Die Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in

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www.boeckler.de – Mai 2009
Copyright Hans-Böckler-Stiftung
Die Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in Bochum:
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement aus
Arbeitnehmersicht
Abschlussbericht
Auf einen Blick…
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Paradigmenwechsel, weg
von der dezentralen Clusterbildung hin zu einem zentralistischen Führungsmodell, für Bürger, Mitarbeiter und Patienten einen Schritt in die falsche Richtung darstellt.
Ein - aus seinen dezentralen Standortbindungen herausgelöstes - am
Gesundheitscampus angesiedeltes LIGA.NRW kann seine Aufgaben und
seine Funktion für den öffentlichen Gesundheitsdienst und das Gesundheitssystem nicht mehr in ausreichendem Maße wahrnehmen.
Statt Ressourcen aus den Regionen abzuziehen, sollte vielmehr die Kooperation der LIGA.NRW Bereiche mit den Clusterakteuren vor allem in den Kommunen und der Wissenschaft ausgeweitet werden.
So wäre es möglich, durch ein Konsortium aus Land/ LIGA.NRW und regionalen Akteuren an wichtigen Standorten Arbeitseinheiten ins Leben zu rufen, die
sich auf Projektaufträge spezialisieren könnten. Die jeweilige Region könnte
dadurch als "Musterregion" für Praxiserprobungen und -einführungen gesundheitsbezogener Innovationen landes- und bundesweites Renommee erwerben. Hierfür müssen die Kommunikationswege und Netzwerkstrukturen der
LIGA.NRW geprüft und verbessert werden.
Die Verlagerung des LIGA.NRW
an den Gesundheitscampus in Bochum
Anforderungen an ein
innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Essen, im Mai 2009
Erstellt durch
PCG - PROJECT CONSULT GmbH
- Prof. Dr. Kost & Collegen -
Friedrich-List-Str. 2
D-45128 Essen
Fon: 0049.(0)201.10592-0
Fax: 0049.(0)201.10592-79
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Inhaltsverzeichnis
1 VORWORT ............................................................................................................................. 8 2 METHODE ........................................................................................................................... 18 3 DIE GESUNDHEITSWIRTSCHAFT UND DAS GESUNDHEITSWESEN ALS BUNDESWEITER WACHSTUMSMOTOR .......................................................................................................... 21 4 GESUNDHEITSWIRTSCHAFT UND DAS GESUNDHEITSWESEN IN NORDRHEIN‐WESTFALEN ..... 34 5 DAS SYSTEM DER VERNETZUNG VON REGIONALEN KOMPETENZFELDERN IM GESUNDHEITSWESEN IN FORM DES CLUSTERANSATZES ........................................................... 40 5.1 INNOVATIONSFELD MEDIZINTECHNIK ........................................................................................... 41 5.2 DEZENTRALITÄT ALS ERFOLGSFAKTOR .......................................................................................... 43 5.3 DER BEGRIFF DES CLUSTERS ....................................................................................................... 45 6 DIE FÜNF GESUNDHEITSREGIONEN ALS REGIONALE CLUSTER IN NRW .................................. 48 7 DER ÖFFENTLICHE GESUNDHEITSDIENST IN NRW ................................................................. 54 8 DAS LANDESINSTITUT FÜR GESUNDHEIT UND ARBEIT NRW ................................................. 65 9 DER GESUNDHEITSCAMPUS ALS DAS GESUNDHEITSPOLITISCHE LEITPROJEKT DER LANDESREGIERUNG ............................................................................................................. 69 10 DER PARADIGMENWECHSEL ................................................................................................ 77 10.1 REGIONALISIERUNG ALS DEZENTRALES MODELL VERSUS KONZENTRATION ALS ZENTRALES MODELL .......... 82 10.2 AUSWIRKUNGEN DER ZENTRALISIERUNG BEI VERLAGERUNG DES LIGA.NRW .................................... 117 10.3 MEHR EFFIZIENZ UND EIN BESSERES GESUNDHEITSSYSTEM DURCH LEAN ADMINSTRATION? ................. 151 10.4 FOLGEN DER ZENTRALISIERUNG IM HINBLICK AUF DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT UND AUFGABENERFÜLLUNG DES LIGA.NRW ........................................................................................ 176 10.5 DER BEREICH SOZIALPHARMAZIE IM RAHMEN DER LIGA.NRW‐VERLAGERUNG ................................. 185 10.6 BELASTUNGSFAKTOREN DER LIGA.NRW MITARBEITER UND DEREN AUSWIRKUNGEN ......................... 194 11 HANDLUNGSEMPFEHLUNG ................................................................................................ 210 12 DIE VEREINBARKEIT VON BERUF UND FAMILIE IN FORM DER TELEARBEIT .......................... 216 13 FAZIT ................................................................................................................................. 221 14 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................... 233 Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Abkürzungsverzeichnis
a. a. O.:
am angegebenen Ort
AG:
Arbeitsgemeinschaft
AGKW:
Arbeitsgemeinschaft kommunale Wirtschaftsförderung in Nordrhein-Westfalen
AIDS:
Acquired Immune Deficiency Syndrome
ATZ:
Altersteilzeit
AUST:
Arzneimitteluntersuchungsstelle
BAuA:
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
BDP:
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und
Psychologen
BfAr
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
BVMed :
Bundesverband Medizintechnologie
Bzw.:
beziehungsweise
ca.:
circa
CVUA:
Chemisches Landes- und staatliches Veterinäruntersuchungsamt
D.h.:
das heißt
Ddp :
Deutscher Depeschendienst
DGB:
Deutscher Gewerkschaftsbund
Dr.:
Doktor
Dtsch. Arztebl:
Deutsches Ärzteblatt
DV:
Datenverarbeitung
e.V.:
eingetragener Verein
Ebd.
Ebenda
EDV:
Elektronische Datenverarbeitung
EFRE:
Europäischer Fond für Regionalentwicklung
EFTA - EEA:
European Free Trade Association - European
Economic Area
Etc.:
et cetera
EU:
Europäische Union
FB:
Fachbereich
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FDP:
Freie Demokratische Partei
ff.:
und folgende
FÖV:
Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche
Verwaltung
Frankfurt a.M.:
Frankfurt am Main
FTG
Financial Times Germany
FZ Jülich:
Forschungszentrum Jülich
GAU:
Größter anzunehmender Unfall
GBE:
Gesundheitsberichterstattung
ggf.:
gegebenenfalls
gGmbH:
gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter
Haftung
G.I.B.
Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH - in Bottrop.
GKV:
Gesetzliche Krankenversicherung
GVP:
Geschäftsverteilungsplan
HBS - WSI:
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung
HIV:
Humanes - Immundefizienz -Virus
Hrsg.:
Herausgeber
HTA:
Health Technology Assessement
i.S.:
im Sinne
IAT:
Institut für Arbeit und Technik
IATG:
Internationales
Abkürzungsverzeichnis
für
Theologie und Grenzgebiete
IGIS:
Integriertes Gesundheits- Informationssystem
Inst. Arbeit und Technik:
Institut für Arbeit und Technik
IuK:
Informations- und Kommunikationstechnik
KGBE:
Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler
Ebene (Kommunale GBE)
KGK:
Kommunale Gesundheitskonferenzen
KMU:
Kleine und Mittelständische Unternehmen
KV:
Kassenärztliche Vereinigung
kw:
künftig wegfallend (Stellen, die abgebaut werden können)
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
LAfA:
Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen
LANUV:
Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen
LGBE:
Gesundheitsberichterstattung auf Landesebene
(LandesGBE)
LGK:
Landesgesundheitskonferenz
LIGA.NRW:
Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit
LJA WL:
Landesjugendamt Westfalen-Lippe
LMU München:
Ludwig - Maximilians - Universität München
LÖGD:
Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst
LPEM:
Landesamt für Personaleinsatzmanagement
M.a.W.:
mit anderen Worten
MAGS:
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
MD:
Mittlerer Dienst
MdB:
Mitglied des Bundestages
MGSFF:
Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen
und Familie des Landes Nordrhein Westfalen
Min.:
Minuten
Mrd.:
Milliarden
MUNLV:
Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen
MVA:
Müllverbrennungsanlage
MWME:
Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie des Landes Nordrhein-Westfalen
NCI:
National Cancer Institute (USA)
NIA:
National Institute on Aging (USA)
NIH:
National Institutes of Health (USA)
NMR:
nuclear magnetic resonance
NRW:
Nordrhein-Westfalen
NRZ:
Neue Rhein Zeitung
OD:
Office of the Director
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
OECD:
Organisation for Economic Co-operation and
Development
ÖGD:
Öffentlicher Gesundheitsdienst
ÖGDG:
Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst
OWL:
Ostwestfalen -Lippe
PEM:
Personaleinsatzmanagement
PFT:
Perfluorierte Tenside
PHGEN:
Public Health Genomics European Network
PP:
Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten
PPP:
Public - Private - Partnership
Prof.:
Professor
PUR:
Protein research Unit Ruhr within Europe
RMI:
Rhein - Main - Institut
S.:
Seite
SGB:
Sozialgesetzbuch
Sog.:
so genannte
Std.:
Stunden
SWOT - Analyse:
Stärken - Schwächen - Chancen - Risiken Analyse
TPS:
Toyota Production System
TÜV:
Technischer Überwachungs-Verein
u.a. :
unter anderem
UK:
United Kingdom
US:
United States
USA:
United States of America
v.:
von
VG:
Verwaltungsgemeinschaft
vgl.:
vergleiche
WHO:
World Health Organisation
z.B.:
zum Beispiel
z.T.:
zum Teil
ZGA:
Zentrum für Gesundheit in der Arbeit
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ZIG:
Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft
ZÖG:
Zentrum für öffentliche Gesundheit
ZTG:
Zentrum für Telematik
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
1 Vorwort
Mit dem Beschluss der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2008
die Einrichtung eines “Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen“ im Ruhrgebiet
vorzunehmen, wird eine bislang - gerade auch von der Landesregierung - überzeugend vertretene Position der Clusterpolitik konterkariert.
Mit den Gesundheitsregionen
-
Metropolregion Ruhr
-
Ost-Westfalen Lippe
-
Münsterland
-
Aachen
-
Köln/Bonn
verfolgte das Land NRW die bislang ökonomisch, wie auch in innovativer Hinsicht
überaus erfolgreiche Strategie einer gesundheitspolitischen wie auch gesundheitswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung. Eine zukunftsfähige Gesundheitswirtschaft und dies war bislang auch Überzeugung der Landesregierung - basiert auf der Mobilisierung regionaler Wirtschaftskreisläufe und der Integration der Ressourcen der
beteiligten Akteure eines gesundheitswirtschaftlichen Clusters sowie übergreifender
Wertschöpfungsnetzwerke auf regionaler Ebene. Eine leistungsstarke Gesundheitsversorgung bedarf der regionalen Verankerung und der Vernetzung vielfältiger Leistungsangebote.
Durch eine solche Vernetzung der Leistungsangebote vor Ort, lassen sich für das
Gesundheitswesen zum einen Innovationen fördern und zum anderen Versorgungsund Qualitätsdefizite beheben, letztlich die Lebensqualität in der Region erhöhen.
Mit der Konzentration auf die regionalen Wirtschaftskreisläufe wurde bislang in entschiedener, wie auch ebenso richtiger Weise, eine strategische Ausrichtung der
Strukturpolitik verfolgt, in der sich Ansätze einer bottom-up-Strategie mit zukunftsorientierten Regionalkonzepten kombinierten, um einerseits Wachstumspotenziale
zu erschließen und andererseits die Qualität der regionalen Gesundheitsversorgung
zu erhöhen. Dies belegen die sich seit den 90er Jahren in den Gesundheitsregionen
positiv entwickelnden Wertschöpfungsvolumina eindeutig.
8
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Angesichts der immensen Wertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft wurde im
Jahr 2007 ein umfassendes Konzept zur Förderung der Gesundheitswirtschaft in
Nordrhein-Westfalen seitens des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
vorgestellt, in dem die regionalen Kooperationsstrukturen in der Gesundheitswirtschaft mit ihren Hauptakteuren Unternehmen, Institutionen, Forschungseinrichtungen sowie den regionalen Standorten der Leitstelle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ehemals lt. ÖGDG durch LÖGD wahrgenommen) erfasst wurden. Fundierend für eine Förderung der dezentralen Strukturen des Gesundheitswesens war
das Projekt „regionale Entwicklungsperspektiven in den Regionen der Gesundheitswirtschaft NRW“. Es leistete die Vorarbeiten zur Erfassung und Formierung der
Wertschöpfungsstrukturen regionalisierter Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitswesens. So wurden fünf Regionen identifiziert, in denen die Akteure aus der
Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung
und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie weitere Partner entlang der
Wertschöpfungskette eng miteinander kooperieren und so das jeweilige Profil der
regionalen Wertschöpfungsstrukturen in Form von Kompetenzstandorten bilden.
Mit dem Ausbau von Vernetzungsstrukturen in den Regionen Nordrhein-Westfalens
verbindet sich die Absicht, die Effizienz der Wertschöpfungspotenziale und der Gesundheitsförderung sowie die Innovationskraft im Gesundheitswesen zu steigern
und regionale Kooperationsverbünde, Netzwerke oder Projekte für die „eigene
Standortentwicklung zu nutzen“.
„Nordrhein-Westfalen will in den kommenden Jahren zeigen, wie Gesundheitswirtschaft in urbanen und ländlichen Versorgungsräumen organisiert werden kann, wie
die Akteure gemeinsam innovative Lösungen „vor Ort“ entwickeln und umsetzen
können, mit welchen Methoden/Instrumenten die Gestaltungsarbeit in der Gesundheitswirtschaft empirisch fundiert werden kann und wie Exzellenzen in der Gesundheitswirtschaft durch einen internationalen Austausch in Zukunftsfeldern befördert werden können“. (Brigitte Meier Clustermanagerin Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen).
Mit den fünf regionalen Gesundheitsstandorten Ostwestfalen-Lippe, dem Ruhrgebiet, Münsterland, Aachen und Köln-Bonn verfolgte NRW bislang einen dezidiert
dezentralen Ansatz. Dies mit dem Ziel, dass eine Vernetzung unter den Akteuren
vor Ort zielgenauer den Bedarf an Gesundheitsleistungen realisieren kann, als ein
zentrales System der Ressourcenzuweisung. (Wobei hiermit nicht eine Mittelrestrik-
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
tion oder Substitution von finanziellen Mittel durch finanzielle Ressourcen der Region zu verstehen ist.) Vielmehr lief der bisher verfolgte dezentrale Ansatz darauf hinaus,

eine Vernetzung der regionalen Kompetenzen zu leisten,

langfristige Perspektiven für die Gesundheitswirtschaft in ihren Regionen zu
entwickeln

und durch eine clusterübergreifende Vernetzung Synergien zwischen den
Regionen zu stärken, so dass dadurch Wachstum und Beschäftigung gefördert werden können.
Mit der Positionierung der Gesundheitswirtschaft in den fünf Gesundheitsregionen,
deren Strukturen allerdings ohne die Mitwirkung der Landesebene zu Anfang der
90er Jahre auf regionaler und lokaler Ebene schon präfiguriert wurden, favorisierte
die Landesregierung ein Konzept, dessen Stärke ebenso auf der Partizipation der
regionalen Akteure und deren Vernetzung beruht, wie auch auf der Einführung dezentraler Entscheidungsverfahren, deren Möglichkeit und Effektivität nicht zuletzt
durch das Modellprojekt „Ortsnahe Koordinierung der gesundheitlichen und sozialen
Versorgung“ in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen wurde und deren Umsetzung wie noch zu zeigen sein wird - im ÖGD und seinem Rechtsrahmen, dem ÖGDG
selbst erfolgte.
Diese Konzeption der dezentralen Versorgungsstrukturen und gesundheitswirtschaftlicher Interaktion, stellte bislang sicher, dass im Zuge der Entwicklung bis
2008 eine Mobilisierung und Förderung endogener Entwicklungs- und Innovationspotenziale in den Regionen ermöglicht werden konnte.
Mit dem Beschluss der Landesregierung vom 17. Juni 2008, einen Gesundheitscampus als zentralen Standort der Gesundheitswirtschaft in NRW zu gründen, ist
nunmehr geplant, dezentrale Schlüsselressourcen der regionalen Gesundheitscluster an einem Ort zusammenzuführen.
So intendiert die Landesregierung durch den geplanten Gesundheitscampus ihre
Kräfte in der Gesundheitswirtschaft zu bündeln und zu einem zukünftigen Netzwerk
europäischer und globaler Gesundheits- und Technologieinstitute auszubauen.
Nach den bisherigen Planungen wird der Campus etwa 500 Arbeitsplätze mit einem
Budgetvolumen von rund 75 Millionen Euro beherbergen. Eine der Säulen des Ge-
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
sundheitscampus wird das neue Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit
Nordrhein-Westfalen) sein. Ebenfalls geplant ist eine Fachhochschule für Gesundheitsberufe in staatlicher Trägerschaft mit rund 1000 Studienplätzen.
Hierfür soll das mit hoheitlichen Aufgaben versehene und mit einer kompakten wissenschaftlichen Beratungskapazität ausgestattete Landesinstitut für Gesundheit und
Arbeit (LIGA.NRW), welches bisher auf die Standorte Münster, Bielefeld und Düsseldorf verteilt ist, auf den Gesundheitscampus verlagert werden. In seiner Funktion,
die Landesregierung wie auch die Kommunen bezüglich des Gesundheitsschutzes
(u. a. Arzneimittelpolitik, -versorgung und -sicherheit) und der Gesundheitsförderung
(u. a. über Mitarbeit an NRW-Gesundheitszielen, am NRW-Präventionskonzept und
deren Umsetzung) zu beraten und in diesem Rahmen strategische Kompetenzen
wie spezialisiertes Wissen zu gesundheitswissenschaftlichen Fragestellungen für
die Entwicklung einer Versorgungsinfrastruktur lokaler Gesundheitssysteme ebenso
einzubringen wie Kontroll- und Beratungsfunktionen (u.a. Arbeitsschutz, präventive
Gestaltung von Arbeitsbedingungen, Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit; Infektionsschutz) auszuüben, fungiert das LIGA.NRW als Leitstelle des öffentlichen Gesundheitsdienstes. In dieser Funktion arbeitete es bislang in regionaler Anbindung an
den Schnittstellen der Gesundheitsregionen, mit deren Netzwerken es in Interdependenz steht. Hierdurch wurde sowohl die Arbeit des LIGA.NRW als auch die der
Gesundheitsregionen selbst gestärkt.
Dasselbe gilt für das Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen und das Epidemiologische Krebsregister in Münster, die ebenfalls an der Vernetzung im Rahmen
der regionalen Schnittstellen, insbesondere der Gesundheitsregion OWL und dem
Münsterland und den lokalen Initiativen, wie im Falle ZTG im Raum Krefeld, partizipierten.
Angesicht der bislang dezidierten Clusterausrichtung des Landes in der Regionalisierung der Gesundheitswirtschaft irritiert der nun vollzogene Paradigmenwechsel
von einem bislang erfolgreichen dezentralen Clustermodell, hin zu einem zentralen
Verständnis von Wachstumskernen.
Ein solcher Zentralisierungsbeschluss widerspricht eklatant den bisherigen politischen Zielen der derzeitigen Landesregierung, die verschiedenen Gesundheitsregionen weiter auszubauen und zu stärken.
11
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
So verweist das MAGS in seinen eigenen Publikationen auf die Vorteile des Clusteransatzes einer regionalisierten Gesundheitswirtschaft.

„Wir nutzen moderne Förderansätze der Clusterpolitik auch für die Gesundheitswirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.“ (Zitat: Laumann).

