www.boeckler.de – Mai 2009 Copyright Hans-Böckler-Stiftung Die Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in Bochum: Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Abschlussbericht Auf einen Blick… Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Paradigmenwechsel, weg von der dezentralen Clusterbildung hin zu einem zentralistischen Führungsmodell, für Bürger, Mitarbeiter und Patienten einen Schritt in die falsche Richtung darstellt. Ein - aus seinen dezentralen Standortbindungen herausgelöstes - am Gesundheitscampus angesiedeltes LIGA.NRW kann seine Aufgaben und seine Funktion für den öffentlichen Gesundheitsdienst und das Gesundheitssystem nicht mehr in ausreichendem Maße wahrnehmen. Statt Ressourcen aus den Regionen abzuziehen, sollte vielmehr die Kooperation der LIGA.NRW Bereiche mit den Clusterakteuren vor allem in den Kommunen und der Wissenschaft ausgeweitet werden. So wäre es möglich, durch ein Konsortium aus Land/ LIGA.NRW und regionalen Akteuren an wichtigen Standorten Arbeitseinheiten ins Leben zu rufen, die sich auf Projektaufträge spezialisieren könnten. Die jeweilige Region könnte dadurch als "Musterregion" für Praxiserprobungen und -einführungen gesundheitsbezogener Innovationen landes- und bundesweites Renommee erwerben. Hierfür müssen die Kommunikationswege und Netzwerkstrukturen der LIGA.NRW geprüft und verbessert werden. Die Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in Bochum Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Essen, im Mai 2009 Erstellt durch PCG - PROJECT CONSULT GmbH - Prof. Dr. Kost & Collegen - Friedrich-List-Str. 2 D-45128 Essen Fon: 0049.(0)201.10592-0 Fax: 0049.(0)201.10592-79 [email protected] www.pcg-projectconsult.de Inhaltsverzeichnis 1 VORWORT ............................................................................................................................. 8 2 METHODE ........................................................................................................................... 18 3 DIE GESUNDHEITSWIRTSCHAFT UND DAS GESUNDHEITSWESEN ALS BUNDESWEITER WACHSTUMSMOTOR .......................................................................................................... 21 4 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT UND DAS GESUNDHEITSWESEN IN NORDRHEIN‐WESTFALEN ..... 34 5 DAS SYSTEM DER VERNETZUNG VON REGIONALEN KOMPETENZFELDERN IM GESUNDHEITSWESEN IN FORM DES CLUSTERANSATZES ........................................................... 40 5.1 INNOVATIONSFELD MEDIZINTECHNIK ........................................................................................... 41 5.2 DEZENTRALITÄT ALS ERFOLGSFAKTOR .......................................................................................... 43 5.3 DER BEGRIFF DES CLUSTERS ....................................................................................................... 45 6 DIE FÜNF GESUNDHEITSREGIONEN ALS REGIONALE CLUSTER IN NRW .................................. 48 7 DER ÖFFENTLICHE GESUNDHEITSDIENST IN NRW ................................................................. 54 8 DAS LANDESINSTITUT FÜR GESUNDHEIT UND ARBEIT NRW ................................................. 65 9 DER GESUNDHEITSCAMPUS ALS DAS GESUNDHEITSPOLITISCHE LEITPROJEKT DER LANDESREGIERUNG ............................................................................................................. 69 10 DER PARADIGMENWECHSEL ................................................................................................ 77 10.1 REGIONALISIERUNG ALS DEZENTRALES MODELL VERSUS KONZENTRATION ALS ZENTRALES MODELL .......... 82 10.2 AUSWIRKUNGEN DER ZENTRALISIERUNG BEI VERLAGERUNG DES LIGA.NRW .................................... 117 10.3 MEHR EFFIZIENZ UND EIN BESSERES GESUNDHEITSSYSTEM DURCH LEAN ADMINSTRATION? ................. 151 10.4 FOLGEN DER ZENTRALISIERUNG IM HINBLICK AUF DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT UND AUFGABENERFÜLLUNG DES LIGA.NRW ........................................................................................ 176 10.5 DER BEREICH SOZIALPHARMAZIE IM RAHMEN DER LIGA.NRW‐VERLAGERUNG ................................. 185 10.6 BELASTUNGSFAKTOREN DER LIGA.NRW MITARBEITER UND DEREN AUSWIRKUNGEN ......................... 194 11 HANDLUNGSEMPFEHLUNG ................................................................................................ 210 12 DIE VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE IN FORM DER TELEARBEIT .......................... 216 13 FAZIT ................................................................................................................................. 221 14 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................... 233 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Abkürzungsverzeichnis a. a. O.: am angegebenen Ort AG: Arbeitsgemeinschaft AGKW: Arbeitsgemeinschaft kommunale Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen AIDS: Acquired Immune Deficiency Syndrome ATZ: Altersteilzeit AUST: Arzneimitteluntersuchungsstelle BAuA: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BDP: Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen BfAr Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BVMed : Bundesverband Medizintechnologie Bzw.: beziehungsweise ca.: circa CVUA: Chemisches Landes- und staatliches Veterinäruntersuchungsamt D.h.: das heißt Ddp : Deutscher Depeschendienst DGB: Deutscher Gewerkschaftsbund Dr.: Doktor Dtsch. Arztebl: Deutsches Ärzteblatt DV: Datenverarbeitung e.V.: eingetragener Verein Ebd. Ebenda EDV: Elektronische Datenverarbeitung EFRE: Europäischer Fond für Regionalentwicklung EFTA - EEA: European Free Trade Association - European Economic Area Etc.: et cetera EU: Europäische Union FB: Fachbereich 3 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht FDP: Freie Demokratische Partei ff.: und folgende FÖV: Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung Frankfurt a.M.: Frankfurt am Main FTG Financial Times Germany FZ Jülich: Forschungszentrum Jülich GAU: Größter anzunehmender Unfall GBE: Gesundheitsberichterstattung ggf.: gegebenenfalls gGmbH: gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung G.I.B. Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH - in Bottrop. GKV: Gesetzliche Krankenversicherung GVP: Geschäftsverteilungsplan HBS - WSI: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung HIV: Humanes - Immundefizienz -Virus Hrsg.: Herausgeber HTA: Health Technology Assessement i.S.: im Sinne IAT: Institut für Arbeit und Technik IATG: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete IGIS: Integriertes Gesundheits- Informationssystem Inst. Arbeit und Technik: Institut für Arbeit und Technik IuK: Informations- und Kommunikationstechnik KGBE: Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler Ebene (Kommunale GBE) KGK: Kommunale Gesundheitskonferenzen KMU: Kleine und Mittelständische Unternehmen KV: Kassenärztliche Vereinigung kw: künftig wegfallend (Stellen, die abgebaut werden können) 4 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht LAfA: Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen LANUV: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen LGBE: Gesundheitsberichterstattung auf Landesebene (LandesGBE) LGK: Landesgesundheitskonferenz LIGA.NRW: Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit LJA WL: Landesjugendamt Westfalen-Lippe LMU München: Ludwig - Maximilians - Universität München LÖGD: Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst LPEM: Landesamt für Personaleinsatzmanagement M.a.W.: mit anderen Worten MAGS: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales MD: Mittlerer Dienst MdB: Mitglied des Bundestages MGSFF: Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein Westfalen Min.: Minuten Mrd.: Milliarden MUNLV: Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen MVA: Müllverbrennungsanlage MWME: Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen NCI: National Cancer Institute (USA) NIA: National Institute on Aging (USA) NIH: National Institutes of Health (USA) NMR: nuclear magnetic resonance NRW: Nordrhein-Westfalen NRZ: Neue Rhein Zeitung OD: Office of the Director 5 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht OECD: Organisation for Economic Co-operation and Development ÖGD: Öffentlicher Gesundheitsdienst ÖGDG: Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst OWL: Ostwestfalen -Lippe PEM: Personaleinsatzmanagement PFT: Perfluorierte Tenside PHGEN: Public Health Genomics European Network PP: Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten PPP: Public - Private - Partnership Prof.: Professor PUR: Protein research Unit Ruhr within Europe RMI: Rhein - Main - Institut S.: Seite SGB: Sozialgesetzbuch Sog.: so genannte Std.: Stunden SWOT - Analyse: Stärken - Schwächen - Chancen - Risiken Analyse TPS: Toyota Production System TÜV: Technischer Überwachungs-Verein u.a. : unter anderem UK: United Kingdom US: United States USA: United States of America v.: von VG: Verwaltungsgemeinschaft vgl.: vergleiche WHO: World Health Organisation z.B.: zum Beispiel z.T.: zum Teil ZGA: Zentrum für Gesundheit in der Arbeit 6 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ZIG: Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft ZÖG: Zentrum für öffentliche Gesundheit ZTG: Zentrum für Telematik 7 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 1 Vorwort Mit dem Beschluss der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2008 die Einrichtung eines “Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen“ im Ruhrgebiet vorzunehmen, wird eine bislang - gerade auch von der Landesregierung - überzeugend vertretene Position der Clusterpolitik konterkariert. Mit den Gesundheitsregionen - Metropolregion Ruhr - Ost-Westfalen Lippe - Münsterland - Aachen - Köln/Bonn verfolgte das Land NRW die bislang ökonomisch, wie auch in innovativer Hinsicht überaus erfolgreiche Strategie einer gesundheitspolitischen wie auch gesundheitswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung. Eine zukunftsfähige Gesundheitswirtschaft und dies war bislang auch Überzeugung der Landesregierung - basiert auf der Mobilisierung regionaler Wirtschaftskreisläufe und der Integration der Ressourcen der beteiligten Akteure eines gesundheitswirtschaftlichen Clusters sowie übergreifender Wertschöpfungsnetzwerke auf regionaler Ebene. Eine leistungsstarke Gesundheitsversorgung bedarf der regionalen Verankerung und der Vernetzung vielfältiger Leistungsangebote. Durch eine solche Vernetzung der Leistungsangebote vor Ort, lassen sich für das Gesundheitswesen zum einen Innovationen fördern und zum anderen Versorgungsund Qualitätsdefizite beheben, letztlich die Lebensqualität in der Region erhöhen. Mit der Konzentration auf die regionalen Wirtschaftskreisläufe wurde bislang in entschiedener, wie auch ebenso richtiger Weise, eine strategische Ausrichtung der Strukturpolitik verfolgt, in der sich Ansätze einer bottom-up-Strategie mit zukunftsorientierten Regionalkonzepten kombinierten, um einerseits Wachstumspotenziale zu erschließen und andererseits die Qualität der regionalen Gesundheitsversorgung zu erhöhen. Dies belegen die sich seit den 90er Jahren in den Gesundheitsregionen positiv entwickelnden Wertschöpfungsvolumina eindeutig. 8 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Angesichts der immensen Wertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft wurde im Jahr 2007 ein umfassendes Konzept zur Förderung der Gesundheitswirtschaft in Nordrhein-Westfalen seitens des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vorgestellt, in dem die regionalen Kooperationsstrukturen in der Gesundheitswirtschaft mit ihren Hauptakteuren Unternehmen, Institutionen, Forschungseinrichtungen sowie den regionalen Standorten der Leitstelle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ehemals lt. ÖGDG durch LÖGD wahrgenommen) erfasst wurden. Fundierend für eine Förderung der dezentralen Strukturen des Gesundheitswesens war das Projekt „regionale Entwicklungsperspektiven in den Regionen der Gesundheitswirtschaft NRW“. Es leistete die Vorarbeiten zur Erfassung und Formierung der Wertschöpfungsstrukturen regionalisierter Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitswesens. So wurden fünf Regionen identifiziert, in denen die Akteure aus der Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette eng miteinander kooperieren und so das jeweilige Profil der regionalen Wertschöpfungsstrukturen in Form von Kompetenzstandorten bilden. Mit dem Ausbau von Vernetzungsstrukturen in den Regionen Nordrhein-Westfalens verbindet sich die Absicht, die Effizienz der Wertschöpfungspotenziale und der Gesundheitsförderung sowie die Innovationskraft im Gesundheitswesen zu steigern und regionale Kooperationsverbünde, Netzwerke oder Projekte für die „eigene Standortentwicklung zu nutzen“. „Nordrhein-Westfalen will in den kommenden Jahren zeigen, wie Gesundheitswirtschaft in urbanen und ländlichen Versorgungsräumen organisiert werden kann, wie die Akteure gemeinsam innovative Lösungen „vor Ort“ entwickeln und umsetzen können, mit welchen Methoden/Instrumenten die Gestaltungsarbeit in der Gesundheitswirtschaft empirisch fundiert werden kann und wie Exzellenzen in der Gesundheitswirtschaft durch einen internationalen Austausch in Zukunftsfeldern befördert werden können“. (Brigitte Meier Clustermanagerin Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen). Mit den fünf regionalen Gesundheitsstandorten Ostwestfalen-Lippe, dem Ruhrgebiet, Münsterland, Aachen und Köln-Bonn verfolgte NRW bislang einen dezidiert dezentralen Ansatz. Dies mit dem Ziel, dass eine Vernetzung unter den Akteuren vor Ort zielgenauer den Bedarf an Gesundheitsleistungen realisieren kann, als ein zentrales System der Ressourcenzuweisung. (Wobei hiermit nicht eine Mittelrestrik- 9 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tion oder Substitution von finanziellen Mittel durch finanzielle Ressourcen der Region zu verstehen ist.) Vielmehr lief der bisher verfolgte dezentrale Ansatz darauf hinaus, eine Vernetzung der regionalen Kompetenzen zu leisten, langfristige Perspektiven für die Gesundheitswirtschaft in ihren Regionen zu entwickeln und durch eine clusterübergreifende Vernetzung Synergien zwischen den Regionen zu stärken, so dass dadurch Wachstum und Beschäftigung gefördert werden können. Mit der Positionierung der Gesundheitswirtschaft in den fünf Gesundheitsregionen, deren Strukturen allerdings ohne die Mitwirkung der Landesebene zu Anfang der 90er Jahre auf regionaler und lokaler Ebene schon präfiguriert wurden, favorisierte die Landesregierung ein Konzept, dessen Stärke ebenso auf der Partizipation der regionalen Akteure und deren Vernetzung beruht, wie auch auf der Einführung dezentraler Entscheidungsverfahren, deren Möglichkeit und Effektivität nicht zuletzt durch das Modellprojekt „Ortsnahe Koordinierung der gesundheitlichen und sozialen Versorgung“ in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen wurde und deren Umsetzung wie noch zu zeigen sein wird - im ÖGD und seinem Rechtsrahmen, dem ÖGDG selbst erfolgte. Diese Konzeption der dezentralen Versorgungsstrukturen und gesundheitswirtschaftlicher Interaktion, stellte bislang sicher, dass im Zuge der Entwicklung bis 2008 eine Mobilisierung und Förderung endogener Entwicklungs- und Innovationspotenziale in den Regionen ermöglicht werden konnte. Mit dem Beschluss der Landesregierung vom 17. Juni 2008, einen Gesundheitscampus als zentralen Standort der Gesundheitswirtschaft in NRW zu gründen, ist nunmehr geplant, dezentrale Schlüsselressourcen der regionalen Gesundheitscluster an einem Ort zusammenzuführen. So intendiert die Landesregierung durch den geplanten Gesundheitscampus ihre Kräfte in der Gesundheitswirtschaft zu bündeln und zu einem zukünftigen Netzwerk europäischer und globaler Gesundheits- und Technologieinstitute auszubauen. Nach den bisherigen Planungen wird der Campus etwa 500 Arbeitsplätze mit einem Budgetvolumen von rund 75 Millionen Euro beherbergen. Eine der Säulen des Ge- 10 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sundheitscampus wird das neue Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) sein. Ebenfalls geplant ist eine Fachhochschule für Gesundheitsberufe in staatlicher Trägerschaft mit rund 1000 Studienplätzen. Hierfür soll das mit hoheitlichen Aufgaben versehene und mit einer kompakten wissenschaftlichen Beratungskapazität ausgestattete Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA.NRW), welches bisher auf die Standorte Münster, Bielefeld und Düsseldorf verteilt ist, auf den Gesundheitscampus verlagert werden. In seiner Funktion, die Landesregierung wie auch die Kommunen bezüglich des Gesundheitsschutzes (u. a. Arzneimittelpolitik, -versorgung und -sicherheit) und der Gesundheitsförderung (u. a. über Mitarbeit an NRW-Gesundheitszielen, am NRW-Präventionskonzept und deren Umsetzung) zu beraten und in diesem Rahmen strategische Kompetenzen wie spezialisiertes Wissen zu gesundheitswissenschaftlichen Fragestellungen für die Entwicklung einer Versorgungsinfrastruktur lokaler Gesundheitssysteme ebenso einzubringen wie Kontroll- und Beratungsfunktionen (u.a. Arbeitsschutz, präventive Gestaltung von Arbeitsbedingungen, Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit; Infektionsschutz) auszuüben, fungiert das LIGA.NRW als Leitstelle des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In dieser Funktion arbeitete es bislang in regionaler Anbindung an den Schnittstellen der Gesundheitsregionen, mit deren Netzwerken es in Interdependenz steht. Hierdurch wurde sowohl die Arbeit des LIGA.NRW als auch die der Gesundheitsregionen selbst gestärkt. Dasselbe gilt für das Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen und das Epidemiologische Krebsregister in Münster, die ebenfalls an der Vernetzung im Rahmen der regionalen Schnittstellen, insbesondere der Gesundheitsregion OWL und dem Münsterland und den lokalen Initiativen, wie im Falle ZTG im Raum Krefeld, partizipierten. Angesicht der bislang dezidierten Clusterausrichtung des Landes in der Regionalisierung der Gesundheitswirtschaft irritiert der nun vollzogene Paradigmenwechsel von einem bislang erfolgreichen dezentralen Clustermodell, hin zu einem zentralen Verständnis von Wachstumskernen. Ein solcher Zentralisierungsbeschluss widerspricht eklatant den bisherigen politischen Zielen der derzeitigen Landesregierung, die verschiedenen Gesundheitsregionen weiter auszubauen und zu stärken. 11 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht So verweist das MAGS in seinen eigenen Publikationen auf die Vorteile des Clusteransatzes einer regionalisierten Gesundheitswirtschaft. „Wir nutzen moderne Förderansätze der Clusterpolitik auch für die Gesundheitswirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.“ (Zitat: Laumann). Mit der Vernetzung der regionalen Stärken und Exzellenzen in OstwestfalenLippe, Ruhrgebiet, Münsterland, Region Aachen und Region Köln/Bonn realisiert Nordrhein-Westfalen bereits heute ein beispielgebendes Portfolio wegweisender Lösungen zur Zukunft der Gesundheitswirtschaft des Landes. Das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.NRW unterstützt seit Beginn des Jahres 2008 die Gesundheitsregionen in der Gestaltung der Gesundheitswirtschaft. Es begleitet die regionale Netzwerkarbeit (Gesundheitswirtschaft NRW.regional) und entwickelt landesweite Zukunftsthemen (Gesundheitswirtschaft NRW.innovativ). Die in den Gesundheitsregionen herausgearbeiteten Stärken der nordrheinwestfälischen Gesundheitswirtschaft sollen durch das Clustermanagement, dessen Aufgabe in der Vernetzung der Initiativen der fünf Gesundheitsregionen besteht, dazu beitragen, für die Gesundheitswirtschaft in NRW langfristige Perspektiven aufzuzeigen und zu erarbeiten. Laut Ansicht des MAGS bieten also gerade die dezentralen Strukturen einer regionalisierten Gesundheitswirtschaft die Voraussetzung für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung und fungieren als Bedingung „Innovationspotenziale zu definieren, Synergien zwischen den Regionen zu stärken und NRW gemeinsam als führenden Standort der Gesundheitswirtschaft zu positionieren.“ (Gesundheitsregionen in Nordrhein-Westfalen Cluster Gesundheitswirtschaft NRW Ostwestfalen- Lippe Münsterland Region Aachen Metropole Ruhr Region Köln Bonn, Veröffentlichung des ZIG Rahmen des Projektes „Perspektiven Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen“ (2007/2008). Die Gesundheitsregionen bieten den Vorteil, dass sich in ihnen unterschiedliche gesundheitswirtschaftliche Handlungsschwerpunkte ausbilden, mit denen sich die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen am Markt positionieren können. Aufgrund der Schwerpunktbildung kann sich ein Expertenwissen in den Regionen akkumulie- 12 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ren, das eine wesentliche Bedingung für Exzellenzinitiativen in Forschung und Praxis darstellt. Dezentrale Strukturen sind also - auch laut Überzeugung des MAGS und seiner ausführenden Organe (Clustermanagement) - die Erfolgstreiber der Positionierung der Gesundheitswirtschaft im europäischen Wettbewerb wie auch der Bildung von Exzellenzinitiativen. Durch den Zentralisierungsansatz, welcher nun mit dem Gesundheitscampus NRW verfolgt werden soll, besteht die immense und unabweisliche Gefahr, dass die bisher gewachsenen Netzwerkstrukturen und Kooperationen zerstört werden, so dass bislang vorhandenes Kow-how und Innovationspotenzial verloren gehen. Gerade an der erfolgreichen Arbeit des LIGA.NRW wird der Vorteil regionaler Vernetzungen im Sinne eines Clusters empirisch greifbar. An seinen drei Hauptstandorten Bielefeld, Münster und Düsseldorf besteht eine über Jahrzehnte gewachsene Vernetzungsstruktur und Verzahnung mit anderen Gesundheitseinrichtungen und wissenschaftlichen Dienstleistern in der Region, so etwa in Münster mit der Uniklinik auf dem Gebiet der Infektiologie und in Bielefeld und OWL zwischen der Kommune Bielefeld, der Universität Bielefeld, den Bielefelder Fachhochschulen und den großen Gesundheitsdienstleistern der Region. Mit den gesetzlichen Aufgabenschwerpunkten, wie beispielsweise der Gesundheitsberichterstattung in Bielefeld oder der Arzneimittelsicherheit in Münster sowie dem Düsseldorfer Schwerpunkt Arbeitsschutz, tragen die LIGA.NRW Standorte mit ihrem Know-how, das sie einerseits unter Einbeziehung regionaler Netzwerkkompetenzen bilden können und andererseits in Form von Gesundheitsberichten, Politikberatung, und der Unterstützung der Landesgesundheitspolitik, entscheidend dazu bei, dass sich die Qualität des Gesundheitswesen nachhaltig verbessern lässt. Umso unverständlicher ist es, dass - obgleich die Landesregierung in ihren öffentlichen Stellungnahmen darauf aufmerksam macht - dass sie es für unverzichtbar hält, weiterhin die sich in den Clustern entwickelnden Gesundheits- und Exzellenzstrukturen zu fördern - dennoch gerade die regional relevanten Impulsgeber und Netzwerkzentralen in Düsseldorf, Bielefeld und Münster, zum Schaden der gesamten regionalen Cluster aus den Netzwerken entgrenzt. Die regionalen Gesundheitscluster werden durch die Verlagerung des LIGA.NRW und seiner Konzentration an einem zentralen Standort in ihrer Substanz getroffen. 13 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Denn die erprobte strukturelle Verzahnung von impulsgebenden Netzwerkakteuren und regionalen Forschungseinrichtungen wie auch Unternehmen vor Ort, wird faktisch dadurch konterkariert, dass die dezentrale Standortbezogenheit des LIGA.NRW negiert wird, so dass das LIGA.NRW somit auch von den vielfältigen regionalen Aktivitäten der Initiativen der Gesundheitsregionen vor Ort abgeschnitten wird. Hierbei handelt es sich um entscheidende Netzwerkakteure, die aufgrund ihrer regionalen Verortung gerade jene Prozesse aktivieren, die die Stärken eines regionalisierten Gesundheitswesens ausmachen. Dadurch besteht kaum noch eine direkte Erdung für regionale Entwicklungen und einen nachhaltigen Kompetenzaufbau. Hinzu kommt, dass nicht mehr die profilierten Gesundheitsregionen die Außendarstellung der NRW Gesundheitswirtschaft wahrnehmen sollen, sondern dies im Rahmen des Gesundheitscampus durch das Kompetenzzentrum NRW (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) erfolgen soll. Hieran wird die faktische Depotenzierung der Cluster deutlich. Indem Ressourcen, allen Bekundungen zum Trotz, den Gesundheitsregionen entnommen werden - dies ist dem Konzept Gesundheitscampus sachlich immanent - wird auch die Außendarstellung zentralistisch vollzogen. Umso merkwürdiger stellt sich vor dem Hintergrund des empirisch belegbaren erfolgreichen dezentralen Modells, der mit dem Gesundheitscampus vollzogene Richtungswechsel der Landesregierung dar. Der Landesregierung schwebt mit dem Gesundheitscampus die Errichtung eines Netzwerkes Gesundheitswirtschaft nach dem Vorbild der National Institutes of Health in den USA vor. Nach einer Besichtigung der NIH im Februar 2006 war sich Ministerpräsident Rüttgers sicher, dass auch in Nordrhein-Westfalen alle Voraussetzungen dafür gegeben seien, „etwas Vergleichbares zu errichten“. Immerhin konzentrieren sich in Nordrhein-Westfalen drei Fraunhofer-Institute für angewandte Wissenschaften, zwei international anerkannte Max-Planck-Institute und zwei nationale Forschungszentren auf die Medizintechnik. Von den 63 Technologiezentren hätten acht sogar eine medizinische Ausrichtung. Mit der Medica finde zudem die weltgrößte Medizinmesse in NRW statt. Der Ministerpräsident: „Wir können das alles so vernetzen, wie es 14 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die NIH in den USA machen.“1 Angelehnt (nicht kopiert, worauf das MAGS eindringlich hinweist) an die National Institutes of Health (NIH) wird deren zentrale Organisationsstruktur als legitimatorisches Modell eines Paradigmenwechsels angeführt. Wobei die Zentralität des Organisationsmodells sich weniger auf die Institute des NIH, als auf die sie regulierende und koordinierende zentrale Verwaltungseinheit des Leitungsmanagements bezieht. Denn gerade die Exzellenzinitiativen, die durch die NIH und deren Institute initiiert werden, sind klar dezentral organisiert. Die sog. Centers of Excellence der einzelnen Institute sind mitunter über die gesamte USamerikanische Hochschullandschaft verstreut und arbeiten dennoch sehr eng und effizient aufgrund ihrer spezialisierten Kompetenzprofile mit den Zentralen Führungsstäben zusammen, deren Aufgabe hauptsächlich in der Forschungsförderung, Projektaufsicht und z. T. dem Projektmanagement besteht. Das für den Gesundheitscampus ebenfalls geplante Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) würde hinsichtlich seiner Funktion und Aufgabenstellung im Rahmen seiner zentralen Steuerungsfunktion schon eher der Organisations- und Funktionsstruktur des Office of Director der NIH entsprechen, da dies eine zentrale, strategische Verwaltungseinheit für alle Institute darstellt, die weisungsbefugt die strategische Ausrichtung der NIH vorgibt. (Dachmarke, Leitprojekte, Unterstützung von Gesundheitsleistungen im internationalen Markt, Wissensund Info-Management). Insofern ist es mehr als fraglich, ob die NIH eine Blaupause für den Gesundheitscampus darstellen sollten. Denn gerade die Zentralisierung von regionalen Ressourcen und ihre Einpassung in hierarchischen Funktionsstrukturen, wie sie für das Office of Director ebenfalls auffällig sind, würde den bisherigen Erfolg der Regionalisierung gerade auch des LIGA.NRW konterkarieren. Abgesehen von der Problematik, in Analogie zu den NIH ein solches Forschungsnetzwerk durch Platzierung relativ inkompatibler Forschungsinstitutionen als Gesundheitscampus zu konstituieren, ist zudem auffallend, dass im Vorfeld der Umsetzung bezüglich der Konzeption und der Realisierung überhaupt keine Konzeptarbeit geleistet wurde. Diese müsste für das Vorhaben im Nexus mit einem konkret bestimmbaren Standort - der unter infrastrukturellen wie wirtschaftlichen Kriterien zu 1 Vgl. hierzu: Flintrop, Jens: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger, in: NordrheinWestfalen: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger. Dtsch. Arztebl. 2007; 104(14): A913 / B-815 / C-779). 15 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht analysieren wäre - ebenso auch eine SWOT Analyse beinhalten. Hinsichtlich der geplanten Verlagerung von Einrichtungen des Gesundheitswesens wie des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wäre zudem eine Kosten - Nutzen Analyse - die die Verlagerungskosten für die Einrichtungen und die Transaktionskosten für neue Vernetzungen abbildet - dringend geboten. Nichts dergleichen erfolgte bislang aber. Vielmehr wurde der Gesundheitscampus quasi per „ordre de Mufti“ dekretiert und ohne ein die Realisierbarkeit prüfendes wissenschaftliches Gutachten exekutiert. Wäre eine solche Machbarkeitsstudie im Vorfeld erstellt worden, so wären auch die Widersprüche und die Kontraproduktivität der gesamten Strategie frühzeitig evident geworden, so dass man hätte zeitnah gegensteuern können. Vielleicht wäre es der Intention einer Optimierung der Gesundheitsversorgung in NRW auch angemessener gewesen, sich strategisch anders auszurichten und statt 75 Mio. € plus Folgekosten in ein gesundheitswirtschaftlich bedenkliches Projekt zu investieren, diese Mittel in andere infrastrukturellen Maßnahmen zur Verbesserung des ortsnahen Gesundheitswesens und des ÖGD zu investieren. Ohne eine öffentlich zugängliche flankierende Machbarkeitsstudie und evaluierende Begleitforschung wurde stattdessen mit dem Gesundheitscampus eine Idee in die Welt gesetzt, die weniger dem Leitmarkt Gesundheit und der Weiterentwicklung effizienter Versorgungsstrukturen dienlich ist, als einer politisch motivierten PR-Aktion ähnlich sieht. Um gegenüber dem kaum vertretbaren Vorgehen der Landesregierung die Idee eines Gesundheitscampus auf eine rationale Bewertungsbasis zu stellen und sie damit wieder dem politischen Diskurs zuzuführen, werden mit diesem Gutachten, die Konsequenzen der Zentralisierung von regional relevanten Einrichtungen des Gesundheitswesens im Rahmen des Gesundheitscampus sowohl für die Gesundheitswirtschaft als auch vor allem für das Gesundheitswesens in NRW ausgelotet. Zugleich werden die sozial- und beschäftigungspolitischen Folgen für die von den Verlagerungsbestrebungen betroffenen Mitarbeiter aufgezeigt. Unter dieser Perspektive sind insbesondere auch die Auswirkungen, die eine Verlagerung auf die Beschäftigung und die Wahrnehmung der Fachaufgaben, im Rahmen der Gestaltung des öffentlichen Gesundheitswesen durch die Mitarbeiter des LIGA.NRW haben dürfte, zu diskutieren. 16 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zudem steht zu befürchten, dass mit einem zentralen Standort der Koordinierung nicht nur von Forschungs-, sondern auch von Wertschöpfungsprozessen in privatwirtschaftlicher Hinsicht, sich auch die Funktion des LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus verändern dürfte. Im Kontext der Vernetzungsstrategie des Gesundheitscampus zwischen anzusiedelnden privatwirtschaftlichen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens besteht die Gefahr einer Umdefinierung des Aufgabenspektrums, von der Unterstützung der Gesundheitspolitik und der Förderung von Versorgungsstrukturen und angeboten zur Verbesserung des Gesundheitswesens, also vom Auftrag des öffentlichen Gesundheitsdienstes, hin zu einer fachlichen Beratungsinstanz der Privatwirtschaft. Eine solche Umorientierung wäre ein „Supergau“ für das öffentliche Gesundheitssystem und den Versorgungsanspruch der Bevölkerung. Damit könnte LIGA.NRW seinen Kontrollfunktionen im öffentlichen Interesse nicht mehr unabhängig nachkommen. Der Gesundheitsschutz wäre damit nur noch Makulatur. Die ausgesprochen gesundheitswirtschaftliche Akzentsetzung mit der das Netzwerk Gesundheitscampus seitens des MAGS begründet wird, lässt für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW insofern wenig Gutes erahnen. Der Gesundheitscampus scheint in starkem Maße kommerziellen Interessen zu dienen. Diese richten sich nicht nur auf das LIGA.NRW, sondern ebenso auch auf die zu gründende Fachhochschule für Berufe im Gesundheitswesen. Vordergründig argumentiert Rüttgers damit, dass die geplante Fachhochschule auch dazu diene, die Ärztinnen und Ärzte von Aufgaben zu entbinden, „die nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben“ (Rüttgers). Insofern könnte die Fachhochschule sicherstellen, dass entsprechend ausgebildete Pflegekräfte einen Teil der heute ärztlichen Tätigkeiten übernehmen könnten. Denkbar sei es in dieser Hinsicht dabei auch, dass beispielsweise in der Wundversorgung ausgebildete Pflegekräfte Medikamente in diesem Bereich abgeben dürften.2 Die damit eingeschlagene Richtung auf eine mögliche Verlagerung medizinischer Leistungen aus dem originären Aufgabenportfolio der Fachmediziner auf die Ebene der Pflegekräfte, erscheint bedenklich. Zwar würden - vordergründig betrachtet Kosten dadurch reduziert, aber inwiefern dies mit einer anspruchsvollen und sach2 Vgl. hierzu: Flintrop, Jens: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger, in: NordrheinWestfalen: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger. Dtsch. Arztebl. 2007; 104(14): A913 / B-815 / C-779. 17 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht adäquaten medizinischen Versorgung der Patienten zu vereinbaren ist, erscheint eher zweifelhaft. Sofern es sich jedoch bei dem Statement des Ministerpräsidenten um ein Credo für eine Delegation von Aufgaben unter fachärztlicher Aufsicht handeln sollte, so ließe sich dies durchaus erwägen, wobei jedoch die Grenzziehung einer solchen Delegation bei einem Aufgabenspektrum läge, das eindeutig unter ärztlichem Vorbehalt steht. Die selbständige Verordnung von Medikamenten - wie sie Rüttgers wohl anzielt - wäre jedoch als eine eindeutig Grenzüberschreitung in Richtung auf eine Substitution ärztlicher Aufgaben anzusehen. Diagnostik und Therapie bilden Kernkompetenzen ärztlicher Leistungen, die aufgrund entsprechender Qualifikationen ausgeübt und nicht substituiert werden dürfen. Eine Substitution dieser Leistungen durch Pflegekräfte dürfte weder im Sinne der Patienten, noch – unter Aspekten möglicher Folgekosten einer Fehlbehandlung – in gesellschaftlicher Hinsicht, mit Blick auf das Gesundheitswesen, sinnvoll und zielführend sein. So vermittelt auch diese gesundheitspolitische Positionierung der Landesregierung vor dem Hintergrund einer durchaus brisanten gesundheitspolitischen Themenstellung - den Eindruck, dass hier eher einer ökonomischen und kommerziellen Prioritätensetzung gefolgt wird, als das ein Optimum der Patientenversorgung angezielt wird. Diese Haltung scheint auch beim Gesundheitscampus Pate gestanden zu haben. Insofern ist die Entscheidung für den Gesundheitscampus wohl weniger sachlich als politisch-ökonomisch motiviert. Es spricht einiges dafür, dass hier Ressourcen vom öffentlichen Gesundheitsdienst in die Privatwirtschaft umgeleitet werden und das Modell Gesundheitscampus in erster Linie der Unterstützung der Profitinteressen der privatwirtschaftlichen Anbieter in der Gesundheitswirtschaft dienen soll. Insofern ist es dringend geboten sich einmal kritisch mit der nicht sehr aussagekräftigen Konzeptidee Gesundheitscampus zu beschäftigen, um die negativen Folgen auf Beschäftigung und Kompetenzen im Gesundheitswesen zu verdeutlichen. Dem wird mit dem folgenden Gutachten Rechnung getragen. 2 Methode Das erkenntnisleitende Interesse der vorliegenden Untersuchung geht von der Grundannahme aus, dass die Förderung der Gesundheitswirtschaft, also das Ziel, 18 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht das mit dem Gesundheitscampus seitens der Landesregierung verfolgt wird, zugleich durch eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Form des LIGA.NRW, das die Entwicklung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie der Gesundheitsförderung und Prävention für die Bevölkerung sichert, ausbalanciert werden muss. Weiterhin geht die Studie davon aus, dass die wesentlichen Bedingungen einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, nämlich Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung, nur unter der Prämisse eines voll funktionsfähigen LIGA.NRW auch tatsächlich erfüllbar sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einer Schwächung der Leitstelle des ÖGD sowohl das Gesundheitswesen als auch die Gesundheitswirtschaft selbst Schaden nehmen werden, da die Potenziale des LIGA.NRW sich nicht mehr voll entfalten lassen. Eine solche leistungsbeeinträchtigende Schwächung wird dadurch hervorgerufen, dass die dezentral organisierten LIGA.NRW-Bereiche nunmehr zentral, am Standort des Gesundheitscampus Bochum konzentriert werden sollen. Dies widerspricht der derzeitigen erfolgreichen konzeptionellen wie operativen Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW, das mit seinen regionalisierten Standorten die Qualität der Gesundheitsversorgung flächenwirksam entwickelt. Hinsichtlich dieser Prämissen sind die einzelnen „Objekte“ der Analyse, nämlich Gesundheitswirtschaft, Gesundheitsregionen, regionale Gesundheitscluster, Öffentlicher Gesundheitsdienst und LIGA eingehend auf ihre spezifische Qualität, Interaktion und Wirkmächtigkeit für das Gesamtsystem Gesundheit in NRW bezüglich ihrer Signatur und Dynamik zu untersuchen. Um dies leisten zu können, wurden im Rahmen der Methoden der qualitativen Sozialforschung einem offenen Ansatz folgend, der aus einer Kombination dokumentarischer Interpretationsverfahren (Literatur- und Dokumentenauswertung) als Matrix zur Analyse von Fragestellungen und Experteninterviews bestand, anhand eines Interviewleitfadens, qualitative Interviews mit Vertretern des LIGA.NRW geführt. Mit den Experteninterviews konnte auf einen tiefgreifenden und sachkundigen Wissensfundus der Beteiligten aus den dezentralen Standorten des LIGA zurückgegriffen werden. Die dort gewonnen Erkenntnisse wurden in Korrelation mit Daten und statistischen Material in einem Prozess stetigen Diskurses mit den Experten unterschiedlicher 19 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht LIGA Bereiche und Standorte und unter Zuhilfenahme einer umfangreichen Literaturauswertung zu den relevanten Themenfelder validiert. So wurde im Rahmen des Gutachtens statistisches Material aus den folgenden Bereichen zugrundegelegt und ausgewertet: der bundesweiten Gesundheitswirtschaft und ihrer Branchenstruktur (zum Marktvolumen, zur Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Branchen und zu den Wachstumsraten der einzelnen Branchen der Gesundheitswirtschaft in NRW und ihrer Branchenstruktur (zum Marktvolumen, zur Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Branchen und zu den Wachstumsraten der einzelnen Branchen) des Gesundheitswesens hinsichtlich der Gesundheitsregionen, die die LIGA Standorte Bielefeld und Münster und deren Netzwerke betreffen des ÖGD des Landes NRW Der Gesundheitsregionen und Kompetenzstandorten der Gesundheitswirtschaft im Hinblick auf die LIGA - Standorte hinsichtlich deren spezifischer Struktur (Spezialisierung der Geschäftsfelder, Anzahl der Unternehmen und Einrichtungen und deren Mitarbeiter, Bedeutung der Wertschöpfung des Standortes im Rahmen der regionalen Gesundheitswirtschaft, Angabe der Beschäftigungssegmente, der Forschungsinstitutionen, der Clusterbeschaffenheit, der Netzwerkakteure ) Auf dieser Grundlage wurden dann die Befunde zur Gesundheitswirtschaft und zum Gesundheitswesen mit der Perspektive auf den ÖGD im Allgemeinen und das LIGA.NRW im Besonderen erneut an den im Rahmen der Literaturrecherche gewonnenen Daten und Darlegungen zur allgemeinen Situation des Gesundheitssektors in NRW gespiegelt, um die Plausibilität der Kritik, die im Rahmen dieses Gutachtens geleistet sowie der diskutierten Handlungsempfehlungen, die aufgezeigt werden, sicherzustellen. Als Quellen fungierten: G.I.B. Institut Arbeit und Technik 20 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen LIGA.NRW Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, NRW, Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW, Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie NRW Presseberichte (Printmedien und Internetmedien) Statistisches Bundesamt Verbands - und Branchenmagazine (der privaten Krankenkassen, GKV, der Medical Health Care Industries) WHO (World Health Organization) Wissenschaftliche Publikationen der Hochschulen und Universitäten aus den Bereichen Gesundheitswissenschaften , Publik Health, Gesundheitsmanagement. 3 Die Gesundheitswirtschaft und das Gesundheitswesen als bundesweiter Wachstumsmotor Wenn von der Gesundheitswirtschaft im Allgemeinen und vom Gesundheitswesen im Besonderen die Rede ist, so stellt sich in der Öffentlichkeit ein häufig unscharfes bis ambivalentes Bild dieser Branche ein. Einerseits wird mit dem Gesundheitswesen - womit der erste Gesundheitsmarkt gemeint ist, also all jene Dienstleistungen und Produkte der klassischen stationären und ambulanten Akutversorgung, der Altenhilfe sowie der Gesundheitsverwaltung und dem Gesundheitssektor mit seinen öffentlichen Leistungsträgern (Öffentlichen Gesundheitsdienst), die von den Kassen und der öffentlichen Hand getragen werden - in der öffentlichen Meinung wie auch in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung auf der politischen Handlungsebene, oftmals nur die Kostenseite in geradezu betriebswirtschaftlicher Verengung der Sichtweise assoziiert. Diese ist - und dies zeigen die Auseinandersetzungen um ein leistungsgerechtes und finanzierbares Gesundheitssystem - geradezu prädestiniert, einen Rückzug des Staates aus 21 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht den Sozialversicherungssystemen vermeintlich argumentativ überzeugend abzusichern. Mithin wird das Gesundheitswesen als wesentlicher Kernbereich der Gesundheitswirtschaft sozialpolitisch wie auch wirtschaftspolitisch als bloßer Kostentreiber denunziert. Die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen wurden in kaum einer politischen Diskussion nicht als problematisch für die Staatsquote wie auch belastend für die Privatwirtschaft und nicht zuletzt für jeden einzelnen Versicherten gegeißelt. Betriebswirtschaftliche Sichtweisen von sozialen Kostenfaktoren, die angeblich die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland mindern würden, machen deswegen sowohl in den Medien, an den Stammtischen der Nation, wie auch in den politischen Parteien und auf der Ebene der verantwortlichen politischen Akteure die Runde. Andererseits jedoch setzt sich allmählich eine realistischere und die ideologischen Scheuklappen vor der Ausgabenseite des Gesundheitswesens mindernde Betrachtungsweise in Fachkreisen durch. Obgleich nach wie vor bei den politisch verantwortlichen Akteuren des Gesundheitssystems auf Bundes- wie auf Landesebene ein gelinder Horror vor der Kostenseite des Gesundheitswesens vorherrschend zu sein scheint, da die „Angst dominiert, die Kosten für die Gesundheit würden mittel- und langfristig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ersticken und müssten deshalb nachhaltig eingedämmt werden“, lässt sich diese Sichtweise aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsdaten gerade auch des Gesundheitswesens als dem eigentlichen Kernbereich der Gesundheitswirtschaft kaum noch halten.3 Eine stetig wachsende Zahl an Wissenschaftlern, Beratern und im Gesundheitssystem selbst tätigen Akteuren sieht nicht nur den Kostenfaktor, sondern auch den Ertragsfaktor im Rahmen einer volkswirtschaftlich angemesseneren Betrachtungsweise von gerade auch öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen. Erst allmählich setzte sich über die ideologischen Gräben und die politischen Frontstellungen hinsichtlich der öffentlichen Ressourcenzuweisung eine adäquatere, volkswirtschaftlich geleitete Sichtweise auf das Gesundheitswesen durch. Die Kosten für die Gesundheit werden nunmehr auch als erforderlicher Input für die Sicherstellung von Beschäftigung in anderen Wirtschaftsbereichen sowie als entscheiden3 Vgl. hierzu: Josef Hilbert Gesundheitswirtschaft - Innovationen für mehr Lebensqualität als Motor für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit, IATG 2007, auf: www.iatge.de/ aktuell/veroeff/jahrbuch/ jahrb07/02-hilbert.pdf .S.2. 22 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der Faktor für wirtschaftliches Wachstum und die Förderung von Unternehmen wie auch der Beschäftigungsentwicklung begriffen. Denn das Gesundheitswesen wie auch die begriffslogisch umfassendere Gesundheitswirtschaft, haben sich mittlerweile - über alle Kostendiskussionen hinweg -aufgrund ihrer enormen Wertschöpfung - als die wohl wirtschaftlich relevanteste, zukunftsfähigste Branche in der Bundesrepublik erwiesen. Die Gesundheitswirtschaft im Ganzen kann aufgrund ihrer hohen Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotenziale als der entscheidende Zukunftsmarkt oder anders ausgedrückt als der Leitmarkt der künftigen Jahrzehnte betrachtet werden. Dieser Sachverhalt ist in Richtung auf den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft, das Gesundheitswesen, noch um einen Aspekt zu vertiefen. Wenn in Folgendem von der Wachstumskraft der Gesundheitswirtschaft im Ganzen die Rede ist, so ist in dieser Hinsicht zu akzentuieren, dass das klassische Gesundheitswesen – finanziert hauptsächlich über die Leistungsebene der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen - in diesem Wachstumskontext ebenso Schubkraft entwickelt und keineswegs - wie noch behauptet -als Bremsklotz fungiert. Zwar ist in den letzten Jahrzehnten eine Steigerung der Gesundheitsausgaben in Deutschland analog der Ausgabensteigerung für Gesundheitsdienstleistungen in allen postindustriellen Gesellschaften, sei es in den USA, Japan, Australien und Mitteleuropa, erfolgt, aber diese Gesundheitsausgaben in Höhe von ca. 245 Mrd. € in 2006 bilden nur die eine Seite der in das soziale Sicherungssystem transferierten Mittel ab.4 Das andere Moment des Kostenfaktors ist der Nachfragefaktor nach Dienstleistungen und Produkten, die über das Gesundheitswesen im engeren Sinne hinausweisen. Mit den Ansprüchen an ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem wird sowohl im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten der Leistungserbringer in der direkten medizinischen Versorgung (Gesundheitseinrichtungen und freiberufliche, niedergelassene Ärzte, Apotheken etc.), realisiert als auch in den nachgelagerten Branchen der Zulieferindustrie, also der industriellen Marktteilnehmer. Dies sind in erster Linie die Pharma- und Medikalprodukteindustrie, die Hersteller von Großgeräten, die Anbieter von medizinischer Informationstechnologie, die Dienstleister für Logistik und für sonstige Mehrwertleistungen („value added services“). Der Kostenfaktor Nachfrage schafft somit 4 Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2008), Gesundheit: Ausgaben 1995 bis 2006.Wiesbaden. 23 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht auf allen Ebenen einen ständig wachsenden Mehrwert, so dass gerade auch für den klassischen Kernbereich also den sog. 1. Gesundheitsmarkt eine überaus positive Wachstums- und Beschäftigungsdynamik diagnostiziert werden kann. So stieg nachfragebedingt 2007 auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gesundheitsbereich von 3,79 auf 3,87 Millionen, ein Plus von insgesamt 2,1 Prozent, während die Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft um 0,4 % zurückging. Einschränkend ist jedoch auch zu sehen, dass ein Teil der Beschäftigungseffekte im Gesundheitsmarkt durch die Substitution von Vollzeit- in Teilzeitstellen erfolgt ist. „So wuchs der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in den letzten fünf Jahren um 4 Prozentpunkte auf 30,2 Prozent, die entsprechenden Anteile in der Gesamtwirtschaft sind lediglich um knapp 2 Prozentpunkte von 15,9 Prozent im Jahr 2003 auf 17,8 Prozent im Jahr 2007 gewachsen.“5 Hieran wird deutlich, dass die Gesundheitsausgaben in gravierendem Maße beschäftigungsinduzierend sind. Überdies ist es die Nachfrage nach einer Vielzahl von Leistungen, die die Innovationsprozesse im High-Tech Sektor der Medikalproduktehersteller wie auch in der Pharmaindustrie induzieren. Ohne Nachfrage aus dem 1. Gesundheitssektor könnten sich die Potenziale der industriellen Zulieferer kaum entfalten. Aus diesem Grunde ist es auch abwegig, den klassischen Bereich des Gesundheitswesens nur als Kostenfaktor zu interpretieren. Zwar sind die öffentlich finanzierten Bereiche des Gesundheitswesens kostenintensiv, aber auch ebenso makroökonomisch betrachtet, vermittelt über die Wertschöpfungskette des Gesundheitssystems für eine Vielzahl von Branchen mehrwertschaffend. Dieser Zusammenhang zeigt auch, dass eine Dichotomisierung von Gesundheitswesen als Kostenfaktor und Gesundheitswirtschaft als Erfolgstreiber ebenso wenig den Realitäten gerecht wird, wie die ambivalente Etikettierung des Verhältnisses von Gesundheitswesen und Industrie, der zur Folge das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen als ökonomischer Belastungsfaktor und das Leistungsspektrum des gesamten Vorleistungs- und Zuliefererbereiches als ein gewinnbringender Erfolgsfaktor betrachtet wird. 5 Dahlbeck E. / Hilbert J.: Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen Vergleich. Internet-Dokument. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschung Aktuell, Nr. 06/2008;Andreas J. W. Goldschmidt, Josef Hilbert: Von der Last zur Chance - Der Paradigmenwechsel vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft, in: Andreas J.W. Goldschmidt und Dr. Josef Hilbert (Hrsg.); Gesundheitswirtschaft. Gesundheitswirtschaft in Deutschland Die Zukunftsbranche, Wegscheid 2009. 24 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Vielmehr gehören diese beiden Seiten untrennbar zusammen, so dass es sachlich gerechtfertigt ist, von der Gesundheitswirtschaft in einem umfassenderen Sinne zu sprechen.6 Wenn also von der Gesundheitswirtschaft die Rede ist, so ist damit weit mehr gemeint als das Gesundheitswesen im begrifflich engeren Sinne, bestehend aus den Dienstleistern Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken. Wie begrifflich umfänglich die Kategorie Gesundheitswirtschaft, also der Umfang ihrer gesamten Wertschöpfung tatsächlich ist, lässt sich an dem sog. „Zwiebelmodell“, wie es vom Institut Arbeit und Technik (IAT) entwickelt wurde, transparent machen: Hieran wird deutlich, dass die Gesundheitswirtschaft weit mehr umfasst als den „Kernbereich der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung mit den personal- und beschäftigungsintensiven Dienstleistungsbereichen in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, den freien Arztpraxen, den Praxen 6 Vgl. hierzu: Andreas J. W. Goldschmidt, Josef Hilbert: Von der Last zur Chance - Der Paradigmenwechsel vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft, in: Andreas J.W. Goldschmidt und Dr. Josef Hilbert (Hrsg.); Gesundheitswirtschaft. Gesundheitswirtschaft in Deutschland Die Zukunftsbranche, Wegscheid 2009. 25 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht nichtärztlicher medizinischer Berufe, Apotheken sowie den stationären, teilstationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen.“7 Zur Gesundheitswirtschaft zählen darüber hinaus die Marktsegmente Vorleistungsund Zulieferindustrien sowie insbesondere die Nachbarbranchen und Randbereiche, „welche den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft - das Gesundheitswesen im engeren Sinne - mit Angeboten aus anderen Bereichen des Dienstleistungssektors (Gesundheitstourismus, Wellness oder gesundheitsbezogene Sport- und Freizeitangebote, Wohnen) wie des Produzierenden Gewerbes (Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe, Analysetechnik) verknüpfen und ergänzen.“8 Hierbei ist zu sehen, dass die verschiedenen Segmente vielfach in enger Vernetzung miteinander kooperieren und somit ihre Wertschöpfung erhöhen. Wie viele Branchen und Dienstleistungssektoren mittelbar und unmittelbar im Sinne gewerblicher Dienstleistungen dem Unternehmenszweck der Vorbeugung und Gesundwerdung bzw. Gesunderhaltung verbunden sind, zeigt das folgende Schaubild9 : 7 Koordinierungsstelle MedEcon Ruhr (Hrsg.): Gesundheitsmetropole Ruhr. Wachstumschancen und Entwicklungsperspektiven der Gesundheitswirtschaft. Bochum/Gelsenkirchen 2005, S.3. 8 Ebenda. 9 Quelle: Wirtschaftministerium Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.): Zukunftsbranche Gesundheitswirtschaft. Zur wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Entwicklung in den Bereichen der Gesundheitswirtschaft, des Tourismus / Gesundheitstourismus sowie der Ernährungswirtschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin Juni 2003, S.5. 26 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Aus dem bisher Dargestellten lässt sich der oben angedeutete Begriff der Gesundheitswirtschaft nun umfassender skizzieren. Er umfasst alle Aktivitäten, die der Erstellung und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen sowie der Bewahrung und Wiederherstellung von Gesundheit dienen. Insofern schließt die Gesundheitswirtschaft auch wesentliche Teile der Seniorenwirtschaft mit ein. Auch in diesem wichtigen Segment der Gesundheitswirtschaft wird seitens der Politik in erster Linie die hohe Ausgabenseite für die „Alterslast“ der Gesellschaft beklagt. Dass diese Klage nicht unbedingt von makroökonomischen Verständnis geleitet ist, wird auch daran deutlich, dass die Interessen und Bedürfnisse der wachsenden Zahl der Personen über 65 Jahre (Anstieg der Anzahl der über 65 Jährigen bis 2050 von 15,9 auf 22,9 Millionen laut Statistischen Bundesamt) nicht begrifflich mit den dadurch zwangsläufig ausgelösten Wachstumsprozessen korreliert wird. Der Bedarf an Gesundheitsprodukten und gesundheitsrelevanten Dienstleistungen von der Medizintechnik über Kranken- und Pflegeleistungen, hin zum Wellness- und Freizeitsegment bis in die Bauausstattung hinein, impliziert ein enormes Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Aufgrund des medizinischen Fortschritts und einem Bewusstseinswandel hin zu einer gesundheitsorientierten Lebensweise gelingt es immer mehr Personen dieser Altersgruppe, die Pflegebedürftigkeit in ein späteres Lebensstadium zu verlagern. Zwar wird auch aufgrund des stetig steigenden Lebensalters die Zahl der Hochbetagten, die pflegebedürftig werden, ansteigen, 27 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht allerdings bedeutet dies für das Kernsegment der Gesundheitswirtschaft ebenfalls einen bedeutenden Wachstumsschub. So ist bis 2020 mit zusätzlich 130.000 Beschäftigten allein im Altenhilfebereich zu rechnen. „Somit wird der Altenhilfebereich, was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, ein Aktivposten im Arbeitsmarkt bleiben.“10 Angesichts der Vielzahl der sich im Wertschöpfungsprozess koordinierenden Branchen und Geschäftsfelder, lässt sich abschätzen, dass der Gesundheitswirtschaft das Potenzial innewohnt, für die kommenden Jahrzehnte zu einer ökonomischen Megabranche zu avancieren. Die aktuellen Fakten sprechen für sich. Mit einem Anteil von 12 Prozent am Bruttosozialprodukt trägt die Gesundheitswirtschaft stärker als jede andere Branche zu Arbeitsplätzen, zu hochmodernen Dienstleistungen und technologischen Spitzenentwicklungen bei. Es ist - folgt man den Trends der letzten Jahre - davon auszugehen, dass sich das derzeitige Beschäftigungsvolumen im Sektor Gesundheitswirtschaft von derzeit 4,6 Mio. Beschäftigten in den kommenden Jahren - bis 2020 - auf mehr als 5,3 Mio. Beschäftigte erhöhen dürfte. Derzeit setzt die gesamte Branche 260 Mrd. € um. Von den ca. 4,6 Mio. Beschäftigten sind etwa 82 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 12 Prozent ausschließlich geringfügig Beschäftigte sowie 6 Prozent Selbstständig.11 10 Prozent aller Unternehmensgründungen in der Bundesrepublik entfallen mittlerweile schon auf die Gesundheitswirtschaft. Einen wesentlichen Motor dieser Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung stellt die gestiegene Nachfrage nach Gesundheitsprodukten und Dienstleistungen im Inland dar. Absehbar - aufgrund der global gestiegenen Nachfrage nach Gesundheitsprodukten - ist jedoch auch, dass ein weiterer Wachstumsschub für die deutsche Gesundheitswirtschaft von Märkten außerhalb der EU Mitgliedsstaaten ausgehen wird. Das Nachfragepotenzial nach Gesundheitsdienstleistungen und -produkten im engeren Sinne seitens der Schwellenländer wird weiter zunehmen. Angesichts des Renom10 Goldschmied/Hilbert 2009, a. a. O.,S. 29. Quellen: Elke Dahlbeck, Josef: Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen Vergleich, in: FORSCHUNG AKTUELL. Ausgabe : 6/2008; Pressemitteilungen des IAT v. 6.7.2007 u. 8.8.2007. 11 28 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht mees deutscher Medizin und dies verweist eindeutig auf die Praxisbereiche des 1. Gesundheitsmarktes, bestehen hier weitere Marktchancen, die ergriffen und ausgebaut werden können, sofern schon jetzt Partnerschaften auf der medizinischen Versorgungsebene mit medizinischen Institutionen in Schwellenländern eingegangen werden. Der Aufbau von Versorgungsnetzwerken, die gemeinsame Planung und Betreibung von Klinikeinrichtungen, wie sie fortschrittliche Kliniken in der Bundesrepublik gegenwärtig anbahnen, sind Schritte zur gezielten Marktpositionierung der Gesundheitswirtschaft in neuen Märkten. Strategien, die zu einer „win - win“ Situation für die Schwellenländer einerseits und die an der Entwicklung der neuen Märkte andererseits beteiligten Akteure, wie Pharmaunternehmen, Medizintechniker, Unternehmensdienstleister der Branche und die Krankenhäuser selbst führen werden. Dieses Beispiel belegt das enorme Kreativ- wie Wachstumspotenzial, das der Branche innewohnt. Hinsichtlich des bundesweiten Marktes unterstreicht das Gründungsgeschehen die ungebrochene Dynamik der Branche. Die Unternehmensgründungen verteilen sich auf unterschiedlichste Geschäftsfelder, die von den Arztpraxen und der Medizintechnik über Pflege und Fitness bis zu den besonders innovativen und stark wachsenden haushaltsnahen Diensten reichen. Hier besteht der Wachstumstreiber der Gesundheitswirtschaft in der Altersstruktur der Gesellschaft. Die wachsende Zahl älterer Menschen in der Bundesrepublik schafft so einen weitverzweigten Markt haushaltsnaher Dienstleistungen, die von Putzdiensten, Essen auf Rädern, Kleinstreparaturen bis hin zu Betreuungs- und Begleitungsangeboten reichen. Mit diesem Marktsegment bildet sich ein Zukunftsmarkt mit enormem Wachstumspotenzial heraus. Es lässt sich feststellen, dass unter dem Parameter der Umsatzentwicklung die Gesundheitswirtschaft mit der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer vergleichbar ist, allerdings ist sie hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung der Automobilindustrie als einer der Leitindustrien der Bundesrepublik bei weitem überlegen. Überdies lässt sich weiterhin feststellen, dass aufgrund der hervorragenden Wachstumsprognosen für die Gesundheitswirtschaft, bedingt durch das wachsende Interesse an gesundheitsbezogenen Produkten und Dienstleistungen, die fundiert sind in einem ausgeprägten Gesundheitsbewusstsein, die Gesundheitswirtschaft gegenüber der Automobilindustrie in den kommenden Jahrzehnten der Beschäftigungsgewinner sein wird. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der gesamte 29 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Komplex der Life Sciences und der Zukunftstechnologien (Nanotechnologie, Molekularbiologie, Materialwissenschaften) schon heute sein Innovationspotenzial - stimuliert durch eine gesteigerte Nachfrage nach Hightech Anwendungen - im Gesundheitssektor nachhaltig entfalten kann. Eine solche kostenintensive Nachfragesteigerung darf jedoch nicht zum Nachteil des Gesundheitswesens und der Versicherten erfolgen. Denn es ist auch zu bedenken, dass die Ausgaben im Gesundheitssektor nicht zu Lasten der öffentlichen Hand, der Sozialversicherungssysteme, der Wirtschaft und der Versicherten unbegrenzt wachsen können. Aus diesem Grunde ist mehr Effizienz ohne eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung zu tangieren und eine kreative Gestaltung der Marktsegmente durch die Gesundheitsakteure am Markt gefordert. Dies kann in Form von Prozessoptimierungen in den Kernbereichen der medizinischen Versorgung (die allerdings nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen darf, was auch dem Grundsatz der Qualität zuwiderlaufen würde) oder der Ressourcenoptimierung und Diversifizierung von Geschäftsfeldern am Gesundheitsmarkt zur Refinanzierung von Kernleistungen und dem operativen Geschäft geschehen. Modelle für diese Variante bieten beispielsweise im Klinikbereich die Konzepte der Gesundheitszentren mit ihrer Ressourcenoptimierung durch Vernetzung von Sach- und Dienstleistungen sowie die Ausweitung von Geschäftsfeldern im Segment Medical Wellness. Überdies ließen sich erhebliche Einsparmöglichkeiten im Kernbereich der medizinischen Versorgung dadurch realisieren, dass privatwirtschaftliche Gewinnoptimierungsstrategien, die jenseits des medizinisch Notwendigen angesiedelt sind, unterbunden sowie überbürokratisierte, überregulierte Strukturen für Verwaltung und Kontrolle, die auf allen Ebenen die Prozesse des Leistungsaustausches und der entsprechenden Äquivalente unter den Akteuren des Gesundheitssystems, also den Gesundheitseinrichtungen und ihren Trägern, den niedergelassenen Ärzten und ihren Vertretungen sowie den Krankenkassen und nicht zuletzt die Patienten belasten, abgeschafft werden. Diese nicht erforderlichen, kontraproduktiven Overheadkosten auf allen Ebenen des Systems binden und verschleudern Ressourcen, die im Leistungssektor des Gesundheitswesens sinnvoller, d.h. konstruktiver und produktiver eingesetzt werden könnten. Wissenschaftlich belegt sind hier erhebliche Einsparpotenziale für Aufwendungen der Verwaltung, der Vertragskommunikation, der Qualitätssicherung, der rivalisierenden Interaktion oder der Gewinnoptimierung. 30 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht „Es ist vor diesem Hintergrund ein realistisches Ziel, die Aufwendungen für die zu „fetten“ Overheadprozesse von 70 Mrd. Euro im Gesundheitswesen um 30 % bis 50 % zu verschlanken. Damit stünden dann 20 bis 35 Mrd. Euro als freie Ressource zur Verfügung. Oder anders ausgedrückt „Eine schlanke Verwaltung und eine offene Kommunikation im Gesundheitswesen investieren die vorhandenen Ressourcen in die primäre Wertschöpfung und sparen Overheadkosten maximal ein.“12 Sofern also dem originären Prozess gesundheitlicher Wertschöpfung im Rahmen der gesundheitswirtschaftlichen Leistungserbringung die entsprechenden systemimmanenten finanziellen Ressourcen zugeführt werden, lassen sich auch die entsprechenden Wachstumsprozesse generieren. Hierfür steht auch ein wesentlicher Bereich der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung. Es handelt sich um die Prävention im Gesundheitsbereich sowie um die Einführung von präventiven Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheits- und Arbeitsschutzes. In Anbetracht der Tatsache, dass 234 Milliarden Euro für die medizinische Reparatur gesundheitlicher Schäden ausgegeben werden, ist es unter dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Nutzung der vorhandenen Ressourcen weitaus sinnvoller, hier auf präventive Maßnahmen der Gesundheitsförderung zu setzen. Allerdings ist der präventive Bereich innerhalb der Gesundheitswirtschaft seit langem unterfinanziert. Da bislang eindeutige gesetzliche Regelungen zur Prävention fehlen, bleibt es weiterhin dabei, „dass allein die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) den vorgegebenen Betrag für "Engagement in der Prävention und Gesundheitsförderung" von Euro 2,74 pro Jahr und Versichertem (SGB V, § 20) ausgeben werden. Das sind zirka 0,2 % der GKV-Gesamtausgaben - völlig unzulänglich für eine wirksame, breit angelegte Gesundheits-Vorsorge.“13 Allerdings ist im Bereich der Prävention einschränkend zu sehen, dass neuere Studien nicht eindeutig belegen, dass die Gesundheitskosten durch präventive Maßnahmen gegenüber kurativen Maßnahmen reduziert werden können.14 Hingegen sind - selbst unter dem Aspekt einer Kostenneutralität beim Vergleich beider Gesundheitsstrategien - präventive Maßnahmen immerhin so effizient, dass sie 12 Huber, Ellis: Leitbild zu einer nachhaltigen Gesundheitsreform in der Bundesrepublik Deutschland. O. O. 2006, S.9. 13 Quelle: ddp direkt, 2008. 14 Vgl. Joshua T. Cohen, Ph.D., Peter J. Neumann, Sc.D., and Milton C. Weinstein, Ph.D.: Does Preventive Care Save Money? Health Economics and the Presidential Candidates, in: The New England Journal of Medicine, Volume 358:661-663 February 14, 2008 Number 7. 31 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die Lebenserwartung in allen OECD-Ländern bei Geburt um beinahe 3 Jahre verlängern helfen.15 Um hier Optimierungseffekte gerade auch im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu generieren, ist es sinnvoll, zum einen den Leistungskatalog der GKV um die Kategorie Prävention in erheblichem Umfange (gegenüber den derzeitigen Aufwendungen) zu erweitern, wobei die freiwerdende Mittel aus dem Lean Management im Overheadkostensektor zu investieren sind. Zum anderen reicht die Zufuhr finanzieller Ressourcen allein nicht aus, um zum einen im öffentlichen Gesundheitssektor präventive Maßnahmen effizient zu verankern und zum anderen die gesamte Versorgungsinfrastruktur zukunftsfähig zu entwickeln. Dazu bedarf es eines erheblichen Inputs an strategischem Wissen hinsichtlich der operativen Umsetzung von organisatorischen Maßnahmen und Versorgungsangeboten. Eine solche bundesweite wie auch regional verankerte qualitative Veränderung des Gesundheitssektors muss flankiert werden durch das Know-how unabhängiger wissenschaftlicher und beratender Einrichtungen wie in NRW dem LIGA.NRW, das schon seit langem (über seine Vorläufer LÖGD und LAfA) regional positioniert und im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die Qualität des Gesundheitswesens nachhaltig und hochkompetent entwickeln hilft. Dies erledigt es im Rahmen seiner fachlichen Begleitung der Gesundheitspolitik bei Fragestellungen der Gesunderhaltung der Bevölkerung, also der Prävention und Gesundheitsförderung, der Gesundheitsberichterstattung, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arzneimittelpolitik und des Gesundheitsmanagements. Ohne eine Zufuhr dieser Know-how Ressourcen, wie sie das NRW Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit in seiner vielfachen regionalspezifischen Vernetzung mit wissenschaftlichen Dienstleistern (Universitäten und Fachhochschulen an den Standorten des LIGA.NRW) leistet, lassen sich präventive Maßnahmen wie auch Veränderungsprozesse der Organisation des Gesundheitswesens im Sinne der Kunden/Patienten gesundheitspolitisch nur unzureichend umsetzen. Daran zeigt sich die Notwendigkeit von öffentlichen Leistungen, wie sie der Öffentliche Gesund15 Vgl. hierzu: Braun, Bernard: Verbesserung von Prävention wirkt sich stärker auf Lebenserwartung aus als erhöhte Ausgaben für medizinische Versorgung, auf: www.forumgesundheitspolitik.de 24.2.09 sowie: Isabelle Joumard, Christophe André, Chantal Nicq, Olivier Chatal Joumard, I. et al.: Health Status Determinants: Lifestyle, Environment, Health Care Resources and Efficiency (OECD Economics Department Working. Papers, No. 627) 2008. 