre, über 125 000 Zeitreihen)
zeigten deutlich, dass sich Blattentfaltung und Blüte durchschnittlich um 2,5
Tage pro Jahrzehnt verfrüht haben,
Fruchtreifephasen um 2,4 Tage/Jahrzehnt. Landwirtschaftliche Phasen, wie
Aussaat und Ernte, haben sich weitaus
weniger stark verändert (–0,4 Tage /
Dekade), ebenso die Herbstphasen, die
im Durchschnitt eine leichte Verspätung zeigten (0,2 Tage / Dekade). In Tabelle 1 sind die Anzahl der Reihen und
die jeweiligen Anteile von sich (signifikant) verfrühenden und sich (signifikant) verspätenden Reihen angegeben. Bei Blattentfaltung, Blüte und
Fruchtreife verfrühen sich mehr als 3/4
der Reihen, mehr als 1/4 sogar signifikant.
Das wichtigste Ergebnis dieser Studie (MENZEL et al. 2006) ist aber, dass
Länder mit stärkerer Temperaturerhöhung auch deutlichere Änderungen in
der Phänologie aufweisen. So sind die
Erhöhung der Frühjahrstemperatur
und die Verfrühung von Blüte und
Austrieb in Ländern West- und Zentraleuropas (z. B. Spanien, Belgien,
Deutschland, Dänemark) besonders
ausgeprägt, während in Südosteuropa
(Slowakei, Griechenland) Verspätungen zu beobachten sind (Abb. 5).
3 Ergebnisse der COST725
Studie
Verschiedene Übersichtsartikel (WALTHER et al. 2002) und zwei globale Meta-Analysen (PARMESAN und YOHE
2003 bzw. ROOT et al. 2003), die bisher
veröffentlichte Studien zusammengefasst haben, konnten zeigen, dass sich
in mittleren und höheren Breiten das
Frühjahr durchschnittlich um 2,3 bzw.
5,1 Tage pro Dekade verfrüht hat. Allerdings wurden in den Meta-Analysen
nur 172 bzw. 109 Reihen untersucht. Im
Rahmen der COST725 Aktion «Establishing a European Phenological Data
Platform for Climatological Applicati-
Tab. 1. Statistik aller phänologischen Trends in Europa basierend auf Resultaten von linearen Regressionen für Zeitreihen von 1971 bis 2000 (nach MENZEL et al. 2006).
Landwirtschaftliche Blattentfaltung
Phasen
und Blüte
Anzahl der Reihen
22338
64027
Verfrühung
57 %
78 %
sign. Verfrühung
13 %
31 %
Verspätung
43 %
22 %
sign. Verspätung
6%
3%
Fruchtreife
11191
75 %
25 %
25 %
3%
Laubverfärbung
5643
48 %
12 %
52 %
15 %
50
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a
11
Temperatur März / April [°C]
150
Rosskastanienblüte
[Tag seit Jahresbeginn]
140
130
120
110
100
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
1930
90
1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000
Jahr
1940
1950
1960
1970
Jahr
1980
1990
2000
b
Temperatur März/April
Wahrscheinlichkkeit
Wahrscheinlichkkeit
Rosskastanienblüte
Temperatur März / April [°C]
Rosskastanienblüte
[Tag seit Jahresbeginn]
c
Trend [°C/Jahr]
Trend [Tage/Jahr]
d
Abb. 3. a) Blühzeitpunkt der Rosskastanie (1900–2000) und Mitteltemperatur der Monate März /April (1935–2000) in Geisenheim, bei
Frankfurt am Main. b) Bayes’scher Ansatz mit Ergebnissen des Change-Point-Modells für die Rosskastanienblüte (links) und für die Temperatur (rechts): Jährliche Wahrscheinlichkeit eines Umkehrpunktes. c) Funktionsausgleich mit Konfidenzintervallen. d) Trend mit
Konfidenzintervallen.