Mit der Vernetzung der regionalen Stärken und Exzellenzen in OstwestfalenLippe, Ruhrgebiet, Münsterland, Region Aachen und Region Köln/Bonn realisiert Nordrhein-Westfalen bereits heute ein beispielgebendes Portfolio
wegweisender Lösungen zur Zukunft der Gesundheitswirtschaft des Landes.
Das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.NRW unterstützt seit Beginn
des Jahres 2008 die Gesundheitsregionen in der Gestaltung der Gesundheitswirtschaft. Es begleitet die regionale Netzwerkarbeit (Gesundheitswirtschaft NRW.regional) und entwickelt landesweite Zukunftsthemen (Gesundheitswirtschaft NRW.innovativ).
Die in den Gesundheitsregionen herausgearbeiteten Stärken der nordrheinwestfälischen Gesundheitswirtschaft sollen durch das Clustermanagement, dessen
Aufgabe in der Vernetzung der Initiativen der fünf Gesundheitsregionen besteht, dazu beitragen, für die Gesundheitswirtschaft in NRW langfristige Perspektiven aufzuzeigen und zu erarbeiten.
Laut Ansicht des MAGS bieten also gerade die dezentralen Strukturen einer regionalisierten Gesundheitswirtschaft die Voraussetzung für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung und fungieren als Bedingung „Innovationspotenziale zu definieren, Synergien zwischen den Regionen zu stärken und NRW gemeinsam als
führenden Standort der Gesundheitswirtschaft zu positionieren.“ (Gesundheitsregionen in Nordrhein-Westfalen Cluster Gesundheitswirtschaft NRW Ostwestfalen- Lippe Münsterland Region Aachen Metropole Ruhr Region Köln Bonn, Veröffentlichung
des ZIG Rahmen des Projektes „Perspektiven Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen“ (2007/2008).
Die Gesundheitsregionen bieten den Vorteil, dass sich in ihnen unterschiedliche gesundheitswirtschaftliche Handlungsschwerpunkte ausbilden, mit denen sich die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen am Markt positionieren können. Aufgrund
der Schwerpunktbildung kann sich ein Expertenwissen in den Regionen akkumulie-
12
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ren, das eine wesentliche Bedingung für Exzellenzinitiativen in Forschung und Praxis darstellt.
Dezentrale Strukturen sind also - auch laut Überzeugung des MAGS und seiner
ausführenden Organe (Clustermanagement) - die Erfolgstreiber der Positionierung
der Gesundheitswirtschaft im europäischen Wettbewerb wie auch der Bildung von
Exzellenzinitiativen.
Durch den Zentralisierungsansatz, welcher nun mit dem Gesundheitscampus NRW
verfolgt werden soll, besteht die immense und unabweisliche Gefahr, dass die bisher gewachsenen Netzwerkstrukturen und Kooperationen zerstört werden, so dass
bislang vorhandenes Kow-how und Innovationspotenzial verloren gehen.
Gerade an der erfolgreichen Arbeit des LIGA.NRW wird der Vorteil regionaler Vernetzungen im Sinne eines Clusters empirisch greifbar. An seinen drei Hauptstandorten Bielefeld, Münster und Düsseldorf besteht eine über Jahrzehnte gewachsene
Vernetzungsstruktur und Verzahnung mit anderen Gesundheitseinrichtungen und
wissenschaftlichen Dienstleistern in der Region, so etwa in Münster mit der Uniklinik
auf dem Gebiet der Infektiologie und in Bielefeld und OWL zwischen der Kommune
Bielefeld, der Universität Bielefeld, den Bielefelder Fachhochschulen und den großen Gesundheitsdienstleistern der Region.
Mit den gesetzlichen Aufgabenschwerpunkten, wie beispielsweise der Gesundheitsberichterstattung in Bielefeld oder der Arzneimittelsicherheit in Münster sowie dem
Düsseldorfer Schwerpunkt Arbeitsschutz, tragen die LIGA.NRW Standorte mit ihrem
Know-how, das sie einerseits unter Einbeziehung regionaler Netzwerkkompetenzen
bilden können und andererseits in Form von Gesundheitsberichten, Politikberatung,
und der Unterstützung der Landesgesundheitspolitik, entscheidend dazu bei, dass
sich die Qualität des Gesundheitswesen nachhaltig verbessern lässt. Umso unverständlicher ist es, dass - obgleich die Landesregierung in ihren öffentlichen Stellungnahmen darauf aufmerksam macht - dass sie es für unverzichtbar hält, weiterhin die sich in den Clustern entwickelnden Gesundheits- und Exzellenzstrukturen zu
fördern - dennoch gerade die regional relevanten Impulsgeber und Netzwerkzentralen in Düsseldorf, Bielefeld und Münster, zum Schaden der gesamten regionalen
Cluster aus den Netzwerken entgrenzt.
Die regionalen Gesundheitscluster werden durch die Verlagerung des LIGA.NRW
und seiner Konzentration an einem zentralen Standort in ihrer Substanz getroffen.
13
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Denn die erprobte strukturelle Verzahnung von impulsgebenden Netzwerkakteuren
und regionalen Forschungseinrichtungen wie auch Unternehmen vor Ort, wird faktisch dadurch konterkariert, dass die dezentrale Standortbezogenheit des LIGA.NRW negiert wird, so dass das LIGA.NRW somit auch von den vielfältigen regionalen Aktivitäten der Initiativen der Gesundheitsregionen vor Ort abgeschnitten
wird. Hierbei handelt es sich um entscheidende Netzwerkakteure, die aufgrund ihrer
regionalen Verortung gerade jene Prozesse aktivieren, die die Stärken eines regionalisierten Gesundheitswesens ausmachen. Dadurch besteht kaum noch eine direkte Erdung für regionale Entwicklungen und einen nachhaltigen Kompetenzaufbau.
Hinzu kommt, dass nicht mehr die profilierten Gesundheitsregionen die Außendarstellung der NRW Gesundheitswirtschaft wahrnehmen sollen, sondern dies im
Rahmen des Gesundheitscampus durch das Kompetenzzentrum NRW (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) erfolgen soll.
Hieran wird die faktische Depotenzierung der Cluster deutlich. Indem Ressourcen,
allen Bekundungen zum Trotz, den Gesundheitsregionen entnommen werden - dies
ist dem Konzept Gesundheitscampus sachlich immanent - wird auch die Außendarstellung zentralistisch vollzogen.
Umso merkwürdiger stellt sich vor dem Hintergrund des empirisch belegbaren erfolgreichen dezentralen Modells, der mit dem Gesundheitscampus vollzogene Richtungswechsel der Landesregierung dar.
Der Landesregierung schwebt mit dem Gesundheitscampus die Errichtung eines
Netzwerkes Gesundheitswirtschaft nach dem Vorbild der National Institutes of
Health in den USA vor.
Nach einer Besichtigung der NIH im Februar 2006 war sich Ministerpräsident Rüttgers sicher, dass auch in Nordrhein-Westfalen alle Voraussetzungen dafür gegeben
seien, „etwas Vergleichbares zu errichten“. Immerhin konzentrieren sich in Nordrhein-Westfalen drei Fraunhofer-Institute für angewandte Wissenschaften, zwei
international anerkannte Max-Planck-Institute und zwei nationale Forschungszentren auf die Medizintechnik. Von den 63 Technologiezentren hätten acht sogar eine
medizinische Ausrichtung. Mit der Medica finde zudem die weltgrößte Medizinmesse in NRW statt. Der Ministerpräsident: „Wir können das alles so vernetzen, wie es
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
die NIH in den USA machen.“1 Angelehnt (nicht kopiert, worauf das MAGS eindringlich hinweist) an die National Institutes of Health (NIH) wird deren zentrale Organisationsstruktur als legitimatorisches Modell eines Paradigmenwechsels angeführt.
Wobei die Zentralität des Organisationsmodells sich weniger auf die Institute des
NIH, als auf die sie regulierende und koordinierende zentrale Verwaltungseinheit
des Leitungsmanagements bezieht. Denn gerade die Exzellenzinitiativen, die durch
die NIH und deren Institute initiiert werden, sind klar dezentral organisiert. Die sog.
Centers of Excellence der einzelnen Institute sind mitunter über die gesamte USamerikanische Hochschullandschaft verstreut und arbeiten dennoch sehr eng und
effizient aufgrund ihrer spezialisierten Kompetenzprofile mit den Zentralen Führungsstäben zusammen, deren Aufgabe hauptsächlich in der Forschungsförderung,
Projektaufsicht und z. T. dem Projektmanagement besteht.
Das für den Gesundheitscampus ebenfalls geplante Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) würde hinsichtlich seiner Funktion und
Aufgabenstellung im Rahmen seiner zentralen Steuerungsfunktion schon eher der
Organisations- und Funktionsstruktur des Office of Director der NIH entsprechen, da
dies eine zentrale, strategische Verwaltungseinheit für alle Institute darstellt, die
weisungsbefugt die strategische Ausrichtung der NIH vorgibt. (Dachmarke, Leitprojekte, Unterstützung von Gesundheitsleistungen im internationalen Markt, Wissensund Info-Management).
Insofern ist es mehr als fraglich, ob die NIH eine Blaupause für den Gesundheitscampus darstellen sollten. Denn gerade die Zentralisierung von regionalen Ressourcen und ihre Einpassung in hierarchischen Funktionsstrukturen, wie sie für das
Office of Director ebenfalls auffällig sind, würde den bisherigen Erfolg der Regionalisierung gerade auch des LIGA.NRW konterkarieren.
Abgesehen von der Problematik, in Analogie zu den NIH ein solches Forschungsnetzwerk durch Platzierung relativ inkompatibler Forschungsinstitutionen als Gesundheitscampus zu konstituieren, ist zudem auffallend, dass im Vorfeld der Umsetzung bezüglich der Konzeption und der Realisierung überhaupt keine Konzeptarbeit
geleistet wurde. Diese müsste für das Vorhaben im Nexus mit einem konkret bestimmbaren Standort - der unter infrastrukturellen wie wirtschaftlichen Kriterien zu
1
Vgl. hierzu: Flintrop, Jens: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger, in: NordrheinWestfalen: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger. Dtsch. Arztebl. 2007; 104(14): A913 / B-815 / C-779).
15
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
analysieren wäre - ebenso auch eine SWOT Analyse beinhalten. Hinsichtlich der
geplanten Verlagerung von Einrichtungen des Gesundheitswesens wie des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wäre zudem eine Kosten - Nutzen Analyse - die die Verlagerungskosten für die Einrichtungen und die Transaktionskosten für neue Vernetzungen abbildet - dringend geboten.
Nichts dergleichen erfolgte bislang aber. Vielmehr wurde der Gesundheitscampus
quasi per „ordre de Mufti“ dekretiert und ohne ein die Realisierbarkeit prüfendes
wissenschaftliches Gutachten exekutiert.
Wäre eine solche Machbarkeitsstudie im Vorfeld erstellt worden, so wären auch die
Widersprüche und die Kontraproduktivität der gesamten Strategie frühzeitig evident
geworden, so dass man hätte zeitnah gegensteuern können. Vielleicht wäre es der
Intention einer Optimierung der Gesundheitsversorgung in NRW auch angemessener gewesen, sich strategisch anders auszurichten und statt 75 Mio. € plus Folgekosten in ein gesundheitswirtschaftlich bedenkliches Projekt zu investieren, diese
Mittel in andere infrastrukturellen Maßnahmen zur Verbesserung des ortsnahen Gesundheitswesens und des ÖGD zu investieren.
Ohne eine öffentlich zugängliche flankierende Machbarkeitsstudie und evaluierende
Begleitforschung wurde stattdessen mit dem Gesundheitscampus eine Idee in die
Welt gesetzt, die weniger dem Leitmarkt Gesundheit und der Weiterentwicklung effizienter Versorgungsstrukturen dienlich ist, als einer politisch motivierten PR-Aktion
ähnlich sieht.
Um gegenüber dem kaum vertretbaren Vorgehen der Landesregierung die Idee eines Gesundheitscampus auf eine rationale Bewertungsbasis zu stellen und sie damit wieder dem politischen Diskurs zuzuführen, werden mit diesem Gutachten, die
Konsequenzen der Zentralisierung von regional relevanten Einrichtungen des Gesundheitswesens im Rahmen des Gesundheitscampus sowohl für die Gesundheitswirtschaft als auch vor allem für das Gesundheitswesens in NRW ausgelotet.
Zugleich werden die sozial- und beschäftigungspolitischen Folgen für die von den
Verlagerungsbestrebungen betroffenen Mitarbeiter aufgezeigt. Unter dieser Perspektive sind insbesondere auch die Auswirkungen, die eine Verlagerung auf die Beschäftigung und die Wahrnehmung der Fachaufgaben, im Rahmen der Gestaltung
des öffentlichen Gesundheitswesen durch die Mitarbeiter des LIGA.NRW haben
dürfte, zu diskutieren.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Zudem steht zu befürchten, dass mit einem zentralen Standort der Koordinierung
nicht nur von Forschungs-, sondern auch von Wertschöpfungsprozessen in privatwirtschaftlicher Hinsicht, sich auch die Funktion des LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus verändern dürfte. Im Kontext der Vernetzungsstrategie des Gesundheitscampus zwischen anzusiedelnden privatwirtschaftlichen Unternehmen der
Gesundheitswirtschaft und öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens besteht die Gefahr einer Umdefinierung des Aufgabenspektrums, von der Unterstützung der Gesundheitspolitik und der Förderung von Versorgungsstrukturen und angeboten zur Verbesserung des Gesundheitswesens, also vom Auftrag des öffentlichen Gesundheitsdienstes, hin zu einer fachlichen Beratungsinstanz der Privatwirtschaft. Eine solche Umorientierung wäre ein „Supergau“ für das öffentliche Gesundheitssystem und den Versorgungsanspruch der Bevölkerung. Damit könnte LIGA.NRW seinen Kontrollfunktionen im öffentlichen Interesse nicht mehr unabhängig
nachkommen. Der Gesundheitsschutz wäre damit nur noch Makulatur.
Die ausgesprochen gesundheitswirtschaftliche Akzentsetzung mit der das Netzwerk
Gesundheitscampus seitens des MAGS begründet wird, lässt für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW insofern wenig Gutes erahnen.
Der Gesundheitscampus scheint in starkem Maße kommerziellen Interessen zu dienen. Diese richten sich nicht nur auf das LIGA.NRW, sondern ebenso auch auf die
zu gründende Fachhochschule für Berufe im Gesundheitswesen. Vordergründig argumentiert Rüttgers damit, dass die geplante Fachhochschule auch dazu diene, die
Ärztinnen und Ärzte von Aufgaben zu entbinden, „die nichts mit ihrer Ausbildung zu
tun haben“ (Rüttgers). Insofern könnte die Fachhochschule sicherstellen, dass entsprechend ausgebildete Pflegekräfte einen Teil der heute ärztlichen Tätigkeiten
übernehmen könnten. Denkbar sei es in dieser Hinsicht dabei auch, dass beispielsweise in der Wundversorgung ausgebildete Pflegekräfte Medikamente in diesem
Bereich abgeben dürften.2
Die damit eingeschlagene Richtung auf eine mögliche Verlagerung medizinischer
Leistungen aus dem originären Aufgabenportfolio der Fachmediziner auf die Ebene
der Pflegekräfte, erscheint bedenklich. Zwar würden - vordergründig betrachtet Kosten dadurch reduziert, aber inwiefern dies mit einer anspruchsvollen und sach2
Vgl. hierzu: Flintrop, Jens: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger, in: NordrheinWestfalen: Die Gesundheitsbranche als Hoffnungsträger. Dtsch. Arztebl. 2007; 104(14): A913 / B-815 / C-779.
17
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
adäquaten medizinischen Versorgung der Patienten zu vereinbaren ist, erscheint
eher zweifelhaft.
Sofern es sich jedoch bei dem Statement des Ministerpräsidenten um ein Credo für
eine Delegation von Aufgaben unter fachärztlicher Aufsicht handeln sollte, so ließe
sich dies durchaus erwägen, wobei jedoch die Grenzziehung einer solchen Delegation bei einem Aufgabenspektrum läge, das eindeutig unter ärztlichem Vorbehalt
steht. Die selbständige Verordnung von Medikamenten - wie sie Rüttgers wohl anzielt - wäre jedoch als eine eindeutig Grenzüberschreitung in Richtung auf eine
Substitution ärztlicher Aufgaben anzusehen. Diagnostik und Therapie bilden Kernkompetenzen ärztlicher Leistungen, die aufgrund entsprechender Qualifikationen
ausgeübt und nicht substituiert werden dürfen. Eine Substitution dieser Leistungen
durch Pflegekräfte dürfte weder im Sinne der Patienten, noch – unter Aspekten
möglicher Folgekosten einer Fehlbehandlung – in gesellschaftlicher Hinsicht, mit
Blick auf das Gesundheitswesen, sinnvoll und zielführend sein.
So vermittelt auch diese gesundheitspolitische Positionierung der Landesregierung vor dem Hintergrund einer durchaus brisanten gesundheitspolitischen Themenstellung - den Eindruck, dass hier eher einer ökonomischen und kommerziellen Prioritätensetzung gefolgt wird, als das ein Optimum der Patientenversorgung angezielt
wird. Diese Haltung scheint auch beim Gesundheitscampus Pate gestanden zu haben.
Insofern ist die Entscheidung für den Gesundheitscampus wohl weniger sachlich als
politisch-ökonomisch motiviert. Es spricht einiges dafür, dass hier Ressourcen vom
öffentlichen Gesundheitsdienst in die Privatwirtschaft umgeleitet werden und das
Modell Gesundheitscampus in erster Linie der Unterstützung der Profitinteressen
der privatwirtschaftlichen Anbieter in der Gesundheitswirtschaft dienen soll.
Insofern ist es dringend geboten sich einmal kritisch mit der nicht sehr aussagekräftigen Konzeptidee Gesundheitscampus zu beschäftigen, um die negativen Folgen
auf Beschäftigung und Kompetenzen im Gesundheitswesen zu verdeutlichen. Dem
wird mit dem folgenden Gutachten Rechnung getragen.
2 Methode
Das erkenntnisleitende Interesse der vorliegenden Untersuchung geht von der
Grundannahme aus, dass die Förderung der Gesundheitswirtschaft, also das Ziel,
18
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
das mit dem Gesundheitscampus seitens der Landesregierung verfolgt wird, zugleich durch eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Form des LIGA.NRW, das die Entwicklung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie der
Gesundheitsförderung und Prävention für die Bevölkerung sichert, ausbalanciert
werden muss.
Weiterhin geht die Studie davon aus, dass die wesentlichen Bedingungen einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, nämlich Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung, nur unter der Prämisse eines voll funktionsfähigen LIGA.NRW
auch tatsächlich erfüllbar sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einer
Schwächung der Leitstelle des ÖGD sowohl das Gesundheitswesen als auch die
Gesundheitswirtschaft selbst Schaden nehmen werden, da die Potenziale des LIGA.NRW sich nicht mehr voll entfalten lassen. Eine solche leistungsbeeinträchtigende Schwächung wird dadurch hervorgerufen, dass die dezentral organisierten
LIGA.NRW-Bereiche nunmehr zentral, am Standort des Gesundheitscampus Bochum konzentriert werden sollen. Dies widerspricht der derzeitigen erfolgreichen
konzeptionellen wie operativen Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW, das mit
seinen regionalisierten Standorten die Qualität der Gesundheitsversorgung flächenwirksam entwickelt.
Hinsichtlich dieser Prämissen sind die einzelnen „Objekte“ der Analyse, nämlich
Gesundheitswirtschaft, Gesundheitsregionen, regionale Gesundheitscluster, Öffentlicher Gesundheitsdienst und LIGA eingehend auf ihre spezifische Qualität, Interaktion und Wirkmächtigkeit für das Gesamtsystem Gesundheit in NRW bezüglich ihrer
Signatur und Dynamik zu untersuchen.
Um dies leisten zu können, wurden im Rahmen der Methoden der qualitativen Sozialforschung einem offenen Ansatz folgend, der aus einer Kombination dokumentarischer Interpretationsverfahren (Literatur- und Dokumentenauswertung) als Matrix
zur Analyse von Fragestellungen und Experteninterviews bestand, anhand eines
Interviewleitfadens, qualitative Interviews mit Vertretern des LIGA.NRW geführt.
Mit den Experteninterviews konnte auf einen tiefgreifenden und sachkundigen Wissensfundus der Beteiligten aus den dezentralen Standorten des LIGA zurückgegriffen werden.
Die dort gewonnen Erkenntnisse wurden in Korrelation mit Daten und statistischen
Material in einem Prozess stetigen Diskurses mit den Experten unterschiedlicher
19
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aus Arbeitnehmersicht
LIGA Bereiche und Standorte und unter Zuhilfenahme einer umfangreichen Literaturauswertung zu den relevanten Themenfelder validiert.
So wurde im Rahmen des Gutachtens statistisches Material aus den folgenden Bereichen zugrundegelegt und ausgewertet:

der bundesweiten Gesundheitswirtschaft und ihrer Branchenstruktur (zum
Marktvolumen, zur Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Branchen
und zu den Wachstumsraten der einzelnen Branchen

der Gesundheitswirtschaft in NRW und ihrer Branchenstruktur (zum Marktvolumen, zur Beschäftigungsentwicklung in den einzelnen Branchen und zu
den Wachstumsraten der einzelnen Branchen)

des Gesundheitswesens hinsichtlich der Gesundheitsregionen, die die LIGA
Standorte Bielefeld und Münster und deren Netzwerke betreffen

des ÖGD

des Landes NRW

Der Gesundheitsregionen und Kompetenzstandorten der Gesundheitswirtschaft im Hinblick auf die LIGA - Standorte hinsichtlich deren spezifischer
Struktur (Spezialisierung der Geschäftsfelder, Anzahl der Unternehmen und
Einrichtungen und deren Mitarbeiter, Bedeutung der Wertschöpfung des
Standortes im Rahmen der regionalen Gesundheitswirtschaft, Angabe der
Beschäftigungssegmente, der Forschungsinstitutionen, der Clusterbeschaffenheit, der Netzwerkakteure )
Auf dieser Grundlage wurden dann die Befunde zur Gesundheitswirtschaft und zum
Gesundheitswesen mit der Perspektive auf den ÖGD im Allgemeinen und das LIGA.NRW im Besonderen erneut an den im Rahmen der Literaturrecherche gewonnenen Daten und Darlegungen zur allgemeinen Situation des Gesundheitssektors in
NRW gespiegelt, um die Plausibilität der Kritik, die im Rahmen dieses Gutachtens
geleistet sowie der diskutierten Handlungsempfehlungen, die aufgezeigt werden,
sicherzustellen.
Als Quellen fungierten:

G.I.B.