32 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht heitsdienst, bzw. das LIGA.NRW mit seinem Kompetenzprofil und seinen Erfahrungen hinsichtlich der Ausrichtung und Justierung des Gesundheitssystems bezüglich der Gesundheitsvorsorge und -versorgung zuführt. Nur so lassen sich nicht nur im Hinblick auf die Prävention und Gesundheitsförderung im Interesse der Allgemeinheit, sondern auch - wirtschaftsrelevant - Inputs für die Schaffung alternsgerechter betrieblicher Arbeitsplätze zum Erhalt der Lebensqualität und der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten vermitteln. Denn angesichts der demographischen Entwicklung ist der Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und damit die friktionslose Bereitstellung und Allokation des Produktivfaktors Arbeit eines der entscheidenden Zukunftsthemen der Standortsicherung. (Vgl. zur strategischen Relevanz dieser Aufgabe Zentrum für Gesundheit in der Arbeit GVP 2.2.1.1). Insofern avancieren Prävention und Gesundheitsförderung, gerade auch mit Blick auf die Teilsegmente gesundheitsfördernder Maßnahmen in der Kindheit sowie der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit auf der Grundlage einer präventiven Gestaltung der Arbeitswelt zu den mittlerweile gesellschaftlich wie auch ökonomisch relevantesten Handlungsbereichen des öffentlichen Gesundheitswesens. Denn Investitionen in diesem Segment reduzieren - bezogen auf den Zeitrahmen der Erwerbstätigkeit von Beschäftigten - nicht nur Kosten für die Sozialsysteme, sondern, indem sie zu einer Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit beitragen, stärken sie auch die Produktivität der Wirtschaft. Denn der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch ein gesundheits- und alternsorientiertes Beschäftigungssystem dürfte in den kommenden Jahren zu einem erstrangigen Wettbewerbsfaktor in globalen Märkt werden. Ein solchermaßen gestaltetes Arbeitssystem sichert aber nicht nur die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auf der Grundlage alternsgerechter Arbeitsplätze und zunehmend präventiver Maßnahmen, sondern schafft auch ein erhebliches Maß an Lebensqualität im Alter. Um ein solches fortschrittliches Beschäftigungssystem künftig zu gewährleisten, bedarf es eines institutionalisierten Wissenstransfers in die Gesundheitswirtschaft und in die Politik. Wobei der Akzent auf einer objektiven Datenerhebung und Information sowie einer unparteiischen Berichterstattungs- und Beratungstätigkeit gegenüber partikularen Eigeninteressen der gesundheitswirtschaftlichen Akteure und der ihnen assoziierten privatwirtschaftlichen Unternehmen liegt. Die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit kann demnach nur fundiert sein in der fachlich überlegenen Kompe- 33 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tenz und der Unabhängigkeit einer solchen Institution gegenüber Auftraggebern, wie auch Adressaten des Leistungsspektrums. Mit dem Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen (LIGA.NRW) hat NRW eine solche für das öffentliche Gesundheitswesen unverzichtbare und bundesweit wie auch international hochrenommierte Institution vorzuweisen, deren Effektivität und Effizienz jedoch davon abhängt, inwiefern es ihr auch unter dem Einfluss zunehmender gesundheitswirtschaftlicher Themenstellungen, also auch privatwirtschaftlicher Verwertungsinteressen gelingt, ihre wissenschaftliche wie handlungspraktische Unabhängigkeit zu bewahren. Nur auf einem solchen Status ist es möglich - im Rahmen der Wahrnehmung von Fachaufgaben - wesentliche Erkenntnisse und verlässliche Bewertungen zu den gesellschaftlich relevanten Fragen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes dem System beizusteuern. Insbesondere lassen sich nur unter einer solchen unabdingbaren Prämisse verstärkt jene wissenschaftlichen Ressourcen und jenes Know-how als Input zur Gestaltung der oben aufgezeigten gesellschaftlich bedeutsamen Themenfeldern beisteuern, die zu den Kernaufgabengebieten des LIGA.NRW gehören, nämlich zum Arbeitsschutz, der präventiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen sowie der Gesundheitsberichterstattung und zur Arzneimittelsicherheit. Wie entscheidend eine solche Institution zur politischen Informationsbeschaffung und zur Steuerung der Entwicklung des Gesundheitssektors ist, und welche Gefährdungen unter dem Druck gesundheitswirtschaftlicher Interessenlagen und einer strukturellen Depotenzierung in Ausrichtung und Organisation des LIGA.NRW für seine Aufgabenwahrnehmung bestehen, wird noch Thema der weiteren Erörterung sein. An dieser Stelle bleibt festzustellen, dass gesundheitspolitische Weichenstellungen ohne eine hochkarätige Beratungsinstitution wie dem LIGA.NRW kaum möglich sind. 4 Gesundheitswirtschaft und das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen Die ungebrochene Prosperität der Branche dokumentiert sich auch und gerade im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Seit Mitte der 90er Jahre hatte sich auch hier, angestoßen seitens der Wissenschaft, eine veränderte Einstellung gegenüber 34 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht dem Gesundheitssektor entwickelt. Vor allem auf regionaler Ebene wurde schon frühzeitig erkannt, dass das Gesundheitswesen nicht nur kosteninduzierend ist, sondern auch wachstumsfördernd wirksam werden kann. NRW partizipiert an der überaus positiven bundesweiten Entwicklung des gesamten Leitmarktes Gesundheit sowie seiner relativen Krisenstabilität in einem hohen Maße. So arbeiten in NRW gegenwärtig mehr als 1. Mio. Arbeitnehmer (1.034.155 Beschäftigte) in der Gesundheitswirtschaft, die einen Umsatz von 52,4 Milliarden Euro generieren. Dies sind mehr als 15 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in ganz NRW, wobei die bisherige Wachstumsdynamik zugrundegelegt, seitens der Landesregierung und des MAGS, ein Zuwachs an Beschäftigung von ca. 200.000 Arbeitsplätzen bis 2017 prognostiziert wird. Allerdings ist diese euphorische Erwartung zu relativieren, denn die Konzentrationsprozesse im Krankenhausbereich und das Krankenhaussterben bedingen erhebliche Rationalisierungs- und Freisetzungspotenziale im Personalwesen, so dass der Realitätsgehalt dieser Prognose mehr als zweifelhaft sein dürfte. Immerhin lässt sich belegen, dass in den vergangenen sechs Jahren die Anzahl der Beschäftigten um mehr als acht Prozent stieg. Die Gesundheitswirtschaft ist somit der bedeutendste Arbeitgeber des Landes, laut Wirtschaftministerin Christa Thoben. Während in den Jahren 2003 bis 2007 die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen um insgesamt 1,2 Prozent zurückging, nahm die Zahl der Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft um 1,9 Prozent zu. Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bereichen der Gesundheitswirtschaft ergibt sich folgendes Bild vom Gesundheitssektor NRW: So arbeiten derzeit in der stationären/teilstationären Versorgung 332.359 Menschen, in der ambulanten Versorgung 263.284. In der stationären/ambulanten Altenhilfe sind 165.512 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ausgewiesen, im Gesundheitshandwerk arbeiten 41.439 Spezialisten. Die Zahlen zur Beschäftigungsentwicklung für das Jahr 2006 zeigen, dass die Gesundheitswirtschaft auf ihrem Beschäftigungs- und Wachstumskurs bleibt. So wurden für das betreffende Jahr in Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern 3,93 Millionen Fälle 35 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht mit einem Budgetvolumen von 13,19 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Prognose für 2020 geht von einem Zuwachs der Fälle um 7,4 Prozent aus.16 Diese Projektion eines solchen Beschäftigungszuwachses lässt sich u.a. mit der demographischen Entwicklung begründen. Ebenso wie auf Bundesebene unterliegt auch die Bevölkerungsentwicklung in NRW einem Trend zu einer sich verstärkenden Alterung. Sowohl relativ wird der Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung in NRW steigen, wie auch absolut der Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung zunehmen wird. Überdies wird der Anteil der Hochbetagten steigen. Dies bedeutet, dass von den über 18 Millionen Menschen, die im Jahr 2008 Nordrhein-Westfalen lebten, immerhin schon 20 Prozent über 65 Jahre alt waren. Dieses Alterssegment dürfte analog der bundesweiten Entwicklung ebenfalls in den nächsten Jahren rapide steigen. Dadurch kommt den Angeboten der Gesundheitswirtschaft insbesondere ihres Kernbereiches der stationären und ambulanten medizinischen Versorgung sowie der Altenhilfe eine besondere Bedeutung zu. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft in NRW kann auch hier als beschäftigungspolitischer Aktivposten betrachtet werden. Das Beispiel Altenhilfebereich zeigt überdies zweierlei: zum einen wird an diesem Segment der Gesundheitswirtschaft in erster Linie der personalintensive, also beschäftigungspolitische Aspekt deutlich. Darüber hinaus referiert das Themenfeld Alterung der Gesellschaft noch einen grundsätzlicheren Zusammenhang, der ein entscheidendes Moment der Struktur der Gesundheitswirtschaft in NRW illustriert, nämlich das der Vernetzungsqualität, was noch genauer zu betrachten sein wird. Die Daten zur Beschäftigungsentwicklung zeigen, dass gerade im Kernsegment bzw. im primären Gesundheitsmarkt, d.h. in den klassischen Bereichen des Gesundheitswesens, wie der stationären und der ambulanten Versorgung sowie in den nachgelagerten Dienstleistungsbereichen, theoretisch ein erhebliches Beschäftigungspotenzial vorhanden ist. Inwieweit es im Bereich der medizinischen Versorgung und im Altenpflegebereich jedoch praktisch ausgeschöpft wird, bleibt an ge16 Quelle: Gesundheitswirtschaft NRW: Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien, veröffentlicht vom Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen, 2009. 36 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sundheitspolitische Entscheidungen gebunden. Also davon abhängig, welche finanziellen Ressourcen, in welchen Volumina in die Gesundheitsinfrastruktur NRWs investiert werden oder ob sich der Staat hier politisch zurückzieht und einer privatwirtschaftlichen Infrastruktur das Feld überlässt. Ebenso verhält es sich im nachgelagerten Bereich der medizintechnischen Zulieferer und den Anbietern gesundheitsnaher Dienstleistungen. Mit den hochinnovativen Bereichen Medizintechnik und Telematik im Gesundheitswesen ist es NRW gelungen, wachstumsrelevante Zukunftsthemen zu besetzen. So fungiert Nordrhein-Westfalen beispielsweise beim Aufbau einer Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen als bundesweiter Schrittmacher. Unter den im Rahmen des Konzeptes Innovationspolitik NRW ausgewiesenen 5 Leitmärkten, also jenen Märkten, von denen aufgrund des ihnen inhärenten kreativen Potenzials zu erwarten ist, dass NRW hier die Markt- und Branchenführerschaft erreichen kann, nimmt der Leitmarkt Gesundheit mit seinen „Clustern“ Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien, Medizinforschung, Biotechnologie und Ernährung eine Vorrangstellung ein. Dies zum einen hinsichtlich des Wertschöpfungsumfanges und des Gesamtumfanges des Beschäftigungswachstums in den Clustern sowie auch als wichtiger Impulsgeber für andere Leitmärkte und deren Cluster. Während ein ebenso wirtschaftlich relevanter Leitmarkt wie Transport und Logistik, zu dem die Branchen NRW.Logistik, NRW.Automotive- Fahrzeugbau und Zulieferer sowie die Logistiksegmente der Industrie-und Handelsunternehmen gehören, ein Beschäftigungsvolumen von annähernd 800.000 Beschäftigten in NRW generieren und die im hochinnovativen Leitmarkt Neue Werkstoffe und Produktionstechnologien zusammengefassten Leitbranchen Nano- und Mikrotechnologien, Umwelttechnologien, Kunststoffindustrie, Chemische Industrie sowie Maschinen- und Anlagebau ca. 600.000 Beschäftigte aufweisen, sind allein in der Branche Gesundheitswirtschaft des Leitmarktes Gesundheit über 1. Mio. Arbeitnehmer beschäftigt. Unter der Perspektive der Umsatzentwicklung ist jedoch auch wiederum einschränkend zu relativieren, dass die Gesundheitswirtschaft hier weit hinter den o.g. Leit- 37 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht branchen zurückfällt. Immerhin erwirtschafteten diese im vergangenen Jahr ein Umsatzvolumen von mehr als - konservativ geschätzt - 150 Mrd. Euro.17 Aufgrund der bisherigen bundesweiten Beschäftigungsentwicklung in dieser Branche und einer relativ geringen Krisenanfälligkeit, die sich derzeit signifikant gegenüber anderen Branchen abhebt, gewinnt die Gesundheitswirtschaft aktuell zunehmend an Attraktivität für die Regionalentwicklung in NRW. Insbesondere die nach wie vor ungebremste Wachstumsdynamik bei geringem Insolvenzrisiko spricht für die derzeitige Überlegenheit der Branche. Dies zeigt auch eine aktuelle Umfrage unter 200 Branchen-Führungskräften der Gesundheitswirtschaft der Financial Times, wobei das Insolvenzrisiko mit nur 1% angegeben wird, während mehr als die Hälfte der Befragten die gegenwärtige wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens positiv (58,7 Prozent) beurteilt und (54,4 Prozent) von einer guten oder sehr guten Entwicklung der eigenen Geschäfte in 2009 ausgehen.18 Einschränkend ist jedoch bei allen Wachstums- und Beschäftigungsprognosen im Nexus mit dem Gesundheitswesen nicht aus den Augen zu verlieren, dass es sich bei der Entwicklung der Beschäftigung in erster Linie um prekäre Beschäftigungsverhältnisse handelt. In ihrer Bewertung der quantitativen Wachstumsprozesse und Beschäftigungsaussichten in der Gesundheitswirtschaft und im engeren Sektor des Gesundheitswesens unterschlägt die Landesregierung die Qualität der Beschäftigung und der Arbeitsplätze im Gesundheitswesen. Eine jahrelang betriebene Kürzungspolitik mit ihrer Deckelung der Krankenhausbudgets, die das Selbstkostendeckungsprinzip konterkarierte, führte letztlich zur gegenwärtigen Unterfinanzierung der Krankenhäuser, die sich in den letzten Jahren auch dadurch verschärfte, dass bei steigendem Kostendruck (Energiepreise, Pharmazieprodukte, Medizintechnik und erhöhte Mehrwertsteuer) die Budgets nicht erhöht wurden. Dies führte, soweit möglich, zu erheblichen Rationalisierungsprozessen, um die Kosten aufzufangen. Diese Rationalisierungen gehen allerdings sowohl zu Lasten der Patienten wie auch des Personals. Entweder wurde aufgrund der vorhandenen Unterfinanzierung Personal drastisch reduziert oder aber die noch vorhandenen Personalressourcen mit einer kaum mehr erträgliche Arbeitsüberlastung 17 Vgl. zu den einzelnen Wirtschaftsdaten der Branchen: www.exzellenz.nrw.de/ sowie www.clustermanagement-nrw.de. 18 Quelle: FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (FTD-Magazin 'medbiz', EVT 5. März 2009. 38 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht konfrontiert. Hinzu kommt, dass immer geringere Mittel für erforderliche Investitionen für die medizinisch- technische Infrastruktur zur Verfügung stehen. Von den bundesweit 2.100 Kliniken wirtschaften ein Drittel der Häuser im roten Bereich. (Stand: IV/2008 Deutscher Pflegerat e.V.) Allein in den vergangenen 10 Jahren sind über 50.000 Stellen in der professionellen Pflege abgebaut worden. Derzeit ist von weiteren 20.000 Stellen die Rede. (Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerates e.V.). Erschwerend kommt hinzu, dass die Privatisierung im Krankenhaussektor rasant voranschreitet. Dies bedeutet, dass in einem Gesundheitssystem, in dem Renditeerwartungen über die Gewährung von Versorgungsleistungen gestellt werden und privatwirtschaftlich organisierte Krankenhäuser, die sich als privatwirtschaftliche Unternehmen zunehmend in einem gnadenlosen Wettbewerb untereinander bewegen, Lohn- und Lohnnebenkosten des Personals als Rationalisierungsmasse betrachtet werden. Dem entsprechend werden Tariflöhne in aller Regel unterlaufen, indem Personal von outgesourcten Funktionsbereichen über Leiharbeitsfirmen, die in einzelnen Fällen sogar von öffentlichen Kliniken selbst gegründet werden (Beispiel Klinikum Essen), dann zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden. Einmal abgesehen von dieser Praxis und einer zunehmenden Privatisierung stellt sich damit auch die Frage, wie bei der Notlage und dem Investitionsstau des stationären Sektors mit seiner negativen Beschäftigungsentwicklung die nachgelagerten Branchen-Segmente, wie die Medizintechnik die Beschäftigungserwartung der Bundes- wie der NRW Landesregierung wird erfüllen können. Also ist eher davon auszugehen, dass die Beschäftigungszuwächse weitaus moderater im Wirtschaftszweig Gesundheitswirtschaft ausfallen dürften, als mit viel Optimismus prognostiziert. Ohne einen marktradikalen Sparansatz im Gesundheitswesen könnten sicherlich weitaus gewichtigere Wachstumsraten, auch im Hinblick auf nachgelagerte Branchen erzielt werden. Überdies würden sich volkswirtschaftlich positive Effekte in umfangreicher Weise ergeben, nämlich von der Erhöhung der Qualität der medizinischen Versorgung bis hin zu einer angemessenen und damit wachstumsinduzierenden Entlohnung des Personals im Gesundheitssektor. 39 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 5 Das System der Vernetzung von regionalen Kompetenzfeldern im Gesundheitswesen in Form des Clusteransatzes Ungeachtet der tatsächlichen Beschäftigungsentwicklung ist jedoch festzuhalten, dass die Landesregierung NRW deutlich sieht, dass sie ohne eine Förderung der strukturellen Rahmenbedingungen die Gesundheitswirtschaft ihr wie auch immer beschaffenes Wachstumspotenzial nur unzureichend entwickeln kann. Aus diesem Grunde bemühte sie sich - auch im Wettbewerb mit anderen Bundesländern - günstige Rahmenbedingungen für eine Entfaltung der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse zu erreichen. Das Konzept hierfür besteht aus fünf Kernelementen, die einen strukturgebenden Rahmen bilden. Hierzu gehört der Aufbau eines landesweiten Kompetenzzentrums für die Gesundheitswirtschaft, die Schaffung eines Clusters „Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologie“, ein Förderwettbewerb Med in.NRW „Innovative Gesundheitswirtschaft NRW“, der Ausbau von Strukturen in den Regionen Nordrhein-Westfalens und die Entwicklung von Leitprojekten zu den Schwerpunkthemen des Konzepts. Diese Rahmenbedingungen akzentuieren mit den Handlungsfeldern Clusterentwicklung und Ausbau gesundheitswirtschaftlich tragfähiger Strukturen in den Regionen vor allem die Vernetzungsqualität auf regionaler Ebene als Grundlage einer effizienten Entwicklung der Branche. Daran zeigt sich, dass ein wesentlicher struktureller Faktor der Wachstumsdynamik des Gesundheitssektors, insbesondere des 1. Gesundheitsmarktes unter Einbeziehung des öffentlichen Gesundheitswesen, in der spezifischen Aufnahme von in NRW ausgewiesenen Innovationsfeldern durch eine regionalisierte Gesundheitswirtschaft liegt. 40 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Weiterhin zeigt sich, dass der Kernbereich der ambulanten und stationären Versorgung wie auch der des Altenhilfesegmentes im Gesundheitswesens nicht losgelöst von den anderen Bereichen, vor allem dem der Medizintechnik und dem Heil- und Hilfsmittelbereich, betrachtet werden kann. 5.1 Innovationsfeld Medizintechnik Das Innovationsfeld Medizintechnik nimmt unter dieser Perspektive eine entsprechende Scharnierfunktion zwischen den anderen Bereichen des Gesundheitswesens wahr. Die Medizintechnik rangiert in der NRW Förderkulisse der Leitbranche Gesundheitswirtschaft als ein ausgewiesener Förderschwerpunkt. Mathias Redders, Referatsleiter im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, sieht in dieser Hinsicht die Medizintechnologien als den eigentlichen Schrittmacher der Gesundheitswirtschaft, den es mit den anderen Segmenten zu vernetzen gilt. Hierbei „sei es das Ziel, die Innovationszyklen von der Forschung über die Herstellung bis in die Versorgung der Patienten zu beschleunigen. Wichtig sei es, aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftstrukturen, in Nordrhein-Westfalen die Konzepte immer auch zu regionalisieren.“19 Damit bekennt sich das MAGS zur regionalen Schwerpunksetzung in der Gesundheitswirtschaft. Wertschöpfungsstrukturen und Netzwerke auch in der Gesundheitswirtschaft bedürfen aufgrund der regionalen Präfiguration von Stärken in bestimmten Wertschöpfungssegmenten auch einer regional definierten Verortung und Förderung. Also gezielter Clusterinitiativen und eines adäquaten Clustermanagements. Die Medizintechnik ihrerseits reicht allerdings weiter als High-Tech, Prävention, Diagnose und Kuration. Vielmehr erstreckt sie sich ebenso auch auf den Pflegebereich und die Rehabilitation. In demographisch umfassender Weise tragen die anwendungsorientierten Medizintechnologien dazu bei, Behandlungsprozesse zu optimieren und die Lebens- und Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten zu steigern. Ihre Innovationen und Leistungsangebote sind zudem ein Motor der Präventionsmedizin. Die Relevanz der Medizintechnik - gerade auch für NRW - besteht mithin darin, dass in diesem ausgewiesenen Innovationsfeld bei einer schnel19 Mathias Redders auf der BVMed-Konferenz zur Förderung von Ideen aus der Medizin am 08.05.2008. 41 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht len Einführung der Technologien sich erhebliche ökonomische Vorteile ergeben. (Reduzierung von Fehlzeiten, Verkürzung von Genesungszeiten, also Einsparpotenziale die in den Kernbereichen der Gesundheitswirtschaft realisiert werden können.) Die Stärke der Gesundheitswirtschaft NRW liegt demnach nicht nur in profilierten singulären Leistungsbereichen wie der Medizintechnik, sondern in deren Vernetzung im Gesamtkontext der Gesundheitswirtschaft einerseits wie auch einer Vernetzung mit Vorleistungsbranchen andererseits. Dies zeigt auch die Vernetzung von Pharma- und Medikalproduktehersteller mit den Gesundheitsversorgern, so dass die einzelnen Leistungsbereiche des ersten wie auch Teile des zweiten Gesundheitsmarktes- voneinander partizipierend - ihr Leistungsspektrum bis zur Exzellenz entwickeln können. Dies trifft ebenfalls auf Allianzen zwischen Unternehmen der Branche Biotechnologie und der Medizintechnik zu. So liegt in der Branche Biotechnologie das Hauptanwendungsfeld im medizinischen Bereich.20 Nicht minder relevant als die auf einer quasi endogenen Branchenvernetzung im Leitmarkt Gesundheit resultierende Wachstumsdynamik selbst, sind für NRW allerdings auch die Wachstumsinputs, die die Hightech- Branche Gesundheitswirtschaft in die Cluster der anderen Leitmärkte hinein vermittelt. Denn ein Großteil der Innovationen in High-Tech-Branchen - wie etwa in der Molekularbiologie, bei der Nanotechnologie oder den Neurowissenschaften - zielen auf Anwendungen für den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft, das Gesundheitswesen ab. Auch in dieser Hinsicht ist die Medizintechnik als Querschnittsbranche ein gravierender Impulsgeber für Innovationsprozesse in anderen Branchen und als Praxisfeld zur Erprobung und Einführung neuer Technologien. So vermittelt - aufgrund der wachsenden Bedeutung von neuen Technologien wie Mikroelektronik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Materialforschung, Optische Technologien, Mikrosystemtechnik und Nanotechnologie für die Medizintechnik selbst - die Gesundheitswirtschaft und hier vor allem der Anwendungsbereich im ambulanten und stationären Sektor des Gesundheitswesens den anderen NRW Clustern ein nicht unerhebliches Wertschöpfungspotenzial. Dies legen die Entwicklungstrends in den Schlüsseltechnologien der Medizintechnik wie die Opti20 Vgl. hierzu: Josef Hilbert „Zukunftsmotor Gesundheitswirtschaft -ein Paradigmenwechsel von unten?“ Beitrag zur HBS/WSI Tagung „Demographischer Wandel als Chance“ am 10./11. April 2008 in Berlin. 42 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht schen Technologien/Lasertechnik, die Mikrosystemtechnik, die Elektro- nik/Mikroelektronik, die Informations- und Telekommunikationstechnologien, Nanotechnologie, Mechatronik (Robotik), Materialwissenschaften/Biomaterialien und Produktionstechnologien nahe. In dieser Vernetzung auf Cluster- oder Branchenebene kann die Gesundheitswirtschaft ihre Schlüsselstellung sowohl als Impulsgeber für ihre eigene Zulieferindustrie wie auch für die dieser Industrie vorgelagerten anderen Branchen wahrnehmen, aber ebenso auch aufgrund der Absorption dieses Vorleistungssektors an eigener Effizienz gewinnen. So lassen sich - wie bereits angedeutet - durch moderne Medizintechnik im deutschen Gesundheitswesen insgesamt 2,7 Milliarden Euro pro Jahr einsparen.21 5.2 Dezentralität als Erfolgsfaktor Diese Vernetzung und damit die entscheidenden Wertschöpfungsprozesse finden vor allem auf regionaler Ebene statt. Die für die Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen relevanten Innovationsfelder Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung, Anwendungsorientierte Medizintechnologien, Telematik im Gesundheitswesen und Telemedizin, Innovation für Krankenhäuser, Gesundheitsorte und Kurorte und Regionale Profil-Bildung / Entwicklung, können nicht wie die analog dazu ausgewiesenen Gesundheitsdienstleistungen und ihre Inputs losgelöst von der regionalen Ebene betrachtet werden.22 Hierbei besteht die zentrale Idee darin, dass Innovationen angesichts einer zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Austauschprozesse und einer zunehmend breiter gestreuten Wissensbasis im globalen Kontext nicht mehr nur allein im Rahmen einzelwirtschaftlicher Wertschöpfung oder im Rahmen begrenzten Allianzen von Akteuren der Gesundheitswirtschaft an einem zentralen Standort realisiert werden können, sondern dass auch exogene Kompetenzen und regionale Spezifika wie gewachsene Kompetenzen und Leistungsprofile wie aber auch regionalspezifische Problemstellungen und Informationen branchenübergreifend in den Wertschöp- 21 Vgl. hierzu: Krauss, Ulrich: „Medizintechnik - Vorsprung für das Gesundheitswesen“, Vortrag vor der Landesvertretung Baden-Württemberg, am 12.Februar 2009. 22 Vgl. hierzu: Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaftnrw.de 43 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht fungsprozess integriert werden müssen, um Innovationsprozesse nachhaltig in Gang zu setzen und Leitbranchen international zu positionieren. Damit ist zugleich auch eine weitere Qualität von Innovation und Vernetzung impliziert. Nämlich das Moment der Regionalisierung, auf das Redders ausdrücklich aufmerksam macht. Geleitet von der Idee, dass wirtschaftliche Aktivitäten der Gesundheitscluster nicht an jedem beliebigen Standort realisiert werden können, sondern nur an Standorten, die einen bestimmten (gewachsenen) Grad an Verdichtung von dazu erforderlichen - auch branchenübergreifenden Potenzialen und Ressourcen aufweisen und sich damit als Wachstumskerne spezifischer Leistungen ausweisen - gilt es für jedwede Art von Aktivitäten den bestgeeigneten Standort zu identifizieren und gezielt zu fördern. Ein solches „Zustandekommen von Clustern als synergetische Vernetzung wirtschaftlicher Tätigkeit ist in diesem Sinne ein Prozess innovativer Standortentwicklung.“23 Damit wird ein wesentliches Element der gesamten Förderkulisse im Hinblick auf die Optimierung von präfigurierten Wachstumskernen deutlich, nämlich die regionale Qualität von Clustern, die wesentlicher Bestandteil der Clusterpolitik des Landes NRW ist. „Zentrales Ziel ist es, ausgewählte regionale Netzwerke gezielt landesweit zu etablieren und zu fördern sowie eine sinnvolle branchen- und technologiebezogene Bündelung zu moderieren“, wobei die Clusterpolitik ein „ wichtiger Bestandteil sowohl der Innovationsstrategie als auch der Standortmarketing- und Wirtschaftsentwicklungsstrategie der Landesregierung (ist).“24 Weiterhin heißt es: „Wirtschaftlicher Fortschritt und die Entwicklung neuer Technologien funktionieren heute in Netzwerken. Die kann der Staat nicht verordnen, allerdings gezielt fördern und moderieren. Dies werden wir in den kommenden drei Jahren in 16 Branchenund Technologiebereichen tun, die besonders großes Potenzial für Wachstum auf- 23 Peter Glaessel/ Petra Wassner: Branchenkompetenzen in Nordrhein-Westfalen, hrsg. v.: NRW.INVEST GmbH Economic Development Agency of the Federal State of North RhineWestphalia (NRW), 2008, S.4. 24 Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.):NRW-Cluster in Leitmärkten Landesregierung beschließt Clusterstrategie: Wachstumspotenziale sollen gezielt gefördert werden. 2007. 44 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht weisen und besonders hohen Stellenwert für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes einnehmen.“25 5.3 Der Begriff des Clusters Bei dem in diesem Kontext verwendeten Clusterbegriff sind die beiden Elemente Vernetzung und Regionalität von entscheidender Bedeutung. Sie definieren auch den originären Begriff des Clusters, so wie er in den grundlegenden Arbeiten von Porter entwickelt wurde. Im Hinblick auf die Gesundheitswirtschaft in ihrem dezentralen Format weist die von Michael E. Porter gegebene Definition des Clusters auf den entscheidenden Aspekt der Wertschöpfungsstrukturen hin: „Ein Cluster ist eine an einem Ort konzentrierte Gruppe von Unternehmen und verbundenen Einrichtungen, deren Aktivitäten in einem bestimmten Feld miteinander verknüpft sind. Diese Unternehmen sind durch Gemeinsamkeiten und einander ergänzende Fähigkeiten miteinander verbunden […].“Ein Cluster kann also als ein System untereinander verknüpfter Unternehmen und Einrichtungen definiert werden, dessen Gesamtwert größer ist als der Wert der Summe seiner Einzelteile.“26 Erkenntnisleitend bei dieser Definition sind die Merkmale regionale Nähe, die Austauschbeziehungen der Akteure entlang der Wertschöpfungskette, die durch Kooperation und Interdependenz gekennzeichnet sind und dem Ziel einer Optimierung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dienen. Darüber hinaus ermöglichen Kooperationen zum Austausch sich ergänzender Fähigkeiten auf der Basis von Synergieprozessen einen Kompetenzgewinn für die beteiligten Akteure. 25 Beschluss des Kabinetts auf Vorschlag von Innovationsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart und Wirtschaftsministerin Christa Thoben v. 06. März 2007 (Pressemeldung 08. März 2007). 26 Porter, Michael E.: Wettbewerb und Strategie. München 1999, S.209 u. S.225. 45 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dem entsprechend stellen sich - was die vielfache Evaluation regionaler Cluster mittlerweile belegt - ökonomische wie auch innovative Vorteile (auf der Grundlage der Informationsressourcen an produkt- und marktbezogener Daten) durch die Clusterbildung ein. So erhöhen Cluster nachweislich die Fähigkeit zur Innovation und damit die Produktivität der Mitgliedsunternehmen (-branchen) und sie stimulieren und verbessern die Unternehmensgründung im regionalen Rahmen, wodurch das Cluster wächst, seine Potenziale sich optimieren und seine Attraktivität für Newcomer erhöhen kann. Zu weiteren positiven Externalitäten gehören zudem: die Vernetzungen in branchenübergreifender Weise, die Verbesserung des Beschäftigungsniveaus aufgrund eines Arbeitskräfteangebots auf hohem Qualifikationsniveaus sowie je nach Cluster eine nachhaltige Verbesserung der Dienstleister Infrastruktur (Forschung und Wissenschaft). Wesentliche Kennzeichen von Clustern sind mithin: die räumliche Konzentration der Akteure (Unternehmen, Wissenschaft, Dienstleistern, Einrichtungen, Verbände etc.), eine arbeitsteilige Spezialisierung, die die Bildung von Kompetenzen im regionalen Rahmen und darüber hinausweisend ermöglicht, die Einbeziehung von angrenzenden Wirtschaftszweigen, die Ausbildung von Netzwerken sowie wichtige Wissens- und Technologie-Spillover-Effekte. Der Clusteransatz geht weiterhin davon aus, dass regional oder lokal schon bestimmte Teilsysteme schwerpunktmäßig bestehen, aus deren Interaktion sich regionale Spezialisierungen der Wertschöpfung herausgebildet haben. Aufgrund dieser regional verortbaren langjährigen Spezialisierungen haben sich im Verlauf stetiger Interaktionen Kompetenzen herausbilden können, die in der Kumulation von Fachwissen und Marktzugangsmöglichkeiten ihren Ausdruck gewinnen.27 27 Vgl. hierzu: Rainer Fretschner / Rolf G. Heinze / Josef Hilbert: Die Gesundheitswirtschaft ein Wirtschaftscluster im Stress, aber mit guten Aussichten, Bochum/Gelsenkirchen im Februar 2003, S.2 ff. 46 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Die Austauschprozesse unter den Akteuren entlang den regional spezifischen Wertschöpfungsketten im Rahmen des jeweiligen regionalen Gesundheitsmarktes - unter Einbeziehung auch anderer Branchen - dienen zum einen dem Wissenstransfer unter den Clusterakteuren und zum anderen der stetigen Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Diese so gelagerte Interdependenz ermöglicht es, Kompetenzen und Innovationskraft zu stärken, um so Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Regionen und Clustern zu gewinnen. Cluster optimieren so einerseits die Ressourcenausstattung und Kompetenz. Andererseits erhöhen sie Wahrnehmung und Anziehungskraft für Key Player im clusterübergreifenden Wettbewerb. Somit gewinnt der Cluster-Standort in besonderem Maße zusätzliche Investoren (und damit Arbeitsplätze), Kunden, Kooperationspartner, qualifizierte Arbeitnehmer etc. und vermag zudem beispielsweise in den regionalen Gesundheitsclustern über innovative Gesundheitsleistungen eine öffentliche Versorgungsstruktur auszubauen, die signifikant zu einer Erhöhung der Lebensqualität in der Region beiträgt. Insbesondere die regionale Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis hat sich im Rahmen gesundheitswirtschaftlicher Wertschöpfung als Erfolgstreiber erwiesen. Denn es zeigt sich, dass Regionen, die eine relativ hohe Verdichtung von Kliniken und Gesundheitszentren aufweisen, gerade für Hersteller von Medizintechnologien wie für Unternehmen aus dem Vorleistungs- und Zulieferersegment überhaupt als Standorte präferiert werden. Dies hat seinen Grund darin, dass hier praktische Erprobungsmöglichkeiten gegeben sind. Dies wiederum baut die Kompetenzen dieser Regionen systematisch aus, so dass sich in diesem Cluster Exzellenzen mit überregionaler Ausstrahlung entwickeln können. Hinzu kommt in diesen Regionen das starke Zusammenspiel zwischen der universitären medizinischen Forschung und Versorgung sowie einem starken Vorleistungsund Zulieferbereich, also einer optimalen Kombination für das Entstehen regionaler Innovationssysteme.28 Aufgrund der oben aufgezeigten Typik sind regionale Cluster in ihrer Dezentralität geradezu prädestiniert als spezialisierte Kompetenzstandorte eine erhöhte Innovationsdynamik freizusetzen. Sowohl hinsichtlich inkrementaler Innovationen, womit die 28 Elke Dahlbeck, Josef Hilbert Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen Vergleich, in: FORSCHUNG AKTUELL ,Ausgabe : 6/2008. 47 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Weiterentwicklung vorhandener Technologien gemeint ist, als auch exkrementaler Innovationen, worunter die Entwicklung neuartiger Technologien zu verstehen ist. Wobei bezogen auf die dezentrale Gesundheitswirtschaft Innovationen nicht nur technologisch zu definieren sind, sondern ebenso als innovative Handlungskonzepte im Kernsegment Gesundheitswesen, dem Gesundheitsschutz im Arbeitsbereich und in der Altenhilfe.29 Hierbei sind Visionen und darauf aufbauend strategische Interaktionen mit einem verstärkten Wissenstransfer der Wissensdienstleister im Gesundheitswesen unter den Akteuren von besonderer Relevanz. 6 Die fünf Gesundheitsregionen als regionale Cluster in NRW Ein solches regionales Cluster stellen die 5 Gesundheitsregionen in NRW dar. Die Vernetzung und damit die Zufuhr spezialisierten Wissens unterschiedlichster Akteure geschieht auf regionaler Ebene. Dies beinhaltet eine durchaus produktive Ambivalenz. Denn zum einen bietet die regionale Plattform jene Nähe, unterschiedlichste Akteure sowohl auf allen Ebenen der Gesundheitswirtschaft als auch die Akteure anderer Branchen, die in die Wertschöpfung integriert sind oder ihr das erforderliche Know-how zuführen können, zu vernetzen. Zum anderen haben viele Regionen in NRW die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Innovationen im wirtschaftlichen Bereich, die Erhöhung der Lebensqualität und die Profilierung der Region hinsichtlich des Wirtschaftswachstum und einer positiven Beschäftigungsentwicklung erkannt und fördern die Vernetzung von Akteuren im Rahmen gesundheitswirtschaftlicher Wertschöpfung mit bislang beträchtlichem Erfolg. Die Standorte weisen mittlerweile eine erhebliche Vernetzungsintensität an Netzwerken, Projektverbünden und unterschiedlichsten Kooperationsmodellen auf. Aufgrund der in die regionalen Netzwerke einfließenden regionalen Identität des jeweiligen Standortes, bilden sich so - auch bedingt durch die jeweils spezifische Zusammensetzung der 29 Gemeint sind hier Konzepte zur Gesunderhaltung, einer verbesserten Gesundheitsversorgung, der Chancen und des gezielten Einsatzes von Instrumentarien des medizinischtechnischen Fortschritts, einer Verbesserung der Lebensqualität von behinderten und älteren Menschen, also der gezielten Vernetzung von Konzepten der Gesunderhaltung sowie der Heilung von Krankheiten. 48 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Akteure aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen und Akteure anderer regional vorherrschenden Branchen - spezialisierte regionalisierte Kompetenzen im Rahmen der Innovationsfelder heraus. Denn je nach Identität und gewachsenen Wertschöpfungsstrukturen des Standortes entwickeln sich andere regionale Stärken und wirtschaftliche Kompetenzen heraus. Insofern entstanden im regionalen Rahmen eine Vielzahl von Netzwerken, Projektverbünden und unterschiedlichsten Kooperationsmodellen. In diesen kooperieren derzeit die Akteure aus der Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette, wobei sich - gerade auch regionaltypisch - erhebliche Variationen hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung und der Ziele wie auch der Ergebnisse ergeben.30 Hinsichtlich der Regionalisierung der gesundheitswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung ist zu sehen, dass die Impulse zur Profilierung des Gesundheitssektors hierfür in erster Linie von den Regionen selbst ausgingen, während diesen präfigurierten Clusterstrukturen folgend, dann Initiativen seitens der Landesregierung entwickelt wurden, mit dem Ziel die Gesundheitswirtschaft NRW national wie auch international zu positionieren. Aus diesem Grunde wurde dann in prinzipieller Weise über die entwicklungsfördernde Rahmenbedingungen nachgedacht. Die aufgezeigte Wachstumsdynamik der Gesundheitswirtschaft und ihres Kernsegmentes Gesundheitswesen sowie ihr hohes Beschäftigungspotenzial aufgrund der ihr immanenten Angebots- und Nachfrageperspektiven erklärt, warum sie zu einem bedeutenden Thema der regionalen Strukturpolitik geworden ist. So begann beispielsweise die Region Ostwestfalen-Lippe schon sehr frühzeitig Mitte der neunziger Jahre - damit, die Innovations- und Beschäftigungspotenziale des Gesundheitssektors als wirtschaftspolitische Herausforderung zu betrachten. Durch das Engagement zahlreicher Akteure aus Wissenschaft, Gesundheitswirtschaft und Unternehmen konnte so schon sehr früh eine sektor- wie unternehmensübergreifende Kooperation grundgelegt werden. 30 Vgl. hierzu: Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaftnrw.de 49 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Seit spätestens 2005 und im Zuge des Paradigmenwechsels hin zu einem differenzierteren Verständnis des Gesundheitssektors in seinen komplexen ökonomischen Funktionen avanciert die Gesundheitswirtschaft zu einem Schwerpunkt der Regionalentwicklung, da etliche Regionen die Vorteile dieses Wirtschaftszweiges und seiner über ihn selbst hinausreichenden Netzwerke erkannten. Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Regionen und Kommunen im Bundesgebiet wie auch in NRW die enorme Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die Regionalentwicklung erkannten und sie zu einem Handlungsschwerpunkt auswiesen, gewann die Branche in ihrer regionalen Dimension auch an Relevanz für die Landespolitik. Eines der ersten Bundesländer, die dem Rechnung trug, war NRW mit seinem Masterplan Gesundheitswirtschaft aus dem Jahre 2005. Die Regionen sollten zu Zukunftsstandorten für Gesundheit werden; eine Zielorientierung, die angesichts der Tatsache, dass die lokalen Gesundheitsanbieter in vielen Regionen zu den größten Arbeitgebern zählen, durchaus chancenreich ist. Mittlerweile existieren in NRW fünf Gesundheitsregionen, die hinsichtlich ihrer Wertschöpfung ein nationales wie auch internationales Profil aufweisen. Die Gesundheitsregionen Aachen, Köln/Bonn, das Ruhrgebiet, das Münsterland und Ostwestfalen-Lippe zeichnen sich durch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung aufgrund ihrer jeweiligen infrastrukturellen Voraussetzungen aus. Diesbezüglich erarbeiten sie auch verschiedene, sich aber ergänzende Innovationsfelder der Gesundheitswirtschaft in Form der Übernahme von Patenschaften für die als relevant auch im Hinblick auf eine internationale Perspektive erachteten Gestaltungsfelder des Landes NRW. Diese Gestaltungsfelder kennzeichnen regionale Entwicklungsperspektiven, die schon aufgrund von regionalspezifischen Vorarbeiten in Gestalt von Entwicklungstrends der regionalen Gesundheitswirtschaft vorgeprägt sind. Hierbei gilt es, die sich abzeichnenden Entwicklungstrends auszubauen, indem Handlungsvorschläge in Projekte umgesetzt werden. Folgende Themenpatenschaften sind so initiiert worden: Die Region Aachen hat eine Themenpatenschaft für „Gesundheitstourismus / Medizintechnik“ übernommen. Die Region Köln/Bonn hat die Themenpatenschaft für „Gesundheit für Generationen“. 50 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Die Region Münsterland bearbeitet das Thema „Präventive Medizin“. Die Region Ostwestfalen-Lippe konzentriert sich auf „Intelligente Versorgung für ältere und chronisch kranke Menschen“. Die Region Metropole Ruhr hat die Themenpatenschaft „Klinikwirtschaft“.31 Mit dieser Schwerpunktsetzung sind die wesentlichen Wachstumsbereiche des Gesundheitssektors abgedeckt. Die Erwartung seitens der Landesregierung geht bezüglich der Entwicklung der Gesundheitsregionen dahin, dass aufgrund der Spezialisierung im regionalen Cluster sich verstärkt Kompetenzen herausbilden können, sich dadurch bedingt die Innovationspotenziale der Gesundheitswirtschaft befördern lassen, zugleich zwischen den regional definierten Netzwerken und Kooperationsverbünden übergreifend Vernetzungen stattfinden , so dass Synergien clusterübergreifend befördert werden können, sich Wachstumskerne für die Regionen entwickeln, sich die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sowohl vor Ort als auch landesweit durch Vernetzung und Excellenzen verbessert und sich NRW auf der Basis dieser „Pilotregionen“ auch international als führender Standort der Gesundheitswirtschaft profilieren und zukünftig erfolgreich im Standortwettbewerb kann. Um dies zu gewährleisten und entsprechende Impulse und Organisationsstrukturen zu entwickeln, wurde Anfang Januar 2008 das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.NRW ins Leben gerufen, dessen Aufgabe zusammenfassend darin besteht, die Regionen „bei ihren innovativen Konzepten mit projektbezogenen Kooperationen, die die Vorteile einer regionalen Identität nutzen“, zu unterstützen. Diese Kooperationen bilden die Grundlage für ein systematisches Netzwerkmanagement.32 31 Vgl.: Gesundheitswirtschaft NRW. Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien, CGW. Nordrhein-Westfalen. 32 Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen: Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaft-nrw.de 51 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Die Intention von Landespolitik und regionalen Akteuren vor Ort geht dahin, dass der Leitmarkt Gesundheit so unter strukturpolitischen und ökonomischen Perspektiven zu einem Instrument der Regionalpolitik wird, damit die Potenziale, die den Clustern innewohnen, sich zu Wachstumskernen in den Regionen entfalten. Dazu soll: die Selbstorganisation und Vernetzung der relevanten Akteure aus Gesundheitsversorgung, Forschung und der Wirtschaft (insbesondere auch der Dienstleistungswirtschaft) in Form gemeinsamer Forschungsprojekte unterstützt werden, die Profilbildung durch die Definition von Entwicklungsschwerpunkten und die Realisierung und Umsetzung beispielhafter Prozess- und Produktinnovationen im Sinne marktfähiger Lösungen gefördert werden, der Transfer von innovativen, qualitäts- und effizienzfördernden Lösungen in die Versorgung beschleunigt werden, die interdisziplinäre, berufsgruppen- und sektorübergreifende Zusammenarbeit in der Gesundheitswirtschaft verbessert werden, der Gesundheitssektor stärker internationalisiert werden, z.B. durch Patientenimport oder Serviceexport. Diese Zielorientierungen, die sich gesundheitspolitisch mit der Gesundheitswirtschaft in NRW verbinden sowie die strukturpolitischen Zielvorgaben und erwartungen, die sich an die regionalen Wachstumskerne knüpfen, vermitteln nach dem bisher Dargestellten den Eindruck, dass - wie es der Begriff Leitmarkt schon konotiert - das Themenfeld Gesundheit in diesem Kontext durch eine eher dominant wirtschaftliche Perspektive gekennzeichnet ist. Dafür spricht auch - wie sich noch zeigen wird - die Gründung eines zentralen Gesundheitsstandortes in Form eines Gesundheitscampus. Allerdings figuriert die privatwirtschaftliche Wertschöpfung, wie sie mit der Clusterpolitik im Rahmen der Wachstumsförderung der Gesundheitswirtschaft seitens der Landesregierung verfolgt wird, nur ein Moment des Themenfeldes Gesundheit. Ein weitaus gewichtigeres besteht jedoch in der Verbesserung der gesamten Versorgungsinfrastruktur. 52 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Insofern sind die vom dem Land NRW verabschiedeten Gesundheitsziele durchaus ambivalent. Zum einen verweisen insbesondere Gesundheitsförderung und Prävention auf den originären Bereich des Gesundheitswesens und zwar unter der Perspektive der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung. Zum anderen steht zu befürchten, dass auch dieser Bereich der Gesundheitsfürsorge ökonomisch überformt wird, wenn die Gesundheitswirtschaft in ihrer Dynamik erst einmal ohne Grenzziehung durch das LIGA.NRW sich dieses Bereiches bemächtigt Darüber hinaus jedoch, verweist dieses Themenfeld prinzipiell auch darauf, dass es für eine zukunftsfähige Gesundheitsinfrastruktur von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsgütern einer öffentlichen Regelung bedarf und nicht den Marktinteressen - bei allen Schnittstellen, die sich sachlich im gesundheitswirtschaftlichen Kontext ergeben - überantwortet werden darf. Denn das „Gut Gesundheit gehört in die Kategorie der Vertrauensgüter. Zwischen denen, die dieses Gut anbieten und denen, die es nachfragen, besteht ein ungleiches Verhältnis der Kompetenz und Information.“33 Die Qualität von Präventionsmaßnahmen, diagnostischen Verfahren und Kuration ist für den Patienten in der Regel nicht durchschaubar. „Deshalb sind die Nachfragenden darauf angewiesen, dem Anbieter zu vertrauen. Sie brauchen eine Verhandlungsposition, damit sie nicht einfach der Marktmacht der Anbieter ausgesetzt sind.“34 Diese Aufgabe, gegenüber der Marktmacht der Anbieter in der Gesundheitswirtschaft ein Korrektiv durch hochkarätige und unabhängige wissenschaftliche Information und Beratung zu bilden, nimmt seit langem der Öffentliche Gesundheitsdienst in seiner Ergänzungs- und Kontrollfunktion, auch mit dem LIGA.NRW, an seinen regionalen Standorten wahr. Damit wird die Engführung der dominant wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Perspektiven in den Vordergrund rückenden Sichtweise relativiert. Gesundheit ist jenseits der reinen Marktperspektiven, Verwertungsgesetzlichkeiten im Rahmen von Kosten- und Gewinnrelationen und den betriebswirtschaftlichen Kennziffern wei- 33 Hengsbach, Friedhelm: "Mehr Markt" reicht nicht - Gesundheitsrisiken und solidarische Sicherung entsprechen einander. Frankfurt am Main, auf: www.sankt-georgen.de (14.04.2009), 2009. 34 Hengsbach, a.a.O. 53 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ter gefasst, als es die Perspektive auf die Gesundheitswirtschaft - so relevant sie ist - nahe legt. Indem diese Perspektive um die Dimension der Versorgungsqualität der Öffentlichkeit mit Gesundheitsgütern und Gesundheitsdienstleistungen mit dem Ziel der Verbesserung der Gesundheitsversorgung vor Ort erweitert wird, gerät die Funktion des öffentlichen Gesundheitsdienstes in seiner rahmengebenden und gestaltenden Funktion für die gesamte Gesundheitswirtschaft in den Blick. 7 Der Öffentliche Gesundheitsdienst in NRW Wenn bislang von der Gesundheitswirtschaft und im besonderen vom Gesundheitswesen die Rede war, so wurde der Gesamtkomplex Gesundheit in erster Linie im Horizont seiner ökonomischen Kosten- und Wertschöpfungsstrukturen, seinen Angebots- und Nachfragerelationen und seiner strukturpolitischen Bedeutung für die regionale Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung betrachtet. Diese Perspektive referiert allerdings nur einen Ausschnitt des Stellenwertes, den die Gesundheit in einem Gemeinwesen und in der öffentlichen Wahrnehmung einnimmt. Von weit entscheidenderer Bedeutung sind Strategien und Instrumente zur Vermeidung und Ausräumung von Gesundheitsrisiken im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld, Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge und Krankheitsvermeidung, die Organisation und Institutionalisierung der medizinischen Vorsorge und medizinischen Versorgung sowie deren Qualität. Damit sind die Kernaufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes wesentlich umfasst. Während das Gesundheitswesen alle Einrichtungen zur Erfüllung medizinischer Aufgaben auf der Ebene Prävention, Diagnostik, Therapie Nachsorge, Rehabilitation umfasst, seien die Trägerschaften hierfür nun öffentlich-rechtlich, frei-gemeinnützig oder privat, so kennzeichnet das öffentliche Gesundheitswesen, insbesondere den öffentlichen Gesundheitsdienst, die hoheitlich-organisatorische Bindung und damit Funktionsbestimmung als Angelegenheit der öffentlichen Hand. Sei dies nun auf Bundes-, Landes- oder auch kommunaler Ebene. Anders ausgedrückt lässt sich der Öffentliche Gesundheitsdienst folgendermaßen definieren: Er ist 54 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht „Teil des öffentlichen Gesundheitswesens. Er ist die Organisation von Dienststellen auf der Ebene von Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden, die dem Schutz der Gesundheit der Gemeinschaft und des Einzelnen dient.“35 Damit ist sein Aufgabenspektrum qualitativ verschieden von den Verwertungszusammenhängen des maßgeblich privatwirtschaftlich orientierten Gesundheitsmarktes und aufgrund dieses qualitativen Unterschiedes ist der öffentliche Sektor auch in seinen Leistungsangeboten gesellschaftlich breiter aufgestellt. Der öffentliche Gesundheitsdienst nimmt den gesamten Gesundheitszustand der Bevölkerung in den Blick. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass dieser Zustand in all seinen Facetten bezüglich der gesamten Bevölkerung in den wesentlichen Bereichen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Reproduktion auf Gefährdungen hin ermittelt und überwacht wird, so dass seitens des öffentlichen Gesundheitsdienstes zugleich Strategien und Maßnahmen entwickelt werden können, die der Risikoabwehr und der Förderung des Gesundheitszustandes dienen. Diese essentielle, für ein funktionierendes Gesundheitssystem ebenso wichtige wie unverzichtbare Aufgabenstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes fasst die oberste Dienstbehörde des öffentlichen Gesundheitsdienstes in NRW, das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (MAGS) folgendermaßen zusammen: „Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) schützt und fördert durch seine Arbeit die Gesundheit der Bevölkerung und wirkt bei der Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten mit. Außerdem überwacht der ÖGD die Hygienevorschriften und die Herstellung und den Handel mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Betäubungsmitteln und Gefahrstoffen. Darüber hinaus berät er die Bevölkerung und Behörden in Fragen der Gesundheit - beispielsweise durch regelmäßig erscheinende Gesundheitsberichte.“36 Das NRW-Gesundheitsministerium bildet quasi die oberste Leitungs- und Führungsebene des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Nordrhein-Westfalen. 35 Schwarte, Dagmar „System der öffentlichen Gesundheitspflege“, in N.Roeder, P. Hensen (Hrsg.)Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem und öffentliche Gesundheitspflege, Deutscher Ärzte Verlag, 2009. 36 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, http://www.mags.nrw.de/03_Gesundheit/2_Versorgung/Institutionen/oegd/index.php (14.04.2009). 55 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Im Rahmen seiner politischen Aufgabenwahrnehmung leistet das nordrheinwestfälische Gesundheitsministerium eine grundlegende Zielbestimmung sowie die erforderliche politische Planung für den gesamten Gesundheitsbereich, wobei gemeinsam mit der Landesgesundheitskonferenz auch landesweite Gesundheitsziele festgelegt werden. Hinsichtlich der Steuerung und Weiterentwicklung der Gesundheitspolitik greift das Gesundheitsministerium auf die Gesundheitskonferenzen auf Landes- und kommunaler Ebene, die Leitlinien und Gesundheitsziele, die Gesundheitsberichterstattung und den Projektverbund „Gesundes Land Nordrhein-Westfalen" zurück. Mit ihm werden neue, innovative Ansätze der gesundheitlichen Versorgung aufgezeigt und bekannt gemacht. Wobei nach Angaben des Ministeriums eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitspolitik „die Sicherung und der Ausbau der gesundheitlichen Infrastruktur - die bedarfsgerechte Versorgung der Bürger mit leistungsfähigen Krankenhäusern, ausreichende Angebote für eine ortsnahe Versorgung psychisch Kranker und eine Optimierung der Hilfen für besondere Personengruppen wie beispielsweise HIVInfizierte und AIDS-Kranke (bleibt).“37 Nicht minder relevant ist die Unterstützung des Ministeriums für neue und bestehende Initiativen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger. Angesichts dieser, in den wesentlichen Grundzügen beschriebenen Aufgabenstellung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums, nimmt der Öffentliche Gesundheitsdienst eine zentrale Funktion bei der Umsetzung der gesundheitspolitischen Zielsetzungen und der für die gesamte Gesundheitswirtschaft erforderlichen Rahmengebung wahr. Mit seinen öffentlich-rechtlichen Aufgaben auf Landes- und kommunaler Ebene bildet er die dritte Säule (neben ambulanter und stationärer Versorgung) des öffentlichen Gesundheitswesens.38 In seiner hoheitlichen Funktion obliegt dem ÖGD hierbei die strategische Umsetzung der Zielbestimmungen ebenso wie die Kontroll- und Überwachungsfunktionen über den Gesundheitszustand sowie die Ermittlung von schädigenden Einflüssen 37 Ebenda. Vgl. hierzu: Vöhringer, Hartmut: das öffentliche Gesundheitswesen. Wohlgeordnete Unordnung: hartmut-voehringer.de/assets/applets/Offentliches_Gesundheitswesen.pdf (23.03.2009). 38 56 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht auf die Gesundheit der Bevölkerung. Zu seinen Aufgaben gehören mithin auch die Planung und Qualitätssicherung von Maßnahmen. Weiterhin sind die präventiven Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung zu nennen, die mit initiiert und in Verbindung mit dem ÖGD von Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärzten, Gesundheitsämtern und der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung durchgeführt werden. Ebenfalls kommt dem ÖGD eine Funktion des Defizitausgleichs in der gesundheitlichen Versorgung z.B. bei der Schaffung von Beratungsangeboten zu. Ebenso hoch ist der Stellenwert des ÖGD im präventiven Bereich in der Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung anzusetzen, „so dass ein funktionsfähiger ÖGD für das Gemeinwesen nicht mehr wegzudenken ist.“39 In diesem Kontext der Aufgabenstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, nimmt das Landesinstitut für Arbeit und Gesundheit (LIGA.NRW) als behördliche Einrichtung der Landesregierung eine wesentliche Vermittlungs- und Strategiefunktion zwischen dem Gesundheitsministerium und den behördlichen Strukturen der mit der Umsetzung von Zielen befassten ortsnahen Ebene des öffentlichen Gesundheitsdienstes wahr, die durch die unteren Gesundheitsbehörden - Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte repräsentiert sind. Bei der Entwicklung und Festlegung der landesweiten Gesundheitsziele wird das Gesundheitsministerium vom Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, mit seinen Standorten in Düsseldorf, Bielefeld und Münster weitestgehend dadurch unterstützt, dass das Ministerium auf die wissenschaftlich fundierte Beratungskapazität in Fragen der Gesundheit und der Gesundheitspolitik des Landesinstitutes für Gesundheit und Arbeit (LIGA.NRW) zurückgreifen kann. Ebenso berät das LIGA.NRW die Behörden und Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände in allen Fragen der Gesundheit, der Gesundheitspolitik sowie der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes in der Arbeitswelt. Dies schließt die Beratungs- und Dienstleistungsfunktion für die örtlichen Träger des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und für die Gesundheitsämter bei der 39 Vgl. hierzu: Elejtheria Beuels-Kejaloukou: Die Gesundheitsberichterstattung im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Eine primär-präventive Strategie auch in der Arbeitswelt, in: Sozialwissenschaften Und Berufspraxis (Sub) • 18. Jahrgang (1995)' HEFT 3, S.242 - 246. 57 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Durchführung und Weiterentwicklung ihrer Aufgaben mit ein. LIGA.NRW fungiert damit in seiner Unterstützungsfunktion für die Landesregierung und die Gesundheitsämter/Unteren Gesundheitsbehörden als fachliche Leitstelle für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Diese seinerzeit vorgenommene gesundheitspolitische Neubestimmung ist vor dem Hintergrund der Verabschiedung der damals neu eingebrachten gesetzlichen Regelung des ÖGDG in Nordrhein-Westfalen zu sehen. Mit dem 1998 in Kraft getretenen "Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst" (ÖGDG), wurde nicht nur eine Neubestimmung und Erweiterung der Fachaufgaben entlang aktueller Problemlagen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes geleistet, sondern dezidiert eine Neuausrichtung des Gesundheitswesens mit einer stärkeren Konzentration auf den regionalen und kommunalen Kontext vorgenommen. Im Zuge dieser Neubestimmung wurden auch die Aufgaben des damaligen LÖGD als Vorläufer des LIGA.NRW neu justiert. Hinsichtlich des ÖGDG lässt sich feststellen, dass dieses Gesetz Ende der 90er Jahre zum einen eine grundsätzliche Aufgaben- und Positionsbestimmung des öffentlichen Gesundheitsdienstes vornimmt, neue Pflichtaufgaben formuliert und zum anderen vor allem die kommunale und regionale Basis der Kooperation von AkteurInnen im Gesundheitswesen favorisiert. So ergeben sich - abgeleitet aus dem ÖGD-Gesetz - eine Reihe von neuen Aufgabenschwerpunkten für die kommunale Gesundheitspolitik. Sie soll die Gesundheitsberichterstattung und -planung auf eine gesicherte Grundlage stellen, wobei Defizite in der kommunalen Gesundheitsversorgung, die sich aus der Gesundheitsberichterstattung ergeben, strategisch zu bewältigen sind die Gesundheitsförderung und Prävention stärken, aufsuchende und nachsorgende Gesundheitshilfen für sozial benachteiligte Personen entwickeln bzw. ausbauen (z. B. alleinstehende Wohnungslose), den umweltbezogenen Gesundheitsschutz intensivieren, wozu auch die Aufklärung der Bevölkerung über umweltmedizinische Fragen, die Bewertung von Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Bevölkerung unter gesund- 58 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht heitlichen Aspekten sowie das Aufzeigen von Maßnahmen zur Abwehr gesundheitlicher Schäden gehören.40 Diese Aufgabenschwerpunkte zeigen, dass mit dem ÖGDG ein Paradigmenwechsel vollzogen worden ist, nämlich von einer eher zentralen Aufgabenbestimmung hin zu einer dezentralen, die Region und die kommunale Ebene in den Vordergrund stellenden Perspektive. Eine solche bottom- up Strategie mit dem Ziel, verbesserte soziale und gesundheitliche Versorgungsstrukturen bürgernah vor Ort zu implementieren, wurde schon 1994 von der Landesregierung mit dem Rahmenkonzept "Ortsnahe Koordinierung gesundheitlicher und sozialer Versorgung" in Form eines Modellprogramms angezielt, wobei die wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung durch das LÖGD erfolgte. Mit dem Projekt, dessen Ergebnisse schon frühzeitig mit in die Gesetzgebung einflossen (so hinsichtlich der Konstituierung von kommunalen Gesundheitskonferenzen nach §24 ÖGDG), wurde das Ziel verfolgt, die für den Gesundheitsschutz und die Gesundheitsförderung vor Ort erforderlichen Ressourcen zielgenau und effizient zu allokieren. Die anvisierte Optimierung der Versorgung sowie die Verbesserung von Angeboten der gesundheitlichen und sozialen Versorgung sollte durch die Vernetzung der Akteure (der sog. Runden Tische und späteren kommunalen Gesundheitskonferenzen) und der vor Ort gegebenen Bürgernähe geschehen. Die Ergebnisse des Projektes waren sehr vielschichtig. Zum einen erwies sich, dass aufgrund der ortsnahen gesundheitsbezogenen Netzwerke und der in ihnen verfügbaren Informationen mit kommunalem Bezug „eine abgestimmte, bedarfsorientierte kommunale Gesundheitspolitik in den kommunenspezifischen Handlungsfeldern möglich ist, und erfolgreich sein kann.“41 Die Gestaltungsfähigkeit bezog sich im Wesentlichen auf Mehrheit jener Versorgungsbereiche und Handlungsfelder, die traditionell zu den Gestaltungsfeldern der kommunalen Selbstverwaltung bzw. der auf kommunaler bzw. regionaler Ebene agierenden Gesundheitsämter gehören. 40 Vgl.hierzu: Harald Wölter: Öffentlicher Gesundheitsdienst. Neue Aufgaben kommunaler Gesundheitspolitik, auf : Heinrich-Böll-Stiftung http://www.kommunale-info.de/, 2002. 41 Pablo Zamora: Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven einer Optimierung der Gesundheitlichen Versorgung durch Kommunalisierung von Gesundheitsbezogenen SteuerungsUnd Managementprozessen, Bielefeld, April 2002, S.122. 59 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Eine weitere Intention des Projektes jedoch, dass durch eine Kontextsteuerung die Netzwerkakteure Formen der Selbststeuerung entwickeln, die miteinander kompatibel sind und so einen regionalen oder kommunalen Mehrwert hinsichtlich der Optimierung der Versorgung entfalten, erfüllte sich nur zum Teil, da sich Umsetzungsprobleme insbesondere bei Maßnahmen ergaben, die überörtliche Planungs- und Entscheidungsstellen tangierten.42 Hier zeigte sich das Manko an relevanten Informationen sowie an nicht vorhandenen Zuständigkeiten, das sowohl die strategische Orientierung von Maßnahmen als auch die Legitimation für eine weiterreichende Entscheidungs- und Planungskompetenz konterkarierte. Als Konsequenz dieser Defizite wäre den regionalen und lokalen Gesundheitsnetzwerken zusätzliche Planungs- und Entscheidungskompetenzen hinsichtlich der Mitgestaltung der örtlichen Gesundheitsförderung einzuräumen. Dies jedoch ist an die Voraussetzung geknüpft, dass ein weiterer Auf- bzw. Ausbau der Gesundheitsberichterstattung (GBE) erfolgt, der in extensiver Weise Informationen über die lokale und regionale Ebene erhebt und den lokalen Netzwerken zur Verfügung stellt. Dies kann als die entscheidende Bedingung und notwendige Grundlage für eine rationale, bedarfsorientierte Gesundheitspolitik und -planung sowie zur Herstellung von Transparenz im Gesundheitssystem betrachtet werden.43 Das Projekt machte in dieser Hinsicht deutlich, dass Information und Aufklärung sowie eine effizientere Ausrichtung der regionalen und lokalen Gesundheitspolitik auf die Belange der Bevölkerung von der Erstellung der Gesundheitsberichte abhängt. Insofern, als dass das ÖGDG fordert, dass die Gesundheitsberichterstattung auf eine gesicherte Grundlage zu stellen ist, trägt das Gesetz von 1998 diesem Sachverhalt Rechnung (§21, ÖGDG). Damit ist eine wesentliche Kernkompetenz des LIGA.NRW benannt. Das ÖGDG benennt in § 27 Abs.1 als eine der entscheidenden fachlichen Aufgabenstellungen des damaligen Landesinstitutes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst - die Gesundheitsberichterstattung. Als fachliche Leitstelle unterstützt das LIGA.NRW die kommunalen Gesundheitsberichte der unteren Gesundheitsbehörden, so dass sich für die ortsnahe Koordinierung der Versorgungsleistungen und Maßnahmen ein möglichst genaues Bild der 42 43 Vgl. hierzu: Zamora 2002, a.a.O.,S.125. Vgl. hierzu: Zamora 2002, a.a.O., S.107 ff. 60 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht bestehenden Situation ergibt, aus dem dann ein entsprechender Handlungsbedarf abgeleitet werden kann. Dieser Prozess reicht von der Analyse bis zur operativen Umsetzung von Strategien sowie der Evaluation der Maßnahmen und wird in allen Phasen vom LIGA.NRW begleitet. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Tätigkeiten der Beratung, Prozessbegleitung sowie der Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen dieser Aufgaben ist das LIGA.NRW zudem mit der Vorbereitung der Landesgesundheitsberichterstattung NRW sowie mit der Aufbereitung der Grundlagen (Daten und Wissen) für die GBE befasst. Die dazu benötigten Grundlagen, die der Erstellung von Gesundheitsberichten dienen, wie Gesundheitsdaten, Gesundheitsindikatoren, gesundheitswissenschaftliche Literatur und Berichte anderer Ebenen, werden gesammelt und aufbereitet. In diesem Aufgabenkontext werden beispielsweise 200 Gesundheitsindikatoren jährlich bearbeitet und fortgeschrieben, die die Aufgabe haben, verfügbare Informationen zu aussagefähigen und nutzerfreundlichen Eckdaten zusammenzufassen. Wobei ca. ein Drittel dieser Indikatoren Informationen bis auf Kreis- bzw. Stadtebene für NRW liefern, die einen wichtigen Bestandteil für die systematische Darstellung und Analyse des Gesundheitszustandes der Bevölkerung, der Gesundheitsdeterminanten und der Gesundheitsversorgung liefern. Überdies vertritt das LIGA.NRW das Land Nordrhein-Westfalen in nationalen und internationalen Gremien und Projekten zur GBE.44 Zu den Unterstützungsaufgaben des LIGA.NRW/vormals LÖGD für die Unteren Gesundheitsbehörden gehört es aber auch, Ergebnisse der Landes-GBE auf Ebene der Kreise zu spiegeln, damit sie zur Bearbeitung kommunaler gesundheitspolitischer Fragestellungen herangezogen werden können.45 Am Beispiel der Gesundheitsberichterstattung, sei es auf kommunaler Ebene oder Landesebene, zeigt sich die enge Interdependenz zwischen den regionalen (kommunalen) Schnittstellen und dem LIGA.NRW. Im Rahmen dieser Vernetzung des LIGA.NRW mit den regionalen Schnittstellen werden wechselseitig Inputs ausge- 44 Vgl. hierzu: die Themenfelder Landesgesundheitsberichterstattung und Kommunale Gesundheitsberichterstattung - ein gesundheitspolitisches Planungs- und Steuerungsinstrument, auf: http://www.loegd.nrw.de/gesundheitberichterstattung 45 Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD), Konzept Landes-GBE NRW, Mai 2007 Konzept für eine Weiterentwicklung der Landes- Gesundheitsberichterstattung in NRW, S.2. 61 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tauscht, die eine Steuerung der Gesundheitspolitik sowohl auf Landesebene wie auch aufgrund des Monitorings vor Ort zielsicherer machen. So liefert die Gesundheitsberichterstattung für die kommunalen Gesundheitskonferenzen wichtige orientierende und die weitere Arbeit fundierende Grundlagen zur Planung, Themenwahl, Prozessbegleitung und Evaluation, so dass Entwicklungen transparenter und kommunale gesundheitspolitische Fragestellungen zielführender einer Lösung zugeführt werden können. Andererseits bieten die Inputs der Landesgesundheitsberichte wertvolle Informationen für die regionale Koordinierungsebene in Form von über den kommunalen Rahmen hinausweisenden Problemlagen der gesundheitlichen Situation und Versorgung. Desgleichen lassen sich gesundheitspolitische Maßnahmen und Handlungsoptionen anhand von Vergleichsanalysen, Trends und best practise Beispielen identifizieren, die über den lokalen Kontext hinausweisen und gewonnene Erkenntnisse für die eigene ortsnahe Problemlösung modifiziert umsetzen. Unter der Perspektive der engen korrelativen Verzahnung der verschiedenen regionalen Ebenen und im Hinblick auf die Erfassung und Aufbereitung von Daten und Informationen sowie der Vermittlung von Analysen, Modellen und Handlungsempfehlungen im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung zeigt sich, dass das LIGA.NRW mit diesem Leistungssegment im Öffentlichen Gesundheitsdienst das Manko der Informationsdefizite für die kommunale Steuerungsebene und deren Koordinierungsanspruch eines bedarfsorientierten Gesundheitsmanagementprozesses auszugleichen vermag. Damit stellt das Leistungsprofil von LIGA.NRW eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Voraussetzung dafür dar, dass eine bürgernahe Gesundheitsversorgung erfolgen kann. Bürgernähe kann niemals durch eine zentral gelenkte Gesundheitspolitik erfolgen. Vielmehr ist die regionale Ebene als Ebene der Integration von Maßnahmen einer den lokalen Verhältnissen passgenau entsprechenden gesundheitlichen Versorgung zu präferieren. „Was immer durch Gesetz und öffentliche Finanzierung ermöglicht und gefördert wird, es ist nur so nützlich, wie es sich auf lokaler bzw. regionaler Ebene konkretisiert. Medizinische und pflegerische Dienstleistungen sind - abgesehen von einigen hochspezialisierten und besonders kostspieligen Einrichtungen - per se lokale oder regionale Einrichtungen. Zwar müssen die Probleme der gesundheitsbezogenen 62 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Intervention und Versorgung auf sämtlichen Ebenen von Gesellschaft und Politik angegangen werden, aber die entscheidende Ebene, auf der sich alle Bemühungen zu beweisen haben, ist die lokale bzw. regionale. Der mögliche Nutzen einer stärkeren Regionalisierung ergibt sich aus der notwendigen Orientierung auf die Gesundheit der Bevölkerung (Public Health-Orientierung). Netzwerke von Organisationen, die eine koordinierte Versorgung entlang der gesamten gesundheitsbezogenen Interventions- und Versorgungskette organisieren, sollten auf definierte Populationen bezogen und für deren Gesundheit auch öffentlich verantwortlich sein“46. Diesen Weg beschritt auch die Landesregierung in Hinsicht auf die Favorisierung der fünf Gesundheitsregionen. Diese wurden bereits am 01.01.2008 mit einem effizienten Clustermanagement versehen, um Wachstumspotenziale durch gezielte Beratungsangebote und Vernetzungsmaßnahmen - auch zwischen den sich regional etablierenden Clustern - zu fördern. „Schwerpunkt ist der Ausbau und die Stärkung der Vernetzung der lokalen und regionalen Gesundheitsakteure als Innovationsmotoren für die Branche.