Forum für Wissen 2006
Korrelationskoeffizient
0,5
b
Landwirtschaftliche Phasen
Blattentfaltung und Blüte
Fruchtreife
Blattverfärbung
Temperaturreaktion der phänologischen
Phase [Tage/°C]
a
51
0
–0,5
–1
100
200
Tag seit Jahresbeginn
Landwirtschaftliche Phasen
Blattentfaltung und Blüte
Fruchtreife
Blattverfärbung
2
1
0
–1
–2
–3
–4
–5
–6
–7
300
100
200
Tag seit Jahresbeginn
300
Abb. 4. Temperatursensitivität (a) und Temperaturreaktion (b) von 254 nationalen phänologischen Zeitreihen in neun Ländern Europas
mit Mitteltemperaturen des vorangehenden Monats (nach MENZEL et al. 2006). Die Temperatursensitivität wurde mit Korrelationskoeffizienten zwischen phänologischen Eintrittsterminen und Temperatur bestimmt, die Temperaturreaktion als Regressionskoeffizienten von
phänologischen Eintrittsterminen (abhängige) und Temperatur (unabhängige Variable).
Verspätung
0,2
SK
zeigt, deckt die neue Analyse die
sprunghaften Änderungen v.a. Mitte
der 1980er Jahre auf.
Woher kommt diese sprunghafte
Änderung zu diesem Zeitpunkt? DOSE
und MENZEL (2006) gingen der Frage
nach, ob Zeitreihen von Temperaturen
und von Blühterminen besser kohärent
oder unabhängig zu betrachten sind.
Es zeigte sich, dass gerade Kirsch- und
Lindenblüte besser kohärent mit Temperaturen zu betrachten sind und dass
diese Temperaturzeitreihen ebenfalls
Mitte der 1980er Jahre markante Änderungen (Anstiege) aufwiesen (siehe
auch Abb. 3).
GR A
Blattentfaltung und Blüte
Verschiedene Tierphasen
0,1
0
HR CZ
N
–0,1
Verfrühung
Mit Hilfe des Bayes’schen Ansatzes
können die Veränderungen in der Phänologie Europas (z. B. Blattentfaltung,
Blüte, Laubverfärbung) noch besser
beschrieben werden. DOSE und MENZEL (2004) sowie MENZEL und DOSE
(2005) konnten anhand von sechs langjährigen Reihen der Blüte zeigen, dass
das Change-Point-Modell sich weitaus
besser als das lineare und das konstante Modell eignet, phänologische Zeitreihen und ihre Änderungen zu beschreiben. Eine umfangreiche Analyse
von europäischen Daten aus dem EU
Projekt POSITIVE durch SCHLEIP
(2005) bestätigte die Überlegenheit
des Change-Point-Modells gegenüber
anderen Modelltypen. Dies gilt vor allem für spätere Phasen im Jahresverlauf, wie Fruchtreife (SCHLEIP et al.
Mskr. akzeptiert).
Innerhalb von Europa sind die
Trends unterschiedlich: Im Osten (z. B.
Weissrussland, Ukraine) verändern
sich die Eintrittstermine eher linear
oder bleiben konstant. Dies führt letztendlich auch zu stärkeren Änderungen
im Westen Europas, wie sie auch schon
mit der klassischen Methode der linearen Regression beschrieben wurden
(AHAS et al. 2002). In allen bisherigen
Untersuchungen von phänologischen
Zeitreihen Mitteleuropas mit dem
Bayes’schen Ansatz (u.a. DOSE und
MENZEL 2004; MENZEL und DOSE
2005; SCHLEIP 2005) zeigte sich, dass
vor allem Mitte der 1980er Jahre die
Wahrscheinlichkeit für einen Umkehrpunkt besonders gross ist. Dies zeigen
diskontinuierliche Änderungen zu diesem Zeitpunkt, meist verbunden mit
einer Trendumkehr, an. In Abbildung 6
sind Bayes’sche Analysen aller phänologischen Jahreszeiten in Geisenheim
(Nähe Frankfurt am Main) für das gesamte letzte Jahrhundert dargestellt.