Institut Arbeit und Technik
20
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen

LIGA.NRW

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, NRW,

Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW,

Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie NRW

Presseberichte (Printmedien und Internetmedien)

Statistisches Bundesamt

Verbands - und Branchenmagazine (der privaten Krankenkassen, GKV, der
Medical Health Care Industries)

WHO (World Health Organization)

Wissenschaftliche Publikationen der Hochschulen und Universitäten aus den
Bereichen Gesundheitswissenschaften , Publik Health, Gesundheitsmanagement.
3 Die Gesundheitswirtschaft und das Gesundheitswesen als
bundesweiter Wachstumsmotor
Wenn von der Gesundheitswirtschaft im Allgemeinen und vom Gesundheitswesen
im Besonderen die Rede ist, so stellt sich in der Öffentlichkeit ein häufig unscharfes
bis ambivalentes Bild dieser Branche ein.
Einerseits wird mit dem Gesundheitswesen - womit der erste Gesundheitsmarkt
gemeint ist, also all jene Dienstleistungen und Produkte der klassischen stationären
und ambulanten Akutversorgung, der Altenhilfe sowie der Gesundheitsverwaltung
und dem Gesundheitssektor mit seinen öffentlichen Leistungsträgern (Öffentlichen
Gesundheitsdienst), die von den Kassen und der öffentlichen Hand getragen werden - in der öffentlichen Meinung wie auch in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung auf der politischen Handlungsebene, oftmals nur die Kostenseite in geradezu betriebswirtschaftlicher Verengung der Sichtweise assoziiert. Diese ist - und
dies zeigen die Auseinandersetzungen um ein leistungsgerechtes und finanzierbares Gesundheitssystem - geradezu prädestiniert, einen Rückzug des Staates aus
21
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Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
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den Sozialversicherungssystemen vermeintlich argumentativ überzeugend abzusichern.
Mithin wird das Gesundheitswesen als wesentlicher Kernbereich der Gesundheitswirtschaft sozialpolitisch wie auch wirtschaftspolitisch als bloßer Kostentreiber denunziert. Die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen wurden in kaum einer
politischen Diskussion nicht als problematisch für die Staatsquote wie auch belastend für die Privatwirtschaft und nicht zuletzt für jeden einzelnen Versicherten gegeißelt. Betriebswirtschaftliche Sichtweisen von sozialen Kostenfaktoren, die angeblich die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland mindern würden, machen
deswegen sowohl in den Medien, an den Stammtischen der Nation, wie auch in den
politischen Parteien und auf der Ebene der verantwortlichen politischen Akteure die
Runde.
Andererseits jedoch setzt sich allmählich eine realistischere und die ideologischen
Scheuklappen vor der Ausgabenseite des Gesundheitswesens mindernde Betrachtungsweise in Fachkreisen durch. Obgleich nach wie vor bei den politisch verantwortlichen Akteuren des Gesundheitssystems auf Bundes- wie auf Landesebene ein
gelinder Horror vor der Kostenseite des Gesundheitswesens vorherrschend zu sein
scheint, da die „Angst dominiert, die Kosten für die Gesundheit würden mittel- und
langfristig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ersticken und müssten deshalb
nachhaltig eingedämmt werden“, lässt sich diese Sichtweise aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsdaten gerade auch des Gesundheitswesens als dem
eigentlichen Kernbereich der Gesundheitswirtschaft kaum noch halten.3
Eine stetig wachsende Zahl an Wissenschaftlern, Beratern und im Gesundheitssystem selbst tätigen Akteuren sieht nicht nur den Kostenfaktor, sondern auch den Ertragsfaktor im Rahmen einer volkswirtschaftlich angemesseneren Betrachtungsweise von gerade auch öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen.
Erst allmählich setzte sich über die ideologischen Gräben und die politischen Frontstellungen hinsichtlich der öffentlichen Ressourcenzuweisung eine adäquatere,
volkswirtschaftlich geleitete Sichtweise auf das Gesundheitswesen durch. Die Kosten für die Gesundheit werden nunmehr auch als erforderlicher Input für die Sicherstellung von Beschäftigung in anderen Wirtschaftsbereichen sowie als entscheiden3
Vgl. hierzu: Josef Hilbert Gesundheitswirtschaft - Innovationen für mehr Lebensqualität als
Motor für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit, IATG 2007, auf: www.iatge.de/ aktuell/veroeff/jahrbuch/ jahrb07/02-hilbert.pdf .S.2.
22
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
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der Faktor für wirtschaftliches Wachstum und die Förderung von Unternehmen wie
auch der Beschäftigungsentwicklung begriffen. Denn das Gesundheitswesen wie
auch die begriffslogisch umfassendere Gesundheitswirtschaft, haben sich mittlerweile - über alle Kostendiskussionen hinweg -aufgrund ihrer enormen Wertschöpfung - als die wohl wirtschaftlich relevanteste, zukunftsfähigste Branche in der Bundesrepublik erwiesen. Die Gesundheitswirtschaft im Ganzen kann aufgrund ihrer
hohen Innovations-, Wachstums- und Beschäftigungspotenziale als der entscheidende Zukunftsmarkt oder anders ausgedrückt als der Leitmarkt der künftigen Jahrzehnte betrachtet werden.
Dieser Sachverhalt ist in Richtung auf den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft,
das Gesundheitswesen, noch um einen Aspekt zu vertiefen. Wenn in Folgendem
von der Wachstumskraft der Gesundheitswirtschaft im Ganzen die Rede ist, so ist in
dieser Hinsicht zu akzentuieren, dass das klassische Gesundheitswesen – finanziert
hauptsächlich über die Leistungsebene der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen - in diesem Wachstumskontext ebenso Schubkraft entwickelt und keineswegs - wie noch behauptet -als Bremsklotz fungiert. Zwar ist in den letzten Jahrzehnten eine Steigerung der Gesundheitsausgaben in Deutschland analog der Ausgabensteigerung für Gesundheitsdienstleistungen in allen postindustriellen Gesellschaften, sei es in den USA, Japan, Australien und Mitteleuropa, erfolgt, aber diese
Gesundheitsausgaben in Höhe von ca. 245 Mrd. € in 2006 bilden nur die eine Seite
der in das soziale Sicherungssystem transferierten Mittel ab.4
Das andere Moment des Kostenfaktors ist der Nachfragefaktor nach Dienstleistungen und Produkten, die über das Gesundheitswesen im engeren Sinne hinausweisen. Mit den Ansprüchen an ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem wird
sowohl im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft Nachfrage nach Dienstleistungen
und Produkten der Leistungserbringer in der direkten medizinischen Versorgung
(Gesundheitseinrichtungen und freiberufliche, niedergelassene Ärzte, Apotheken
etc.), realisiert als auch in den nachgelagerten Branchen der Zulieferindustrie, also
der industriellen Marktteilnehmer. Dies sind in erster Linie die Pharma- und Medikalprodukteindustrie, die Hersteller von Großgeräten, die Anbieter von medizinischer Informationstechnologie, die Dienstleister für Logistik und für sonstige Mehrwertleistungen („value added services“). Der Kostenfaktor Nachfrage schafft somit
4
Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2008), Gesundheit: Ausgaben 1995 bis
2006.Wiesbaden.
23
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
auf allen Ebenen einen ständig wachsenden Mehrwert, so dass gerade auch für den
klassischen Kernbereich also den sog. 1. Gesundheitsmarkt eine überaus positive
Wachstums- und Beschäftigungsdynamik diagnostiziert werden kann. So stieg
nachfragebedingt 2007 auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
im Gesundheitsbereich von 3,79 auf 3,87 Millionen, ein Plus von insgesamt 2,1 Prozent, während die Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft um 0,4 % zurückging.
Einschränkend ist jedoch auch zu sehen, dass ein Teil der Beschäftigungseffekte im
Gesundheitsmarkt durch die Substitution von Vollzeit- in Teilzeitstellen erfolgt ist.
„So wuchs der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in den letzten fünf Jahren um 4 Prozentpunkte auf 30,2 Prozent, die entsprechenden Anteile in der Gesamtwirtschaft
sind lediglich um knapp 2 Prozentpunkte von 15,9 Prozent im Jahr 2003 auf 17,8
Prozent im Jahr 2007 gewachsen.“5
Hieran wird deutlich, dass die Gesundheitsausgaben in gravierendem Maße beschäftigungsinduzierend sind. Überdies ist es die Nachfrage nach einer Vielzahl von
Leistungen, die die Innovationsprozesse im High-Tech Sektor der Medikalproduktehersteller wie auch in der Pharmaindustrie induzieren. Ohne Nachfrage aus dem 1.
Gesundheitssektor könnten sich die Potenziale der industriellen Zulieferer kaum entfalten. Aus diesem Grunde ist es auch abwegig, den klassischen Bereich des Gesundheitswesens nur als Kostenfaktor zu interpretieren. Zwar sind die öffentlich finanzierten Bereiche des Gesundheitswesens kostenintensiv, aber auch ebenso
makroökonomisch betrachtet, vermittelt über die Wertschöpfungskette des Gesundheitssystems für eine Vielzahl von Branchen mehrwertschaffend.
Dieser Zusammenhang zeigt auch, dass eine Dichotomisierung von Gesundheitswesen als Kostenfaktor und Gesundheitswirtschaft als Erfolgstreiber ebenso wenig
den Realitäten gerecht wird, wie die ambivalente Etikettierung des Verhältnisses
von Gesundheitswesen und Industrie, der zur Folge das öffentlich finanzierte Gesundheitswesen als ökonomischer Belastungsfaktor und das Leistungsspektrum des
gesamten Vorleistungs- und Zuliefererbereiches als ein gewinnbringender Erfolgsfaktor betrachtet wird.
5
Dahlbeck E. / Hilbert J.: Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen
Vergleich. Internet-Dokument. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschung Aktuell,
Nr. 06/2008;Andreas J. W. Goldschmidt, Josef Hilbert: Von der Last zur Chance - Der Paradigmenwechsel vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft, in: Andreas J.W. Goldschmidt und Dr. Josef Hilbert (Hrsg.); Gesundheitswirtschaft. Gesundheitswirtschaft in
Deutschland Die Zukunftsbranche, Wegscheid 2009.
24
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
Vielmehr gehören diese beiden Seiten untrennbar zusammen, so dass es sachlich
gerechtfertigt ist, von der Gesundheitswirtschaft in einem umfassenderen Sinne zu
sprechen.6
Wenn also von der Gesundheitswirtschaft die Rede ist, so ist damit weit mehr gemeint als das Gesundheitswesen im begrifflich engeren Sinne, bestehend aus den
Dienstleistern Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken. Wie begrifflich umfänglich die
Kategorie Gesundheitswirtschaft, also der Umfang ihrer gesamten Wertschöpfung
tatsächlich ist, lässt sich an dem sog. „Zwiebelmodell“, wie es vom Institut Arbeit
und Technik (IAT) entwickelt wurde, transparent machen:
Hieran wird deutlich, dass die Gesundheitswirtschaft weit mehr umfasst als den
„Kernbereich der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung mit den personal- und beschäftigungsintensiven Dienstleistungsbereichen in Krankenhäusern,
Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, den freien Arztpraxen, den Praxen
6
Vgl. hierzu: Andreas J. W. Goldschmidt, Josef Hilbert: Von der Last zur Chance - Der Paradigmenwechsel vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft, in: Andreas J.W.
Goldschmidt und Dr. Josef Hilbert (Hrsg.); Gesundheitswirtschaft. Gesundheitswirtschaft in
Deutschland Die Zukunftsbranche, Wegscheid 2009.
25
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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nichtärztlicher medizinischer Berufe, Apotheken sowie den stationären, teilstationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen.“7
Zur Gesundheitswirtschaft zählen darüber hinaus die Marktsegmente Vorleistungsund Zulieferindustrien sowie insbesondere die Nachbarbranchen und Randbereiche,
„welche den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft - das Gesundheitswesen im
engeren Sinne - mit Angeboten aus anderen Bereichen des Dienstleistungssektors
(Gesundheitstourismus, Wellness oder gesundheitsbezogene Sport- und Freizeitangebote, Wohnen) wie des Produzierenden Gewerbes (Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe, Analysetechnik) verknüpfen und ergänzen.“8
Hierbei ist zu sehen, dass die verschiedenen Segmente vielfach in enger Vernetzung miteinander kooperieren und somit ihre Wertschöpfung erhöhen.
Wie viele Branchen und Dienstleistungssektoren mittelbar und unmittelbar im Sinne
gewerblicher Dienstleistungen dem Unternehmenszweck der Vorbeugung und Gesundwerdung bzw. Gesunderhaltung verbunden sind, zeigt das folgende Schaubild9
:
7
Koordinierungsstelle MedEcon Ruhr (Hrsg.): Gesundheitsmetropole Ruhr. Wachstumschancen und Entwicklungsperspektiven der Gesundheitswirtschaft. Bochum/Gelsenkirchen
2005, S.3.
8
Ebenda.
9
Quelle: Wirtschaftministerium Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.): Zukunftsbranche Gesundheitswirtschaft. Zur wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Entwicklung in den
Bereichen der Gesundheitswirtschaft, des Tourismus / Gesundheitstourismus sowie der Ernährungswirtschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin Juni 2003, S.5.
26
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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Aus dem bisher Dargestellten lässt sich der oben angedeutete Begriff der Gesundheitswirtschaft nun umfassender skizzieren. Er umfasst alle Aktivitäten, die der Erstellung und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen sowie der Bewahrung
und Wiederherstellung von Gesundheit dienen. Insofern schließt die Gesundheitswirtschaft auch wesentliche Teile der Seniorenwirtschaft mit ein.
Auch in diesem wichtigen Segment der Gesundheitswirtschaft wird seitens der Politik in erster Linie die hohe Ausgabenseite für die „Alterslast“ der Gesellschaft beklagt. Dass diese Klage nicht unbedingt von makroökonomischen Verständnis geleitet ist, wird auch daran deutlich, dass die Interessen und Bedürfnisse der wachsenden Zahl der Personen über 65 Jahre (Anstieg der Anzahl der über 65 Jährigen bis
2050 von 15,9 auf 22,9 Millionen laut Statistischen Bundesamt) nicht begrifflich mit
den dadurch zwangsläufig ausgelösten Wachstumsprozessen korreliert wird. Der
Bedarf an Gesundheitsprodukten und gesundheitsrelevanten Dienstleistungen von
der Medizintechnik über Kranken- und Pflegeleistungen, hin zum Wellness- und
Freizeitsegment bis in die Bauausstattung hinein, impliziert ein enormes Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Aufgrund des medizinischen Fortschritts und
einem Bewusstseinswandel hin zu einer gesundheitsorientierten Lebensweise gelingt es immer mehr Personen dieser Altersgruppe, die Pflegebedürftigkeit in ein
späteres Lebensstadium zu verlagern. Zwar wird auch aufgrund des stetig steigenden Lebensalters die Zahl der Hochbetagten, die pflegebedürftig werden, ansteigen,
27
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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allerdings bedeutet dies für das Kernsegment der Gesundheitswirtschaft ebenfalls
einen bedeutenden Wachstumsschub. So ist bis 2020 mit zusätzlich 130.000 Beschäftigten allein im Altenhilfebereich zu rechnen. „Somit wird der Altenhilfebereich,
was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, ein Aktivposten im Arbeitsmarkt bleiben.“10
Angesichts der Vielzahl der sich im Wertschöpfungsprozess koordinierenden Branchen und Geschäftsfelder, lässt sich abschätzen, dass der Gesundheitswirtschaft
das Potenzial innewohnt, für die kommenden Jahrzehnte zu einer ökonomischen
Megabranche zu avancieren.
Die aktuellen Fakten sprechen für sich. Mit einem Anteil von 12 Prozent am Bruttosozialprodukt trägt die Gesundheitswirtschaft stärker als jede andere Branche zu
Arbeitsplätzen, zu hochmodernen Dienstleistungen und technologischen Spitzenentwicklungen bei.
Es ist - folgt man den Trends der letzten Jahre - davon auszugehen, dass sich das
derzeitige Beschäftigungsvolumen im Sektor Gesundheitswirtschaft von derzeit 4,6
Mio. Beschäftigten in den kommenden Jahren - bis 2020 - auf mehr als 5,3 Mio. Beschäftigte erhöhen dürfte. Derzeit setzt die gesamte Branche 260 Mrd. € um.
Von den ca. 4,6 Mio. Beschäftigten sind etwa 82 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 12 Prozent ausschließlich geringfügig Beschäftigte sowie 6 Prozent
Selbstständig.11
10 Prozent aller Unternehmensgründungen in der Bundesrepublik entfallen mittlerweile schon auf die Gesundheitswirtschaft.
Einen wesentlichen Motor dieser Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung stellt
die gestiegene Nachfrage nach Gesundheitsprodukten und Dienstleistungen im Inland dar.
Absehbar - aufgrund der global gestiegenen Nachfrage nach Gesundheitsprodukten
- ist jedoch auch, dass ein weiterer Wachstumsschub für die deutsche Gesundheitswirtschaft von Märkten außerhalb der EU Mitgliedsstaaten ausgehen wird. Das
Nachfragepotenzial nach Gesundheitsdienstleistungen und -produkten im engeren
Sinne seitens der Schwellenländer wird weiter zunehmen. Angesichts des Renom10
Goldschmied/Hilbert 2009, a. a. O.,S. 29.
Quellen: Elke Dahlbeck, Josef: Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen Vergleich, in: FORSCHUNG AKTUELL. Ausgabe : 6/2008; Pressemitteilungen des
IAT v. 6.7.2007 u. 8.8.2007.
11
28
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mees deutscher Medizin und dies verweist eindeutig auf die Praxisbereiche des 1.
Gesundheitsmarktes, bestehen hier weitere Marktchancen, die ergriffen und ausgebaut werden können, sofern schon jetzt Partnerschaften auf der medizinischen Versorgungsebene mit medizinischen Institutionen in Schwellenländern eingegangen
werden. Der Aufbau von Versorgungsnetzwerken, die gemeinsame Planung und
Betreibung von Klinikeinrichtungen, wie sie fortschrittliche Kliniken in der Bundesrepublik gegenwärtig anbahnen, sind Schritte zur gezielten Marktpositionierung der
Gesundheitswirtschaft in neuen Märkten. Strategien, die zu einer „win - win“ Situation für die Schwellenländer einerseits und die an der Entwicklung der neuen Märkte
andererseits beteiligten Akteure, wie Pharmaunternehmen, Medizintechniker, Unternehmensdienstleister der Branche und die Krankenhäuser selbst führen werden.
Dieses Beispiel belegt das enorme Kreativ- wie Wachstumspotenzial, das der Branche innewohnt.
Hinsichtlich des bundesweiten Marktes unterstreicht das Gründungsgeschehen die
ungebrochene Dynamik der Branche. Die Unternehmensgründungen verteilen sich
auf unterschiedlichste Geschäftsfelder, die von den Arztpraxen und der Medizintechnik über Pflege und Fitness bis zu den besonders innovativen und stark wachsenden haushaltsnahen Diensten reichen. Hier besteht der Wachstumstreiber der
Gesundheitswirtschaft in der Altersstruktur der Gesellschaft. Die wachsende Zahl
älterer Menschen in der Bundesrepublik schafft so einen weitverzweigten Markt
haushaltsnaher Dienstleistungen, die von Putzdiensten, Essen auf Rädern, Kleinstreparaturen bis hin zu Betreuungs- und Begleitungsangeboten reichen. Mit diesem
Marktsegment bildet sich ein Zukunftsmarkt mit enormem Wachstumspotenzial heraus.
Es lässt sich feststellen, dass unter dem Parameter der Umsatzentwicklung die Gesundheitswirtschaft mit der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer vergleichbar ist,
allerdings ist sie hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung der Automobilindustrie
als einer der Leitindustrien der Bundesrepublik bei weitem überlegen.
Überdies lässt sich weiterhin feststellen, dass aufgrund der hervorragenden Wachstumsprognosen für die Gesundheitswirtschaft, bedingt durch das wachsende Interesse an gesundheitsbezogenen Produkten und Dienstleistungen, die fundiert sind in
einem ausgeprägten Gesundheitsbewusstsein, die Gesundheitswirtschaft gegenüber der Automobilindustrie in den kommenden Jahrzehnten der Beschäftigungsgewinner sein wird. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der gesamte
29
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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Komplex der Life Sciences und der Zukunftstechnologien (Nanotechnologie, Molekularbiologie, Materialwissenschaften) schon heute sein Innovationspotenzial - stimuliert durch eine gesteigerte Nachfrage nach Hightech Anwendungen - im Gesundheitssektor nachhaltig entfalten kann.
Eine solche kostenintensive Nachfragesteigerung darf jedoch nicht zum Nachteil
des Gesundheitswesens und der Versicherten erfolgen.
Denn es ist auch zu bedenken, dass die Ausgaben im Gesundheitssektor nicht zu
Lasten der öffentlichen Hand, der Sozialversicherungssysteme, der Wirtschaft und
der Versicherten unbegrenzt wachsen können. Aus diesem Grunde ist mehr Effizienz ohne eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung zu tangieren und eine
kreative Gestaltung der Marktsegmente durch die Gesundheitsakteure am Markt
gefordert. Dies kann in Form von Prozessoptimierungen in den Kernbereichen der
medizinischen Versorgung (die allerdings nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen
darf, was auch dem Grundsatz der Qualität zuwiderlaufen würde) oder der Ressourcenoptimierung und Diversifizierung von Geschäftsfeldern am Gesundheitsmarkt zur
Refinanzierung von Kernleistungen und dem operativen Geschäft geschehen. Modelle für diese Variante bieten beispielsweise im Klinikbereich die Konzepte der Gesundheitszentren mit ihrer Ressourcenoptimierung durch Vernetzung von Sach- und
Dienstleistungen sowie die Ausweitung von Geschäftsfeldern im Segment Medical
Wellness.
Überdies ließen sich erhebliche Einsparmöglichkeiten im Kernbereich der medizinischen Versorgung dadurch realisieren, dass privatwirtschaftliche Gewinnoptimierungsstrategien, die jenseits des medizinisch Notwendigen angesiedelt sind, unterbunden sowie überbürokratisierte, überregulierte Strukturen für Verwaltung und
Kontrolle, die auf allen Ebenen die Prozesse des Leistungsaustausches und der
entsprechenden Äquivalente unter den Akteuren des Gesundheitssystems, also den
Gesundheitseinrichtungen und ihren Trägern, den niedergelassenen Ärzten und ihren Vertretungen sowie den Krankenkassen und nicht zuletzt die Patienten belasten, abgeschafft werden. Diese nicht erforderlichen, kontraproduktiven Overheadkosten auf allen Ebenen des Systems binden und verschleudern Ressourcen, die im
Leistungssektor des Gesundheitswesens sinnvoller, d.h. konstruktiver und produktiver eingesetzt werden könnten. Wissenschaftlich belegt sind hier erhebliche Einsparpotenziale für Aufwendungen der Verwaltung, der Vertragskommunikation, der
Qualitätssicherung, der rivalisierenden Interaktion oder der Gewinnoptimierung.
30
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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„Es ist vor diesem Hintergrund ein realistisches Ziel, die Aufwendungen für die zu
„fetten“ Overheadprozesse von 70 Mrd. Euro im Gesundheitswesen um 30 % bis 50
% zu verschlanken. Damit stünden dann 20 bis 35 Mrd. Euro als freie Ressource