“(Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen Gesundheitswirtschaft NRW) Dass sich mittlerweile offensichtlich eine Änderung der Zielorientierung ergeben hat, macht der noch zu diskutierende Paradigmenwechsel von den dezentralen Strukturen einer regional verankerten Gesundheitswirtschaft und einem öffentlichen Gesundheitswesen, das hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit der Inputs der wissenschaftlichen und informativen Ressourcen vor Ort bedarf, um seine Effizienz zu entwickeln, hin zu einem zentralen standortgebundenen Ressourcenpool ohne Verankerung an den regionalen Schnittstellen deutlich. Entscheidend in Hinblick auf den öffentlichen Gesundheitsdienst und weite Teile des öffentlichen Gesundheitswesens und damit für die Qualität der Versorgung vor Ort sind allerdings die Erkenntnisse der Regionalforschung, die deutlich machen, dass eine Regionalisierung - insbesondere der GBE-Ressourcen und der Vernetzung von LIGA.NRW-Ressourcen mit den wissenschaftlichen Dienstleistern vor Ort und die gesundheitswirtschaftliche Rahmenplanung auf der Landesebene ebenso wie auf der regionalen und kommunalen Ebene - von außerordentlicher Bedeutung sind. Es handelt sich also beim erforderlichen regionalen Bezug im Falle von LIGA.NRW (also ehemals LÖGD und LAfA) um systematisch angebahnte, funktional eingespielte 46 Kühn 2001:51; darüber hinaus Badura et al. 2001:303. 63 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht und erprobte Netzwerke auf regionaler Ebene, die eine weitreichende Impulsgebung in regionaler Hinsicht leisten und gewährleisten. Die gegenwärtige Diskussion in der Regionalforschung bestätigt den Erfolgsfaktor regionaler Bindung und Einbindung von Wissensakteuren und den sie einbettenden Kooperationsmodellen an den regionalen Schnittstellen. So steht außer Zweifel, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen heute in enger Beziehung zur Fähigkeit der Regionen gesehen wird, soziale und institutionelle Bindungen zwischen den Akteuren der Region derart aufzubauen, dass Regionen als Kollektive handlungsfähig werden. „Dabei hat die räumliche Dimension (nicht: die Regionsbindung) insofern Bedeutung, als Netzwerke, die durch schwache Institutionalisierung und horizontale Kommunikation gekennzeichnet sind, Bindungen brauchen, wenn kollektives Handeln erreicht werden soll [...]. Der „Kitt“ der Bindungen sind Vertrauen, ungeschriebene Spielregeln (wie Reziprozität, Fairness und Verlässlichkeit des Handelns), Kooperationsbereitschaft, Solidarität u. Ä. - also das, was vielfach mit „Sozialkapital“ umschrieben wird.“47 Wobei dieses Sozialkapital zumeist auf persönlichen Kontakten beruht. „Dafür reichen Internet-Dialoge nicht aus. Vielmehr spielen hier die Raumüberwindungskosten und die regionale Interaktionsdichte eine Rolle. Denn Menschen, die in demselben regionalen Umfeld zusammenleben, gehen Bindungen ein, die von Zugehörigkeit zu gemeinsamen Institutionen über gemeinsame Geschichte bis zu sozialen Normen reichen können.“48 Solche Vernetzungen, wie sie exemplarisch an den einzelnen Standorten von LIGA.NRW mit dem entsprechenden Leistungsportfolio aufzeigbar sind, gewinnen ihre Qualität aus spezifischen Koordinationen der beteiligten Akteure. Netzwerke vor Ort haben den Vorteil, dass sie in erster Linie Akteure über face-to-face-Kontakte koordinieren, was die wohl wirksamste Form der Steuerung in komplexen, mit Unsicherheit belasteten kollektiven Prozessen, darstellt. „Zumindest lässt sich das für wirtschaftliche Produktions- und Innovationsprozesse bei interorganisatorischer Vernetzung nachweisen. Man kann sogar so weit gehen, dass die Stärkung von netzwerk- 47 Fürst, Dietrich: „Region und Netzwerke - Aktuelle Aspekte zu einem Spannungsverhältnis, DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, 2001, http://www.die-bonn.de/zeitschrift/12002/region_und_netzwerke.htm (13.4.2009) 48 Ebenda. 64 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht artigen governance- Formen auf Regionsebene zu einer „neuen Form von Politik“ führen wird.“49 Die Vorteile, die sich hierdurch ergeben, sind offensichtlich. Die erforderlichen Koordinationen zwischen den beteiligten Akteuren zur Information- und Datenerhebung sowie die Vermittlung in Form von Strategien und Maßnahmepaketen im Rahmen der regionalen Adressatenebene der von LIGA.NRW mit anvisierten lokalen Bereichen, werden flexibler, so dass sich neue Ideen und Innovationen schneller generieren und in die einzelnen anvisierten regionalen Bereiche transferieren lassen. Die bisherige Leistungsqualität eines - an den regionalen Schnittstellen standortbezogenen LIGA.NRW -verifiziert geradezu empirisch die Richtigkeit dieser Erkenntnisse der Regionalforschung. 8 Das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW In dem neuen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW wurden das bisherige Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes NordrheinWestfalen (LÖGD) und die bisherige Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LAfA) zusammengeführt. Die Aufgabenwahrnehmung des "Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit" (LIGA.NRW) 50 verweist auf einen wesentlichen Aspekt des Öffentlichen Gesundheits- dienstes NRW, nämlich seine Funktion, die Landesregierung hinsichtlich gesundheitspolitischer Fragestellungen und Zielbestimmungen zu unterstützen und die Behörden und Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände in Fragen der Gesundheit, der Gesundheitspolitik sowie der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes in der Arbeitswelt zu beraten. Darüber hinaus nimmt LIGA.NRW wichtige Kontrollfunktionen, so im Bereich des Arbeitsschutzes (sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter) und der Arzneimittelsicherheit wahr, sofern diese nicht in den Aufgabenbereich einer anderen Verwaltung fallen. Bezüglich des gesamten gesundheitspolitischen Themenkomplexes sowie der Gesundheitsberichterstattung besteht das Ziel der Fachaufgaben - wie sie für das LI49 50 Fürst 2001, a.a.O. Siehe auch http://www.lafa-duesseldorf.nrw.de/ (14.04.2009). 65 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht GA.NRW (hier das Zentrum für Öffentliche Gesundheit (ZÖG) laut Gesetz (ÖGDG) verankert sind - darin, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, zu verbessern und die dazu notwendige Infrastruktur zu gewährleisten. Hierzu dient die gesundheitspolitische Orientierung, die das LIGA.NRW (ZÖG) wahrnimmt, ebenso, wie die Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler Ebene (KGBE) wie auf Landesebene (LGBE). Entscheidend hierbei ist, dass das LIGA.NRW mit seiner aus dem ÖGD-Gesetz resultierenden Aufgabenstellung und -erfüllung im Wesentlichen dazu beiträgt, dass die für Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung erforderliche Infrastruktur mit seinem Know-how nicht nur auf Landesebene, sondern auch ebenso auf kommunaler Ebene entwickelt und optimiert wird. Dies ist ein entscheidender Aspekt für die gesamte Gesundheitswirtschaft. Der Leitmarkt - so wie er zuvor in seiner Regionalisierung beschrieben wurde, als dezentrale Initiativen der fünf Gesundheitsregionen, bedarf unter der Perspektive der Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen einer dafür angemessenen regionalen Infrastruktur. Hierbei geht es im Wesentlichen um das öffentliche Gesundheitswesen und nicht um die Gesundheitswirtschaft im Ganzen. Diese Infrastruktur zu optimieren und entsprechende Steuerungsfunktionen auch im Hinblick auf die Bewertung von Entwicklungen im Gesundheitswesen vorzunehmen, die die Lage der Bevölkerung betrifft, obliegt laut Gesetzesauftrag dem LIGA.NRW als fachliche Leitstelle für den öffentlichen Gesundheitsdienst. Damit nimmt das LIGA.NRW zum einen eine eminent wichtige Funktion für den Gesamtkomplex Gesundheitswirtschaft ein, die darin besteht, mit den vorhandenen wissenschaftlichen Informationsressourcen auch auf Fehlentwicklungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft, sei es im originären Segment des öffentlichen Gesundheitswesens oder auch insbesondere im Segment des 2. Gesundheitsmarkt aufmerksam zu machen und politisch-rechtliche Korrekturen anzumahnen, so dass sich über eine solche Intervention im Rahmen des Gesundheitsschutzes auch die gesundheitliche Lage der Bevölkerung verbessern lässt. Zum anderen ist das LIGA.NRW damit zugleich an die regionalen und kommunalen Schnittstellen der vielfältigen Initiativen und Akteure der Gesundheitswirtschaft vor Ort verwiesen, also dort zu verorten, wo sich entsprechende Strukturen auch 66 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht entwickeln. Auch hier nimmt LIGA.NRW aufgrund seines wissenschaftlichen Potenzials eine steuernde und unterstützende Funktion wahr. Die Aufgaben, die LIGA.NRW zukünftig in diesen Bereichen laut Kabinettsbeschluss zu versehen hat, lassen sich in den nachfolgend aufgeführten Themenfeldern zusammenfassen: Weiterentwicklung der Gesundheitsberichterstattung, wobei die Informationsbasis rund um die gesundheitliche Lage und über die Versorgung der Bevölkerung in NRW mittels von Indikatoren, Bevölkerungsbefragungen, Arbeits- und Planungshilfen, verschiedener Auswertetools, Prozessbegleitung, Kreisprofilen und Bundesvergleichen gebildet wird Ausbau der Prävention, Meldewesen für Früherkennung gefährdeter Kinder Fragen des Seuchenschutzes als Landesstelle für die Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz Arzneimittelsicherheit (wobei die Arzneimittelsicherheit ein wichtiges Anliegen eines effektiven Gesundheits- und Verbraucherschutzes darstellt. Als fachliches Kompetenzzentrum hat LIGA.NRW die Aufgabe, die Anwendungssicherheit von Arzneimitteln durch Arzneimittelüberwachung zu überprüfen, dies schließt die Herstellungs- und Kontrollprozesse ebenso ein wie die analytische Qualitätsüberprüfung von Arzneimittelproben). Das LIGA.NRW berät darüber hinaus sowohl die Politik, als auch den öffentlichen Gesundheitsdienst in allen gesundheitspolitischen Fragen (z.B. bei der Bekämpfung von Ausbrüchen oder hoch ansteckenden Erkrankungen sowie der Krankenhaushygiene). Das LIGA.NRW besitzt damit Kernkompetenzen im öffentlichen Gesundheitsdienst. Mit seiner Anerkennung als Collaborating Centre der WHO (Regions for Health Network) ist zudem eine besondere Stärkung der Reputation der wissenschaftlichen Arbeit des LIGA.NRW im internationalen Kontext erfolgt. Im LIGA.NRW sind die zukunftsimmanenten Aufgabenfelder „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“ zu bearbeiten. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels werden der Erhalt und die Förderung 67 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der Beschäftigungsfähigkeit vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen wichtige Schwerpunkte sein. Das Zentrum nimmt darüber hinaus im Bereich des Arbeitsschutzes auch sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter und die Politikberatung wahr. Das LIGA.NRW mit seinem „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ berät und unterstützt in diesem Handlungsfeld die Arbeitsschutzbehörden in NRW in medizinischen Fragen des Arbeitsschutzes. Hierbei werden auch Probleme vor Ort, zum Beispiel im Rahmen von Betriebsbesuchen versucht, einer Lösung zuzuführen, sei dies zu den Problemfeldern Möglichkeit von Arbeitszeitverlängerungen über die rechtlich vorgesehenen Schichtzeiten hinaus oder hinsichtlich der vielfältig auftretenden gesundheitlichen und psychischen Belastungen der Beschäftigten, wobei das Zentrum für Gesundheit in der Arbeit gehalten ist, auch das wirtschaftliche Interesse des Betriebes zu berücksichtigen. Zumal nur die optimale Verknüpfung von gesunden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und profitablem Betrieb den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg sicherstellen kann. Überdies kümmern sich die Medizinerinnen und Mediziner des LIGA.NRW um Themen wie z.B. Allergien im Beruf, gesundheitliche Auswirkungen von Lärm, vom Heben schwerer Lasten aber auch um Mutterschutz. Ebenso erstreckt sich die Beratungstätigkeit auf den Jugendarbeitsschutz, so dass den besonderen Bedürfnissen und gesundheitlichen Expositionen von jungen Menschen Rechnung getragen werden kann. Der Vorteil des LIGA.NRW besteht hierbei auch darin, dass dezentral an allen LIGA. NRW-Standorten, Expertinnen und Experten zu allen Fachdisziplinen rund um die Gesundheit und Sicherheit in der Arbeitswelt zur Verfügung stehen, deren Erfahrungen an den regionalen Schnittstellen mit den Arbeits- und Gesundheitsbedingungen in Unternehmen und im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort in den jeweiligen regionalen Gesundheitsclustern, einen immensen Kompetenzpool aus psychologischem, naturwissenschaftlichem oder sicherheitstechnischem Know-how bilden, so dass umfassende Lösungen für identifizierte Problemkomplexe entwickelt werden können. Zudem vermag LIGA.NRW - aufgrund der eingespielten Interaktion der LIGA.NRW-Akteure untereinander und des Informationsaustausches mit den Akteuren aus den Netzwerken - damit eine komplette Beratung aus einer Hand zu leisten. Das Aufgabenportfolio des LIGA.NRW zeigt, dass hier wesentliche Funktionen für den Gesundheits- und Arbeitsschutz wahrgenommen werden sowie für die Entwick- 68 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht lung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems. Der Öffentliche Gesundheitsdienst, wie er sich im LIGA.NRW abbildet und durch das LIGA.NRW koordiniert wird, steht in der Gefahr durch die Anbindung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in seiner Funktion relativiert zu werden. Dies deshalb, da die Ausrichtung der Bündelung der Kompetenzen des ÖGD und ihre Vernetzung im Hinblick auf die gesundheitswirtschaftlichen Themenfelder und intendierten Geschäftsmodelle des Gesundheitscampus zu einer Relativierung der Funktion des LIGA.NRW für das Gesundheitswesen beitragen werden. 9 Der Gesundheitscampus als das gesundheitspolitische Leitprojekt der Landesregierung „Wir geben uns mit dem Erreichten nicht zufrieden. Wir wollen noch mehr tun, um die Chancen des Zukunftsthemas Gesundheit zu nutzen. Wir sind heute eine führende Gesundheitsregion in Deutschland. Wir wollen eine führende Gesundheitsregion in Europa werden. Und wir wollen international mit den Besten mithalten.“ Dieser Anspruch, den Minister Laumann zum Thema: Gründung eines „Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen" als Zielbestimmung der Landespolitik hinsichtlich der künftigen gesundheitspolitischen Weichenstellung formuliert, soll mit der Gründung eines landesweit Gesundheitsdienstleistungen in Forschung und Praxis koordinierenden zentralen Standortes der Gesundheitswirtschaft NRW realisiert werden.51 Die Idee, eine zentrale Organisationseinheit an einem Standort im Ruhrgebiet zu konzentrieren, lässt sich am aufschlussreichsten an dem geplanten organisatorischen Nukleus des Gesundheitscampus, dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen), illustrieren. Die Landesregierung intendiert nach den Ausführungen des ehemaligen Staatssekretärs im Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Winter die Schaffung eines Kompetenzzentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen, das den entsprechenden Bedarf an Strategie und Vernetzung als „Kopf“ des Gesundheitscampus abdecken soll. 51 Vgl.: Sprechzettel des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, anlässlich der Pressekonferenz in Düsseldorf. Pressemitteilung 20.06.2008. 69 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Hierbei fallen dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) wesentliche Aufgaben bezüglich der Vernetzung und strategischen Ausrichtung der Gesundheitswirtschaft, bzw. der gesundheitswirtschaftlichen Akteure in NRW zu. Es soll die Fortsetzung des Dialogs mit den Akteuren in NordrheinWestfalen gewährleisten. Dies bezieht sich vorrangig auf den landesweiten Dialog mit den Exzellenzen, der ausdrücklich ausgebaut werden soll.52 Zweitens soll das Zentrum weitere mögliche Leitprojekte identifizieren und entwickeln. Dies besagt, dass Leitprojekte zum einen gemeinsam mit den Trägern zu konzipieren und zum anderen auch die erforderlichen Finanzierungskonzepte zu entwickeln sind. „Dabei beziehen wir ausdrücklich auch Unternehmen, Stiftungen und internationale Fördermittel ein.“53 Drittens ist vorgesehen, dass das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) für die gesamte Gesundheitswirtschaft, respektive für Gesundheitsleistungen aus Nordrhein-Westfalen Marketingleistungen, in Form der Entwicklung einer „Dachmarke“ für die Gesundheitsdienstleistungen erbringt. Überdies soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) die internationale Präsenz nordrhein-westfälischer Unternehmen und Krankenhäuser auf den Gesundheitsmärkten unterstützen. Viertens ist vorgesehen, dass das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) als zentrale Unterstützungseinheit für die Akteure in Nordrhein-Westfalen bei der Einwerbung internationaler Fördermittel fungiert. Dies bezieht sich auf Fördermittel im umfänglichen Sinne, z.B. der EU, der WHO oder der NIH. „Damit folgen wir ausdrücklich der Leitidee „Fund the Funding.“54 Fünftens soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) als Informationspool fungieren und das Wissens- und Info-Management für die Gesundheitswirtschaft NRW übernehmen - als Basis für strategische Entscheidungen, für Exportaktivitäten und die Akquise von Investoren auf dem Gesundheitsmarkt. 52 Vgl. hierzu: Laumann a.a.O. Sprechzettel des Staatssekretärs im Gesundheitsministerium des Landes NordrheinWestfalen, Prof. Dr. Winter, anlässlich der Pressekonferenz in Düsseldorf zur Errichtung eines Gesundheitscampus im Ruhrgebiet. 54 Winter, a.a.O. 53 70 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Eine weitere Aufgabenstellung, die allerdings an der Schnittstelle zwischen Strategieentwicklung und Forschung angesiedelt ist, soll nach Willen des MAGS ebenfalls vom oder im Rahmen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) versehen werden. Unter der Perspektive einer Stärkung der Versorgungsforschung ist geplant, dass zur Koordination, Vergabe und Auswertung interdisziplinärer Forschungsvorhaben Stellen für drei Wissenschaftler dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) angegliedert werden. Die Versorgungsforschung ist deshalb für die gesundheitspolitische Entscheidungsfindung relevant, da sie die wissenschaftlichen Grundlagen für gesundheitspolitische Zielbestimmungen - in der Ambivalenz von Qualitäts- und Patientenorientierung als auch ökonomischer Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems - leistet. Für die Versorgungsforschung sollen für 2009 1 Mio. €, ab 2010 2 Mio. € jährlich zusätzlich bereitgestellt werden. Zu fragen ist jedoch, ob eine solche Orientierung für die Gesundheitspolitik im Bezugsrahmen widerstreitender Interessen zwischen wachsenden technischen, medizinischen und gesundheitsfördernden Möglichkeiten auf der einen Seite und dem ökonomischen Druck sowie dem sozialen und demographischen Wandel auf der anderen Seite nicht eher in das Aufgabengebiet des derzeitigen LIGA.NRW zu integrieren ist, da es die dazu erforderlichen Ressourcen und die entsprechenden Kompetenzen aufweist. Insbesondere - sofern noch nicht am Gesundheitscampus verankert - auch die notwendige Unabhängigkeit der Bewertung von Entwicklungen, die die Versorgungsqualität des Gesundheitswesens betreffen. Angesichts dieser zentralen Aufgabenstellung für die Förderung und Entwicklung der Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitswesens in NRW, wird deutlich, dass das mit 42 Stellen (bis 2011) geplante Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) die zentrale Säule des Gesundheitscampus darstellen wird. Welche weiteren Funktionen und Aufgaben das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) - insbesondere hinsichtlich möglicher Steuerungs- und Koordinierungsfunktionen - auch gegenüber den anderen am Standort zu verankernden Institutionen - wahrzunehmen hat, lässt sich bislang nicht eruieren. Stringente Konzepte hierfür liegen bislang seitens der Landesregierung oder des MAGS noch nicht vor. 71 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Neben dieser Säule des Gesundheitscampus sollen im Rahmen weiterer Funktionsbereiche, die mit dem Gesundheitscampus - neben der Strategiebildung und Vernetzung - abgedeckt werden sollen, vor allem Das Öffentliche Gesundheitswesen Die Forschung Die Qualifikation sowie strategische Technologiefelder neu ausgerichtet werden. Im Bereich Öffentliches Gesundheitswesen ist seitens der Landesregierung intendiert, die entscheidende Leitstelle für den ÖGD, das LIGA.NRW. am Standort Gesundheitscampus Bochum zu konzentrieren. Herausgelöst aus der Vernetzung der drei regionalen Schnittstellen der Standorte Bielefeld, Münster und Düsseldorf sollen die wesentlichen Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens auf dem Campus konzentriert werden. Damit ist das Aufgabenspektrum des LIGA.NRW von der Prävention und der Früherkennung gefährdeter Kinder über die Arzneimittelsicherheit und den Infektionsschutz bis hin zur Gesundheitsberichterstattung des Landes gemeint. Hinzu kommen die von der ehemaligen LAfA versehenen Aufgabengebiete, die seit dem 01.01.2008 im „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ im LIGA.NRW versehen werden. Hiervon erwartet das MAGS eine stärkere strategische Ausrichtung des Gesundheitscampus auf Zukunftsthemen wie „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung.“ Darüber hinaus richteten sich die Konzentrationsbemühungen des MAGS auch auf das Epidemiologische Krebsregister aus Münster, denn das bundesweit in seiner Größe einzigartige landesweite Krebsregister bildet eine wesentliche Voraussetzung für Ansätze einer effizienten Krebsbekämpfung. Insofern werden durch die Verlagerung an den Gesundheitscampus wiederum strategische Vorteile bei der Besetzung von Zukunftsfeldern seitens der Landesregierung erwartet. Mittlerweile jedoch hat sich das Krebsregister in Münster mit guten Argumenten gegen eine Verlagerung ausgesprochen. Hinsichtlich des Funktionsbereiches Forschung ist geplant, dass Einrichtungen der medizinischen Grundlagenforschung auf dem Gesundheitscampus etabliert werden. 72 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zum einen soll die Expertise, wie sie derzeit in strukturierten Programmen an der Ruhr Universität Bochum in der Proteinforschung im „Exzellenzcluster „Proteinnetzwerke“ Bochum existiert, in Form eines Europäischen Protein-Forschungszentrums (PURE: Protein research Unit Ruhr within Europe) am Gesundheitscampus angesiedelt werden. Überdies soll zudem noch eine weitere Einrichtung der medizinischen Grundlagenforschung den Forschungsbereich am Gesundheitscampus ergänzen. Anvisiert ist in dieser Hinsicht seitens des MAGS, dass die Möglichkeiten, die die regenerative Medizin, die Potenziale des Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen sowie erfolgreicher Projekte aus Wettbewerben der Landesregierung und des Kompetenznetzwerk Stammzellforschung Nordrhein-Westfalen bieten, mit einbezogen werden. Der Entwicklungsstand dieses Vorhabens ist ebenfalls nicht zu eruieren, da bislang keinerlei Informationen öffentlich wurden. Ob es sich hierbei um eine bloße Absichtserklärung der Landesregierung handelt oder ob mittlerweile schon konkrete Schritte hinsichtlich einer Realisierung dieses Vorhabens in die Wege geleitet wurden, lässt sich nicht angeben. Hinsichtlich des Funktionsbereiches Qualifikation ist beabsichtigt, die bundesweit erste Fachhochschule für Gesundheitsberufe in staatlicher Trägerschaft aufzubauen, so dass mit der Fachhochschule für Gesundheitsberufe die weitere Professionalisierung der nichtärztlichen Heilberufe in Ausbildung und Forschung vorangetrieben werden kann. Hierfür sind 1.000 Studienplätze bei ca. 300 Absolventen pro Jahr geplant. Unter der Funktionseinheit Strategische Technologiefelder ist geplant, dass der bundesweit existierende Vorsprung Nordrhein-Westfalens gegenüber anderen Bundesländern hinsichtlich des Einsatzes innovativer Telematikanwendungen im Gesundheitswesen ausgebaut wird. Führend in dieser Technologiebranche ist das Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG) mit Sitz in Krefeld. Telematikanwendungen kennzeichnen einen Wachstumsmarkt, bei dem allein in den nächsten fünf Jahren ca. 500 Mio. € in den Aufbau einer Telematik-Infrastruktur seitens der Gesundheitswirtschaft in Nordrhein-Westfalen investiert werden. Aus diesem Grunde ist geplant, das ZTG ebenfalls auf dem Gesundheitscampus anzusiedeln. Allerdings bereichert um zwei weitere Schwerpunktabteilungen. Mit dem Health Informatics & Telematics Center am ZTG ist beabsichtigt, das nationale Profil des ZTG durch international orientierte wissenschaftliche Tätigkeiten zu stärken und das 73 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zentrum für Telemedizin am ZTG soll vor allem das Aktionsprogramm Telemedizin Nordrhein-Westfalen umsetzen. Eine wesentliche Problematik des geplanten Gesundheitscampus liegt in seiner zentralen Organisationsstruktur, die für dezentrale Einrichtungen, die am Standort konzentriert werden sollen, wenig Raum lässt. Eine andere Problematik besteht darin, dass die Konzentration von Einrichtungen an einem zentralen Standort deren dezentral gestaffelte Ressourcen unterminiert -und zugleich wie sich noch erweisen wird - eigene Ressourcen den regionalen Clustern entzieht und diese damit schwächt. Wie schon erwähnt, bilden die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) die Blaupause für den geplanten nordrhein-westfälischen Gesundheitscampus. Die Legitimation für einen zentralen Standort, an dem wesentliche Ressourcen des Gesundheitswesens und der Gesundheitswirtschaft in NRW zusammengezogen werden sollen wird, über das Vorbild NIH geführt. Die NIH als Teil des U.S. Department of Health and Human Services mit ihren 27 Instituten und Zentren, die mit über 75 Gebäuden auf einem Campus in Bethesda, Maryland konzentriert sind, stellen einen regelrechten, regional verorteten „brain trust“ dar. Allerdings ist hinsichtlich einer Übertragung auf den Gesundheitscampus zweierlei einschränkend zu sehen: Zum einen handelt es sich bei den NIH - als einem der wohl bedeutendsten biomedizinischen Forschungszentren in den USA - um eine staatliche Anstalt der US-Gesundheitsbehörde. Hier wird mit großem Aufwand Forschung für das US-Gesundheitssystem betrieben. Also nicht im Sinne der Privatwirtschaft mit einer gesundheitswirtschaftlichen Orientierung, sondern eher im Rahmen dessen, was den Kriterien des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung dienlich ist. Hinsichtlich dieser Ausrichtung auf das Gesundheitswesen und im Hinblick auf den Schutz und die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung - also Forschung im Interesse der Öffentlichkeit zu betreiben - entspräche die Institution NIH eher dem LIGA.NRW als dem Gesundheitscampus (obgleich auch die Aufgabenstellung differieren mag). Zum anderen beschränkt sich die Konzentration von Instituten an einem Standort darauf, dass diese ihre forschungsrelevanten Vernetzungen zwar auch im Rahmen des räumlichen Umfeldes des Forschungscampus aufweisen, aber darüber hinaus 74 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht transzendierend, Forschungsressourcen durch strategische Allianzen mit Instituten und Dependancen in den ganzen USA einholen. Obwohl an einem zentralen Standort konzentriert, schöpfen sie ihre Synergien auch maßgeblich exogen, durch Forschungsaufträge, die weniger standortbezogen sind. Hierfür spricht, dass die NIH 80% ihrer Mittel in die Forschungsförderung außerhalb des Standortes vergibt und auf Institute in den gesamten USA verteilt. Demgegenüber scheint es, dass mit dem Gesundheitscampus in erster Linie der Versuch unternommen werden soll, durch die Konzentration von unterschiedlichen Institutionen des Gesundheitswesens (LIGA.NRW, Epidemiologisches Krebsregister, ZTG, PURE, weitere noch unbestimmte Forschungseinrichtungen) eine Synergien produzierende Forschungsstruktur und Wissensinfrastruktur zu schaffen, deren Resultate hauptsächlich standortimmanent gewonnen werden. Zwar soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) als Informationspool und zentrale Unterstützungseinheit für die Akteure in Nordrhein-Westfalen bei der Einwerbung internationaler Fördermittel fungieren, allerdings scheinen diese Aktivitäten, die noch einer Spezifizierung bedürfen, eher auf ein über den Standort hinausweisendes Projektmanagement hinzudeuten, das - gemessen an den Aktivitäten im Rahmen der Forschungsförderung der NIH, als eingeschränkte Version betrachtet werden könnte. Zudem ist der Ansatz des Forschungsmanagements auch diametral verschieden von den NIH. Während das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) Leitprojekte identifiziert, für die Finanzierungsmöglichkeiten auch durch Unternehmen, Stiftungen und internationale Fördermittel erschlossen werden sollen, verfolgen die NIH einen konstruktiveren Ansatz. Sie stellen von den 27,887 Mrd. $ Eigenmitteln gut 80% in die Vergabe von Auftragsforschung ein. Hier zeigt sich der Vorteil einer staatlichen Behörde. Abgesehen von den 75 Mio. €, die das Land NRW in den Gesundheitscampus investieren will, werden hier wohl kaum noch erhebliche Mittel für eine vitale und zielführende Forschungsförderung vom Land beigesteuert werden. (Abgesehen von den angekündigten 2 Mio. € pro Jahr für die Versorgungsforschung). Schon aus diesem Grunde ist abzusehen, dass hier „PPP Modelle“ einer Finanzierung wohl eher anvisiert werden. Was dies allerdings für die Objektivität der dadurch geförderten Studien und die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung und Projekttätigkeit am Gesundheitscampus bedeuten dürfte, lässt sich erahnen. Forschung und handlungsorientierte Projekte im öffentlichen Interesse werden den Regulativen 75 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der Kommerzialisierung geopfert werden und einer interessegeleiteten Auftragsforschung weichen. Damit sind zugleich auch die Grenzen für das LIGA.NRW und seine Leitstellenfunktion gezogen. Denn mit der Konzentration von Institutionen des Gesundheitswesens, der Forschung und Wissenschaft sowie privatwirtschaftlichen Unternehmen verbinden sich Vorstellungen von Synergien und Kooperationsvorteilen, die im Rahmen des Standortes selbst zu realisieren und wirtschaftlich zu verwerten wären. Abgesehen von der verbalen Bekundung des Ministers Laumann - „Wir nehmen uns dabei ein Beispiel an den berühmten National Institutes of Health in den Vereinigten Staaten. Aber wir kopieren sie nicht“ - weisen die Aufgaben, die das Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) übernehmen soll darauf hin, dass dieses Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) möglicherweise analog dem Office of Director der NIH geplant ist. Die Aufgabenbestimmung des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) wie die strategische Ausrichtung der Gesundheitsleistungen, die Formulierung einer Dachmarke, die Identifizierung und Entwicklung von Leitprojekten, die Unterstützung von Gesundheitsleistungen im internationalen Markt, ein umfassendes Wissens- und Info-Management, die Vernetzung und Impulsgebung für Exzellenzinitiativen entsprechen Funktion der zentralen Steuerungseinheit Office of Director im Rahmen der NIH. Angesichts dieser Analogie bleibt jedoch zu fragen, ob die Kompetenzen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) sich darin funktional erschöpfen oder ob dieses Kompetenzzentrum - ebenfalls in Analogie zur Organisationsstruktur der NIH - nicht auch eine weisungsgebende Steuerungsfunktion gegenüber den anderen am Gesundheitscampus zu etablierenden Institutionen, wie etwa dem LIGA.NRW, wahrnehmen wird. Damit würde das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) quasi zur Leitstelle des Gesundheitscampus aufgewertet, das aufgrund seiner behördlichen Vollmacht mit über die Fachaufgaben und deren Wahrnehmung durch das LIGA.NRW bestimmt. Inwieweit sich dies dann noch mit dem ÖGDG deckt, bleibt mehr als fraglich. Aufgrund der eingeschränkten Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung sowie der geringen Transparenz, die mit diesem Themenkreis möglicherweise befassten Verwaltungseinheiten gewähren, können hierüber nur Vermutungen angestellt werden. 76 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 10 Der Paradigmenwechsel An der gesamten Konzeption des Gesundheitscampus wird ein entscheidendes Moment deutlich. Es ist die geradezu eklektizistisch betriebene Zusammenfassung von Einrichtungen des Gesundheitswesens aus ganz Nordrhein-Westfalen, insbesondere der Gesundheitsregionen, die aus ihren ursprünglichen regional determinierten Arbeits- und Leistungszusammenhängen herausgerissen und solipsistisch an den neuen Standort konzentriert werden. Abgesehen von den Neugründungen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) und der Fachhochschule für Gesundheitsberufe sind sowohl mit dem ZTG, dem Epidemiologischen Krebsregister aus Münster, als auch dem LIGA.NRW Institutionen betroffen, die bislang in gewachsenen Netzwerkstrukturen eingebettet und mit den Akteuren ihrer Standorte in enger und - dies ist zu betonen - erfolgreicher Weise kommunikativ und arbeitstechnisch verbunden waren. Gerade diesen Sachverhalt betont und begründet der bislang verfolgte Clusteransatz des Landes, wie er auch im Clustermanagement zum Ausdruck gelangt. Aufgrund der Bedeutung des Gesundheitssektors sowohl für Wachstumsprozesse, aber ebenso auch für die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort haben sich Kommunen und Regionen über die letzten Jahre engagiert Kooperationsverbünde, Netzwerke oder Projekte ins Leben gerufen, um die „Vorteile der Zusammenarbeit für die eigene Standortentwicklung zu nutzen.“, wie es das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beschreibt. Als sinnvoll wird mithin vor allem die regionale Kooperation „der Akteure aus der Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette“ betrachtet.55 Vernetzung und Kooperation werden in dieser Hinsicht nicht nur als Erfolgsfaktoren wirtschaftlicher oder beschäftigungspolitischer Wachstumsprozesse betrachtet, sondern mit Blick auf die erwähnten Akteure der Gesundheitsversorgung und damit auch des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, ebenso als erforderliche Voraussetzungen für eine hochwertige Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen. Zu diesen Gesundheitsdienstleistungen gehören vor allem Wissen und Organisationsformen von Leistungen, so hinsichtlich ausgewiesener regionaler Innovationsfel55 Siehe www.gesundheitswirtschaft-nrw.de 77 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der sowie der Querschnittsthemen Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung als auch Gesunde Kindheit. (Wie der Präventionspreis 2008 „Gesund aufwachsen - ganzheitliche Förderung der körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklung von Vorschulkindern” verdeutlicht). Beide Querschnittsthemen sind auch originäre Handlungsthemen von LIGA.NRW, die an den regionale Standorten Bielefeld (mit den Aufgabenfeldern Unterstützung des Kindes- und Jugendgesundheitsdienstes, Gesundheitsberichterstattung, Unterstützung der Gesundheitspolitik in NRW, Prävention und Gesundheitsförderung) und Düsseldorf (Präventive Gestaltung der Arbeitsbedingungen in KMU, Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt und Erhalt und Förderung von Beschäftigungsfähigkeit im demographischen Wandel) seit langem wahrgenommen werden. Die Kompetenzen und das Know-how des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind also ein wesentlicher Faktor des in Clustern regional vernetzten Gesundheitssystems und seiner Leistungen. Ohne die Akteure des öffentlichen Gesundheitswesens an den regionalen Schnittstellen dürfte sich die Qualität der Wissenstransferierung und des strategischen Organisationspotenzials für die Verbesserung der Gesundheitsförderung vor Ort, in den Kommunen und Regionen verschlechtern. Eine Konzentration von Know-how an einem zentralen Ort dürfte sich negativ auf den bisherigen dezentralen Ansatz, wie er in den Clustern seine Signatur findet, auswirken. Die regionalen Gesundheitscluster werden in ihrer Substanz bei Verlagerung von LIGA.NRW in Bielefeld und Münster getroffen. Denn die erprobte strukturelle Verzahnung von impulsgebenden Netzwerkakteuren und regionalen Forschungseinrichtungen wie Unternehmen wird faktisch dadurch konterkariert, dass wesentliche Elemente des Netzwerkes wie LIGA.NRW herausgelöst und somit auch von den vielfältigen regionalen Aktivitäten der Initiativen der Gesundheitsregionen vor Ort abgeschnitten werden. Hierbei handelt es sich um entscheidende Netzwerkakteure, die aufgrund ihrer regionalen Verortung gerade jene Prozesse aktivieren, die die Stärken des Clusters ausmachen. Dadurch besteht kaum noch eine direkte Erdung für regionale Entwicklungen und einen nachhaltigen Kompetenzaufbau. Hinsichtlich der Konzentration dieser Institutionen ist festzustellen, dass zum einen mit der Herauslösung von netzwerkrelevanten Akteuren, aus den regionalen Clustern - beim LIGA.NRW mit den Standorten Münster und Bielefeld aus den Gesund- 78 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht heitsregionen Münsterland und OWL - die gesamte Clusterphilosophie der Landesregierung konterkariert wird und zum anderen die Gesundheitsregionen als solche bezüglich der Entwicklung eines leistungsstarken regionalen Gesundheitswesens beeinträchtigt werden. Dies nicht nur an den derzeitigen konkreten regionalen Schnittstellen von LIGA.NRW, sondern - in Anbetracht des Aufgabenportfolios von LIGA.NRW - ebenso auch in landesweiter Hinsicht. Noch ein weiteres Moment macht den Paradigmenwechsel vom dezentralen Akteursmodell zum zentralen Verwaltungsmodell evident. So ist geplant, dass nicht mehr die profilierten Gesundheitsregionen selbst die Außendarstellung der NRW Gesundheitswirtschaft wahrnehmen sollen, sondern dies im Rahmen des Gesundheitscampus erfolgen soll. Nach den bislang noch geltenden Vorgaben der Landesregierung - und dafür spricht die Einrichtung des Clustermanagements im Januar 2008, das die Profilbildung und Vernetzung in den Regionen von NRW vorantreiben soll - dienen die regionalen Allianzen und Initiativen wirtschaftlichen Wachstums, nicht nur einer verbesserten gesundheitliche Versorgung, sondern auch dazu, dass sich der regionalisierte Leitmarkt im internationalen Wettbewerb auch besser positioniert. „Wir brauchen ein klares Profil, eine klare Botschaft, was die Gesundheitswirtschaft bei uns in NRW ist und was sie einzigartig macht [...].“56 Diese Einzigartigkeit besteht u.a. auch in der Vielzahl der besonderen Gesundheitsinitiativen und regionalen Netzwerke. Denn „ohne eine regionale Basisaktivität ist eine Clusterbildung auf Landesebene nicht möglich […]. Deshalb werden wir den Aufbau und die Profilbildung von regionalen Kooperationen unterstützen.“57 Es geht hierbei um die regionale Profilbildung der Gesundheitsregionen. Diese wird über die thematische Schwerpunktsetzung, über innovative Projekte und die Exzellenzinitiativen in den Regionen selbst geleistet. Mit der Wahrnehmung der Profilierung der in den Regionen verankerten Gesundheitsleistungen unter einer „Dachmarke“ durch das geplante Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) im Gesundheitscampus, relativiert sich jedoch das spezifische regionale Profil, das sich in der Vielschichtigkeit der Leistungsangebote, der regional qualitativen Besonderheiten und auch in den Stär56 57 Brigitte Meier in: Bielefeld Marketing, Pressemitteilung vom 28.02.2008. Ebenda. 79 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ken von regionalen Versorgungsstrukturen als best practise konstituiert. Denn unter der Perspektive der Entwicklung einer Dachmarke für alle Gesundheitsleistungen in NRW, die vom Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) zu entwickeln ist, dürften sich regionale Besonderheiten kaum noch widerspiegeln. Dies ist sachlogisch in der begrifflichen Struktur von Dachmarken hinsichtlich ihrer Zusammenfassung von heterogenen Leistungsprofilen verankert. Der Widerspruch besteht darin, dass jede Markenarchitektur auf zwei gegenläufigen Tendenzen beruht, die auszubalancieren sind. Einerseits sollen alle Gesundheitsdienstleistungen durch Integration möglichst eng mit einer Marke verbunden werden, zum anderen sollen die unterschiedlichen Leistungen sich voneinander differenzieren, so dass sie ihre Besonderheit, Singularität und damit auch das Alleinstellungsmerkmal referieren können. Die Widersprüche zwischen Integrations- und Differenzierungszielen sind insofern unaufhebbar. Mithin ist wenn von sog. Dachmarken die Rede ist, wie hinsichtlich der Beschreibung des Gesundheitscampus durch das MAGS, äußerste Vorsicht geboten, da dies nahe legt, dass hier ein notwendiger theoretisch fundierter sowie strategisch orientierter Diskurs im Vorfeld schon nicht geleistet wurde oder aber es sich hier nur um einen Scheinbegriff handelt. „Tatsächlich sind Dachmarkenstrategien in vielen Fällen Pseudo-Lösungen. Sie suggerieren die Lösung eines besonders schwierigen Problems, nämlich die konzeptionelle Ordnung komplexer Portfolios unterschiedlichster Produkte „unter einem Dach” - ohne jedoch einen Anhaltspunkt zu liefern, wie diese Integrationsleistung im einzelnen vonstatten gehen soll.“58 Vielmehr erweist sich in der Praxis „der Begriff „Dachmarke” als ein untrügliches Signal für latent instabile Markenarchitekturen. Denn mit dem „Dach” soll meist eine semantische Klammer geschaffen werden, die zusammenhält, was de facto bereits auseinander driftet.“59 Dies besagt nicht, dass eine in sich differenzierte Markenarchitektur nicht auch heterogene Produktportfolios an Gesundheitsleistungen zu einer Marke integrieren kann, allerdings sollten die unterschiedlichen Leistungsfacetten sich im Markenprofil in ihren Wechselwirkungen widerspiegeln. Dies wiederum stellt eine hochkomplexe Marketingleistung dar, die allerdings mit dem Begriff der Dachmarke nichts mehr verbindet. 58 59 Henning Meyer: Vorsicht Dachmarke!, www.absatzwirtschaft.de (11.12.2008). Ebenda. 80 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Unter diesen Aspekten gewinnt die „Dachmarkenkompetenz“ des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) jedoch noch eine andere Bedeutung. Mit dem Pseudobegriff wird die Integration von dezentralen Leistungsprofilen unter eine zentrale Infrastruktur subsumiert und als Erfolgsfaktor mit den Mitteln des Marketings legitimiert. Das dezentrale Format wird begrifflich auf ein positiv konotiertes zentrales Format eingedampft. Diese Suggestion, dass eine zentrale Markenführung den dezentralen Strukturen regionaler Gesundheitsleistungen und ihrer Profilbildung überlegen wäre, so dass damit auch die internationale Präsenz erfolgreich bestritten werden kann, referiert der Begriff der Dachmarke, wie er vom MAGS funktionalisiert wird. Hieran wird die faktische Verschiebung der Gewichte hin zu einem zentralen gesundheitswirtschaftlichen Standort deutlich. Indem Ressourcen allen Bekundungen zum Trotz den Gesundheitsregionen entnommen werden - dies ist dem Konzept Gesundheitscampus sachlich immanent - wird auch die Außendarstellung zentralistisch vollzogen, so dass Typik und Identität der regionalen Netzwerke wie auch ihre spezifische Problemlösungskompetenz unter dem zentralen „Dach“ des Gesundheitscampus kaum noch wahrgenommen werden können. Angesicht der bislang noch dezidiert betriebenen Clusterausrichtung des Landes in der Leitbranche Gesundheitswirtschaft und der Gesundheitsversorgung, irritiert ein solcher - darin zum Ausdruck gelangender - Paradigmenwechsel von einem bislang profilierten dezentralen Clustermodell hin zu einem zentralen Verständnis von Wachstumskernen und einem korrespondierenden zentralen Modell verwalteter Gesundheitsleistungen. Der Widerspruch zwischen den bislang geförderten regionalen Potenzialen und dem Richtungswechsel hin zu einer Zentralisierung der Gesundheitsleistungen scheint auch den politischen Initiatoren des Konzeptes Gesundheitscampus bewusst zu sein. Auf die Inkonsistenz zur bisherigen dezentralen Förderung der Gesundheitswirtschaft und die Besorgnis um den Bestand der eingespielten Kooperations- und Wertschöpfungsstrukturen angesprochen, antwortete der Ministerpräsident des Landes NRW, Dr. Jürgen Rüttgers der MdB Gudrun Kopp (FDP), dass die NRW Landesregierung mit dem geplanten Gesundheitscampus nur eine Ergänzung, mithin Verstärkung der Ziele der Clusterentwicklung in den Gesundheitsregionen anvisiere, so dass die NRW Gesundheitswirtschaft in Gänze für den internationalen Wettbewerb gestärkt werde. „Campus und Regionen sollen einander ergänzen zu 81 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht einem landesweiten Netz der Exzellenzen“, so Jürgen Rüttgers in einem Brief an Gudrun Kopp. Beim geplanten Gesundheitscampus im Ruhrgebiet setze die NRW- Landesregierung auf internationale Wettbewerbsfähigkeit, schrieb Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident des Landes NRW, an Gudrun Kopp, MdB, als Replik auf ihre kritische Wertung der Entscheidung der Landesregierung vom Sommer 2008. „Der Gesundheitscampus NRW soll und kann die Gesundheitsregionen nicht ersetzen, sondern er stützt sich auf die Exzellenz der Regionen, gerade auch der Region Ostwestfalen-Lippe“, so Ministerpräsident Rüttgers in seiner ausführlichen Stellungnahme. Diese regionale Stärke habe, laut Kopp, der Ministerpräsident auch ausdrücklich zugestanden, wobei er sogar „von einem Aufbau neuer Beschäftigung im Gesundheitsbereich von OWL ausgeht“, so Kopp.60 Abgesehen von der Frage der Wahrscheinlichkeit einer solchen Einschätzung, bedarf es eines genaueren Blickes auf die tatsächliche vom MAGS vorangetriebene Entwicklung - insbesondere die Ausschreibung für den Standort des Gesundheitscampus. Dass es sich bei den salvierenden Einlassungen zur Zweigleisigkeit des Vorgehens bei der Verfolgung des Gesundheitscampus und der Förderung und Stärkung der Regionalität seitens des Ministerpräsidenten nur um politische Rhetorik handelt, dekuvriert die Intention, das LIGA.NRW von seinen regionalen Standorten abzuziehen und es mit einem veränderten Leistungsportfolio an den Standort Gesundheitscampus zu überführen. Dadurch gerät das LIGA.NRW zum einen in die Gefahr, sich der privatwirtschaftlichen Interessenorientierung des Gesundheitscampus zu assimilieren und zum anderen seine Netzwerkbindung an den regionalen Schnittstellen aufgeben zu müssen. Dies jedoch impliziert - wie noch ersichtlich werden wird - erhebliche Auswirkungen im Hinblick auf eine qualitative Verschlechterung des ÖGD und des Gesundheitswesens im Rahmen der Gesundheitsregionen. 10.1 Regionalisierung als dezentrales Modell versus Konzentration als zentrales Modell Mit der geplanten Zusammenführung der LIGA.NRW Standorte Düsseldorf, Bielefeld und Münster an den zentralen Standort Gesundheitscampus wird die bisherige 60 Quelle: FDP Ostwestfalen-Lippe, 17.11.2008. 82 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht gesundheitspolitische Ausrichtung der Landesregierung diametral verändert. Der bisherige Clusteransatz - so wie er in den fünf Gesundheitsregionen und vielen lokalen Initiativen - mit großem Engagement über Jahre vorangetrieben wurde, wird damit zu Gunsten eines zentralen Standortes der Gesundheitswirtschaft und zu Lasten der erfolgreichen regionalen und lokalen Cluster und gesundheitspolitischen Initiativen verändert. Zwar behauptet das MAGS, dass dies keineswegs der Fall wäre, da weiterhin die Gesundheitsregionen in erheblichem Maße gefördert würden, wofür allein schon das seit 1.Januar 2008 eingerichtete zentrale Clustermanagement spräche. Allerdings ist hierbei kritisch anzumerken, dass das Clusterverständnis, das dem Clustermanagement zugrunde liegt, die dezentral organisierten regionalen Cluster der Gesundheitswirtschaft als ein Ganzes, also die Gesundheitswirtschaft sui generis als ein einziges Cluster begreift - wofür auch die zentrale Vernetzung der verschiedensten Initiativen - spricht. Ein solches Grundverständnis, dem zur Folge die Gesundheitswirtschaft in NRW als ein eigenständiges Cluster begriffen wird, leistet damit einer Zentralisierung der faktisch existierenden regionalen Cluster Vorschub, da die jedem Clusterbegriff immanente lokale bzw. regionale Bedeutungsdimension ignoriert wird. Um den Unterschied des Begriffsinhaltes und damit der konträren Konzeptionen, die sich in ihm begründen, deutlich zu machen, ist noch einmal kurz der Bedeutungsgehalt des Clusterbegriffs zu reflektieren. Cluster im originären Sinne sind regionale oder überregionale KooperationsNetzwerke, in denen verschiedene Akteure, wie z. B. Produzenten, Lieferanten, Dienstleister, Forschungseinrichtungen sowie unterstützende Institutionen (z.B. Verbände, Kammern) in räumlicher Konzentration, entlang von Wertschöpfungsketten miteinander kooperieren. Die dadurch bedingten Synergieeffekte entstehen dadurch, dass unter den Kooperationspartnern ein reger Know-how Transfer stattfindet, da die im Cluster koordinierten Einrichtungen und Unternehmen über die Fähigkeit verfügen, „Wissen und Erfahrung zwischen ähnlichen Wertschöpfungs-Ketten zu übertragen.“61 61 Peter Meierhofer, Strategisches Management: Nutzen Sie Synergien, www.organisator.ch Nr. 3/03. 83 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht So gewinnen die Akteure etablierter Netzwerke durch ihren intensiven Austausch von Informationen und Wissen, das in Form sich ergänzenden Know-hows den gesamten Wissenspool des Clusters fortwährend qualitativ für alle Akteure vor Ort positiv verändert, erhebliche Innovationsvorteile - sei dies nun in ökonomisch rationaler Hinsicht (Wachstumspotenzialstärkung und Wettbewerbsvorteile) - oder im Hinblick auf die Entwicklung innovativer gesundheitspolitischer Zielbestimmungen in regionaler Hinsicht. Dadurch lassen sich - in den Kategorien ökonomischer Rationalität betrachtet - für alle Netzwerkakteure die Transaktionskosten senken. Zudem erleichtert dies die Angebotsspezialisierungen von Faktormärkten in Bezug auf Arbeit und Kapital, aber ebenso auch den Zugang zu technologischen und wissenschaftlichen Quellen. Der Zugang und der Austausch von Informationen über Markt- und Technologieveränderungen sowie Innovationen in einem Kompetenzfeld, kann auf der regionalen Ebene eines räumlich eingegrenzten Netzwerkes effektiver gestaltet werden, als von einem zentralen Standort aus. Das Zusammenspiel mit den Akteuren auf lokaler Ebene initiiert nämlich perennierende Lernprozesse und formuliert entsprechend differenzierte - auf die regionalen Schnittstellen wie auch auf größere, übergreifende Verbünde bezogene - platzierbare Angebots- und Nachfragstrukturen. Die räumliche Nähe in einem Cluster stellt hierbei einen signifikanten Erfolgstreiber der Synergiebildung dar, da sie institutionelle Vorteile bietet, Zugang zu Wissen zu erlangen, mit den Möglichkeiten des Austausches, der gezielten Anwendung und der Evaluation von Know-how. Diese Interaktion der Akteure im regionalen Rahmen initiiert also Lernprozesse, die wiederum über Innovationen auf die Region zurückwirken. Wissens-Spill-overs oder eine verbesserte Wissensverbreitung sind die hauptsächlichen Motive für Mitglieder, sich an den Netzwerkaktivitäten zu beteiligen und diese zu unterstützen. Hierbei ist jedoch ein wesentlicher Faktor zu beachten. Die räumliche Konzentration der kooperierenden Netzwerkakteure ist regionalspezifisch fundiert. Sie beruht auf einer Vielzahl von regional gewachsenen Austauschsprozessen, die die sich herauskristallisierenden Kompetenzfelder einer Region begründen. Regionale Netzwerke entstehen nur dort, wo die in einer bestimmten Region angesiedelten Akteure auf eine gemeinsame - oft tradierte - wirtschaftliche Basis zurückgreifen können. 84 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Aus diesem Grunde spricht Porter auch hinsichtlich seiner, der gesamten Clusterdiskussion zugrunde liegenden Definition des Clusters „von einer kritischen Masse von Unternehmen in einem besonderen Tätigkeitsfeld an einem besonderen Standort" sowie einem in der Regel branchenübergreifenden spezialisierten Netzwerk von Unternehmen und unterstützenden Institutionen.62 Cluster lassen sich demnach als „räumliche Ballung verwandter Wirtschaftszweige mit intensiven intraregionalen Verflechtungen“ definieren.63 Cluster sind also in gewachsenen regionalen bzw. Standort-Bezügen und schon bestehenden Netzwerk- bzw. Wertschöpfungsstrukturen fundiert und lassen sich keineswegs künstlich durch Zusammenführung von unterschiedlichen Akteuren und dem Versuch ihrer Vernetzung an einen zentralen Standort - quasi auf der „grünen Wiese“ bilden. Unter dieser Perspektive wird deutlich, dass man „Cluster […] nicht bilden (kann), sie müssen erst einmal existieren. Dann sind Kriterien für ihren Erfolg: die signifikante Größe für die regionalwirtschaftlichen Akteure; die Lebendigkeit der Cluster: sie müssen sich ständig erneuern, innovativ sein und bleiben; der angemessene Branchenmix: soviel Ähnlichkeit wie möglich, soviel Heterogenität wie nötig; Kooperation und Verflechtungen müssen intra- und interregional vorhanden sein sowie ein Mix der verschiedenen Betriebsgrößenklassen“64 Die Validität dieser Aussage, lässt sich anhand der Herausbildung und Entwicklung regionaler Biotech-Cluster in den USA belegen. Die Biotech-Branche hatte in den vergangenen 15 Jahren in den USA außergewöhnliche Wachstumsraten zu verzeichnen. Meldeten Biotech-Unternehmen 1992 in den USA 1358 Patente an, waren es 1997 bereits 3014. Von 1990 bis 1999 stie62 Vgl. Porter 1991 u. Olaf Arndt: Cluster als Faktor im Standortwettbewerb. Potenziale und Erfahrungen, Vortrag auf der AGKW-Jahrestagung 2006 63 Rolf Sternberg: Diskussionsbeitrag auf dem RMI Wissenschaftsforum: Zukunft RheinMain, Darmstadt 2002, in: Wissenschaftsforum: Zukunft Rhein-Main: Erfolgsfaktoren regionaler Wirtschaftsentwicklung Cluster und Netzwerke in der Rhein-Main-RegionDarmstadt 2002, S.9 ff. 64 Rolf Sternberg: Diskussionsbeitrag auf dem RMI Wissenschaftsforum: Zukunft RheinMain, Darmstadt 2002, a.a.O., S.9. 85 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht gen die jährlichen privaten Investitionen in den Bio-Pharma-Bereich von 10 auf 24 Mrd. US $ (Rosenberg, 1999). So zeigte sich, dass das explosionsartige Wachstum der Biotech-Branche in den Jahren von 1990 bis 1999 geografisch sehr ungleichmäßig verteilt war. Diese regionale Ungleichverteilung hatte allerdings, wie die Erkenntnisse aus einem diesbezüglichen Forschungsprojekt deutlich machten, gute Gründe. So kommen die Autoren zu dem Resultat, dass überzeugende Gründe dafür sprächen, „warum die Biotech-Unternehmen sich in einigen wenigen eng begrenzten Regionen konzentrieren und warum sich gerade diese Regionen zu bevorzugten Standorten für BiotechUnternehmen entwickelt haben. Der wichtigste Produktionsfaktor in der BiotechWirtschaft ist spezialisiertes Fachwissen. In der Regel gelingt es nur wenigen Wissenschaftlern, sich dieses anzueignen. Wissenschaftler mit einem solchen Fachwissen brauchen darüber hinaus Informationen über potenzielle Märkte für Produkte, die sich aus diesem Fachwissen entwickeln lassen. Darüber hinaus müssen sie auch den Wunsch und die Bereitschaft mitbringen, dieses Fachwissen unternehmerisch zu verwerten. Die kommerzielle Nutzung von Fachwissen schließlich erfordert Risikokapital und spezifische unternehmerische Fähigkeiten. Alle diese Faktoren an einem Ort zusammenzubringen, ist außer in einigen wenigen, privilegierten Regionen nicht gelungen.65 Weiterhin zeigt sich, dass „Zeitpunkt und Ort der Gründung neuer Biotech-Firmen sich „vorrangig durch die Präsenz von Wissenschaftlern erklären lässt, die sich aktiv an der Grundlagenforschung beteiligen.“ Noch präziser, neue Firmen werden in der Biotech-Branche am wahrscheinlichsten dort gegründet, wo Wissenschaftler ansässig sind, die zum Thema Gensequenzierung publizieren.“66 Entscheidend für die Clusterbildung war die schon vorhandene Forschungsinfrastruktur, an die die Unternehmen und Start-ups dann andocken konnten, so dass im Prozess weiterer Vernetzung - aufgrund der Attraktivität für Unternehmen, die die Vermarktung der Forschungsergebnisse in Form strategischer Allianzen im Netzwerk vornahmen - sich über diese kollaborierenden Netzwerke allmählich Cluster entwickeln konnten. 65 David B. Audretsch/ Phil Cooke: Die Entwicklung regionaler Biotechnologie-Cluster in den USA und Großbritannien, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Nr. 107 / Juni 2001, S.4 ff. 66 Ebenda. 86 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Würde man die Wissensressourcen also aus einem solchen Cluster - wie beispielsweise hinsichtlich der Idee Gesundheitscampus mit der Überführung des LIGA.NRW geplant - herauslösen, wären die Wertschöpfungsprozesse wie auch die innovative Kraft dieses regionalen Clusters in erheblichem Maße betroffen. Analog dazu würde sich mithin der Abzug der für die Region entscheidenden Ressourcen, die das dezentrale LIGA.NRW den regionalen Standorten zuführt, ebenfalls negativ auswirken, da ein entscheidender Clusterakteur fehlen würde. Die Qualität der gesundheitsbezogenen Infrastruktur wie auch die gesundheitswirtschaftliche Wertschöpfung würden dadurch tangiert. Cluster sind in der Lage, Spezialisierungen (Kompetenzfelder) zu generieren und dadurch eine Effizienzsteigerung aufgrund der Zusammenarbeit in Sektoren wie Ausbildung, Finanzen, Technologie-Entwicklung, Produkte, Marketing und Vertrieb zu bewirken. Hierbei ist - um es noch einmal hervorzuheben - die räumliche Einbettung der Akteure in vorhandenen Interaktionsstrukturen der entscheidende Erfolgsfaktor. Der Austausch von Unternehmen und Forschungseinrichtungen bedarf der regionalen Nähe, da sie den informellen Austausch und die Ansammlung von implizitem Wissen ermöglicht. Hierbei stellen die Face to Face Kontakte, trotz der Möglichkeiten von Vernetzungen auf der Ebene I. u. K. - Technologien nach wie vor den wohl wichtigsten Erfolgstreiber dar. Dieses soziale Kapital darf in einem Cluster niemals geopfert werden. Denn hierin gründet eine wesentliche Quelle für innovative und kreative Prozesse, wobei die Interaktion an den unterschiedlichen lokalen Standorten (Verbände, Institute, Messen, Restaurants, Universitäten etc.) stattfinden kann. Aufgrund dieser Typisierung des Clusters wird deutlich, dass es nicht nur begrifflich einen Unterschied macht, ob der Clusterbegriff in seinem Bedeutungsgehalt alle Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen, die in einer regional unspezifisch definierten räumliche Struktur als bestimmend für den Wirtschaftszweig betrachtet werden, definiert oder die jeweilige spezifische regionale Vernetzung entlang von regional definierter Wertschöpfungsketten (Gesundheitsregionen) intendiert. Im ersten Fall, lässt sich abstrahiert von den geographisch bestimmbaren Wertschöpfungsnetzwerken und -prozessen auch eine zentrale Kooperationsstruktur legitimieren, aber eben ungeachtet der regionalen Besonderhei- 87 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ten der Netzwerke. Dies wäre der Clusterbegriff, der dem zentral organisierenden Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein- Westfalen) mit seiner Supportfunktion aus den LIGA.NRW-Ressourcen zugrunde läge. Im zweiten Fall wird die Besonderheit des regionalen Cluster in den Vordergrund gestellt, so dass deutlich wird, dass die Spezifik der Vernetzung in ihrer Qualität für die Wertschöpfung dieses regionalen Netzwerkes (Clusters), ohne den Bestand und die Interaktion aller vorhandenen Netzwerkakteure nicht funktionsfähig ist. Brechen gewichtige regionale Netzwerkknoten weg (etwa ZIG und LIGA.NRW in der Region OWL), dürfte sich die Wertschöpfung wesentlich verändern, möglicherweise sogar erheblich verschlechtern. Von einem Cluster zu sprechen, macht also nur Sinn, wenn die Spezifik der Vernetzungen der regionalen Wertschöpfungskette sowohl entlang den vertikalen wie auch horizontalen Kooperationsnetzwerken und branchenübergreifenden Wertschöpfungsketten in den Blick gelangt. So hilfreich ein zentrales Clustermanagement zur Vernetzung der einzelnen regional verorteten Initiativen auch sein mag (so bei der Initiative „Brückenschlag“, um nur ein profiliertes Beispiel von vielen zu nennen), so ist doch in erster Linie die Dynamik der Wertschöpfungsprozesse in den sich über Jahre entwickelten (regionalen) Clustern von entscheidender Bedeutung, um überhaupt von einer sich dynamisch entwickelnden Leitbranche Gesundheitswirtschaft sprechen zu können. Es ist die Vielzahl der regionalen Cluster, in der sich die gesundheitswirtschaftliche Wertschöpfung manifestiert. Ihre Vernetzungspotenziale und Vernetzungsqualität in Form von vielfältigen Allianzen und Kooperationen entlang der Wertschöpfungsketten entscheiden maßgeblich darüber, welcher Mehrwert gesundheitswirtschaftlich erwirtschaftet wird. Insofern lassen sich solche Prozesse zwar mit entsprechendem Know-how begleiten, jedoch niemals zentral steuern und im eigentlichen Sinne auch nicht initiieren. Insofern ist die Feststellung Brigitte Meiers, der Clustermanagerin des Clusters „Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologie“ richtig, wenn sie darauf hinweist, dass ohne „eine regionale Basisaktivität eine Clusterbildung auf Landesebene nicht möglich (ist)“. Weshalb im Rahmen des Clustermanagements 88 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der Aufbau und die Profilbildung von regionalen Kooperationen unterstützt werden soll.67 Allerdings zeigt sich hieran ebenso auch, dass den Aktivitäten wiederum ein Clusterbegriff zugrunde liegt, der einer Zentralisierung der Gesundheitswirtschaft und ebenso auch wesentlicher Teile des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Vorschub leistet. Denn wenn die Gesundheitswirtschaft zum einen seitens des MAGS als Ganzes als ein für sich bestehendes Cluster begriffen wird, und seitens der Landesregierung im Hinblick auf ihre Innovationsinitiative von dem Leitmarkt Gesundheit gesprochen wird, der sich in fünf Clustern konkretisiere (NRW.Gesund- heitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien; NRW.Medizinforschung / forschungsintensive Medizintechnologien; NRW.Biotechnologie sowie NRW.Ernährung), so rücken die eigentlich relevanten regionalen Cluster an den Rand des Blickfeldes.68 Die regionalen Schnittstellen der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse, wie die für das Gesundheitswesen entscheidenden Einflussgrößen und Erfolgstreiber einer qualitativen Förderung des Gesundheitswesens, also die Initiativen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und des diese Prozesse begleitenden und steuernden LIGA.NRW, werden damit in ihrer Bedeutung marginalisiert. Die zentrale Steuerungsperspektive erweist sich somit als vorherrschend. Vor diesem Hintergrund erscheint mithin der Prozess hin zu einer Standortkonzentration der vermeintlich wesentlichen Ressourcen der Gesundheitswirtschaft an einem zentralen Standort nur als konsequent. Insofern definiert sich auch die Rolle des Kompetenzzentrums Gesundheit (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) unter Einbeziehung des Clustermanagements Gesundheitswirtschaft das ebenfalls aus der Region OWL abgezogen werden und auf dem Gesundheitscampus NRW im Rahmen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) angesiedelt werden soll - sachlogisch konsequent aus den Prämissen der Zentralität und eines eher desorientierenden Clusterverständnisses. Das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) soll eine 67 Auf: www.zig-owl.de Vgl. hierzu auch: Henze, Michael: Excellenz setzt sich durch - Innovationswettbewerbe in NRW. Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Brühl 2008. 68 89 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zentrale Stelle für Forschungskooperationen bilden. Es soll als Ansprechpartner und bevorzugte Schnittstelle für die Koordination von Technologiestrategien, Technologietransfer und Vorvermarktung von Vorhaben der angewandten Gesundheitsforschung fungieren, wobei es die Akquisition von Projektvorschlägen, Aufbereitung zu förderungswürdigen bzw. umsetzungsreifen Vorhaben Unterstützung bei der Verwertung bzw. Umsetzung der Projektergebnisse zu leisten hat. Laut Kabinettsbeschluss gehören zu den wesentlichen Aufgaben des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) Strategieentwicklung und gesellschaftlicher Dialog, Entwicklung von Leitprojekten, nationale und internationale Kommunikation und Vermarktung, Förderberatung, Wissens- und Informationsmanagement (Overhead). Die Vernetzung mit der Simulationsforschung, wobei ein Ansprechpartner zur Simulationsforschung das Servicenetz auf dem Gesundheitscampus komplettieren und Verknüpfungen zu wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem FZ Jülich schaffen soll. (Simulations-Forschung ist ein wichtiger neuer Zweig auch für die Gesundheits- und Versorgungsforschung, die u. a. bei epidemiologischen Studien, Berechnung von Molekular- und Wirkstoffstrukturen oder Ausbreitungsmodellen von Infektionskrankheiten zum Einsatz kommen kann). In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus von entscheidender Bedeutung, dass das “ bereits bestehende Clustermanagement Gesundheitswirtschaft in das Kompetenzzentrum integriert (wird)“ ; und dass das 90 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) „Support-Funktion für die regionalen Entwicklungskonzepte“ hat. Daran zeigt sich, dass hier eine zentrale Instanz der Steuerung und Zuweisung von Ressourcen etabliert werden soll, die letztlich den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum der regionalen Akteure einengt und im schlimmsten Falle konterkariert, indem hierbei wesentliche regionale Ressourcen überführt und zentral verwaltet werden. Nicht ohne Überlegung spricht das MAGS in diesem Kontext von der Vorbildfunktion, den die NIH für diese Organisationsstruktur bieten. („Mit dem Gesundheitscampus nehme sich die Landesregierung die amerikanischen National Institutes of Health zum Beispiel, ohne diese zu kopieren.“) Hierbei bleibt allerdings fraglich, welches Moment des strukturbildenden Vorbildes denn nun eigentlich am Gesundheitscampus mit welcher Zielvorgabe umgesetzt werden soll. Eine eindeutige oder wenigstens erkenntnisleitende Antwort ist bislang vom MAGS hierzu noch nicht gegeben worden. Vermuten lässt sich allerdings, dass mit der angeblichen Zentralität des NIH-Modells weniger die Institute selbst gemeint sein dürften, als deren zentrales Management. Hier lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Funktion und der Steuerungskompetenz der Forschungsprozesse im Hinblick auf die gesamte Strategieentwicklung aller Akteure am Gesundheitscampus feststellen, so wie sich dies im Aufgabenportfolio des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) ausdrückt. Sollte also das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) in Anlehnung an die Funktionen der Stabsstelle der NIH entwickelt werden, so dürfte die Eigenständigkeit des LIGA.NRW in höchstem Maße tangiert werden. Denn die Organisationsstruktur des NIH impliziert im Hinblick auf die zentrale Steuerung durch das Office of the Director einen durchweg hierarchischen Aufbau. Der Direktor des NIH und seine Stabsstelle (Office of the Director) als die zentrale Verwaltungseinheit mit Richtlinienkompetenz gegenüber den Instituten ist - auf der Grundlage der Zuarbeitung der untergeordneten Verwaltungseinheiten für Research, Funding and Coordination Communications 91 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Administration & Services policy science policy, science education etc. Administration & Services. die zentrale Steuerungseinheit, die die Ausrichtung aller Aktivitäten - entsprechend den Vorgaben der US-Gesundheitsbehörde - exekutiert. Das Office of the Director ist für die gesamte inhaltlich strategische Ausrichtung der NIH, für die Planung, das institutionelle Management der auf dem Campus vertretenen Institute und für die Koordination der Programme und Aktivitäten aller im Rahmen der NIH organisierten Institute und (Verwaltungseinrichtungen) wie auch strategische übergeordnete Forschungseinrichtungen verschiedenster Themenstellungen verantwortlich.69 Insofern ist der organisatorische Aufbau der NIH vor dem Hintergrund der strategischen Funktion wie auch der Weisungsbefugnis der zentralen Stabsstelle für alle Einrichtungen des Campus durchaus als ausgesprochen zentralistisch und straff hierarchisch organisiert, zu bewerten. Unter dieser Perspektive wird die Koordination von Kooperationsbeziehungen der Institute untereinander sehr wohl wiederum mittels der Offices unter der Regie des Office of the Director (OD) sichergestellt. Zudem entscheidet das Office of the Director über die Zuwendungen der Mittel aus der Gesundheitsbehörde und bestimmt damit über die Forschungsetats der Institute, was letztlich auch bedeutet, dass das OD Einfluss (nach Maßgabe der US Gesundheitsbehörde) auf die Forschungsinhalte und die Projekttätigkeit bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit nimmt. Hierbei ist zu sehen, dass die National Institutes of Health weltweit der größte Geldgeber für die Forschung auf dem Gebiet der Bio- und Umweltwissenschaften sind. Das jährliche Budget beträgt annähernd 29 Mrd. US-$, das sind rund 28 % der gesamten Ausgaben in den USA für biomedizinische Forschung. (Stand 2008). Abgesehen von dieser Dimension der Forschungsförderung in den USA bleibt jedoch die in etwa analoge Funktion der beiden Steuerungszentralen für die Akteure am jeweiligen Standort bemerkenswert. Sollte also das Kompetenzzentrum (Strate- 69 In Originalsprache: The OD is responsible for setting policy for NIH and for planning, managing, and coordinating the programs and activities of all the NIH components, Homepage NIH. 92 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht giezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) im Office of Director sein Vorbild gefunden haben, wofür immerhin Indizien wie ein in etwa gleiches Leistungsportfolio, Durchführung bzw. Steuerung der Projektorganisation, Controlling, Evaluation Zentrale Stelle für Forschungskooperationen Strategieentwicklung und gesellschaftlicher Dialog, Förderberatung Wissens- und Informationsmanagement (Overhead) sprechen, so werden sich die Akteure am Standort, insbesondere das LIGA.NRW, mit einer durchaus restriktiveren Verwaltungsstruktur konfrontiert sehen, da wesentliche Entscheidungsbefugnisse dann zentralisiert würden und nicht mehr in der Verantwortung des LIGA.NRW selbst blieben. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionen, die das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) laut Absicht der Landesregierung zu versehen hat, nämlich Unterstützung bei der Verwertung bzw. Umsetzung der Projektergebnisse zu leisten und als Ansprechpartner und bevorzugte Schnittstelle für die Koordination von Technologiestrategien, Technologietransfer und Vorvermarktung von Vorhaben der angewandten Gesundheitsforschung zu fungieren sowie Entwicklung von Leitprojekten, nationale und internationale Kommunikation und Vermarktung voranzutreiben wird zudem deutlich, dass mit der Positionierung des LIGA.NRW, wie auch aller anderen Akteure am Standort des Gesundheitscampus, die Gefahr einhergeht, dass sie von einer kommerziellen Dynamik erfasst zu werden. Die Leitbegriffe, die die Funktion des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) umschreiben, wie Verwertung, Vermarktung und Vorvermarktung, lassen den privatwirtschaftlichen, gewinnmaximierenden Tenor deutlich werden. Für das LIGA.NRW dürfte diese Kombination aus einer fremdbestimmten, eher heteronomen Bedingungen unterstellter Positionierung am Standort und einer Interes- 93 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht senkoordination, die auf die Verwertungsbedingungen der Gesundheitswirtschaft und deren Interessen an der Vermarktung von Forschungsergebnissen, Produkten und Dienstleistungen wie überhaupt auf ein weitgehend marktförmig organisiertes Gesundheitswesen abhebt, eine Funktionsbeeinträchtigung für das Leistungsspektrum des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und für die Gesundheitsförderung im Rahmen der Entwicklung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen darstellen. Inwieweit für die sicherlich im Kontext der Gesundheitswirtschaft dominantere wirtschaftliche Rolle des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) die NIH Vorbildfunktion haben, mag dahingestellt sein - die privatwirtschaftlichen Nutzungsrechte von Patenten, die durch die Forschungsförderung der NIH sich rasant entfalten, mögen dafür sprechen - aber die mit dem Kernelement des Gesundheitscampus verknüpften Intentionen der Landesregierung sprechen unmissverständlich für eine zunehmende Kommerzialisierung. Abgesehen von diesem problematischen Ansatz einer zentralen Koordinationsstelle mit strategischer Weisungsbefugnis im Rahmen ihrer Supportfunktionen ist allerdings fraglich, inwieweit die NIH überhaupt eine Blaupause für einen zentralen Ansatz der gesundheitswirtschaftlichen Weichenstellung abgeben können. Denn die NIH als Teil des U.S. Department of Health and Human Services bestehen immerhin aus 27 Instituten und Zentren, die mit über 75 Gebäuden auf einem Campus in Bethesda, Maryland konzentriert relativ dezentral aufgestellt sind. Dies betrifft insbesondere auch deren Vernetzung, die zwar auch untereinander besteht , aber ebenso auch einem dezentralen Ansatz der Forschungsförderung insofern folgt, als dass Projektmittel von den einzelnen Instituten US- weit an entsprechende Kooperationsinstitute vergeben werden, die größtenteils als Exzellenzinitiativen die entsprechenden fachlichen Kernkompetenzen ausgebildet haben. Diese dezentrale regionale Interdependenz lässt sich an dem Beispiel des National Cancer Institute (NCI)70, der wohl weltweit größten und renommiertesten Forschungs-Einrichtung hinsichtlich der Krebsforschung, Prophylaxe, Diagnostik und Kuration sehr gut illustrieren. 70 Das NCI hat seinen Hauptsitz auf dem Campus der NIH in Rockville Cancer Centers Program. National Cancer Institute 6116 Executive Boulevard Suite 700, MSC 8345, Rockville, MD 20892-8345. 94 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dennoch liegt hier keine zentrale Struktur im Institutsaufbau vor. Vielmehr werden eine Reihe von Forschungsaufgaben - und andere Aktivitäten, die auch in Richtung forschungs- und wissensbasierter Öffentlichkeitsarbeit gehen, von dezentralen Standorten wahrgenommen, die räumlich entfernt von dem zentralen Standort situiert sind. So wird eines der wohl relevantesten Forschungsfelder des NCI, die Erforschung der Molekularstruktur und des Wachstumsmechanismus von Karzinomen und Aids, in den Forschungslaboratorien des NCI-Frederick Campus auf dem Areal der USArmy in Frederick, Maryland bearbeitet. Überdies kooperieren NCI und die US-Army am Standort Frederick u.a. im Rahmen der Gesundheitsvorsorge und Wellness. Sie entwickeln und erproben Trainingsprogramme zur Gewichtsreduktion und führen in diesem Themenfeld US-weite Wettbewerbe durch. Ebenso dezentral gegenüber dem Hauptstandort der NCI sind die Excellenz Center des NCI organisiert, die u.a. neben ihren Forschungsaufgaben vor allem die Krebsaufklärung in Form einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere einer verständlichen und umfassenden Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gewährleisten. Hierbei werden neueste Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften ebenso eingesetzt, wie Forschungsleistungen auf diesem Gebiet erbracht. Diese Exzellenzzentren des NCI liegen ebenfalls abseits des Campus. Es handelt sich hierbei um die entsprechenden Fachbereiche der Universitäten Michigan, Saint Louis Wisconsin Pennsylvania. Ebenso verfügt auch das National Institute on Aging (NIA) mit Hauptsitz auf dem Campus über eine Reihe wichtiger Excellence Center, die unverzichtbar für seine Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit sind. So beispielsweise an der University of Pittsburgh. Dieses dezentrale Forschungsprofil dürfte wohl kaum dem zentralen Ansatz, wie er von der Landesregierung verfolgt wird, als Vorbild dienen. Er entspräche vielmehr dem dezentralen Modell der gegenwärtigen LIGA.NRW-Standorte. Insofern würden 95 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die NIH wohl eher eine „Blaupause“ für den bislang erfolgreich im Öffentlichen Gesundheitsdienst verfolgten Ansatz darstellen, Kompetenzen, die regional gebunden sind und die Synergien, die sich aus den gewachsenen regionalen Netzwerken der Forschungslandschaft an den Standorten des LIGA.NRW realisieren lassen, an den Standorten zu belassen und dezentral weiterzuentwickeln. Zum einen wäre es nicht hilfreich die Exzellenzzentren an einem zentralen Standort zusammenzuführen und damit von den für sie existenziell wichtigen Ressourcen ihrer regionalen standortbezogenen Netzwerke abzuschneiden, und zum anderen dürften die Forschungssatelliten eines jeden Institutes wohl wenig Synergien mit anderen Instituten auf dem Campus aufweisen. Dies ist ebenso hinsichtlich der unterschiedlichen Leistungsbereiche des LIGA.NRW der Fall. Auch hier ist keineswegs davon auszugehen, dass die beabsichtigte Synergiebildung, die mit der Idee eines zentralen Campus verfolgt wird, eine realistische Basis hat. Denn zum einen ist überaus zweifelhaft, ob eine zentrale administrative Overheadstruktur überhaupt sinnvoll für das LIGA.NRW ist, und zum anderen bleibt fraglich, welche Kooperationspartner sich überhaupt für das LIGA.NRW gegenwärtig und vor allem im Hinblick auf die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben ergeben könnten. Diese Problematik lässt sich an der geplanten Verlagerung der AUST darstellen. Die im Rahmen der Aufgabenkritik durchgeführte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung kommt hinsichtlich der Analyse des von der Landesregierung favorisierten Szenarios - Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW und Verlagerung an dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW - zu dem Resultat, dass Synergien aufgrund gemeinsamer Organisationsstrukturen bei dem Verwaltungsaufwand des AUST und bei entsprechender Organisation eines gemeinsamen Laborbereiches (beim Labor-Management und Beschaffung) für alle LIGA.NRW Leistungsbereiche realisiert werden können. Ebenso aber konstatiert das Gutachten, dass durch „die Aufgabe der bisherigen Zusammenarbeit mit dem CVUA Münster […] mit begrenzten Mehraufwendungen für die Analytik sowie Nachteilen für die fachliche Qualität der Arbeit zu rechnen wäre.“71 71 Nigmann, Ralf/Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, hrsg. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH 12.12.2008, S. 35. 96 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Explizit werden hier sachlich begründete Bedenken gegen eine Herauslösung eines LIGA.NRW Aufgabenbereiches aus seiner regionalen Vernetzung mit einem regional ansässigen Kooperationspartner geltend gemacht. Die Kooperationsbeziehung zwischen dem AUST und dem Chemischen Veterinäruntersuchungsamt reicht sehr weit zurück. Analog zu anderen Bundesländern in denen die Arzneimitteluntersuchungsstellen in anderen Institutionen integriert sind, die Überwachungsaufgaben wahrnehmen, wie beispielsweise die Lebensmittel- und Veterinärüberwachung, war auch die AUST.NRW bis 1994 im Chemischen Veterinäruntersuchungsamt in Münster integriert. Von 1995 an wurde sie dann ins neu gegründete LÖGD überführt und dort im Fachbereich 5 mit ca. 28 Mitarbeitern verankert. Sachliche Gründe, wie Synergiebildung durch Bündelung von Kompetenzen oder Ressourcen, konnten hierfür jedoch nicht geltend gemacht werden. Allerdings konnte trotzdem aufgrund der noch gegebenen räumlichen Nähe ein enger fachlicher Austausch auf dem Gebiet der analytischen Untersuchungen zwischen der Arzneimitteluntersuchungsstelle und dem CVUA in Münster beibehalten werden. So entwickelten sich durch die enge Zusammenarbeit beider Institutionen, insbesondere auf dem Felde der chemisch-analytischen Spezialuntersuchungen, erhebliche Synergien, die nunmehr - falls eine räumliche Trennung vollzogen würde - verloren gehen würden. Noch problematischer auf die Aufgabenwahrnehmung der AUST würde sich jedoch die Überführung auf den Gesundheitscampus darstellen. Denn in Anbetracht der avisierten heterogenen Akteure aus der Gesundheitswirtschaft wie auch aus der Forschung, stellt sich die Frage nach neuen Kooperationspartnern vor Ort, die den Synergieverlust möglicherweise kompensieren könnten. In Anbetracht der klar definierten Pflichtaufgaben (amtliche chemisch-analytische Untersuchungen von Arzneimitteln auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes sowie Kontrolle der Herstellungsverfahren auf der Grundlage von Betriebsinspektionen) lassen sich keine potenziellen Kooperationspartner unter den wenigen genannten - aber noch nicht feststehenden - Akteuren am Campus finden, deren wissensbasierte, personelle oder materielle Ressourcen gemeinsam von der AUST mit entsprechenden Einsparpotenzialen oder einem qualitativen Mehrwert bei der Aufgabenerfüllung nutzbar wären. Vielmehr besteht die nicht zu übersehende Gefahr, dass bei dem dominant marktorientierten Profil des Gesundheitscampus der Interessenkonflikt zwischen Überwachungs- 97 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht und Kontrollfunktion im Sinne des Bürgers an der Sicherheit der Arzneimittel und den Unternehmensinteressen an einer Vermarktung der Produkte in die Arzneimittelüberwachungsstelle selbst integriert wird, wodurch die Gefahr besteht, dass hier die Unabhängigkeit und Neutralität in der Aufgabenwahrnehmung tangiert werden könnte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass das Bestreben, vermeintliche Kompetenzen an einem zentralen Ort bündeln zu wollen, indem dezentrale, funktionierende Kooperationsschnittstellen demontiert werden, sich geradezu kontraproduktiv auf das Leistungsportfolio und die Aufgabenerfüllung der entsprechenden Einrichtung auswirken wird. Durch die Konzentrationsversuche der Landesregierung werden intakte und überaus effizient arbeitende Netzwerke zerstört, die mitunter über Jahrzehnte gewachsen sind. Werden aus einem solchen Cluster Akteure - wie das LIGA.NRW abgezogen - so gehen in den Kooperationsverbünden wesentliche Inputs verloren. Die Verbünde beispielsweise aus Forschungseinrichtungen (Universitäten Bielefeld, Paderborn oder Münster) und LIGA.NRW-Ressourcen (im Hinblick auf Bielefeld und Münster das Zentrum für Öffentliche Gesundheit (ZÖG) sowie des Zentrum für Gesundheit in der Arbeit (ZGA) in Düsseldorf) - können damit ihrer Impulsgebung für die Region nicht mehr nachkommen. Unter dem Druck, nunmehr an einem anderen Standort ohne intakte Netzwerke (wie beispielsweise dem ZIG-OWL) mit Unternehmen und Einrichtungen interagieren zu müssen, die wenig bis keine Kooperationsschnittstellen aufweisen, liegt es nahe, sich einer zwangsweisen Zusammenarbeit mit den noch zu entwickelnden Kooperationsnetzwerken aus privatwirtschaftlichen und/oder öffentlichen Institutionen zu beugen und das eigene Leistungsportfolio auf den dann formulierten Bedarf abzustimmen. Damit jedoch sind die an der AUST aufgezeigten entsprechenden Risiken verbunden, ohne jedoch - hier im Falle des LIGA.NRW - einen nachhaltigen Nutzen im Hinblick auf einen regionalen Mehrwert für das öffentliche Gesundheitswesen erbringen zu können. Das dezentrale Konzept - so wie es sich im Clusteransatz in der Gesundheitswirtschaft symbolisiert, den die Landesregierung seit Ende 2007 - mit dem ins Leben gerufenen Clustermanagement - forciert vorangetrieben hat, war bislang ein Garant für eine sich dynamisch entwickelnde Gesundheitswirtschaft. Der Grund für den bisherigen Erfolg liegt auch darin, dass sowohl clusterimmanent wie auch clusterübergreifend neben den klassischen Erfolgsfaktoren eines Clusters wie der regionalen Nähe, die Austauschbeziehungen der Akteure entlang der Wertschöpfungskette, den Kooperationen zum Austausch sich ergänzender Fähigkeiten, die synergiebildend sind, vor allem die 98 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Konkurrenzbeziehungen unter den wirtschaftlichen Akteuren in einem Cluster, als auch unter den Gesundheitsregionen selbst, zu der aufgezeigten wirtschaftlichen Dynamik beitragen. Insofern gewährleistet die Dezentralität in der Dimension der Gesundheitsregionen auch den Wettbewerb, der wiederum zur jeweiligen Profilierung der Gesundheitsregionen beiträgt. Regionale Gesundheitscluster bieten den Vorteil, dass sich in ihnen unterschiedliche gesundheitswirtschaftliche Handlungsschwerpunkte ausbilden, mit denen sich die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen am Markt positionieren können. Aufgrund der Schwerpunktbildung kann sich zudem ein Expertenwissen in den Regionen akkumulieren, das eine wesentliche Bedingung für Exzellenzinitiativen in Forschung und Praxis darstellt. Mit ihren spezifischen kompetenzfeldbezogenen Netzwerken und den aus ihnen resultierenden Wertschöpfungsprozessen gewinnen Unternehmen, die in einer solchen Netzwerk- Allianz mit den für sie räumlich relevanten Akteuren kooperieren, komparative Vorteile am Markt; ebenso wie ganze Gesundheitsregionen aufgrund der in ihrem Clusterrahmen durch Vernetzung, kooperative Strategien und Synergien optimierten Ressourcen, ein internationales Profil mit ihren Kernkompetenzen erlangen können. Hierfür stehen die jeweiligen Kompetenzprofile der Gesundheitsregionen Metropolregion Ruhr, Ostwestfalen Lippe, Münsterland, Aachen, Köln/Bonn. Dies lässt sich an den gesundheitswirtschaftlichen Kompetenzen in OWL verdeutlichen. Als die wohl stärkste Kur- und Heilbäderregion NRW`s (Standort für 21 von 42 der nordrhein-westfälischen Kurorte und Heilbäder) verfügt diese Region über „besondere Kompetenzen in der Rehabilitation und Prävention.“72 Allerdings - und dies zeigte die Kurkrise Mitte der 90er Jahre - bergen solche Konzentrationen geradezu monostrukturellen Zuschnitts auf bestimmte Branchen oder deren Segmente auch Risiken. So stark auch die brancheninhärenten Kompetenzen sein mögen, so werden sie bei einer weniger breiten Aufstellung dennoch im Zuge der Veränderung ökonomischer Rahmenbedingungen in ihrer mehrwertbildenden Effizienz tangiert. Aufgrund des geringeren Verteilungsspielraumes erwuchs der Kur- und Heilbäderregion aus anderen Regionen in diesem Segment Konkurrenz. Aus diesem Grunde musste sich die Gesundheitsregion strategisch neu aufstellen. Die erworbenen Kompetenzen in der Rehabilitation und Prävention ausbauend, richten sich die Heil72 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): med. in NRW regional. Perspektiven der Gesundheitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe, S.17. 99 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht bäder neu aus, indem sie sich zum einen auf die Behandlung spezifischer Erkrankungen spezialisieren (Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes, Allergologie, Orthopädie, Neurologie, Tinnitus) und zum anderen neue Zielgruppen anvisieren, nämlich Kinder und Jugendliche, Migranten, Frauen und Senioren. Ein weiteres strategisches Kompetenzfeld bilden die Prävention und die Gesundheitsförderung. In diesem Bereich sind neue Projekte ebenso vorangetrieben wie auch neue Dienstleistungen kreiert worden. Begleitet wurde diese Entwicklung mit der Gründung neuer Unternehmen und Einrichtungen in den Kompetenzfeldern Kinder-, Jugend- und Frauengesundheit, betriebliche Gesundheitsförderung, Ernährung, Herz-Kreislauf und Diabetes sowie Sportmedizin. Ebenso ausgeprägt sind die Segmente Versorgung und Spitzenmedizin mit ausgewiesenen Spezialeinrichtungen und den Zentren der Spitzenmedizin, wie dem Herzund Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen und dem Epilepsiezentrum mit der Neurologie/Neurochirurgie in Bethel. Da OWL als stärkste Fremdenverkehrsregion NRWs fungiert, lag es nahe, aufgrund der gut entwickelten medizinischen Infrastruktur Tourismus, Fitness, Lifestyle und Wellness miteinander zu verbinden und sich so auch in diesem Segment neu aufzustellen. Ergänzt und weiterentwickelt werden die gesundheitswirtschaftlichen und das Gesundheitswesen betreffenden Aktivitäten durch die hierfür erforderlichen Ausbildungs- und Qualifizierungsressourcen im Bereich der Gesundheitsberufe sowie durch Forschungsschwerpunkte, die explizit auf Themen des Gesundheitswesens und der Gesundheitswirtschaft ausgerichtet sind. Zu nennen sind in diesem Kontext die Universitäten Bielefeld (Gesundheitswissenschaften) und Paderborn (Gesundheitswirtschaft, Schwerpunkt Prävention), die Fachhochschulen Bielefeld, Lippe und Höxter, die Fachhochschule für Diakonie (Bethel) sowie die Fachhochschule des Mittelstandes, die Studien- und Forschungsschwerpunkte etabliert haben, „die sich explizit an das Gesundheitswesen und die Gesundheitswirtschaft richten.“73 Die Struktur der Organisation der Kompetenzfelder der Gesundheitsregion zeigt, dass ausgehend von der Kompetenzbildung im Bereich der Heilbäder, vor allem Prävention und Gesundheitsförderung neben Spitzenmedizin und Qualifizierung ei73 Modellregion Ostwestfalen-Lippe - ganz oben in NRW. Strategischer Rahmenplan EFRE 2007 - 2013, Stand 2007, S.41. 100 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht nen hohen Rang einnehmen. Im Rekurs auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst bedeutet dies, dass mit den ausgewiesenen Kompetenzfeldern der Gesundheitsregion OWL zugleich erhebliche Schnittstellen zum LIGA.NRW, insbesondere zum Leistungsportfolio des ehemaligen LÖGD bestehen. An ihnen lässt sich aufzeigen, in welchem Maße dezentrale Organisationsstrukturen die Kompetenzfelder der Cluster stärken und zugleich die regionalen Kompetenzfelder ihrerseits wichtige Impulse in die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW Bielefeld einspeisen. Die Stärken der Gesundheitsregion OWL liegen in dem Segment Prävention- und Gesundheitsförderung. So ist in den Heilbädern ein hohes Kompetenzniveau in der Vermittlung von präventiven Dienstleistungen im Rahmen ihrer Rehabilitations- und Vorsorgeangebote ausgebildet. Diese beziehen sich neben der Akutversorgung und Rehabilitation vor allem auf gesunderhaltende Maßnahmen, da gerade in Anbetracht einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit und zunehmender Arbeitsintensivierung, Gesundheit und Gesunderhaltung neben den Aspekten einer individuellen Steigerung der Lebensqualität eine zunehmende gesellschaftliche und ökonomische Relevanz erlangen. Zum einen bildet die Prävention - und damit der Komplex Gesunderhaltung als individuelle Daseinsvorsorge - die Voraussetzung für Kostensenkungen im Gesundheitswesen und zum anderen bieten präventive Maßnahmen der Gesunderhaltung in Verbindung mit der Schaffung alternsgerechter Arbeitsplätze die Voraussetzung für die Sicherung der Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern in ihrer Berufsausübung. Angesichts der aus der demographischen Entwicklung künftig resultierenden Reduzierung des Potenzials an Facharbeitern, gewinnen präventive Maßnahmen der Gesunderhaltung und damit des Erhaltes der Arbeitsfähigkeit eine eminente wirtschaftliche Bedeutung. Denn die Sicherung der personellen Ressourcen entscheidet letztlich über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens und damit ebenso über die Zukunft von Standorten. Insofern sind Präventionsangebote in Verbindung mit einer betrieblichen Gesundheitsförderung von besonderer Bedeutung. Um nun die vorhandenen präventiven Potenziale an den Schnittstellen zum Patienten wie auch zur Wissenschaft besser auszuschöpfen, bedarf es eines ständigen Wissenstransfers. Dies bedeutet, dass eine Vernetzungsqualität unter den Knowhow-Anbietern mit ihren Wissensressourcen im regionalen Cluster gegeben ist, die es gestattet, Präventionskonzepte zeitnah und patientenspezifisch umzusetzen. 101 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Eine solche hochgradige und bewährte Vernetzung unter den für das System Gesundheitswesen relevanten Wissensanbietern ist in der Gesundheitsregion OWL in hohem Maße entwickelt. Neben den Universitäten Bielefeld und Paderborn sowie den regional bedeutsamen Fachhochschulen, die explizit in Forschung und Qualifizierung thematisch auf das Gesundheitswesen und die Gesundheitswirtschaft bezogen sind, gewinnen insbesondere die Bertelsmann Stiftung mit ihren Arbeitsschwerpunkten in der Gesundheits- und Demografieentwicklung, die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe in Gütersloh und in besonderem Maße das LIGA.NRW mit seinem Standort Bielefeld als Netzwerkakteure für die gesamte Forschungs- und Wissenslandschaft eine clusterrelevante Bedeutung. Wobei an der Schnittstelle von Forschung, Unternehmen und Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft das Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL (ZIG) eine gravierende Koordinations- und Promotorenrolle für die Bündelung von Kompetenzen im Cluster Gesundheitswirtschaft wahrnimmt. Dies gerade auch im Hinblick auf die Profilierung der Gesundheitsregion. Hinsichtlich der für die Entwicklung der Kernkompetenzen der Gesundheitsregion wesentlichen Trias der Themenfelder Demographie, Gesunderhaltung durch oder im Rahmen der Prävention sowie Gesundheitsförderung erlangen die Aufgabenbereiche des LIGA.NRW Bielefeld eine erhebliche Bedeutung. Insbesondere Aufgaben der Prävention und Gesundheitsförderung (laut GVP 4.1.2), die Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste (GVP 3.2.3), des wichtigen Meldeverfahrens Gesunde Kindheit (GVP 3.2.4) und der Mitarbeit in Innovationsnetzwerken und -kooperationen (GVP 4.2.3) werden an den Schnittstellen zu den Kernkompetenzen der Gesundheitsregion relevant. Ausgehend von der Überlegung, dass die Kindesgesundheit schon eine wesentliche Voraussetzung für die Gesundheit im Erwachsenenalter bildet und präventive Maßnahmen der Gesundheitsförderung schon im Kindesalter einsetzen und darauf aufbauend lebensbegleitend sein sollten, werden die Schnittstellen zwischen der Kernkompetenz und dem Aufgabenportfolio des LIGA.NRW evident. Um erfolgreiche Präventionskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, ist die genaue Kenntnis der gesundheitlichen Situation Heranwachsender und der gesundheitlichen Rahmenbedingungen notwendig. Ohne die differenzierte Erfassung und Auswertung der Daten der unteren Gesundheitsbehörden zur Kindesgesundheit und dem Meldeverfahren Gesunde Kindheit, lässt sich zum einen der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst kaum effizient unterstützen 102 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht und zum anderen lassen sich auch nicht die erforderlichen präventiven Maßnahmen zur Gesunderhaltung von Kindern entwickeln, was letztlich zu erheblichen - auch vermehrt kostenträchtigen - Auswirkungen auf spätere Maßnahmen, die zur Gesunderhaltung im Erwachsenenalter zu treffen sind, führen dürfte. Beispielsweise bei den Hilfsangeboten für übergewichtige Kinder. Werden hier keine frühzeitigen Maßnahmen ergriffen, so ist mit typischen Krankheitsbildern im Alter zu rechnen, deren Behandlung schwieriger und kostenintensiver verlaufen werden. Gesundheitsstörungen und Entwicklungsdefizite Heranwachsender können also den Beginn eines langfristigen Krankheitsgeschehens induzieren, das zu einer erheblichen Minderung der Lebensqualität für den Einzelnen führt und mit hohem Versorgungs- und Kostenaufwand für die Gesellschaft verbunden ist. Zudem lässt sich feststellen, dass gesundheitsrelevante Einstellungen und Verhaltensmuster sich bereits im Kindes- und Jugendalter herausbilden, die sich dann im Laufe des Lebens verfestigen und dem entsprechend nur noch schwer beeinflussbar sind. Aus diesem Grunde sind Präventionsprogramme und -maßnahmen schon frühzeitig zu entwickeln und anzuwenden, so dass hier etwaige Fehlentwicklungen erkannt und behoben werden können. Um dies zu leisten, ist ein einrichtlungenübergreifender Wissenstransfer erforderlich. In der Gesundheitsregion OWL existieren derzeit diese über Jahre gewachsenen Anknüpfungspunkte und Vernetzungen. So befasst sich beispielsweise die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld - Arbeitsgruppe Prävention und Gesundheitsförderung - mit diesem spezifischen Themenkomplex. In enger Anbindung an das an der Fakultät eingerichtete “ WHO Collaborating Center for Child and Adolescent Health Promotion” werden in diesem Forschungsnetzwerk die Präventionspotentiale im Kindesund Jugendalter ausgelotet, so dass erfolgreiche Präventionskonzepte entwickelt werden können. In diesem Kontext bestehen enge und direkte Anknüpfungspunkte zum wissensbasierten Leistungsprofil des LIGA.NRW, denn gerade der Bereich der Prävention und der Kindesgesundheitsförderung nimmt für das LIGA.NRW, welches in diesem Themenfeld der Prävention die Handlungsschwerpunkte der Landespolitik koordiniert, einen hohen Stellenwert ein. Dieser Handlungsschwerpunkt wurde schon durch das ehemalige LÖGD intensiv bearbeitet, so dass besondere Empfehlungen für präventive Maßnahmen zur Verbesserung der Kindergesundheit gegeben werden konnten. So bspw. in der Studie „Gesundheit von Kindern in OWL“, in der sich 103 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht das ehemalige LÖGD in besonderer Weise der regionalen Clusterschnittstelle Gesundheitsregion OWL widmet und in Kooperation mit den jeweiligen Akteuren des Öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort, einen wesentlichen Beitrag zu einem Ausbau des guten Versorgungsniveaus im regionalen Gesundheitssektor leistete. Gesundheitsberichte und Analysen dieser Art, die nur aufgrund der Vertrautheit mit der spezifischen regionalen Situation vor Ort und auf der Grundlage der Zusammenarbeit mit den regionalen Kooperationspartnern in den Verbünden der Gesundheitswirtschaft ihre analytische Kraft und ihren Erkenntniswert für handlungsleitende Maßnahmen gewinnen können, sind letztlich ein wesentlicher Erfolgstreiber dafür, dass überhaupt zukunftserschließende Schritte im regionalen Gesundheitssektor eingeleitet werden können. Hierfür sprechen auch die Vorläufer- Studien des lögd zur Frauengesundheit OWL und zur Versorgungssituation der Rheuma-Erkrankten in dieser Region. Ein weiteres wesentliches Element dieser vernetzten Infrastruktur zur Ausbildung regionaler Kompetenzen stellt die über lange Jahre gewachsene Kooperation des LIGA.NRW mit der Fachhochschule Bielefeld dar. Schon das LÖGD mit seinem Leistungsportfolio der Informationsdienstleistungen, Analysen und Empfehlungen, rund um den öffentlichen Gesundheitsdienst, baute gemeinsam mit dem deutschlandweit einmaligen Deutschen Zentrum für Public Health Genomics der Fachhochschule Bielefeld und der Public Health Genetics Unit in Cambridge, UK eine „National Task Force Public Health Genomics“ auf. Themenfelder der Institution sind die Klärung von Fragen nach der Bedeutung von genetischen Faktoren für die öffentliche Gesundheit, der Möglichkeiten einer Integration genombasierten Wissens in die öffentlich koordinierte Gesundheitsversorgung sowie die Analyse der Kriterien und Rahmenbedingungen zur Integration genombasierten Wissens in Präventionsansätze. Themenfelder mit erheblicher Relevanz in Hinblick auf die gesundheitspolitischen Schwerpunktsetzungen der Landesregierung für deren Koordination bislang das LÖGD, bzw. derzeit das Zentrum für Öffentliche Gesundheit im LIGA.NRW zuständig ist. Das Public Health Genomics European Network (PHGEN) bildet ein hochkarätiges Netzwerk aus Vertretern nationaler und regionaler Gesundheitsbehörden aus allen EU Mitglied-Staaten, Beitrittskandidaten und EFTA-EEA Ländern, wobei die Akteure des Netzwerks Humangenetiker, Public Health Wissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Ethiker, Mediziner, Ökonomen, Rechtswissenschaftler und Epidemiologen sind. 104 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Nach dem Aufgehen des LÖGD im LIGA.NRW (ZÖG) wurde dieses Netzwerk vom LIGA.NRW erfolgreich weitergeführt. Obgleich nach Auslaufen von PHGEN I im März 2009 PHGEN II an der Universität Maastricht angesiedelt sein wird, bleibt der Kooperationsverbund LIGA.NRW (ZÖG) und Fachhochschule Bielefeld dem Netzwerk weiterhin als integraler Bestandteil erhalten. Ebenso projektbeteiligt in Kooperation mit der Fachhochschule Bielefeld ist das LIGA.NRW beim Projekt „Analyse von Programmen zur Prävention und Gesundheitsförderung bei Arbeitslosigkeit unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Gesundheitsförderung, Gender, Prävention“, das noch bis Mitte 2009 läuft. Auch hier bringt das LIGA.NRW als Kooperationspartner sein Know-how aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst ein. In diesem im Themenfeld Prävention und Gesundheitsförderung angesiedelten Projekt, in dem geschlechtsspezifische Aspekte gesundheitlicher Einschränkungen bei Arbeitslosigkeit und die Möglichkeit von geschlechtsspezifisch passgenauen Präventionsprogrammen thematisiert werden, kann auf das Know-how des LIGA.NRW (ZÖG) im Rahmen der Analysen zu den Gesundheitsberichten und den Erkenntnissen zur Prävention und Gesundheitsförderung zurückgegriffen werden. Die enge Zusammenarbeit des ZÖG im regionalen Rahmen mit den Hochschulen und den Kommunen in OWL, insbesondere auch mit der Kommune Bielefeld, kann auf gewachsene Strukturen verweisen. Diese reichen bis in die Gründungszeit der kommunalen Gesundheitskonferenzen im Jahre 1991 zurück. Mit der Formulierung und Verabschiedung der ersten „Zehn vorrangigen Gesundheitsziele“ durch die Landesgesundheitskonferenz im Jahr 1995 wurde die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowohl im Hinblick auf strukturelle Entwicklungen in den Leistungsbereichen und Organisationen des Gesundheitswesens, wie auch bezogen auf krankheitsbezogene Handlungsfelder im Rahmen von präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen in NRW geschärft. Gerade im Bereich der Prävention und der Gesundheitsförderung, die in der Formulierung der Gesundheitsziele 1995 als sich gegenseitig ergänzend betrachtet wurden, spielt nämlich das Instrument der Gesundheitsberichterstattung eine gravierende Rolle. Denn präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen sind darauf hin zu bewerten, zu welchen Veränderungen sie führen. Es sind hierfür Ziele zu formulieren, damit eine erfolgreiche Planung und Ergebniskontrolle von Maßnahmen, Aktionen und Programmen und ihrer Effizienz im Hinblick auf die Zielerreichung evaluiert werden kann. 105 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht In diesem Kontext besteht ein wesentliches Ziel der Gesundheitsberichterstattung darin, die gesundheitsbezogene Ausgangslage darzustellen und bestehende Defizite transparent zu machen. So wird die Gesundheitsberichterstattung zum Fundament für die Bestandsaufnahmen, Planung und Bewertung von Maßnahmen, wobei schon 1995 die Möglichkeit von Gesundheitsberichten auf regionaler, kommunaler, stadtteilbezogener oder auch betrieblicher Ebene diskutiert wurde. Dem Öffentlichen Gesundheitsdienst wurde die Funktion übertragen, eine stärkere Rolle hinsichtlich der „Initiierung und Koordination von kooperativem Handeln der Träger der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung, kommunaler Dienststellen, Multiplikatoren und Bevölkerungsgruppen“ wahrzunehmen und „verschiedene Interessen und Ziele auf der kommunalen Ebene zu moderieren, langfristige Entwicklungen einzuleiten und zu begleiten und neue Steuerungsinstrumente zu entwickeln.“74 Mit Unterstützung des damaligen Landesinstitutes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) wurde dann eine Bestandsaufnahme der „Zehn Gesundheitsziele 1995-2005“ geleistet, die deutlich machte, wo welche Fortschritte in den vergangenen Jahren erreicht werden konnten. Am 8. Dezember 2004 wurden dann auf der Grundlage der 13. Landesgesundheitskonferenz die neuen Gesundheitsziele NRW für den Zeitraum 2005-2010 verabschiedet.75 Im Rahmen dieses Zielkataloges wurde die Relevanz der Gesundheitsberichterstattung für die Konkretisierung und Umsetzung der gesundheitspolitischen Ziele und die Funktion des LÖGD hierbei nachhaltig begründet. „Das Land Nordrhein-Westfalen hat als eines der ersten Bundesländer ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsberichterstattung entwickelt und sukzessive umgesetzt. Mit dem Gesundheitsreport Nordrhein-Westfalen 1990 wurde erstmals ein Bericht solchen neuen Typs vorgelegt. Seitdem ist es Ziel und Aufgabe der Gesundheitsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen, kontinuierlich Informationen für die Politik, Fachöffentlichkeit, Bürgerinnen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten u.a. über gesundheitliche Situation und Gesundheitsrisiken, Darstellung des Krankheitsgeschehens und Todesursachen sowie 74 Zehn vorrangige Gesundheitsziele für NRW, hrsg. v. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (MGSFF) 1995, S.33. 75 Vgl. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes NordrheinWestfalen (Hrsg.): Gesundheitsziele NRW - 2005 bis 2010.Grundlagen für die nordrheinwestfälische Gesundheitspolitik, Bielefeld 2005, S.6 ff. 106 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Versorgung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zur Verfügung zu stellen. Die Gesundheitsberichterstattung auf Ebene des Landes wie auch der Kommunen wurde im ÖGD-Gesetz Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 1997 auch gesetzlich verankert. Das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen legt danach regelmäßig Gesundheitsberichte als Grundlage gesundheitspolitischer Planungen vor und leitet sie dem Landtag zu. Das LÖGD hat auf Landesebene und kommunaler Ebene u.a. im Bereich der Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung Beratungs- und Unterstützungsfunktion und bereitet den Landesgesundheitsbericht vor. Es hält außerdem Gesundheitsdaten in Form von Gesundheitsindikatoren, Datenbeständen und Auswertungsprogrammen vor, die zunehmend durch repräsentative (meist telefonische) Befragungen der Bürgerinnen und Bürger ergänzt werden. Wichtige Bedeutung hat die Gesundheitsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen auch für die Entwicklung und Umsetzung des Gesundheitszieleprozesses.“76 Beide Gesundheitszielbestimmungen aus den Jahren 1995 und 2005 weisen auf zwei wesentliche Elemente der Gesundheitspolitik NRWs hin. Zum einen wird in der Zielbestimmung aus dem Jahre 2005 die wesentliche und unverzichtbare Funktion des LÖGD im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung begründet und zum anderen wird in der Zielbestimmung von 1995 die Notwendigkeit, das Instrument der Gesundheitsberichterstattung von der Landes- bis auf die kommunale Ebene herunter zu brechen, legitimiert. Darüber hinaus wird in der zitierten Zielbestimmung des Jahres 2005 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem LÖGD im Rahmen seiner Beratungs- und Unterstützungsfunktion, insbesondere in seiner Aufgabenwahrnehmung bezüglich der Unterstützung der Gesundheitspolitik in NRW, die Vorbereitung des Landesgesundheitsberichtes obliegt, also der entscheidenden Grundlage für die Entscheidungsfindung und die Formulierung von Gesundheitszielen in der Landesgesundheitskonferenz. Das LIGA.NRW Bielefeld bildet also mit seinem Leistungsportfolio der Fachbereiche 3 und 4, also Gesundheitsschutz und Gesundheitsberichterstattung sowie Gesundheit und Informationsmanagement und den zugeordneten Fachgruppen Gesundheitsinformation 3.2 sowie Gesundheitsmanagement 4.1 und Informationsmanage76 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes NordrheinWestfalen (Hrsg.): Gesundheitsziele NRW - 2005 bis 2010.Grundlagen für die nordrheinwestfälische Gesundheitspolitik, Bielefeld 2005, S.23. 107 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ment 4.2 das Zentrum der entscheidenden Supportleistungen sowohl für die Gesundheitskonferenzen auf kommunaler und Landesebene als auch für die Bestimmung der gesundheitspolitischen Ziele der Landesregierung. Das gesamte Aufgabenportfolio, insbesondere die Aufgaben der Fachgruppe 4.1 Gesundheitsmanagement, in dessen Rahmen u. a. die Themenfelder Grundsatzfragen der Gesundheits- und Präventionspolitik Gesundheitsziele NRW Fachliche Vorbereitung der Landesgesundheitskonferenz und Mitarbeit in den Arbeitsgruppen Landesinitiative „Gesundes Land NRW“ und Gesundheitspreis NRW Informationsangebote für Kommunale Gesundheitskonferenzen (KGK) und Öffentlicher Gesundheitsdienst bearbeitet werden, weist einen hohen Vernetzungsgrad mit den regionalen Schnittstellen der Gesundheitsregion OWL sowie mit der kommunalen Ebene des Mittelzentrums Bielefeld auf. Insbesondere die fachliche Vorbereitung der Landesgesundheitskonferenz macht eine Mitarbeit des ZÖG in verschiedensten regionalen Gremien und Arbeitsgruppen des regionalen Clusters sinnvoll. Die bestehende, überaus fruchtbare Zusammenarbeit im Rahmen der Netzwerke auf kommunaler (Bielefeld), wissenschaftlicher (Universität Bielefeld/Fachhochschule Bielefeld) und regionaler (AG der Geschäftsstellenleiter OWL) Ebene reicht tief in die Frühzeit der ersten Formulierung der NRW Gesundheitsziele von 1995 zurück. Auf der kommunalen Ebene entwickelte sich zwischen der Kommune Bielefeld und dem damaligen LÖGD eine intensive und für beide Kooperationspartner konstruktive Zusammenarbeit, die im Laufe der Jahre ausgebaut, derzeit vom LIGA.NRW weitergeführt wird. Eines der wesentlichen und für die örtliche Gesundheitspolitik sowie für die Ausrichtung des ÖGD relevanten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit, bestand in der Entwicklung der Bielefelder Gesundheitsziele zur strategischen Zielbestimmung der Strukturentwicklung im örtlichen Gesundheitswesen und einer nachvollziehbaren Ziel- und Ergebnisorientierung der Bielefelder Gesundheitspolitik in den Jahren 2002/2003. Für die Entwicklung dieser strategischen Zielbestimmungen die u.a. auf der Grundlage Modularer GBE unter Beteiligung der verschiedenen Mitglieder der Kommuna- 108 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht len Gesundheitskonferenzen (KGK) mit dem Ziel verstärkt Information, Transparenz und Beteiligung im örtlichen Gesundheitswesen herzustellen, eine Verbesserung des örtlichen Gesundheitssystems hinsichtlich der Ziele Bürgerinnen- und Bürgerorientierung Gesundheitliche Chancengleichheit Prävention und Gesundheitsförderung anvisierten, erwies es sich als hilfreich, dass das damalige LÖGD schon im Rahmen der Kommunalen Gesundheitskonferenz Bielefeld mitwirkte. Im Hinblick auf die Aufgabe Informationsangebote für die KGK und den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu unterbreiten, hat sich die lange bestehende Mitwirkung in der KGK Bielefeld in Form einer beratenden Tätigkeit immer wieder als Möglichkeit erwiesen, Inhalte in die KGK zu transportieren und dabei Resonanzen und Konsequenzen zu erleben und mitzugestalten. Dieser Prozess, aufgrund der Mitwirkung in den örtlichen Gremien entscheidende gesundheitspolitische Inputs geben zu können, und an Optimierungen des örtlichen Gesundheitssystems direkt beteiligt zu sein, war und ist allerdings nicht als ein einseitiger Prozess aufzufassen. Vielmehr ist dieser Austauschprozess an der Schnittstelle des regionalen Clusters als interdependent zu betrachten. Denn umgekehrt konnten von hier kommunale Entwicklungen direkt aufgenommen, aufbereitet, verallgemeinert und in den allgemeinen Diskussionsprozess auf der Landesebene eingespeist werden. Wobei weitere Impulse auch aus den engen Kooperationsbeziehungen mit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld kommen, die u.a. beim Modellprojekt der ortsnahen Koordinierung die wissenschaftliche Begleitforschung durchführte. An diesen gewachsenen, produktiven Verankerungen im regionalen System lässt sich nachvollziehen, was es bedeuten würde, wenn das LIGA.NRW von seinen dezentralen Standorten abgezogen würde. Damit würde nicht nur eine lange Tradition der Zusammenarbeit und eines gemeinsam erarbeiteten Wissensbestandes enden, sondern ebenso auch Möglichkeiten verloren gehen, wechselseitig voneinander Wissen zu beziehen und dieses qualitativ optimiert, erkenntnisleitend in anderen 109 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht generelleren Kontexten regionaler Gesundheitspolitik umzusetzen, um somit zu einer Verbesserung der gesamten Landesgesundheitspolitik beizutragen. Eine Überführung des LIGA.NRW an einen zentralen Standort und einer damit vollzogenen Abkoppelung von den regionalen Netzwerken bzw. der dann nicht mehr vorhandenen Kooperationsbeziehung zur Universität/Fachhochschule Bielefeld würde die Arbeit des LIGA.NRW erschweren. Negativ auswirken könnte sich eine Verlagerung des LIGA.NRW von den regionalen Netzwerken in denen es seine wechselseitige Wirksamkeit von lokaler Ebene und Landesebene entwickeln kann, hin zu einem künstlich geschaffenen, ohne eine gewachsene strukturelle Verankerung von potenziellen Kooperationspartnern vorweisenden Zentrum, ebenso auf die interne künftige Leistungsbilanz des LIGA.NRW im Aufgabenfeld „Prävention und Gesundheitsförderung“. Das Leistungsportfolio der Fachgruppe 4.1.2 Prävention und Gesundheitsförderung umfasst: das „Präventionskonzept NRW“ und Mitarbeit bei Landesinitiativen zu präventionspolitischen Schwerpunktthemen den regionalen Knoten NRW des Kooperationsverbundes zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten und Fachveranstaltung zur Prävention und Gesundheitsförderung die Unterstützung bei Bewertungsfunktionen in Planungsvorhaben Eine Zentralisierung des LIGA.NRW verhindert die in sozialer Hinsicht und damit für jede Kooperation fundierenden unverzichtbaren „Face to face“ Kontakte, jenem soften Innovationsfaktor, der die Harmonisierung unter den Akteuren und ihre zielführende Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel sicherstellt. Austauschbeziehungen über weitere Distanzen konterkarieren - trotz aller IuK Techniken - eine effiziente Zusammenarbeit im Cluster, die durch wechselseitige - Vertrauensverhältnisse gekennzeichnet sind, also jenem Essential, dass Kooperationsbeziehungen in Netzwerken erst wirksam werden lässt. Dies bezieht sich ebenso auch auf die Kooperation des LIGA.NRW mit anderen Ämtern der Region OWL, die durch lange Jahre der engen Zusammenarbeit geprägt ist. Dieses tragende Element "zwischenmenschlicher Chemie", das über alle Fördermittel und Projektpläne hinausweist, stände dann nicht mehr zur Verfügung. "Es muss zwischen den Beteiligten harmonieren", 110 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht benennt Fritsch diesen extrem soften Faktor, der obwohl für die Wirtschaftsforscher überaus schwierig zu messen und operationalisieren, dennoch von eminenter Wirksamkeit ist. Um dieses eminent wichtige vertrauensbildende Kommunikationssystem vor Ort zu erhalten und zu stärken, aber dennoch einen effizienten Arbeitszusammenhang und Informationsfluss mit einer zentralen Schnittstelle wie dem Gesundheitscampus zu gewährleisten, ist es somit unumgänglich, die regionalen Standorte des LIGA.NRW als Satelliten zu erhalten und mit dem Zentrum Gesundheitscampus sowohl informationstechnisch, als auch personell zu vernetzen. Diese Variante wird in dem Kapitel Handlungsempfehlungen noch ausführlicher dargestellt werden. Die wichtigen Austauschprozesse zwischen LIGA.NRW und den regionalen Akteuren vor Ort, die in ihrer Gesamtheit auch mit bedingend für die Verbesserung gerade auch der regionalen Gesundheitssysteme waren, da hierdurch wechselseitige Lernund Erkenntnisprozesse auf der lokalen Ebene stattfinden konnten, die dazu führten, dass sich die Qualität des Wissens kontinuierlich erhöhte, sie sind bei einer Verlagerung des LIGA.NRW gefährdet. Damit jedoch geht auch eine nachhaltige Schwächung der regionalen Cluster in ihrem Bemühen einher, ihre Gesundheitssysteme - wie am Beispiel der Bielefelder Gesundheitsziele belegt - fortwährend zu optimieren. Verschärft wird diese Entwicklung noch durch einen weiteren, damit verbunden, nun schon im Vorfeld der beabsichtigten Konzentration des LIGA.NRW am Campusstandort einsetzenden Prozess, der darin besteht, dass der Personalbestand angesichts der kaum noch akzeptablen Arbeitsbedingungen am zentralen Standort ohne Kooperationspartner und regionalen Netzwerkpartnern, allmählich abschmilzt. Angesichts der Tatsache, dass das MAGS z.B, den Bereich der Prävention zum Schwerpunkt der Landesgesundheitspolitik erheben will, stellt sich die Reduzierung von personellen Ressourcen als ein erheblicher Widerspruch dar. Stattdessen wäre die Landesregierung gut beraten den Personalbestand aufzustocken. Hier wird deutlich, dass zwei unterschiedliche Entwicklungen die aus den Verlagerungsplänen resultieren, sich gegenseitig verstärken. Zum einen der Prozess des Rückzuges aus den regionalen Netzwerken mit der Aufgabe von Akteursqualitäten im regionalen Bereich und zum anderen die Ausdünnung der Personaldecke, die sich noch nach Verlagerung auf den Campus zu einer dramatischen Dimension für 111 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die Aufgabenwahrnehmung das LIGA.NRW entwickeln dürfte, da etliche Experten und hochqualifizierte Mitarbeiter der Verlagerung der LIGA.NRW Standorte nicht folgen und proaktiv andere Beschäftigungsverhältnisse anstreben werden. Der dadurch bewirkte Know-how-Verlust dürfte sich noch als äußerst problematisch für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW erweisen. In besonderer Weise dürfte davon auch die Gesundheitsberichterstattung (GBE) betroffen werden. Noch 2007 wurde die besondere Priorität, die der Gesundheitsberichterstattung in gesundheitspolitischer Hinsicht zukommt, unterstrichen. Die „Gesundheitsberichterstattung (GBE) ist die systematische Darstellung und Analyse des Gesundheitszustandes der Bevölkerung, der Gesundheitsdeterminanten und der Gesundheitsversorgung. GBE liefert der Gesundheitspolitik Fakten über wesentliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Gesundheit und informiert die Akteure im Gesundheitswesen und die Öffentlichkeit über Ziele und Aktivitäten der Gesundheitspolitik. Damit hat GBE eine Schlüsselfunktion für die Politikberatung und für die Diskussion und Konsensbildung über gesundheitspolitische Vorhaben. Sie liefert die Grundlagen zur Festlegung gesundheitspolitischer Prioritäten und realistischer Ziele, lässt Fehlentwicklungen und Defizite erkennen und gibt damit Hinweise auf Felder mit Handlungsbedarf. Für Bereiche, in denen ein Handlungsbedarf gesehen wird, kann GBE detaillierte Beschreibungen und vertiefende Analysen erarbeiten.“77 Sie war einst eine Vorzeigeaktivität des Landes NRW im Gesundheitssektor, die auf der Entwicklung von Gesundheitsindikatoren rekurrierte. Gesundheitsindikatoren lassen sich als ausgewählte Parameter beschreiben, die Rückschlüsse über die Gesundheit der Bevölkerung bzw. von Teilpopulationen, über die Gesundheitsversorgung und verfügbare Ressourcen zulassen.78 Hierbei ist zu sehen, dass die Gesundheitsindikatoren nicht nur als Datenbasis für die Gesundheitsberichterstattung des Landes NRW dienten, sondern dass mit der Entwicklung und Formulierung von Gesundheitsindikatoren das Land NRW gegenüber allen anderen Ländern ein innovatives Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen hatte. Der ständig weiterentwickelte Gesundheitsindikatorensatz, der auf der Leistung 77 Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) (Hrsg.): Konzept für eine Weiterentwicklung der Landes- Gesundheitsberichterstattung in NRW, Bielefeld 2007. 78 Vgl. hierzu: Ulla Walter / Friedrich Wilhelm Schwartz: Gesundheitsindikatoren, in: Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Hrsg. v. d. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2003 S. 111-113. 112 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht des ehemaligen LÖGD NRW beruhte, wurde schließlich sogar verpflichtend in sämtlichen anderen Bundesländern übernommen79. NRW war zu dieser Zeit noch ein gesundheitspolitischer Trendsetter in der Gesundheitsberichterstattung. Mit der personalmäßigen Dezimierung dieses Handlungsbereiches nach der Fusion von LAfA und LÖGD zum LIGA.NRW, war das LIGA.NRW in diesem Leistungsbereich zu konzeptionellen Arbeiten, nur noch bedingt in der Lage. Die Standortverlagerung an den zentralen Standort im Ruhrgebiet würde zu einer weiteren Zuspitzung hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung führen, da mit einem massiven Personaleinbruch zu rechnen ist. Viele der in diesem Aufgabenbereich noch tätigen Mitarbeiter werden der Verlagerung des LIGA.NRW nicht mehr folgen, so dass mit einem erheblichen weiteren Personal- und Expertiseverlust zu rechnen ist, der dazu führen könnte, dass es zu einem Zusammenbruch des reinen GBERoutinerestbetriebs kommen könnte. Von besonderer Bedeutung ist pikanter Weise hierbei allerdings auch noch, dass es sich bei der GBE um eine Aufgabenstellung handelt, die zu den gesetzlich determinierten Aufgaben des ÖGD in NRW laut ÖGDG gehört. Wie die Landesregierung dieses Dilemma beheben will bzw. überhaupt beheben kann, bleibt dahingestellt. Sicher ist jedoch, dass der Bereich GBE in NRW in Gefahr steht, vom einstigen Vorzeigebetrieb im Vergleich deutscher Bundesländer auf die hinteren Ränge zurückzufallen. Damit würde auch eine andere relevante Aufgabenstellung des LIGA.NRW, nämlich die als regionaler Knoten zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten zu fungieren erschwert, da hierfür eine gute regionale GBE eine wertvolle Hintergrundrolle spielt. Ein weiterer Ressourcenverlust betrifft u.a. gerade auch die Aufgaben, die im Rahmen der Kooperationsbeziehungen mit der Universität Bielefeld, Fakultät Gesundheitswissenschaften erarbeitet werden. In dieser Hinsicht ist zu bedenken, dass dieses Forschungsnetzwerk in einer langjährigen Verflechtung mit Lehr- und Projekttätigkeiten angelegt ist. Schon zu Zeiten des Bestehens des LÖGD war die Vorläuferinstitution des LIGA.NRW in den 1990er Jahren wesentlich an Aufbau und Profilbildung der Fakultät Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld beteiligt. Daraus resultiert ein bis auf den heutigen Tag erprobtes und hochqualifiziertes 79 Der für NRW vom damaligen LÖGD erarbeitete Indikatorensatz wurde im Mai 2003 von der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) als neue Grundlage der Länder-Gesundheitsberichterstattung vereinbart. 113 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Netzwerk, dessen Ergebnisse belegen, welche vorteilhaften Synergieeffekte sich durch den Austausch von Ressourcen in gewachsenen regionalen Kooperationsstrukturen ergeben können. Aktuell (2009) werden diese Synergieeffekte nach Wegfall der LÖGD - Abt. „Umweltmedizin, Umwelthygiene“ in einer thematisch gewandelten Verbindung mit der Ausrichtung des Forschungsinteresses auf die folgenden Themenfelder relevant: „Burden of Disease“ (Berechnung von Krankheitslasten der Bevölkerung als neuartige high-end-Methodik, in der Deutschland versucht, Anschluss an die internationalen Entwicklung zu bekommen), „Health Technology Assessment“ (HTA - Technikbewertung unter gesundheitsbezogenen Aspekten), „Risk analysis/Risikoanalyse“ (Methodik zur prospektiven Abschätzung von Erkrankungsrisiken aufgrund bestimmter Expositionen in Bevölkerungsgruppen), „Innovationsmanagement“ (Schwerpunktaufgabe der Fachgruppe 4.2 - mit Bedarf nach einer sehr weitgefächerten wissenschaftlich fundierten Umsicht, in allen Facetten gesundheits- und krankheitsbezogener Forschung), „Versorgungsforschung“ - als für das LIGA.NRW neu zu erschließendem, zukunftsbezogenem Wissens- und Forschungsgebiet, in dem gute Kooperationen essentiell sein werden. Daran wird deutlich, dass die regionale Vernetzung des LIGA.NRW mit den konkreten Netzwerkakteuren und Kooperationspartnern vor Ort, die auf eingespielte und vertraute Kooperationsbeziehungen fußt, nur durch erhöhten Ressourceneinsatz und unter Inkaufnahme eines nicht kalkulierbaren time-lag, bis die Kooperationsbeziehungen, wenn überhaupt, an einem neuen Standort funktionieren, ersetzt werden kann. Dies führt wiederum auf den schon bemühten Begriff der Transaktionskosten zurück. Wie schon, erwähnt sichern Kooperationsnetzwerke Wissens-Spill-overs oder eine verbesserte Wissensverbreitung. Da Wissen und Informationen bei den einzelnen Netzwerkakteuren in einem nicht vollständigen Umfange vorhanden sind, sind diese genötigt, in Netzwerken Wissen und Informationen untereinander in Form von Kooperationen auszutauschen. Würde jeder Akteur vollständig über alle Wissens- und 114 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Informationsressourcen verfügen, so fielen keine Transaktionskosten (als Beschaffungskosten von Wissen, Know-how, Informationen etc.) an. Da dies jedoch eine idealtypische Prämisse darstellt, treten aufgrund des bei jedem Akteur nur unvollständig ausgeprägten Wissensbestandes hinsichtlich der Gestaltung seiner Marktwie auch sozialen Aktivitäten Ineffizienzen auf, die aus einer partiellen Intransparenz des Markt- wie auch des sozialen Interaktionsgeschehens gegenüber anderen Marktakteuren resultieren. In der Konsequenz bedingen diese Ineffizienzen Transaktionskosten. Um Transparenz in einem intransparenten oder nur in Teilen durchschaubaren ökonomischen oder auch sozialen (wissenschaftlichen) System zu gewinnen, fallen Transaktionskosten zur Informationsbeschaffung an, wobei in Netzwerken die folgenden Kostenkategorien relevant sind: Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie Kosten der Überwachung und Durchsetzung (vertraglicher) Leistungspflichten.80 Nun zeichnen sich eingespielte Netzwerke dadurch aus, dass sie, wie im Falle des LIGA.NRW und der Universität Bielefeld oder der Kommune Bielefeld bzw. den anderen Netzwerkakteuren in OWL und an den Standorten Münster und Düsseldorf, stabile und intensive Austauschbeziehungen aufweisen. Dies führt dazu, dass die relativ genauen Kenntnisse der Partner die „Informations-, Verhandlungs- und laufenden Betriebskosten von Netzwerken in der Tendenz reduziert.“81 Bei einer Verlagerung des LIGA.NRW an einen anderen Standort müssten die eingespielten Netzwerke entweder aufgegeben oder- was wohl kaum aus Kostengründen seitens des MAGS akzeptiert würde - mit zusätzlichen Mitarbeiterressourcen an den „ehemaligen Standorten“ weitergeführt werden. Da jedoch eine Vernetzung aller Akteure seitens des MAGS am Standort Gesundheitscampus intendiert ist, bedeutet dies, dass sich das LIGA.NRW um neue Kooperationspartner vor Ort oder in der regionalen Hochschullandschaft im Ruhrgebiet bemühen müsste. Vor Ort gibt es 80 Vgl. hierzu: Herbert Bassarak / Joachim Genosko Synergieeffekte mit Kosteneinsparungen. Zur Funktion und Bedeutung von Netzwerken und Netzwerkarbeit, in: Mitteilungen LJA WL 149/2001, S.2 f. 81 Herbert Bassarak / Joachim Genosko a.a.O., S.15). Zudem implizieren stabile und erprobte Netzwerke wechselseitige Abhängigkeits- und Vertrauensbeziehungen, die ein „opportunistisches Verhalten erschweren und damit die Kontrollkosten senken“. ( Herbert Bassarak / Joachim Genosko a.a.O., S.15. 115 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht derzeit keine Kooperationsschnittstellen mit anderen Einrichtungen am Gesundheitscampus. Zum einen deshalb, da bis auf das avisierte Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) mit dem integralen Bestandteil des Clustermanagements Gesundheitswirtschaft und der geplanten Fachschule für die Gesundheitsberufe nur noch vage das ZTG in Frage käme und andere Akteure bislang überhaupt noch nicht feststehen. Zum anderen existieren zu den erwähnten Einrichtungen keinerlei aufgabenspezifische Vernetzungsmöglichkeiten. Die Leitstelle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (wahrgenommen lt. ÖGDG NW durch das LIGA) hat - wie bislang deutlich wurde - ein gänzlich divergierendes Leistungsportfolio, das mit den vorgesehenen Campus-Einrichtungen - vielleicht einmal abgesehen von der am Standort Münster operierenden Sozialpharmazie mit der Koordinierungsstelle Versorgungsforschung - kaum kompatibel sein dürfte. Dies bedeutet, dass Netzwerke und Kooperationsbeziehungen in den Bereich der regionalen Hochschulen geknüpft werden müssten, um eine ähnliche fruchtbare Arbeitsgrundlage zu gewinnen, wie dies derzeit mit den Universitäten und Fachhochschulen der Region OWL und im Hinblick auf die AUST mit der Universität Münster und dem CVUA der Fall ist. Nur so lassen sich die erforderlichen Synergieeffekte realisieren. Um dies zu leisten, werden allerdings in einem kaum überschaubaren Zeitrahmen zusätzliche Kosten anfallen. Eben jene erwähnten Transaktionskosten, die in den OWL-spezifischen Netzwerken noch äußerst moderat gehalten werden konnten, nunmehr jedoch eine gänzlich andere Valenz erhalten werden. Denn es werden Zusatzkosten dadurch anfallen, dass unterschiedliche Strukturen zusammengeführt werden müssen. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Verfahrensweisen, Verwaltungsstrukturen bis hin zu unterschiedlichen Managementansätzen und Sprachcodes miteinander koordiniert werden müssen, bevor das Netzwerk überhaupt funktionieren kann. Ebenso kosteninduzierend - weil u.a. ressourcenbindend und zeitraubend - ist das Aushandeln und Festschreiben der jeweiligen Aufgaben und Pflichtenzuweisung sowie die Bestimmung der Nutzungsmöglichkeiten von Leistungen, die im Rahmen der Kooperationsbeziehungen und des neu zu formierenden Netzwerkes von den jeweiligen Netzwerkpartnern erbracht und entwickelt werden. 116 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zu diesen „sicheren“ Kosten, die im Rahmen der Transaktionskosten bestimmbar sind, kommen überdies noch die sog. „unsicheren“ Kosten hinzu. Unter dieser Kategorie sind die Kosten zu subsumieren, die sich aus den Lernprozessen von Koordination und Kooperation ergeben, sowie diejenigen Kosten, die sich aufgrund längerer Entscheidungsprozesse im Netzwerk ergeben.82 Neben den Transaktionskosten, die die soziale Seite der Netzwerkknüpfung betreffen, fallen überdies erhebliche Kosten für den Umzug sowie für die Beschaffung von Räumlichkeiten und Laboreinrichtungen an. Die beispielsweise bislang auf der Kooperationsebene mit der Universität Münster genutzten Laboreinrichtungen der Arzneimitteluntersuchungsstelle könnten am neuen Standort nicht mehr genutzt werden. Insofern sind am Gesundheitscampus neue Laboreinrichtungen bereitzustellen. Nur, NMR-Geräte und deren Betrieb sind extrem teuer, so dass sich die Vision der Landesregierung von kostensparenden Synergien am Gesundheitscampus sehr schnell als realitätsblind erweisen dürfte. Angesichts dieser Kostenlawine, die eine Verlagerung des LIGA.NRW und seine Neujustierung bzw. Neuverortung verursachen dürfte, lässt sich die Rationalität der Beschlusslage des MAGS bzw. der Landesregierung im Hinblick auf die Konzentration des LIGA.NRW am Gesundheitscampus kaum noch erschließen. Die monetären Konsequenzen der intendierten Überführung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus konterkarieren den Begründungseuphemismus der Landesregierung, der über die Begriffe Kostendisziplin, schlanke Verwaltungsstrukturen und effizientere Aufstellung lanciert wird, im Hinblick auf die tatsächlich einsetzende Funktionsparalyse eines an den Gesundheitscampus überführten LIGA.NRW und damit der faktischen Zerschlagung einer bislang hocheffizienten Institution des nordrheinwestfälischen ÖGD und Gesundheitswesens. 10.2 Auswirkungen der Zentralisierung bei Verlagerung des LIGA.NRW Mit der Zusammenlegung der beiden Zentralbereiche LÖGD und LAfA zu dem neu geschaffenen LIGA.NRW zum 1. Januar 2008 sollte einer wesentlichen Intention der 82 Vgl.: Herbert Bassarak / Joachim Genosko a.a.O., S.15. 117 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Landesregierung entsprochen werden. Die Gesundheitsverwaltung sollte schlanker und moderner werden.83 Allein der Zusammenlegung fielen bereits in 2008 40 Stellen zum Opfer. Derzeit arbeiten an den drei regionalen LIGA-Standorten noch ca. 220 Mitarbeiter (in Bielefeld rd. 60, Münster rd. 60 und Düsseldorf rd. 100 Mitarbeiter). Sie versehen den gesamten komplexen Aufgabenbereich, den LIGA innerhalb der öffentlichen Gesundheitsverwaltung Nordrhein-Westfalens wahrnimmt. Damit ist die Grenze einer möglichen Personaleinsparung erreicht. Schon derzeit ist es bei einer enormen Arbeitsintensivierung kaum mehr möglich, den gesetzlichen Aufgabenverpflichtungen nachzukommen, insbesondere unter den Bedingungen einer erhöhten Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung. Die Beschäftigten des LIGA.NRW sind nicht mehr in der Lage, weitere Personalreduktionen arbeitstechnisch wie organisatorisch aufzufangen. Dessen ungeachtet plant das MAGS einen weiteren Abbau der Beschäftigung, der erforderlich sei, um - wie es der ehemalige Staatssekretär Herr Prof. Dr. Winter deutlich machte - das LIGA.NRW „zukunftsfähiger und effizienter“ aufzustellen und im Gesundheitswesen eine "schlanke, moderne Verwaltung zu schaffen." Unter dieser Zielbestimmung sollen durch Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus auf der „Basis einer weiteren Aufgabenkritik 30 weitere Stellen eingespart werden.“84 Dies würde bedeuten, dass die derzeit schon kritischen Zustände in den Arbeitsbereichen so weit verschärft würden, dass LIGA.NRW das bislang weitgesteckte Aufgabenspektrum nicht mehr vollständig versehen kann. In einigen Bereichen würden die Einschränkungen so weit gehen, dass die Pflichtaufgaben nicht mehr umfassend wahrzunehmen wären. Dadurch würde auch in anderen LIGA-Arbeitsfeldern eine Situation entstehen, die sich aufgrund der schon geleisteten Personalreduktionen und der im Vorfeld der geplanten Verlagerung ausgeschiedenen Mitarbeiter in ihren Engpässen faktisch bereits jetzt z. B. in den Bereichen Arzneimitteluntersuchung und Gesundheitsmanagement abzeichnet. Hieraus resultieren erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der gebotenen Aufgabenerfüllung. Ein weiterer Personalabbau gefährdet das LIGA.NRW in seinen Kernaufgaben. 83 So Minister Laumann in einem Antwortschreiben an den Vorsitzenden des Regionalrats des Regierungsbezirks Detmold Herrn Reinold Stücke vom 23.Januar 2008. 84 Laumann a.a.O. 118 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Theoretische Grundlage für einen solchen angestrebten weitergehenden Personalabbau ist das vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH verfasste Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW. Dieses Gutachten wurde im Zusammenhang mit der Zusammenführung von LÖGD und LAfA zum LIGA.NRW 2008 auf der Grundlage eines Kabinettbeschlusses eingefordert, damit die Bereinigung von Aufgaben im Zuge der Errichtung des LIGA.NRW auf einer scheinbar objektiven Grundlage legitimierbar wurde. Im Zuge der Gründung eines Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen wurde dann die gesamte Aufgabenkritik perspektivisch mit dem Ziel weitergeführt, „dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW (MAGS) bis zum 30.11.2008 einen Vorschlag für den künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW vorzulegen. Dabei waren die derzeitigen Aufgaben darauf hin zu untersuchen, ob sie ganz oder teilweise weiterhin durch das LIGA.NRW, andere Stellen des Landes oder andere öffentliche oder private Stellen wahrgenommen werden sollen. Hierzu waren ggf. Vorschläge zu entwickeln und hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land zu bewerten.“85 Das Gutachten kommt zu dem nicht ganz überraschenden - aber auch zweifelhaften - Ergebnis, dass eine Reihe von Aufgaben und Teilaufgaben des LIGA.NRW nach den Ergebnissen der formalen Zweckkritik wie auch der inhaltlichen Bewertung hinsichtlich der strategischen Relevanz entweder ganz oder auch teilweise wegfallen, gegebenenfalls auch durch andere staatliche Einrichtungen in wirtschaftlich vertretbarer Weise fortgeführt werden können. Bezüglich der durchgeführten Zweckkritik wurde auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vorgenommen, die allerdings ergab, dass die „vom Gutachter in Einzelfällen vorgenommenen Vergleiche kein nennenswertes Einsparpotenzial (haben) erkennen lassen.“ Dies begründet sich nicht zuletzt durch Kosten, die zusätzlich beim LIGA.NRW aufgrund der Auftraggeberfunktion anfallen würden, also Kosten für den Einsatz von Sachmitteln und das Vorhalten einer Overheadstruktur, um überhaupt Dienstleistungen von Privaten einkaufen zu können. Ein Outsourcing von Aufgaben des LIGA.NRW an private Dienstleister stellt sich also als keine wirtschaftlich vertretbare Alternative dar. 85 Nigmann, Ralf; Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, hrsg. v. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH, 12/2008, S.12. 