Im Vergleich zur klassischen phänologischen Uhr in der Bildmitte, die lediglich Veränderungen der Eintrittstermine in ausgewählten Zeitabschnitten an-
Mittlere phänologische Trends [Tage/Jahr]
4 Veränderungen in langjährigen Beobachtungsreihen
mit Bayes’scher Statistik
RUS FIN
–0,2
–0,3
–0,4
–0,5
SLO
MK
EST
E
GB A
CH
GB
D
IRL
PL
DK
E
B
0
0,05
0,10
Temperaturtrend des vorangehenden Monats [°C/Jahr]
Abb. 5. Mittlere Temperaturtrends und Trends phänologischer Phasen im Frühjahr und
Sommer in Ländern Europas: Gefüllte Kreise: Blattentfaltung und Blüte; offene Kreise:
Tierphasen (aus: MENZEL et al. 2006).
1985 –2000
1946 –1984
1900 –1945
Vollfrühling
Erstfrühling
Abb. 6. Phänologische Uhr für Geisenheim bei Frankfurt am Main (1900–2000) mit Ergebnissen der Bayes’schen Zeitreihenanalyse (Change-Point-Modell) für die phänologischen Jahreszeiten.
Blaue Punkte: jährliche Umkehrpunktwahrscheinlichkeit; Trend in Tage/Jahr (rot) und Funktionsausgleich in Tagen seit Jahresbeginn (blau) jeweils mit Konfidenzintervallen.
Blüte Apfel
Blüte Salweide
Blüte Schneeglöckchen
Vorfrühling
Frühsommer
Winter
Hochsommer
Blüte Sommerlinde
Winter
Spätsommer
Frühherbst
Vollherbst
Spätherbst
Geisenheim 1900 bis 2002
Fruchtreife Holunder
Fruchtreife Rosskastanie
Laubverfärbung Birke
Phänologische Uhr
Bayes‘sche Analyse
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Forum für Wissen 2006
Forum für Wissen 2006
5 Zusammenfassung
Pflanzen sind «integrierende Messinstrumente» für die Witterung. Einer
der besten Bio-Indikatoren für den
Anstieg der Temperatur in den mittleren und höheren Breiten sind Veränderungen des Eintrittszeitpunktes von
phänologischen Phasen, wie Blattentfaltung, Blüte oder Fruchtreife. Der
Lufttemperatur kommt dabei eine
Schlüsselrolle zu, denn die oben genannten Frühjahrs- und Sommerphasen werden im wesentlichen von der
Temperatur der vorangehenden Monate beeinflusst.
In den letzten Jahrzehnten haben
sich diese Ereignisse im Schnitt um 2,3
Tage / Dekade verfrüht (PARMESAN
und YOHE 2003). Für Europa konnte
die COST725 Studie einen vergleichbaren Wert von 2,5 Tagen / Dekade für
Blattentfaltung, Blüte und Fruchtreife
(75 218 Reihen) ermitteln. Blattentfaltung und Blüte verfrühen sich dabei
um 2,5 Tage / °C Temperaturerhöhung,
Fruchtreife um 2,2 Tage / °C (MENZEL
et al. 2006).
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to recent climate change. Nature 416:
389–395.
Abstract
Changes in leaf unfolding, flowering, fruit ripening and leaf colouring due to
recent climate change
The onset of seasons, as observed in the seasonal cycle in nature, has undergone
major shifts during recent decades. Spring phenological phases, such as leaf unfolding and flowering, are continuously advancing. The onset of summer phases, such
as flowering or fruit ripening, is also advancing. In contrast, the picture of autumn
is more heterogeneous with partly later onset of leaf colouring and leaf fall. A new
comprehensive European study (COST725) revealed that flowering and leaf unfolding in spring (75 218 records) have advanced by 2.5 days / decade over the last
30 years. In total the vegetation period in Central Europe is now up to two weeks
longer than 30 years ago. This signal, which is most apparent in Germany and
Switzerland in the mid 1980s, can be attributed to warming due to the anthropogenic greenhouse effect. This far-reaching study within the COST725 action further
revealed that the advance of bud burst and flowering is not an accidental result of
selected observational records, but is evident throughout Europe. Countries with
larger warming have experienced stronger changes in nature.
Keywords: phenology, vegetation period, spring, autumn, climate change
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