zur Verfügung. Oder anders ausgedrückt „Eine schlanke Verwaltung und eine offene Kommunikation im Gesundheitswesen investieren die vorhandenen Ressourcen
in die primäre Wertschöpfung und sparen Overheadkosten maximal ein.“12
Sofern also dem originären Prozess gesundheitlicher Wertschöpfung im Rahmen
der gesundheitswirtschaftlichen Leistungserbringung die entsprechenden systemimmanenten finanziellen Ressourcen zugeführt werden, lassen sich auch die entsprechenden Wachstumsprozesse generieren.
Hierfür steht auch ein wesentlicher Bereich der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung. Es handelt sich um die Prävention im Gesundheitsbereich sowie um die
Einführung von präventiven Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheits- und Arbeitsschutzes. In Anbetracht der Tatsache, dass 234 Milliarden Euro für
die medizinische Reparatur gesundheitlicher Schäden ausgegeben werden, ist es
unter dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Nutzung der vorhandenen Ressourcen
weitaus sinnvoller, hier auf präventive Maßnahmen der Gesundheitsförderung zu
setzen. Allerdings ist der präventive Bereich innerhalb der Gesundheitswirtschaft
seit langem unterfinanziert. Da bislang eindeutige gesetzliche Regelungen zur Prävention fehlen, bleibt es weiterhin dabei, „dass allein die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) den vorgegebenen Betrag für "Engagement in der Prävention und Gesundheitsförderung" von Euro 2,74 pro Jahr und Versichertem (SGB V, § 20) ausgeben werden. Das sind zirka 0,2 % der GKV-Gesamtausgaben - völlig unzulänglich
für eine wirksame, breit angelegte Gesundheits-Vorsorge.“13
Allerdings ist im Bereich der Prävention einschränkend zu sehen, dass neuere Studien nicht eindeutig belegen, dass die Gesundheitskosten durch präventive Maßnahmen gegenüber kurativen Maßnahmen reduziert werden können.14
Hingegen sind - selbst unter dem Aspekt einer Kostenneutralität beim Vergleich beider Gesundheitsstrategien - präventive Maßnahmen immerhin so effizient, dass sie
12
Huber, Ellis: Leitbild zu einer nachhaltigen Gesundheitsreform in der Bundesrepublik
Deutschland. O. O. 2006, S.9.
13
Quelle: ddp direkt, 2008.
14
Vgl. Joshua T. Cohen, Ph.D., Peter J. Neumann, Sc.D., and Milton C. Weinstein, Ph.D.:
Does Preventive Care Save Money? Health Economics and the Presidential Candidates, in:
The New England Journal of Medicine, Volume 358:661-663 February 14, 2008 Number 7.
31
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die Lebenserwartung in allen OECD-Ländern bei Geburt um beinahe 3 Jahre verlängern helfen.15
Um hier Optimierungseffekte gerade auch im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu generieren, ist es sinnvoll, zum einen den Leistungskatalog der GKV
um die Kategorie Prävention in erheblichem Umfange (gegenüber den derzeitigen
Aufwendungen) zu erweitern, wobei die freiwerdende Mittel aus dem Lean Management im Overheadkostensektor zu investieren sind. Zum anderen reicht die Zufuhr finanzieller Ressourcen allein nicht aus, um zum einen im öffentlichen Gesundheitssektor präventive Maßnahmen effizient zu verankern und zum anderen die gesamte Versorgungsinfrastruktur zukunftsfähig zu entwickeln. Dazu bedarf es eines
erheblichen Inputs an strategischem Wissen hinsichtlich der operativen Umsetzung
von organisatorischen Maßnahmen und Versorgungsangeboten. Eine solche bundesweite wie auch regional verankerte qualitative Veränderung des Gesundheitssektors muss flankiert werden durch das Know-how unabhängiger wissenschaftlicher und beratender Einrichtungen wie in NRW dem LIGA.NRW, das schon seit
langem (über seine Vorläufer LÖGD und LAfA) regional positioniert und im Rahmen
seiner Aufgabenwahrnehmung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die Qualität
des Gesundheitswesens nachhaltig und hochkompetent entwickeln hilft. Dies erledigt es im Rahmen seiner fachlichen Begleitung der Gesundheitspolitik bei Fragestellungen der Gesunderhaltung der Bevölkerung, also der Prävention und Gesundheitsförderung, der Gesundheitsberichterstattung, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arzneimittelpolitik und des Gesundheitsmanagements.
Ohne eine Zufuhr dieser Know-how Ressourcen, wie sie das NRW Landesinstitut
für Gesundheit und Arbeit in seiner vielfachen regionalspezifischen Vernetzung mit
wissenschaftlichen Dienstleistern (Universitäten und Fachhochschulen an den
Standorten des LIGA.NRW) leistet, lassen sich präventive Maßnahmen wie auch
Veränderungsprozesse der Organisation des Gesundheitswesens im Sinne der
Kunden/Patienten gesundheitspolitisch nur unzureichend umsetzen. Daran zeigt
sich die Notwendigkeit von öffentlichen Leistungen, wie sie der Öffentliche Gesund15
Vgl. hierzu: Braun, Bernard: Verbesserung von Prävention wirkt sich stärker auf Lebenserwartung aus als erhöhte Ausgaben für medizinische Versorgung, auf: www.forumgesundheitspolitik.de 24.2.09 sowie: Isabelle Joumard, Christophe André, Chantal Nicq, Olivier Chatal Joumard, I. et al.: Health Status Determinants: Lifestyle, Environment, Health
Care Resources and Efficiency (OECD Economics Department Working. Papers, No. 627)
2008.
32
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aus Arbeitnehmersicht
heitsdienst, bzw. das LIGA.NRW mit seinem Kompetenzprofil und seinen Erfahrungen hinsichtlich der Ausrichtung und Justierung des Gesundheitssystems bezüglich
der Gesundheitsvorsorge und -versorgung zuführt. Nur so lassen sich nicht nur im
Hinblick auf die Prävention und Gesundheitsförderung im Interesse der Allgemeinheit, sondern auch - wirtschaftsrelevant - Inputs für die Schaffung alternsgerechter
betrieblicher Arbeitsplätze zum Erhalt der Lebensqualität und der Arbeitsfähigkeit
der Beschäftigten vermitteln. Denn angesichts der demographischen Entwicklung ist
der Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und damit die friktionslose Bereitstellung und Allokation des Produktivfaktors Arbeit eines der entscheidenden Zukunftsthemen der Standortsicherung. (Vgl. zur strategischen Relevanz dieser Aufgabe Zentrum für Gesundheit in der Arbeit GVP 2.2.1.1).
Insofern avancieren Prävention und Gesundheitsförderung, gerade auch mit Blick
auf die Teilsegmente gesundheitsfördernder Maßnahmen in der Kindheit sowie der
Förderung von Beschäftigungsfähigkeit auf der Grundlage einer präventiven Gestaltung der Arbeitswelt zu den mittlerweile gesellschaftlich wie auch ökonomisch relevantesten Handlungsbereichen des öffentlichen Gesundheitswesens. Denn Investitionen in diesem Segment reduzieren - bezogen auf den Zeitrahmen der Erwerbstätigkeit von Beschäftigten - nicht nur Kosten für die Sozialsysteme, sondern, indem
sie zu einer Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit beitragen, stärken sie auch
die Produktivität der Wirtschaft. Denn der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch
ein gesundheits- und alternsorientiertes Beschäftigungssystem dürfte in den kommenden Jahren zu einem erstrangigen Wettbewerbsfaktor in globalen Märkt werden. Ein solchermaßen gestaltetes Arbeitssystem sichert aber nicht nur die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auf der Grundlage alternsgerechter Arbeitsplätze und
zunehmend präventiver Maßnahmen, sondern schafft auch ein erhebliches Maß an
Lebensqualität im Alter.
Um ein solches fortschrittliches Beschäftigungssystem künftig zu gewährleisten, bedarf es eines institutionalisierten Wissenstransfers in die Gesundheitswirtschaft und
in die Politik. Wobei der Akzent auf einer objektiven Datenerhebung und Information
sowie einer unparteiischen Berichterstattungs- und Beratungstätigkeit gegenüber
partikularen Eigeninteressen der gesundheitswirtschaftlichen Akteure und der ihnen
assoziierten privatwirtschaftlichen Unternehmen liegt. Die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit kann demnach nur fundiert sein in der fachlich überlegenen Kompe-
33
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
tenz und der Unabhängigkeit einer solchen Institution gegenüber Auftraggebern, wie
auch Adressaten des Leistungsspektrums.
Mit dem Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen
(LIGA.NRW) hat NRW eine solche für das öffentliche Gesundheitswesen unverzichtbare und bundesweit wie auch international hochrenommierte Institution vorzuweisen, deren Effektivität und Effizienz jedoch davon abhängt, inwiefern es ihr auch
unter dem Einfluss zunehmender gesundheitswirtschaftlicher Themenstellungen,
also auch privatwirtschaftlicher Verwertungsinteressen gelingt, ihre wissenschaftliche wie handlungspraktische Unabhängigkeit zu bewahren. Nur auf einem solchen
Status ist es möglich - im Rahmen der Wahrnehmung von Fachaufgaben - wesentliche Erkenntnisse und verlässliche Bewertungen zu den gesellschaftlich relevanten
Fragen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes dem System beizusteuern.
Insbesondere lassen sich nur unter einer solchen unabdingbaren Prämisse verstärkt
jene wissenschaftlichen Ressourcen und jenes Know-how als Input zur Gestaltung
der oben aufgezeigten gesellschaftlich bedeutsamen Themenfeldern beisteuern, die
zu den Kernaufgabengebieten des LIGA.NRW gehören, nämlich zum Arbeitsschutz,
der präventiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsförderung von
Kindern und Jugendlichen sowie der Gesundheitsberichterstattung und zur Arzneimittelsicherheit.
Wie entscheidend eine solche Institution zur politischen Informationsbeschaffung
und zur Steuerung der Entwicklung des Gesundheitssektors ist, und welche Gefährdungen unter dem Druck gesundheitswirtschaftlicher Interessenlagen und einer
strukturellen Depotenzierung in Ausrichtung und Organisation des LIGA.NRW für
seine Aufgabenwahrnehmung bestehen, wird noch Thema der weiteren Erörterung
sein. An dieser Stelle bleibt festzustellen, dass gesundheitspolitische Weichenstellungen ohne eine hochkarätige Beratungsinstitution wie dem LIGA.NRW kaum möglich sind.
4 Gesundheitswirtschaft und das Gesundheitswesen in
Nordrhein-Westfalen
Die ungebrochene Prosperität der Branche dokumentiert sich auch und gerade im
bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Seit Mitte der 90er Jahre hatte sich auch
hier, angestoßen seitens der Wissenschaft, eine veränderte Einstellung gegenüber
34
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
dem Gesundheitssektor entwickelt. Vor allem auf regionaler Ebene wurde schon
frühzeitig erkannt, dass das Gesundheitswesen nicht nur kosteninduzierend ist,
sondern auch wachstumsfördernd wirksam werden kann.
NRW partizipiert an der überaus positiven bundesweiten Entwicklung des gesamten
Leitmarktes Gesundheit sowie seiner relativen Krisenstabilität in einem hohen Maße.
So arbeiten in NRW gegenwärtig mehr als 1. Mio. Arbeitnehmer (1.034.155 Beschäftigte) in der Gesundheitswirtschaft, die einen Umsatz von 52,4 Milliarden Euro
generieren. Dies sind mehr als 15 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
in ganz NRW, wobei die bisherige Wachstumsdynamik zugrundegelegt, seitens der
Landesregierung und des MAGS, ein Zuwachs an Beschäftigung von ca. 200.000
Arbeitsplätzen bis 2017 prognostiziert wird. Allerdings ist diese euphorische Erwartung zu relativieren, denn die Konzentrationsprozesse im Krankenhausbereich und
das Krankenhaussterben bedingen erhebliche Rationalisierungs- und Freisetzungspotenziale im Personalwesen, so dass der Realitätsgehalt dieser Prognose mehr als
zweifelhaft sein dürfte.
Immerhin lässt sich belegen, dass in den vergangenen sechs Jahren die Anzahl der
Beschäftigten um mehr als acht Prozent stieg. Die Gesundheitswirtschaft ist somit
der bedeutendste Arbeitgeber des Landes, laut Wirtschaftministerin Christa Thoben.
Während in den Jahren 2003 bis 2007 die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen um insgesamt 1,2 Prozent zurückging, nahm
die Zahl der Beschäftigten in der Gesundheitswirtschaft um 1,9 Prozent zu.
Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bereichen der Gesundheitswirtschaft ergibt
sich folgendes Bild vom Gesundheitssektor NRW:
So arbeiten derzeit in der stationären/teilstationären Versorgung 332.359 Menschen, in der ambulanten Versorgung 263.284. In der stationären/ambulanten Altenhilfe sind 165.512 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ausgewiesen, im
Gesundheitshandwerk arbeiten 41.439 Spezialisten. Die Zahlen zur Beschäftigungsentwicklung für das Jahr 2006 zeigen, dass die Gesundheitswirtschaft auf ihrem Beschäftigungs- und Wachstumskurs bleibt. So wurden für das betreffende
Jahr in Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern 3,93 Millionen Fälle
35
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
mit einem Budgetvolumen von 13,19 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Prognose für
2020 geht von einem Zuwachs der Fälle um 7,4 Prozent aus.16
Diese Projektion eines solchen Beschäftigungszuwachses lässt sich u.a. mit der
demographischen Entwicklung begründen.
Ebenso wie auf Bundesebene unterliegt auch die Bevölkerungsentwicklung in NRW
einem Trend zu einer sich verstärkenden Alterung. Sowohl relativ wird der Anteil
Älterer an der Gesamtbevölkerung in NRW steigen, wie auch absolut der Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung zunehmen wird. Überdies wird der Anteil der Hochbetagten steigen. Dies bedeutet, dass von den über 18 Millionen Menschen, die im
Jahr 2008 Nordrhein-Westfalen lebten, immerhin schon 20 Prozent über 65 Jahre
alt waren. Dieses Alterssegment dürfte analog der bundesweiten Entwicklung ebenfalls in den nächsten Jahren rapide steigen.
Dadurch kommt den Angeboten der Gesundheitswirtschaft insbesondere ihres
Kernbereiches der stationären und ambulanten medizinischen Versorgung sowie
der Altenhilfe eine besondere Bedeutung zu. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft in NRW kann auch hier als beschäftigungspolitischer Aktivposten betrachtet
werden.
Das Beispiel Altenhilfebereich zeigt überdies zweierlei: zum einen wird an diesem
Segment der Gesundheitswirtschaft in erster Linie der personalintensive, also beschäftigungspolitische Aspekt deutlich.
Darüber hinaus referiert das Themenfeld Alterung der Gesellschaft noch einen
grundsätzlicheren Zusammenhang, der ein entscheidendes Moment der Struktur
der Gesundheitswirtschaft in NRW illustriert, nämlich das der Vernetzungsqualität,
was noch genauer zu betrachten sein wird.
Die Daten zur Beschäftigungsentwicklung zeigen, dass gerade im Kernsegment
bzw. im primären Gesundheitsmarkt, d.h. in den klassischen Bereichen des Gesundheitswesens, wie der stationären und der ambulanten Versorgung sowie in den
nachgelagerten Dienstleistungsbereichen, theoretisch ein erhebliches Beschäftigungspotenzial vorhanden ist. Inwieweit es im Bereich der medizinischen Versorgung und im Altenpflegebereich jedoch praktisch ausgeschöpft wird, bleibt an ge16
Quelle: Gesundheitswirtschaft NRW: Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte
Medizintechnologien, veröffentlicht vom Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen,
2009.
36
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
sundheitspolitische Entscheidungen gebunden. Also davon abhängig, welche finanziellen Ressourcen, in welchen Volumina in die Gesundheitsinfrastruktur NRWs investiert werden oder ob sich der Staat hier politisch zurückzieht und einer privatwirtschaftlichen Infrastruktur das Feld überlässt.
Ebenso verhält es sich im nachgelagerten Bereich der medizintechnischen Zulieferer und den Anbietern gesundheitsnaher Dienstleistungen.
Mit den hochinnovativen Bereichen Medizintechnik und Telematik im Gesundheitswesen ist es NRW gelungen, wachstumsrelevante Zukunftsthemen zu besetzen. So
fungiert Nordrhein-Westfalen beispielsweise beim Aufbau einer Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen als bundesweiter Schrittmacher.
Unter den im Rahmen des Konzeptes Innovationspolitik NRW ausgewiesenen 5
Leitmärkten, also jenen Märkten, von denen aufgrund des ihnen inhärenten kreativen Potenzials zu erwarten ist, dass NRW hier die Markt- und Branchenführerschaft
erreichen kann, nimmt der Leitmarkt Gesundheit mit seinen „Clustern“ Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien, Medizinforschung,
Biotechnologie und Ernährung eine Vorrangstellung ein. Dies zum einen hinsichtlich
des Wertschöpfungsumfanges und des Gesamtumfanges des Beschäftigungswachstums in den Clustern sowie auch als wichtiger Impulsgeber für andere Leitmärkte
und deren Cluster.
Während ein ebenso wirtschaftlich relevanter Leitmarkt wie Transport und Logistik,
zu dem die Branchen NRW.Logistik, NRW.Automotive- Fahrzeugbau und Zulieferer
sowie die Logistiksegmente der Industrie-und Handelsunternehmen gehören, ein
Beschäftigungsvolumen von annähernd 800.000 Beschäftigten in NRW generieren
und die im hochinnovativen Leitmarkt Neue Werkstoffe und Produktionstechnologien zusammengefassten Leitbranchen Nano- und Mikrotechnologien, Umwelttechnologien, Kunststoffindustrie, Chemische Industrie sowie Maschinen- und Anlagebau ca. 600.000 Beschäftigte aufweisen, sind allein in der Branche Gesundheitswirtschaft des Leitmarktes Gesundheit über 1. Mio. Arbeitnehmer beschäftigt.
Unter der Perspektive der Umsatzentwicklung ist jedoch auch wiederum einschränkend zu relativieren, dass die Gesundheitswirtschaft hier weit hinter den o.g. Leit-
37
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
branchen zurückfällt. Immerhin erwirtschafteten diese im vergangenen Jahr ein Umsatzvolumen von mehr als - konservativ geschätzt - 150 Mrd. Euro.17
Aufgrund der bisherigen bundesweiten Beschäftigungsentwicklung in dieser Branche und einer relativ geringen Krisenanfälligkeit, die sich derzeit signifikant gegenüber anderen Branchen abhebt, gewinnt die Gesundheitswirtschaft aktuell zunehmend an Attraktivität für die Regionalentwicklung in NRW. Insbesondere die nach
wie vor ungebremste Wachstumsdynamik bei geringem Insolvenzrisiko spricht für
die derzeitige Überlegenheit der Branche. Dies zeigt auch eine aktuelle Umfrage
unter 200 Branchen-Führungskräften der Gesundheitswirtschaft der Financial Times, wobei das Insolvenzrisiko mit nur 1% angegeben wird, während mehr als die
Hälfte der Befragten die gegenwärtige wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens
positiv (58,7 Prozent) beurteilt und (54,4 Prozent) von einer guten oder sehr guten
Entwicklung der eigenen Geschäfte in 2009 ausgehen.18
Einschränkend ist jedoch bei allen Wachstums- und Beschäftigungsprognosen im
Nexus mit dem Gesundheitswesen nicht aus den Augen zu verlieren, dass es sich
bei der Entwicklung der Beschäftigung in erster Linie um prekäre Beschäftigungsverhältnisse handelt. In ihrer Bewertung der quantitativen Wachstumsprozesse und
Beschäftigungsaussichten in der Gesundheitswirtschaft und im engeren Sektor des
Gesundheitswesens unterschlägt die Landesregierung die Qualität der Beschäftigung und der Arbeitsplätze im Gesundheitswesen.
Eine jahrelang betriebene Kürzungspolitik mit ihrer Deckelung der Krankenhausbudgets, die das Selbstkostendeckungsprinzip konterkarierte, führte letztlich zur gegenwärtigen Unterfinanzierung der Krankenhäuser, die sich in den letzten Jahren
auch dadurch verschärfte, dass bei steigendem Kostendruck (Energiepreise, Pharmazieprodukte, Medizintechnik und erhöhte Mehrwertsteuer) die Budgets nicht erhöht wurden. Dies führte, soweit möglich, zu erheblichen Rationalisierungsprozessen, um die Kosten aufzufangen. Diese Rationalisierungen gehen allerdings sowohl
zu Lasten der Patienten wie auch des Personals. Entweder wurde aufgrund der vorhandenen Unterfinanzierung Personal drastisch reduziert oder aber die noch vorhandenen Personalressourcen mit einer kaum mehr erträgliche Arbeitsüberlastung
17
Vgl. zu den einzelnen Wirtschaftsdaten der Branchen: www.exzellenz.nrw.de/ sowie
www.clustermanagement-nrw.de.
18
Quelle: FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (FTD-Magazin 'medbiz', EVT 5. März 2009.
38
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
konfrontiert. Hinzu kommt, dass immer geringere Mittel für erforderliche Investitionen für die medizinisch- technische Infrastruktur zur Verfügung stehen.
Von den bundesweit 2.100 Kliniken wirtschaften ein Drittel der Häuser im roten Bereich. (Stand: IV/2008 Deutscher Pflegerat e.V.) Allein in den vergangenen 10 Jahren sind über 50.000 Stellen in der professionellen Pflege abgebaut worden. Derzeit
ist von weiteren 20.000 Stellen die Rede. (Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerates e.V.). Erschwerend kommt hinzu, dass die Privatisierung im
Krankenhaussektor rasant voranschreitet. Dies bedeutet, dass in einem Gesundheitssystem, in dem Renditeerwartungen über die Gewährung von Versorgungsleistungen gestellt werden und privatwirtschaftlich organisierte Krankenhäuser, die sich
als privatwirtschaftliche Unternehmen zunehmend in einem gnadenlosen Wettbewerb untereinander bewegen, Lohn- und Lohnnebenkosten des Personals als Rationalisierungsmasse betrachtet werden. Dem entsprechend werden Tariflöhne in
aller Regel unterlaufen, indem Personal von outgesourcten Funktionsbereichen über
Leiharbeitsfirmen, die in einzelnen Fällen sogar von öffentlichen Kliniken selbst gegründet werden (Beispiel Klinikum Essen), dann zu Dumpinglöhnen beschäftigt
werden.
Einmal abgesehen von dieser Praxis und einer zunehmenden Privatisierung stellt
sich damit auch die Frage, wie bei der Notlage und dem Investitionsstau des stationären Sektors mit seiner negativen Beschäftigungsentwicklung die nachgelagerten
Branchen-Segmente, wie die Medizintechnik die Beschäftigungserwartung der Bundes- wie der NRW Landesregierung wird erfüllen können. Also ist eher davon auszugehen, dass die Beschäftigungszuwächse weitaus moderater im Wirtschaftszweig
Gesundheitswirtschaft ausfallen dürften, als mit viel Optimismus prognostiziert. Ohne einen marktradikalen Sparansatz im Gesundheitswesen könnten sicherlich weitaus gewichtigere Wachstumsraten, auch im Hinblick auf nachgelagerte Branchen
erzielt werden. Überdies würden sich volkswirtschaftlich positive Effekte in umfangreicher Weise ergeben, nämlich von der Erhöhung der Qualität der medizinischen
Versorgung bis hin zu einer angemessenen und damit wachstumsinduzierenden
Entlohnung des Personals im Gesundheitssektor.
39
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
5 Das System der Vernetzung von regionalen Kompetenzfeldern im Gesundheitswesen in Form des Clusteransatzes
Ungeachtet der tatsächlichen Beschäftigungsentwicklung ist jedoch festzuhalten,
dass die Landesregierung NRW deutlich sieht, dass sie ohne eine Förderung der
strukturellen Rahmenbedingungen die Gesundheitswirtschaft ihr wie auch immer
beschaffenes Wachstumspotenzial nur unzureichend entwickeln kann. Aus diesem
Grunde bemühte sie sich - auch im Wettbewerb mit anderen Bundesländern - günstige Rahmenbedingungen für eine Entfaltung der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse zu erreichen.
Das Konzept hierfür besteht aus fünf Kernelementen, die einen strukturgebenden
Rahmen bilden. Hierzu gehört