119 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Aber wie steht es mit den identifizierten Einsparpotenzialen der aufgabenkritischen Untersuchung? Auch hier sind Zweifel angebracht. Weniger in methodischer, als in prinzipieller Hinsicht bezüglich der Grundvoraussetzungen und der Aussagekraft der Studie. Eine umfassende und differenzierte Analyse der größtmöglichen Entlastungsmöglichkeiten im Aufgabenbestand des LIGA.NRW für das Land, hätte neben der geleisteten Aufgabenkritik, bestehend aus formaler Zweckkritik und strategischer Bewertung, vor allem eine Vollzugskritik leisten müssen. Denn diese analysiert die Prozessorganisation, also die Art und Weise, wie Aufgaben erledigt werden und den Umfang der Aufgabenerledigung. Dies ist jedoch unterlassen worden. Insofern ist die Reichweite der Aussagekraft des Gutachten nur sehr begrenzt und bezüglich der gegebenen Empfehlung, wie sich noch an einem exemplarischen Fall zeigen wird, zumindest im Hinblick auf die Aufgabenerledigung wie auch die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerledigung als verfehlt einzustufen. Dass die Empfehlungen in erster Linie auf Zweckkritik und strategische Bewertungen rekurrieren und interessanter Weise die ablauforganisatorische Fragestellung der Vollzugskritik außen vor lassen, verweist jedoch auf ein grundsätzliches Defizit bei der den Gutachtern gestellten Aufgabe durch die Landesregierung und das MAGS. Dies ist dem Gutachten selbst nicht anzulasten.. Eine differenziertere und besser begründete Ergebnisse gewährleistende Analyse hätte das endgültige Leistungsportfolio des LIGA.NRW zu seiner Grundlage haben müssen. Dies jedoch hätte nur politisch entschieden werden können und zwar unter der Voraussetzung, dass sämtliche Akteure, die seitens der Landesregierung als gesundheitspolitisch relevant eingeschätzt und deshalb auch am Gesundheitscampus konzentriert werden sollen, auch schon bekannt und in ihrer Vernetzungsqualität am Gesundheitscampus einzuschätzen sind. Denn durch die Spezifik der Vernetzung unter synergetischen Aspekten würde sich dann - folgt man dieser Logik - auch die Rolle und Funktion eines am Standort Gesundheitscampus etablierten LIGA.NRW zuweisen. Allerdings ist gerade dieser - auch von den Autoren des Gutachtens als entscheidend betrachtete Komplex - seitens der Landesregierung noch gar nicht abgearbeitet worden. Bis zum derzeitigen Zeitpunkt (Mitte 2009) gibt es nur Absichtserklärungen der Landesregierung, jedoch keinen konkreten Hinweis darauf, welche Akteure - vor allem mit welchem Leistungsprofil, das mögliche Schnittstellen für eine Kooperation mit dem LIGA.NRW bieten könnte - sich überhaupt am Campus niederlassen werden. 120 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Da bislang noch gar nicht „über das künftige Leistungsportfolio des LIGA.NRW entschieden ist“ und vor allem die “künftige Rolle des LIGA.NRW und insbesondere ihr Verhältnis zu dem neu aufzubauenden „Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) Gesundheit Nordrhein-Westfalen" ebenfalls noch nicht geklärt ist, vermag bislang niemand eine Geltung beanspruchende Aufgabenkritik mit Streichungs- oder Verlagerungsempfehlung zu geben.86 Denn um dies klären zu können, müsste erst einmal bekannt sein, „welche Akteure und Einrichtungen letztlich auf dem Gesundheitscampus NRW angesiedelt sein werden.“ Deshalb „sollte die Aufgabenkritik zunächst auf eine Zweckkritik begrenzt und ablauforganisatorische Untersuchungen zurück gestellt werden, bis über das künftige Leistungsportfolio des LIGA.NRW entschieden ist.“87 Diese Situation verweist auf einen generellen Webfehler der geplanten Umsetzung der Idee Gesundheitscampus. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Landesregierung wie das MAGS nicht in der Lage, präzise zu spezifizieren, welche gesundheitspolitisch relevanten Akteure definitiv auf dem Gesundheitscampus anzutreffen sind. Es bleibt fraglich, nach welchen Kriterien die Auswahl der Akteure stattfinden soll und welche kritische Masse an Akteuren zur Cluster- und Synergiebildung sowie in welcher Qualität ihr jeweiliges Leistungsportfolio vorhanden sein muss, um ein standortvernetztes LIGA.NRW überhaupt strategisch auszurichten. Bislang ist das MAGS nicht in der Lage anzugeben, unter welchen aufgabenkritischen und strategischen Bedingungen eine Verankerung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus überhaupt sinnvoll wäre. Es wird viel von Synergien und einer effizienteren Aufstellung des LIGA.NRW gesprochen, wie diese aber im Rahmen des Gesundheitscampus mit welch einem Aufgabenportfolio evaluierbar zu realisieren wären, darüber existieren bislang noch keine Aussagen. Dies hat auch seinen Grund. Denn die insinuierte angebliche Ineffizienz des LIGA.NRW, die durch die Verlagerung behoben werden soll, lässt sich nicht nachweisen. Gerade in der Schwierigkeit des Gutachtens, eine Bewertung hinsichtlich der Aufgaben vorzunehmen, besteht sein eigentlicher konstruktiver Sinngehalt. Er verweist auf die faktische Konzeptionslosigkeit der Idee Gesundheitscampus, da seitens des Ministeriums nicht plausibel begründet wird, aufgrund welcher Mechanismen, antizipierbarer Pro- 86 Nigmann, Ralf; Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, a.a.O. S.14. 87 Ebenda. 121 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht zesse und Impulsgebungen seitens der am Standort vorhandenen gesundheitspolitischen Akteure sich ein Mehrwert für LIGA.NRW und damit für die Ausrichtung der Gesundheitspolitik überhaupt ergeben könnte. Indem die Autoren indirekt darauf hinweisen, machen sie zugleich deutlich, dass eine seriöse Bewertung des derzeitigen und künftigen Aufgabenportfolios kaum möglich ist, schon gar nicht unter dem Aspekt potenzieller Aufgabenreduzierung. Aus diesem Grunde beschränkt sich das Gutachten auch auf die Zweckkritik, wobei eine formale Zweckkritik mit einer inhaltlichen Bewertung vorgenommen wird, die die Zweckkritik um eine strategische Perspektive im Hinblick auf eine Neuaufstellung des LIGA.NRW - in für das Land relevanten Handlungsfeldern - ergänzt. Dies kann, wie beispielsweise am FB 1 aufzeigbar, dazu führen, dass das im GVP Nr. 1.1.1 ausgewiesene Handlungsfeld Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigende Stoffe im Ergebnis der formalen Zweckkritik auch von anderen Einrichtungen - ob privaten Institutionen oder Behörden durchaus wahrgenommen werden könnte - da die gesetzliche Grundlage nicht dagegen spricht, die strategische Bewertung doch gegenteilig für eine unveränderte Fortführung durch das LIGA.NRW plädiert, da „die besondere Dichte von Betrieben in NRW“ es erforderlich macht, dass dies als wesentliches „Handlungsfeld des staatlichen Handelns“ verbleibt.88 Überdies wird an der mitunter stark differierenden Einschätzung zwischen den Ergebnissen der formalen Zweckkritik und der strategischen Bewertung, die die Untersuchung aller Aufgabenstellungen der fünf Fachbereiche in vielen Fällen aufweist, deutlich, dass der Versuch einer Begründung für den Verbleib einer Aufgabe oder ihres Fortfalls im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW weniger objektiv, als im Rahmen der Prämissen und Vorgaben eher subjektiv perspektivisch erfolgt bzw. nur erfolgen kann. Dies bezieht sich in einem engeren Rahmen auch auf die formale Zweckkritik, bei der als konstitutives Korrelat der Prüfung die Rechtsgrundlage dient. Zwar werden einem Fortfall oder einem Outsourcing von Aufgaben an andere behördliche oder staatliche wie auch private Einrichtungen mehr oder minder klare Grenzen aufgezeigt, da es in vielen Fällen rechtlich unzulässig ist, diese Pflichtaufgaben durch andere Einrichtungen wahrnehmen zu lassen oder sie gar aus dem Aufgabenportfolio zu streichen, aber auch dieser Rechtsrahmen ist interpretierbar im Hinblick auf sich 88 Ebenda. S. 40. 122 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ergebende Alternativen in der Aufgabenwahrnehmung. Noch interpretativ offener steht es bei der strategischen Bewertung der Aufgaben sowie in jenen Fällen, bei denen die gesetzliche Rechtsgrundlage einen Fortfall oder eine Weiterführung von Aufgaben außerhalb des Handlungsbereiches von LIGA.NRW als möglich einräumt. Hier liegt es an den gewählten Perspektiven und Prämissen, die eine Bewertung in der einen oder anderen Richtung als legitimierbar erscheinen lassen. M. a. W.: die Empfehlung der inhaltlichen Bewertung im Rahmen der strategischen Prüfung auf der Grundlage der formalen Zweckkritik hat den Status einer hermeneutischen Sachverhaltsprüfung und ist nur in diesem Sinne verbindlich und diskursiv. Sie ist mithin alles andere als mit objektiven Geltungsansprüchen versehen; als solche würde sie sich ein Maß an Objektivität anmaßen, das wissenschaftslogischepistemologisch nicht einzuholen ist. Geltungsanspruch und Plausibilität gewinnt sie deshalb nur innerhalb des Rahmens ihrer erkenntnisleitenden Perspektiven und Prämissen. Eine der wesentlichen Prämissen der Aufgabenkritik des Gutachtens ergibt sich aus seiner generellen Zielrichtung, nämlich: Es soll einen Vorschlag für den künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW vorlegen. Dem entsprechend wird eine Zweckkritik und inhaltliche Bewertung des Aufgabenbestandes in systematischer Weise vorgenommen. Die Prämisse, die dieser aufgabenkritischen Untersuchung zugrunde liegt, ist die, dass der Aufgabenbestand prinzipiell veränderbar ist, dass also etwaige Einsparpotenziale realisierbar sind. Die Prämisse selbst ist ihrerseits fundiert in der Grundannahme, dass ein LIGA.NRW, das auf den Gesundheitscampus verlagert wird, auch seine Aufgaben neu zu bestimmen hat. Hierbei können Aufgaben verlagert werden oder auch ganz bzw. teilweise fortfallen, wobei prinzipiell von der Prämisse Sicherstellung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land auszugehen ist. D.h., der künftige Aufgabenbestand wird sich von dem jetzigen nach Art, Umfang und Aufgabenwahrnehmung unterscheiden. Diese Neubestimmung soll das Gutachten leisten. Nun ist - wie bereits ausgeführt wurde - die künftige Bestimmung des Aufgabenportfolios allerdings abhängig von den in den Szenarien supponierten Aufgabenprofilen und diese wiederum hängen von den am Gesundheitscampus agierenden Akteuren, die noch überhaupt nicht feststehen, ab. Angesichts der Unbestimmtheit dieses Faktors bewegt sich der Versuch, nun eine Aussage über die künftige Ausrichtung des 123 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht LIGA.NRW im Hinblick auf seine Leistungen und seinen Aufgabenbestand zu treffen, in einem unauflösbaren Zirkel. Mit der Aufgabenkritik am gegenwärtigen Aufgabenbestand lässt sich nur eine Aussage darüber treffen, welches Aufgabenspektrum möglicherweise - unter den relativierenden Bedingungen der perspektivischen Voraussetzungen - vom LIGA.NRW zu versehen wäre. Dass das Ergebnis dieser Aufgabenkritik auch Geltung am Standort Gesundheitscampus haben könnte, lässt sich damit allerdings logisch kausal nicht begründen, da ja der entscheidende aufgabenund leistungsbestimmende Faktor Akteursnetzwerk nicht inhaltlich bestimmt werden kann. Ein am Standort Gesundheitscampus konzentriertes LIGA.NRW wird vorausgesetzt, um dann das Aufgabenportfolio dieses LIGA.NRW über den Standort, der als Gesundheitscampus völlig inhaltslos und unspezifisch bleibt, zu bestimmen. Da dies nicht möglich ist, behilft sich das Gutachten mit der Aufgabenkritik am nicht standortbezogenen, sondern regional dezentral operierenden LIGA.NRW, wodurch formallogisch nur das erklärt wird, was immer schon an Veränderungspotenzialen vorhanden ist, aber selbst bei Realisierung eines veränderten Aufgabenbestandes keinerlei Belang für den geplanten Gesundheitscampus haben kann. Einen (unbestimmten) Ausdruck jedoch mit einem anderen zu erklären, ist schlicht zirkulär. Alle Empfehlungen können deshalb keinerlei Geltung für ein LIGA.NRW am neuen Standort beanspruchen. Vielmehr verweisen sie selbstreferenziell auf die derzeitige „bestehende Zentren-Struktur, die aufgegeben werden (sollte).“89 Aus dieser zirkulären Argumentation können sich die Aussagen nicht befreien; es sei denn, die Akteure mit ihrem Leistungsportfolio und ihren Vernetzungs- und Kooperationsintentionen im Hinblick auf das vorhandene Aufgabenportfolio von LIGA.NRW ständen definitiv fest, so dass unter einer solchen conditio sine qua non untersucht werden kann, inwieweit bezüglich des Kriteriums der Synergiebildung und des Effizienzgewinns vor dem Hintergrund der zwei Szenarien die Effektivität des LIGA.NRW durch ein verändertes Aufgabenportfolio - unter allen hier erläuterten Vorbehalten - neu ausgerichtet werden kann. Da diese entscheidende Voraussetzung jedoch nicht existiert, ist es sinnlos, von der durchgeführten Aufgabenkritik auf einen künftigen Aufgabenbestand zu extrapolieren. 89 Ebenda. S. 11. 124 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Aussagen hierüber mögen hypothetisch zutreffend oder falsch sein, sie können jedoch keineswegs eine verbindliche Geltung beanspruchen. Dennoch werden im Rahmen des Gutachtens - ungeachtet der logischen Problematik der Begründbarkeit der Aussagen - weitreichende Empfehlungen zu einer Neuorganisation unterbreitet. Hieran zeigt sich, dass der politischen Intention einer Verlagerung der Vorrang gegenüber einer präzisen Analyse der möglichen Funktion und Aufgabenstellung von LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus eingeräumt wird. Denn eine solche Untersuchung könnte auch zu dem Ergebnis führen, dass LIGA.NRW keinerlei Schnittstellen mit anderen Akteuren am Gesundheitscampus aufweisen wird, dass die Potenziale von LIGA.NRW dort überhaupt nicht entwickelt werden können und dass ein - wie auch immer in seinen möglichen Aufgabenprofilen (anhand der zwei Szenarien) beschriebenes LIGA.NRW am Gesundheitscampus - vielleicht von geringerer Relevanz für den ÖGD und das Öffentliche Gesundheitswesen sein könnte, als das derzeitige LIGA.NRW in seiner regionalen Zentrenbezogenheit, also der Dezentralität seiner jetzigen Standorte. Solch eine alternative Analyse im Kontext der Aufgabenkritik wäre sicherlich weitreichender, differenzierter und auch in geltungstheoretischer Hinsicht aussagekräftiger gewesen, als die Beschränkung auf die politischen Vorgaben bei der Analyse. Denn damit geraten die Ergebnisse in die Gefahr, sich auf den Status einer puren Behauptung zu verengen. Ohne eine Kritik der Standortwahl lassen sich die künftigen Aufgaben von LIGA.NRW nur unzureichend bestimmen. Dennoch basiert das Gutachten auf der Voraussetzung, dass es sinnvoll sei, LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus zu konzentrieren und dem LIGA.NRW ein Profil zu geben, wie es die Zweckkritik mit ihren Ergebnissen, die ein verändertes Aufgabenportfolio beschreiben, nahe legt, obgleich die „künftige Rolle des LIGA.NRW und insbesondere ihr Verhältnis zu dem neu aufzubauenden „Kompetenzzentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen“[…] ebenfalls noch nicht geklärt (sind).“90 Auf dieser dann konstruierten Grundlage kommt das Gutachten zu der Anregung „bei der Zusammenführung der Standorte und Verlagerung des LIGA.NRW auf den Gesundheitscampus die Aufbauorganisation im Sinne eines den zukünftigen Anfor- 90 Ebenda. S. 14. 125 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht derungen gerecht werdenden ganzheitlichen Aufgabenverständnisses zu revidieren.“91 Abstrakt wird vom LIGA.NRW erwartet, dass es eine Organisationsform entwickelt, die den wechselnden Vernetzungsansprüchen der nicht näher bezeichneten Akteure folgt, so dass den politischen Erwartungen an „eine Vernetzung und Stärkung der jeweiligen Kompetenzen verschiedener gesundheitspolitisch relevanter Akteure“ auch organisatorisch entsprochen werden kann.92 LIGA.NRW muss also laut Gutachten eine Organisationsform am Gesundheitscampus entwickeln, die darin besteht „die eigenen Ressourcen und Kompetenzen möglichst flexibel und aufgabenadäquat einsetzen zu können.“(ebenda) Damit ist auch eine zunehmende Virtualität von LIGA.NRW intendiert. Da aus Effizienzgründen vermieden werden soll, dass gleichgerichtete Aufgaben der Bereiche Berichterstattung/Datenbasen oder Prävention an verschiedenen Stellen wahrgenommen werden, sollen die verschiedenen Datenbasen zusammengeführt werden. Eine solche Organisationsform, die dem derzeitigen Organisationsaufbau als überlegen betrachtet wird, stellt die auf eine aufgabenbezogene Vernetzung basierende Aufbauorganisation gegenüber einer Organisationseinheit mit einer starren Aufgabenzuweisung dar. Begründet wird diese als effizienter ausgewiesene Organisationsform mit dem Verweis auf DV- und Web-gestützte Instrumente, „die eine örtlich flexible und verteilte Zusammenarbeit und Verteilung von Informationen möglich machen.“93 Damit wird eine zentrale Datenaufbereitung präferiert, die die am Standort agglomerierten Daten und Informationen wiederum aufgabenspezifisch je nach Aufgabenbedarf verteilt. Da damit die räumliche Konzentration funktional zusammen gehöriger Arbeitsschritte „und der entsprechenden Arbeitskräfte für die Bearbeitung vieler Aufgaben an Bedeutung“ verlieren, ist es gemäß der Logik dieser Argumentation nur konsequent „bei der räumlichen Konzentration des LIGA.NRW die bestehende ZentrenStruktur“ aufzugeben sowie „bei der Zusammenführung der Standorte und Verlagerung des LIGA.NRW auf den Gesundheitscampus die Aufbauorganisation im Sinne eines den zukünftigen Anforderungen gerecht werdenden ganzheitlichen Aufgabenverständnisses zu revidieren.“94 91 Ebenda. S. 11. Ebenda. 93 Ebenda. 94 Ebenda. 92 126 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Das Hauptargument für den hier geleisteten Versuch die Standortkonzentration des LIGA.NRW zu begründen ist rein formal. Es wird behauptet, dass der derzeitige Organisationsaufbau nicht den Anforderungen an eine aufgabenadäquate und flexibel handhabbare Kompetenzanwendung genügen würde. Welche Kompetenzen und Ressourcen hierbei allerdings für welche Aufgaben und Anforderungen erforderlich und in welcher Weise dann tatsächlich auch verfügbar sind, lässt sich allerdings wiederum nur im Kontext der anderen Akteure (Kunden, Kooperationspartner etc.) bestimmen. Sie bleiben also inhaltlich unbestimmt. Hier ließe sich einwenden, dass Ressourcen und Kompetenzen für eine flexible Aufgabenwahrnehmung potenziell in der derzeitigen Organisationsform ebenfalls vorhanden sind und - wie die erfolgreiche Arbeitsweise von LIGA.NRW seit Jahren ausweist - auch aktualisiert werden. Überdies ist zu sehen, dass mit DV- und Web-gestützter Technologie ebenso ein Instrument existiert, dass gerade die derzeitigen Vorteile der dezentralen Standorte mit ihren Netzwerken, in einen gemeinsamen Aufgaben- und Handlungskontext dezentral positionierter Bereiche, nutzbar machen kann. So beispielsweise die nach dem GVP unter 1.3.4 geführten Aufgaben (Pflege einer dezentralen Informationsbasis für Auswertungen u. zum Arbeitsschutzcontrolling), die eine zentrale Aufgabe im Rahmen der Risikoerkennung wahrnehmen und nach Empfehlung der Aufgabenkritik aus Synergiegründen mit der Gesundheitsberichterstattung zusammengeführt werden soll.95 Eine Zusammenführung mit der Gesundheitsberichterstattung würde jedoch bedeuten, dass beide Bereiche an dem zentralen Ort zu konzentrieren wären. Dadurch allerdings würde die Dezentralität die - wie sich noch zeigen wird - eine entscheidende Voraussetzung für die Qualität der Datenbasis ist, aufgegeben werden. Zudem steht zu befürchten, dass bei einer Zusammenlegung möglicherweise - obgleich die strategische Bewertung dagegen spräche - die in der formalen Zweckkritik eruierten, über alle Laufbahnen verteilten, personellen Einsparpotenziale tatsächlich auch aus Kostengründen realisiert würden. Da aufgrund der schon jetzt existierenden personellen Engpässe in der Gesundheitsberichterstattung die Aufgabenwahrnehmung zunehmend problematischer wird, würden sich bei einer Zusammenlegung der beiden Bereiche - unter der Voraussetzung einer Realisierung der aufgezeigten Einsparpotenziale - keine weiteren Synergieeffekte mehr ergeben, sondern vielmehr beide Bereiche Schaden nehmen. Ab95 Ebenda. S. 44 f. 127 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht gesehen von dieser möglichen negativen Entwicklung bei einer Zusammenlegung der Bereiche am Gesundheitscampus (seitens des Gutachtens postulierte Aufgabe der „Zentren-Organisation) ist den Autoren hinsichtlich ihrer Bewertung, dass es unter einer strategischen Perspektive nicht sinnvoll wäre, diesen Aufgabenbereich auszugliedern und anderweitig fortzuführen, da es sich hierbei um einen „für Kompetenzerwerb und Kompetenzerhalt zentralen Aufgabenbereich“ des LIGA.NRW handelt, nur zuzustimmen. Allerdings wäre eine optimierende Weiterführung auch dadurch sichergestellt, dass die beiden Bereiche an ihren dezentralen Standorten informations- und kommunikationstechnisch vernetzt (durch Telearbeitsplätze miteinander kooperierend) weitergeführt werden könnten. Damit würde sich ein Musterbeispiel für die Nutzung von Synergieeffekten realisieren lassen, die aus den regionalen Schnittstellen resultieren und mit den Daten des Arbeitsschutzbereiches verbunden, ein großes Maß an Informationspotenzial bieten. Zugleich wäre dies ein Schritt in Richtung auf eine wirklich effiziente Verwaltung, die alle technologischen Möglichkeiten zur Optimierung ihrer gestellten Aufgaben wahrnimmt. Ein weiteres Argument betrifft die Redundanz in der Datenerhebung und im Datenmanagement. Da die Daten grundsätzlich über die zu erreichende virtuelle Struktur von LIGA.NRW synergieadäquat zusammengeführt und aufgabenspezifisch allokierbar sind, wird in einem weiteren Schritt dann unterstellt, dass eine räumliche Konzentration an den bisherigen regionalen Schnittstellen nicht mehr funktional von Nöten und auch nicht mehr effizient sei, so dass die Verlagerung des LIGA.NRW an den Standort Gesundheitscampus sachlich geboten wäre. Dies gerade auch vor dem Hintergrund, die Landesgesundheitspolitik optimal zu unterstützen. Gegen diese Argumentation lässt sich einwenden, dass angesichts der Notwendigkeit einer zunehmenden Virtualisierung auf der Grundlage des Ausbaus der DV- und Webkapazitäten des LIGA.NRW eine aufgabenspezifische Allokierung von Daten bzw. das gesamte Datenmanagement eher für die Beibehaltung der derzeitigen dezentralen LIGA.NRW- Standorte spricht. Denn eine Vernetzung der regionalen Standorte ist ja gerade durch die Interaktion gewährende Virtualität gesichert. Aufgabenbezogene Kompetenzeinheiten und Informationen lassen sich damit an jedem beliebigen Standort virtuell organisieren und Daten lassen sich ebenso gezielt - ohne Redundanzen - an den Schnittstellen erheben und einer zentralen Aufgabe zuweisen, die auf der Grundlage der Kompetenzen und Ressourcen, die die unterschiedlichen regionalen Schnittstellen falls erforderlich beisteuern. 128 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Gerade aufgrund der vorhandenen Potenziale DV-gestützter Arbeitsweisen spricht nichts für eine zentrale Zusammenführung der LIGA.NRW Standorte. Vielmehr handelt es sich bei dem Argument um eine durchaus neutrale Argumentationsfigur, denn funktional betrachtet, kann ein DV-gestütztes Netzwerk anwendungsorientiert sowohl für eine zentrale Overheadstruktur der Datenverarbeitung als auch für eine dezentrale Koordination sprechen. Allerdings spricht - wie noch aufzuzeigen sein wird - der aus den regionalen Kooperationsbeziehungen des LIGA.NRW an seinen Standorten mit den regionalen Netzwerken resultierende Mehrwert definitiv für ein dezentrales Modell, dessen LIGA.NRW Standorte sich eben aufgrund der gezielt einsetzbaren DV-Potenziale effizient vernetzen können. Dies sowohl im Austausch mit einem zentralen Standort, als auch mit den dezentralen Organisationseinheiten. Die von der Landesregierung für ihr beispielgebendes Modell so hochgelobten NIH zeigen, wie eine Vernetzung dezentraler Einheiten möglich ist. Mit der Recherchesoftware Collexis als Wissensplattform für die National Institutes of Health ist eine Vernetzung aller dezentralen Einheiten sowie auch kooperierender Institute US-weit möglich geworden. Nichts spricht also dagegen - aber sehr viel dafür - die LIGA.NRW Standorte zu belassen und entsprechend, ähnlich den NIH auf dem neuesten Level zu vernetzen. Ungeachtet des problematischen Zugangs zu diesem Themenfeld durchzieht dieses Diktum, dass die dezentralen Standorte des LIGA.NRW aufzugeben sind, als leitendes Vorverständnis die gesamte Aufgabenkritik und Neuorientierung des LIGA.NRW (mit einem wie auch immer reduzierten Aufgabenbestand) entsprechend der Zielvorgabe der Untersuchung ,„die für das Land weitreichendste Entlastungsmöglichkeit im Aufgabenbestand“ zu identifizieren.96 Aber es gibt in Verbindung mit dieser Zielstellung noch ein weiteres dominantes Motiv, dass eine Zentralisierung in Form der Standortkonzentration erforderlich erscheinen lässt. Hierbei handelt es sich um eine verstärkt betriebswirtschaftliche Ausrichtung des LIGA.NRW in Form eines kundenorientierten Dienstleisters in Sachen Gesundheit. Um die strategischen Zielsetzungen im Hinblick auf die künftige Entwicklung des LIGA.NRW bewerten zu können, wird die formale Zweckkritik um eine strategische 96 Ebenda S. 26. 129 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Bewertung ergänzt, die mögliche Aufgabenprofile am Gesundheitscampus aufgrund einer Leistungsmatrix ausweist, die aus zwei Szenarien besteht. Diese zwei Szenarien sind hinsichtlich einer stärkeren Profilierung von LIGA.NRW im Rahmen privatwirtschaftlicher Wertschöpfungsprozesse überaus aufschlussreich. In einem ersten Szenario wird das LIGA.NRW als politischer Fachberater und Know how Träger zur Unterstützung der Landesgesundheitspolitik gesehen („Szenario Fachberater"). das zweite Szenario sieht das LIGA.NRW primär in der Rolle einer fachlichen, techn. und verwaltungsmäßigen Dienstleistungseinrichtung für den Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen („Szenario Dienstleister").“97 Vor dem Hintergrund dieser Folie fällt demnach auch die Einschätzung der strategischen Relevanz des LIGA.NRW. und seiner Kernaufgaben, bzw. seiner künftigen Kernkompetenzen, unterschiedlich aus. Darüber hinaus beschreiben die beiden Szenarien auch unterschiedliche Existenz- und Entwicklungsmöglichkeiten für ein LIGA.NRW am Gesundheitscampus Bochum. Im 1. Szenario fungiert das LIGA.NRW als politischer Fachberater des MAGS, wobei die zentrale Nutzenerwartung an das LIGA.NRW in der konzeptionellen Unterstützung des politischen Handelns besteht. Die folgenden Leistungen würden diese Erwartungen abdecken: Konzepte und Handlungsempfehlungen; Berichterstattung zu politisch relevanten Feldern; als Motor / Katalysator für Entwicklungen fungieren; Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis realisieren Die hierzu erforderlichen Kernkompetenzen, die diesbezüglich einzubringen wären, sind: Fachkompetenz zu den relevanten Feldern der Gesundheitspolitik einschließlich Gesundheit in der Arbeit; Analyse und Bewertung von Daten und Informationen; Überdies ist es notwendig 97 Ebenda. S. 3. 130 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die vorhandenen Kompetenzen der beiden Zentren an den richtigen Stellen und Aufgaben zusammenzuführen; arbeitswissenschaftliche Kompetenz zu erlangen; die Fähigkeit zu entwickeln, betriebswirtschaftlich über den Nutzen von Arbeitsschutz / Gesundheitsschutz argumentieren zu können; toxikologische Kompetenz zu erlangen.(Vgl.S.18) Beim 2. Szenario als fachliche, technische und verwaltungsmäßige Dienstleistungseinrichtung für den Gesundheitscampus würde das folgende Leistungsportfolio relevant: die zielgruppengerechte Bereitstellung von Daten und Informationen; Begutachtungen konkreter Sachverhalte; Organisation von Veranstaltungen, Erstellung von Medien und InternetPräsentationen; ein Komplettangebot „Verwaltungsdienste"; Unterstützung in Krisensituationen und Projektmanagement als Dienstleistung. Hinsichtlich dieses Leistungsspektrums zeigt sich auch die von den Autoren eingeforderte Neubestimmung des LIGA.NRW über den bisherigen Aufgabenkreis der „Arbeits- und Schutzverwaltung“ hinaus, hin zu einer geradezu unternehmerischen Entwicklung eigenständiger neuer Geschäftsideen, Produkte und Dienstleistungen, mit denen dann auf dem Leitmarkt Gesundheit der Wettbewerb mit konkurrierenden Anbietern aufzunehmen wäre. Damit wird an beiden Szenarien - als ein nicht unbedeutendes Moment - eine verstärkt ökonomisch-wettbewerbsorientierte Ausrichtung privatwirtschaftlichen Zuschnitts deutlich. Damit besteht auch inhärent organisatorisch die Notwendigkeit, das Leistungsspektrum von LIGA.NRW neu zu definieren, um den in diesen Interpretationshorizont vermeintlichen Erfolg des LIGA.NRW zu gewährleisten. 131 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Hier wird folgerichtig die Empfehlung von der Voraussetzung diktiert, die entsprechend den Szenarien zu entwickelnden Leistungsprofile unter Wettbewerbsaspekten zu definieren. So sind die Leistungen/Produkte aus den Kernkompetenzen des 1. Szenarios zum einen bei einer Grundfinanzierung von 70% seitens des MAGS und zum anderen bei einer Finanzierung aus leistungsbezogenen Entgelten (30%) gegenüber dem MAGS entgeltlich zu spezifizieren und diese Leistungsentgelte gegenüber dem MAGS „möglichst längerfristig zu vereinbaren.“98 Ist erst einmal eine solche Leistungs- und Dienstleistungsbeziehung zwischen MAGS und LIGA.NRW entwickelt, impliziert dies auch im Außenverhältnis eine dezidierte Konkurrenzbeziehung gegenüber anderen Dienstleistern als Anbieter entsprechender Kernkompetenzen. In diesem Kontext wären Universitäten, Gutachter, Institutionen auf dem Gesundheitscampus, Forschungseinrichtungen, Robert-KochInstitut, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und ähnliche Bundeseinrichtungen zu nennen. Im 2. Szenario würde 30% des Gesamtbedarfs an Finanzierung seitens des Landes gegeben, 45% wären durch leistungsbezogene Entgelte abzusichern und die restlichen 15% durch leistungsbezogene Entgelte anderer Stellen. Das Kundenspektrum wäre weit umfangreicher als im 1.Szenario: MAGS, MUNLV und MWME erwarten die Erfüllung eines klar definierten und dem LIGA.NRW übertragenen Auftrags. Kommunen und Ordnungsbehörden erwarten die Bereitstellung von Daten und Informationen. Die Bezirksregierungen sowie das LANUV erwarten sowohl die Bereitstellung von Daten und Informationen als auch die Erfüllung konkret definierter Aufträge. Andere Landesbehörden und Nutzer auf dem Gesundheitscampus würden als Kunden ggf. kostengünstige Verwaltungsdienstleistungen, DV-Dienstleistungen etc. erwarten. 98 Ebenda. S. 18. 132 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Insbesondere würden auch andere Akteure als staatliche Stellen zu dem „Kundenkreis“ des LIGA.NRW gehören, nämlich „Institutionen auf dem Gesundheitscampus, betriebliche Arbeitsschutzakteure, Unfallversicherungsträger, Betriebe, die Gesundheitsregionen, andere Bundesländer und schließlich Abnehmer von HostingLeistungen (Web-Portale etc.).“99 Damit jedoch - gerade auch unter den prekären Finanzierungsbedingungen des LIGA.NRW - müsste LIGA.NRW für die Dienstleistungen, die für die neuen Nachfrager zu erbringen sind, kostendeckende Leistungsentgelte erheben. Die Autoren deuten selbst die Crux eines solchen Modells an. Zwar könnte LIGA.NRW im Wettbewerb mit seinen Konkurrenten einerseits die Alleinstellungsmerkmale Unabhängigkeit und Neutralität der Beratung und Forschungsdienstleistungen geltend machen und andererseits als Wettbewerbsvorteil anführen, dass seine Leistungen kostenlos abgegeben werden, aber unter den Bedingungen der Refinanzierung, wären diese Wettbewerbsvorteile nicht mehr am Markt relevant. Müsste LIGA.NRW seine Leistungen zu realistischen Marktpreisen erbringen, würden die potenziellen Konkurrenten des LIGA.NRW, wie TÜV, private Laborbetriebe, Gutachterbüros, Arbeitsmedizinische Zentren, Gesundheitszentren, Hochschulinstitute, Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, VG und Institute auf dem Gesundheitscampus durchaus Marktchancen haben. Jedoch stellt sich unter dieser Perspektive die Frage, inwieweit die angeführten Anbieter überhaupt in der Lage sind, qualitativ vergleichbare Dienstleistungen auf dem Niveau des LIGA.NRW zu erbringen. Wenn es sich um bisherige Kernaufgaben des LIGA.NRW handelt, dann sind damit auch Kernkompetenzen verbunden, die eben gegenüber Konkurrenten komparative Wettbewerbsvorteile implizieren. Da diese Überlegung jedoch nicht zielführend bei beiden Szenarien zu sein scheint, ist davon auszugehen - und dies wird an dem angegebenen Leistungsportfolio auch deutlich, dass hier dem am Gesundheitscampus neu aufgestellten LIGA.NRW eine eher privatwirtschaftliche Handlungsdimension zugewiesen wird. Dafür spricht insbesondere die aus diesem Szenario zu entnehmende Anforderung an das LIGA.NRW, „ sich stärker auf möglicherweise kurzfristig wechselnde Kun- 99 Ebenda. S. 21. 133 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht denbedürfnisse“ unter den Bedingungen eines deutlich höheren wirtschaftlichen Risikos einzustellen.100 Gegen ein LIGA.NRW in Dienstleisterfunktion für die im Rahmen des Gesundheitscampus noch zu schaffenden Kooperationsnetzwerke mit privatwirtschaftlichen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, wie es die Campusidee intendiert, spricht allerdings die öffentliche Aufgabenstellung und das Leistungsprofil im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Je ausgeprägter auch die wirtschaftliche Kooperation mit den privatwirtschaftlichen Akteuren vor Ort ist, desto größer wird die Gefahr, dass das LIGA.NRW seinen öffentlichen Auftrag und seine Aufgabenstellung für das öffentliche Gesundheitswesen tangiert. Der vermeintliche Wettbewerbsvorteil, der in dem Alleinstellungsmerkmal Neutralität und Objektivität der wissensbasierten Leistungen des LIGA.NRW besteht, dürfte sich bei der für eine Neuaufstellung empfohlenen Erschließung „eines breiteren Kundenspektrums über den Gesundheitscampus hinaus [...]“ „außerhalb der Arbeits- und Schutzverwaltung“ sehr schnell abnutzen. Gerade die wirtschaftliche Unabhängigkeit des LIGA.NRW garantiert dessen Neutralität und unparteiische Bewertung von gesundheitspolitisch relevanten Sachverhalten und Empfehlungen im Rahmen gesundheitspolitischer Ziele auf allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Angesichts der Dynamik des Leitmarktes Gesundheit besteht die Gefahr, dass mit den Ressourcen und Mitteln des LIGA.NRW konkurrierende Angebote unterstützt werden, LIGA.NRW im Rahmen seiner fachlichen Begutachtung nicht mehr neutral agiert, sondern auf der Basis der Auftragsforschung selbst zur Partei im Wettbewerb wird, und somit möglicherweise sogar hinsichtlich der Auswirkungen für das Gesundheitswesen damit zu einer eher defizienten Entwicklung beitragen könnte. 100 Ebenda. S. 20. 134 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Überdies würde sich im Zusammenhang eines Bewertungs- oder Gutachterauftrages ein Interessenkonflikt auch daraus ergeben, dass der Anbieter an der Empfehlung und Umsetzung von Programmen, Produkten oder Dienstleistungen, also all dessen, was er bewerten soll, auch noch selbst beteiligt ist. Bei einer Dienstleistungsausrichtung des LIGA.NRW im Sinne der Unterstützung privatwirtschaftlicher Wertschöpfung ist es nicht abwegig zu vermuten, dass das LIGA.NRW in eine solche Situation kommen könnte, dass es die Markteinführung von Produkten unterstützt und die unterstützten Produkte dann selbst im Rahmen seiner öffentlichen Aufgabenstellung zu bewerten hätte. Das bewertende Organ würde damit - unter dem Deckmantel der Objektivität und unparteiischen Prüfung oder der Ausübung seiner Kontrollfunktion - seine eigene Arbeit bewerten müssen. Diesem Interessenkonflikt wäre LIGA.NRW im Falle privatwirtschaftlicher wissenschaftlicher Dienstleistungsfunktion ausgesetzt. Zudem könnte dieses Handeln eine erhebliche Intervention in ein Marktgeschehen darstellen, da es die Transaktionskosten für die Markteinführung und Prüfung eines Produktes für den Anbieter relativ gering hält und seine Erfolgsaussichten relativ verbessert. Eine solche Einflussnahme wäre schlicht marktverzerrend. Die Rolle von LIGA.NRW im öffentlichen Gesundheitsdienst ist klar definiert. LIGA.NRW hat mit dazu beizutragen die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen sowohl in qualitativer wie quantitativer Hinsicht zu sichern und zu entwickeln. Unter dieser Perspektive ist es abwegig, dass LIGA.NRW selbst als Akteur oder gar Konkurrent gegenüber anderen Anbietern auf dem Gesundheitsmarkt agiert, möglicherweise sogar - wie im Gutachten vorgeschlagen, - „eigenständig neue Produkte und Dienstleistungen“ entwickelt. Dies steht diametral zu der Verantwortung, die LIGA.NRW für die Schaffung eines ausreichend verfügbaren und guten Gesundheitswesens für die gesamte Bevölkerung wahrzunehmen hat. Als Marktteilnehmer geraten die Breite und Tiefe der Versorgungsangebote notwendig aus dem Blick, da auf der privatwirtschaftlichen Akteursebene Kosten- und Rendite bzw. Gewinnüberlegungen dominieren. So liest sich der Katalog der Kernkompetenzen des Dienstleisterszenarios auch wie ein Kompendium der strategischen Unternehmensorganisation. Das am Gesundheitscampus positionierte LIGA.NRW benötigt, um erfolgreich am Markt - sei es mit neuen Produkten oder neuen Kunden - erfolgreich handeln zu können, eine Struktur, die u.a. aus Kernkompetenzen besteht, die in Vertrieb und Akquise ebenso lie- 135 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht gen, wie in der betriebswirtschaftlichen Steuerung und Beherrschung betriebswirtschaftlicher Instrumente, gerade auch, wie die Autoren versichern, um für Kunden diese „vorteilhaften Angebote entwickeln und erläutern zu können.“101 Einmal abgesehen davon, dass mit dieser Aufgabenstellung die vorhandenen Personalressourcen völlig überfordert wären und die Pflichtaufgaben in den Hintergrund träten, da Mitarbeiter im Rahmen der strategischen Ausrichtung des „Unternehmens LIGA.NRW“ gebunden wären, mutet dieses Szenario eines marketinggeführten, marktwirtschaftlich agierenden LIGA.NRW reichlich absurd an. Diese Beschreibung erinnert sehr an die Grundzüge eines Kompetenzmanagements, wie es in der Privatwirtschaft geltende Usance ist. Jedes Unternehmen hat jene Kernkompetenzen zu identifizieren, welches seinen Produkten, Dienst- oder Serviceleistungen einen einzigartigen (Alleinstellungsmerkmal) Kundennutzen verleiht. Ein so organisiertes und auf den gesundheitswirtschaftlichen Markt bezogenes LIGA.NRW wäre seiner übergeordneten Position und Urteilsfunktion beraubt und hätte den Status eines gesundheitswirtschaftlichen Akteurs unter einer Vielzahl von Akteuren. Unter der Annahme allerdings, dass das LIGA.NRW zweigleisig optiert, wie es das 2. Szenario auch nahe legt, werden die Interessenkonflikte noch bedrängender. Hier denke man nur an den Kernbereich des LIGA.NRW Standortes Münster, die Arzneimittel-Untersuchungsstelle. Die vielfältigen Aufgaben der Arzneimitteluntersuchungsstelle sind gesetzlich vorgeschrieben. (Rechtlichen Grundlagen sind AMG, AMGVwV, RL 2001/83/EG, RL 2001/82/EG.) Einzelne Aufgaben bestehen in der: Untersuchung und Begutachtung von amtlich gezogenen Arzneimittelproben (Einsender: Gesundheitsämter, Bezirksregierungen, Zoll, Staatsanwaltschaft, Polizei) Beratung der Überwachungsbehörden und der Ministerien MAGS und MUNLV Durchführung von GMP- und GLP-Inspektionen in NRW sowie im Ausland, sofern die pharmazeutischen Firmen dort Niederlassungen haben. 101 Ebenda. S. 21. 136 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Die Arzneimittelsicherheit bildet unter der Perspektive des Verbraucherschutzes wie auch der Gesundheitsförderung eines der wichtigsten Anliegen des öffentlichen Gesundheitsdienstes Besonders relevant für den Verbraucher ist jedoch die Schutzfunktion, die die Arzneimitteluntersuchungsstelle ausübt. Bei Arzneimittelskandalen leistet die Arzneimitteluntersuchungsstelle eine Art „Feuerwehrfunktion“. Angesichts eines Umsatzvolumens von 41, 28 Mrd. € in 2007 und einer Umsatzsteigerung von 8,4% gegenüber dem Vorjahr stellt die Pharmabranche aufgrund ihrer Marktmacht gegenüber den Belangen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und den Interessen der Bürger an einer sicheren und kostengünstigen Versorgung mit Medikamenten, eine kaum zu regulierende Macht dar. Die gescheiterten Versuche der Kostenregulierung im Pharmabereich, der zunehmende und immer aggressiver werdende Lobbyismus und der Kotau des Gesetzgebers vor der Branche sprechen für sich. Aber auch die Pharmabranche kämpft mit einigen Problemen. Sie resultieren aber weniger aus Konjunktur-Risiken, wie das Handelsblatt v. 17.10.2008 schreibt, sondern vor allem aus strukturellen und regulatorischen Veränderungen. So ist unter anderem wegen höherer Sicherheits-Anforderungen die Entwicklung neuer Medikamente wesentlich schwieriger und aufwendiger geworden. Gerade dieser Umstand könnte zu einem erheblichen Interessenkonflikt im Rahmen der Variante eines kommerzialisierten LIGA.NRW führen. „Von den sich auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln wird seitens der Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße optimale Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erwartet. Insofern ist staatlicherseits sicherzustellen, dass keinerlei gesundheitliche Gefahren von Arzneimitteln ausgehen und dass deren Wirksamkeit auch garantiert ist. Um dies zu gewährleisten existiert ein zweistufiges Prüfungs-Verfahren, dass neben der Zulassung von Arzneimitteln auch die behördliche Überwachung des Arzneimittelverkehrs beinhaltet, also die ständige Arzneimittelprüfung und -überwachung. Die Überwachung wird in NRW von Bezirksregierungen und Kommunen wahrgenommen. Das LIGA.NRW unterstützt die genannten Behörden in ihren Aufgaben als fachliches Kompetenzzentrum. Hierzu wird im LIGA.NRW die amtliche Arzneimittel- 137 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht untersuchungsstelle des Landes NRW unterhalten die analytisch die Qualität von Arzneimittelproben überprüft. Daneben wird das Expertenwissen der hier tätigen Apothekerinnen und Apotheker auch zur Beurteilung der Herstellungs- und Kontrollprozesse in den pharmazeutischen Unternehmen bei Betriebsinspektionen durch die Bezirksregierungen genutzt. Weitere wichtige Bausteine der Arzneimittelsicherheit sind Projekte für einen sinnvollen Arzneimittelkonsum der Bevölkerung (Sozialpharmazie) sowie zur Erhöhung der Anwendungssicherheit von Arzneimitteln durch Patientinnen und Patienten.“102 Die Arzneimitteluntersuchungsstelle im LIGA.NRW nimmt so eine entscheidende Funktion für den Gesundheitsschutz wahr. Einerseits durch die Analyse der Arzneimittel und Gesundheitsprodukte und andererseits, indem sie die pharmazeutischen Unternehmen und ihre Herstellungsprozesse kontrolliert. Allerdings kann sie diesen Aufgaben derzeit kaum noch - in verantwortlicher Weise gerecht werden. Denn mit dem aktuell vorhandenen Personalbestand ist die kritische Masse bereits unterschritten. So haben z.B. die Fachgruppen 5.2 und 5.3 in den letzten Jahren bereits 2 Apotheker in Vollzeit und 3 Labormitarbeiter (1 in Teilzeit) und eine Hilfskraft verloren. Die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben können dadurch - wie die Experteninterviews ergaben - aktuell nicht erfüllt werden. Bei der Arzneimitteluntersuchungsstelle (FB 5.2 und 5.3) handelt es sich um ein Labor mit einem akkreditierten Qualitätssicherungssystem, das regelmäßig von externen Auditoren überprüft wird. Die Akkreditierung ist eine zwingende Voraussetzung für die gerichtliche Anerkennung der Analysenergebnisse. Durch den Personalabbau ist die Akkreditierung gefährdet. Fazit: Wenn der Personalbestand in diesen Fachgruppen nicht umgehend erweitert wird, ist eine gesetzeskonforme Aufgabenerfüllung kaum noch gewährleistet. Sollte nun politisch dem 2.Szenario Raum gegeben werden, so steht zu befürchten, dass die ohnehin knappen Ressourcen eher kundenorientiert umgeschichtet werden, als dass die komplexe Kontrollfunktion von Gesundheitsprodukten und den Dienstleistern im Gesundheitswesen - im Rahmen des öffentlichen Interesses - in sachlich gebotenen Weise weiter verfolgt oder gar ausgeweitet werden wird.. Überdies besteht – folgt man diesem Szenario - die Gefahr, dass aufgrund einer ausgeprägten Dienstleistungsorientierung dann möglicherweise auch den Interessen der zu 102 Auf: www.loegd.nrw.de 138 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht akquirierenden –privatwirtschaftlichen – Kunden, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem effizienten Patienten- und Verbraucherschutz eine allzu hohe Priorität eingeräumt werden könnte. Denn aus der wirtschaftlichen Zielstellung, die mit dem Konzept Gesundheitscampus vertreten wird, ergeben sich im Spannungsverhältnis von Refinanzierungsgebot und Pflichtaufgaben erhebliche Konfliktpotenziale für das LIGA.NRW. So besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass angesichts des wirtschaftlichen Primats eine wissenschaftlich haltbare, aussagekräftige und objektive Bewertung der Produkte auf ihre Unbedenklichkeit und Produktsicherheit nur noch eingeschränkt und interessegeleitet wahrgenommen wird, was zu Lasten des Verbraucher- und Patientenschutzes ginge. Sofern LIGA.NRW auf ein Leistungsprofil reduziert wird, wie es mit dem Modell Gesundheitscampus intendiert ist, also mit privatwirtschaftlichen Unternehmen als neuen Kunden auf der Ebene von Geschäftsbeziehungen kooperiert, wird ein solcher Interessenkonflikt fortwährend bestehen. Gerade dieser neuralgische Aspekt wird auch seitens der Mitarbeiter der Arzneimitteluntersuchungsstelle als überaus problematisch empfunden. In den Interviews wurde prononciert darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftlich fundierte Kontrollfunktion nicht mit einer interessengeleiteten Vermarktung kompatibel ist. So wurde dezidiert darauf hingewiesen, dass Forschung wie sie im LIGA.NRW betrieben wird, keine Dienstleistung privatwirtschaftlicher Verwertung sei und Kontrollfunktionen prinzipiell in staatlichen Händen bleiben müssten, da ansonsten Interessenskonflikte bestehen würden. Die Apothekerinnen und Apotheker der Arzneimitteluntersuchungsstelle erstellen unabhängige Gutachten in amtlichem Auftrag und sehen diese Unabhängigkeit gefährdet, wenn sie im Bereich Beratung und Wirtschaftsförderung tätig sein müssten. Dadurch würden erhebliche Interessenskonflikte auftreten, wenn sie ein Unternehmen in NRW beraten und parallel dazu ein Produkt dieser Firma beanstanden müssten. Angesichts der Marktmacht der Pharmabranche (Gewinn der Pharmaindustrie in Deutschland 2007 31,7 Prozent des Umsatzes, Kosten für Medikamente die von Patienten bzw. den Krankenversicherungen in Höhe von 34 Milliarden € im Jahr zu zahlen sind) lässt sich ermessen, dass beispielsweise eine auf Refinanzierung angewiesene Arzneimitteluntersuchungsstelle möglicherweise in die Zwangslage kommen könnte, ihre Untersuchungsgegenstände entsprechend den Interes- 139 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sen ihrer Auftraggeber zu selektieren wird und entsprechende Empfehlungen auszusprechen. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich bildet hierfür die seit Jahren von Verbraucherschützern und der um den Gesundheitsschutz bemühten Fachwelt eingeforderten Klärung der Wirkung und des Gefährdungsrisikos von kombinierten Schmerzmitteln. Obgleich seit mehr als 6 Jahren dazu aussagekräftige Studien eingefordert werden, wurde bislang dem Desiderat nicht entsprochen. Da selbst unter den derzeitigen Bedingungen der relativen Unabhängigkeit der Arzneimitteluntersuchung auf Bundes- und im Rahmen des ÖGD auf Landesebene, seitens des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM eine solche Notwendigkeit anscheinend nicht gesehen und weiterverfolgt wird – bleibt fraglich, ob sich das LIGA.NRW bei einer vergleichbaren Sachlage einem zunehmenden Einfluss privatwirtschaftlicher Interessen vollständig und wirkungsvoll entziehen können wird. Bei einem Modell eines LIGA.NRW, das als unternehmerisch agierender Dienstleister seine eigene ökonomische Basis durch Geschäftsbeziehungen auch zur Privatwirtschaft sichern muss, besteht immer die Gefahr, dass die unabhängige Forschungs- und Analysearbeit belastet werden könnte. Ebenso wie in der Arzneimittelüberwachung verhält es sich auch in den anderen relevanten Handlungsfeldern wie der Gesundheitsberichterstattung, der Infektionsund Umweltepidemiologie, der Trinkwasserqualitätsbestimmung und den zentralen Handlungsbereichen des „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“, also den Aufgabenfeldern „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“, bei den sicherheitstechnischen Aufgaben zum Schutz Dritter sowie in der Politikberatung im Rahmen des Arbeitsschutzes. Ein in seinem Aufgabenbestand stärker privatwirtschaftlich ausgerichtetes LIGA.NRW gerät ständig in die Gefahr einer Interessenkollision. Angesichts der Kernkompetenzen des LIGA.NRW sowohl bei der Arzneimittelsicherheit als auch bei der strategisch relevanten Gesundheitsberichterstattung und im Arbeitsschutz, wäre ein Wissensdienstleister, der zugleich über hoheitliche Rechte verfügt und zudem in seiner wissenschaftlichen Reputation unangreifbar ist, ein idealer Partner in einer strategischen Allianz mit privatwirtschaftlichen Unternehmen - dies auch und gerade aus ökonomischen Interessen. 140 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dass es für diese Sichtweise durchaus ernst zu nehmende Anhaltspunkte gibt, dürfte an dem folgenden Sachverhalt evident werden. Nachdem die Standortentscheidung nun am 12.05.2009 für Bochum gefallen ist, änderte die Landesregierung auch ihre Informationspolitik. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nunmehr eine durchkalkulierte, konsistente Konzeption als solche, mit belastbaren Daten oder Zahlen vorgelegt wurde. Vielmehr erschöpft sich die Darstellung der Landesregierung in allgemeinen Verlautbarungen zur Idee des Gesundheitscampus und seinen angeblichen Vorteilen für die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung - wie sie auch schon seitens Minister Laumann und des ehemaligen Staatssekretärs Prof. Winter - der Presse im vergangenen Jahr mitgeteilt wurden. Allerdings ist auf eine wichtige Akzentverschiebung aufmerksam zu machen. Während Prof. Winter in der Vorstellung der Idee Gesundheitscampus vor allem die Aspekte Strategie und Vernetzung, Forschung, Qualifikation, Strategische Technologiefelder, die europäische Dimension und nicht zuletzt das Öffentliche Gesundheitswesen betonte und kurz skizzierte, wird nunmehr ein weiteres Moment der Konzeptidee deutlich. Es ist der Primat privatwirtschaftlicher Verwertungsinteressen, der nunmehr verstärkt offensichtlich Regie führen soll. Festmachen lässt sich die kardinale wirtschaftliche Ausrichtung des Gesundheitscampus im Sinne der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung an den Ausführungen, die die Bekanntgabe der Standortwahl erläuternd begleiteten.103 So wird die Idee des Gesundheitscampus primär ökonomisch begründet. Hierzu in der o.g. Publikation das MAGS: „Wir gehören weltweit zu den 20 größten Wirtschaftsregionen, aber dies impliziert noch keinen Automatismus in Fragen der Exzellenz. Die Zukunftskommission hat in dem am 20. April 2009 vorgelegten Bericht festgehalten, dass unser Land nach den Indikatoren des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung allenfalls bei der Umsetzung von Innovationen relativ stark sei. Die klare Empfehlung lautet, Geld und Energie zu investieren, um im Hinblick auf Forschung und Entwicklung unter die Besten Deutschlands und Europas zu kommen. Mit dem Gesundheitscampus Nordrhein- Westfalen folgen wir in einem ersten Schritt dieser Empfehlung!“104 103 Vgl. hier zu: Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen. Innovation in der Gesundheitswirtschaft. Hrsg. vom MAGS. NRW 5/2009. 104 Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen 2009, a.a.O., S.3. 141 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Die Botschaft lautet, dass die Forschungslandschaft zwar gut aufgestellt sei („gute Grundlagen für Forschung und Gesundheitsdienstleistungen“) aber sich noch wesentlich verbessern muss, um über Excellenzen und originären Innovationen eine gesundheitswirtschaftliche Wertschöpfung zu erlangen. Gleich darauf wird das eigentliche Ziel, dass mit der Idee Gesundheitscampus verfolgt wird, benannt: „In Nordrhein-Westfalen sollen vermarktungsreife Produkte schneller für die Gesundheitswirtschaft entwickelt werden.“105 Zwar werden darauf folgend eine beträchtliche Anzahl an humanitären Forschungsprojekten in Form von Willenserklärungen in Aussicht gestellt, aber der Grundtenor stellt sich als signifikant ökonomisch dar. „Es werden Forschungsprojekte zur Entwicklung neuer Medikamente durch Konsortien gefördert. Bestehende Einrichtungen werden vernetzt und Kooperationen mit Unternehmen geschaffen.“ Somit kann konstatiert werden, dass sich der Gesundheitscampus in erster Linie an die Pharmaindustrie - und ihrer Interessenlage - richtet. Dies belegt auch die Aussage: „Die nationale und internationale Pharmaindustrie wird im Bereich der präklinischen Forschung attraktive Angebote erfahren.“106 , wobei eines der attraktiven Angebote die Strategie sein könnte, die für die Pharmaindustrie relevanten Einrichtungen - wie das Krebsregister - mit den Unternehmen zu koordinieren. Der Zweck, der mit dem Gesundheitscampus somit verfolgt wird, scheint also darin zu bestehen, dass die Einrichtungen, die am Gesundheitscampus gebündelt werden, auch eine engere Kooperation mit der Privatwirtschaft (insbesondere der Pharmaindustrie) eingehen sollen, vermutlich nicht zuletzt mit dem Ziel, das Wertschöpfungspotenzial der „Kooperationspartner“ zu steigern. Vor diesem rein wirtschaftlichen Hintergrund ist es nur logisch stringent, wenn beklagt wird, dass bislang noch keine effiziente Vernetzung zwischen der Industrie und öffentlichen Einrichtungen bestünde. Aus diesem Grunde gelte es auch, „das Krebsregister strategisch so zu positionieren, dass sehr viel schneller Daten landesweit mit neuen Informationsplattformen evaluiert und entsprechende produktorientierte Forschungen initiiert werden können.“107 Der Gesundheitscampus dient also – nach Auffassung der Landesregierung in nicht unerheblicher Weise - dem Zweck, „Schubkraft für ein innovationsfreundlicheres 105 Ebenda. Ebenda. S. 4. 107 Ebenda. S. 5. 106 142 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Wirtschaftsklima“ zu erzeugen und er gibt Raum „für unterschiedliche Strukturen und Geschäftsmodelle mit Mittelstand und Industrie.“108 Nicht ohne Ironie ist die Begründung für die dezidiert wirtschaftliche Ausrichtung dieses Modells. So soll der Gesundheitscampus die Geschäftsmodelle mit Mittelstand und Industrie auch deshalb fördern, um u.a. die Bevölkerung bedarfsgerechter über Krankheiten zu informieren, den Menschen in Nordrhein-Westfalen die beste Prävention und medizinisch-pflegerische Versorgung zu bieten, die Gesundheit bei der Arbeit und in anderen Lebenswelten zu sichern und zu fördern. Es bleibt fraglich, ob diese positiven Ziele durch eine intensivere Kooperation der Wirtschaft mit öffentlichen Einrichtungen wie dem Epidemiologischen Krebsregister NRW gGmbH und vor allem dem LIGA.NRW realisierbar sind. Die Aufgaben des Krebsregisters NRW bestehen in der Erfassung, Speicherung und Interpretation von Informationen zu Krebserkrankungen. Ein solches Krebsregister bildet neben der amtlichen Todesursachenstatistik die einzige Datenbasis zur Häufigkeit und Verbreitung von Krebserkrankungen in der Bevölkerung. Aus diesem Grunde leistet es eine wesentliche Unterstützung für das Gesundheitswesen, indem eine aussagekräftige Datenbasis durch die kontinuierliche Beobachtung des Krebsgeschehens Analyse zeitlicher Trends und regionaler Verteilungen Planung und Bewertung der onkologischen Patientenversorgung sowie Bewertungen von Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung für wissenschaftliche Studien zur Krebsforschung bereitstellt. Entscheidend hierbei ist, dass Studien und Daten für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Diese Transparenz und öffentlichkeitsrelevante Funktion beschreibt das Krebsregister wie folgt: „Das Epidemiologische Krebsregister Nordrhein-Westfalen muss die gespeicherten Daten für die Gesundheitsplanung und die epidemiologische Forschung einschließ108 Ebenda. 143 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht lich der Ursachenforschung und Gesundheitsberichterstattung bereitstellen, statistisch epidemiologisch auswerten und die wesentlichen Ergebnisse in geeigneter Form veröffentlichen. Dies erfolgt üblicherweise in Jahresberichten über alle Krebserkrankungen oder in Schwerpunktberichten über eine ganz bestimmte Tumordiagnose. Diese Veröffentlichungen richten sich sowohl an die allgemeine Öffentlichkeit einschließlich der von Krebs Betroffenen und deren Angehörige wie auch an die meldenden Ärztinnen und Ärzte sowie andere Vertreterinnen und Vertreter des Gesundheitswesen.“109 Fokus des Leistungsportfolios des Krebsregisters NRW sind somit zum einen die allgemeine Öffentlichkeit und zum anderen der ÖGD und das Gesundheitswesen. Am Standort Münster leistet diese Einrichtung mit einem Höchstmaß an Effizienz und Transparenz eine hervorragende Arbeit, indem auch diese Institution, vernetzt mit den Akteuren aus der Forschung am Standort Münster, seit ihren Anfängen in 2005 auf eine unverzichtbare Forschungsinfrastruktur im Raum Münster rekurrieren kann. Insbesondere die Kooperation mit dem Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster führt der Krebsforschung eminent wichtige Expertise zu. Ebenso bildet die Kooperation mit dem Referenzzentrum Mammographie Münster ein unverzichtbares Element einer erfolgreichen Krebsforschung. Hierbei ist zu sehen, dass das Zentrum in Münster für die anderen Referenzzentren im Bundesgebiet Vorbildcharakter hat. Gerade aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit dem Epidemiologischen Krebsregister NRW „wird es künftig möglich sein, präzise zu belegen, wie häufig Brustkrebs in welchem Alter und in welchem Stadium auftritt. Damit können die Methoden der Brustkrebsfrüherkennung verbessert werden.“110 Mit der Zentralisierung des Krebsregister NRW werden - analog dem LIGA.NRW auch für diese renommierte Institution die Arbeitsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Mit der Verlagerung werden intakte und hochgradig effiziente Netzwerke zerstört und somit die bislang fruchtbare Zusammenarbeit im Cluster behindert. Die Überführung dieser Einrichtung an den Gesundheitscampus bietet also keinerlei arbeitstechnische oder wirtschaftliche Vorteile, da Synergieeffekte aufgrund nicht vorhandener Kooperationspartner, wie auch beim LIGA.NRW, ausbleiben werden. Zwar 109 110 www.krebsregister.nrw.de www.klinikum.uni-muenster.de 144 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht spricht die Gründung des Europäischen Protein Forschungszentrums (PURE), dessen Arbeiten sich auf Krebs und neurodegenerative Erkrankungen (wie zum Beispiel Alzheimer und/oder Parkinson) fokussieren sollen, formal dafür, dass sich für das Krebsregister Kooperationsschnittstellen ergeben könnten. Allerdings ist selbst unter der rein hypothetischen, bislang noch nicht bewiesenen Voraussetzung, dass sich Synergien ergeben werden, fraglich, inwieweit eine Kooperation auf der Ebene des Datentransfers nicht auch auf der Grundlage moderner elektronischer Kommunikationsmittel möglich wäre, ohne die derzeitigen Synergieeffekte der gegenwärtig bestehenden Netzwerke zu tangieren. Eine diesbezügliche Analyse der Vor- und Nachteile einer Verlagerung, ihrer Kosten- und ihres Nutzens, ist bislang von der Landesregierung, respektive dem MAGS, nicht geleistet worden. Insofern scheint die Entscheidung der Zentralisierung weniger sachlich, als politisch von dem Interesse geleitet zu sein, wirtschaftliche Wachstumsprozesse zu optimieren. Vorteile im Hinblick auf die Aufgabenbewältigung und die öffentlichkeitsrelevante Funktion des Krebsregisters am Standort Bochum bestehen damit in evidenter Weise nicht. Stattdessen könnte die Leistungsfähigkeit des Krebsregisters am Gesundheitscampus dadurch beeinträchtigt werden, dass auch hier die Mitarbeiter aus sozialen Gründen eine Verlagerung ihrer Arbeitsplätze nicht begleiten werden. Also weder ihren Wohnsitz aufgeben, noch fernpendeln werden. Vielmehr muss befürchtet werden, dass sie ihren Arbeitsplatz aufgeben. Verständlicherweise war es deshalb Minister Laumann und dem MAGS auch nicht möglich, in der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Landtages im August 2008 die Verlagerung des LIGA.NRW und insbesondere des Krebsregisters mit überzeugenden und nachprüfbaren Argumenten zu begründen. Vor diesem Hintergrund bleibt der Grund für die Verlagerung deshalb weiterhin diffus. Zu konstatieren ist, dass das Krebsregister bislang exzellente Arbeit hinsichtlich der Datenbeschaffung, Aufbereitung und Evaluation leistet. Dies aber scheint dem Verständnis der Landesregierung folgend nicht ausreichend zu sein. Auch die vorhandene öffentliche Transparenz sowie die Qualität der aufbereiteten Daten und Forschungsergebnisse, die sowohl von den Beteiligten des ÖGD wie auch von den Experten des Gesundheitswesens in Forschung und Kuration geschätzt werden, scheint für die Landesregierung relativ irrelevant zu sein. Vielmehr geht um eine an- 145 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht dere strategische Ausrichtung des Krebsregisters. Zu vermuten ist, das es deshalb verlagert werden soll, damit „entsprechende produktorientierte Forschungen initiiert werden können.“ Hier scheint es, dass eine strategische Allianz zwischen dem Krebsregister und den mittelständischen Unternehmen sowie der Pharmaindustrie anvisiert wird. Ginge es nur um die Bereitstellung von Daten zur Krebsforschung für Unternehmen, so könnten diese auch seitens der Industrie am Standort Münster abgerufen werden. Unternehmen der Pharmabranche, ob Mittelständler oder Konzern, haben die gleichen Möglichkeiten, Daten und Forschungsergebnisse, da für die Öffentlichkeit bestimmt, im Bereich des Krebsregisters zu eruieren, wie jeder Bürger die entsprechenden Informationsplattformen ebenso aufsuchen kann. Der Vorteil, der sich für die Pharmabranche hinsichtlich eines am Standort Gesundheitscampus etablierten Krebsregisters ergäbe, läge jedoch darin, dass sie ihren wirtschaftlichen Einfluss intensiver geltend machen könnte. Ein unter dem Einfluss der Wirtschaft stehendes Krebsregister wie auch eines von der Gesundheitswirtschaft kontrollierten LIGA.NRW, würden eher den Verwertungsinteressen der Unternehmen zuarbeiten, als dies an den dezentralen Standorten möglich sein würde. Ebenso würde eine stärkere wirtschaftliche Ausrichtung des LIGA.NRW dazu führen, dass Koordinierung und Ausführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bei einer Ausrichtung als Dienstleister wahrscheinlich in nicht mehr ausreichendem Maße möglich sein werden. Dadurch wird die Möglichkeit reduziert, die Politik neue Entwicklungen und innovative Potenziale für das Gesundheitswesen und die Versorgungsqualität der Bevölkerung für die nordrhein-westfälische Politik zu erschließen und anwendbar zu machen. Zudem würde eine solche Interessenverquickung mit den Akteuren der Gesundheitswirtschaft eine erhebliche Relativierung der Aufgabenwahrnehmung darstellen, die wiederum die Kontrollfunktion, beispielsweise im Arzneimittelbereich und im Rahmen des Arbeitsschutzes, konterkarieren dürfte. Denn die Leistungspalette, die LIGA.NRW um den privatrechtlichen Kundenbeziehungen gerecht zu werden, wahrzunehmen hätte, würde in Konflikt mit dem dennoch zu erfüllenden „Vorrang staatlicher Leistungsansprüche gegenüber vertraglich mit Dritten vereinbarten Leistungen“ geraten. Insofern würde eine entsprechend den Leistungszuweisungen von LIGA.NRW im Rahmen der zwei Szenarien gewonnene Neuausrichtung der bisherigen erfolgreichen Aufgabenwahrnehmung im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht mehr gerecht werden. 146 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Gegen die in beiden Szenarien entwickelte Perspektive einer Neuaufstellung von LIGA.NRW, deren wesentliches Essential eine auch privatwirtschaftliche Signatur von LIGA.NRW ist, ist der damit erfolgende Substanzverlust - gemessen am derzeitigen Leistungsprofil und der Aufgabenwahrnehmung von LIGA.NRW - höchst kritisch zu bewerten. Unter den veränderten Bedingungen einer Neuausrichtung am Gesundheitscampus in Relation zu den beiden Szenarien, die als Vorverständnis zur Begründung der inhaltlichen wie formalen Zweckkritik mit ihren Empfehlungen zur Neuorientierung der Aufgaben fungieren, werden dann auch die Empfehlungen zur Rationalisierung und zum vermeintlichen Effizienzgewinn durch Synergiebildung verständlich, wenn auch nicht unter der jetzigen Ausrichtung und Leistungsperspektive des LIGA.NRW akzeptierbar. Am Beispiel des GVP Nr. 3.2.3, der die Aufgabe „Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste“ bezeichnet, wird dies deutlich. Innerhalb des LIGA.NRW bildet dieser Aufgabenbereich für das öffentliche Gesundheitswesen und für den öffentlichen Gesundheitsdienst auf kommunaler Ebene ebenso wie auch auf der Ebene der gesundheitspolitischen Zielbestimmung und der gesundheitspolitischen Entscheidungsebene, eine überaus relevante Pflichtaufgabe. Hier kommt die formale Zweckkritik zu dem Ergebnis, dass dieses Aufgabengebiet teilweise wegfallen kann, während das Ergebnis der strategischen Bewertung darauf hinausläuft, dass diese Aufgabe mit verringerter Intensität fortgeführt werden könnte. Ein Teilsegment dieser Aufgabenstellung - darin stimmen inhaltliche und formale Zweckkritik überein - kann allerdings fortfallen. Hierbei handelt es sich um die Erfassung der Daten der unteren Gesundheitsbehörden. Die Begründung hierfür lautet, dass die „Zentralerfassung durch technischen Fortschritt nicht mehr erforderlich“ wäre, womit sich ein Einsparpotenzial an Stellen im MD von 0,30 ergeben würde. Im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW Standortes Bielefeld bei dem u.a. dieses Aufgabengebiet angesiedelt ist, erweist sich dieses Votum der Gutachter als nicht haltbar. Denn die Empfehlung berücksichtigt nicht die tatsächlich erforderlichen Arbeitsabläufe, die zur Erstellung einer validen Datenbasis notwendig sind. Die Spezifik der 147 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Prozesse zur Datenerhebung und die unterschiedlichen systemimmanenten Voraussetzungen der Datenerfassung auf den verschiedenen Ebenen der Datenaufbereitung sprechen eindeutig dagegen. Bereits heute werden knapp 50% der Daten nicht mehr über das Einlesen maschinenlesbarer Datenblätter via Beleg-Leser, sondern über unterschiedliche Erfassungssoftware in den Kommunen erfasst. Der kommunale Datensatz wird dem LIGA.NRW zur Aggregation in den NRW-weiten Datensatz übermittelt. Das Problem unterschiedlicher Erfassungssoftware ist nicht vom LIGA.NRW zu verantworten, obgleich es die Datenaufbereitung immens erschwert. D.h., die Prozesse sind komplizierter geworden, anstatt sie, wie es das Rationalisierungsinstrument Datensoftware nahe legt, zu vereinfachen und auch zeit- wie kostengünstiger zu machen. Zwar zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass durch die innovative elektronische Datenerfassung zwar Personalressourcen, die für das Einlesen und gegebenenfalls Korrigieren von Datensätzen im mittleren Dienst tätig waren, bereits eingespart werden konnten, aber zugleich auch, dass diese Form des Arbeitsprozesses unter Qualitätsmaßstäben der Datenaufbereitung an anderer Stelle einen zusätzlichen Personalbedarf erfordert. In dem Maße, wie im LIGA.NRW die Übermittlung kommunaler Datenbestände auf elektronischem Weg zunimmt, erhöht sich der Personalbedarf in diesem Arbeitsbereich allerdings an anderer Stelle, und zwar im Bereich der elektronischen Verarbeitung, Korrektur und Integration der kommunalen Datensätze zu einem vollständigen und validen Datenbestand für Nordrhein-Westfalen. Auch der Arbeitsanteil im LIGA.NRW für den Kontakt bzw. die Zusammenarbeit mit Anbietern von entsprechender Erfassungssoftware nimmt zu. Die für diese Tätigkeit notwendige Qualifikation ist jedoch einer höheren Besoldungsgruppe - im gehobenen Dienst - zuzuordnen. Auf der einen Seite werden also Stellenanteile im mittleren Dienst eingespart, auf der anderen Seite steigen die Arbeitsbelastung und der Personalbedarf im gehobenen Dienst an. Der „neue“ Personalbedarf im LIGA.NRW ergibt sich im Wesentlichen durch die Heterogenität der verwendeten kommunalen Software zur Dateneingabe und Datenverarbeitung. Auf die Auswahl der Software in den Kommunen hat das LIGA.NRW keinen Einfluss. In 2006 haben 21 Kommunen ihre schulärztlichen Daten bereits 148 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht elektronisch erfasst; dabei kamen neun verschiedene, in Einzelfällen von den Kommunen selbst entwickelte, Systeme zum Einsatz. Ähnlich heterogen ist die Kompetenz der Mitarbeiter in den Kommunen im Umgang mit den entsprechenden Programmen und dem für das LIGA.NRW notwendigen Export. Nur in wenigen Fällen ist aus den bisherigen Erfahrungen ein problemloser und zeitnaher vollständiger Import des kommunalen Datenbestandes in die Nordrhein-westfalenweite Datenbank erfolgt. Der Aufwand des LIGA.NRW, die Kommunen zur Übermittlung ihrer Daten in einer für die Datenbank kompatiblen Form anzuhalten, wird allerdings noch zunehmen. Plausibilitätskontrollen, wie sie bei der zentralen Erfassung über den Beleg-Leser zur Sicherung der Datenqualität stattfinden, sind nicht in jedem Fall durch die verwendeten kommunalen EDV-Erfassungssysteme gewährleistet bzw. können kommunal sehr unterschiedlich - auch mit Qualitätsverlust - adaptiert werden. Dies wiederum erfordert eine verstärkte Kontrolle der übermittelten kommunalen Datenbestände durch Mitarbeiter des LIGA.NRW. Das oben beschriebene Szenario wird sich bei einem kompletten Wegfall der zentralen, beleglesergestützten Erfassung fortsetzen bzw. verstärken und zusätzliche Arbeitsanteile im gehobenen Dienst und im mittleren Dienst erforderlich machen, um einen Datenbestand für Nordrhein-Westfalen zu erreichen, der den bisherigen Kriterien im Hinblick auf Vollständigkeit und Qualität entspricht. In der Bewertung, die demgegenüber durch das Landesinstitut geleistet wurde, spiegeln sich die in den konkreten Arbeitsprozessen involvierten Schwierigkeiten, eine notwendige Pflichtaufgabe qualitativ anspruchsvoll und damit aussagekräftig zu versehen, allerdings nicht wider. Eine Empfehlung, wie sie auf der Grundlage der Zweckkritik geleistet wurde, basiert nur auf einer abstrakten Wahrnehmung und Einschätzung der tatsächlich komplexen Arbeitsabläufe in der Praxis, die sich oftmals als widersprüchlich gegenüber einer allzu glatten und eindeutigen Bewertung ausweisen. Übertragen auf die gesamte Bewertungsbasis der nach dem GVP ausgewiesenen Aufgaben der fünf Fachbereiche des LIGA.NRW, erweist sich das Gutachten somit als durchaus problematisch im Hinblick auf die gegebenen Empfehlungen in der einen oder auch anderen Hinsicht, da die Funktion und die Arbeitsabläufe der Aufgaben des LIGA.NRW nicht in jedem einzelnen Fall eingehend mit einer entsprechen- 149 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht den Evaluation der einzelnen Arbeitsprozesse zur Aufgabenwahrnehmung versehen und diskutiert wurden. Insofern ist die Aussagekraft des Gutachtens nur bedingt tragfähig. Dies besagt nicht, dass das Votum hinsichtlich der einen oder anderen Aufgabe, die wahrzunehmen ist, nicht in sich schlüssig und intersubjektiv nachvollziehbar wäre. Dies allerdings nur vor dem Hintergrund der schon diskutierten jeweiligen Perspektiv- und Prämissensetzung, die letztlich die etwaige Weiterführung oder den Fortfall von Aufgaben in ihrem Begründungsdiskurs legitimieren. Insofern sind die Ergebnisse dieses Gutachtens nur relativ in ihrer entscheidungsleitenden Verbindlichkeit. Ebenso wenig können sie zielführend sein in Hinsicht auf weitreichende personalpolitische und organisatorische Entscheidungen. Dies scheint den Autoren durchaus bewusst zu sein, da sie darauf aufmerksam machen, dass gesicherte Aussagen, in welcher Weise sich ein LIGA.NRW am Gesundheitscampus neu aufstellen sollte, unter den gegebenen Umständen kaum möglich sind, da noch nicht einmal der Rahmen, innerhalb dessen LIGA.NRW seine Funktion wahrzunehmen hätte, inhaltlich bestimmt ist. Ausgehend von dem jetzigen Leistungsspektrum ist allerdings hinsichtlich der Aufgabenkritik, die das Gutachten bei allen Einschränkungen leistet, ebenfalls fraglich, ob hierbei nicht entscheidende Erfordernisse der Gesundheitsförderung ignoriert werden und die Qualität der Leistungen für das Gesundheitswesen nach Vollzug der vorgeschlagenen Aufgaben- und Personalreduktion noch erbracht werden können. Überhaupt vermittelt die Prämissensetzung der beiden Szenarien, die eine Neuorientierung des LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus leisten sollen, dass hierbei ein einseitig auf Kostenstrukturen fixiertes betriebswirtschaftliches Denken mit aus der Privatwirtschaft adaptierten Verfahren, gegenüber dem - eher als gemeinwohlorientiert zu beschreibenden - bisherigen Ansatz der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW mitunter überbetont wird. Darauf deutet auch die Argumentationsführung der Landesregierung entlang der dem privatwirtschaftlichen Unternehmensmanagement entlehnten Leitbegriffen „schlanke Verwaltung“, „Effizienz und Synergiepotenziale“ hin, die bei einer Neuaufstellung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus Bochum zu realisieren sind. Einmal abgesehen davon, dass die eingeforderten „Synergieeffekte“ bereits durch die Verlagerung von 40 Stellen aus den beiden ehemaligen Verwaltungsabteilungen 150 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht erreicht worden sind, ist diese Begriffswahl in strategischer Hinsicht überaus dekuvrierend und wird deshalb nachfolgend einer gesonderten Kritik unterzogen. 