der Aufbau eines landesweiten Kompetenzzentrums für die Gesundheitswirtschaft,

die Schaffung eines Clusters „Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologie“,

ein Förderwettbewerb Med in.NRW „Innovative Gesundheitswirtschaft
NRW“,

der Ausbau von Strukturen in den Regionen Nordrhein-Westfalens und

die Entwicklung von Leitprojekten zu den Schwerpunkthemen des Konzepts.
Diese Rahmenbedingungen akzentuieren mit den Handlungsfeldern Clusterentwicklung und Ausbau gesundheitswirtschaftlich tragfähiger Strukturen in den Regionen
vor allem die Vernetzungsqualität auf regionaler Ebene als Grundlage einer effizienten Entwicklung der Branche.
Daran zeigt sich, dass ein wesentlicher struktureller Faktor der Wachstumsdynamik
des Gesundheitssektors, insbesondere des 1. Gesundheitsmarktes unter Einbeziehung des öffentlichen Gesundheitswesen, in der spezifischen Aufnahme von in
NRW ausgewiesenen Innovationsfeldern durch eine regionalisierte Gesundheitswirtschaft liegt.
40
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Weiterhin zeigt sich, dass der Kernbereich der ambulanten und stationären Versorgung wie auch der des Altenhilfesegmentes im Gesundheitswesens nicht losgelöst
von den anderen Bereichen, vor allem dem der Medizintechnik und dem Heil- und
Hilfsmittelbereich, betrachtet werden kann.
5.1 Innovationsfeld Medizintechnik
Das Innovationsfeld Medizintechnik nimmt unter dieser Perspektive eine entsprechende Scharnierfunktion zwischen den anderen Bereichen des Gesundheitswesens wahr.
Die Medizintechnik rangiert in der NRW Förderkulisse der Leitbranche Gesundheitswirtschaft als ein ausgewiesener Förderschwerpunkt. Mathias Redders, Referatsleiter im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium, sieht in dieser Hinsicht die Medizintechnologien als den eigentlichen Schrittmacher der Gesundheitswirtschaft, den es mit den anderen Segmenten zu vernetzen gilt. Hierbei „sei es das
Ziel, die Innovationszyklen von der Forschung über die Herstellung bis in die Versorgung der Patienten zu beschleunigen. Wichtig sei es, aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftstrukturen, in Nordrhein-Westfalen die Konzepte immer auch zu regionalisieren.“19 Damit bekennt sich das MAGS zur regionalen Schwerpunksetzung
in der Gesundheitswirtschaft. Wertschöpfungsstrukturen und Netzwerke auch in der
Gesundheitswirtschaft bedürfen aufgrund der regionalen Präfiguration von Stärken
in bestimmten Wertschöpfungssegmenten auch einer regional definierten Verortung
und Förderung. Also gezielter Clusterinitiativen und eines adäquaten Clustermanagements.
Die Medizintechnik ihrerseits reicht allerdings weiter als High-Tech, Prävention,
Diagnose und Kuration. Vielmehr erstreckt sie sich ebenso auch auf den Pflegebereich und die Rehabilitation. In demographisch umfassender Weise tragen die anwendungsorientierten Medizintechnologien dazu bei, Behandlungsprozesse zu optimieren und die Lebens- und Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten
zu steigern. Ihre Innovationen und Leistungsangebote sind zudem ein Motor der
Präventionsmedizin. Die Relevanz der Medizintechnik - gerade auch für NRW - besteht mithin darin, dass in diesem ausgewiesenen Innovationsfeld bei einer schnel19
Mathias Redders auf der BVMed-Konferenz zur Förderung von Ideen aus der Medizin am
08.05.2008.
41
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
len Einführung der Technologien sich erhebliche ökonomische Vorteile ergeben.
(Reduzierung von Fehlzeiten, Verkürzung von Genesungszeiten, also Einsparpotenziale die in den Kernbereichen der Gesundheitswirtschaft realisiert werden können.)
Die Stärke der Gesundheitswirtschaft NRW liegt demnach nicht nur in profilierten
singulären Leistungsbereichen wie der Medizintechnik, sondern in deren Vernetzung im Gesamtkontext der Gesundheitswirtschaft einerseits wie auch einer Vernetzung mit Vorleistungsbranchen andererseits. Dies zeigt auch die Vernetzung von
Pharma- und Medikalproduktehersteller mit den Gesundheitsversorgern, so dass die
einzelnen Leistungsbereiche des ersten wie auch Teile des zweiten Gesundheitsmarktes- voneinander partizipierend - ihr Leistungsspektrum bis zur Exzellenz entwickeln können. Dies trifft ebenfalls auf Allianzen zwischen Unternehmen der Branche Biotechnologie und der Medizintechnik zu. So liegt in der Branche Biotechnologie das Hauptanwendungsfeld im medizinischen Bereich.20
Nicht minder relevant als die auf einer quasi endogenen Branchenvernetzung im
Leitmarkt Gesundheit resultierende Wachstumsdynamik selbst, sind für NRW allerdings auch die Wachstumsinputs, die die Hightech- Branche Gesundheitswirtschaft
in die Cluster der anderen Leitmärkte hinein vermittelt. Denn ein Großteil der Innovationen in High-Tech-Branchen - wie etwa in der Molekularbiologie, bei der Nanotechnologie oder den Neurowissenschaften - zielen auf Anwendungen für den Kernbereich der Gesundheitswirtschaft, das Gesundheitswesen ab. Auch in dieser Hinsicht ist die Medizintechnik als Querschnittsbranche ein gravierender Impulsgeber
für Innovationsprozesse in anderen Branchen und als Praxisfeld zur Erprobung und
Einführung neuer Technologien.
So vermittelt - aufgrund der wachsenden Bedeutung von neuen Technologien wie
Mikroelektronik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Materialforschung,
Optische Technologien, Mikrosystemtechnik und Nanotechnologie für die Medizintechnik selbst - die Gesundheitswirtschaft und hier vor allem der Anwendungsbereich im ambulanten und stationären Sektor des Gesundheitswesens den anderen
NRW Clustern ein nicht unerhebliches Wertschöpfungspotenzial. Dies legen die
Entwicklungstrends in den Schlüsseltechnologien der Medizintechnik wie die Opti20
Vgl. hierzu: Josef Hilbert „Zukunftsmotor Gesundheitswirtschaft -ein Paradigmenwechsel
von unten?“ Beitrag zur HBS/WSI Tagung „Demographischer Wandel als Chance“ am
10./11. April 2008 in Berlin.
42
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
schen
Technologien/Lasertechnik,
die
Mikrosystemtechnik,
die
Elektro-
nik/Mikroelektronik, die Informations- und Telekommunikationstechnologien, Nanotechnologie, Mechatronik (Robotik), Materialwissenschaften/Biomaterialien und Produktionstechnologien nahe.
In dieser Vernetzung auf Cluster- oder Branchenebene kann die Gesundheitswirtschaft ihre Schlüsselstellung sowohl als Impulsgeber für ihre eigene Zulieferindustrie wie auch für die dieser Industrie vorgelagerten anderen Branchen wahrnehmen,
aber ebenso auch aufgrund der Absorption dieses Vorleistungssektors an eigener
Effizienz gewinnen. So lassen sich - wie bereits angedeutet - durch moderne Medizintechnik im deutschen Gesundheitswesen insgesamt 2,7 Milliarden Euro pro Jahr
einsparen.21
5.2 Dezentralität als Erfolgsfaktor
Diese Vernetzung und damit die entscheidenden Wertschöpfungsprozesse finden
vor allem auf regionaler Ebene statt. Die für die Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen relevanten Innovationsfelder Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung, Anwendungsorientierte Medizintechnologien, Telematik im Gesundheitswesen und Telemedizin, Innovation für Krankenhäuser, Gesundheitsorte und Kurorte
und Regionale Profil-Bildung / Entwicklung, können nicht wie die analog dazu ausgewiesenen Gesundheitsdienstleistungen und ihre Inputs losgelöst von der regionalen Ebene betrachtet werden.22
Hierbei besteht die zentrale Idee darin, dass Innovationen angesichts einer zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Austauschprozesse und einer zunehmend breiter gestreuten Wissensbasis im globalen Kontext nicht mehr nur allein im Rahmen
einzelwirtschaftlicher Wertschöpfung oder im Rahmen begrenzten Allianzen von Akteuren der Gesundheitswirtschaft an einem zentralen Standort realisiert werden
können, sondern dass auch exogene Kompetenzen und regionale Spezifika wie
gewachsene Kompetenzen und Leistungsprofile wie aber auch regionalspezifische
Problemstellungen und Informationen branchenübergreifend in den Wertschöp-
21
Vgl. hierzu: Krauss, Ulrich: „Medizintechnik - Vorsprung für das Gesundheitswesen“, Vortrag vor der Landesvertretung Baden-Württemberg, am 12.Februar 2009.
22
Vgl. hierzu: Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaftnrw.de
43
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
fungsprozess integriert werden müssen, um Innovationsprozesse nachhaltig in
Gang zu setzen und Leitbranchen international zu positionieren.
Damit ist zugleich auch eine weitere Qualität von Innovation und Vernetzung impliziert. Nämlich das Moment der Regionalisierung, auf das Redders ausdrücklich
aufmerksam macht.
Geleitet von der Idee, dass wirtschaftliche Aktivitäten der Gesundheitscluster nicht
an jedem beliebigen Standort realisiert werden können, sondern nur an Standorten,
die einen bestimmten (gewachsenen) Grad an Verdichtung von dazu erforderlichen
- auch branchenübergreifenden Potenzialen und Ressourcen aufweisen und sich
damit als Wachstumskerne spezifischer Leistungen ausweisen - gilt es für jedwede
Art von Aktivitäten den bestgeeigneten Standort zu identifizieren und gezielt zu fördern. Ein solches „Zustandekommen von Clustern als synergetische Vernetzung
wirtschaftlicher Tätigkeit ist in diesem Sinne ein Prozess innovativer Standortentwicklung.“23
Damit wird ein wesentliches Element der gesamten Förderkulisse im Hinblick auf die
Optimierung von präfigurierten Wachstumskernen deutlich, nämlich die regionale
Qualität von Clustern, die wesentlicher Bestandteil der Clusterpolitik des Landes
NRW ist. „Zentrales Ziel ist es, ausgewählte regionale Netzwerke gezielt landesweit
zu etablieren und zu fördern sowie eine sinnvolle branchen- und technologiebezogene Bündelung zu moderieren“, wobei die Clusterpolitik ein „ wichtiger Bestandteil
sowohl der Innovationsstrategie als auch der Standortmarketing- und Wirtschaftsentwicklungsstrategie der Landesregierung (ist).“24
Weiterhin heißt es:
„Wirtschaftlicher Fortschritt und die Entwicklung neuer Technologien funktionieren
heute in Netzwerken. Die kann der Staat nicht verordnen, allerdings gezielt fördern
und moderieren. Dies werden wir in den kommenden drei Jahren in 16 Branchenund Technologiebereichen tun, die besonders großes Potenzial für Wachstum auf-
23
Peter Glaessel/ Petra Wassner: Branchenkompetenzen in Nordrhein-Westfalen, hrsg. v.:
NRW.INVEST GmbH Economic Development Agency of the Federal State of North RhineWestphalia (NRW), 2008, S.4.
24
Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.):NRW-Cluster in Leitmärkten Landesregierung beschließt Clusterstrategie: Wachstumspotenziale sollen gezielt gefördert werden. 2007.
44
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
weisen und besonders hohen Stellenwert für die wirtschaftliche Entwicklung des
Landes einnehmen.“25
5.3 Der Begriff des Clusters
Bei dem in diesem Kontext verwendeten Clusterbegriff sind die beiden Elemente
Vernetzung und Regionalität von entscheidender Bedeutung. Sie definieren auch
den originären Begriff des Clusters, so wie er in den grundlegenden Arbeiten von
Porter entwickelt wurde.
Im Hinblick auf die Gesundheitswirtschaft in ihrem dezentralen Format weist die von
Michael E. Porter gegebene Definition des Clusters auf den entscheidenden Aspekt
der Wertschöpfungsstrukturen hin: „Ein Cluster ist eine an einem Ort konzentrierte
Gruppe von Unternehmen und verbundenen Einrichtungen, deren Aktivitäten in einem bestimmten Feld miteinander verknüpft sind. Diese Unternehmen sind durch
Gemeinsamkeiten und einander ergänzende Fähigkeiten miteinander verbunden
[…].“Ein Cluster kann also als ein System untereinander verknüpfter Unternehmen
und Einrichtungen definiert werden, dessen Gesamtwert größer ist als der Wert der
Summe seiner Einzelteile.“26
Erkenntnisleitend bei dieser Definition sind die Merkmale

regionale Nähe,

die Austauschbeziehungen der Akteure entlang der Wertschöpfungskette,
die durch Kooperation und Interdependenz gekennzeichnet sind und dem
Ziel einer Optimierung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dienen.

Darüber hinaus ermöglichen Kooperationen zum Austausch sich ergänzender Fähigkeiten auf der Basis von Synergieprozessen einen Kompetenzgewinn für die beteiligten Akteure.
25
Beschluss des Kabinetts auf Vorschlag von Innovationsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart und Wirtschaftsministerin Christa Thoben v. 06. März 2007 (Pressemeldung 08. März
2007).
26
Porter, Michael E.: Wettbewerb und Strategie. München 1999, S.209 u. S.225.
45
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dem entsprechend stellen sich - was die vielfache Evaluation regionaler Cluster
mittlerweile belegt - ökonomische wie auch innovative Vorteile (auf der Grundlage
der Informationsressourcen an produkt- und marktbezogener Daten) durch die Clusterbildung ein. So erhöhen Cluster nachweislich die Fähigkeit zur Innovation und
damit die Produktivität der Mitgliedsunternehmen (-branchen) und sie stimulieren
und verbessern die Unternehmensgründung im regionalen Rahmen, wodurch das
Cluster wächst, seine Potenziale sich optimieren und seine Attraktivität für Newcomer erhöhen kann. Zu weiteren positiven Externalitäten gehören zudem:

die Vernetzungen in branchenübergreifender Weise,

die Verbesserung des Beschäftigungsniveaus aufgrund eines Arbeitskräfteangebots auf hohem Qualifikationsniveaus sowie

je nach Cluster eine nachhaltige Verbesserung der Dienstleister Infrastruktur
(Forschung und Wissenschaft).
Wesentliche Kennzeichen von Clustern sind mithin:

die räumliche Konzentration der Akteure (Unternehmen, Wissenschaft,
Dienstleistern, Einrichtungen, Verbände etc.),

eine arbeitsteilige Spezialisierung, die die Bildung von Kompetenzen im regionalen Rahmen und darüber hinausweisend ermöglicht,

die Einbeziehung von angrenzenden Wirtschaftszweigen, die Ausbildung
von Netzwerken sowie wichtige Wissens- und Technologie-Spillover-Effekte.
Der Clusteransatz geht weiterhin davon aus, dass regional oder lokal schon bestimmte Teilsysteme schwerpunktmäßig bestehen, aus deren Interaktion sich regionale Spezialisierungen der Wertschöpfung herausgebildet haben. Aufgrund dieser
regional verortbaren langjährigen Spezialisierungen haben sich im Verlauf stetiger
Interaktionen Kompetenzen herausbilden können, die in der Kumulation von Fachwissen und Marktzugangsmöglichkeiten ihren Ausdruck gewinnen.27
27
Vgl. hierzu: Rainer Fretschner / Rolf G. Heinze / Josef Hilbert: Die Gesundheitswirtschaft ein Wirtschaftscluster im Stress, aber mit guten Aussichten, Bochum/Gelsenkirchen im Februar 2003, S.2 ff.
46
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Die Austauschprozesse unter den Akteuren entlang den regional spezifischen Wertschöpfungsketten im Rahmen des jeweiligen regionalen Gesundheitsmarktes - unter
Einbeziehung auch anderer Branchen - dienen zum einen dem Wissenstransfer unter den Clusterakteuren und zum anderen der stetigen Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Diese so gelagerte Interdependenz ermöglicht es, Kompetenzen
und Innovationskraft zu stärken, um so Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen
Regionen und Clustern zu gewinnen.
Cluster optimieren so einerseits die Ressourcenausstattung und Kompetenz. Andererseits erhöhen sie Wahrnehmung und Anziehungskraft für Key Player im clusterübergreifenden Wettbewerb. Somit gewinnt der Cluster-Standort in besonderem
Maße zusätzliche Investoren (und damit Arbeitsplätze), Kunden, Kooperationspartner, qualifizierte Arbeitnehmer etc. und vermag zudem beispielsweise in den regionalen Gesundheitsclustern über innovative Gesundheitsleistungen eine öffentliche
Versorgungsstruktur auszubauen, die signifikant zu einer Erhöhung der Lebensqualität in der Region beiträgt.
Insbesondere die regionale Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis hat sich im
Rahmen gesundheitswirtschaftlicher Wertschöpfung als Erfolgstreiber erwiesen.
Denn es zeigt sich, dass Regionen, die eine relativ hohe Verdichtung von Kliniken
und Gesundheitszentren aufweisen, gerade für Hersteller von Medizintechnologien
wie für Unternehmen aus dem Vorleistungs- und Zulieferersegment überhaupt als
Standorte präferiert werden. Dies hat seinen Grund darin, dass hier praktische Erprobungsmöglichkeiten gegeben sind. Dies wiederum baut die Kompetenzen dieser
Regionen systematisch aus, so dass sich in diesem Cluster Exzellenzen mit überregionaler Ausstrahlung entwickeln können.
Hinzu kommt in diesen Regionen das starke Zusammenspiel zwischen der universitären medizinischen Forschung und Versorgung sowie einem starken Vorleistungsund Zulieferbereich, also einer optimalen Kombination für das Entstehen regionaler
Innovationssysteme.28
Aufgrund der oben aufgezeigten Typik sind regionale Cluster in ihrer Dezentralität
geradezu prädestiniert als spezialisierte Kompetenzstandorte eine erhöhte Innovationsdynamik freizusetzen. Sowohl hinsichtlich inkrementaler Innovationen, womit die
28
Elke Dahlbeck, Josef Hilbert Beschäftigungstrends in der Gesundheitswirtschaft im regionalen Vergleich, in: FORSCHUNG AKTUELL ,Ausgabe : 6/2008.
47
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Weiterentwicklung vorhandener Technologien gemeint ist, als auch exkrementaler
Innovationen, worunter die Entwicklung neuartiger Technologien zu verstehen ist.
Wobei bezogen auf die dezentrale Gesundheitswirtschaft Innovationen nicht nur
technologisch zu definieren sind, sondern ebenso als innovative Handlungskonzepte im Kernsegment Gesundheitswesen, dem Gesundheitsschutz im Arbeitsbereich
und in der Altenhilfe.29
Hierbei sind Visionen und darauf aufbauend strategische Interaktionen mit einem
verstärkten Wissenstransfer der Wissensdienstleister im Gesundheitswesen unter
den Akteuren von besonderer Relevanz.
6 Die fünf Gesundheitsregionen als regionale Cluster in
NRW
Ein solches regionales Cluster stellen die 5 Gesundheitsregionen in NRW dar.
Die Vernetzung und damit die Zufuhr spezialisierten Wissens unterschiedlichster
Akteure geschieht auf regionaler Ebene. Dies beinhaltet eine durchaus produktive
Ambivalenz. Denn zum einen bietet die regionale Plattform jene Nähe, unterschiedlichste Akteure sowohl auf allen Ebenen der Gesundheitswirtschaft als auch die Akteure anderer Branchen, die in die Wertschöpfung integriert sind oder ihr das erforderliche Know-how zuführen können, zu vernetzen. Zum anderen haben viele Regionen in NRW die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Innovationen im wirtschaftlichen Bereich, die Erhöhung der Lebensqualität und die Profilierung der Region hinsichtlich des Wirtschaftswachstum und einer positiven Beschäftigungsentwicklung erkannt und fördern die Vernetzung von Akteuren im Rahmen gesundheitswirtschaftlicher Wertschöpfung mit bislang beträchtlichem Erfolg. Die Standorte
weisen mittlerweile eine erhebliche Vernetzungsintensität an Netzwerken, Projektverbünden und unterschiedlichsten Kooperationsmodellen auf. Aufgrund der in die
regionalen Netzwerke einfließenden regionalen Identität des jeweiligen Standortes,
bilden sich so - auch bedingt durch die jeweils spezifische Zusammensetzung der
29
Gemeint sind hier Konzepte zur Gesunderhaltung, einer verbesserten Gesundheitsversorgung, der Chancen und des gezielten Einsatzes von Instrumentarien des medizinischtechnischen Fortschritts, einer Verbesserung der Lebensqualität von behinderten und älteren
Menschen, also der gezielten Vernetzung von Konzepten der Gesunderhaltung sowie der
Heilung von Krankheiten.
48
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Akteure aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen,
Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen und Akteure anderer regional vorherrschenden Branchen - spezialisierte regionalisierte
Kompetenzen im Rahmen der Innovationsfelder heraus. Denn je nach Identität und
gewachsenen Wertschöpfungsstrukturen des Standortes entwickeln sich andere
regionale Stärken und wirtschaftliche Kompetenzen heraus.
Insofern entstanden im regionalen Rahmen eine Vielzahl von Netzwerken, Projektverbünden und unterschiedlichsten Kooperationsmodellen. In diesen kooperieren
derzeit die Akteure aus der Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen,
Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie
weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette, wobei sich - gerade auch regionaltypisch - erhebliche Variationen hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung
und der Ziele wie auch der Ergebnisse ergeben.30
Hinsichtlich der Regionalisierung der gesundheitswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung ist zu sehen, dass die Impulse zur Profilierung des Gesundheitssektors hierfür
in erster Linie von den Regionen selbst ausgingen, während diesen präfigurierten
Clusterstrukturen folgend, dann Initiativen seitens der Landesregierung entwickelt
wurden, mit dem Ziel die Gesundheitswirtschaft NRW national wie auch international zu positionieren. Aus diesem Grunde wurde dann in prinzipieller Weise über die
entwicklungsfördernde Rahmenbedingungen nachgedacht.
Die aufgezeigte Wachstumsdynamik der Gesundheitswirtschaft und ihres Kernsegmentes Gesundheitswesen sowie ihr hohes Beschäftigungspotenzial aufgrund der
ihr immanenten Angebots- und Nachfrageperspektiven erklärt, warum sie zu einem
bedeutenden Thema der regionalen Strukturpolitik geworden ist.
So begann beispielsweise die Region Ostwestfalen-Lippe schon sehr frühzeitig Mitte der neunziger Jahre - damit, die Innovations- und Beschäftigungspotenziale
des Gesundheitssektors als wirtschaftspolitische Herausforderung zu betrachten.
Durch das Engagement zahlreicher Akteure aus Wissenschaft, Gesundheitswirtschaft und Unternehmen konnte so schon sehr früh eine sektor- wie unternehmensübergreifende Kooperation grundgelegt werden.
30
Vgl. hierzu: Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaftnrw.de
49
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Seit spätestens 2005 und im Zuge des Paradigmenwechsels hin zu einem differenzierteren Verständnis des Gesundheitssektors in seinen komplexen ökonomischen
Funktionen avanciert die Gesundheitswirtschaft zu einem Schwerpunkt der Regionalentwicklung, da etliche Regionen die Vorteile dieses Wirtschaftszweiges und seiner über ihn selbst hinausreichenden Netzwerke erkannten.
Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Regionen und Kommunen im Bundesgebiet wie auch in NRW die enorme Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die Regionalentwicklung erkannten und sie zu einem Handlungsschwerpunkt auswiesen,
gewann die Branche in ihrer regionalen Dimension auch an Relevanz für die Landespolitik. Eines der ersten Bundesländer, die dem Rechnung trug, war NRW mit
seinem Masterplan Gesundheitswirtschaft aus dem Jahre 2005. Die Regionen sollten zu Zukunftsstandorten für Gesundheit werden; eine Zielorientierung, die angesichts der Tatsache, dass die lokalen Gesundheitsanbieter in vielen Regionen zu
den größten Arbeitgebern zählen, durchaus chancenreich ist.
Mittlerweile existieren in NRW fünf Gesundheitsregionen, die hinsichtlich ihrer Wertschöpfung ein nationales wie auch internationales Profil aufweisen. Die Gesundheitsregionen Aachen, Köln/Bonn, das Ruhrgebiet, das Münsterland und Ostwestfalen-Lippe zeichnen sich durch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung aufgrund
ihrer jeweiligen infrastrukturellen Voraussetzungen aus. Diesbezüglich erarbeiten
sie auch verschiedene, sich aber ergänzende Innovationsfelder der Gesundheitswirtschaft in Form der Übernahme von Patenschaften für die als relevant auch im
Hinblick auf eine internationale Perspektive erachteten Gestaltungsfelder des Landes NRW.
Diese Gestaltungsfelder kennzeichnen regionale Entwicklungsperspektiven, die
schon aufgrund von regionalspezifischen Vorarbeiten in Gestalt von Entwicklungstrends der regionalen Gesundheitswirtschaft vorgeprägt sind. Hierbei gilt es, die sich
abzeichnenden Entwicklungstrends auszubauen, indem Handlungsvorschläge in
Projekte umgesetzt werden.
Folgende Themenpatenschaften sind so initiiert worden:

Die Region Aachen hat eine Themenpatenschaft für „Gesundheitstourismus /
Medizintechnik“ übernommen.