10.3 Mehr Effizienz und ein besseres Gesundheitssystem durch Lean Adminstration? Die geplante Zusammenlegung der Standorte des Landesinstitutes für Gesundheit und Arbeit wird seitens des MAGS mit dem Prozess der Verwaltungsreformbemühungen der Landesregierung gerechtfertigt. In der Perspektive des MAGS bestand ein entscheidender Schritt in dieser Richtung in der Zusammenlegung des ehemaligen Landesinstitutes für den öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) und der Landesanstalt für Arbeitsschutz (LAfA), die bislang auf die Standorte Bielefeld, Münster und Düsseldorf verteilt waren. Mit dem dadurch zum 1. Januar 2008 neugeschaffenen LIGA.NRW war somit in der Diktion des MAGS eine erste Etappe der für die Landesregierung zielführenden schlankeren und moderneren Verwaltungsorganisation - die die Landesverwaltung bestrebt ist, über alle Organisationseinheiten einzurichten - erreicht. In einem weiteren Schritt auf diesem Wege soll nun durch die Konzentration der LIGA.NRW Standorte am Gesundheitscampus das LIGA.NRW angeblich effizienter und zukunftsfähiger ausgerichtet werden. Hierbei ist auffällig, dass ein schlankeres LIGA.NRW mit Effizienzgewinnen in Verbindung gebracht wird. Um diese vermeintlich schlanke und damit effiziente Struktur zu gewinnen, wurde im Rahmen einer Aufgabenkritik schon im Zuge der Zusammenlegung von LÖGD und LAfA eine Bereinigung von Aufgaben vorgenommen, der 40 Stellen zum Opfer fielen. Mit dem Gutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaften soll nun die fachlich-organisatorische Grundlage für eine weitere Aufgabenkritik, respektive für eine weitere Bereinigung von Aufgaben geschaffen werden. Dies heißt im Klartext nichts anderes, als dass ein weiterer Stellenabbau seitens der Gutachter und des MAGS für erforderlich gehalten wird. Zu den bislang abgebauten Stellen sollen vorerst noch ca. 30 Stellen hinzukommen, sodass LIGA.NRW von seinen bisher 290 Mitarbeiter bis zur Etablierung am Standort Gesundheitscampus gut 70 Mitarbeiter - vielleicht auch noch mehr- verloren haben dürfte. Wobei noch fraglich ist, ob es bei dieser Personalreduktion bleibt, oder 151 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ob es - was angesichts der Dynamik mit der die Verlagerung und Neuaufstellung des LIGA.NRW seitens der Landesregierung betrieben wird - wahrscheinlicher sein dürfte, zu einem, wie auch in der Aufgabenkritik erwogenen oder als Konsequenz auf die Verlagerungsintention durch Kündigung induzierten weiteren Personalabbau kommen wird. Dies dürfte dann allerdings für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW einen kaum mehr zu korrigierender GAU darstellen. Schlanke Verwaltungsstrukturen korrespondieren somit eindeutig mit einem gravierenden Personalabbau. Damit werden zwei gegeneinander laufende Prozesse offenkundig. Zum einen werden erhebliche Mittel, ca. 75 Mio. €, für die Finanzierung des Gesundheitscampus als Inkubationszentrum kommerzieller Verwertungsinteressen der Gesundheitswirtschaft investiert und zum anderen die Personaldecke des für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wesentlich relevanteren Öffentlichen Gesundheitsdienstes in der Gestalt des LIGA.NRW reduziert, so dass entscheidende Aufgaben im Sinne der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und des Gesundheits- und Arbeitschutzes nur noch unzureichend wahrgenommen werden können. Dieser Prozess figuriert unter dem Schlagwort „schlanke Verwaltung“ und versucht mit angeblichen Effizienzgewinnen und qualitativen Verbesserungen der Aufgabenwahrnehmung, die daraus resultieren würden, eine positive Konnotation dieses Vorhabens in der Öffentlichkeit zu erzielen. Allerdings ist hierbei zu sehen, dass eine Verschlankung von Verwaltungsstrukturen in den letzten 20 Jahren bundesweit bislang immer noch auf Einführung unternehmerischer, betriebswirtschaftlich orientierter Organisationsstrukturen basierte, also auf Implementierung von betriebswirtschaftlichen Ansätzen sowie auf Marktöffnung und Wettbewerb. Hiervon kündet das Dienstleisterszenario des Gutachtens, das eine Marktöffnung des LIGA.NRW im Bereich der Gesundheitswirtschaft hypothetisch durchspielt. Am gesundheitswirtschaftlichen Markt wird sich dann - so die Erwartung - ein schlankes, in seinem Aufgabenbestand neu definiertes LIGA.NRW im Wettbewerb mit seinen vorhandenen Kernkompetenzen und Stärken gegenüber anderen Akteuren gut profilieren können. Zu fragen ist in dieser Hinsicht nach der Funktion und Valenz der ideologischen Begrifflichkeiten, die sich rund um den Begriff einer „Lean Administration“ gruppieren. 152 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht „Der Umzug auf den Gesundheitscampus schafft […] ideale Voraussetzungen, um dieses neue, schlanke LIGA.NRW zukunftsfähig und effizient aufzustellen.“ Im Zuge dessen, „sollen dabei auf Basis einer weiteren Aufgabenkritik 30 weitere Stellen eingespart werden.“111 Diese beiden Aussagen von Minister Laumann referieren ein eher neoliberal überformtes Verwaltungsverständnis, wohingegen Verwaltungshandeln im eigentlichen Sinne getragen sein sollte von der partizipativen Verantwortung der Verwaltungen für die Zivilgesellschaft, indem sie als Knoten und als Anwälte der Zivilgesellschaft im politischen Netzwerk, das Staat und Zivilgesellschaft bilden, fungieren.112 Stattdessen schwingt in den Begrifflichkeiten „effizient“ und „schlank“, die zu Leitbildern der idealen Verwaltung stilisiert werden, jener scheinrationale und wirtschaftsliberale Mythos mit, der besagt, dass sich Verwaltungen marktkonform analog Unternehmenseinheiten am Markt zu verhalten hätten. Diesem Prinzip folgend, werden Verwaltungen entsprechend betriebswirtschaftlichen Steuerungsmodellen strukturiert, wobei die Verwaltungen zu Dienstleistern umfunktioniert werden, die schlank und effizient geformt an einem Pseudomarkt ihre Kunden zu bedienen haben. Dieser Kommerzialisierungstendenz der Verwaltungsstrukturen und des Verwaltungshandeln gegenüber ist zu betonen, dass der Begriff der Effizienz als solcher zum einen immer schon eine Rolle im Verwaltungshandeln, ohne seine penetrant ökonomische Überformung, spielte; er jedoch andererseits in der Verbindung mit dem ideologischen Arsenal ökonomischer Rationalität und Verschlankungspostulate erst seinen verzerrten Bedeutungsgehalt hinsichtlich der Rollenwahrnehmung der Verwaltung in einem Gemeinwesen zugewiesen bekommt. Aus der Sicht der Verwaltungslehre wird nämlich „Effizienz“ neutral als rationaler Begriff verstanden, der eine Relation von Mitteln und Zielen beschreibt, bei der die allerbeste Verwendung und Wirkung des Ressourceneinsatzes angestrebt wird. Verwaltungseffizienz in diesem Sinne zeichnet also ein Verwaltungshandeln aus, das eine optimale Zweck-Mittel-Relation beim Einsatz seiner Ressourcen verfolgt. Effizient ist das Handeln dann, wenn es einen optimalen Verhältniszustand zwischen dem zu erreichenden Zweck und den zur Verfügung stehenden Mitteln bzw. Ressourcen erreicht. 111 Laumann, Schriftverkehr mit Reinhold Stücke (23.07.08) und Guntram Schneider (23.09.08). Vgl. hierzu: Friedhelm Hengsbach: Die Verantwortung der Verwaltung für die Gesellschaft, Frankfurt a.M. 112 153 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Insofern das Verwaltungshandeln eo ipso immer schon unter dieser Kategorie der Erfüllung des Gemeinwohlauftrages, respektive der Realisierung der normativ konkret vorgeschriebenen oder im Gesetz implizierten Zwecke der Verwaltungsaufgaben, subsumiert ist, entlarvt sich die - bezogen auf das LIGA.NRW - nunmehr im Namen des neoliberal eingefärbten Effizienzbegriffes geführte Kritik als ein Manöver, das bislang seitens des LIGA.NRW sowohl effizient, als auch verwaltungstheoretisch effektiv wahrgenommene Aufgabenprofil, nunmehr marktkonform gleichzuschalten. Denn ein LIGA.NRW - so der Subtext - mit seinem öffentlich-rechtlichen Leistungsportfolio und damit in seiner Funktion als Anwalt für den Netzwerkakteur Bürger zu agieren, steht immer in der Gefahr, den gesundheitswirtschaftlichen Verwertungszusammenhang empfindlich zu stören, wenn nicht sogar zu konterkarieren. Um Friktionen dieser Art zu vermeiden, wird mit den so kommerziellbetriebswirtschaftlich i.S. marktwirtschaftlichen Handelns definierten Begriffen einer schlanken und effizienten Verwaltung Konformitätsdruck aufgebaut, der das LIGA.NRW in seiner Aufgabenerfüllung nunmehr mit den Bedürfnissen der marktförmig ausgerichteten Gesundheitswirtschaft konform führt. Nur unter der Perspektive des Marktes ist es nämlich möglich, die derzeitige Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW als nicht effizient zu geißeln, indem unterstellt wird, dass das LIGA.NRW seine Ressourcen nicht in einer optimalen Zweck-Mittel-Relation verwenden und mithin organisatorisch nicht effizient handeln würde. Demgegenüber ist folgendes festzustellen: Vor dem Hintergrund, dass Verwaltungen dezidiert Verantwortung für die Gesellschaft tragen müssen, können sie diesem Anspruch in der Moderne unter den Bedingungen der Zivilgesellschaft nur gerecht werden, wenn sie sich im politischen Netzwerk, das viele Interessen vieler Netzwerkakteure kennt, als intermediäre Orte definieren. Nehmen Verwaltungen diese Rolle wahr, so sind sie einerseits in der Lage zu verhindern, dass sich die staatlichen Entscheidungsträger von den Interessen der Bürgerinnen und Bürger entfernen oder umgekehrt, sich von diesen in ungerechtfertigter Weise der Gleichsetzung von Kapital- und Allgemeininteressen - so transitorisch und wenig substanziell sie auch sein mögen (siehe manche Auswüchse der Gesundheitswirtschaft vor denen zu warnen eben die Aufgabe auch des LIGA.NRW ist) - manipulieren lassen. Wobei diese Interessen - häufig angesichts des Milliardenmarktes im Gesundheitswesen - durch Werbung und gezielte Manipulation der Lobbyisten der Öffentlichkeit indoktriniert werden. 154 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Um diese Kapitalinteressen angesichts eines schnelllebigen Produktmarktes zielgerecht und möglichst zeitnah bedienen zu können, wird in nicht unerheblicher Weise von den Funktionseliten des Marktes darauf gedrungen, dass sich die öffentlichen Verwaltungen dem beschleunigten Tempo der wirtschaftlichen Wertschöpfung, also der Märkte - in diesem Falle des gesundheitswirtschaftlichen Marktes - anpassen und die angebliche Schwerfälligkeit ihrer Prüfprozesse und ihrer Entscheidungsfindung in den polykorporativen Netzwerken überwinden, indem sie sich schlank und effizient aufstellen. Analog diesem Marktverständnis sind Kontrollmechanismen und Empfehlungsdiskurse, die die Interessen aller Netzwerkakteure gründlich und vor allem sachlich profund prüfen und wo möglich intermediär ausrichten, im Namen des Marktes möglichst nachhaltig auszuhebeln, wobei dem Prinzip der ökonomischen Rationalität Priorität vor einer intensiven Beteiligung des Bürgers eingeräumt wird oder vor einem Kontroll- und Prüfverfahren, dessen objektive Erkenntnisse auf rational diskursive Verfahrensweisen basieren, die sui generis zeitaufwendig und wie im Falle des LIGA.NRW - mit sehr viel aufwendiger, aber notwendiger Expertise versehen sind. Mit der Forderung jedoch, öffentliche Einrichtungen mit den Kampfbegriffen „schlank“ und „effizient“ zu kommerzialisieren, also dem Markt gleichzuschalten, „wird ein marktradikaler ,wirtschaftsliberaler Mythos transportiert“, der besagt „dass man auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen könne, insofern das ausschließliche Verfolgen des Eigennutzes am Ende dazu führt, dass der allgemeine Nutzen erzeugt wird. Die Verwaltungen werden in Dienstleister umbenannt, die bestrebt sind, Bedürfnisse souveräner Kunden zu befriedigen, selbst wenn die angeblichen Märkte total politisiert oder ökonomisch vermachtet sind. Ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Mythos ist das Bekenntnis zum schlanken Staat und zu schlanken Verwaltungen als den besten aller möglichen Staaten und Verwaltungen.“113 Diesem Diktat folgend wird das neue Zusammenspiel von Verwaltung und Wirtschaft nach den Prinzipien und Regularien der Privatwirtschaft noch ideologisch verbrämt, indem auf den vermeintlichen Nutzen für den Bürger seitens der Politik und interessierter Funktionseliten aus der Wirtschaft und Verwaltung aufmerksam gemacht wird. Die funktionierende Interaktion von Wirtschaft und Verwaltung sei eben bürgerfreundlicher, kostengünstiger und leistungsstärker. Lean Management gibt sich mit diesem geradezu sakral vorgetragenen Glaubensbekenntnis, das Erlö113 Friedhelm Hengsbach: Die Verantwortung der Verwaltung für die Gesellschaft, a.a.O. 155 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sung aus den Zwangsmechanismen der aufgabenbezogenen Leistungsprozesse und Verwaltungsstrukturen, die öffentliche Einrichtungen mit hoheitlichen Kompetenzen wie das LIGA.NRW mit entsprechendem Zeit- wie Qualitätsaufwand zu leisten haben, geradezu eschatologisch verkündet, als das zu erkennen, was es tatsächlich ist, nämlich nichts mehr als eine neoliberale Umbaumetapher. Insofern weist auch die Begriffskritik darauf hin, dass ein am Gesundheitscampus überführtes LIGA.NRW eben der Gefahr ausgesetzt ist, zu einem Dienstleister unter vielen am Markt umfunktioniert zu werden, der unter den Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage konform zu agieren hat. Die effiziente und schlanke Verwaltung sieht originär in ihrer Mischung aus ordo- und neoliberalem Staats- und Verwaltungsverständnis vor, dass staatliche Aufgaben in die Gesellschaft verlagert und vom Markt gelöst bzw. marktförmig erledigt werden. Da - dieser Ideologie folgend - der Markt sowieso den vorhandenen Bedarf und die eingesetzten Ressourcen besser zu allokieren vermag als jede Verwaltung, wird das Modell der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und der Privatwirtschaft zum Leitbild auch der öffentlichen Einrichtungen. Dem entsprechend verwundert es nicht, wenn in der Aufgabenkritik vom Institut für Verwaltungswirtschaft in ihrem zweiten hypothetischen Szenario von einem LIGA.NRW als einer „verwaltungsmäßigen Dienstleistungseinrichtung“, ganz i.S. der oben benannten Dienstleisterkultur, die Rede ist, zu der Verwaltung unter dem Druck des Marktes mutieren muss. Nur logisch, dass stringent mit dieser Position auch Flexibilität eingefordert wird, um sich auf „kurzfristig wechselnde Kundenbedürfnisse einzustellen.“114 Ist das LIGA.NRW erst einmal in dieses ideologische Prokrustesbett ordo- und neoliberalen Ansatzes am Gesundheitscampus eingespannt, so bedeutet dies für das Leistungsportfolio, dass zwangsläufig auch noch ein weiteres ideologisches Prinzip bestimmend wirken wird. Es ist das der grundsätzlichen Autonomie des Individuums in Gestalt des Wirtschaftsubjektes, das selbstverantwortlich - weil denkend und wertend über Markttransparenz verfügend - am Markt agierend, seine Bedürfnisse souverän befriedigen kann. Jede Form von Bevormundung wäre unter dieser Perspektive ein Sakrileg des Staates, der in dieser Doktrin allein seiner Funktion zur Sicherung der Autonomie der Wirtschaftssubjekte, d.h. ihrer Konsumfreiheit nachkommen darf. Gegen eine Verwaltung, die hier intervenierend eingreifen würde - gerade auch 114 Nigmann/Dahs a.a.O., S. 20. 156 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht um den Gesundheitsschutz der Bürger im Gesundheitswesen sicherzustellen, ließe sich vor diesem Hintergrund mit dem Nestor des ordoliberalen Staatsverständnisses - Alfred Müller-Armack - argumentieren, dass allein der Markt und nicht der Staat oder seine Verwaltungen als der einzige überlegene Koordinationsmechanismus betrachtet werden muss, da er allein in der Lage ist, die Leistungen der Anbieter funktional richtig zu koordinieren. Dies deshalb, da „kein menschlicher Verstand das Wissen umfassen kann, das das Handeln der Gesellschaft lenkt“. Staat und Verwaltung gewinnen ihre Funktion somit nur noch als „Spielleiter und Schiedsrichter“, die die Konsum- und Angebotsfreiheit der am Markt vertretenen Wirtschaftssubjekte zu sichern haben (Milton Friedman).115 Diese Positionierung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus dürfte sowohl im Hinblick auf seine jetzige Ausrichtung, als auch für das Gesundheitswesen gleichermaßen depravierend sein. Denn wenn ein nahezu marktmäßig neutralisiertes LIGA.NRW, das dann schlank und effizient den ökonomischen Interessen zuarbeitet, am Gesundheitscampus entsteht, dürfte sich das öffentliche Gesundheitswesen deutlich verändern und zwar negativ im Hinblick auf die Interessenlage der Bürger. Aus einer Institution, die als Anwalt der Bürger Schutz vor gesundheitsgefährdenden Entwicklungen bietet und im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes die Entwicklung eines qualitativ hochwertigen Gesundheitssystems sicherstellt, wird eine Einrichtung mutieren, die dann nur noch in der Lage sein wird, gesundheitswirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Mit der Konsequenz, zu Ungunsten der betroffenen Bürger zu agieren, die eben nicht als abstrakte Wirtschaftssubjekte ihrer eigenen Interessen in einem scheintransparenten Gesundheitsmarkt wahrnehmen können, sondern auf die Information, die Expertise und die Empfehlungen des LIGA.NRW und des kommunalen ÖGD - i.S. einer Interessenwahrnehmung des Netzwerkakteurs Bürger - angewiesen sind. Dies wird wiederum offensichtlich am schon diskutierten Aufgabenportfolio der Arzneimitteluntersuchungsstelle und im Bereich der Sozialpharmazie. Da der Bürger als mündiger Konsument eine Chimäre ist, hat der Gesetzgeber mit dem ÖGDG (vom 25.November 1995) gerade den Bereich Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie - worauf noch einzugehen ist - im §20 gestärkt. Da der normale Bürger nicht die Kompetenz hat, die Arzneimittelsicherheit und die Wirksamkeit und Risiken von 115 Vgl. hierzu: Wolfram Lamping, Henning Schridde, Stefan Plaß, Bernhard Blanke: Der Aktivierende Staat. Positionen, Begriffe, Strategien, Düsseldorf 2002, S.15 ff. 157 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Medikamenten zu beurteilen, ist er auf die Fakultas der Arzneimitteluntersuchungsstelle, des Bereiches Sozialpharmazie und der auf der Ebene des kommunalen ÖGD tätigen Amtsapotheker angewiesen. Sie sichern im Rahmen ihrer Kontroll- und Überwachungsaufgaben mit ihrem Know-how den Verkehr von Arzneimitteln, so dass das Gefährdungsrisiko für den Konsumenten nahezu ausgeschlossen wird. Somit leisten die Mitarbeiter der Bereiche Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie aktiven Verbraucherschutz und zwar dort, wo ohne ihre Aufklärung der Bürger vollständig überfordert wäre und den Versprechungen der Pharmabranche wie der Gesundheitswirtschaft, unkritisch - mit einem unkalkulierbaren Risiko für seine Gesundheit - Glauben schenken müsste. Wenn die Landesregierung und das MAGS von einer „zukunftsfähigen Ausrichtung“ des LIGA.NRW sprechen und „das Gesundheitswesen in erster Linie […] als Chance für die Bürgerinnen und Bürger, für die Beschäftigten und die Unternehmen unseres Landes wahrnehmen“, so bedeutet dies, dass dem LIGA.NRW in diesem Prozess eine neue Rolle zugewiesen wird. Das LIGA.NRW - das Öffentliche Gesundheitswesen wie auch das wichtige Themenfeld „Gesundheit in der Arbeit" - sollen, nach erklärtem Willen der Landesregierung, eine funktionale Stellung im Rahmen der Bemühungen der Landesregierung einnehmen, Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik am Gesundheitsstandort Nordrhein-Westfalen zusammenzuführen. Unter dieser gesundheitspolitischen Perspektive sieht Minister Laumann dann auch die Notwendigkeit einer Lean Administration. „Der Umzug auf den Gesundheitscampus schafft dabei ideale Voraussetzungen, um dieses neue, schlanke LIGA.NRW zukunftsfähig und effizient aufzustellen.“116 Die Leitbegriffe, die die verstärkt ökonomisch funktionale Ausrichtung des LIGA.NRW markieren, sind hierbei schlank, zukunftsfähig, effizient; eben jene Begriffshülsen aus dem Jargon eines enggeführten, eindimensional verstandenen Lean und Change Managements, die mit dem Hinweis auf die durchgeführten Personalreduktionen und die noch vorhandenen Einsparpotenziale die Richtung, in die sich ein organisatorisch neu formiertes LIGA.NRW entwickeln wird, erkennbar werden lassen. 116 Minister Laumann: Korrespondenz mit dem Vorsitzenden des Regionalrats des Regierungsbezirks Detmold Herrn Reinold Stücke vom 23.Juli 2008. 158 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Denn wenn von den vermeintlichen Erfolgsfaktoren „Verschlankung“ und „Effizienzgewinn“ die Rede ist, so wird notwendigerweise das Steuerungsleitbild der schlanken Verwaltungsorganisation intendiert, das zu einem „im Marktwettbewerb stehenden Dienstleistungsunternehmen“ entwickelt werden soll.117 Insofern macht es auch Sinn, Marktöffnungsstrategien und die Einführung wettbewerbsähnlicher Elemente mit der internen Reorganisation der Arbeit so zu verbinden, dass sich Mitarbeiterqualifikationen auf Kundenbedürfnisse hin orientieren. Schlanke Verwaltungsorganisationen richten ihre Strukturen auf Bedürfnisse der Kunden hin aus. Dies ist eines der Kernprinzipien der o. diskutierten Lightversion des Lean Managements. Das am Gesundheitscampus angesiedelte LIGA.NRW allerdings müsste eine Kundenorientierung in zweierlei Richtungen vornehmen. Zum einen, je nach Szenario, im Hinblick auf seine Funktion als politischer Fachberater oder als eine fachliche, technische und verwaltungsmäßige Dienstleistungseinrichtung und zum anderen, gemäß einer stärkeren Betonung des Dienstleistungscharakters seiner Aufgabenstellung nach innen, auf die Kundenprofile der Netzwerkakteure sowie einer darüber hinausgehenden Kundenperspektive. Damit jedoch geraten wiederum die eigentlichen „Kunden“, öffentlicher Gesundheitsdienst und die Bürger, ins Hintertreffen. Denn aufgrund der Aufgabenbeschneidung, wie auch unter dem Aspekt geringerer Personalressourcen, lässt sich nur noch in einer Richtung optieren, wenngleich auch der Wille vorhanden sein mag, Aufgaben im Sinne der Allgemeinheit weiterzuführen. Diese Intention jedoch dürfte bei einer verstärkt marktförmigen Ausrichtung des LIGA.NRW nach außen – wie sie die Positionierung am Gesundheitscampus vorsieht – und einem damit intern korrespondierenden betriebswirtschaftlich-organisatorischen Zuschnitt, wie er kennzeichnend für ein Lean Management, bzw. ein Lean Administration ist, eher konterkariert werden. Darüber hinaus scheint sich aber die von der Landesregierung für das LIGA.NRW favorisierte schlanke Organisation am Gesundheitscampus im Wesentlichen nur auf die Einführung wettbewerblicher Elemente zu beschränken. Denn die eigentlichen Erfolgsfaktoren der Lean Administration werden faktisch - schon in der Verlagerungsphase - ignoriert. Diese Erfolgstreiber der Verschlankung von Verwaltung bestehen darin, mehr Kompetenz und Verantwortung an die Basis zu delegieren. 117 Oppen, Maria: Schlanker Staat - magere Beschäftigungsperspektiven? Discussion Paper FS-II 96-201. Berlin : Wissenschaftszentrum, Berlin 1996.S.6. 159 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dies wird zwar seitens der Landesregierung - gerade auch im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform - proklamiert, allerdings erweisen die Vorgänge um die Konzentration des LIGA.NRW an den Standort Gesundheitscampus das Gegenteil dessen, was offiziell bekundet wird. Im neuen zentralen Modell ist von einer Entfaltung von Selbständigkeit und Eigenverantwortung und einer motivierenden Arbeitsgestaltung und Ausstattung nicht mehr die Rede. Ansonsten wären schon Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter in der Planungsphase geschaffen worden. Nichts dergleichen ist geschehen, was zu einer starken Belegschaftsverunsicherung aufgrund fehlender Informationen geführt hat. Einmal abgesehen davon, dass die Position eines marktfähigen Dienstleisters im Dienste der Gesundheitswirtschaft keine dem LIGA.NRW angemessene Rolle beschreibt und damit die Funktion des LIGA.NRW für das Gesundheitswesen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst wie schon betont, konterkariert und verzerrt, entbehrt die intendierte „Zurichtung“ des LIGA.NRW wesentlicher Elemente, um überhaupt im Sinne der angezielten Wertschöpfungsprozesse effektiv funktionieren zu können. Wenn schon eine unternehmensähnliche Ausrichtung des LIGA.NRW angezielt wird, sollte auch die Einbeziehung der Mitarbeiter und ihres Engagements sichergestellt sein. Ansonsten bestehen kaum Chancen, dass sich ein solches Modell effizient am Campus behaupten können wird. Denn ohne die erforderliche Identifikation der Mitarbeiter mit den Zielen und den von ihnen mitzugestaltenden Wertschöpfungsstrukturen eines veränderten LIGA.NRW, ist auch die operative Qualität tangiert. Dies bedeutet, dass ohne eine bottom-up Strategie der Veränderungsprozesse, die die Beteiligung und Mitwirkung der Mitarbeiter sicherstellt und ihre Ideen und ihre Erfahrungen sowie ihren Gestaltungswillen mit einbezieht, sich auch die organisatorischen Prozesse kaum bewältigen lassen, da die Akzeptanz mit dem neuen Organisationsprofil ausbleibt. In einem von ihnen nicht selbst mitgestalteten LIGA.NRW werden sich die Mitarbeiter nicht mehr wiederfinden. Diese entscheidende Voraussetzung eines jeden Veränderungsprozesses und Veränderungsmanagement ist seitens des MAGS bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden. Ansonsten wären die Bedenken der Mitarbeiter gegen eine Konzentration der LIGA.NRW-Standorte und der damit erfolgenden Herauslösung aus ge- 160 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht wachsenen Kooperationsstrukturen auch ernst genommen und über die Entwicklung anderer, beteiligungsorientierter Szenarien berücksichtigt worden. Die Theorie des Konzeptes des Lean Managements, dem das Konstrukt der schlanken Verwaltung folgt, ist jedoch wesentlich umfassender und komplexer strukturiert als die in deutschen Verwaltungen oftmals verwendete Blaupause, die eher eine Schwundstufe dieser Philosophie der Unternehmensorganisation darstellt. Dies wird häufig übersehen. Es weist nämlich auf ein anderes - gerade im Bereich öffentlicher Verwaltungen aus Kostengründen - gern ignoriertes Moment hin. Dem in der Philosophie des KAIZEN fundierten Lean Management ist nämlich gerade die Qualitätsverbesserung der Arbeit durch eine ständige Erhöhung der Mitarbeitermotivation wesentlich. 118 Wobei KAIZEN als eine Philosophie und Methode zu betrachten ist, ein komplexes organisatorisches System der Wertschöpfung, sei dies wissensbasiert oder auch produktionstechnisch orientiert, nach dem Prinzip eines unnachgiebigen Bemühens um kontinuierliche Verbesserung auszurichten, die vom Kunden her gedacht wird und in deren Realisierungsprozess die dazu erforderlichen Prozesse kontinuierlich zu optimieren sind. Hierbei ist zu berücksichtigen - was im Derivat Lean Management oder Lean Administration häufig nicht mehr offensichtlich ist - dass die Methoden der Lean Production oder des Lean Management, die in einem System des Lean Manufacturing zusammenlaufen, selbst nur eine geringe Reichweite aufweisen. Sie bilden quasi nur die Oberfläche an Maßnahmen und Werkzeugen, von dem, was dem organisatorisch-instrumentellen Blick offensichtlich wird. Die tragende Struktur, die diese Techniken der Prozessoptimierung fundiert, wird in der zu kurz greifenden, kostenorientierten Betrachtungsweise jedoch nicht offensichtlich. Das, was in sog. effizienzorientierten Managementkonzepten unterschlagen wird, ist, dass Kaizen als Unternehmenskultur und Methode, die die stetige, also kontinuierliche Verbesserung aller Wertschöpfungsprozesse und technischen Entwicklungen zum Ziel hat, ganzheitlich ausgerichtet ist. Hierbei richtet sich das ganzheitliche Denken nicht nur auf den unternehmensinternen Prozess der Wertschöpfung, sondern sieht in der gesamten Wertschöpfungskette Potenziale, die ständig zu verbessern sind. Deshalb ist KAIZEN (und sein Derivat Lean Manage118 Vgl. hierzu: Gienke, Helmuth/ Kämpf, Rainer: Handbuch der Produktion. Innovatives Produktionsmanagement: Organisation, Konzepte, Controlling. München 2007, S.884 ff. 161 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ment) netzwerkorientiert. Als Potenziale werden sowohl Kunden, Zulieferer wie auch Wettbewerber betrachtet. Letztere werden nach Möglichkeiten von Kooperationen beurteilt, so dass sich dadurch auch die Transaktionskosten reduzieren lassen. (Potenzialprinzip). Den aber in diesem Stakeholdermodell wichtigsten Produktionsfaktor und damit das entscheidende Element der KAIZEN - Philosophie, wie es in mustergültiger Weise von dem global erfolgreichsten Automobilherstellers Toyota in Gestalt des Toyota Production System (TPS) verwirklicht wurde, stellt der Mitarbeiter dar. Bei KAIZEN steht der Mensch allein im Mittelpunkt. 119 KAIZEN ist prozessorientiertes Gestalten von Arbeitszusammenhängen, in denen die Fähigkeiten, Kompetenzen, die jeweilige Persönlichkeit des Mitarbeiters und seine Potenziale, die es erfolgreich in den Arbeitsprozess zu integrieren gilt, im Vordergrund stehen. Dies bedeutet auf der Führungsebene, dass die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten stetig optimiert wird, Mitarbeiter in alle Entscheidungsprozessen einbezogen und zur Mitwirkung animiert werden, so dass sich auf dieser Identifikationsbasis Engagement und Arbeitsmoral ständig verbessern. Hierbei meint Qualitätsverbesserung der Arbeit in erster Linie eine Attraktivitätssteigerung der Tätigkeitsprofile und damit eine deutliche Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse. Dazu gehört nicht nur eine effiziente Organisationsstruktur, ein in ausreichender Verfügbarkeit stehendes, materielles wie ebenso auch informationelles Equipment, das gerade im Bereich wissensbasierter Leistungen von ausschlaggebender Bedeutung ist, sondern primär die Schaffung von Strukturen, die Mitgestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter ermöglichen. Lean Management erschöpft sich somit nicht in der Zielstellung reiner Kostenreduzierung oder Effizienzgewinne, sondern bezeichnet den methodischen Aspekt einer umfassenden Unternehmenskultur, die alle Organisationseinheiten eines Unternehmens durchzieht und in deren Philosophie dem Mitarbeiter als wichtigste Unternehmensressource weitestgehende Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden. Hierbei folgt die grundlegende Idee, Mitarbeitern erhebliche Gestaltungsräume hinsichtlich ihrer Arbeitsorganisation einzuräumen, der empirisch belegbaren Annahme, dass - indem Mitarbeiter aufgrund ihrer Erfahrungen und Kompetenzen den Produktionsprozess konstruktiv mitgestalten und somit den gesamten Wertschöp- 119 Vgl. hierzu: Gienke, Helmuth/ Kämpf, Rainer: Handbuch der Produktion. Innovatives Produktionsmanagement: Organisation, Konzepte, Controlling. München 2007, S.891. 162 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht fungsprozess erfolgreich mit auszurichten vermögen - hierdurch auch die Motivation erhöht wird. Der einzelne Mitarbeiter wie das gesamte Team erleben, wie das Engagement und die Ideen zur Weiterentwicklung der gesamten organisatorischen Prozesse auch unternehmensintern umgesetzt werden. Neben der Bereicherung, dass die Arbeitsabläufe selbstverantwortlich gestaltet werden und somit optimierend auf das Gesamtsystem zurückwirken, gründet die Motivation vor allem darin, dass aufgrund der Eigeninitiative und ihrer Widerspiegelung in den Prozessen Toyotamitarbeiter in ihren Entscheidungsprozessen relativ unabhängig von Hierarchien agieren können und sich deshalb weit weniger entfremdet fühlen, als Mitarbeiter anderer Unternehmen oder staatlicher bzw. kommunaler Verwaltungen. Allerdings scheint dieses partizipative Element des Lean Management in seiner unternehmenskulturellen Dimension weder im MAGS bezüglich seiner diffusen Informationspolitik, noch im LIGA.NRW selbst Platz gegriffen zu haben. So wurden beispielsweise am LIGA.NRW-Standort Bielefeld - trotz Intervention und überzeugender Argumente aus den Fachgruppen - die Arbeitsverhältnisse erschwert, indem die für die Öffentlichkeitsarbeit wesentlichen Publikationsressourcen stillgelegt und gestrichen wurden. Der ehemals entlastende Druckereibereich wurde trotz seiner von den Beschäftigten allseits als Entlastung gelobten Effizienz und seiner Kostenvorteile eingestellt. Dies verweist auf zweierlei. Zum einen beleuchtet es kritisch den Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit, der vermutlich ein nicht mehr so großer Stellenwert eingeräumt wird, da ansonsten sichergestellt würde, dass die damit befassten Mitarbeiter in allen Belangen entlastet würden und effiziente Vertriebsstrukturen zur Verfügung gestellt bekämen. Dies lässt für die weitere Phase der Verschlankung am Standort des Gesundheitscampus mit seinen kommerziellen Prioritäten noch Schlimmeres im Hinblick auf die Qualität der gesundheitsfördernden Aufgabenwahrnehmung befürchten. Zum anderen wird deutlich, dass auf die Interessen der Beschäftigten keinerlei Rücksicht genommen wird. Ihre Einwände gegen die Veränderung von funktionierenden Strukturen sowie ihre Vorschläge zu einer Optimierung werden nicht aufgegriffen. Dies zeigt sich ebenso ganz massiv an der geplanten Verlagerung des LIGA.NRW. Weder die Personalvertretungen, noch die Beschäftigten werden rechtzeitig und umfänglich über die Konzeptidee LIGA.NRW am Gesundheitscampus, 163 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht über den Stand der Planung, die organisatorischen Auswirkungen für die Fachbereiche, noch über die Konsequenzen für die jeweiligen Arbeitsplätze und die Veränderungen in der Aufgabenwahrnehmung informiert. Weder werden die Mitarbeiter über den angeblichen Sinn und Nutzen einer Verlagerung in Kenntnis gesetzt, noch darüber, welche Veränderungen auf sie zukommen werden. Mitarbeiter wie Personalvertretung werden so von Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten gezielt ausgeschlossen. Dies wiederum steht völlig konträr zur Strategie des Lean Management wie auch eines, den Veränderungsprozess professionell gestaltenden Change Managements. Es besteht kein Zweifel daran, dass das LIGA.NRW für den Öffentlichen Gesundheitsdienst eine hocheffiziente, wissensbasierte Schaltzentrale darstellt. Dies wird auch seitens des MAGS in keiner Weise bestritten. Vielmehr werden die Leistungsbereiche des LIGA.NRW als besonders relevant nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch im Hinblick auf die Lösung von drängenden Problemen einer künftigen Gestaltung der Arbeitswelt in NRW betrachtet. Mit dem Know-how des Düsseldorfer LIGA.NRW - Standortes bezüglich einer angesichts des demographischen Wandels in der Arbeitswelt sich verschärfenden Problemlage - lassen sich Fragen nach einer präventiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen in KMU sowie des Erhaltes und der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit im demographischen Wandel beantworten. Um die Bedeutung dieses Aufgabenprofils für die Wertschöpfung in NRW hervorzuheben, wird seitens des MAGS damit argumentiert, dass gerade aufgrund der strategischen Relevanz dieses Themenkomplexes für die Wirtschaft in NRW das LIGA.NRW mit dem „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ auf dem Campus zugleich die strategischen Zukunftsthemen „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung“ wahrnehmen wird.120 Einerseits akzentuiert dies abermals die verstärkte Interessenbindung, die sich aus einer profilierten Kundenbindung am Gesundheitscampus ergibt. Das „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ auf dem Campus soll als Dienstleister für die Wirtschaft u.a. in Sachen alternsgerechte Arbeitsplätze fungieren, was wiederum bedenklich hinsichtlich der Neutralität des LIGA.NRW werden könnte, gerade auch vor dem Hintergrund eines Abbaus von Arbeitnehmerrechten, wie er seit Jahren an der Lockerung der gesetzlichen Grundlagen des Arbeitsschutzes zu beobachten ist. Würde auf der Basis des Dienstleister- 120 Winter 2008, a.a.O. 164 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht szenarios nun eine Verquickung von Wirtschaftsinteressen und Auftragsforschung bzw. Beratung im Hinblick auf eine Gestaltung des gesetzlichen Rahmens der Arbeitsbedingungen mit dem Ziel der Unternehmensförderung realisiert, so besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmerinteressen an der Gestaltung von Arbeitsplätzen in den Hintergrund treten. Andererseits unterstreicht die Bedeutung, die dem LIGA.NRW am Gesundheitscampus zuerkannt wird, dass das Leistungsportfolio und die Qualität der Aufgabenwahrnehmung dem Standard einer hoch leistungsfähigen Organisation entsprechen. Dies jedoch bedeutet, dass der Veränderungsprozess (Umstrukturierung, strategische Neuausrichtung auf Partnerschaften am Gesundheitscampus) der Verwaltungsorganisation, der zu einer schlanken Verwaltung führen soll, vor allem - wenn er erfolgreich sein will - die Organisationskultur als einen alles entscheidender Faktor für das Gelingen oder Misslingen der Veränderung in den Mittelpunkt der Bemühungen stellen muss.121 Ohne eine Veränderung der Unternehmenskultur scheitern durchschnittlich 70% aller Veränderungsbemühungen (Mc. Kinsey). Der „weiche Faktor“ Organisationskultur gewinnt damit eine immer stärkere Bedeutung als Art Schlüsselfaktor für die Erklärung des Erfolgs oder Misserfolgs der Veränderungsbemühungen. Wobei unter der Organisationskultur einer Verwaltung oder eines Unternehmens alle Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, Überzeugungen und Meinungen sowie Potentiale, Beziehungen und Gegebenheiten zu verstehen sind, die innerhalb eines Unternehmens zusammenwirken und sich im jeweils spezifischen Selbstverständnis, der Kommunikations- und Arbeitsweise und den symbolischen Kodierungen einer Organisation ausdrücken.122 Die jeweilige Organisationskultur lässt sich damit auch als „eine Art gemeinsam akzeptierte(r) Realitätsinterpretation darstellen, die im Austausch mit der Umwelt über das tägliche Tun entsteht […] und die das Unternehmensgeschehen nachhaltig, aber unsichtbar […] beeinflusst.“123 Diese Organisationskultur äußert sich beispielsweise in den verschiedenen Arbeitsstilen und Arbeitsgewohnheiten der Mitarbeiter, ihren unterschiedlichen Wertvorstel121 Vgl. hierzu: Fisch, Rudolf/ Beck, Dieter: Organisationsgestaltung und Veränderungsmanagement. Organisationskultur als kritischer Erfolgsfaktor, in: FÖV 37, Discussion Papers, Speyer 2006. 122 Vgl. hierzu auch Petra Klees: ORGANISATIONSKULTUR UND INNOVATIONSFÄHIGKEIT, http://www.personalseite.de/ 123 Quelle: Edgar H. Schein: Organisationskultur, 2003. 165 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht lungen ebenso wie in unterschiedlichen Auffassungen von Führung und Entscheidungsbeteiligung.124 Die Organisationskultur einer Verwaltung kann somit entweder als ein unflexibles, hierarchisch strukturiertes Entscheidungs- und Verantwortungsgefüge gekennzeichnet sein oder durch eine partnerschaftliche Kooperation der Mitarbeiter über alle Entscheidungs- und Organisationsebenen hinweg. Veränderungsprozesse, die nur bei den Faktoren Regelungsoptimierung, Aufgabenumbau, Personal, Steuerungsinstrumente oder Verwaltungspolitik ansetzen und den Erfolgsfaktor Organisationskultur außen vor lassen, sind allerdings zum Scheitern verurteilt. Ein Change Management hingegen, das die Organisationskultur in Richtung auf mehr Partizipation verändert, hat demgegenüber die größten Erfolgschancen, eine in ihrer Effizienz nicht nur ökonomisch definierte Verwaltung bzw. Organisation zu schaffen. Dies deshalb, da innerhalb des veränderten Rahmens eine Kultur etabliert wird, die durch die Prinzipien eines auf den Menschen hin ausgerichteten Führungsverhalten geprägt ist, also auf der Delegation von Verantwortung, Freiraum und Mitsprache am Arbeitsplatz basiert. Dies sind Schlüsselfaktoren für mehr Zufriedenheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz und ein höheres Maß an Kreativität und Engagement. Ebenso zeigen eine Vielzahl von best practise Beispielen, dass Mitarbeiter sich dann voll entfalten, wenn sie für ihre Arbeitsbereiche auch auf den nachgeordneten Ebenen verantwortlich sind, im Team agieren und am Erfolg der Arbeit partizipieren können. Um dies zu gewährleisten, müssen die Kommunikationsstrukturen so gestaltet werden, dass alle Mitarbeiter mit den die Strategie und Philosophie ebenso wie die operative Ausrichtung der einzelnen Arbeitsbereiche der Organisation betreffenden Informationen versorgt werden. Dies gilt insbesondere für die politischen Entscheidungsfindungen bezüglich eines Change Managements und deren Auswirkungen auf die Organisation der Aufgabenwahrnehmung und der Arbeitsplätze. Dies schafft nicht nur eine erforderliche Vertrauensgrundlage, sondern auch eine symmetrischen Kommunikationsrelation zwischen Politik, Leitungsebene und Mitarbeitern. Ohne eine vollständige Transparenz der Strategie von Veränderungsprozessen und deren Umsetzungsmodalitäten sowie der Verdeutlichung der Konsequenzen und Erfordernisse für die Umgestaltung der einzelnen Fachbereiche und Geschäftsstellen ist keine Partizipation der Mitarbeiter an den Veränderungsprozessen selbst möglich. Und diese Partizipation muss unbedingt sichergestellt 124 Vgl.: Fisch; Beck a.a.O., S.13. 166 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sein. Zum einen deshalb, weil sich ansonsten die Mitarbeiter fremdbestimmt einem von ihnen nicht mehr mit zu gestaltenden Prozess ausgeliefert fühlen, der dann aufgrund seiner Bedrohlichkeit auch Widerstand hervorruft. Zum anderen sind es die Mitarbeiter in den Organisationseinheiten, die am sachkundigsten über die Sinnhaftigkeit von Veränderungen in den von ihnen versehenen Aufgabengebieten urteilen können. Sind jedoch die Gestaltungs- und Einflussnahmen der Mitarbeiter gesichert, ist es immerhin möglich, dass Veränderungen in einem gemeinsamen, die Führungsebenen übergreifenden konstruktiven Prozess bewältigt werden, da sichergestellt ist, dass Ziele und Zwischenziele kommuniziert und gegebenenfalls auch verändert werden, da nicht zuletzt sich auch Ideen und Erfahrungen der Mitarbeiter darin widerspiegeln. Werden allerdings die betroffenen Mitarbeiter - wie dies derzeit bei der Idee des Gesundheitscampus der Fall ist - nicht mit einbezogen und fühlen sich derart zu Objekten eines über sie hinweg veranstalteten Interessenspiels degradiert, so drohen „innere Kündigung“ und Indolenz, ebenso wie Obstruktion. Jeder anvisierte Veränderungsprozess hat solche Kommunikations- und Beziehungsnetzwerke zu entwickeln, in denen der Informationsbedarf aller Mitarbeiter auch gedeckt wird, denn allein dadurch wird die Grundlage für Handlungsspielräume und instruktive Optionen geschaffen. In dem vorliegenden Fall lässt sich bedauernswerter Weise, entgegen der best practise, konstatieren, dass nichts dergleichen an transparenten Kommunikationsstrukturen, die den Informationsfluss optimieren im Vorfeld der vom MAGS und der Leitungsebene des LIGA.NRW intendierten Veränderungsprozesse eingesetzt wurde. Hier wurden aus Unkenntnis oder mit Vorsatz gravierende Managementfehler - zu Lasten aller Mitarbeiter - begangen. Stattdessen werden die Mitarbeiter, ohne dass sie die Effektivität und Effizienz der geplanten Veränderungen überprüfen und auf ihre Geltung hin bewerten können, einem Prozess ausgesetzt, der völlig opak verläuft und sie selbst zu bloßen Funktionspartikeln herabwürdigt. Dieses Vorgehen geht in keiner Weise mit einem professionellen, an üblichen Standards orientierten Change Management konform. Insofern ist auch nicht nachvollziehbar, wie angesichts der Belastungen, die sich aus der Umgestaltung des LIGA.NRW ergeben, das MAGS und die Landesregierung von einem am Gesund- 167 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht heitscampus effizienter aufgestellten LIGA.NRW sprechen können. Verunsicherte Mitarbeiter, die um ihre Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Mitwirkung gebracht worden sind, werden sich in der Regel keineswegs mit einer neuen Unternehmensphilosophie und einer neuen Zielorientierung identifizieren. Führungskräfte und Mitarbeiter die sich nur noch als Werkzeug empfinden, werden sich auch nicht besonders motiviert auf neue Aufgaben einlassen und ihre Arbeit besonders engagiert versehen. Dieser Sachverhalt wird auch im IfV-Gutachten gestreift. Allerdings unter der Perspektive eines neuen Verwaltungshandeln, das darin besteht, die „wechselnden Anforderungen einer systemisch angelegten Unterstützung der Landesgesundheitspolitik zu erfüllen.“125 Dieses Verwaltungshandeln zeichnet sich durch veränderte Anforderungen aus, die darin bestehen, dass nunmehr proaktiv, Rahmenbedingungen setzend und Standards gewährleistend zu agieren sei. Angesichts der tatsächlich vorhandenen, die gesamte Arbeitsorganisation bedrohenden Informationsdefizite, stellt die Skizzierung eines solchen Anforderungsprofils eine Farce dar. Überdies ist zu klären, wie der eingeforderte „erforderliche Umbau und die Entwicklung des Personalkörpers“ denn inhaltlich beschaffen sein sollen, angesichts der Tatsache, dass selbst das MAGS noch keine klare Vorstellung darüber entwickelt hat, welche Aufgaben tatsächlich in welcher Weise, aufgrund welcher Vernetzungen wahrzunehmen sind. Wie sollen vor diesem Hintergrund die neuen Kompetenzprofile gegenüber den derzeitigen Kompetenzprofilen der Mitarbeiter beschaffen sein? Darüber schweigt sich das MAGS ebenso aus, wie das Gutachten keinerlei weitere Angaben dazu macht. So lässt sich vielmehr vermuten, dass derjenige Mitarbeiter, der nicht bedingungslos - quasi in blinder Gefolgschaft - dem von der Landesregierung betriebenen Paradigmenwechsel nachvollzieht und die dafür vermeintlich erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen erwirbt, auch nicht mehr für das neu aufgestellte LIGA.NRW tragbar ist. Um sich dieser Mitarbeiter zu entledigen unterbreitet das Gutachten auch einen entsprechenden modus operandi: Die mit der Verlagerung des LIGA.NRW auf den Gesundheitscampus verbundene „Entwicklung des Personalkörpers“ bietet hierzu nach Auffassung des Gutachtens eine gute Gelegenheit, „da nicht zu erwarten ist, dass das gesamte Personal der verteilten Standorte zum Umzug bereit sein wird.“ Bei der voraussichtlich erforderlichen Rekrutierung neuen Personals sollten diese Aspekte bereits berücksichtigt werden. Es wird also eine Personalentwicklung gefordert, die einen Mitarbeitertypus 125 Nigmann, Ralf/ Dahs, Karl, a.a.O. 2008. S.11. 168 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht verlangt, der die Ziele der Marktöffnung des LIGA.NRW internalisiert hat und dem entsprechend ökonomisch agiert. Diesem Typus entsprechend hätte der neue LIGA.NRW Mitarbeiter künftig proaktiv gesundheitswirtschaftlich konform am neuen Standort seine Arbeit als Dienstleister im Kundeninteresse zu verrichten, unter dieser Zielvorgabe daran mitzuwirken, dass „eine Vernetzung und Stärkung der jeweiligen Kompetenzen verschiedener gesundheitswirtschaftlicher Akteure“ erfolgt.126 Damit wird die gebotene Distanz des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Gesundheitswirtschaft eingeebnet. Die Vereinnahmung wird zu Lasten der Bürger gehen, da ein LIGA.NRW, das im Kundeninteresse mit einem „schlankeren“ auf die Erfordernisse des Campus ausgerichteten Leistungsportfolio handelt, seine originären Aufgaben, die den Erhalt und die Förderung der Gesundheit der Bürger zum Ziel haben, nur noch unzureichend wahrnehmen werden kann. Angesichts eines weiteren Kommerzialisierungsschubes, der von einer Konzentration gesundheitswirtschaftlicher Aktivitäten an einem zentralen Ort aufgrund der zunehmenden Vernetzung der gesundheitswirtschaftlichen Akteure unter privatwirtschaftlichen Interessen zu befürchten ist, hätte LIGA.NRW eine durchaus notwendige regulative Funktion zu versehen, nämlich als ein beaufsichtigendes und kontrollierendes Organ der Gesundheitswirtschaft i. S. der Gefahrenabwehr zu agieren, zum Schutze des Bürgers vor einem zweifelhaften Gesundheitskonsum, der aus den sich dynamisch entwickelnden Produkten und Dienstleistungen kommerzialisierter Gesundheitsangeboten resultiert. Eine solche Korrektivfunktion wird - folgt man den Intentionen, die sich mit dem Konzept Gesundheitscampus verbinden LIGA.NRW in seiner Neuaufstellung nicht mehr umfänglich leisten können. Unter dieser Perspektive wird das Ziel, ein schlankes effizientes LIGA.NRW zu schaffen, das aufgrund seiner Aufgabenreduzierung und des angestrebten Personalabbaus das Gesundheitswesen nur noch unzureichend vor den Auswüchsen eines unüberschaubaren und die Gesundheit der Bevölkerung im Extremfall gefährdenden gesundheitswirtschaftlichen Angebotes schützen kann, in seiner ideologischen Funktion evident. Eine marktkonforme LIGHT-Version des LIGA.NRW weist keine Friktionen und Widerstände gegenüber der herrschenden Verwertungslogik mehr auf. Stattdessen können die gesundheitswirtschaftlichen Akteure aufgrund der angestrebten Kooperationen an den noch verbleibenden wissensbasierten Leistungen des LIGA.NRW 126 Nigmann/ Dahs a.a.O., S. 11. 169 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht partizipieren und aus diesen Synergien dann ihren Marktauftritt optimieren. Dies jedoch dürfte, bezogen auf die Kernbereiche des Gesundheitswesens, wohl kaum im Verbraucherinteresse sein. Die Aufgabenkritik, mit der Vorschläge zum künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW unter den Kriterien einer wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land zu entwickeln waren, zeichnet hinsichtlich der Identifizierung von Aufgaben, die ganz oder teilweise fortfallen können, ein breites Spektrum, sofern die Ergebnisse der formalen Zweckkritik und der strategischen Bewertung der einzelnen Aufgaben zusammen betrachtet werden. Hier und unter der letztlich empfehlenden Gutachterperspektive werden durchaus in einzelnen Fällen nachvollziehbare Voten auch für den gebotenen Fortbestand von Aufgaben gegeben, die aus Gründen der strategischen Ausrichtung und dem geforderten proaktiven Verwaltungshandeln unbedingt notwendig sind. Auch wenn die formale Zweckkritik zu einem anderen Urteil gelangt. So differenziert in dem gegebenen Rahmen und aufgrund der gemachten Voraussetzungen das IfV-Gutachten auch in dieser Hinsicht den Verbleib von Aufgaben die keine Pflichtaufgaben darstellen - nachvollziehbar legitimiert, bleibt dennoch zu fragen, ob angesichts der dominanten Ausrichtung und Unterstützung der privaten Gesundheitswirtschaft, die das Ziel des Gesundheitscampus bildet, den Empfehlungen auch im vollen Umfange entsprochen wird. Hier liegt der Verdacht nahe, dass unter dem Dogma von kostenorientierten Produktivitätsstrategien und der Vernetzung von LIGA.NRW im Kontext der Gesundheitswirtschaft nicht mehr den in Hinsicht auf einen Fortfall oder eine Übertragung von Aufgaben restriktiveren Ansatz des Gutachtens gefolgt wird, sondern eine möglichst große Anzahl an Aufgaben, die gesundheitswirtschaftlich von geringem Nutzen sind, gestrichen wird. Damit sind - im worst case Szenario - alle Aufgaben und Teilaufgaben gemeint, die laut formaler Zweckkritik ganz oder auch nur teilweise fortfallen können, die allerdings für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW im Hinblick auf sein Leistungsprofil für den Öffentlichen Gesundheitsdienst und das Gesundheitswesen sowie im Hinblick auf die Unterstützung der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung von notwendiger Bedeutung sind. Ein Beispiel hierfür wurde schon zuvor diskutiert. So könnte nach Rechtslage die Aufgabe des LIGA.NRW „Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste“ 170 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht (GVP Nr.:3.2.3) teilweise fortfallen - und die Erfassung von Daten der unteren Gesundheitsbehörden vollständig. Damit jedoch wäre die Beratungsfunktion wie auch die Strategieentwicklung in diesem Handlungsbereich nicht mehr möglich und die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste würden in ihrer Aufgabenwahrnehmung, die ein vitales gesellschaftliches Interesse erfüllt, behindert. Ein weiteres Beispiel für eine durchaus drohende Aufgabenreduzierung, die nicht im Interesse der Bevölkerung (im Hinblick auf eine gesunden Umwelt wie auch an schadstoffunbelasteten Arbeitsbedingungen) sein kann, aber unter gesundheitswirtschaftlichen Verwertungsbedingungen eher störend wirken könnte, stellt die Aufgabe „Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigende Stoffe“ dar (GVP 1.1.1) Hier könnten laut formaler Zweckkritik die Beratung zu Belastungen und Beanspruchungen durch Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigenden Stoffen sowie die Datenpflege der Gefahrstoffdatenbank der Länder und die Beratung zu Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen/Gefahrgütern entweder fortfallen (Datenpflege) oder auf Private bzw. eine andere Behörde übertragen werden. Zwar sieht der Kabinettsbeschluss zu LIGA.NRW vor, dass im „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ weiterhin die Aufgabenfelder „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“ zu bearbeiten sind. Allerdings wird hierbei der Akzent auf den Erhalt und die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen als einem wesentlichen Schwerpunkte gelegt. Ebenso soll das Zentrum darüber hinaus im Bereich des Arbeitsschutzes auch sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter und i. S. von Politikberatung wahrnehmen. Eine direkte Erwähnung der Relevanz der Aufgabenwahrnehmung hinsichtlich der Gefahrstoffe erfolgt jedoch nicht. Zwar plädieren gerade die Autoren des Gutachtens eindringlich dafür, dass unter „dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung […] die Fähigkeit zur Abschätzung von Risiken und zur Beratung hinsichtlich Risiken“ als „eine zentrale Zukunftskompetenz des LIGA.NRW“ erhalten bleibt, dies vor allem in Anbetracht der besonderen „Dichte von Betrieben der chemischen Industrie in NRW“; aber angesichts der dominant kommerziellen Ausrichtung des Campus und der dadurch gegebenen privatwirtschaftlichen Dienstleisterfunktion, die das LIGA.NRW dann am Standort mit wettbewerbsähnlichen Elementen wahrzunehmen hätte, ist mehr als fraglich, ob dieser substanzielle Aufgabenbereich - obgleich er im Gutachten als ein „wesentliche(s) Handlungsfeld des staatlichen Handelns“ ausgewiesen wird, nicht doch noch mit einem kw-Vermerk verse- 171 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht hen wird. Die jüngsten Erfahrungen aus anderen umweltrelevanten Bereichen legen dies nahe. Dass die Landesregierung sich angesichts ihrer wirtschaftsfreundlichen Haltung mit dem Umweltschutz und dem Gefahrenschutz der Bevölkerung schwer tut, ist nämlich nicht erst seit den Skandalen um die Verseuchung des Ruhrwassers durch Einleitung von Gefahrstoffen (PFT- Emissionen) offenkundig. Ebenso leichtfertig wie beim Gewässerschutz und der Trinkwassergüte zeigte sich die Landesregierung über Jahre auch im Hinblick auf die gesundheitliche Belastung der Bürger durch Gefahrstoffe bei der Sondermüllverbrennung. So wurden insgesamt 615.940 t Sondermüll - vor allem aus Österreich, Frankreich, Großbritannien und Benelux im Jahre 2005 nach NRW eingeführt und hier „entsorgt“.127 Allein 2008 wurden 1,7 Mio. Tonnen Abfall nach NRW importiert, worunter sich mehr als 650.000 Tonnen giftiger Sondermüll befand. Obgleich die Menge des importierten Mülls seit 2004 kontinuierlich abnahm, sollen nach Willen der Landesregierung die Kapazitäten in der Müllverbrennung erheblich erhöht werden. Dem entsprechend werden die Anlagen in Bielefeld, Hamm und Köln stark ausgebaut, in Krefeld laufen Genehmigungsverfahren und die größte Müllverbrennungsanlage Asdonkshof in Kamp-Lintfort soll ebenfalls in ihren Kapazitäten stark erweitert werden.128 Hierbei ist zu sehen, dass sich in einer Müllverbrennungsanlage selbst der „vermeintlich harmlose Hausmüll nicht einfach in saubere Luft auf(löst). Etwa ein Drittel der Eingangsmenge einer MVA verbleibt als Reststoff, davon entfallen etwa 13% auf Filter- und Kesselstäube sowie sonstige feste Abgasreinigungsrückstände. Diese Substanzen, insbesondere die Filterstäube, sind eine wahre Schadstoffsenke: Sie sind hoch angereichert mit Schwermetallen, Dioxinen sowie Furanen und müssen als hochgiftiger Sondermüll beseitigt werden.“ Ebenso emittieren über den Luftpfad […] trotz vermeintlich bester Filtertechnik gesundheitsgefährdende Schadstoffe. Und: Je mehr Müll verbrannt wird, desto höher ist trotz Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die reale Belastung.129 Angesichts dieser - alle gesundheitlichen und umweltverträglichen Bedenken hinten anstellenden - wirtschaftsfreundlichen Apologie der Müllverbrennung und des Müll127 Peter Kleinert: NRW-Umweltminister kneift, in: Neue Rheinische Zeitung 24.01.2007. Quelle: Dumke, Holger: Minister wirbt für Akzeptanz für Müllimporte, in: NRZ v.08.04.2009. 129 Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. Landespressekonferenz, Düsseldorf, 20.11.2008. 128 172 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht importes, verheißt das Ergebnis der formalen Zweckkritik in Analogie zu besagtem Fall einer möglichen Aufgaben- und Personalkürzung bei den Gefahrstoffen also nicht viel Gutes. In dieser neuen „Welt“ eines dem Leitbild einer schlanken, effizienten Verwaltung konformen LIGA.NRW ist zwar sehr wohl von einem kommerziellen Marktauftritt die Rede, nicht aber mehr von den öffentlichen Aufgaben des LIGA.NRW. Die Verantwortung, die LIGA.NRW gerade auch gegenüber der Bevölkerung hinsichtlich einer in ihren Produkten und Dienstleistungen ausufernden gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung wahrzunehmen hätte, wird mit dieser Version eines LIGA.NRW am Gesundheitscampus nahezu eingedampft. Dass aber gerade angesichts der dargestellten ungezügelten Wachstumsdynamik der Gesundheitswirtschaft, deren zweifelhafte Produkte auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überwacht und kontrolliert werden müssten, findet keinerlei Erwähnung. Dies weder seitens des MAGS noch im IfV-Gutachten selber. Besonders deutlich wird dies an der Diskussion, die um die Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle geführt wird, die derzeit noch in Münster ansässig ist. Im Rahmen der Konzentrationsbemühungen seitens der Landesregierung soll auch sie an den Campus verlagert werden. Aus der geleisteten Aufgabenkritik lassen sich die entscheidenden Mängel dieses Konzeptes herauslesen. Hier vor allem - neben den sachlichen Mängeln des Konzeptes - die nicht erfolgende Partizipation der Mitarbeiter. Im Rahmen der projektleitenden Aufgabenkritik werden die möglichen Szenarien, die sich für die AUST ergeben, hinsichtlich der Konsequenzen und Kostenbelastungen durchgespielt. Gegen die präferierte Option der Landesregierung „Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW und Verlagerung an dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW“, sprechen neben den Mehraufwendungen, die aufgrund der Aufgabe der bisherigen Zusammenarbeit der AUST mit der CVUA Münster kostenmäßig einzustellen wären und dem aus dem Fortfall der bisherigen Kooperation resultierenden Synergieverlusten, die zu Nachteilen bezüglich der fachlichen Qualität führen werden, insbesondere die „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass die Mitarbeiter keinen Standortwechsel akzeptieren werden.130 130 Nigmann, Ralf/Dahs, Karl, a.a.O.2008, S.35. 173 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Das von den Gutachtern selbst favorisierte Szenario „Ausgliederung der AUST aus dem LIGA.NRW und Übertragung an eine landesgeführte gGmbH“, weist das gleiche Defizit auf. Zwar wäre eine Verlagerung auf den Gesundheitscampus nicht mehr erforderlich und die Synergien mit dem CVUA Münster wären gewährleistet, aber diesem Szenario ist die Gefahr des Personalabbaus immanent. Kryptisch formuliert, kommen die Gutachter zu dem für sie positiven Ergebnis, dass, bei diesem von den AUST Mitarbeitern abgelehnten - Szenario „Gestaltungsspielräume für personalwirtschaftliche Gestaltungen und das Outsourcing von Verwaltungsdiensten (z. B. Buchhaltung, Personalservice)“ bestehen würden, was im Klartext darauf hinausläuft, dass ein Beschäftigungsabbau zu befürchten ist. So ist es verständlich, dass „das derzeitige Personal diese Organisationsform aus prinzipiellen Überlegungen heraus ab(lehnt).“ Insofern ist auch bei diesem Szenario mit „einem erheblichen Personalverlust“ zu rechnen, mit entsprechend negativen Konsequenzen für das Aufgabenwahrnehmung. Denn speziell „pharmazeutisches Personal ist über die PEM nicht zu rekrutieren und müsste von außen gewonnen werden. Für die Schulung und Einarbeitung des neuen Personals ist mit einem einmaligen Zusatzaufwand, abhängig von der Zahl der neu zu besetzenden Stellen, zu rechnen. Nach Einschätzung der Fachbereichsleitung würde die Arbeitsfähigkeit dadurch bis zu einem Jahr stark beeinträchtigt“, so die Einschätzung der Gutachter.131 Einzig die beiden Szenarien „Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW unter Beibehaltung des derzeitigen Standortes“ und „Ausgliederung aus dem LIGA.NRW und Rück-Übertragung der Aufgaben und des Personals an das CVUA in Münster“ wären für die Mitarbeiter akzeptable Lösungen, die allerdings den Konzentrationsbemühungen der Landesregierung konträr laufen. Wobei die Ausgliederung aus dem LIGA.NRW eine Maximalforderung darstellt, die keinerlei realistische Basis aufweist. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Veränderungsprozesse ohne die Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen, wie sie seitens des MAGS in großem Stile initiiert werden, letztlich zu Widerständen führen, die in einzelnen Fällen äußerst kostenintensiv werden können. Abgesehen davon sind im Falle der AUST der Öffentliche Gesundheitsdienst und damit der Gesundheitsschutz sowie die vitalen Interessen der Bevölkerung an sicheren und wirksamen Medikamenten besonders betroffen. Die Qualität des Gesundheitswesens würde durch eine Funktionsunfähigkeit dieses wichtigen Bereiches erheblich tangiert werden. 131 Ebenda. S. 39. 174 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Für jegliche konstruktive Veränderung jedoch - wie etwa die dringend gebotene Aufstockung der Personalressourcen - ist der Konsens mit den Mitarbeitern eine unhintergehbare conditio sine qua non. Ein Unternehmen oder eine politisch verantwortlich handelnde Landesregierung, die hinter solche Standards zurückfällt und autokratisch ihre Interessen durchsetzt, dürfte - wie die Intention der Verlagerung des LIGA.NRW zeigt - dem Gesundheitswesen und damit der Bevölkerung größeren Schaden als Nutzen bereiten. Für jedes fortschrittliche und erfolgreiche Unternehmen - um diese Analogie einmal zu bemühen - basieren Veränderungsprozesse grundsätzlich auf der Einbeziehung aller Mitarbeiter. Dass die wohl grundlegendste Voraussetzung für einen Wandel und der damit angezielten Qualitätssteigerung der Aufgabenwahrnehmung in der Partizipation und in den Freiräumen besteht, die den Mitarbeitern eine weitgehende Entscheidungsbefugnis für die Gestaltung ihrer Arbeitsorganisation einräumen, gehört zum Standardwissen eines jeden Veränderungsmanagements. Umso erstaunlicher ist es, dass das MAGS in seinem Bestreben vermeintlicher Effizienzsteigerungen durch gravierende Veränderungsprozesse dieses basale Know-how ignoriert. Wäre seitens des MAGS frühzeitig die Intention der Verlagerung mit einem belastbaren Konzept kommuniziert und nicht oktroyiert worden, so hätte die Chance bestanden, dass ein solches durchgerechnetes und Alternativen aufzeigendes Konzept von den Mitarbeitern an den LIGA.NRW Standorten zeitnah hätte diskursiv aufgenommen und erörtert werden können. Damit wären auch die Probleme und Konsequenzen hinsichtlich einer Veränderung der Aufgabenerfüllung und der Veränderungen, die im Leistungsprofil des LIGA.NRW anvisiert werden, seitens der Mitarbeiter aufgezeigt und kritisch bewertet worden. Dies hätte den Vorteil gehabt, dass das zentrale Modell der Konzentration sich als frühzeitig nicht realisierbar erwiesen hätte oder nur unter der negativen und nicht akzeptablen Voraussetzung einer verstärkt kommerziellen Orientierung des Leistungsprofils des LIGA.NRW am Gesundheitscampus. Der Diskurs mit den Mitarbeitern und der Personalvertretung, um die Beschäftigtenund Partizipationsinteressen zu berücksichtigen und die Sachkompetenz der Insider aufzunehmen, mit dem Ziel, das gesamte Vorhaben auf dieser Folie einer sachkritischen Prüfung zu unterziehen, wurde seitens des MAGS nicht geführt. Eine Beteiligung der Mitarbeiter wurde offenbar zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen. Stattdessen wurde autokratisch über das dezentral organisierte LIGA.NRW verfügt 175 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht und an den Informationsbedürfnissen der Mitarbeiter und der Personalvertretung vorbei ein „Leuchtturmprojekt“ in die Öffentlichkeit lanciert, das in seiner Zentralität zwar einigen kommerziellen Interessen entsprechen dürfte, aber das den gewachsenen LIGA.NRW-Schnittstellen Schaden zufügt. Dies wird weiter unten noch ausgeführt werden. Die Gründe für dieses Vorgehen lassen sich nur vermuten. Wahrscheinlich soll das LIGA.NRW mit seinem derzeitigen Leistungsportfolio am neuen Standort - nach der bisherigen Analyse – verstärkt auch mit kommerziellen Interessen synchronisiert werden. Dafür sprechen auch Teile des IfV-Gutachten. Diese Ideologie kennzeichnet immerhin noch ein geplantes Vorgehen, während hinsichtlich der Ausschließung der Mitarbeiter von jeglicher Information eher zu vermuten steht, dass diese darauf beruht, dass weder Landesregierung, noch MAGS in irgendeiner Weise ein durchstrukturiertes, in sich schlüssiges Konzept zur Umsetzung ihrer Idee „Gesundheitscampus“ entwickelt haben. So muss die gesamte Planung notwendigerweise diffus bleiben. Dafür spricht, dass weder der Sinn, der sich mit dem Modell Gesundheitscampus verbindet bis auf einige wenige semantische Hülsen überhaupt erörtert wird, noch dass für die einmal in die Welt gesetzte Idee „Gesundheitscampus“ eine differenzierte theoretische Begründung geleistet wird. Damit wäre immerhin eine diskursive Basis geschaffen, auf der eine intersubjektive Bewertung möglich wäre. Nichts dergleichen wurde jedoch vom MAGS geleistet. Ebenso wenig existiert erkennbar ein Projektmanagement, das zielführend für die Umsetzung tätig wäre. Von einem Ablaufkonzept, von Meilensteinen in der Realisation der Idee - gerade auch im Hinblick auf die zu erreichende Organisation der Akteure im Rahmen des Gesundheitscampus - war bis Mitte 2009 ebenfalls seitens des MAGS nichts bekannt. 10.4 Folgen der Zentralisierung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW Die bisherige Diskussion einer dezentralen Organisation des Gesundheitswesens, wie sie in den Gesundheitsregionen bislang vorbildlich und mit entsprechenden Optimierungspotenzialen versehen realisiert wurde, zeigte, dass insbesondere die Dezentralität der Einrichtungen, die passgenau auf die verschiedenen Kompetenzfel- 176 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der der Regionen ausgerichtet sind, ein breit gefächertes Netzwerk qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung sicherstellte. Demgegenüber würde ein solches dezentral begründetes, breit gefächertes Versorgungsnetz, sofern es von einem zentralen Standort aus organisiert würde, einen erheblichen Mehraufwand erfordern. Vor allem die gewachsenen, gut funktionierenden Kontakte des LIGA.NRW vor Ort zu den Kooperationspartnern im Gesundheitssektor, die auch über die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW im Rahmen seiner Leistungen für den öffentlichen Gesundheitsdienst in NRW hinaus eine wesentliche Impulsgebung z.B. für die Region ermöglichten, würden damit nicht mehr zur Verfügung stehen. Ebenso wenig ließen sich bei Verlust dieser kommunikativ eingespielten Schiene hier auch keine Informationen und Empfehlungen von der Ebene der gesundheitspolitischen Zielstellungen des Landes im Hinblick auf regional relevante gesundheitsfördernde Maßnahmen mehr friktionslos transferieren. Das gleiche gilt für die landesweit relevanten Aufgaben des LIGA.NRW. Werden die entscheidenden Schnittstellen zu den regionalen Akteuren in Forschung und im Gesundheitswesen nicht weiterhin gepflegt, so lassen sich nur über einen erheblichen Mehraufwand an Zeitressourcen und finanziellen Mitteln neue Kooperationspartner im regionalen Kontext - beispielsweise der Gesundheitsregion Ruhr - finden und diesbezügliche strategische Netzwerke aufbauen. Aufgrund der engen Kooperation des ehemaligen LÖGD und LIGA.NRW mit den regionalen Forschungseinrichtungen beispielsweise in OWL, ließen sich in den letzten Jahren, erfolgreich Erkenntnisse aus unterschiedlichsten gesundheitswissenschaftlich und medizinisch relevanten Bereichen gewinnen. Dies in Form von Projekten, Studien, Workshops, Ringvorlesungen, Netzwerkbildungen, Symposien etc., wobei zugleich die öffentliche Bedeutung und die handlungsorientierte Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und des Gesundheitssektor, eine vorrangige Rolle einnahmen. So mit der Fachhochschule Bielefeld im Hinblick auf die Themenbereiche: medizinischer Verfahren und Technologien Prävention und Gesundheitsförderung Frauengesundheit und Geschlechterforschung 177 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Integration genombasierten Wissens in die öffentlich koordinierte Gesundheitsversorgung Kommunales Gesundheitsmanagement Multimediale Ausbildungsmodule für Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen. Ebenso fruchtbar ist die Kooperation mit der Universität Bielefeld, dort insbesondere mit der Fakultät Gesundheitswissenschaften. Sie erstreckt sich über einen breiten Kanon der Zusammenarbeit in Forschung, Lehre und Projekttätigkeiten, wobei der Datenaustausch unter den beiden Kooperationspartnern in vielfältiger Weise der wissenschaftlichen Begleitforschung von Projekten (so bei der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes „Ortsnahe Koordinierung der gesundheitlichen und sozialen Versorgung“ des Landes Nordrhein-Westfalen und zu zahlreichen anderen Projekten und Praxiskonzepten), Forschungsvorhaben, Analysen zu medizinisch relevanten Einzelfragen und dem fachlichen Diskurs zur Implementierung von Maßnahmen und Programmen ebenso dient wie auch dem wissenschaftlichen Mehrwert, der beispielsweise durch den Erkenntnisgewinn der Forschung im Rahmen von Promotionsverfahren und bei der Erstellung von Masterarbeiten erzielt wird.132 Daneben werden regelmäßig Tagungen in enger Zusammenarbeit ausgerichtet, die thematisch weitumspannend aktuelle und teils neuralgische Themata von öffentlicher Bedeutung behandeln, die von Fragestellungen der „Demografischen Alterung und Gesundheit“ über „Lebensumwelten und Gesundheit“ bis hin zu „Problemlösungs- und Präventionsstrategien für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz“ reichen, um nur ausschnitthaft und keinesfalls erschöpfend die wesentlichen Kooperationsaktivitäten zu skizzieren. Diese so gekennzeichneten Kooperationsaktivitäten in ihrer Gesamtheit wirken wiederum weitreichend in die Region zurück, wo sie praxisnah als „Leitplanken“ der regionalen Gesundheitsplanung fungieren können. In regionaler Hinsicht sind die Inputs aus dem Netzwerk LIGA.NRW, regionale Forschungseinrichtungen und ZIG von gravierender Bedeutung. So verfügt die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe neben den schon erwähnten Kompetenzfeldern Prävention und Gesundheitsförde- 132 So z.B. in der Studie von Ulrike Wolf: Grenzübergreifende Zusammenarbeit Im Gesundheitswesen. Stand und Entwicklung in Euregios und Interreg-Programmen mit deutscher Beteiligung, Bielefeld 2008, die u.a. unter Einbeziehung der bereitgestellten Daten des LÖGD ihren belastbaren Aussagegehalt fundieren konnte; um nur ein Beispiel zu nennen. 178 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht rung - bei deren unterschiedlichen Settings der Wissenstransfer von LIGA.NRW (LÖGD) und Forschungseinrichtungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung einnimmt - auch erhebliche Kernkompetenzen im Segment der „Betrieblichen Gesundheitsförderung“. Diese Kernkompetenz wird seit Jahren über das Netzwerk „Betriebliche Gesundheitsförderung OWL“ sichergestellt, das vom Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL (ZIG) koordiniert wird. Neben den Forschungseinrichtungen: Fachhochschule Bielefeld Fachhochschule der Diakonie Fachhochschule des Mittelstands Bielefeld Hochschule Ostwestfalen-Lippe Universität Bielefeld Universität Paderborn war auch das Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst NRW als LIGAVorläufer Partner und Fördermitglied für die Gesundheitswirtschaft in diesem Netzwerk. Eng verbunden mit diesem Netzwerk/Arbeitskreis Betriebliche Gesundheitsförderung ist auch das jüngste Modellprojekt „fit im Handwerk OWL“, in dem das Ziel verfolgt wird, die betriebliche Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Handwerksbetrieben nachhaltig zu verankern, um somit eine langfristige Beschäftigungsfähigkeit zu fördern sowie die Betriebliche Gesundheitsförderung zu einem Moment einer jeden Unternehmenskultur zu machen. Ein Ergebnis dieser Aktivitäten ist u.a. die Entwicklung eines gewerkeübergreifenden Praxis-Leitfadens für die Einführung und Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Handwerksunternehmen in OWL, der in Kürze (2009) zur Verfügung stehen wird. In diesem Verbund arbeiten also Gesundheitseinrichtungen, Gesundheitsexperten aus den verschiedenen Partnerbereichen wie dem LIGA.NRW und den Universitäten untereinander vernetzt zusammen, um innovative und zukunftsweisende Angebote der Gesundheitsförderung in verschiedenen Kompetenzfeldern zu formulieren und umzusetzen. 179 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ZIG und LIGA.NRW lassen sich somit als wichtige Entwicklungspartner für die Gesundheitsregion OWL identifizieren. Wobei das ZIG entsprechend seiner Gründungsintention und -geschichte den gesundheitswirtschaftlichen Bereich repräsentiert. So haben vor 9 Jahren Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, Kliniken, Verbände, Kammern und Hochschulen ihre Interessen im „Verein zur Förderung von Innovationen in der Gesundheitswirtschaft OWL e.V.“(dem Träger des ZIG) mit dem Ziel zusammengeführt, die Unternehmensentwicklung durch gemeinsame, innovative Projekte und Maßnahmen zu fördern sowie die Region in ihrer Kompetenz für Gesundheit und Gesundheitswirtschaft zu profilieren. Mittlerweile hat sich dieser Verbund unter Koordination des ZIG zu einem entscheidenden Inkubator und Motor der regionalen Standortentwicklung in der Gesundheitswirtschaft entwickelt. Durch die Partnerschaften im Handlungsfeld Wissenstransfer, koordiniert in den Arbeitsgruppen Rehabilitation und Heilbäder sowie betriebliche Gesundheitsförderung, ist es möglich, dass auf der Grundlage der Netzwerkaktivitäten des LIGA.NRW sein Know-how-Input für die Gesundheitsregion auch im Bereich der Gesundheitsförderung des Gesundheitswesens sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung als ein wichtiger Impulsgeber Eingang finden kann, um somit zur Verbesserung des regionalen Gesundheitssektors beizutragen. Eine solchermaßen sich über viele Schnittstellen im Netzwerk erstreckende, intensive Kooperationsstruktur kommt also der Gesundheitsregion ebenso zugute, wie sie letztlich auch inhaltlich-thematisch mit ihren Forschungsergebnissen ein Korrektiv für den öffentlichen Bereich gegen eine zunehmende und immer unkontrollierbarer werdende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens durch die überformenden Kräfte der Gesundheitswirtschaft darstellt. Gerade in dieser Hinsicht sind eingespielte und damit äußerst effiziente Forschungs- und Kommunikationsnetzwerke, wie sie derzeit bestehen unverzichtbar. Auch am LIGA.NRW-Standort Münster existiert eine über lange Jahre gewachsene und überaus erfolgreiche Vernetzung mit dem kommunalen ÖGD, den Forschungseinrichtungen (Universität Münster und CVUA Münster) und der Apothekerkammer. Das LIGA.NRW am Standort Münster leistet einen erheblichen Input für die regionalen Forschungs- und Lehreinrichtungen, wobei zu sehen ist, dass diese Kooperationsstruktur ebenfalls stark interdependent ist. Aufgrund der Zusammenarbeit mit der Universität Münster gelingt es, Praktikumsstellen für Studenten seitens des LIGA.NRW anzubieten. Ebenso werden Doktoranden Forschungsmöglichkeiten eingeräumt. Überdies ist eine Zusammenarbeit von Mitarbeitern des LIGA.NRW und 180 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht der Universität in gemeinsamen Projekten sichergestellt. Aktuellstes Beispiel hierfür aus dem Bereich Sozialpharmazie ist ein Projekt zur Arzneimittelversorgung von Heimbewohnern. Des Weiteren ergaben die Interviews, dass die Zusammenarbeit mit der Lehre an der Universität Münster aufgrund der Nähe beider Einrichtungen sehr gut funktioniert. Beispielsweise werden Vorlesungen von Mitarbeitern des LIGA.NRW abgehalten, so u.a. im Bereich Klinische Pharmazie/ Pharmakovigilanz. In diesem Kontext ist zu sehen, dass die Ausbildung der Studenten in Forschung und Lehre aufgrund der funktionierenden Kooperationsstrukturen zwischen der Universität und dem LIGA.NRW gegenüber der Ausbildungssituation an anderen Universitäten einen qualitativen Vorteil bzw. einen deutlichen Mehrwert aufweist. Denn für Studenten der Pharmazie ist es normalerweise nicht üblich, ihre vorgeschriebene Famulatur und ihr praktisches Jahr in einer Arzneimitteluntersuchungsstelle durchzuführen. Die meisten Studenten, richten sich auf die Apotheken aus. Mit dem Standort Münster ergibt sich für Studenten, die auch institutionell umsetzbare Chance, die Arbeit in der Arzneimitteluntersuchungsstelle oder im Bereich Sozialpharmazie kennenzulernen. Dieses niedrigschwellige Angebot der Horizonterweiterung kann als ein Alleinstellungsmerkmal des Pharmaziestudiums in Münster gegenüber anderen Universitätsstädten wie Düsseldorf oder Bonn betrachtet werden, da Studenten dort nicht auf ein solches Angebot zurückgreifen können. So besteht aufgrund der Kooperation mit der Universität Münster die Möglichkeit, dass Studenten der Pharmazie oder Chemie in Zeiten, in denen die Freisetzungsanlage der Arzneimitteluntersuchungsstelle nicht genutzt wird, von diesen verwendet werden darf, z.B. im Rahmen einer Diplom- oder Doktorarbeit. Insofern bildet diese auf mehreren Ebenen gelagerte erfolgreichen Zusammenarbeit von LIGA.NRW und Universität Münster ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, dass zum einen eine verbesserte Qualifikation der Pharmazeuten ermöglicht und zum anderen die Attraktivität des Studienortes Münster und damit der Gesundheitsregion Münsterland steigert. Bei einer Verlagerung ins Ruhrgebiet wird es diese Niedrigschwelligkeit über lange Jahre nicht mehr geben. Außerdem darf nicht übersehen werden, das das LIGA.NRW auch im Ausbildungsbereich tätig ist. Allerdings würde die Ausbildung von Pharmaziepraktikanten und Famulanten wahrscheinlich entfallen, da es im Ruhrge- 181 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht biet keine Universität mit dem Studiengang Pharmazie gibt. Somit ist davon auszugehen, dass sich für Auszubildende und Studenten die Situation stark verschlechtern wird. Aber auch für die Arzneimitteluntersuchungsstelle und für den Bereich Sozialpharmazie dürfte sich die Situation nachhaltig verschlechtern, da interessierte Studenten nicht mehr im gleichen Maße die Möglichkeit erhalten, die Arbeit im LIGA.NRW kennenzulernen. Mit großer Wahrscheinlichkeit verliert dadurch das LIGA.NRW die Chance, besonders motivierte zukünftige Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu interessieren. Angesichts der bedenklichen Nachwuchssituation im Öffentlichen Gesundheitsdienst wird damit eine große Chance vertan, besonders motivierte und interessierte Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Ein weiteres wichtiges Netzwerk besteht in der Vernetzung der Arzneimitteluntersuchungsstelle mit dem Chemischen Landes- und staatlichen Veterinäruntersuchungsamt (CVUA). Vor dem Hintergrund, dass bis Dezember 1994 die Arzneimitteluntersuchungsstelle eine Abteilung des CVUA war, ergeben sich gerade aus dieser Kooperation erhebliche Synergiegewinne. So besteht eine langjährige Zusammenarbeit mit dem CVUA sowohl in den Bereichen Analytik, als auch im fachlichen Austausch u. a. zu rechtlichen Angelegenheiten. Des Weiteren werden nach wie vor bestimmte Fachliteratur gemeinsam genutzt. Diese Synergieeffekte würden durch die Verlagerung nachhaltig geschädigt, wenn nicht sogar langfristig zerstört. Dies würde sich überaus nachteilig auf die Qualität der Arbeit des LIGA.NRW auswirken. Im Bereich der Aufgabenerfüllung der Arzneimitteluntersuchungsstelle wäre ein Verlust an Effektivität zu beklagen. Denn würde die Zusammenarbeit mit dem CVUA, wie oben bereits beschrieben, durch eine Verlagerung des LIGA.NRW konterkariert, so würde dies dazu führen, dass eine Kooperation nur noch fernmündlich oder per E-Mail möglich wäre. Bislang war es Usus, dass in den nicht sehr wenigen, sehr dringenden Fällen, wo schnellstmöglich untersucht werden musste, die Proben von den Mitarbeitern persönlich in das CVUA gebracht und die Art der Untersuchung mit dem dortigen Fachmann besprochen wurde. Dies wird nach der Konzentration der Arzneimitteluntersuchungsstelle am Gesundheitscampus nicht mehr der Fall sein. Darunter leidet die gesamte bisherige 182 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Effizienz des Bereiches, da es keine, die Effektivität sichernde Synergieeffekte mehr mit dem CVUA gibt. Ein weiterer Vorteil der auf mehreren Ebenen gelagerten Kooperation der Arzneimitteluntersuchungsstelle mit der Universität Münster besteht für die Arzneimitteluntersuchungsstelle darin, NMR-Messungen an der Universität durchführen zu lassen. NMR-Geräte und deren Betrieb sind extrem teuer. Da diese Untersuchung nur selten anfällt, ist die Anschaffung eines solchen Gerätes für die Arzneimitteluntersuchungsstelle nicht vertretbar. Sowohl die Vernetzung mit der Universität Münster, als auch mit der CVUA ist gekennzeichnet durch kurze Wege der Kommunikation und Kooperation. Dieses, die eigentlichen Synergieeffekte generierende Prinzip, würde mit der Verlagerung zum Campus fortfallen, wodurch eine effiziente und zeitnahe Aufgabenerledigung vereitelt würde. Daran zeigt sich erneut, dass eine effiziente öffentliche Einrichtung ihre Effizienz nicht durch verstärkte Kosteneinsparung nach dem Modell der schlanken Verwaltung erlangt, sondern durch die Synergiegewinne, die durch das Zusammenspiel der regionalen Akteure vor Ort und die Netzwerkqualität garantiert werden, die den schnellen Austausch von Informationen und die kostengünstige gemeinsame Nutzung von Analysetechnik ermöglicht. Bei einer Verlagerung an den neuen Standort im Ruhrgebiet allerdings, werden die Schnittstellen zur Universität Münster und zum CVUA unwiederbringlich verloren gehen und zudem keine neuen Schnittstellen zu irgendeinem relevanten Kooperationspartner mehr bestehen. An den bislang aufgezeigten Vernetzungen, die das LIGA.NRW an den Standorten Bielefeld mit der Gesundheitsregion OWL und der kommunalen Ebene sowie am Standort Münster mit der Kommune und der Gesundheitsregion Münsterland aufweist, lässt sich ermessen, dass eine Überführung und damit Herauslösung des LIGA.NRW aus den regionalen Clusterstrukturen mit all ihren vielfältigen Aktivitäten einerseits zu einem erheblichen Know-how Verlust für die Region und den kommunalen ÖGD, andererseits ebenso auch zu einem Verlust wesentlicher wissenschaftlicher wie Expertisenressourcen des regionalen Umfeldes für das LIGA.NRW selbst führen würde. Angesichts der dadurch zerstörten Ressourcen und des Verlustes an Synergieeffekten stellt sich eine Verlagerung des LIGA.NRW als eine eher schädliche Intention der Landesregierung bezüglich des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens 183 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht dar, da ein LIGA.NRW mit einem nur noch unzureichenden Leistungsportfolio künftig nur noch sehr eingeschränkt in der Lage sein wird, jene wesentlichen Impulse für die Entwicklung des Gesundheitswesens zu vermitteln, wie es das ÖGDG NW als Aufgabe einer solchen Landeseinrichtung vorsieht. Allerdings existiert im Nexus mit der geplanten Verlagerung und Konzentration der LIGA.NRW Standorte an den zentralen Ort des Gesundheitscampus (Bochum) eine weitere, die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW noch weit stärker, weil nachhaltiger tangierende Tendenz, die zu deutlichen Qualitätseinbußen bei den Arbeitsergebnissen, Einschränkungen bei der Aufgabenerfüllung bis hin zu einem Aufgeben ganzer Aufgabengebiete führen könnte. Diese Entwicklung resultiert aus der mit der Verlagerung erfolgenden, weitgreifenden Personalfluktuation und dem daraus resultierenden Expertiseverlust. Das Problem lässt sich exemplarisch für das gesamte LIGA.NRW an den Standorten Münster, Düsseldorf und Bielefeld an der Aufgabenkritik des Institutes für Verwaltungswissenschaften im Hinblick auf die Diskussion der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die AUST in Münster aufzeigen. Die Aufgabenkritik kommt zu dem Ergebnis, dass unter der Perspektive der formalen Zweckkritik eine „vollständige Übertragung der Aufgaben auf einen anderen öffentlichen Träger“ durchaus möglich ist.133 Wie bereits erörtert, lassen sich bezüglich dieses Ergebnisses nun eine Reihe von Optionen durchspielen, wobei die Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW und seine Verlagerung an dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW der Wunschvorstellung der Landesregierung entspricht. Wie die Aufgabenkritik hinsichtlich dieser Option deutlich macht, wären - nach Meinung der IfVAutoren - damit auch erhebliche Synergien, insbesondere beim Verwaltungsaufwand und durch die gemeinsame Nutzung eines zu organisierenden Laborbereiches für alle LIGA.NRW-Aufgaben bei den Kostenstellen „Beschaffung“ und „Labor- Management“ realisierbar. Diese Konsequenz darf zumindest angezweifelt werden, da sich erhebliche Synergieeffekte schon aus der bisherigen sehr effizienten Zusammenarbeit der AUST mit dem CVUA Münster ergeben, deren Laborbereiche auf die jeweiligen Aufgabenstellungen aufgrund der ehemaligen funktionalen Einheit beider Institutionen optimiert sind. Überdies sind die möglichen Synergiepotenziale im 133 Nigman/Dahs 2008, a.a.O., S.35. 184 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Verwaltungsbereich mittlerweile schon längst ausgereizt worden. Denn durch die Zusammenlegungen von LÖGD und LAfA wurden sämtliche, im Hinblick auf eine relativ friktionslose Funktionsweise des LIGA.NRW noch vertretbaren, erzielbaren Synergieeffekte bereits durch die Verlagerung von 40 Stellen aus den beiden ehemaligen Verwaltungsabteilungen schon erreicht. Ein weiteres Abschmelzen des Personalbestandes, sei es im Verwaltungsbereich oder in den Fachabteilungen, ist im Hinblick auf die zu gewährleistende Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW insgesamt nicht mehr vertretbar. Mit welchen negativen Folgen der unternehmensgemäß betriebene Umbau des LIGA.NRW analog der Trias aus Personaleinsparung, Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung schon derzeit mit dem ÖGD korreliert, lässt sich exemplarisch an der angegriffenen Position des für den Verbraucherschutz und die Gesundheitsförderung so wichtigen Bereiches der Sozialpharmazie aufweisen 10.5 Der Bereich Sozialpharmazie im Rahmen der LIGA.NRWVerlagerung „Arzneimittel müssen sicher sein. Auf die gute Qualität der Produkte muss sich der Anwender verlassen können. Aber auch Arzneimittel von hoher Qualität können Gefahren verursachen, wenn sie falsch eingesetzt werden. Der Fachbereich Sozialpharmazie arbeitet zusammen mit anderen Beteiligten daran, die Arzneimittelanwendungssicherheit zu verbessern. Die Fachgruppe Sozialpharmazie unterstützt dabei überregionale Projekte der Landesregierung sowie kommunale Projekte der Kreise und kreisfreien Städte. Zusammen mit Amtsapothekerinnen und Amtsapothekern wird der Arzneimittelkonsum der Bevölkerung beobachtet, dokumentiert, analysiert und bewertet. Aus diesen Ergebnissen werden Aufklärungsmaßnahmen für einen verantwortungsvollen Einsatz von Arzneimitteln abgeleitet. Auch die Bekämpfung des Drogen- und Medikamentenmissbrauchs sowie Fragen der Heilmittelwerbung sind Themen des Arbeitsgebietes. Dabei werden wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen weitergeleitet, Konzepte und Strategien entwickelt, Projekte initiiert und begleitet, Methoden entwickelt und Kooperationen vermittelt. Der Bereich Sozialpharmazie im LIGA.NRW berät und unterstützt in sozialpharmazeutischen Fragen die Amtsapothekerinnen und Amtsapotheker in den Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen bei der Konzipierung und Durchführung 185 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht von kommunalen Projekten sowie das für das Gesundheitswesen zuständige Landesministerium bei überregionalen Projekten. Dazu werden die verfügbaren Daten des Arzneimittelmarktes und Informationen über den Arzneimittelgebrauch in der Bevölkerung gesichtet und, wo gewünscht, zur Verfügung gestellt. Die Fachgruppe ist zudem bei der Erstellung von Informations- und Aufklärungsmaterial über Arzneimittel behilflich.“ (LÖGD) Allein die jüngsten Meldungen zu Erkenntnissen der Arzneimittelsicherheit und vor allem der Erkenntnisse im Forschungsfeld der Sozialmedizin verdeutlichen die immense Relevanz, die gerade diesem Forschungs- und Handlungsbereich im Rahmen der Aufgabenstellungen des ÖGD zuerkannt werden muss. 30.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Die dänische Arzneimittelbehörde warnt vor Tamiflu-Fälschungen. 28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Verbraucherzentrale warnt vor Nahrungsergänzungsmitteln 28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Programm zur Cannabis-Prävention erfolgreich umgesetzt 28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Methamphetamin: Partydroge schädigt fetale Hirne 20.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: BfArM warnt vor einem dubiosen Produkt zur Gewichtsabnahme aus dem Internet („Apfeltabletten“ bzw. „FSS® - Fat slimming show“ 17.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Warnung vor Chuan Xiong Chao Tiao Wan Pills 08.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Warnung vor dem TCM Produkt „Jia Yi Jian" 03.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Keine Pharmawerbung durch Dritte 03.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Kinderärzte warnen vor Antibiotikaresistenzen 186 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 31.03.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie Zehn Warnzeichen für Quacksalberei. Geheime Indianerrezepte gegen Krebs, garantierte Heilung ohne jede Nebenwirkung -"Wundermittel" versprechen viel, was sie nicht halten können. Wer die teuren Fehlgriffe vermeiden will, sollte sich vom Apotheker beraten lassen. Hier zehn Punkte, an denen Verbraucher Quacksalberei erkennen können134. Ebenso wie die Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung nimmt auch die Sozialpharmazie eine wichtige Stellung im ÖGDG ein. § 20 „Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie“ führt dazu Folgendes aus: Der Arzneimittelverkehr auf örtlicher Ebene wird von der unteren Gesundheitsbehörde (Amtsapothekerin/Amtsapotheker) überwacht. Die untere Gesundheitsbehörde (Amtsapothekerin/Amtsapotheker) soll mit Unterstützung des Landesinstituts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst anhand der ihr zur Verfügung stehenden Daten den Arzneimittelkonsum der Bevölkerung beobachten, dokumentieren, analysieren und bewerten. Sie kann dazu Erhebungen durchführen. Auf dieser Grundlage soll sie die Bevölkerung über einen verantwortlichen Arzneimittelkonsum aufklären, informieren und beraten sowie an der Bekämpfung des Drogen- und Arzneimittelmissbrauchs mitwirken.“ (ÖGDG). Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsförderung und Prävention sowie Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie bilden im Hinblick auf die grundlegenden Aufgaben, die der ÖGD und damit das LIGA.NRW im Rahmen der Verwirklichung der gesundheitspolitischen Zielstellungen („Die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, zu verbessern und die dazu notwendige Infrastruktur zu gewährleisten“) eine Funktionseinheit, von deren effektiven Zusammenspiel letztlich die Qualität der Verbesserung des Gesundheitswesens und darüber hinausreichend in einem gesellschaftlich noch umfassenderen Sinne, die Gesundheit der Bevölkerung abhängt. Das Spektrum reicht von der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, umweltbezogener und sozialpharmakologisch orientierter GBE, über Fragen der Suchtprävention und Lifestylemedikamente, der betrieblichen Gesundheitsförderung, der praktischen Arbeitsmedizin bis hin zu Themenfeldern der medikamentösen Primär134 Quelle: LIGA.NRW: www.loegd.nrw.de (21.05.2009). 187 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht prävention und der Beschäftigungsförderung als präventivem Modell im Rahmen grundlegender Forschungsfelder der Sozial- und Arbeitsmedizin zu Themenkomplexen der Arbeit, Armut und Gesundheit. Die Valenz, die der Sozialpharmazie in diesem Spektrum zukommt, spiegelt sich gerade auch im ÖGD wider. Mit der Aufnahme der Sozialpharmazie in das Aufgabenspektrum des ÖGD ging beispielhaft ein Paradigmenwechsel einher, der den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen der letzten Jahrzehnte Rechnung trägt. Wobei sich die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse der letzten 50 Jahre in den Begriffen Selbstbestimmung, Bürgerorientierung, Partizipation und Demokratisierung als die wesentlichen Eckpunkte dieser Entwicklung andeutungsweise skizzieren lassen. Signifikant und induzierend für diese Entwicklung sind die Handlungsstrategien, auf die sich die WHO-Staaten im Bereich der Gesundheitsförderung (Ottawa-Charta 1986) verständigt haben. Hierzu gehören das anwaltschaftliches Eintreten für bedürftige Bevölkerungskreise, Empowerment, Vermitteln und Vernetzen, so z.B. von professionellem Handeln, von bürgerschaftlichem Engagement, von Politik, Versorgung und Bildung. Als eines der relevanten Handlungsfelder in dieser Dimension lässt sich die Neuorientierung der Gesundheitsdienste identifizieren, da diese den gesellschaftlichen Veränderungen mit einem entsprechend neu orientierten Leistungsbereich gerecht werden mussten und die tendenziell neuen Entwicklungen mit den in ihnen angelegten Potenzialen der Selbstbestimmung, Partizipation und Stärkung der Gesundheit aktiv im bürgerschaftlichen Sinne voranzutreiben hatten. Analog dazu entwickelte sich in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im wissenschaftlichen Bereich - den Aufschwung der Neudefinition der Gesundheitsförderung begleitend - die akademische Disziplin Gesundheitswissenschaften / Public Health, wobei die Zusammenarbeit mit dem ÖGD als besonders sinnvoll und notwendig betrachtet wurde. Ausdruck dieses Paradigmenwechsels ist die Erweiterung des Aufgabenspektrums des ÖGD. Denn nunmehr treten neben den traditionellen Aufgaben des ÖGD - Medizinalaufsicht über Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Gesundheitsschutz 188 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht einschl. Umwelthygiene, Gesundheitsförderung und- vorsorge sowie Gesundheitshilfe, dort wo sie notwendig ist (sozialkompensatorischer Auftrag), gutachterliche Tätigkeit und Epidemiologie - in jüngerer Vergangenheit neue Aufgabenfelder für den kommunalen ÖGD hinzu. Dies ist bedingt durch eine Änderung des Krankheitsspektrums (von den Infektionskrankheiten zu den chronischen Volkskrankheiten), das nach komplexeren Versorgungsstrukturen verlangt, wobei diese komplexeren Versorgungsstrukturen auch eine anspruchsvollere Moderation verlangen. So entstehen neue Herausforderungen an die Moderation und Vernetzung von Präventions- und Versorgungsleistungen. Ebenso zeigt sich, dass die Entwicklung des ÖGD dahin geht, dass die Gesamtlage der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung stärker fokussiert wird, dies auch unter Berücksichtigung einzelner Bevölkerungsgruppen und ihrer Problemlagen. So werden beispielsweise mit epidemiologischen Methoden und den Instrumenten einer modernen Gesundheitsberichterstattung Situationen vor Ort analysiert und mit den Betroffenen nach Lösungsstrategien gesucht. Tendenziell führt dies dazu, dass neben den klassischen Aufgabenfeldern des ÖGD (Kontroll- und Überwachungsaufgaben bis hin zum Risikomanagement) die strategische Planung in Form der Organisation von Kooperationsbeziehungen - unter allen im Gesundheitsbereich tätigen Akteuren - zunehmend an Bedeutung gewinnt. Seien es professionell tätige Akteure, Institutionen oder BürgerInnen, die an der Verbesserung des gesundheitlichen Angebotes, der Schließung von Versorgungslücken, einer gesundheitsbezogenen Verbesserung der lokalen Verhältnisse oder an der Partizipation der Bürger hinsichtlich eines effizienten Einsatzes der Ressourcen des Gesundheitswesens und seiner Angebote interessiert sind. Angesichts dieser Öffnung des ÖGD für eine den Veränderungsprozessen und damit den aus den gesellschaftlichen Bedürfnissen resultierenden neuen Herausforderungen angemessene Veränderung des Leistungsportfolios, wird auch der Handlungsbereich Sozialpharmazie immer relevanter. War die Sozialpharmazie im traditionellen Aufgabenkatalog des ÖGD noch nicht enthalten, wurde nunmehr mit dem ÖGDG ihre gesellschaftliche Bedeutung im Hinblick auf die Gesundheitsförderung und -vorsorge anerkannt, da sich im Laufe der Zeit auch die Erkenntnis durchsetzte, dass Gesundheit und Krankheit unter etlichen anderen Bedingungen auch sozial determiniert sind. 189 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Ein wesentlicher Aspekt der Daseinsfürsorge im Gesundheitswesen wird für den Bürger gerade durch die Sozialpharmazie abgedeckt. Zum einen, indem sie Apotheken und Einzelhandelsbetriebe ebenso überwacht wie den Verkehr mit Arzneimitteln auf kommunaler Ebene. Zum anderen beteiligt sich die Sozialpharmazie an der Klinischen Prüfung von Arzneimitteln. Wenn in der ideologischen Diktion der freien Marktwirtschaft vom mündigen Verbraucher die Rede ist, so zeigt der Aspekt der Arzneimittelsicherheit die Grenzen dieses Konstruktes. Transparenz über die Indikation und Wirkungsweise sowie über die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen von Arzneimitteln lässt sich für den Verbraucher ebenso wenig ermitteln, wie er Markttransparenz über die Kostenstruktur eines marktgängigen Medikamentes gewinnen kann. Dies aber leistet die Sozialpharmazie sowohl im Rahmen des LIGA.NRW in ihrer Beratungs- und Leitstellenfunktion, als auch die im Rahmen des ÖGD tätigen Amtsapothekerinnen und Amtsapotheker. Insofern ist die Sozialpharmazie ein wesentliches Instrument der Arzneimittelsicherheit wie auch des Verbraucherschutzes. Bei der Wahrnehmung dieser wichtigen Aufgabe ist die Sozialpharmazie auf Informationen und Daten aus den unterschiedlichsten arzneimittelrelevanten Bereichen angewiesen, woraus ersichtlich wird, dass sie deshalb auf die Gesundheitsberichterstattung angewiesen ist. Fragen nach den Konsumenten von Arzneimitteln, nach deren Applikationsroutinen, nach den Möglichkeiten einer optimalen Medikation, nach dem Stellenwert von Alter, Geschlecht und Befindlichkeitszustand bei der Medikation sowie der Gefahren von Arzneimitteln, selbst bei adäquater Verabreichung, nach der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln etc., lassen sich nur beantworten, wenn alle diesbezüglichen Datensätze - bis auf die kommunale Ebene oder Kreisebene heruntergebrochen - vorliegen. Da dies aus finanziellen Gründen nicht von den Amtsapothekerinnen und Amtsapothekern zu leisten ist, bedarf es der Kooperation mit der KGK und der Gesundheitsberichterstattung, um hier belastbare Daten zu erheben und auszuwerten.. Entsprechend umfangreiche Befragungen und Studien wurden so vom LÖGD und dem jetzigen LIGA durchgeführt. Die daraus gewonnen Erkenntnisse dienen der Aufklärung, Information und Beratung (s. ÖGDG). Ob es sich um Themenfelder wie Arzneimittelkonsumverhalten, Nahrungsergänzungsmittel oder Präparate aus anderen Therapiekulturkreisen handelt, grundsätzlich dienen die gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere wenn sich eine Gefahrenlage abzeichnet und verdichtet, der direkten 190 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Information der im Gesundheitswesen tätigen Akteure (Ärzte, Apotheker, Behörden) sowie der Bevölkerung. Als Multiplikatoren dienen alle am Gesundheitswesen beteiligten Institutionen (Behörden, Ärztekammern), Heilberufe und Selbsthilfegruppen. Als Kanäle dienen Informationsmaterialien, die Medien sowie vermehrt auch das Internet mit den Internetauftritten des LIGA.NRW ebenso wie der Gesundheitsämter. Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung über die Risiken von Arzneimitteln und Drogen sind auf der Grundlage von Forschung und Analyse entscheidende Aufgaben, die die Sozialpharmazie im Rahmen des ÖGD wahrzunehmen hat. Die Überwachung des Arzneimittelverkehrs und die Arzneimitteluntersuchung und -überwachung ergänzt die Tätigkeiten der Sozialpharmazie im Sinne des Verbraucherschutzes. Die Sozialpharmazie bietet mithin die Möglichkeit, nicht allein durch Überwachungsmaßnahmen Verstöße der Anbieter zu suchen (wie es Aufgabe der AUST ist), sondern das pharmazeutische Fachwissen zu nutzen, um in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen Probleme zu erkennen und zu behandeln. Darauf aufbauend kann dann daran mitgearbeitet werden, im Sinne des Verbraucherschutzes, die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, selbst zu erkennen, wo Gefahren bestehen und wie man sie vermeidet. Letztlich lässt sich so durch Überwachung und Sozialpharmazie mit den vorhandenen Mitteln ein Optimum für den Verbraucherschutz erreichen. Insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Verbraucherschutzes ist eine interkommunale Zusammenarbeit und eine Vernetzung von Fachwissen über die einzelnen KGK hinaus sinnvoll. Denn nur so werden auch überregionale Projekte mit Amtsapothekern aus anderen Kreisen oder kreisfreien Städten möglich. Hierbei werden der gemeinsame Diskurs und die Vernetzung wichtig. Auf ihrer Basis lassen sich dann von ins Leben gerufenen Projektgruppen Projekte konzipieren, einheitliche Erfassungsinstrumente erstellen und Daten gemeinsam auswerten. Die Zusammenarbeit mit dem LIGA.NRW bietet die Voraussetzung, dass die Aufgaben gut vorbereitet und die Ergebnisse mit denen aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich verglichen werden können. Dies macht die Schlüsselstellung des Bereichs Sozialpharmazie im LIGA.NRW für den Gesundheits- und Verbraucherschutz in seiner Koordinationstätigkeit und seinen wissensbasierten Inputs für eine interregional und interkommunal, wie auch übergreifend institutionell erfolgreiche Zusammenarbeit und Projekttätigkeit deutlich. Ohne den Bereich Sozialpharmazie im LIGA.NRW wä- 191 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht ren die Arzneimittelsicherheit, ein verantwortlicher Umgang mit Arzneimitteln sowohl beim Patienten selbst, als auch auf der Ebene von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sowie der Verbraucherschutz und die Prävention in Form der Kompetenzstärkung des Verbrauchers nachhaltig negativ betroffen. Angesichts der Bedeutung, die der Bereich Sozialpharmazie im Rahmen des ÖGD einnimmt, sollte der nordrhein-westfälischen Landesregierung daran gelegen sein, sofern sie ihre Führungsrolle, die sie mit dem ÖGDG und seiner Umsetzung gegenüber allen anderen Ländern im Bund anstrebte, nicht gefährden möchte, diesem Bereich die erforderlichen Ressourcen für eine optimale Leistungsentwicklung bereitzustellen. Wie unsere Interviews ergaben, sieht die Realität im Hinblick auf die Sozialpharmazie allerdings gänzlich anders aus. Statt diesen - gerade auch für den Verbraucher eminent wichtigen Bereich - weiter auszubauen, sind Einsparungen für die Sozialpharmazie vorgesehen. So ist derzeit ein - die Arbeitsweise der Sozialpharmazie gefährdender weiterer Stellenabbau geplant. Dies führt zu einer katastrophalen Schieflage im Hinblick auf den gesamten Arbeitsablauf in diesem Bereich, da gerade in Zeiten, in denen bei Projekten Daten anfallen, diese auch im LIGA.NRW zeitnah erfasst und ausgewertet werden müssen. Dies ist aufgrund einer solchen Personalreduktion nicht mehr gewährleistet. Vielmehr wirkt sich die durch Tätigkeiten in der Arzneimitteluntersuchungsstelle veranlasste Arbeitszeitreduzierung äußerst kontraproduktiv auf die Arbeitsweise der Sozialpharmazie aus, da dies zu einer Verlängerung der Auswertungszeiten führt und damit ebenso zu einer Verschlechterung der Projektergebnisse. Neben der Personalreduzierung wird zudem auch noch der Status der Sozialpharmazie selbst in Frage gestellt. So wurde veranlasst, die bisherige Fachgruppe Sozialpharmazie aufzulösen und den Bereich Sozialpharmazie als eine Untereinrichtung bzw. Untergliederung der Arzneimitteluntersuchungsstelle im LIGA.NRW weiterzuführen. Kontraproduktiv ist dies deshalb, da sich auch die Kommunen dadurch veranlasst sehen könnten, im Zuge von Sparmaßnahmen den nun in seiner Reputation beschädigten Bereich Sozialpharmazie aus dem ÖGD zu entfernen. Dies hätte jedoch zur Folge, dass NRW schließlich seine Spitzenposition im ÖGD gegenüber anderen Bundesländern verlieren würde. Auf der Strecke blieben das nordrheinwestfälische Gesundheitswesen und insbesondere die Verbraucher in NRW, denn 192 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht die Chancen, die sich aus der Kombination der Arzneimittelüberwachung mit der Sozialpharmazie - wie weiter oben beschrieben - für die Menschen ergeben, werden dann nicht mehr weiter genutzt werden können. Die Konsequenz wäre eine massive Einschränkung des Verbraucherschutzes im Bereich Arzneimittelsicherheit. Überdies würden maßgebliche Potenziale hinsichtlich der Chancen einer Verbesserung im Arzneimittelmarkt wie auch eines verbesserten Umgangs der Patienten mit Arzneimitteln verspielt. Eine solche Entwicklung ließe sich nur dadurch umkehren, dass strategisch insofern umgedacht wird, dass seitens der Politik verstärkt Mittel für einen Ausbau der Sozialpharmazie eingestellt werden. Damit ließe sich erreichen, dass über den Verbraucherschutz hinaus auch noch Möglichkeiten erschlossen werden könnten, die sozialmedizinischen und sozialwissenschaftlichen Aspekte und Ziele des Gesamtinstituts extensiver zu bearbeiten und umzusetzen. Überdies wäre es durch Personalund Mittelaufstockungen möglich, auch aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen in den Gesundheitswissenschaften aufzugreifen, wie beispielsweise die Versorgungsforschung. Die Erkenntnisse aus dem Bereich Arzneimittel im Rahmen dieses - auch seitens der Landesregierung als äußerst wichtig betrachteten Forschungs- und Handlungsfeldes - ließen sich seitens der Sozialpharmazie aufgreifen und aufgrund der Netzwerke in der Verzahnung von Sozialpharmazie und Öffentlichem Gesundheitsdienst landesweit verbreiten. Diese Chancen für das Gesundheitswesen werden verspielt, wenn es bei der gegenwärtigen Herabstufung der Sozialpharmazie und der personell äußerst unbefriedigenden Situation bleibt. Derzeit jedoch ist zu befürchten, dass sich die Situation für die Sozialpharmazie im Rahmen der Verlagerung eher noch verschlechtern dürfte, da - wie die Interviews verdeutlichten - davon auszugehen ist, dass ca. 40% der Mitarbeiter des Gesamtbereiches Arzneimitteluntersuchungsstelle den Standortwechsel nicht mit vollziehen werden. Damit ist die immense Gefahr gegeben, dass die Sozialpharmazie in Folge der Verlagerung an den Standort Gesundheitscampus weiter personell ausgehöhlt werden wird, da die vakanten Stellen in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Arzneimitteluntersuchung ausgeglichen werden müssen. Sollte dies tatsächlich geschehen, so würde dies für die Sozialpharmazie bedeuten, dass sich dieser Bereich aus organisatorischen Gründen nicht mehr weiter aufrechterhalten lässt. Insofern würde die Verlagerung des LIGA.NRW für die Sozialpharmazie das Aus bedeuten, un- 193 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht geachtet der Tatsache, dass im Gutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaften unter dem Aspekt der strategischen Bewertung für eine unveränderte Fortführung dieser Aufgabe plädiert wird. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Verlagerung und Konzentration der dezentralen Standorte des LIGA.NRW nicht nur die Synergieeffekte der Netzwerke zerstört, sondern schon im Vorfeld und bei Realisierung der Idee Mitarbeiter an den dezentralen Standorten dazu zwingt, ihr Beschäftigungsverhältnis aufzugeben, wodurch die Leistungsfähigkeit des ÖGD in irreparabler Weise geschädigt wird. Dass, wie das Institut für Verwaltungswissenschaften in seinem Schlussgutachten bzgl. der Wirtschaftlichkeitsüberlegungen hinsichtlich der AUST deutlich macht, „ein erheblicher Teil des Personals nicht zu einem Standortwechsel in die Ruhrregion bereit“ sei, ist übertragbar und generalisierbar für alle Standorte des LIGA.NRW. Ebenso wie die Konsequenz, die im Rahmen der Aufgabenkritik durchaus realistisch gesehen wird. Falls - und damit ist angesichts der Beschäftigungssituation wie sie derzeit für die LIGA.NRW Mitarbeiter gegeben ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu rechnen - eine Verlagerung stattfinden sollte, gleichgültig welche Bereiche davon betroffen sein mögen (ob das Zentrum für Gesundheit in der Arbeit, das Zentrum für die Öffentliche Gesundheit oder die Stabsstellen), so ist damit zu rechnen, dass - wie an der AUST exemplarisch aufgewiesen wurde - über die gesamte Aufgabenbreite und -tiefe in der das LIGA.NRW aufgestellt ist, die Arbeitsfähigkeit so tangiert würde, dass eine Wiederherstellung kaum mehr - bzw. auf keinen Fall mehr zeitnah - möglich sein dürfte. Denn durch die Zwangsverlagerung der Einrichtungen wird das LIGA.NRW massive Know-How-Verluste hinnehmen müssen, da nur wenige Mitarbeiter in der Lage sein werden, ins Ruhrgebiet zu wechseln. 10.6 Belastungsfaktoren der LIGA.NRW Mitarbeiter und deren Auswirkungen So unterschiedlich das Leistungsportfolio an den Standorten des LIGA.NRW auch ist, so gibt es doch einige gemeinsame Indikatoren im Rahmen der Personalstruktur, die einen Vergleich der Beschäftigtensituation des LIGA.NRW an den drei Stan- 194 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht dorten ermöglichen und somit Tendenzen in für alle Standorte verallgemeinerungsfähiger Weise herauskristallisieren können. Dadurch werden die Gründe, die für eine Personalreduktion ursächlich sind und die daraus resultierenden Folgen für die Arbeitsfähigkeit des LIGA.NRW an allen Standorten nachvollziehbar. Zu den Indikatoren zählen die Altersstruktur des Personals des LIGA.NRW ebenso wie die psychischen Belastungen, die sich aus der Unsicherheit und relativen Unbeeinflussbarkeit der Beschäftigungssituation wie auch aus den Belastungen ergeben, die ein Fernpendeln oder einen Wohnortwechsel mit den damit verbundenen Nachteilen materieller, beruflicher wie familiärer Art verursachen. Eine Verlagerung des LIGA.NRW von den derzeitigen Standorten auf den Gesundheitscampus impliziert die Notwendigkeit, dass die Mitarbeiter der derzeitigen dezentralen Standorte, Düsseldorf, Bielefeld und Münster, standortbezogen ihren Arbeitsplatz wechseln müssten und damit in unzumutbarer Weise belastet werden. Um einem Standortwechsel ins Ruhrgebiet zu folgen, bieten sich für die Mitarbeiter zwei Optionen an. Zum einen ein tägliches Fernpendeln und zum anderen eine Verlagerung des Wohnsitzes. Ein tägliches Pendeln mit dem eigenen PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln führt zu erheblichen Belastungen, wobei die Entfernung zwischen Bielefeld zum LIGA.NRW-Standort Bochum minimum 110 km für eine einfache Fahrt betragen würde. Selbst bei optimalen Verkehrsverhältnissen, die kaum vorausgesetzt werden können, sind für eine einfache Fahrt damit rund 2 Stunden Fahrtzeit (Door-to-Door) einzuplanen. Da die Rückfahrt möglicherweise im RushhourBereich liegen dürfte, sind gut 3 Std. anzusetzen, bei widrigen Witterungsverhältnissen für An- und Abfahrt sogar noch mehr. Somit ist mit einer täglichen Fahrzeit von mindestens 5 Std. pro Tag für jeden Mitarbeiter zu rechnen. Die lakonische Einlassung von Minister Laumann in seinem Antwortschreiben an den Vorsitzenden des DGB NRW vom 19. September 2008, dass die „vorgesehene Zusammenführung [...] natürlich für alle Beschäftigten eine berufliche Veränderung (bedeutet), die im Einzelfall auch als Belastung empfunden werden kann" spricht nicht gerade von einem ausgeprägten Verständnis für Mitarbeiterbelange. Selbst ein Pendeln aus dem näher gelegenen Münster nach Bochum würde noch eine tägliche Fahrzeit von mehr als 2,5 Std. beanspruchen. Auch dies ist angesichts der zunehmenden Belastungen, denen die LIGA.NRW-Mitarbeiter bei einer Konzentration der Standorte ausgesetzt sind - gerade auch angesichts der organisatori- 195 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht schen Maßnahmen, die dann im Rahmen eines Change Managements zu bewältigen und durch einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit gekennzeichnet sind nicht vertretbar. Hinsichtlich des derzeitigen Standes der Forschungslage zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Berufspendlern, lässt sich Folgendes festhalten: Eine Studie, die an der LMU München durchgeführt wurde, kommt beispielsweise zu dem Resultat, dass die Frage, inwieweit das Pendeln als erhebliche Belastung erlebt wird, u. a. von der Fahrtdauer abhängt: „Je länger die Fahrt dauert, desto belastender wird sie in der Regel erlebt“, wobei „Arbeitnehmer, die durch Pendeln stark belastet waren, [...] am Arbeitsplatz erhöhte Müdigkeit, Konzentrationsmangel, Abnahme der Produktivität und höhere Fehlzeiten auf(wiesen). Sie klagten außerdem häufiger als nicht pendelnde Kollegen über Schmerzen sowie über funktionelle und somatische Beschwerden, wobei Frauen und Schichtarbeiter besondere Risikogruppen darstellten.“135 Insbesondere Fernpendeln, womit eine mehr als 45 min. betragende Wegezeit für die einfache Strecke gemeint ist - stellt wie aus der Studie hervorgeht - auf Dauer eine erhebliche zusätzliche gesundheitliche Belastung dar. Hierbei gehen Frauen unter den Berufspendlern, wie die deutlich höheren Stress-Scores aufweisen, aufgrund von Doppelbelastungen oftmals ein weitaus größeres Krankheitsrisiko ein als die Risikogruppe der Männer. Denn Frauen schultern die vielfältigen Belastungen durch Familie, Haushalt, Beruf und Pendeln entweder selbst oder sie verzichten weitgehend auf ein Privatleben und widmen sich ausschließlich dem Beruf, während Männer häufig Unterstützung durch ihre Partnerin erhalten.136 Ungeachtet dieser Differenzierung lässt sich jedoch feststellen, dass eine erzwungene Mobilität in Form des Fernpendelns dazu führt, dass aufgrund dieser Lebensführung das physische wie psychische Wohlbefinden der Pendler in erheblicher Weise leidet. Insbesondere die Zeitknappheit für Kinder und Familie stellt einen erheblichen Stressfaktor dar. Zwar ermöglicht das Fernpendeln über erhebliche Distanzen den Erhalt sozialer Strukturen (Freundes- und Bekanntenkreis) am Wohnort, 135 Vgl. Sonnenmoser, Marion: Berufliche Mobilität: Vielfältige Belastungen, in: PP 7, Ausgabe März 2008, Seite 120. 136 Ergebnisse der Studie „Berufsmobilität und Lebensform“ an der Universität Mainz; Schneider, Norbert F et.al.:Berufsmobilität und Lebensform: sind berufliche Mobilitätserfordernisse in Zeiten der Globalisierung noch mit der Familie vereinbar? Stuttgart 2002, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.); Bd.208. 196 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht allerdings mit der wesentlichen Beeinträchtigung, dass die sozialen Kontakte kaum noch aufgrund des für die Fahrt zum Arbeitsort anzusetzenden Zeitbudgets gepflegt werden können, mit der Konsequenz einer Zunahme von Entfremdungstendenzen. Weitere Gründe, aufgrund derer die Belastungen der Fahrtzeiten in Kauf genommen werden, sind die berufliche Einbindung von Partnern, die einen Berufswechsel nicht zulässt und die Unzumutbarkeit einer Veränderung des Wohnortes für die Kinder. Sowohl bei Fernpendlern, als auch bei Wochenendpendlern stehen Entfremdungsprozesse von Partnern und Kinder sowie Effekte der Herauslösung aus sozialen Netzwerken mit den Folgen von Kontaktverlusten und sozialer Desintegration, die zu gesundheitsbeeinträchtigenden Problemen führen, im Vordergrund. Hinzu kommen die immensen Kosten, die Fernpendeln und Wochenendpendeln verursachen und für Durchschnittsverdiener kaum zu bewältigen sind und sich letztlich ebenfalls psychisch beeinträchtigend auf das Wohlbefinden auswirken. Überdies erzeugt das Pendeln starke verkehrsbedingte Belastungen durch lange Reise- und Wartezeiten sowie Unpünktlichkeit der Verkehrsmittel. So steigt beispielsweise das Risiko, im Stau zu stehen. Dies aber bedeutet Kontrollverlust, da die Pendler fürchten, zu spät zur Arbeit zu kommen. Dieser Kontrollverlust führt wiederum zu Stress, der sich in vielfältigen psychosomatischen Beschwerden niederschlagen kann, wie Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen. Diese psychischen Belastungsfaktoren in ihrer Verdichtung und in Verbindung mit objektiven Stressfaktoren, die aus der Verkehrssituation resultieren (Fahrstress bei Autofahrern), entwickeln eine nicht unerhebliches Erkrankungspotenzial, dass dazu führt, dass PendlerInnen erhebliche Tendenz zu schlechterer Gesundheit aufweisen. Hinzu kommen für Pendler auch physische Belastungsfaktoren wie etwa ein erhöhtes Risiko der Aufnahme von Kohlenmonoxid im Straßenverkehr. „Pendler leiden unter höheren Erkrankungsraten (JÜTTNER 1976, OTT et al. 1999), besonders Arthrosen im Lumbosakralbereich (COSTA et al. 1988b), arterieller Hypertonie (FISCH et. al 1976), schlechtem Zahnstatus (HELÖE u. KOLBERG 1974), höherer Infektionsgefahr (Yagi et al. 1999), Verschiebung der zirkadianen Phasenlage (PÖLLMANN u. MOOG 1993) und unterschiedlichen psychischen Symptomen 197 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht wie Müdigkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Ängste, Husten, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Herzklopfen (COSTA et al. 1988b).“137 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Pendeln, vor allem in der extremen Form des Fernpendelns, wie es den meisten Mitarbeitern des LIGA.NRW an den Standorten Bielefeld und Münster und für alle südlich und westlich von Düsseldorf wohnenden aufgrund der Verlagerung nahegelegt wird, ein erhebliches Krankheitsrisiko beinhaltet. Selbst wenn die Mitarbeiter des LIGA.NRW dazu bereit wären, würden sich daraus erhebliche Kosten aufgrund der krankheitsbedingten Fehlzeiten ergeben. Betrachtet man sich die Altersstruktur am LIGA.NRW so fällt auf, dass es sehr wenige Beschäftigte unter 30 Jahren gibt, aber ein grosser Teil bereits heute und zum Zeitpunkt der Verlagerung über 50 Jahre oder gar über 60 Jahre sein wird. Angesichts dieser Altersstruktur, wobei sich physisch bedingt ab dem 45 Lebensjahr die Belastungsfaktoren durch Formen des Fernpendelns noch verstärken dürften, ist es für die Mitarbeiter nicht mehr zumutbar, derart gesundheitsgefährdende Fahrtstrecken bis zum Arbeitsplatz tagtäglich zurückzulegen. Im Hinblick auf die Stressfaktoren ist unter der Perspektive der human resources festzustellen, dass bei Zumutung dieser Fahrtzeiten sich erhebliche Probleme für die Leistungsfähigkeit des LIGA.NRW am zentralen Standort ergeben dürften. Denn neben den immensen physischen Beeinträchtigungen leidet die Konzentrationsfähigkeit der Fernpendler in einem erheblichen Maße. Wie Analysen aus den USA belegen, kostet die verminderte Konzentrationsfähigkeit eines Mitarbeiters einem Unternehmen durchschnittlich 12 % bis 25 % des gesamten Personalaufwandes.138 Hinzu kommt, aufgrund der enorm gestiegenen Belastungen durch das Pendeln, eine Erhöhung der Fehlzeiten. Angesichts der Tatsache, dass das LIGA.NRW aufgrund der Reduktion des Personalbestandes und der daraus resultierenden Mehrbelastung und Arbeitsintensivierung geschätzte Fehlzeitenstand von ca. 20% aufweist, ist davon auszugehen, dass bedingt durch das Fernpendeln und die Alterung der Mitarbeiter sich diese Fehlzeiten noch erhöhen dürften. Damit allerdings wäre 137 Wolfgang Carl Gustav Blickle: Darstellung und Analyse besonderer Belastungseffekte bei Berufspendlern, Göppingen 2005, S.69. 138 Vgl. hierzu: Sabine Voermans: Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung zur Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei älteren Mitarbeitern, Vortrag im Rahmend der Jahrestagung der BAuA 2007, 27. August 2007, Dortmund. 198 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht eine Aufgabenerfüllung, wie sie derzeit an den Standorten noch geleistet wird, nicht mehr möglich. Als Alternative zum Fernpendeln käme für die Mitarbeiter an den Standorten des LIGA.NRW als theoretische Option die völlige Verlagerung des Lebensmittelpunktes in Frage. Also die Aufgabe des derzeitigen Wohnortes und den Umzug an den neuen LIGA.NRW Standort Gesundheitscampus nach Bochum. Allerdings ist diese hypothetische Alternative genauso absurd wie das Ansinnen des Fernpendelns. Menschen in fortgeschrittenem Alter zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich persönlich und beruflich weitestgehend etabliert haben. Es besteht mithin ein familiäres und persönliches Umfeld, das auch Verpflichtungen mit sich bringt: (Enkel) -kinder, die versorgt werden müssen, Angehörige, die betreut, resp. gepflegt werden müssen. Einmal abgesehen von den psychischen Folgen der Desintegration aus über Jahrzehnten gewachsenen sozialen Beziehungen und familiären Bindungen an den dezentralen Standorten, scheitert diese Form der Mobilität daran, dass es sich bei den Mitarbeitern des LIGA.NRW - in den erwähnten Altersklassen zum einen um MitarbeiterInnen mit Familien und Kindern handelt, denen aus vielfältigen sozialen Gründen (Schule/Kindergarten/Betreuung durch Verwandte etc.) ein Umzug nicht zugemutet werden kann und zum anderen um ältere Mitarbeiter des LIGA.NRW, die oftmals über Jahre Pflege- und Betreuungsleistungen gegenüber Familienangehörigen (Eltern) erbringen und diese Bindungen auch nicht für einen halbwegs gesicherten Arbeitsplatz am Gesundheitscampus aufgeben werden. Überdies ist es den meisten Mitarbeitern auch finanziell nicht möglich, einen Wechsel des Beschäftigungsortes vorzunehmen. Denn in diesem Alter sind viele Mitarbeiter in die Eigentumsbildung gewechselt und sind langfristige finanzielle Verpflichtungen für den Erwerb und die Nutzung von Immobilien eingegangen, die nunmehr noch abgezahlt werden müssen. Insofern ist es völlig unrealistisch, von diesen Mitarbeitern zu verlangen, dass ihre Partner einerseits den Beruf vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Megakrise mit ihren Arbeitsplatzrisiken aufgeben - also das gesamte Arbeitsmarktrisiko bei steigenden Arbeitslosenzahlen im Ruhrgebiet tragen - und andererseits bei stetig sinkenden Marktchancen am Immobilienmarkt auch noch ihre z.T. nicht abbezahlten Immobilien zu veräußern, was nur mit erheblichen Verlusten möglich ist. Damit wären viele Mitarbeiter vom Ruin bedroht. Ein Change Management, dass die negativen Konsequenzen seines Handelns im Hinblick auf die Humanressource Mitarbeiter nicht zu antizipieren weiß und dem entsprechend 199 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht auch nicht in der Lage ist, proaktiv solche Belastungen auszuräumen, belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unzumutbarere Weise. Statt zu motivieren, werden dadurch Voraussetzungen geschaffen, die langfristig zur Demotivierung und „inneren Kündigung“ der Mitarbeiter beitragen. Angesichts der Tatsache, dass es sich viele Mitarbeiter des LIGA.NRW einfach nicht leisten können, ihren Wohnsitz in Nähe des neuen Standortes in Bochum zu verlagern oder auch fernzupendeln, sind sie - obgleich hoch motiviert - dennoch gezwungen, ihre Beschäftigung beim LIGA.NRW aufzugeben. Signifikant lässt sich dies beispielsweise an der AUST Münster belegen. In der Arzneimitteluntersuchungsstelle NRW sind mehr als 10 zum Teil alleinerziehende Teilzeitkräfte mit insgesamt ca. 25 Kindern beschäftigt. Das tägliche Pendeln ins Ruhrgebiet bzw. ein Umzug der Familien ist für diese Mitarbeiter aus sozialen und finanziellen Gründen nicht möglich. Dies besagt, dass die Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle auf den Gesundheitscampus damit die Arbeitsplätze dieser Mitarbeiter gefährden würde. Denn die Teilzeitkräfte sind weder in der Lage, mehrere Stunden zu pendeln, noch eine Zweitwohnung im Ruhrgebiet anzumieten mit der Option wöchentlicher Heimfahrt. Bei Beschäftigten in Teilzeit und/oder bei Beschäftigten in unteren Gehaltsstufen geht tägliches Pendeln oder eine Zweitwohnung mit Mehrkosten einher, die durchaus ein Drittel bis die Hälfte des Nettoeinkommens ausmachen können. Das kann sich kein vernünftig denkender Mensch dauerhaft leisten. Insofern gibt es für Mitarbeiter in diesen Gehaltsstufen keine andere Möglichkeit, als zu kündigen, sicherlich auch zum Preis von Arbeitslosigkeit oder eines Arbeitslosengeld-II-Bezuges. Wenn die Mobilität erzwungen wird, ist ein Personalsubstanzverlust des LIGA.NRW sicher, denn das qualifizierte Personal wird nicht mehr zur Verfügung stehen, so dass der Wegfall ganzer Arbeitsbereiche droht, wie es aktuell in einzelnen Bereichen bereits absehbar ist. Am Standort Bielefeld gibt es allein im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung bei der Erstellung der Gesundheitsberichte zwischen 30 und 50% freiwillige Meldungen zum LPEM incl. Anträge auf Altersteilzeit. Die primäre Aufgabe des Landesamtes für Personaleinsatzmanagement NRW besteht darin, den Prozess der vorzeitigen Realisierung von kw-Vermerken aktiv zu begleiten. Darüber hinaus ist die Behörde aber auch zuständig für die Koordination des landesweiten Personaleinsatzes, wodurch ein landesinterner Arbeitsmarkt ge- 200 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht schaffen wird. Dem obliegt es, über seinen Stellenpool die ins Landesamt für Personaleinsatzmanagement versetzten Mitarbeiter zu beraten, zu qualifizieren und sie auf freie und besetzbare Stellen in der Landesverwaltung weiterzuvermitteln. Die Meldung zum Landesamt für Personaleinsatzmanagement ist insofern möglich, da entsprechend der Gesetzeslage das LIGA.NRW im Zuge seiner Verlagerung als eine aufgelöste Behörde i.S. der Verwaltungsstrukturreform zu betrachten ist. Insofern unterliegt das LIGA.NRW dem Zuständigkeitsbereich des Landesamtes, dessen Tätigkeitsschwerpunkt in der raschen Vermittlung von Beschäftigten z.B. aus aufgelösten Behörden besteht, die von der Verwaltungsstrukturreform direkt betroffen sind (wie im Falle des LIGA.NRW). Diese Beschäftigten werden dann in feste Stellen oder in längerfristige Übergangseinsätze vermittelt. „Mit der Versetzung von Beschäftigten zum Landesamt gehen die Stellen und das Budget auf diese Behörde über. Vorrangige Zielsetzung ist, die von der Verwaltungsstrukturreform betroffenen Beschäftigten in andere Bereiche der Landesverwaltung befristet oder auf Dauer zu vermitteln und ggf. für die neue Tätigkeit zielgerichtet zu qualifizieren.“139 Die Hoffnung der Mitarbeiter geht also dahin, dass sie aufgrund des inhaltlich und regional möglichst breit gefächerten Stellenpools doch noch die Möglichkeit haben, an ihrem Wohnort zu verbleiben oder nur geringe Fahrtzeiten zum neuen Arbeitsplatz in Kauf nehmen zu müssen. Dies bedeutet allerdings für das LIGA.NRW, bezogen auf das Zentrum für Öffentliche Gesundheit, dass nur noch eine reduzierte Anzahl an Mitarbeitern für die Aufgabenwahrnehmung der Gesundheitsberichterstattung am neuen Standort zur Verfügung stehen wird. Damit ist die Arbeitsfähigkeit des Landesinstituts in Frage gestellt, da sich der Verlust an Know-how und Erfahrungswissen, kurz an personalisierter Expertise, nicht wieder in einem vertretbaren Rahmen kompensieren lassen wird. Überhaupt zeigen die Daten zum LIGA.NRW Standort Bielefeld, dass auch die anderen Leistungsbereiche des ZÖG von der Verlagerung im Hinblick auf den damit einsetzenden Personalschwund in ihrer Arbeitsweise erheblich betroffen sind. Für etwa ein Drittel der Bielefelder Beschäftigten ist weder ein Umzug noch dauerhaftes Fernpendeln eine realistische Option. Telearbeit könnte für einen weiteren Teil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – abhängig von den Konditionen – eine Op139 Vgl. hierzu: www.pem.nrw.de. 201 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tion sein. Lediglich ein kleiner Anteil erwägen einen Umzug oder ein dauerhaftes Fernpendeln. Überdies arbeiten knapp 20% der Mitarbeiter im Teilzeitbereich, so dass sich für sie weder ein Umzug noch das Fernpendeln lohnen dürfte. Auch sie werden bei einer Verlagerung des LIGA.NRW ins Ruhrgebiet ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen. Hinzu kommen noch weitere Mitarbeiter, die über einen bewilligten ATZ-Antrag; (Freistellungsphase zwischen 2009 und 2011) verfügen. Der Umzug an den neuen Arbeitsplatz, ebenso wie das kaum zu bewältigende Fernpendeln, stellt jedoch für die Beschäftigten einen erheblichen Kostenfaktor dar. Insofern ist interessant, zu eruieren, wer sich diese Option überhaupt aufgrund seiner Bezüge offen halten kann. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Fernpendeln für Beschäftigte des mittleren und gehobenen Dienst und für Teilzeitbeschäftigte eine erhebliche und in vielen Fällen kaum tragbare Belastung aufbürden. Es bleibt zu befürchten, dass das ZÖG einen Teil seiner Belegschaft – und damit erworbenes Erfahrungswissen - verlieren wird und auf das verbleibende Personal weitere erhebliche Belastungen - hervorgerufen durch Mehrarbeit und Arbeitsintensivierung aufgrund der immensen Ausdünnung der Personaldecke - ergeben werden. Hinzu kommen für die Pendler die bereits erwähnten gravierenden psychischen und physischen Belastungen der Fahrtzeiten und anderer sozialer Stressfaktoren an ihren Wohnorten. Dies dürfte einer adäquaten Aufgabenerledigung weiter abträglich sein Angesichts dieses Personalverlustes werden der Verlagerung neben den Aufgaben, die nicht als Pflichtaufgaben ausgewiesen sind, auch Offizialaufgaben zum Opfer fallen. So zählt beispielsweise die Aufgabe des LIGA.NRW, als regionaler Knoten zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten zu fungieren zu einer Pflichtaufgabe, die das LIGA.NRW zu versehen hat. Da jedoch zur Erledigung dieser Aufgabe eine gute regionale GBE eine unverzichtbare und wertvolle Hintergrundrolle spielt, bedeutet der Verlust an Mitarbeitern in diesem Bereich, dass eine solche Aufgabe künftig nur noch mit Einschränkungen versehen werden kann. Letztlich ist zu sehen, dass viele Aufgaben Querschnittsaufgaben darstellen, die auch von der Zufuhr der Kompetenzen und des Know-hows aus anderen Bereichen und Aufgabenfeldern abhängig sind und nur unter deren Einbeziehung differenzierte Erkenntnisse sicherstellen. 202 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Ebenso ist zu beachten, dass die Aufgabenerledigung ganzer Fachgruppen an die Expertise von erfahrenen Einzelpersonen gebunden ist. In diese damit problematische Kategorie fallen Aufgaben, die laut GVP das Tätigkeitsspektrum der Fachgruppe 4.1. umfasst. Also die Unterstützung der Gesundheitspolitik in NRW, Grundsatzfragen der Gesundheits- und Präventionspolitik, die europäische und internationale Vernetzung. Neben der fachlichen Vorbereitung und Unterstützung der Landesgesundheitskonferenz geht es um die Identifizierung von innovativen Projekten zur Förderung der NRW-Gesundheitsziele im Rahmen der Landesinitiative „Gesundes Land NRW“ sowie um die Unterstützung des ÖGD insgesamt durch Informations- und Beratungsangebote. Die wissenschaftliche und konzeptionelle Unterstützung des NRW-Gesundheitszielprozesses wie auch die anderen Fachaufgaben erfordern „sehr hohe und umfassende Fach- und Methodenkompetenzen“. Zudem gründet die Beratungs- und Unterstützungsfunktion im Detailwissen der Experten „über Strukturen, Prozesse und gesundheitspolitische Entwicklungen in NRW[...].“140 Alle derartigen Aufgaben sind an die Erfahrung und langjährig erworbene Kompetenz von damit befassten Experten gebunden. Scheiden diese aufgrund der Verlagerung aus oder werden diese Leistungsträger aus dem LIGA.NRW für das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) abgeworben, so lassen sich die Aufgaben nicht mehr weiterführen. Dies könnte beispielsweise auch die komplette Fachgruppe 4.2 „Innovationsmanagement“ betreffen. „Die Konzeptentwicklung und Qualitätssicherung für gesundheitliches Innovationsmanagement“ (GVP 4.2.1) beschreibt einen Aufgabenbereich, der die Schwerpunktthemen der NRW-Landesregierung „Innovationspolitik“ und „Gesundheitswirtschaft“ behandelt. Hierbei stehen Ziele der „Standortsicherung, der Schaffung neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze und die Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung durch Innovation“ im Vordergrund.141 Da zur Erreichung dieser Ziele zum einen eine umfassende Konzeptarbeit zum gesundheitlichen Innovationsmanagement zu leisten ist und zum anderen vor allem die Expertise anderer LIGABereiche mit einbezogen werden müssen, handelt es sich bei dieser Aufgabenwahrnehmung u.a. um eine wesentliche Schnittstellenorganisation zur Einbindung der im LIGA.NRW vorhandenen themenspezifischen Wissensressourcen. 140 Nigmann, Ralf/Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, hrsg. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH 12.12.2008, S.174. 141 Nigmann, Ralf/Dahs, Karl 2008, a.a.O., S.184. 