Die Region Köln/Bonn hat die Themenpatenschaft für „Gesundheit für Generationen“.
50
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht

Die Region Münsterland bearbeitet das Thema „Präventive Medizin“.

Die Region Ostwestfalen-Lippe konzentriert sich auf „Intelligente Versorgung
für ältere und chronisch kranke Menschen“.

Die Region Metropole Ruhr hat die Themenpatenschaft „Klinikwirtschaft“.31
Mit dieser Schwerpunktsetzung sind die wesentlichen Wachstumsbereiche des Gesundheitssektors abgedeckt. Die Erwartung seitens der Landesregierung geht bezüglich der Entwicklung der Gesundheitsregionen dahin, dass

aufgrund der Spezialisierung im regionalen Cluster sich verstärkt Kompetenzen herausbilden können,

sich dadurch bedingt die Innovationspotenziale der Gesundheitswirtschaft
befördern lassen,

zugleich zwischen den regional definierten Netzwerken und Kooperationsverbünden übergreifend Vernetzungen stattfinden , so dass Synergien clusterübergreifend befördert werden können,

sich Wachstumskerne für die Regionen entwickeln,

sich die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sowohl vor Ort als
auch landesweit durch Vernetzung und Excellenzen verbessert und

sich NRW auf der Basis dieser „Pilotregionen“ auch international als führender Standort der Gesundheitswirtschaft profilieren und zukünftig erfolgreich
im Standortwettbewerb kann.
Um dies zu gewährleisten und entsprechende Impulse und Organisationsstrukturen
zu entwickeln, wurde Anfang Januar 2008 das Clustermanagement Gesundheitswirtschaft.NRW ins Leben gerufen, dessen Aufgabe zusammenfassend darin besteht, die Regionen „bei ihren innovativen Konzepten mit projektbezogenen Kooperationen, die die Vorteile einer regionalen Identität nutzen“, zu unterstützen. Diese
Kooperationen bilden die Grundlage für ein systematisches Netzwerkmanagement.32
31
Vgl.: Gesundheitswirtschaft NRW. Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien, CGW. Nordrhein-Westfalen.
32
Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen: Gesundheitswirtschaft NordrheinWestfalen. Auf: www.gesundheitswirtschaft-nrw.de
51
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Die Intention von Landespolitik und regionalen Akteuren vor Ort geht dahin, dass
der Leitmarkt Gesundheit so unter strukturpolitischen und ökonomischen Perspektiven zu einem Instrument der Regionalpolitik wird, damit die Potenziale, die den
Clustern innewohnen, sich zu Wachstumskernen in den Regionen entfalten. Dazu
soll:

die Selbstorganisation und Vernetzung der relevanten Akteure aus Gesundheitsversorgung, Forschung und der Wirtschaft (insbesondere auch der
Dienstleistungswirtschaft) in Form gemeinsamer Forschungsprojekte unterstützt werden,

die Profilbildung durch die Definition von Entwicklungsschwerpunkten und
die Realisierung und Umsetzung beispielhafter Prozess- und Produktinnovationen im Sinne marktfähiger Lösungen gefördert werden,

der Transfer von innovativen, qualitäts- und effizienzfördernden Lösungen in
die Versorgung beschleunigt werden,

die interdisziplinäre, berufsgruppen- und sektorübergreifende Zusammenarbeit in der Gesundheitswirtschaft verbessert werden,

der Gesundheitssektor stärker internationalisiert werden, z.B. durch Patientenimport oder Serviceexport.
Diese Zielorientierungen, die sich gesundheitspolitisch mit der Gesundheitswirtschaft in NRW verbinden sowie die strukturpolitischen Zielvorgaben und erwartungen, die sich an die regionalen Wachstumskerne knüpfen, vermitteln nach
dem bisher Dargestellten den Eindruck, dass - wie es der Begriff Leitmarkt schon
konotiert - das Themenfeld Gesundheit in diesem Kontext durch eine eher dominant
wirtschaftliche Perspektive gekennzeichnet ist. Dafür spricht auch - wie sich noch
zeigen wird - die Gründung eines zentralen Gesundheitsstandortes in Form eines
Gesundheitscampus.
Allerdings figuriert die privatwirtschaftliche Wertschöpfung, wie sie mit der Clusterpolitik im Rahmen der Wachstumsförderung der Gesundheitswirtschaft seitens der
Landesregierung verfolgt wird, nur ein Moment des Themenfeldes Gesundheit. Ein
weitaus gewichtigeres besteht jedoch in der Verbesserung der gesamten Versorgungsinfrastruktur.
52
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Insofern sind die vom dem Land NRW verabschiedeten Gesundheitsziele durchaus
ambivalent. Zum einen verweisen insbesondere Gesundheitsförderung und Prävention auf den originären Bereich des Gesundheitswesens und zwar unter der Perspektive der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung. Zum anderen steht
zu befürchten, dass auch dieser Bereich der Gesundheitsfürsorge ökonomisch überformt wird, wenn die Gesundheitswirtschaft in ihrer Dynamik erst einmal ohne
Grenzziehung durch das LIGA.NRW sich dieses Bereiches bemächtigt
Darüber hinaus jedoch, verweist dieses Themenfeld prinzipiell auch darauf, dass es
für eine zukunftsfähige Gesundheitsinfrastruktur von ausschlaggebender Bedeutung
ist, dass die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsgütern einer öffentlichen Regelung bedarf und nicht den Marktinteressen - bei allen Schnittstellen, die
sich sachlich im gesundheitswirtschaftlichen Kontext ergeben - überantwortet werden darf.
Denn das „Gut Gesundheit gehört in die Kategorie der Vertrauensgüter. Zwischen
denen, die dieses Gut anbieten und denen, die es nachfragen, besteht ein ungleiches Verhältnis der Kompetenz und Information.“33
Die Qualität von Präventionsmaßnahmen, diagnostischen Verfahren und Kuration
ist für den Patienten in der Regel nicht durchschaubar. „Deshalb sind die Nachfragenden darauf angewiesen, dem Anbieter zu vertrauen. Sie brauchen eine Verhandlungsposition, damit sie nicht einfach der Marktmacht der Anbieter ausgesetzt
sind.“34 Diese Aufgabe, gegenüber der Marktmacht der Anbieter in der Gesundheitswirtschaft ein Korrektiv durch hochkarätige und unabhängige wissenschaftliche
Information und Beratung zu bilden, nimmt seit langem der Öffentliche Gesundheitsdienst in seiner Ergänzungs- und Kontrollfunktion, auch mit dem LIGA.NRW, an
seinen regionalen Standorten wahr.
Damit wird die Engführung der dominant wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Perspektiven in den Vordergrund rückenden Sichtweise relativiert. Gesundheit
ist jenseits der reinen Marktperspektiven, Verwertungsgesetzlichkeiten im Rahmen
von Kosten- und Gewinnrelationen und den betriebswirtschaftlichen Kennziffern wei-
33
Hengsbach, Friedhelm: "Mehr Markt" reicht nicht - Gesundheitsrisiken und solidarische
Sicherung entsprechen einander. Frankfurt am Main, auf: www.sankt-georgen.de
(14.04.2009), 2009.
34
Hengsbach, a.a.O.
53
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ter gefasst, als es die Perspektive auf die Gesundheitswirtschaft - so relevant sie ist
- nahe legt.
Indem diese Perspektive um die Dimension der Versorgungsqualität der Öffentlichkeit mit Gesundheitsgütern und Gesundheitsdienstleistungen mit dem Ziel der Verbesserung der Gesundheitsversorgung vor Ort erweitert wird, gerät die Funktion des
öffentlichen Gesundheitsdienstes in seiner rahmengebenden und gestaltenden
Funktion für die gesamte Gesundheitswirtschaft in den Blick.
7 Der Öffentliche Gesundheitsdienst in NRW
Wenn bislang von der Gesundheitswirtschaft und im besonderen vom Gesundheitswesen die Rede war, so wurde der Gesamtkomplex Gesundheit in erster Linie
im Horizont seiner ökonomischen Kosten- und Wertschöpfungsstrukturen, seinen
Angebots- und Nachfragerelationen und seiner strukturpolitischen Bedeutung für die
regionale Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung betrachtet. Diese Perspektive referiert allerdings nur einen Ausschnitt des Stellenwertes, den die Gesundheit in
einem Gemeinwesen und in der öffentlichen Wahrnehmung einnimmt. Von weit entscheidenderer Bedeutung sind Strategien und Instrumente zur Vermeidung und
Ausräumung von Gesundheitsrisiken im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld, Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge und Krankheitsvermeidung, die Organisation und Institutionalisierung der medizinischen Vorsorge und medizinischen
Versorgung sowie deren Qualität. Damit sind die Kernaufgaben des öffentlichen
Gesundheitsdienstes wesentlich umfasst.
Während das Gesundheitswesen alle Einrichtungen zur Erfüllung medizinischer
Aufgaben auf der Ebene Prävention, Diagnostik, Therapie Nachsorge, Rehabilitation
umfasst, seien die Trägerschaften hierfür nun öffentlich-rechtlich, frei-gemeinnützig
oder privat, so kennzeichnet das öffentliche Gesundheitswesen, insbesondere den
öffentlichen Gesundheitsdienst, die hoheitlich-organisatorische Bindung und damit
Funktionsbestimmung als Angelegenheit der öffentlichen Hand. Sei dies nun auf
Bundes-, Landes- oder auch kommunaler Ebene. Anders ausgedrückt lässt sich der
Öffentliche Gesundheitsdienst folgendermaßen definieren: Er ist
54
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
„Teil des öffentlichen Gesundheitswesens. Er ist die Organisation von Dienststellen auf der Ebene von Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden, die dem
Schutz der Gesundheit der Gemeinschaft und des Einzelnen dient.“35
Damit ist sein Aufgabenspektrum qualitativ verschieden von den Verwertungszusammenhängen des maßgeblich privatwirtschaftlich orientierten Gesundheitsmarktes und aufgrund dieses qualitativen Unterschiedes ist der öffentliche Sektor auch in
seinen Leistungsangeboten gesellschaftlich breiter aufgestellt.
Der öffentliche Gesundheitsdienst nimmt den gesamten Gesundheitszustand der
Bevölkerung in den Blick. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass dieser Zustand in all
seinen Facetten bezüglich der gesamten Bevölkerung in den wesentlichen Bereichen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Reproduktion auf Gefährdungen hin ermittelt und überwacht wird, so dass seitens des öffentlichen Gesundheitsdienstes
zugleich Strategien und Maßnahmen entwickelt werden können, die der Risikoabwehr und der Förderung des Gesundheitszustandes dienen.
Diese essentielle, für ein funktionierendes Gesundheitssystem ebenso wichtige wie
unverzichtbare Aufgabenstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes fasst die
oberste Dienstbehörde des öffentlichen Gesundheitsdienstes in NRW, das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (MAGS) folgendermaßen zusammen:
„Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) schützt und fördert durch seine Arbeit die
Gesundheit der Bevölkerung und wirkt bei der Verhütung und Bekämpfung von
Krankheiten mit. Außerdem überwacht der ÖGD die Hygienevorschriften und die
Herstellung und den Handel mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Betäubungsmitteln
und Gefahrstoffen. Darüber hinaus berät er die Bevölkerung und Behörden in Fragen der Gesundheit - beispielsweise durch regelmäßig erscheinende Gesundheitsberichte.“36
Das NRW-Gesundheitsministerium bildet quasi die oberste Leitungs- und Führungsebene des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Nordrhein-Westfalen.
35
Schwarte, Dagmar „System der öffentlichen Gesundheitspflege“, in N.Roeder, P. Hensen
(Hrsg.)Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem und öffentliche Gesundheitspflege,
Deutscher Ärzte Verlag, 2009.
36
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen,
http://www.mags.nrw.de/03_Gesundheit/2_Versorgung/Institutionen/oegd/index.php
(14.04.2009).
55
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Im Rahmen seiner politischen Aufgabenwahrnehmung leistet das nordrheinwestfälische Gesundheitsministerium eine grundlegende Zielbestimmung sowie die
erforderliche politische Planung für den gesamten Gesundheitsbereich, wobei gemeinsam mit der Landesgesundheitskonferenz auch landesweite Gesundheitsziele
festgelegt werden.
Hinsichtlich der Steuerung und Weiterentwicklung der Gesundheitspolitik greift das
Gesundheitsministerium auf die Gesundheitskonferenzen auf Landes- und kommunaler Ebene, die Leitlinien und Gesundheitsziele, die Gesundheitsberichterstattung
und den Projektverbund „Gesundes Land Nordrhein-Westfalen" zurück. Mit ihm
werden neue, innovative Ansätze der gesundheitlichen Versorgung aufgezeigt und
bekannt gemacht.
Wobei nach Angaben des Ministeriums eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitspolitik „die Sicherung und der Ausbau der gesundheitlichen Infrastruktur - die
bedarfsgerechte Versorgung der Bürger mit leistungsfähigen Krankenhäusern, ausreichende Angebote für eine ortsnahe Versorgung psychisch Kranker und eine Optimierung der Hilfen für besondere Personengruppen wie beispielsweise HIVInfizierte und AIDS-Kranke (bleibt).“37
Nicht minder relevant ist die Unterstützung des Ministeriums für neue und bestehende Initiativen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bürgerinnen
und Bürger. Angesichts dieser, in den wesentlichen Grundzügen beschriebenen
Aufgabenstellung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums, nimmt der
Öffentliche Gesundheitsdienst eine zentrale Funktion bei der Umsetzung der gesundheitspolitischen Zielsetzungen und der für die gesamte Gesundheitswirtschaft
erforderlichen Rahmengebung wahr. Mit seinen öffentlich-rechtlichen Aufgaben auf
Landes- und kommunaler Ebene bildet er die dritte Säule (neben ambulanter und
stationärer Versorgung) des öffentlichen Gesundheitswesens.38
In seiner hoheitlichen Funktion obliegt dem ÖGD hierbei die strategische Umsetzung der Zielbestimmungen ebenso wie die Kontroll- und Überwachungsfunktionen
über den Gesundheitszustand sowie die Ermittlung von schädigenden Einflüssen
37
Ebenda.
Vgl. hierzu: Vöhringer, Hartmut: das öffentliche Gesundheitswesen. Wohlgeordnete
Unordnung:
hartmut-voehringer.de/assets/applets/Offentliches_Gesundheitswesen.pdf
(23.03.2009).
38
56
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
auf die Gesundheit der Bevölkerung. Zu seinen Aufgaben gehören mithin auch die
Planung und Qualitätssicherung von Maßnahmen.
Weiterhin sind die präventiven Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsverhütung zu nennen, die mit initiiert und in Verbindung mit dem ÖGD von
Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärzten, Gesundheitsämtern und
der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung durchgeführt werden.
Ebenfalls kommt dem ÖGD eine Funktion des Defizitausgleichs in der gesundheitlichen Versorgung z.B. bei der Schaffung von Beratungsangeboten zu. Ebenso hoch
ist der Stellenwert des ÖGD im präventiven Bereich in der Gesundheitserziehung
und Gesundheitsförderung anzusetzen, „so dass ein funktionsfähiger ÖGD für das
Gemeinwesen nicht mehr wegzudenken ist.“39
In diesem Kontext der Aufgabenstellung des öffentlichen Gesundheitsdienstes,
nimmt das Landesinstitut für Arbeit und Gesundheit (LIGA.NRW) als behördliche
Einrichtung der Landesregierung eine wesentliche Vermittlungs- und Strategiefunktion zwischen dem Gesundheitsministerium und den behördlichen Strukturen der mit
der Umsetzung von Zielen befassten ortsnahen Ebene des öffentlichen Gesundheitsdienstes wahr, die durch die unteren Gesundheitsbehörden - Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte repräsentiert sind.
Bei der Entwicklung und Festlegung der landesweiten Gesundheitsziele wird das
Gesundheitsministerium vom Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, mit seinen
Standorten in Düsseldorf, Bielefeld und Münster weitestgehend dadurch unterstützt,
dass das Ministerium auf die wissenschaftlich fundierte Beratungskapazität in Fragen der Gesundheit und der Gesundheitspolitik des Landesinstitutes für Gesundheit
und Arbeit (LIGA.NRW) zurückgreifen kann.
Ebenso berät das LIGA.NRW die Behörden und Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände in allen Fragen der
Gesundheit, der Gesundheitspolitik sowie der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes in der Arbeitswelt.
Dies schließt die Beratungs- und Dienstleistungsfunktion für die örtlichen Träger des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und für die Gesundheitsämter bei der
39
Vgl. hierzu: Elejtheria Beuels-Kejaloukou: Die Gesundheitsberichterstattung im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Eine primär-präventive Strategie auch in der Arbeitswelt, in: Sozialwissenschaften Und Berufspraxis (Sub) • 18. Jahrgang (1995)' HEFT 3, S.242 - 246.
57
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Durchführung und Weiterentwicklung ihrer Aufgaben mit ein. LIGA.NRW fungiert
damit in seiner Unterstützungsfunktion für die Landesregierung und die Gesundheitsämter/Unteren Gesundheitsbehörden als fachliche Leitstelle für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Diese seinerzeit vorgenommene gesundheitspolitische
Neubestimmung ist vor dem Hintergrund der Verabschiedung der damals neu eingebrachten gesetzlichen Regelung des ÖGDG in Nordrhein-Westfalen zu sehen.
Mit dem 1998 in Kraft getretenen "Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst"
(ÖGDG), wurde nicht nur eine Neubestimmung und Erweiterung der Fachaufgaben
entlang aktueller Problemlagen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes geleistet,
sondern dezidiert eine Neuausrichtung des Gesundheitswesens mit einer stärkeren
Konzentration auf den regionalen und kommunalen Kontext vorgenommen. Im Zuge
dieser Neubestimmung wurden auch die Aufgaben des damaligen LÖGD als Vorläufer des LIGA.NRW neu justiert.
Hinsichtlich des ÖGDG lässt sich feststellen, dass dieses Gesetz Ende der 90er
Jahre zum einen eine grundsätzliche Aufgaben- und Positionsbestimmung des öffentlichen Gesundheitsdienstes vornimmt, neue Pflichtaufgaben formuliert und zum
anderen vor allem die kommunale und regionale Basis der Kooperation von AkteurInnen im Gesundheitswesen favorisiert.
So ergeben sich - abgeleitet aus dem ÖGD-Gesetz - eine Reihe von neuen Aufgabenschwerpunkten für die kommunale Gesundheitspolitik.
Sie soll

die Gesundheitsberichterstattung und -planung auf eine gesicherte Grundlage stellen, wobei Defizite in der kommunalen Gesundheitsversorgung, die
sich aus der Gesundheitsberichterstattung ergeben, strategisch zu bewältigen sind

die Gesundheitsförderung und Prävention stärken,

aufsuchende und nachsorgende Gesundheitshilfen für sozial benachteiligte
Personen entwickeln bzw. ausbauen (z. B. alleinstehende Wohnungslose),