203 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Sollten diese Bereiche ebenfalls durch Reduktion von Personal bei Verlagerung des ZÖG gefährdet werden, so gehen wesentliche Impulse sowohl in gemeinwohlorientierter Hinsicht (Qualität des Gesundheitswesens/Qualität der medizinischen Versorgung), als auch für Innovationen im Gesundheitswesen und ebenso auch für die Gesundheitswirtschaft selbst verloren. Erwartete Zugewinne an zukunftssicheren Arbeitsplätzen könnten dadurch behindert werden. Das LIGA.NRW steht damit in Gefahr, um interessante Facetten und zukunftsträchtige Aufgabenfelder beraubt zu werden und zusehends zu einer in Abwicklung und im Niedergang befindlichen, zunehmend unattraktiven Rest-Einrichtung des Landes zu depravieren. Aber selbst der verbleibende Restbestand an Mitarbeitern wird nicht mehr jene Leistungsfähigkeit aufweisen, wie sie derzeit dezentral an den verschiedenen Standorten des LIGA.NRW ausgeprägt ist. Dies liegt darin begründet, dass die seitens der Landesregierung und des MAGS schon im Vorfeld der Verlagerungsbestrebungen geschaffenen Strukturen ein Klima der Angst und Verunsicherung hervorgerufen haben. Hierzu trägt vor allem (a) die nicht erfolgende, lückenlose Information der Mitarbeiter über die Verlagerungsintention über deren Gründe (die durch eine Kosten-Nutzen Kalkulation zu untermauern gewesen wäre), (b) über den Ablauf der Verlagerung, sowohl dessen Zeitrahmen, als auch die Angabe, welche Bereiche davon in welcher Weise betroffen sind, und vor allem (c) die nicht vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten, auf die Entscheidung der Landesregierung mit guten Argumenten einzuwirken. Stattdessen stoßen die Mitarbeiter des LIGA.NRW auf eine völlig opake Situation, die gekennzeichnet ist durch Intransparenz, Konzeptlosigkeit, eine Reihe von Willenserklärungen, deren Praktikabilität gegen Null tendiert, wenig tragfähige und nicht auf ihre Konsequenzen reflektierte Überlegungen, letztlich in ihrer Gesamtheit auf eine nicht diskursive und kommunikativ bedauernswerte Kommandostruktur, die jede Form beteiligungsorientierter Mitwirkung seitens der Arbeitnehmer negiert und eher eine Schwundstufe der Unternehmenskultur darstellt, als eine an der Entwicklung ihres Humankapitals interessierten Governance-Struktur. Seitens der Landesregierung wurde während der gesamten Verlagerungsdiskussion - die maßgeblich über die Presse geführt wurde - kein Gesprächsangebot zu einem dialogischen Prozess an die Belegschaft oder die Personalvertretung, die sich dar- 204 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht um redlich bemühte, herangetragen. Die Kommunikation kann in dieser Hinsicht als völlig unterentwickelt betrachtet werden. Dabei sollte gerade bei einem Reorganisationsprozess solchen Ausmaßes die Kommunikation sicherstellen, dass jeder Mitarbeiter über die Ziele und die Prozesse, die zur Zielerreichung geplant sind, vollständig informiert wird. Hierbei ist die größtmögliche Transparenz von Zielen, Verfahren und Hintergrunddarstellungen seitens der Veränderungsakteure über die anstehenden Veränderungsprozesse herzustellen. D. h., dass die Unternehmens- bzw. Administrationskultur so beschaffen sein muss, dass Informationen ungehindert hinund herfließen können, so dass Mitarbeiter auch in die Lage versetzt werden, zu Entwicklungen dieses Prozesses kritisch Stellung beziehen und eine wie auch immer ausgerichtete, sachkundige Haltung einnehmen zu können. Eine solche Kultur verhindert das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht, einem nicht beeinflussbaren Prozess zu unterliegen, der sich rücksichtslos - ohne den Interessen der Mitarbeiter auch nur annähernd gerecht zu werden - zu einer objektiven Macht verselbständigt. Eine solche Entmündigung der Mitarbeiter stellt eigentlich ein längst obsoletes Relikt autoritärer Personalführung dar, das im Wirtschaftsleben als kontraproduktiv betrachtet wird, da Motivation, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Innovationsdynamik dadurch konterkariert werden. Dies verbreitet unter den Mitarbeitern Angst, Unsicherheit und Apathie, da keine nachvollziehbare Antwort darauf - gegeben wird, warum das erfolgreiche Modell der dezentralen Standorte nunmehr ohne, dass es die „Wertschöpfungssituation“ nahe legen würde - verabschiedet wird. Mitarbeiter, die Sorge hinsichtlich ihrer Lebensplanung und Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sind nicht sehr motiviert. Vielmehr spalten sie die bedrängende angstbesetzte Situation ab, indem sie innerlich kündigen, selbst bei dem Schein äußerlicher Angepasstheit und Funktionalität. Wie eng verwoben die Arbeitssituation und ihr Belastungspotenzial mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz sind, lässt sich am Indikator „BurnoutRisiko“ ablesen. „So erhöht sich das Burnout-Risiko bei fehlenden Partizipationsmöglichkeiten um das 3,5-Fache und bei einem wenig auf Mitarbeiterorientierung ausgerichteten Führungsstil um das 2,5-Fache.142 So beschreibt die Ottowa-Charta der WHO 1986 die Gesundheitsförderung als einen Prozess, der darauf abzielt, „al- 142 Eberhard Ulrich: PSYCHISCHE GESUNDHEIT AM ARBEITSPLATZ, in: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, hrsg. v. Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. 205 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht len Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Lebensumstände und Umwelt zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen [...]. Menschen können ihr Gesundheitspotenzial nur dann entfalten, wenn sie auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können […]. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit und die Arbeitsbedingungen organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen.“143 Gerade dieses elementare Recht scheint in dem Falle der Verlagerung des LIGA.NRW seitens der Landesregierung den Mitarbeitern vorenthalten worden zu sein. Dass Arbeitsplatzunsicherheit als gesundheitsbeeinträchtigende Belastung identifizierbar ist, ist spätestens seit der Whitehall-Studie eindeutig belegbar. „Die Whitehall-Studie verdeutlichte in einem zweieinhalbjährigen Beobachtungszeitraum an britischen Regierungsangestellten den Zusammenhang zwischen chronischer Arbeitsplatzunsicherheit und affektiven Störungen.144 In einer Metaanalyse konnten Sverke, Hellgren und Näswall (2004) zeigen, dass Arbeitsplatzunsicherheit deutlich mit psychischen Beeinträchtigungen einhergeht.“.145. In einer ausführlichen Studie der oben genannten Autoren aus dem Jahre 2007 zu den Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit vor dem Hintergrund der Angst vor Arbeitsplatzverlust zeigte das nicht überraschende Ergebnis, dass „Berufstätige mit Sorgen um den Arbeitsplatz [...] weniger somatoforme Beschwerden (schilderten) als Arbeitslose, aber mehr als Berufstätige ohne Sorgen um den Arbeitsplatz. Sie beschrieben mehr körperliches Wohlbefinden und mehr Lebensqualität als Arbeitslose, aber weniger als Berufstätige ohne Sorgen um den Arbeitsplatz.146 Signifikant ist allerdings, dass sich hinsichtlich des chronischen Stresses zeigte, dass hierbei die höchste Belastung die Arbeitenden aufwiesen, „die sich große Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen [...]. Berufstätige mit Sorgen um den Arbeitsplatz schilderten die stärkste Arbeitsüberlastung, soziale Überlastung und Überforderung, den höchsten Erfolgs- 143 Ulrich, Eberhard 2008, a.a.O. ebenda. Ferrie, Shipley, Stansfeld & Marmot, 2002. 145 Cornelia Albani, Gerd Blaser, Michael Geyer, Norbert Grulke, Harald Bailer, Gabriele Schmutzer, Hendrik Berth, Elmar Brähler: Psychische Gesundheit und Angst vor Arbeitsplatzverlust, in: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, hrsg. v. Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V, BDP, Berlin 2008, S.16. 146 Cornelia Albani et.al.2008, a. a. O. S.17. 144 206 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht druck und Mangel an sozialer Anerkennung sowie die ausgeprägtesten sozialen Spannungen und chronischen Stress (Screening-Skala).“147 Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass der Verlust von Planbarkeit, Geborgenheit, Berechenbarkeit und sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz die psychosoziale Gesundheit von Mitarbeitern stark und nachhaltig beeinträchtigen. Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist davon auszugehen, dass Arbeitsüberlastungen in Verbindung mit den Ängsten um den Verlust des Arbeitsplatzes und der Unsicherheit bezüglich der erforderlichen Neuorientierung und Positionierung (im Falle eines Standortwechsels) die bedrängende Arbeitsplatzsituation noch verschärfen werden, so dass sie krankheitsinduzierend eskaliert. Arbeitsplatzsicherheit als Basis für eine zukunftsfähige Lebensplanung lässt sich somit als ein schützenswertes Gut legitimieren, dessen Schutz jeder Arbeitgeber, auch auf der Ebene der Landesverwaltung, der um die Entwicklung von Humanressourcen bemüht ist, schon im wohlverstandenen Eigeninteresse in sein Handlungsportfolio aufnehmen sollte. So belegt die von J. Pfeffer 1998 durchgeführte Studie zu den Organisationsmerkmalen derjenigen US-amerikanischen Unternehmen, die bezogen auf den Shareholder-Value, langfristig am erfolgreichsten wirtschafteten, „dass diese Unternehmen durch folgende Merkmale gekennzeichnet waren: Arbeitsplatzsicherheit, gezielte und sorgfältige Personaleinstellungspolitik, dezentrale Entscheidungen und verstärkte Teamarbeit als grundlegendes Prinzip der Organisationsentwicklung, vergleichsweise hohe, leistungsorientierte Bezahlung, systematische und extensive Schulung, Abbau von Statusunterschieden und -barrieren zwischen den innerbetrieblichen Positionsgruppen, offene Informationspolitik, v.a. bezüglich der Betriebsergebnisse.“148 Das Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeiter, ihrem Interesse an einem gesicherten Arbeitsverhältnis, einer berechenbaren Arbeitsorganisation, an Orientierung und umfassender Information, bildet ein wesentliches Merkmal einer jeden erfolgreichen, weil mitarbeiterbezogenen, Personalorganisation und verantwortungsbewussten Unternehmensführung erfolgreicher Unternehmen. Denn darin drückt sich die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern aus. Das Bestreben seitens der 147 Cornelia Albani et.al.2008, a. a. O. S.18. Cornelia Albani et.al.2008, a.a.O., S.19; vgl. hierzu auch: Pfeffer, J. (1998). The human equation: building profits by putting people first. Boston: Harvard Business School Publishing. 148 207 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Unternehmensleitung diesen elementaren Bedürfnissen nach Sicherheit und Planbarkeit gerecht zu werden, verhindert letztlich, dass chronischer Stress, gesundheitsschädigende Angst, Unsicherheit und die Überforderung die Situation als Akteur des eigenen Lebens überhaupt noch bewältigen zu können, bis hin zum Burnout-Syndrom Eingang in die Beschäftigungsverhältnisse finden. Gerade diese Essentials moderner Personalführung werden bei den Verlagerungsbestreben der Landesregierung jedoch sträflich vernachlässigt. Stattdessen werden unreflektiert alle Potenziale der Produktivität und der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter für eine Verlagerung an einen zentralen Standort riskiert, mit den zu erwartenden Folgen, dass die wenigsten Mitarbeiter mitziehen werden und diejenigen, die zwangsweise an den neuen Standort gebunden werden, aufgrund der geschilderten krankmachenden Stressoren in ihrer Leistungsfähigkeit stark gehandikapt sein werden. Eine Beeinträchtigung, die irreversibel sein dürfte. Ein weiteres Problem neben den gesundheitsschädigenden, aus der diffusen Situation der Mitarbeiter erwachsenden Faktoren, besteht in der Rekrutierung von Experten für die verwaisten Stellen derjenigen Mitarbeiter, die ihrem Arbeitsplatz nicht folgen können und wollen. Mit ebenso großen Beschäftigungsverlusten wäre bei einer Verlagerung des Münsteraner LIGA.NRW an den Standort des Gesundheitscampus zu rechnen. Es ist nach Recherchelage davon auszugehen, dass derzeit 30-50% der im Fachbereich 5 tätigen Mitarbeiter dem Umzug nicht folgen können . Gerade im FB 5 ist - wie bereits angedeutet - ein hoher Anteil an Teilzeitkräften beschäftigt, die familiär an Münster gebunden sind, da der Vollverdienst der Familie dort durch den Lebenspartner erworben wird. Diese Teilzeitkräfte beginnen ihre Arbeit morgens sehr früh, um ab Mittag ihre Kinder versorgen zu können. Eine Standortverlagerung würde bedeuten, dass aufgrund des weiten Weges zur Arbeit eine zusätzliche Kinderbetreuung neben erheblichen Fahrtkosten finanziert werden müsste. Dies würde für die Betroffenen eine massive Verdienstkürzung bedeuten und würde zudem zu Lasten der Kinder ausgehen. Auch hier liegt eine dem Bielefelder Standort vergleichbare Entscheidungslage für die Betroffenen vor. Die hohe Mehrbelastung hinsichtlich der zusätzlichen, nicht tragbaren Kosten wie auch der organisatorische Mehraufwand für die Familien diktiert die Entscheidung, den Arbeitsplatz aufgeben zu müssen. Die mit der Überführung des LIGA.NRW an den neuen Standort von der Landesregierung dann geschaffene Situation übt damit ei- 208 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht nen objektiven Zwang auf die Mitarbeiter wie auf das LIGA.NRW selbst aus, der sich so verselbständigen wird, dass nicht nur die Mitarbeiter und deren Familien dabei zu Opfern eines nicht bis in seine Konsequenzen hinein durchdachten Projektes werden, sondern das Gesundheitswesen ebenso dabei in erheblichem Maße Schaden nehmen wird. Da durch den Weggang von Personal ein erheblicher Know-How-Verlust entstehen wird, bedeutet dies wiederum, dass die Handlungsfähigkeit der Arzneimitteluntersuchungsstelle in ihren wesentlichen Aufgabenbereichen für mehrere Jahre am Standort des Gesundheitscampus in starkem Maße eingeschränkt sein wird. Eine solche Einschätzung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Untersuchung und Begutachtung von Arzneimittelproben sehr anspruchsvolle Tätigkeiten darstellen, deren qualitativ hochwertige Ausführung nur durch eine langjährige Praxis erlernt werden kann. Neu eingestellte Mitarbeiter müssen stets aufwendig und langwierig qualifiziert werden. Im FB 5 sind sehr viele Mitarbeiter seit mehreren Jahrzehnten tätig. Dieses langjährig erworbene Know-How würde teilweise verloren gehen und somit wäre der FB 5 sicherlich für 1-3 Jahre nicht voll funktionsfähig. Die „Feuerwehrfunktion“ im Falle von Skandalen, wie z.B. dem Schlankheitsmittelskandal 1995/96 oder dem „Zytostatikaskandal“ 2008 wäre nicht mehr ausreichend gegeben. Dies allerdings beschreibt eine optimistische Einschätzung, der die Annahme zugrunde liegt, dass sofort neue Mitarbeiter gefunden und eingearbeitet werden können. Gerade im Bereich der Apotheker werden spezialisierte Fachkräfte mit Berufserfahrung benötigt. Diese sind für die Besoldung im öffentlichen Dienst in der Regel nicht zu erhalten. Zweifelhaft ist zusätzlich, dass neue Mitarbeiter selbst mit den notwendigen Qualifikationen gewonnen werden können, die gerade das Ruhrgebiet für eine erstrebenswerte Wirkungsstätte halten. Unter der Voraussetzung, dass dies nicht der Fall sein wird, da qualifizierte Fachkräfte rar sind und andere Arbeitgeber, vor allem die Industrie, finanziell und örtlich (weiche Standortkriterien der Lebensqualität) weitaus lukrativere Arbeitsangebote bieten, sind hinsichtlich eines solchen Szenarios - nach Einschätzung von Experten - vielleicht sogar unbestimmt viele Jahre einzukalkulieren, bis der Fachbereich wieder die gleiche Leistungsperformance erbringt, wie noch zu einem aktuellen Referenzzeitpunkt am Standort Münster. 209 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Eine nicht funktionsfähige öffentliche Einrichtung oder Behörde kostet allerdings das Land wesentlich mehr, als es an Nutzen daraus ziehen könnte. Es sei denn, die Strategie des MAGS und der Landesregierung liefe darauf hinaus, ein in seiner Kontrollfunktion die privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen am Gesundheitscampus störendes LIGA.NRW zu demontieren. Unter dieser Perspektive würde dann die Standortverlagerung mit einem defizienten LIGA.NRW durchaus einen Sinn ergeben. Ansonsten ist für das seitens der Landesregierung favorisierte zentrale Format gegenüber den Vorteilen der dezentralen Standorte mit ihren Netzwerken, hochqualifizierten und motivierten Mitarbeitern sowie erheblichen Synergiegewinnen kennzeichnend, dass es aufgrund der immensen finanziellen wie sozialen Kosten sich eher zu einem der teuersten Projekte im Gesundheitswesen NRWs entwickeln wird, als zu einem international renommierten Leuchtturmmodell der Gesundheitswirtschaft. 11 Handlungsempfehlung Resümierend lässt sich festhalten, dass ein - aus seinen dezentralen Standortbindungen heraus gelöstes - am Gesundheitscampus angesiedeltes LIGA.NRW seine Aufgaben und seine Funktion für den ÖGD und das Gesundheitssystem nicht mehr in ausreichendem Maße wird wahrnehmen können. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, darüber nachzudenken, wie die großen strategischen Vorteile, die die dezentral organisierten Bereiche des LIGA ZÖG und LIGA ZAG bieten, mit ihren standortspezifischen Kooperationsnetzwerken erhalten bleiben können. Unter der Voraussetzung, dass der Gesundheitscampus Realität wird, was mit der Wahl des Standortes Bochum beschlossene Sache ist, ist es erforderlich, neben der gesundheitswirtschaftlichen Prioritätensetzung insbesondere die Gesundheitsförderung und den Gesundheitsschutz für die Allgemeinheit zu akzentuieren und Strukturen zu schaffen, die gewährleisten, dass die regionale Gesundheitsplanung in den Gesundheitsregionen zur Verbesserung der ortsnahen Versorgung erhalten bleibt und intensiviert wird. 210 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Angesichts des Faktums, dass NRW mit knapp 18 Mio. Einwohnern bei einer Zentralisierung des LIGA.NRW auf Landesebene keine etablierten regionalen Schnittstellen mit Gesundheitskompetenz mehr aufweisen wird, könnte auch die Qualität ortsnaher Dienste dadurch beeinträchtigt werden. Dem gilt es vorzubeugen, indem die regionalisierten LIGA.NRW-Standorte weiterzuführen sind. Dies u.U. auch mit einer themenfeldspezifischen Ausrichtung. Statt Ressourcen aus den Regionen abzuziehen, sollte vielmehr die Kooperation der LIGA.NRW Bereiche mit den Clusterakteuren vor allem in den Kommunen und der Wissenschaft ausgeweitet werden. So könnte eine orts- wie auch regionenspezifische Schwerpunktbildung weiter entwickelt werden, die dem ÖGD und der gesundheitspolitischen Zielbestimmung aufgrund der sich weiter differenzierenden Kernkompetenzen noch aussagekräftigere Informationen und Daten für kommunal- wie landespolitische Initiativen für eine verbesserte Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen würde. Wie eine solche Schwerpunktbildung aussehen könnte, lässt sich am Beispiel des Bielefelder LIGA.NRW -Standortes mit seinen spezifischen Kernkompetenzen illustrieren. Es wurde schon ausführlich darauf hingewiesen, dass Ostwestfalen-Lippe eine Gesundheitsregion darstellt, die über eine entwickelte gesundheitsbezogene Infrastruktur verfügt. Neben einer fachlich ausgewiesenen, überregional anerkannten Hochschul- und Kliniklandschaft existiert eine leistungsfähige, innovative Gesundheitswirtschaft, die ergänzt wird durch ein breites Spektrum erfolgreicher und gut aufgestellter öffentlicher Leistungsträger und privatwirtschaftlich wie auch kirchlichkonfessionell organisierter Versorgungszentren für Dienstleistungen. Die Lösung gesundheitsbezogener Fragestellungen bildet somit eine der Kernkompetenzen der Region. Allerdings gilt es angesichts der ökonomischen Krisensituation und der dadurch bedingten Verschlechterung der Haushaltslage der öffentlichen Hand darauf hinzuwirken, dass der erreichte gute Entwicklungsstand und das gute Versorgungsniveau erhalten bleiben und weiterhin zukunftserschließende Schritte im regionalen Gesundheitssektor vorgenommen werden können. Hierzu ist es erforderlich, dass die vernetzte Infrastruktur des regionalen Clusters nachhaltig konsolidiert und gestärkt wird. In diesem Kontext ist es deshalb unverzichtbar, das Know-how und die Infrastrukturbeiträge des LIGA.NRW am Standort 211 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Bielefeld zum Nutzen für Stadt und Region zu erhalten. Es sind also insbesondere die Anteile der LIGA.NRW-Institutsarbeit zum beiderseitigen Nutzen - sowohl für Land wie Region - zu stärken, die mit einem besonderen Mehrwert für die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe verknüpft werden können. Konzeptionell sollte unter dieser Voraussetzung insgesamt eine erkennbare Intensivierung regionalbezogener Anwendungs- und Praxisbegleitforschung im Vordergrund stehen. Diese ließe sich folgendermaßen initiieren: Aufgrund der langjährige Kompetenz des LIGA.NRW Bielefeld hinsichtlich der Akquise und des Projektmanagements von EU- und WHO Projekten - z. T. als nationaler Repräsentant für Deutschland - die schon in LÖGD-Zeiten fundiert wurde, könnte dieser LIGA.NRW Standort zu einer landesweiten Koordinierungsstelle für regional relevante Projekte und ihrer Evaluation zu avancieren. Denn diese Projekte standen schwerpunktmäßig in einem inhaltlichen Bezug zu den Themenfeldern Gesundheitsförderung, Gesundheitsberichterstattung, Health Impact Assessment, Regional Health Policy sowie zu thematischen Kombinationsfeldern aus dem Public Health Spektrum wie beispielsweise Planung und Gesundheit, also Themenfeldern, die im Rahmen der Aufgabenerfüllung des ZÖG eine Rolle spielen. Grundsätzlich ist jedoch hinsichtlich der Binnenwirkung solcher internationaler Projekte festzuhalten, dass sich diese nur unter der Voraussetzung entfalten kann, dass eine zusätzliche regionale und lokale Verankerung, u. a. im Sinne einer angeleiteten und evaluierten Praxiserprobung, besteht. Diese war bislang nicht immer und in optimaler Weise gewährleistet, so dass die Reichweite der Projektergebnisse NRW-spezifisch nur unzureichend gewährleistet war. Für eine nützliche Umsetzung hätte schon zu Zeiten des LÖGD eine entsprechende Infrastruktur bestehen müssen. Mittlerweile jedoch ist die Vernetzungsqualität zwischen dem LIGA.NRW Bielefeld, der Universität Bielefeld, der Fachhochschule und der Stadt Bielefeld so intensiv und tragfähig, dass nunmehr davon auszugehen ist, dass die für solche Projekte erforderliche lokale und regionale Verankerung zur Praxiserprobung und Evaluation gegeben ist. So wäre es in der jetzigen Situation möglich, durch ein Konsortium aus Land/ LIGA.NRW und regionalen Akteuren wie Universität / Fachhochschule, Stadt Bielefeld, Region Ostwestfalen-Lippe, regionaler Gesundheitswirtschaft, Krankenkassen, Krankenhäusern und Versorgungseinrichtungen am Standort Bielefeld eine Arbeits- 212 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht einheit ins Leben zu rufen, die sich auf Projektaufträge spezialisieren könnte, die dann auf die lokale und regionale Umsetzungsebene herunter zu brechen wären. Gerade ein solcher Praxisbezug bildet einen wesentlichen Erfolgstreiber in der Projektakquise, da dadurch die Qualität der Projektdurchführung gesteigert wird. Der konkrete Mehrwert der Einrichtung und Tätigkeit einer solchen längerfristig konzipierten Arbeitseinheit für Region und Stadt würde darin bestehen, dass damit im Gesundheitssektor vor Ort künftig verstärkt praxisbezogene Modellprojekte akquiriert und sachgerecht durchgeführt werden können, die eine konkrete Entwicklungspotenz und einen direkten Nutzen für zukunftsfähige gesundheitsbezogene Praxisstrukturen in Ostwestfalen-L/Bielefeld aufweisen. Unter der Voraussetzung, dass es gelingt, eine Serie solcher projektinduzierter Entwicklungen in OWL und Bielefeld umzusetzen - könnte die Region dadurch längerfristig einen Exzellenzstatus erlangen und als „Musterregion“ für Praxiserprobungen und -einführungen gesundheitsbezogener Innovationen landes- und bundesweites Renommee erwerben. Überdies wäre hinsichtlich einer Verbesserung des Wirkungsgrades und der Realisierungschancen einer solchen Idee noch zu prüfen, ob sich hierfür nicht auch eine erweiterte Organisationsform in Form eines Regionalverbunds (ggf. mit der Gesundheitsregion Münsterland oder themenfeldspezifisch mit anderen regionalen Gesundheitsclustern) anbieten würde. Eine solche Basis vorhandener themenbezogener Erfahrungen, regionalen Praxisbezuges und Umsetzungsmöglichkeiten bietet darüber hinaus die Chance, dazu passgenau aus nationalen Programmen Projekte der regional bedeutsamen Themenfelder „Arbeit und Gesundheit“ bzw. „soziale Benachteiligung“ verstärkt einzuwerben. In diesem Zusammenhang kann hier auf die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen werden, die in den letzten Jahren signifikant dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die Einkommensunterschiede und damit die Armutsschere kontinuierlich vergrößert haben, so dass sich soziale Unterschiede zunehmend und rasant verstärken. Dies impliziert die Tendenz erheblicher soziale Benachteiligungen. Insofern gewinnen Themen, die die soziale Ungleichheit und die dadurch verursachten gesundheitlichen Belastungen und Schädigungen fokussieren, an Bedeutung. 213 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Parallel dazu zeigt sich, dass Armuts- und Gesundheitsberichterstattung nicht nur als distinkte Beschreibungsmodelle unterschiedlicher gesellschaftlicher Phänomene gesehen, sondern verstärkt auch in ihrem sachlogischen Zusammenhang begriffen werden müssen. Denn soziale Ungleichheiten „und ihr empirischer Zusammenhang mit gesundheitlicher Ungleichheit auf individueller Ebene“ sind „durch verschiedenste Untersuchungen und Dokumentationen belegt.“149 In diesem Kontext stellt die Betrachtung des Zusammenhanges „zwischen sozialer Benachteiligung und gesundheitlicher Ungleichheit im regionalen Kontext“ ein Forschungsdesiderat dar.150 Ein solches Themenfeld ließe sich von der lokalen/regionalen Koordinierungsstelle mit in den Themenkreis der zu bearbeitenden Projekte aufnehmen. Insofern würde dies einen sicherlich vielversprechenden Forschungshorizont mit einem Alleinstellungsmerkmal erschließen. Überdies wäre darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoller wäre, in dem am Gesundheitscampus entstehenden Strategiezentrum eine Dependanz des LIGA.NRW zur ortsnahen Koordinierung aller Aktivitäten, insbesondere der Projekttätigkeiten, im Rahmen des ZGA und ZÖG einzurichten, als Personalressourcen der LIGA.NRW-Standorte in das Strategiezentrum abzuziehen und somit die jetzigen Standorte zu schwächen. Eine solche Repräsentanz aller derzeitigen Standorte des LIGA.NRW würde zwar zusätzliches Personal erfordern, wäre jedoch für die Koordination im Hinblick auf alle anderen gesundheitspolitisch relevanten Aktivitäten des Landes wesentlich effizienter als eine physikalische Zusammenführung der LIGA.NRW-Bereiche am Gesundheitscampus. Dadurch ließen sich landesweit bedeutsame wie regionale Problemlagen schneller erkennen, die erforderlichen Handlungsbedarfe formulieren und zeitnahe und passgenaue Umsetzungen diesbezüglich erforderlicher Maßnahmen vornehmen. Ein notwendiges Essential einer solchen Idee wäre allerdings eine weitaus intensivere kommunikative Vernetzung aller Standorte des LIGA.NRW untereinander sowie mit dem künftigen Strategiezentrum am Gesundheitscampus. 149 Schultz, Annett (ZEFIR); Annuß, Rolf (LÖGD): Regionale soziale Cluster und gesundheitliche Lage in Nordrhein-Westfalen, in: Heft 381 Reihe Gesundheitsberichterstattung, S. 4865, herausgegeben vom MFJFG NRW, Düsseldorf, S.1. 150 Ebenda. 214 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dies hätte den Vorteil, dass die regionalen Schnittstellen des LIGA.NRW als unverzichtbare Satelliten mit ihren wesentlichen regionalen Ressourcen, Vernetzungen und Inputs sowie den erforderlichen face-to-face - Kontakten erhalten blieben, aber andererseits das LIGA.NRW am Gesundheitscampus dennoch ebenso präsent wäre. Wie eine solche, den derzeitigen LIGA.NRW Standorten angemessene thematische Schwerpunktbildung inhaltlich beschaffen sein müsste, wie zu entwickeln wäre, welche Schwächen und Stärken die dezentralen Standorte hierfür aufweisen und mit welchen Aufwendungen hinsichtlich des noch genauer zu spezifizierenden Nutzens zu rechnen wäre, müsste im Rahmen der dazu erforderlichen Szenarienbildung in Form einer Projektstudie zu einer möglichen Neuaufstellung und Neupositionierung des LIGA.NRW unter Beibehaltung seiner dezentralen Stärken eingehender untersucht und diskutiert werden. An dieser Stelle ist es nur möglich, dies als Horizont einer möglichen alternativen Konzeptbildung zum Gesundheitscampus zu formulieren. Aber selbst unter den bestehenden Strukturen ist LIGA.NRW durchaus in der Lage, einem Strategiezentrum, bzw. einem potenziellen Netzwerk am Gesundheitscampus gesundheitsverbessernde Impulse zu vermitteln, die Interessen des ÖGD am Gesundheitscampus zu vertreten und somit im Rahmen seiner Kontroll- und Schutzfunktion den Handlungsrahmen der Akteure mit zu bestimmen. Hierzu ist jedoch wiederum als eine notwendige Bedingung auf die IuK-Vernetzung mit und nicht auf dem Gesundheitscampus aufmerksam zu machen. In diesem Kontext ist auch ein weiteres Moment zu sehen, das die Leistungsfähigkeit des dezentralen LIGA.NRW ebenso stärken kann. Es handelt sich um die Einrichtung von Telearbeitsplätzen für die Mitarbeiter, die einen Umzug an den Gesundheitscampus nicht mehr zwingend notwendig machen. 215 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 12 Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Form der Telearbeit Die Belastungen der Mitarbeiter bei einer etwaigen Standortverlagerung dürften bei weitem die Grenze der Zumutbarkeit übersteigen. Insbesondere deshalb, da von den vielen Mitarbeitern des LIGA.NRW an den dezentralen Standorten, die familiär an den Standorten gebunden sind, tatsächlich erwartet wird, dass sie entweder ein stundenlanges Fernpendeln in Kauf nehmen oder ihren Wohnsitz verlagern. Letzteres scheitert - wie schon dargestellt - in erster Linie an den finanziellen Einbußen, die für Teilzeitkräfte ebenso wenig hinnehmbar sind, wie für Mitarbeiter des mittleren und gehobenen Dienstes. Hinsichtlich des Fernpendelns stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die von der Landesregierung ständig in prononcierter Form vorgetragene und von den Unternehmen in NRW geforderte Vereinbarkeit von Beruf und Familie denn in den eigenen Kanon von Arbeitgeberpflichten aufgenommen und realisiert wird. Angesichts der Einlassung von Minister Laumann, dass die vorgesehene Zusammenführung des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit auf dem Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen nun mal „für alle Beschäftigen eine berufliche Veränderung, die im Einzelfall auch als Belastung empfunden“ werden könne, darstellt, sind erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit angebracht, dass die Landesregierung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich aktiv fördern und voranbringen möchte, da sie in ihrem eigenen beschäftigungspolitischen Binnenbereich dieses Ziel in sträflicher Weise ausblendet. So werden seitens des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen die Initiativen von Unternehmen gelobt und als best practise angeführt, die ihre unternehmerische Interessenlage auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf abgestimmt haben und somit ihren Arbeitnehmern eine familienpolitisch adäquate Lösung im Hinblick auf die ambivalente Interessenlage von Berufsausübung und Familienförderung anbieten. Diese Unternehmen zeigen, dass die unternehmerische Interessenlage keineswegs konträr zu den Ansprüchen einer familienbezogenen Lebensweise stehen muss, sondern dass es durchaus gelingen kann, die Ambivalenz mit viel Kreativität, aber auch dem Einbringen von materiellen Ressourcen seitens des Unternehmens zu Gunsten eines Interes- 216 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht senausgleiches aufzulösen. Indem die Unternehmen in eine familienfreundliche Infrastruktur investieren, gelingt es ihnen, Mitarbeiter zu motivieren und zu binden. Dabei reicht das Spektrum der Maßnahmen von einer familienfreundlichen Arbeitszeitgestaltung, der Vermittlung qualifizierter Tagesmütter, bis hin zu kreativen Vertretungsregelungen im Team oder der Einrichtung von Online-Telearbeitsplätzen. Eine familienbewusste Personalpolitik, die zum integralen Bestandteil der Unternehmenskultur geworden ist, rechnet sich aber auch für das Unternehmen. Indem Mitarbeitermotivation und Bindung an das Unternehmen gestärkt werden, da Mitarbeiter in ihren Interessenlagen und Bedürfnissen ernst genommen werden, erhöht sich zum einen das Engagement der Mitarbeiter, die sich nicht funktionalisiert fühlen, sondern i.S. einer corporate identity sich mit den Unternehmenszielen und Zwecken identifizieren, zum anderen gelingt es einem familienfreundlichen Unternehmen wesentlich leichter, benötigte Fachkräfte am Markt zu rekrutieren, als einem Unternehmen, das den Familienkosmos als Privatsache deklariert. Denn ein solches familienpolitisch sensibilisiertes Unternehmen bietet mit seinen familienpolitischen Angeboten einen echten Mehrwert für Arbeitnehmer mit Familien und ist deshalb wesentlich attraktiver als ein Nachfrager am Arbeitsmarkt, der über diesen entscheidenden soft factor nicht verfügt. Wenn also die Landesregierung in ihren offiziellen Verlautbarungen ständig darauf hinweist, dass sich die „Politik für Familien [...] an der Lebenswelt von Familien ausrichten (muss)“, so sollte dies auch zu Exzellenzinitiativen in den eigenen Binnenverhältnissen der Beschäftigungsstrukturen in Behörden und öffentlichen Einrichtungen wie dem LIGA.NRW führen. Durch die Einführung einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik ließen sich beim LIGA.NRW gleich zwei Probleme lösen. Zum einen das der dringend benötigten Personalaufstockung aufgrund der demographischen Altersstruktur der Belegschaft. Immerhin beträgt das Durchschnittsalter der Beschäftigten dieses Landesinstituts ca. 45 Jahre. Insofern ist es erforderlich, dass junge, motivierte Experten, die durch die altersspezifische Fluktuation hervorgerufenen Beschäftigungslücken wieder füllen. Angesichts der finanziellen Unattraktivität des ÖGD ist dies nur bedingt möglich. Aber mit einem entsprechend familienfreundlichen Angebot, das eine längere Lebensplanung zulässt, hätte das LIGA ein Alleinstellungsmerkmal, das seine Attraktivität für Mitarbeiter mit Familien erheblich steigern könnte. 217 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Zum anderen ließen sich durch eine familiengerechte Beschäftigungsinfrastruktur jene Experten und unverzichtbare Fachkräfte halten, die gegenwärtig aufgrund mitarbeiter- und familienfeindlicher Verhaltensweisen genötigt sind, der geplanten Verlagerung proaktiv in Form der Kündigung zu begegnen. Schließlich wäre es der Landesregierung damit ebenfalls möglich, einen wirklichen Leuchtturm der Exzellenzinitiativen in NRW mit Beispielfunktion für die Wirtschaft zu bilden. Anstatt einer bloßen Verbalisierung, könnte sie mit einem so familienfreundlich organisierten dezentralen LIGA.NRW selbst die Initiative ergreifen und auf dem Weg zu der postulierten Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit einem solchen Best Practise eine entscheidende Orientierung für viele Unternehmen im Lande geben. Hierfür müssten allerdings zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um die Beschäftigungspotenziale an den regionalen Netzwerkknoten weiter zu entwickeln. Es muss in eine IuK-Infrastruktur investiert werden, die es gestattet, die Vorteile der regional aufgestellten LIGA.NRW-Standorte weiterhin zu nutzen und sie mit dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) zu verbinden. Hier wäre denkbar, dass eine Fachabteilung LIGA.NRW im Kompetenzzentrum (um die face to face-Kontakte zu sichern) mit Koordinierungsfunktion aller dezentralen LIGA.NRW-Standorte am Gesundheitscampus eingerichtet werden könnte, ohne jedoch die bestehenden knappen Personalressourcen des LIGA.NRW dadurch zu belasten. Mithin müssten zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit onlineund DV-gestützter Technologie ließen sich so familienfreundliche Telearbeitsplätze an den Standorten sichern, so dass eine berufliche Planung und eine Lebensplanung ermöglicht wird, die den Mitarbeitern des LIGA.NRW jene Planungssicherheit garantiert, die von der Landesregierung bislang sträflich vernachlässigt und teilweise auch über eine mitarbeiterinadäquate Informationspolitik systematisch konterkariert wurde. Durch diese beschriebene Strategie würde das LIGA.NRW tatsächlich an Effizienz und Zukunftsfähigkeit gewinnen, da durch die so gewonnene Sicherheit des Arbeitsplatzes sowohl die krankheitsbedingenden Faktoren wie Stress und das Gefühl der Instrumentalisierung und des Ausgeliefertseins wie auch die dadurch bedingte Demotivation, mit der Konsequenz der „inneren Kündigung“ der Mitarbeiter, keinerlei Bedeutung mehr hätten. 218 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dies könnte auch den mittlerweile einsetzenden Prozess der ungesteuerten Personalfluktuation, der die Arbeitsfähigkeit vieler LIGA.NRW Aufgabenbereiche massiv einschränkt, stoppen. Dies wiederum bedeutet, dass die aus der Personalreduktion resultierende Mehrbelastung und Intensivierung der Arbeit abnimmt, so dass die Möglichkeit besteht, eine ausgewogene Work-Life-Balance zu erreichen, was derzeit absolut nicht möglich ist. Die Einführung von Telearbeitsplätzen scheint angesichts der Fokussierung der Landesregierung auf den Gesundheitscampus mit seiner Zentrale, dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen), das Mittel der Wahl zu sein, um den Excellenzstatus des LIGA.NRW in seiner Dezentralität zu sichern. Dass die Einführung von Telearbeitsstrukturen möglich und sinnvoll ist, beweist u.a. das Fallbeispiel Landesforsten Rheinland-Pfalz. Hierbei handelt es sich um eine Landesbehörde, die einen wesentlich höheren Personalstand hat als das LIGA.NRW. Die Landesforsten Rheinland-Pfalz beschäftigen 2.338 Mitarbeiter. Davon sind 23% Frauen und 15% Teilzeit Beschäftigte. Um den Elternzeitlern eine familienfreundliche Arbeitsplatzgestaltung einzuräumen, wurde die Arbeit flexibilisiert. Eine wesentliche Flexibilisierungsform besteht in der Telearbeit. Hierbei werden den Mitarbeitern zwei unterschiedliche Modelle angeboten. Sie können zwischen den Modellen „permanente Heimarbeit“ und „alternierende Telearbeit“ wählen. Alternativ dazu wurden von der Landesforstverwaltung Satellitenbüros eingerichtet, die den Vorteil bieten, dass sie sich im Nahbereich des Wohnortes befinden. So brauchen Mitarbeiter der Forstverwaltung zum Arbeitsplatz keine belastenden, weil weitere Strecken zurücklegen. Ein Fernpendeln wie es die LIGA.NRW - Mitarbeiter auf sich nehmen sollen, ist für die Landesforsten RheinlandPfalz völlig indiskutabel. Die familienbezogene Unternehmens-/Verwaltungskultur kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Landesbehörde in ihren Dienststellen hinsichtlich der Kinderbetreuung individuelle Lösungen anzubieten versucht. In verschiedenen Dienststellen wurden bereits Eltern-Kind-Zimmer eingerichtet. Außerdem vermittelt die Familienbeauftragte Betreuungsangebote für Kinder (Tagesmütter, Kinderhorte, Elterninitiativen).151 151 Vgl. hierzu: Monika Runkel: Familienfreundliche Unternehmenskultur in einer männerdominierten Behörde, auf: www.familie.dgb.de 219 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Dieses Beispiel verdeutlicht den gravierenden Unterschied in der Unternehmenskultur der Landesforstverwaltung und des vom MAGS gesteuerten LIGA.NRW. Wäre die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tatsächlich ein substanzielles Thema des MAGS, so wäre - wie auch in Rheinland-Pfalz - sichergestellt worden, dass bei einer Reorganisation einer Behörde das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf allen Ebenen berücksichtigt werden muss. Um dies umsetzbar zu gestalten und den Stellenwert des Themas zu kommunizieren, wurde in der Landesbehörde die Familienbeauftragte auf höchster Chefebene angesiedelt. Damit wurde ein erster wesentlicher Schritt in Richtung auf eine Veränderung von Führungsstrukturen getan, der das Selbstverständnis einer hierarchisch strukturierten Behörde in Frage stellt. Mit der auf der Entscheidungsebene angesiedelten Familienbeauftragten soll signalisiert werden, dass Veränderungen möglich und möglichst zeitnah umzusetzen sind, wobei sich die alten Führungsstrukturen und ihre, eine schnelle Umsetzung von Innovationen konterkarierenden Dienstwegen, grundlegend zu verändern haben. Nur vor diesem Hintergrund wird erklärlich, dass sich eine familienfreundliche Unternehmensphilosophie mit ihren konkreten Initiativen in einer Landesbehörde mit einem so großen Personalbestand relativ friktionslos im Interesse der Arbeitnehmer umsetzen ließ. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass der Wille, in das LIGA.NRW eine entsprechend familienfreundliche Struktur einzuziehen, nicht sehr ausgeprägt ist. Dies lässt auch erahnen, dass die Interessenlage und die Arbeits- wie Lebensumstände der von der Verlagerung bedrohten Beschäftigten, dem MAGS - wie auch schon im Schlussgutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaft ausgeführt - relativ gleichgültig zu sein scheint. Die Humanressource Mitarbeiter wird offenbar als ein bloßer Produktionsfaktor betrachtet, der möglichst ohne großen Aufwand und möglichst reibungslos in dem vorgegebenen Produktionsrahmen zu funktionieren hat. Dass eine solche - über die Interessen der Beschäftigten - hinwegsehende Unternehmenskultur mit ihrer Entscheidungsfindung den Arbeitszusammenhang und die Produktivität nachhaltig schädigt, wird sich spätestens dann erweisen, wenn die Verlagerung an den Standort des Gesundheitscampus tatsächlich erfolgen sollte und die Arbeitsfähigkeit des LIGA.NRW aufgrund des Personalverlustes nicht mehr gesichert ist. Ein am Gesundheitscampus jedoch handlungsunfähiges LIGA.NRW dürfte die Erwartungen der Landesregierung im Hinblick auf die Synergieeffekte, die 220 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht von einer Bündelung aller relevanten gesundheitswirtschaftlichen Akteure am Gesundheitscampus erhofft werden, wohl kaum noch erfüllen. Insofern wäre es strategisch klüger, schon jetzt seitens des MAGS darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoller wäre, die Mitarbeiter an den regionalen Standorten zu belassen und alternativ dazu landesweit die Kommunikationsstrukturen zwischen dem ÖGD, den Gesundheitsregionen und dem Leuchtturm der Gesundheitswirtschaft, dem Gesundheitscampus mit dem Strategiezentrum auszubauen. Denn dadurch würden nicht nur die regionale Exzellenz gesichert, der ÖGD und das Gesundheitswesen profitieren, dem Strategiezentrum entsprechendes Know-how zugeführt, so dass es „neue Impulse in der Versorgungsforschung setzen, Leitprojekte entwickeln und die internationale Vermarktung des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens unterstützen kann“, sondern vor allem in mustergültiger Weise die familienpolitische Ausrichtung der Landesregierung belegt. 13 FAZIT „Aktuell wenden wir in Deutschland rund 250 Mrd. € (gut 10 %) des Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit auf. Dieser Betrag lässt sich nicht beliebig steigern. Deshalb müssen wir die gesundheitliche Versorgung so effizient wie möglich gestalten […].“ „Mit dem Gesundheitscampus bündeln wir unsere Kräfte in der Gesundheitswirtschaft und machen unsere Anstrengung auch nach außen sichtbar.“ 221 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht „Wir sind heute eine führende Gesundheitsregion in Deutschland. Wir wollen eine führende Gesundheitsregion in Europa werden. Und wir wollen international mit den Besten mithalten.“152 Drei Begründungsversuche von Minister Laumann für das Modell der zentralen Bündelung und Konzentration von Akteuren am neu zu errichtenden zentralen Gesundheitscampus. Was es mit der ersten Aussage auf sich hat, lässt sich nunmehr im Zuge des Gutachtens - insbesondere im Rahmen der Kritik des Effizienzbegriffes - signifikant dechiffrieren. Wenn von einer effizienten gesundheitlichen Versorgung im Sinne der Landesregierung die Rede ist, so bezieht sich dies - nach den bisherigen Ausführungen - in erster Linie auf die gesundheitswirtschaftliche Angebotsstruktur. Die soll durch den Gesundheitscampus ausgeweitet und gestärkt werden, indem alle wesentlichen Ressourcen des Gesundheitswesens (dezentral gestaffeltes LIGA.NRW, Epidemiologische Krebsregister und Clustermanagement) aus den regionalen Gesundheitsclustern abgezogen werden. Dies erinnert eher an einen Marketingcoup zur Verkaufsförderung gesundheitswirtschaftlicher Dienstleistungen und Produkte, als das eine wirklich qualitative Entwicklung des Gesundheitswesens mit dem Ziel der Verbesserung der Versorgungsqualität der Bevölkerung in regionaler, wie NRW weiter Hinsicht angestrebt würde. (Ansonsten wäre es beispielsweise sinnvoller die personell gefährdete Erfüllung der Fachaufgaben GVP 4..1 und 4.2 in ihrer Relevanz für die NRW-Gesundheitspolitik an dem regionalen Standort Bielefeld zu stärken). Eine führende „Gesundheitsregion NRW“ wird damit faktisch kongruent gesetzt mit einer erfolgreich am internationalen Markt aufgestellten Gesundheitswirtschaft, von der sich die Landesregierung erhebliche Wachstumsprozesse erhofft - selbst wenn die Verlautbarungen der Landesregierung hier weniger eindeutig und oftmals ambivalent sind. Gäbe es seitens der Landesregierung nicht die Intention, eine zentrale Säule des ÖGD, nämlich das dezentral aufgestellte und in seiner Erfüllung von Aufgaben für den ÖGD und das Gesundheitswesen in ganz NRW effektiv und effizient arbeitende LIGA.NRW, aus seinen regionalen Verankerungen herauszulösen und am Gesundheitscampus geradezu krampfhaft in eine artifiziell geschaffene 152 Zitat von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. 222 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Struktur einzubinden, ungeachtet bislang fehlender Kooperationsschnittstellen zu anderen Akteuren, wäre die in diesem Gutachten vorgetragene Kritik am Modell Gesundheitscampus nicht gerechtfertigt. So aber wird an der Depotenzierung des LIGA.NRW in Form des Verlustes seiner dezentralen Struktur deutlich, dass es der Landesregierung weniger um die Optimierung des Gesundheitswesens geht, als um die Förderung der Gesundheitswirtschaft. Damit sind zwei gegenläufige und höchst bedenkliche Entwicklungen verbunden. Indem mit einem Budget von 75 Mio. € die Gesundheitswirtschaft am Standort Gesundheitscampus aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird, werden seit Jahren im Namen von Effizienz und einer Schlanken Verwaltung beim LIGA.NRW - Kürzungen vorgenommen, indem Stellen gestrichen und erforderliche Mittel nicht bereitgestellt werden. Aufgrund dieser anhaltenden Auszehrung ist das LIGA.NRW schon derzeit in vielen Aufgabenbereichen nicht nur geschwächt, sondern auch partiell handlungsunfähig. So offenbart die Personalsituation des ZÖG den Widerspruch zwischen öffentlichen Verlautbarungen des MAGS und der tatsächlichen Situation des ÖGD. Beispiele hierfür sind die Bereiche Prävention, Gesundheitsberichterstattung und Arzneimitteluntersuchung, also geradezu die Paradedisziplinen, mit denen sich die Landesregierung in den offiziellen Verlautbarungen gerne schmückt. So ist das MAGS einerseits bestrebt, die Prävention zu einem Schwerpunktfeld in der Landesgesundheitspolitik auszubauen, während sie andererseits diesen wichtigen Bereich durch die Reduzierung der personellen Ressourcen ausbluten lässt. Die Gesundheitsberichterstattung war einst eine Vorzeigeaktivität des Landes NRW. Alle anderen Bundesländer waren gehalten, den vom vormaligen LÖGD entwickelten Gesundheitsindikatorensatz - der sich in ständiger Differenzierung und Fortentwicklung befand - verpflichtend zu übernehmen. Im Zuge der Fusion zum LIGA ist gerade dieser Bereich personalmäßig erheblich dezimiert worden, was dazu führt, dass er zu konzeptionellen Arbeiten nur noch bedingt in der Lage ist. Während zum Beispiel andere Bundesländer mittlerweile erkannt haben, wie wichtig für das Gesundheitswesen die Empfehlungen und die Kontrollfunktion des Bereiches Sozialpharmazie sind, so dass in Bayern beispielsweise Stellen in diesem Bereich neu geschaffen werden, werden in NRW personelle Ausdünnung und Bedeu- 223 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tungsverlust der Sozialpharmazie mittelfristig dazu führen, dass die Sozialpharmazie aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in NRW verschwinden wird. Auch dadurch ist der Verlust einer Spitzenposition von NRW im Bereich ÖGD in der Bundesrepublik Deutschland vorprogrammiert. Ebenso verhält es sich in vielen Bereichen der Arzneimitteluntersuchungsstelle. Alle bisher angeführten Beispiele verdeutlichen eine zentrale Tendenz: während die als Leitbranche deklarierte Gesundheitswirtschaft mit erheblicher finanzieller Unterstützung zum Vorzeigeprojekt der Landesregierung avanciert, depraviert der Öffentliche Gesundheitsdienst. Die Kollateralschäden dieses Substanzverlustes sind aber noch weit gravierender. Denn ein in seinem Leistungsportfolio stark eingeschränktes LIGA.NRW kann auch seinen Kontroll- und Überwachungsfunktionen des gesundheitswirtschaftlichen Marktes kaum noch gerecht werden. M. a. W., der Verbraucher bleibt sich selbst überlassen, ganz nach dem Verdikt des mündigen, souveränen Konsumenten. Der allerdings vermag die vielfältigen Angebote des Gesundheitsmarktes nicht auf ihre Qualität und Wirksamkeit zu prüfen. So besteht die Gefahr, dass der vermeintlich mündige Verbraucher dem Marketing auch zweifelhafter Therapie- und Kurationsangebote und deren Versprechungen erliegt. Ein LIGA.NRW als aufklärendes und Orientierung bahnendes Korrektiv gegen Auswüchse auf dem gesundheitswirtschaftlichen Markt, wäre bei einer weiteren personellen Schwächung sowie einer potenziellen Nähe zu privatwirtschaftlichen Kooperationsstrukturen im Rahmen des Gesundheitscampus, nur noch eingeschränkt in der Lage, in effizienter Weise dem Verbraucherschutz zu dienen. Sollten mit der Verlagerung an den Gesundheitscampus überdies noch weitere (30) Stellen (wie intendiert) gestrichen werden, so dürfte der LIGA.NRW in seinem Kern getroffen sein. Dies hat erhebliche Konsequenzen für den ÖGD im Lande. Oder deutlicher formuliert: Das Land setzt sich mit der Verlagerung der dezentralen Standorte des LIGA.NRW an den zentralen Standort des Gesundheitscampus Bochum dem Risiko aus, funktionierende Strukturen und Netzwerke zu zerschlagen. Denn mit einem auf seine Dezentralität verzichtendes LIGA.NRW steht zu befürchten, dass in kürzester Zeit ein über Jahrzehnte mühsam aufgebautes Bindeglied in der Struktur des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf der Ebene des Landes zerstört wird. In absehbarer Zeit wird die Landesregierung - die eigentlich Verantwor- 224 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht tung für intakte, gemeinwohlorientierte Systeme und Strukturen im Gesundheitswesen (u.a. Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit der Gemeinschaft und des Einzelnen) zu tragen hätte - mit den negativen Folgen dieser Verlagerungsbestrebungen konfrontiert werden; nämlich mit dem Ergebnis, dass das Gesundheitswesen - auch aufgrund der daraus resultierenden Schwächung - Schaden nehmen wird. Parallel dazu werden Millionenbeträge in ein Projekt investiert, dessen Konturen seitens der Landesregierung nicht - bis auf einige dürre Andeutungen und Allgemeinplätze - auch nur annähernd nachvollziehbar kommuniziert werden konnten. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt existieren weder öffentlich zugänglich belastbare Zahlen, noch ein der interessierten Öffentlichkeit bekanntes konsistentes Konzept für den Gesundheitscampus. Weder stehen die privatwirtschaftlichen noch die öffentlichen Akteure definitiv fest. Die bisherige, wohlbegründete Absage des Krebsregisters, ist hierfür symptomatisch. Es gibt insbesondere für die beabsichtigte Verlagerung des LIGA.NRW von den dezentralen Standorten zum zentralen Standort Gesundheitscampus keine der Öffentlichkeit bekannte alternative Kosten-Nutzen Schätzung im Hinblick auf den Aufwand der zu leisten wäre, um das LIGA.NRW zentral (natürlich dem Willen des MAGS folgend auch abgespeckt) weiterzuführen. Es spricht vieles dafür, dass eine Verlagerung nur mit einem erhöhten Investitionsaufwand gegenüber einem Verbleib an den alten Standorten zu leisten wäre. Dies belegen nicht zuletzt auch die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, die das Institut für Verwaltungswissenschaften in seiner Aufgabenkritik durchführte. Gerade bei der Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle ist mit höheren Aufwendungen am neuen Standort für die gesamte Labortechnik zu rechnen. Werden die Transaktionskosten für die Beschaffung von Informationen und Analyseergebnisse, die gegenwärtig durch die Netzwerke von LIGA.NRW, CVUA und Universität Münster sichergestellt und gewährleistet werden, noch hinzuaddiert, so dürfte der Kostenfaktor noch beträchtlich höher sein. Ebenso kontraproduktiv wäre es, die kostenträchtigen Laboreinrichtungen für den Arbeitsschutz des Düsseldorfer Standortes zu verlagern. Dies würde jeglichen vertretbaren Kostenrahmen sprengen. Auch hier spricht eine rationale Kosten-Nutzen Analyse gegen eine Verlagerung des LIGA.NRW Standortes nach Bochum. 225 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Mit Rentabilitätsüberlegungen lassen sich die Verlagerungsbestrebungen also nicht begründen. Selbst unter dem wohlwollensten Szenario, dass sich am Standort Gesundheitscampus für das LIGA.NRW keine oder nur sehr konstruiert minimale Schnittstellen für eine Kooperation finden lassen, bleibt dennoch die Frage weiterhin klärungsbedürftig, warum ohne große Not regionale Kooperationsstrukturen zerschlagen werden, deren Synergieeffekte nicht nur kostenreduzierend wirkten, sondern zudem auch innovative Prozesse auf den Weg brachten, die dann tatsächlich zu einem Kompetenzzuwachs und einer Verbesserung von Strukturen des ÖGD, des Gesundheitswesens und gerade auch hinsichtlich der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung führten. Die Spitzenpositionen, die die Gesundheitsregionen in vielen Kompetenzfeldern auf der Grundlage des ÖGD und eben auch der damit vernetzten Gesundheitswirtschaft (s.ZIG) erreicht haben, sprechen dafür. Dies sind die Anstrengungen und Erfolge, die dann tatsächlich nach außen hin sichtbar werden und vor allem das Renommee der Gesundheitsregionen und der „Gesundheit.NRW“ begründen. All dies dürfte künftig- wenn hier endgültig Ressourcen abgezogen werden -nur noch eine historische Reminiszenz sein. Einerseits eine Investition von 75 Mio. € in ein nicht nachvollziehbares, in seinem Umfang wie auch in seiner Interaktionsdynamik mit überregionalen Akteuren nicht kalkuliertes Projekt zu leisten, die andererseits zum Resultat hat, dass langjährig, mit nicht unbeträchtlichen Investitionen und Mühen seitens der engagierten Mitarbeiter aufgebaute Strukturen eines funktionierenden und beispielgebenden ÖGD nachhaltig beschädigt werden, dürfte eine eher kontraproduktive politische Entscheidungen darstellen. Hier könnte eine Wiederholung der negativen Entwicklungen, wie z. B beim Trickfilmstudio Oberhausen (HDO) oder beim Zentrum für Mikrochirurgie stattfinden. Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, warum eine wachstumsdynamische Branche, die laut Landesregierung bis zu 200 000 neue Arbeitsplätze in NRW schaffen wird, mit einem solchen hohen Betrag subventioniert werden muss. Wieso bedarf es für eine Branche, die derart gut am Markt aufgestellt ist, und ihre Produkte (worunter beispielsweise alle privat finanzierten Produkte und Gesundheitsdienstleistungen des „Zweiten Gesundheitsmarktes zu subsumieren sind) mit Leichtigkeit in den für 226 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht sie relevanten Marktsegmenten abzusetzen weiß, überhaupt einer solchen Absatzförderung? So weisen z. B. die Prognosen der Bundesregierung und eine Studie der Roland Berger Strategy Consultants - in der eine zusätzliche Nachfrage von 16 Milliarden Euro errechnet wird, für die bislang noch kein ausreichendes Angebot besteht - genau in diese Richtung. Insofern ist zu fragen, ob es wirklich notwendig ist, EU-Mittel und Steuergelder in ein solches Projekt zu investieren, da doch die Branche genügend Potenzial hat, sich selbst am Markt erfolgreich aufzustellen. Hinsichtlich der öffentlichen Einrichtungen, die am Standort zentralisiert werden sollen, lässt sich zudem nicht überzeugend belegen, dass mit einer Konzentration von LIGA.NRW, Krebsregister, Clustermanagement NRW und auch der geplanten Fachhochschule für Gesundheitsberufe an den Campus, ein Mehrwert verbunden wäre. Der Beleg für diese Kausalität ist bislang noch nicht geleistet worden. Selbst die Positionierung „Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen“, mit seinen drei Kernfunktionen: Betriebswirtschaftlicher Service z. B. bei der Förderberatung und bei der Campusentwicklung; Initiierung von Kooperationen und Netzwerken (z. B. im Bereich der Versorgungsforschung, im Ausbau internationaler Standards oder der Erschließung ausländischer Patientenmärkte; Initiierung zukunftsweisender Projekte und Initiativen (z. B. im Management von Projekten im Bereich der Gesundheitsförderung, der gesundheitlichen Vorsorge und der gesundheitlichen Versorgung) erfordert nicht die Zentralisierung der dezentralen LIGA.NRW - Bereiche oder des Krebszentrums NRW. Vielmehr lässt sich die Koordinierung in diesem Bereich - anders als an den relevanten Clusterschnittstellen, die auf face to face Kontakte zur engen Kooperation angewiesen sind, mit modernen Kommunikationsmitteln bewältigen. In Anbetracht des Personalverlustes, den das am Campus konzentrierte LIGA.NRW in Kauf zu nehmen hat, dürften zudem die Inputs im Rahmen der am Standort des Gesundheitscampus intendierten Vernetzungen und Kooperation eher gering ausfallen. Andererseits wäre ein voll funktionsfähiges LIGA.NRW an dem Standort Biele- 227 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht feld durchaus in der Lage, wesentliche Impulse einer am Standort Bielefeld ansässigen Fachhochschule für Gesundheitsberufe - gerade aus den im Gutachten anvisierten GVP 4.1.2 (Prävention und Gesundheitsförderung) zu vermitteln. Auch hieran zeigt sich, dass keinerlei Alternativkonzepte auf der Basis von Szenarien entwickelt hierzu wurden, die über die Vorteile und Nachteile alternativer Standorte im Rahmen von Nutzen-Aufwand Relationen anhand nachvollziehbarer Parameter hätten Auskunft geben können. Die Anwendung eines in jeder Projektplanung zur strategischen Positionierung und Zielausrichtung gängigen Instrumentes wie dem Szenario-Management, mit dem sich Erfolgs- und Nutzenpotenziale alternativer Standorte und deren Zukunftspotenziale hätten erschließen lassen, konnte bezüglich der Entscheidungsfindung seitens des MAGS bislang nicht recherchiert werden. Ansonsten wäre es – bei entsprechender Anwendung eines solchen Planungsinstrumentes – dem MAGS auch möglich gewesen, die Entscheidung für eine Konzentration der dezentralen LIGAStandorte am Gesundheitscampus sachlich nachvollziehbar zu begründen. Auf eine solche sachlich untermauerte und objektiv nachvollziehbare Begründung warten die LIGA.NRW - Mitarbeiter bis heute. Aber selbst mit der Wahl und Bekanntgabe des Standortes Bochum wurde dies seitens der Landesregierung noch nicht einmal ansatzweise versucht. Auch hier zeigen sich wiederum die erheblichen strategischen Defizite der geplanten Standortverlagerung, bzw. der Konzentration der Akteure am Gesundheitscampus. Es fehlt einfach ein in sich schlüssiges Konzept, in dem der wirtschaftliche wie gesundheitspolitische Nutzen der Standortverlagerung zweifelsfrei argumentativ nachvollziehbar wäre. Hierzu allerdings wäre es erforderlich gewesen, eine für alle Beteiligten transparente Kosten - Nutzenanalyse durchzuführen, anhand derer belegbar ist, dass sich die Investitionen in Höhe von 75 Mio. € tatsächlich rechnen werden, da sie in erheblicher Weise neue Beschäftigung sowohl am Standort selbst als auch in den von der Verlagerung betroffenen Gesundheitsregionen schaffen werden. Darauf hat die Landesregierung verzichtet. So allerdings bleibt es beim Prinzip Hoffnung, dass in seiner Prognostik noch nicht einmal auf vergleichbare Projekte verweisen kann. Immerhin lässt die Landesregierung verlauten, dass durch den zentralen Standort möglicherweise 500 neue Ar- 228 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht beitsplätze geschaffen werden. Wie dies nun möglich sein soll, in Anbetracht weiterer Personalkürzungen, die beim LIGA.NRW vorgenommen werden sollen und der Ansiedlung von bislang noch ungesicherten Einrichtungen, bleibt weiterhin unerfindlich und rational nicht nachvollziehbar. Für die genannte Anzahl an Arbeitsplätzen fehlt es bis heute an einem Begründungsdiskurs. Mithin handelt es sich bei dieser Angabe wohl weniger um eine methodisch abgesicherte Prognose, als um eine Prophetie. Zu hoffen wäre allerdings, dass die Landesregierung in dieser Frage noch einen objektiven Nachweis liefern würde für die in Aussicht gestellte Anzahl an Arbeitsplätzen, wie auch für die Vorteile, die der Gesundheitscampus in Hinsicht auf den Erhalt und die Förderung der Gesundheit der Bürger und einer innovativen Verbesserung des gesamten Gesundheitswesens zu leisten in der Lage ist. Eine stringente Begründung mit erkennbaren Indikatoren und Parametern, die die Perspektive, aus der sich die Erwartungen nähren, kenntlich machen würde, wäre immerhin in der Lage, den bislang verabsäumten Diskurs hierüber mit den Experten und Beschäftigten zu eröffnen. Nur auf dieser Folie, bei der Vor- und Nachteile der Planung der Landesregierung evident werden, lassen sich auch Sachentscheidungen entweder für oder gegen eine Übersiedlung an den Gesundheitscampus Bochum seitens der Vertreter der einzubindenden Einrichtungen fällen. Interessant in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass in keiner Verlautbarung oder Publikation des MAGS eine wie auch immer ausgerichtete inhaltliche Funktionsbeschreibung der Aufgabenwahrnehmung und der Rolle vermittelt wird, die das LIGA.NRW künftig am Gesundheitscampus einnehmen soll. Stattdessen wird in dürren Worten darauf hingewiesen, dass das „Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA.NRW) ebenfalls auf dem Campus tätig werden (wird).“153 Ansonsten wird analog den gesetzlichen Bestimmungen des ÖGDG das Leistungsspektrum des LIGA.NRW noch einmal aufgelistet. Eine Begründung dafür, warum LIGA.NRW notwendiger Weise ebenfalls am Standort Gesundheitscampus verankert sein soll, vermeidet die Darstellung. Aus der bisher geleisteten Analyse lässt sich allerdings gerade auch unter der dezidiert wirtschaftlichen Ausrichtung des gesamten Campuskonzeptes dennoch davon ausgehen, dass auch das LIGA.NRW den wirtschaftlich relevanten Netzwerken implementiert werden soll, um somit als Dienstleister fungieren zu können, mit all den bereits aufgezeigten negativen Folgen für den ÖGD und das Gesundheitswesen. 153 Ebenda. S. 8. 229 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Prävention und Gesundheitsförderung, Konzeptentwicklung, Innovationsmanagement, Sozialpharmazie, arbeitsbedingte Erkrankungen, Entwicklung von Präventionskonzepten, betriebliches Gesundheitsmanagement sowie die Datenbasis Gesundheit NRW und die Gesundheitsberichterstattung dürften von Interesse für die Wirtschaft sein, insofern sie schon im Zugriff auf das LIGA.NRW im Vorfeld über Entwicklungen Kenntnis gewinnen und bestimmte Empfehlungen inhaltlich mit beeinflussen könnte. Insofern würde sie in lukrativer Weise auf gesundheitspolitische Entscheidungen und Zielbestimmungen Einfluss nehmen können. Direkter als dies an den dezentralen Standorten der Fall wäre. Gleiches gälte für die Arzneimitteluntersuchungsstelle und das ZGA. Gerade die diskutierte Problematik um die Interessenkollision innerhalb des Gesundheitscampus zwischen öffentlichen Auftrag und Förderung der Gesundheitswirtschaft verweist auf die Gefahren für den Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Folgt man dieser konzeptionellen Ausrichtung des LIGA.NRW in seiner Neuaufstellung am Standort in Bochum, so wird allerdings ein Widerspruch signifikant. Ein LIGA.NRW, mit seinem auch für die Wirtschaft relevanten Leistungsportfolio, würde seine ihm zugewiesene Mittlerfunktion zwischen ÖGD, Gesundheitspolitik, Gesundheitswesen und Privatwirtschaft nur wahrnehmen können, wenn es voll funktionsfähig wäre. Diese Funktionsfähigkeit ist jedoch nicht gewährleistet. Daran kann allen Daten und Informationen, die bislang vorliegen und ausgewertet worden sind folgend, kein Zweifel bestehen. Zu groß sind die personellen Lücken, die die Verlagerung reißen wird. Wenn bis zu 30% aller Beschäftigten des LIGA.NRW Standortes Bielefeld und zwischen 30% und 50% der am Standort Münster derzeit Beschäftigten nicht an den Gesundheitscampus folgen werden, so kann man nur noch von einem in Rudimenten am Standort Bochum anzusiedelnden LIGA.NRW ausgehen. Damit dürfte die Überlegung der Landesregierung - so sie denn explizit besteht - das LIGA.NRW in den wirtschaftlichen Verwertungsnexus am Gesundheitscampus mit all seinen Supportleistungen zu integrieren, kaum von Nutzen sein. Ein Rumpf-LIGA.NRW kann die in ihn gesetzten Erwartungen nicht mehr erfüllen. Ebenso wenig macht ein Gesundheitscampus Sinn, der um seine zentralen Einrichtungen gebracht wird. Das Krebsregister wird aller Wahrscheinlichkeit nach kaum einer Verlagerung zustimmen. Wenn doch, so werden sich personell die gleichen 230 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht Probleme einstellen, wie unter der Voraussetzung eines zentralisierten LIGA.NRW. Viele hochqualifizierte Mitarbeiter werden der Verlagerung nicht folgen, so dass auch hier erhebliche Friktionen in der Aufgabenwahrnehmung entstehen werden. Auch hier besteht die Gefahr, dass ein tatsächliches Leuchtturmprojekt mit europäischer Bedeutung und Vorbildcharakter durch eine unnötige Verlagerung Schaden nehmen wird. Werden diese beiden Einrichtungen - LIGA.NRW und Krebsregister NRW - entweder nicht oder nicht in vollem Umfange übersiedeln (beim LIGA.NRW zeichnet sich ab, dass die - bezogen auf die Arzneimitteluntersuchungsstelle - gegen eine Ansiedlung am Gesundheitscampus sprechenden Kostenargumente nicht ganz ihre Wirkung beim MAGS verfehlen), so bleibt fraglich, welchen Sinn der Gesundheitscampus dann noch haben wird. Die zentrale - wenn auch wenig überzeugende Zielrichtung - bestand immer in der Funktion des Gesundheitscampus, die relevanten öffentlichen Akteure des Gesundheitswesens zu bündeln um Synergien zu schaffen, die zu einer Verbesserung des Gesundheitswesens beitragen. Wenn diese Voraussetzung sachlich nicht umsetzbar bzw. nicht erfüllbar ist, da die Idee in die Realität übersetzt eine kontraproduktive Eigendynamik entfaltet, hat die Idee in Referenz zum Gesundheitscampus keine Berechtigung mehr und der Gesundheitscampus würde sich ad absurdum führen. Ausgehend davon, dass intendiert ist, dass das LIGA.NRW auch weiterhin eine zentrale Rolle für ÖGD, die Gesundheitspolitik und das Gesundheitswesen und damit auch indirekt für die Gesundheitswirtschaft spielen soll, ohne dass das LIGA.NRW ökonomisch funktionalisiert wird, stellt die Verlagerung eine dieses Ziel konterkarierende Strategie dar. Sie agiert, wenn man wie die Landesregierung einem am Gesundheitscampus konzentrierten LIGA.NRW einen entscheidenden Stellenwert für die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesens zuerkennt, geradezu antagonistisch diesem Bestreben gegenüber. Die Landesregierung kann nur eins leisten. Entweder sie akzeptiert ein leistungsfähiges dezentrales LIGA.NRW, dass standortspezifisch Synergieeffekte generiert und Inputs in die regionalen Cluster vermittelt und somit das Gesundheitswesen zukunftsfähig im Sinne der Bürger gemeinwohlorientiert ausrichtet oder sie zentralisiert das LIGA.NRW am Standort des Gesundheitscampus in Bochum. Dann allerdings 231 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht mit der Konsequenz, dass das LIGA.NRW seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können wird, wodurch in letzter Konsequenz die Zukunftsfähigkeit eines mustergültigen ÖGD und - in the long run - die Zukunftsoffenheit für eine bürger- und wahrhaft bedarfsgerechtes Gesundheitswesens verspielt wird. 232 Die Verlagerung des LIGA.NRW Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus Arbeitnehmersicht 14 LITERATURVERZEICHNIS Albani, Cornelia/ Blaser, Gerd/ Geyer, Michael/ Grulke, Norbert/ Bailer, Harald/ Schmutzer, Gabriele/ Berth, Hendrik/ Brähler, Elmar: Psychische Gesundheit und Angst vor Arbeitsplatzverlust, in: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, hrsg. v. Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V, BDP, Berlin 2008. Andreas J. W. 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