den umweltbezogenen Gesundheitsschutz intensivieren, wozu auch die Aufklärung der Bevölkerung über umweltmedizinische Fragen, die Bewertung
von Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf die Bevölkerung unter gesund-
58
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
heitlichen Aspekten sowie das Aufzeigen von Maßnahmen zur Abwehr gesundheitlicher Schäden gehören.40
Diese Aufgabenschwerpunkte zeigen, dass mit dem ÖGDG ein Paradigmenwechsel
vollzogen worden ist, nämlich von einer eher zentralen Aufgabenbestimmung hin zu
einer dezentralen, die Region und die kommunale Ebene in den Vordergrund stellenden Perspektive. Eine solche bottom- up Strategie mit dem Ziel, verbesserte soziale und gesundheitliche Versorgungsstrukturen bürgernah vor Ort zu implementieren, wurde schon 1994 von der Landesregierung mit dem Rahmenkonzept "Ortsnahe Koordinierung gesundheitlicher und sozialer Versorgung" in Form eines Modellprogramms angezielt, wobei die wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung
durch das LÖGD erfolgte.
Mit dem Projekt, dessen Ergebnisse schon frühzeitig mit in die Gesetzgebung einflossen (so hinsichtlich der Konstituierung von kommunalen Gesundheitskonferenzen nach §24 ÖGDG), wurde das Ziel verfolgt, die für den Gesundheitsschutz und
die Gesundheitsförderung vor Ort erforderlichen Ressourcen zielgenau und effizient
zu allokieren. Die anvisierte Optimierung der Versorgung sowie die Verbesserung
von Angeboten der gesundheitlichen und sozialen Versorgung sollte durch die Vernetzung der Akteure (der sog. Runden Tische und späteren kommunalen Gesundheitskonferenzen) und der vor Ort gegebenen Bürgernähe geschehen.
Die Ergebnisse des Projektes waren sehr vielschichtig. Zum einen erwies sich, dass
aufgrund der ortsnahen gesundheitsbezogenen Netzwerke und der in ihnen verfügbaren Informationen mit kommunalem Bezug „eine abgestimmte, bedarfsorientierte
kommunale Gesundheitspolitik in den kommunenspezifischen Handlungsfeldern
möglich ist, und erfolgreich sein kann.“41
Die Gestaltungsfähigkeit bezog sich im Wesentlichen auf Mehrheit jener Versorgungsbereiche und Handlungsfelder, die traditionell zu den Gestaltungsfeldern der
kommunalen Selbstverwaltung bzw. der auf kommunaler bzw. regionaler Ebene
agierenden Gesundheitsämter gehören.
40
Vgl.hierzu: Harald Wölter: Öffentlicher Gesundheitsdienst. Neue Aufgaben kommunaler
Gesundheitspolitik, auf : Heinrich-Böll-Stiftung http://www.kommunale-info.de/, 2002.
41
Pablo Zamora: Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven einer Optimierung der Gesundheitlichen Versorgung durch Kommunalisierung von Gesundheitsbezogenen SteuerungsUnd Managementprozessen, Bielefeld, April 2002, S.122.
59
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
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Eine weitere Intention des Projektes jedoch, dass durch eine Kontextsteuerung die
Netzwerkakteure Formen der Selbststeuerung entwickeln, die miteinander kompatibel sind und so einen regionalen oder kommunalen Mehrwert hinsichtlich der Optimierung der Versorgung entfalten, erfüllte sich nur zum Teil, da sich Umsetzungsprobleme insbesondere bei Maßnahmen ergaben, die überörtliche Planungs- und
Entscheidungsstellen tangierten.42
Hier zeigte sich das Manko an relevanten Informationen sowie an nicht vorhandenen Zuständigkeiten, das sowohl die strategische Orientierung von Maßnahmen als
auch die Legitimation für eine weiterreichende Entscheidungs- und Planungskompetenz konterkarierte. Als Konsequenz dieser Defizite wäre den regionalen und lokalen Gesundheitsnetzwerken zusätzliche Planungs- und Entscheidungskompetenzen
hinsichtlich der Mitgestaltung der örtlichen Gesundheitsförderung einzuräumen.
Dies jedoch ist an die Voraussetzung geknüpft, dass ein weiterer Auf- bzw. Ausbau
der Gesundheitsberichterstattung (GBE) erfolgt, der in extensiver Weise Informationen über die lokale und regionale Ebene erhebt und den lokalen Netzwerken zur
Verfügung stellt. Dies kann als die entscheidende Bedingung und notwendige
Grundlage für eine rationale, bedarfsorientierte Gesundheitspolitik und -planung sowie zur Herstellung von Transparenz im Gesundheitssystem betrachtet werden.43
Das Projekt machte in dieser Hinsicht deutlich, dass Information und Aufklärung sowie eine effizientere Ausrichtung der regionalen und lokalen Gesundheitspolitik auf
die Belange der Bevölkerung von der Erstellung der Gesundheitsberichte abhängt.
Insofern, als dass das ÖGDG fordert, dass die Gesundheitsberichterstattung auf
eine gesicherte Grundlage zu stellen ist, trägt das Gesetz von 1998 diesem Sachverhalt Rechnung (§21, ÖGDG).
Damit ist eine wesentliche Kernkompetenz des LIGA.NRW benannt. Das ÖGDG
benennt in § 27 Abs.1 als eine der entscheidenden fachlichen Aufgabenstellungen des damaligen Landesinstitutes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst - die Gesundheitsberichterstattung.
Als fachliche Leitstelle unterstützt das LIGA.NRW die kommunalen Gesundheitsberichte der unteren Gesundheitsbehörden, so dass sich für die ortsnahe Koordinierung der Versorgungsleistungen und Maßnahmen ein möglichst genaues Bild der
42
43
Vgl. hierzu: Zamora 2002, a.a.O.,S.125.
Vgl. hierzu: Zamora 2002, a.a.O., S.107 ff.
60
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
bestehenden Situation ergibt, aus dem dann ein entsprechender Handlungsbedarf
abgeleitet werden kann. Dieser Prozess reicht von der Analyse bis zur operativen
Umsetzung von Strategien sowie der Evaluation der Maßnahmen und wird in allen
Phasen vom LIGA.NRW begleitet. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Tätigkeiten der Beratung, Prozessbegleitung sowie der Öffentlichkeitsarbeit.
Im Rahmen dieser Aufgaben ist das LIGA.NRW zudem mit der Vorbereitung der
Landesgesundheitsberichterstattung NRW sowie mit der Aufbereitung der Grundlagen (Daten und Wissen) für die GBE befasst. Die dazu benötigten Grundlagen, die
der Erstellung von Gesundheitsberichten dienen, wie Gesundheitsdaten, Gesundheitsindikatoren, gesundheitswissenschaftliche Literatur und Berichte anderer Ebenen, werden gesammelt und aufbereitet.
In diesem Aufgabenkontext werden beispielsweise 200 Gesundheitsindikatoren
jährlich bearbeitet und fortgeschrieben, die die Aufgabe haben, verfügbare Informationen zu aussagefähigen und nutzerfreundlichen Eckdaten zusammenzufassen.
Wobei ca. ein Drittel dieser Indikatoren Informationen bis auf Kreis- bzw. Stadtebene für NRW liefern, die einen wichtigen Bestandteil für die systematische Darstellung und Analyse des Gesundheitszustandes der Bevölkerung, der Gesundheitsdeterminanten und der Gesundheitsversorgung liefern. Überdies vertritt das LIGA.NRW das Land Nordrhein-Westfalen in nationalen und internationalen Gremien
und Projekten zur GBE.44
Zu den Unterstützungsaufgaben des LIGA.NRW/vormals LÖGD für die Unteren Gesundheitsbehörden gehört es aber auch, Ergebnisse der Landes-GBE auf
Ebene der Kreise zu spiegeln, damit sie zur Bearbeitung kommunaler gesundheitspolitischer Fragestellungen herangezogen werden können.45
Am Beispiel der Gesundheitsberichterstattung, sei es auf kommunaler Ebene oder
Landesebene, zeigt sich die enge Interdependenz zwischen den regionalen (kommunalen) Schnittstellen und dem LIGA.NRW. Im Rahmen dieser Vernetzung des
LIGA.NRW mit den regionalen Schnittstellen werden wechselseitig Inputs ausge-
44
Vgl. hierzu: die Themenfelder Landesgesundheitsberichterstattung und Kommunale Gesundheitsberichterstattung - ein gesundheitspolitisches Planungs- und Steuerungsinstrument, auf: http://www.loegd.nrw.de/gesundheitberichterstattung
45
Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD), Konzept Landes-GBE
NRW, Mai 2007 Konzept für eine Weiterentwicklung der Landes- Gesundheitsberichterstattung in NRW, S.2.
61
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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tauscht, die eine Steuerung der Gesundheitspolitik sowohl auf Landesebene wie
auch aufgrund des Monitorings vor Ort zielsicherer machen.
So liefert die Gesundheitsberichterstattung für die kommunalen Gesundheitskonferenzen wichtige orientierende und die weitere Arbeit fundierende Grundlagen zur
Planung, Themenwahl, Prozessbegleitung und Evaluation, so dass Entwicklungen
transparenter und kommunale gesundheitspolitische Fragestellungen zielführender
einer Lösung zugeführt werden können.
Andererseits bieten die Inputs der Landesgesundheitsberichte wertvolle Informationen für die regionale Koordinierungsebene in Form von über den kommunalen
Rahmen hinausweisenden Problemlagen der gesundheitlichen Situation und Versorgung. Desgleichen lassen sich gesundheitspolitische Maßnahmen und Handlungsoptionen anhand von Vergleichsanalysen, Trends und best practise Beispielen
identifizieren, die über den lokalen Kontext hinausweisen und gewonnene Erkenntnisse für die eigene ortsnahe Problemlösung modifiziert umsetzen.
Unter der Perspektive der engen korrelativen Verzahnung der verschiedenen regionalen Ebenen und im Hinblick auf die Erfassung und Aufbereitung von Daten und
Informationen sowie der Vermittlung von Analysen, Modellen und Handlungsempfehlungen im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung zeigt sich, dass das LIGA.NRW mit diesem Leistungssegment im Öffentlichen Gesundheitsdienst das
Manko der Informationsdefizite für die kommunale Steuerungsebene und deren
Koordinierungsanspruch eines bedarfsorientierten Gesundheitsmanagementprozesses auszugleichen vermag. Damit stellt das Leistungsprofil von LIGA.NRW eine wesentliche, wenn nicht die entscheidende Voraussetzung dafür dar, dass eine bürgernahe Gesundheitsversorgung erfolgen kann.
Bürgernähe kann niemals durch eine zentral gelenkte Gesundheitspolitik erfolgen.
Vielmehr ist die regionale Ebene als Ebene der Integration von Maßnahmen einer
den lokalen Verhältnissen passgenau entsprechenden gesundheitlichen Versorgung
zu präferieren.
„Was immer durch Gesetz und öffentliche Finanzierung ermöglicht und gefördert
wird, es ist nur so nützlich, wie es sich auf lokaler bzw. regionaler Ebene konkretisiert. Medizinische und pflegerische Dienstleistungen sind - abgesehen von einigen
hochspezialisierten und besonders kostspieligen Einrichtungen - per se lokale oder
regionale Einrichtungen. Zwar müssen die Probleme der gesundheitsbezogenen
62
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Intervention und Versorgung auf sämtlichen Ebenen von Gesellschaft und Politik
angegangen werden, aber die entscheidende Ebene, auf der sich alle Bemühungen
zu beweisen haben, ist die lokale bzw. regionale. Der mögliche Nutzen einer stärkeren Regionalisierung ergibt sich aus der notwendigen Orientierung auf die Gesundheit der Bevölkerung (Public Health-Orientierung). Netzwerke von Organisationen,
die eine koordinierte Versorgung entlang der gesamten gesundheitsbezogenen
Interventions- und Versorgungskette organisieren, sollten auf definierte Populationen bezogen und für deren Gesundheit auch öffentlich verantwortlich sein“46.
Diesen Weg beschritt auch die Landesregierung in Hinsicht auf die Favorisierung
der fünf Gesundheitsregionen. Diese wurden bereits am 01.01.2008 mit einem effizienten Clustermanagement versehen, um Wachstumspotenziale durch gezielte Beratungsangebote und Vernetzungsmaßnahmen - auch zwischen den sich regional
etablierenden Clustern - zu fördern.
„Schwerpunkt ist der Ausbau und die Stärkung der Vernetzung der lokalen und regionalen Gesundheitsakteure als Innovationsmotoren für die Branche.“(Cluster Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen Gesundheitswirtschaft NRW)
Dass sich mittlerweile offensichtlich eine Änderung der Zielorientierung ergeben hat,
macht der noch zu diskutierende Paradigmenwechsel von den dezentralen Strukturen einer regional verankerten Gesundheitswirtschaft und einem öffentlichen Gesundheitswesen, das hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit der Inputs der wissenschaftlichen und informativen Ressourcen vor Ort bedarf, um seine Effizienz zu
entwickeln, hin zu einem zentralen standortgebundenen Ressourcenpool ohne Verankerung an den regionalen Schnittstellen deutlich.
Entscheidend in Hinblick auf den öffentlichen Gesundheitsdienst und weite Teile des
öffentlichen Gesundheitswesens und damit für die Qualität der Versorgung vor Ort
sind allerdings die Erkenntnisse der Regionalforschung, die deutlich machen, dass
eine Regionalisierung - insbesondere der GBE-Ressourcen und der Vernetzung von
LIGA.NRW-Ressourcen mit den wissenschaftlichen Dienstleistern vor Ort und die
gesundheitswirtschaftliche Rahmenplanung auf der Landesebene ebenso wie auf
der regionalen und kommunalen Ebene - von außerordentlicher Bedeutung sind. Es
handelt sich also beim erforderlichen regionalen Bezug im Falle von LIGA.NRW (also ehemals LÖGD und LAfA) um systematisch angebahnte, funktional eingespielte
46
Kühn 2001:51; darüber hinaus Badura et al. 2001:303.
63
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
und erprobte Netzwerke auf regionaler Ebene, die eine weitreichende Impulsgebung
in regionaler Hinsicht leisten und gewährleisten.
Die gegenwärtige Diskussion in der Regionalforschung bestätigt den Erfolgsfaktor
regionaler Bindung und Einbindung von Wissensakteuren und den sie einbettenden
Kooperationsmodellen an den regionalen Schnittstellen. So steht außer Zweifel,
dass die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen heute in enger Beziehung zur Fähigkeit der Regionen gesehen wird, soziale und institutionelle Bindungen zwischen den
Akteuren der Region derart aufzubauen, dass Regionen als Kollektive handlungsfähig werden. „Dabei hat die räumliche Dimension (nicht: die Regionsbindung) insofern Bedeutung, als Netzwerke, die durch schwache Institutionalisierung und horizontale Kommunikation gekennzeichnet sind, Bindungen brauchen, wenn kollektives Handeln erreicht werden soll [...]. Der „Kitt“ der Bindungen sind Vertrauen, ungeschriebene Spielregeln (wie Reziprozität, Fairness und Verlässlichkeit des Handelns), Kooperationsbereitschaft, Solidarität u. Ä. - also das, was vielfach mit „Sozialkapital“ umschrieben wird.“47
Wobei dieses Sozialkapital zumeist auf persönlichen Kontakten beruht. „Dafür reichen Internet-Dialoge nicht aus. Vielmehr spielen hier die Raumüberwindungskosten und die regionale Interaktionsdichte eine Rolle. Denn Menschen, die in demselben regionalen Umfeld zusammenleben, gehen Bindungen ein, die von Zugehörigkeit zu gemeinsamen Institutionen über gemeinsame Geschichte bis zu sozialen
Normen reichen können.“48
Solche Vernetzungen, wie sie exemplarisch an den einzelnen Standorten von LIGA.NRW mit dem entsprechenden Leistungsportfolio aufzeigbar sind, gewinnen ihre
Qualität aus spezifischen Koordinationen der beteiligten Akteure. Netzwerke vor Ort
haben den Vorteil, dass sie in erster Linie Akteure über face-to-face-Kontakte koordinieren, was die wohl wirksamste Form der Steuerung in komplexen, mit Unsicherheit belasteten kollektiven Prozessen, darstellt. „Zumindest lässt sich das für wirtschaftliche Produktions- und Innovationsprozesse bei interorganisatorischer Vernetzung nachweisen. Man kann sogar so weit gehen, dass die Stärkung von netzwerk-
47
Fürst, Dietrich: „Region und Netzwerke - Aktuelle Aspekte zu einem Spannungsverhältnis,
DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, 2001,
http://www.die-bonn.de/zeitschrift/12002/region_und_netzwerke.htm (13.4.2009)
48
Ebenda.
64
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
artigen governance- Formen auf Regionsebene zu einer „neuen Form von Politik“
führen wird.“49
Die Vorteile, die sich hierdurch ergeben, sind offensichtlich. Die erforderlichen Koordinationen zwischen den beteiligten Akteuren zur Information- und Datenerhebung
sowie die Vermittlung in Form von Strategien und Maßnahmepaketen im Rahmen
der regionalen Adressatenebene der von LIGA.NRW mit anvisierten lokalen Bereichen, werden flexibler, so dass sich neue Ideen und Innovationen schneller generieren und in die einzelnen anvisierten regionalen Bereiche transferieren lassen.
Die bisherige Leistungsqualität eines - an den regionalen Schnittstellen standortbezogenen LIGA.NRW -verifiziert geradezu empirisch die Richtigkeit dieser Erkenntnisse der Regionalforschung.
8 Das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW
In dem neuen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW wurden das bisherige
Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes NordrheinWestfalen (LÖGD) und die bisherige Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen (LAfA) zusammengeführt.
Die Aufgabenwahrnehmung des "Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit" (LIGA.NRW)
50
verweist auf einen wesentlichen Aspekt des Öffentlichen Gesundheits-
dienstes NRW, nämlich seine Funktion, die Landesregierung hinsichtlich gesundheitspolitischer Fragestellungen und Zielbestimmungen zu unterstützen und die Behörden und Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Gemeinden
und Gemeindeverbände in Fragen der Gesundheit, der Gesundheitspolitik sowie der
Sicherheit und des Gesundheitsschutzes in der Arbeitswelt zu beraten. Darüber hinaus nimmt LIGA.NRW wichtige Kontrollfunktionen, so im Bereich des Arbeitsschutzes (sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter) und der Arzneimittelsicherheit wahr, sofern diese nicht in den Aufgabenbereich einer anderen Verwaltung
fallen.
Bezüglich des gesamten gesundheitspolitischen Themenkomplexes sowie der Gesundheitsberichterstattung besteht das Ziel der Fachaufgaben - wie sie für das LI49
50
Fürst 2001, a.a.O.
Siehe auch http://www.lafa-duesseldorf.nrw.de/ (14.04.2009).
65
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
GA.NRW (hier das Zentrum für Öffentliche Gesundheit (ZÖG) laut Gesetz (ÖGDG)
verankert sind - darin, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, zu verbessern
und die dazu notwendige Infrastruktur zu gewährleisten. Hierzu dient die gesundheitspolitische Orientierung, die das LIGA.NRW (ZÖG) wahrnimmt, ebenso, wie die
Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler Ebene (KGBE) wie auf Landesebene
(LGBE).
Entscheidend hierbei ist, dass das LIGA.NRW mit seiner aus dem ÖGD-Gesetz resultierenden Aufgabenstellung und -erfüllung im Wesentlichen dazu beiträgt, dass
die für Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung erforderliche Infrastruktur mit
seinem Know-how nicht nur auf Landesebene, sondern auch ebenso auf kommunaler Ebene entwickelt und optimiert wird. Dies ist ein entscheidender Aspekt für die
gesamte Gesundheitswirtschaft.
Der Leitmarkt - so wie er zuvor in seiner Regionalisierung beschrieben wurde, als
dezentrale Initiativen der fünf Gesundheitsregionen, bedarf unter der Perspektive
der Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen einer dafür
angemessenen regionalen Infrastruktur. Hierbei geht es im Wesentlichen um das
öffentliche Gesundheitswesen und nicht um die Gesundheitswirtschaft im Ganzen.
Diese Infrastruktur zu optimieren und entsprechende Steuerungsfunktionen auch im
Hinblick auf die Bewertung von Entwicklungen im Gesundheitswesen vorzunehmen,
die die Lage der Bevölkerung betrifft, obliegt laut Gesetzesauftrag dem LIGA.NRW
als fachliche Leitstelle für den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Damit nimmt das LIGA.NRW zum einen eine eminent wichtige Funktion für den
Gesamtkomplex Gesundheitswirtschaft ein, die darin besteht, mit den vorhandenen
wissenschaftlichen Informationsressourcen auch auf Fehlentwicklungen im Bereich
der Gesundheitswirtschaft, sei es im originären Segment des öffentlichen
Gesundheitswesens oder auch insbesondere im Segment des 2. Gesundheitsmarkt
aufmerksam zu machen und politisch-rechtliche Korrekturen anzumahnen, so dass
sich über eine solche Intervention im Rahmen des Gesundheitsschutzes auch die
gesundheitliche Lage der Bevölkerung verbessern lässt.
Zum anderen ist das LIGA.NRW damit zugleich an die regionalen und kommunalen
Schnittstellen der vielfältigen Initiativen und Akteure der Gesundheitswirtschaft vor
Ort verwiesen, also dort zu verorten, wo sich entsprechende Strukturen auch
66
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
entwickeln. Auch hier nimmt LIGA.NRW aufgrund seines wissenschaftlichen
Potenzials eine steuernde und unterstützende Funktion wahr.
Die Aufgaben, die LIGA.NRW zukünftig in diesen Bereichen laut Kabinettsbeschluss
zu versehen hat, lassen sich in den nachfolgend aufgeführten Themenfeldern
zusammenfassen:

Weiterentwicklung der Gesundheitsberichterstattung, wobei die Informationsbasis rund um die gesundheitliche Lage und über die Versorgung der
Bevölkerung in NRW mittels von Indikatoren, Bevölkerungsbefragungen, Arbeits- und Planungshilfen, verschiedener Auswertetools, Prozessbegleitung,
Kreisprofilen und Bundesvergleichen gebildet wird

Ausbau der Prävention,

Meldewesen für Früherkennung gefährdeter Kinder

Fragen des Seuchenschutzes als Landesstelle für die Meldungen nach dem
Infektionsschutzgesetz

Arzneimittelsicherheit (wobei die Arzneimittelsicherheit ein wichtiges Anliegen eines effektiven Gesundheits- und Verbraucherschutzes darstellt. Als
fachliches Kompetenzzentrum hat LIGA.NRW die Aufgabe, die Anwendungssicherheit von Arzneimitteln durch Arzneimittelüberwachung zu überprüfen, dies schließt die Herstellungs- und Kontrollprozesse ebenso ein wie
die analytische Qualitätsüberprüfung von Arzneimittelproben).
Das LIGA.NRW berät darüber hinaus sowohl die Politik, als auch den öffentlichen
Gesundheitsdienst in allen gesundheitspolitischen Fragen (z.B. bei der Bekämpfung
von Ausbrüchen oder hoch ansteckenden Erkrankungen sowie der Krankenhaushygiene). Das LIGA.NRW besitzt damit Kernkompetenzen im öffentlichen Gesundheitsdienst.
Mit seiner Anerkennung als Collaborating Centre der WHO (Regions for Health
Network) ist zudem eine besondere Stärkung der Reputation der wissenschaftlichen
Arbeit des LIGA.NRW im internationalen Kontext erfolgt.
Im LIGA.NRW sind die zukunftsimmanenten Aufgabenfelder „Gesundheitsrisiken bei
der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“ zu bearbeiten. Vor dem
Hintergrund des demographischen Wandels werden der Erhalt und die Förderung
67
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der Beschäftigungsfähigkeit vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen wichtige Schwerpunkte sein.
Das Zentrum nimmt darüber hinaus im Bereich des Arbeitsschutzes auch sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter und die Politikberatung wahr. Das LIGA.NRW mit seinem „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ berät und unterstützt in
diesem Handlungsfeld die Arbeitsschutzbehörden in NRW in medizinischen Fragen
des Arbeitsschutzes. Hierbei werden auch Probleme vor Ort, zum Beispiel im Rahmen von Betriebsbesuchen versucht, einer Lösung zuzuführen, sei dies zu den
Problemfeldern Möglichkeit von Arbeitszeitverlängerungen über die rechtlich vorgesehenen Schichtzeiten hinaus oder hinsichtlich der vielfältig auftretenden gesundheitlichen und psychischen Belastungen der Beschäftigten, wobei das Zentrum für
Gesundheit in der Arbeit gehalten ist, auch das wirtschaftliche Interesse des Betriebes zu berücksichtigen. Zumal nur die optimale Verknüpfung von gesunden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und profitablem Betrieb den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg sicherstellen kann.
Überdies kümmern sich die Medizinerinnen und Mediziner des LIGA.NRW um Themen wie z.B. Allergien im Beruf, gesundheitliche Auswirkungen von Lärm, vom Heben schwerer Lasten aber auch um Mutterschutz. Ebenso erstreckt sich die Beratungstätigkeit auf den Jugendarbeitsschutz, so dass den besonderen Bedürfnissen
und gesundheitlichen Expositionen von jungen Menschen Rechnung getragen werden kann. Der Vorteil des LIGA.NRW besteht hierbei auch darin, dass dezentral an
allen LIGA. NRW-Standorten, Expertinnen und Experten zu allen Fachdisziplinen
rund um die Gesundheit und Sicherheit in der Arbeitswelt zur Verfügung stehen, deren Erfahrungen an den regionalen Schnittstellen mit den Arbeits- und Gesundheitsbedingungen in Unternehmen und im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort in den jeweiligen regionalen Gesundheitsclustern, einen immensen
Kompetenzpool aus psychologischem, naturwissenschaftlichem oder sicherheitstechnischem Know-how bilden, so dass umfassende Lösungen für identifizierte
Problemkomplexe entwickelt werden können. Zudem vermag LIGA.NRW - aufgrund
der eingespielten Interaktion der LIGA.NRW-Akteure untereinander und des Informationsaustausches mit den Akteuren aus den Netzwerken - damit eine komplette
Beratung aus einer Hand zu leisten.
Das Aufgabenportfolio des LIGA.NRW zeigt, dass hier wesentliche Funktionen für
den Gesundheits- und Arbeitsschutz wahrgenommen werden sowie für die Entwick-
68
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
lung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems. Der Öffentliche Gesundheitsdienst, wie er sich im LIGA.NRW abbildet und durch das LIGA.NRW koordiniert
wird, steht in der Gefahr durch die Anbindung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus in seiner Funktion relativiert zu werden. Dies deshalb, da die Ausrichtung
der Bündelung der Kompetenzen des ÖGD und ihre Vernetzung im Hinblick auf die
gesundheitswirtschaftlichen Themenfelder und intendierten Geschäftsmodelle des
Gesundheitscampus zu einer Relativierung der Funktion des LIGA.NRW für das
Gesundheitswesen beitragen werden.
9 Der Gesundheitscampus als das gesundheitspolitische
Leitprojekt der Landesregierung
„Wir geben uns mit dem Erreichten nicht zufrieden. Wir wollen noch mehr tun, um
die Chancen des Zukunftsthemas Gesundheit zu nutzen. Wir sind heute eine führende Gesundheitsregion in Deutschland. Wir wollen eine führende Gesundheitsregion in Europa werden. Und wir wollen international mit den Besten mithalten.“ Dieser Anspruch, den Minister Laumann zum Thema: Gründung eines „Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen" als Zielbestimmung der Landespolitik hinsichtlich der
künftigen gesundheitspolitischen Weichenstellung formuliert, soll mit der Gründung
eines landesweit Gesundheitsdienstleistungen in Forschung und Praxis koordinierenden zentralen Standortes der Gesundheitswirtschaft NRW realisiert werden.51
Die Idee, eine zentrale Organisationseinheit an einem Standort im Ruhrgebiet zu
konzentrieren, lässt sich am aufschlussreichsten an dem geplanten organisatorischen Nukleus des Gesundheitscampus, dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen), illustrieren.
Die Landesregierung intendiert nach den Ausführungen des ehemaligen Staatssekretärs im Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Winter
die Schaffung eines Kompetenzzentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen, das den
entsprechenden Bedarf an Strategie und Vernetzung als „Kopf“ des Gesundheitscampus abdecken soll.
51
Vgl.: Sprechzettel des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, anlässlich der Pressekonferenz in Düsseldorf. Pressemitteilung 20.06.2008.
69
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Hierbei fallen dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) wesentliche Aufgaben bezüglich der Vernetzung und strategischen Ausrichtung der Gesundheitswirtschaft, bzw. der gesundheitswirtschaftlichen Akteure in
NRW zu. Es soll die Fortsetzung des Dialogs mit den Akteuren in NordrheinWestfalen gewährleisten. Dies bezieht sich vorrangig auf den landesweiten Dialog
mit den Exzellenzen, der ausdrücklich ausgebaut werden soll.52
Zweitens soll das Zentrum weitere mögliche Leitprojekte identifizieren und entwickeln. Dies besagt, dass Leitprojekte zum einen gemeinsam mit den Trägern zu
konzipieren und zum anderen auch die erforderlichen Finanzierungskonzepte zu
entwickeln sind. „Dabei beziehen wir ausdrücklich auch Unternehmen, Stiftungen
und internationale Fördermittel ein.“53
Drittens ist vorgesehen, dass das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit
Nordrhein-Westfalen) für die gesamte Gesundheitswirtschaft, respektive für Gesundheitsleistungen aus Nordrhein-Westfalen Marketingleistungen, in Form der
Entwicklung einer „Dachmarke“ für die Gesundheitsdienstleistungen erbringt. Überdies soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) die internationale Präsenz nordrhein-westfälischer Unternehmen und
Krankenhäuser auf den Gesundheitsmärkten unterstützen.
Viertens ist vorgesehen, dass das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) als zentrale Unterstützungseinheit für die Akteure in Nordrhein-Westfalen bei der Einwerbung internationaler Fördermittel fungiert. Dies bezieht sich auf Fördermittel im umfänglichen Sinne, z.B. der EU, der WHO oder der
NIH. „Damit folgen wir ausdrücklich der Leitidee „Fund the Funding.“54
Fünftens soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) als Informationspool fungieren und das Wissens- und Info-Management
für die Gesundheitswirtschaft NRW übernehmen - als Basis für strategische Entscheidungen, für Exportaktivitäten und die Akquise von Investoren auf dem Gesundheitsmarkt.
52
Vgl. hierzu: Laumann a.a.O.
Sprechzettel des Staatssekretärs im Gesundheitsministerium des Landes NordrheinWestfalen, Prof. Dr. Winter, anlässlich der Pressekonferenz in Düsseldorf zur Errichtung eines Gesundheitscampus im Ruhrgebiet.
54
Winter, a.a.O.
53
70
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Eine weitere Aufgabenstellung, die allerdings an der Schnittstelle zwischen Strategieentwicklung und Forschung angesiedelt ist, soll nach Willen des MAGS ebenfalls
vom oder im Rahmen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) versehen werden. Unter der Perspektive einer Stärkung der Versorgungsforschung ist geplant, dass zur Koordination, Vergabe und Auswertung
interdisziplinärer Forschungsvorhaben Stellen für drei Wissenschaftler dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) angegliedert werden. Die Versorgungsforschung ist deshalb für die gesundheitspolitische Entscheidungsfindung relevant, da sie die wissenschaftlichen Grundlagen für gesundheitspolitische Zielbestimmungen - in der Ambivalenz von Qualitäts- und Patientenorientierung als auch ökonomischer Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems - leistet.
Für die Versorgungsforschung sollen für 2009 1 Mio. €, ab 2010 2 Mio. € jährlich
zusätzlich bereitgestellt werden.
Zu fragen ist jedoch, ob eine solche Orientierung für die Gesundheitspolitik im Bezugsrahmen widerstreitender Interessen zwischen wachsenden technischen, medizinischen und gesundheitsfördernden Möglichkeiten auf der einen Seite und dem
ökonomischen Druck sowie dem sozialen und demographischen Wandel auf der
anderen Seite nicht eher in das Aufgabengebiet des derzeitigen LIGA.NRW zu integrieren ist, da es die dazu erforderlichen Ressourcen und die entsprechenden
Kompetenzen aufweist. Insbesondere - sofern noch nicht am Gesundheitscampus
verankert - auch die notwendige Unabhängigkeit der Bewertung von Entwicklungen,
die die Versorgungsqualität des Gesundheitswesens betreffen.
Angesichts dieser zentralen Aufgabenstellung für die Förderung und Entwicklung
der Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitswesens in NRW, wird deutlich, dass
das mit 42 Stellen (bis 2011) geplante Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) die zentrale Säule des Gesundheitscampus darstellen wird.
Welche weiteren Funktionen und Aufgaben das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) - insbesondere hinsichtlich möglicher Steuerungs- und Koordinierungsfunktionen - auch gegenüber den anderen am Standort
zu verankernden Institutionen - wahrzunehmen hat, lässt sich bislang nicht eruieren.
Stringente Konzepte hierfür liegen bislang seitens der Landesregierung oder des
MAGS noch nicht vor.
71
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Neben dieser Säule des Gesundheitscampus sollen im Rahmen weiterer Funktionsbereiche, die mit dem Gesundheitscampus - neben der Strategiebildung und Vernetzung - abgedeckt werden sollen, vor allem

Das Öffentliche Gesundheitswesen

Die Forschung

Die Qualifikation sowie

strategische Technologiefelder
neu ausgerichtet werden.
Im Bereich Öffentliches Gesundheitswesen ist seitens der Landesregierung intendiert, die entscheidende Leitstelle für den ÖGD, das LIGA.NRW. am Standort Gesundheitscampus Bochum zu konzentrieren.
Herausgelöst aus der Vernetzung der drei regionalen Schnittstellen der Standorte
Bielefeld, Münster und Düsseldorf sollen die wesentlichen Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens auf dem Campus konzentriert werden. Damit ist das Aufgabenspektrum des LIGA.NRW von der Prävention und der Früherkennung gefährdeter Kinder über die Arzneimittelsicherheit und den Infektionsschutz bis hin zur
Gesundheitsberichterstattung des Landes gemeint. Hinzu kommen die von der
ehemaligen LAfA versehenen Aufgabengebiete, die seit dem 01.01.2008 im „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ im LIGA.NRW versehen werden. Hiervon erwartet
das MAGS eine stärkere strategische Ausrichtung des Gesundheitscampus auf Zukunftsthemen wie „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung.“
Darüber hinaus richteten sich die Konzentrationsbemühungen des MAGS auch auf
das Epidemiologische Krebsregister aus Münster, denn das bundesweit in seiner
Größe einzigartige landesweite Krebsregister bildet eine wesentliche Voraussetzung
für Ansätze einer effizienten Krebsbekämpfung. Insofern werden durch die Verlagerung an den Gesundheitscampus wiederum strategische Vorteile bei der Besetzung
von Zukunftsfeldern seitens der Landesregierung erwartet. Mittlerweile jedoch hat
sich das Krebsregister in Münster mit guten Argumenten gegen eine Verlagerung
ausgesprochen.
Hinsichtlich des Funktionsbereiches Forschung ist geplant, dass Einrichtungen der
medizinischen Grundlagenforschung auf dem Gesundheitscampus etabliert werden.
72
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Zum einen soll die Expertise, wie sie derzeit in strukturierten Programmen an der
Ruhr Universität Bochum in der Proteinforschung im „Exzellenzcluster „Proteinnetzwerke“ Bochum existiert, in Form eines Europäischen Protein-Forschungszentrums
(PURE: Protein research Unit Ruhr within Europe) am Gesundheitscampus angesiedelt werden.
Überdies soll zudem noch eine weitere Einrichtung der medizinischen Grundlagenforschung den Forschungsbereich am Gesundheitscampus ergänzen. Anvisiert ist in
dieser Hinsicht seitens des MAGS, dass die Möglichkeiten, die die regenerative Medizin, die Potenziale des Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen sowie erfolgreicher Projekte aus Wettbewerben der Landesregierung und des Kompetenznetzwerk Stammzellforschung Nordrhein-Westfalen bieten, mit einbezogen werden.
Der Entwicklungsstand dieses Vorhabens ist ebenfalls nicht zu eruieren, da bislang
keinerlei Informationen öffentlich wurden. Ob es sich hierbei um eine bloße Absichtserklärung der Landesregierung handelt oder ob mittlerweile schon konkrete
Schritte hinsichtlich einer Realisierung dieses Vorhabens in die Wege geleitet wurden, lässt sich nicht angeben.
Hinsichtlich des Funktionsbereiches Qualifikation ist beabsichtigt, die bundesweit
erste Fachhochschule für Gesundheitsberufe in staatlicher Trägerschaft aufzubauen, so dass mit der Fachhochschule für Gesundheitsberufe die weitere Professionalisierung der nichtärztlichen Heilberufe in Ausbildung und Forschung vorangetrieben
werden kann. Hierfür sind 1.000 Studienplätze bei ca. 300 Absolventen pro Jahr geplant.
Unter der Funktionseinheit Strategische Technologiefelder ist geplant, dass der
bundesweit existierende Vorsprung Nordrhein-Westfalens gegenüber anderen Bundesländern hinsichtlich des Einsatzes innovativer Telematikanwendungen im Gesundheitswesen ausgebaut wird. Führend in dieser Technologiebranche ist das
Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen (ZTG) mit Sitz in Krefeld. Telematikanwendungen kennzeichnen einen Wachstumsmarkt, bei dem allein in den nächsten fünf Jahren ca. 500 Mio. € in den Aufbau einer Telematik-Infrastruktur seitens
der Gesundheitswirtschaft in Nordrhein-Westfalen investiert werden. Aus diesem
Grunde ist geplant, das ZTG ebenfalls auf dem Gesundheitscampus anzusiedeln.
Allerdings bereichert um zwei weitere Schwerpunktabteilungen. Mit dem Health Informatics & Telematics Center am ZTG ist beabsichtigt, das nationale Profil des
ZTG durch international orientierte wissenschaftliche Tätigkeiten zu stärken und das
73
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Zentrum für Telemedizin am ZTG soll vor allem das Aktionsprogramm Telemedizin
Nordrhein-Westfalen umsetzen.
Eine wesentliche Problematik des geplanten Gesundheitscampus liegt in seiner
zentralen Organisationsstruktur, die für dezentrale Einrichtungen, die am Standort
konzentriert werden sollen, wenig Raum lässt. Eine andere Problematik besteht darin, dass die Konzentration von Einrichtungen an einem zentralen Standort deren
dezentral gestaffelte Ressourcen unterminiert -und zugleich wie sich noch erweisen
wird - eigene Ressourcen den regionalen Clustern entzieht und diese damit
schwächt.
Wie schon erwähnt, bilden die US-amerikanischen National Institutes of Health
(NIH) die Blaupause für den geplanten nordrhein-westfälischen Gesundheitscampus. Die Legitimation für einen zentralen Standort, an dem wesentliche Ressourcen
des Gesundheitswesens und der Gesundheitswirtschaft in NRW zusammengezogen werden sollen wird, über das Vorbild NIH geführt.
Die NIH als Teil des U.S. Department of Health and Human Services mit ihren 27
Instituten und Zentren, die mit über 75 Gebäuden auf einem Campus in Bethesda,
Maryland konzentriert sind, stellen einen regelrechten, regional verorteten „brain
trust“ dar. Allerdings ist hinsichtlich einer Übertragung auf den Gesundheitscampus
zweierlei einschränkend zu sehen: Zum einen handelt es sich bei den NIH - als einem der wohl bedeutendsten biomedizinischen Forschungszentren in den USA - um
eine staatliche Anstalt der US-Gesundheitsbehörde. Hier wird mit großem Aufwand
Forschung für das US-Gesundheitssystem betrieben. Also nicht im Sinne der Privatwirtschaft mit einer gesundheitswirtschaftlichen Orientierung, sondern eher im
Rahmen dessen, was den Kriterien des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung dienlich ist. Hinsichtlich dieser Ausrichtung auf das Gesundheitswesen
und im Hinblick auf den Schutz und die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung - also Forschung im Interesse der Öffentlichkeit zu betreiben - entspräche
die Institution NIH eher dem LIGA.NRW als dem Gesundheitscampus (obgleich
auch die Aufgabenstellung differieren mag).
Zum anderen beschränkt sich die Konzentration von Instituten an einem Standort
darauf, dass diese ihre forschungsrelevanten Vernetzungen zwar auch im Rahmen
des räumlichen Umfeldes des Forschungscampus aufweisen, aber darüber hinaus
74
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
transzendierend, Forschungsressourcen durch strategische Allianzen mit Instituten
und Dependancen in den ganzen USA einholen.
Obwohl an einem zentralen Standort konzentriert, schöpfen sie ihre Synergien auch
maßgeblich exogen, durch Forschungsaufträge, die weniger standortbezogen sind.
Hierfür spricht, dass die NIH 80% ihrer Mittel in die Forschungsförderung außerhalb
des Standortes vergibt und auf Institute in den gesamten USA verteilt. Demgegenüber scheint es, dass mit dem Gesundheitscampus in erster Linie der Versuch unternommen werden soll, durch die Konzentration von unterschiedlichen Institutionen
des Gesundheitswesens (LIGA.NRW, Epidemiologisches Krebsregister, ZTG, PURE, weitere noch unbestimmte Forschungseinrichtungen) eine Synergien produzierende Forschungsstruktur und Wissensinfrastruktur zu schaffen, deren Resultate
hauptsächlich standortimmanent gewonnen werden. Zwar soll das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) als Informationspool und
zentrale Unterstützungseinheit für die Akteure in Nordrhein-Westfalen bei der Einwerbung internationaler Fördermittel fungieren, allerdings scheinen diese Aktivitäten, die noch einer Spezifizierung bedürfen, eher auf ein über den Standort hinausweisendes Projektmanagement hinzudeuten, das - gemessen an den Aktivitäten im
Rahmen der Forschungsförderung der NIH, als eingeschränkte Version betrachtet
werden könnte. Zudem ist der Ansatz des Forschungsmanagements auch diametral
verschieden von den NIH. Während das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) Leitprojekte identifiziert, für die Finanzierungsmöglichkeiten auch durch Unternehmen, Stiftungen und internationale Fördermittel erschlossen werden sollen, verfolgen die NIH einen konstruktiveren Ansatz. Sie stellen von den 27,887 Mrd. $ Eigenmitteln gut 80% in die Vergabe von Auftragsforschung ein. Hier zeigt sich der Vorteil einer staatlichen Behörde.
Abgesehen von den 75 Mio. €, die das Land NRW in den Gesundheitscampus investieren will, werden hier wohl kaum noch erhebliche Mittel für eine vitale und zielführende Forschungsförderung vom Land beigesteuert werden. (Abgesehen von
den angekündigten 2 Mio. € pro Jahr für die Versorgungsforschung). Schon aus
diesem Grunde ist abzusehen, dass hier „PPP Modelle“ einer Finanzierung wohl
eher anvisiert werden. Was dies allerdings für die Objektivität der dadurch geförderten Studien und die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung und Projekttätigkeit am Gesundheitscampus bedeuten dürfte, lässt sich erahnen. Forschung
und handlungsorientierte Projekte im öffentlichen Interesse werden den Regulativen
75
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der Kommerzialisierung geopfert werden und einer interessegeleiteten Auftragsforschung weichen.
Damit sind zugleich auch die Grenzen für das LIGA.NRW und seine Leitstellenfunktion gezogen. Denn mit der Konzentration von Institutionen des Gesundheitswesens, der Forschung und Wissenschaft sowie privatwirtschaftlichen Unternehmen
verbinden sich Vorstellungen von Synergien und Kooperationsvorteilen, die im
Rahmen des Standortes selbst zu realisieren und wirtschaftlich zu verwerten wären.
Abgesehen von der verbalen Bekundung des Ministers Laumann - „Wir nehmen uns
dabei ein Beispiel an den berühmten National Institutes of Health in den Vereinigten
Staaten. Aber wir kopieren sie nicht“ - weisen die Aufgaben, die das Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) übernehmen soll
darauf hin, dass dieses Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) möglicherweise analog dem Office of Director der NIH geplant ist.
Die Aufgabenbestimmung des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit
Nordrhein-Westfalen) wie die strategische Ausrichtung der Gesundheitsleistungen,
die Formulierung einer Dachmarke, die Identifizierung und Entwicklung von Leitprojekten, die Unterstützung von Gesundheitsleistungen im internationalen Markt, ein
umfassendes Wissens- und Info-Management, die Vernetzung und Impulsgebung
für Exzellenzinitiativen entsprechen Funktion der zentralen Steuerungseinheit Office
of Director im Rahmen der NIH. Angesichts dieser Analogie bleibt jedoch zu fragen,
ob die Kompetenzen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) sich darin funktional erschöpfen oder ob dieses Kompetenzzentrum - ebenfalls in Analogie zur Organisationsstruktur der NIH - nicht auch eine weisungsgebende Steuerungsfunktion gegenüber den anderen am Gesundheitscampus zu etablierenden Institutionen, wie etwa dem LIGA.NRW, wahrnehmen wird.
Damit würde das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) quasi zur Leitstelle des Gesundheitscampus aufgewertet, das aufgrund
seiner behördlichen Vollmacht mit über die Fachaufgaben und deren Wahrnehmung
durch das LIGA.NRW bestimmt. Inwieweit sich dies dann noch mit dem ÖGDG
deckt, bleibt mehr als fraglich. Aufgrund der eingeschränkten Öffentlichkeitsarbeit
der Landesregierung sowie der geringen Transparenz, die mit diesem Themenkreis
möglicherweise befassten Verwaltungseinheiten gewähren, können hierüber nur
Vermutungen angestellt werden.
76
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
10 Der Paradigmenwechsel
An der gesamten Konzeption des Gesundheitscampus wird ein entscheidendes
Moment deutlich. Es ist die geradezu eklektizistisch betriebene Zusammenfassung
von Einrichtungen des Gesundheitswesens aus ganz Nordrhein-Westfalen, insbesondere der Gesundheitsregionen, die aus ihren ursprünglichen regional determinierten Arbeits- und Leistungszusammenhängen herausgerissen und solipsistisch
an den neuen Standort konzentriert werden. Abgesehen von den Neugründungen
des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) und
der Fachhochschule für Gesundheitsberufe sind sowohl mit dem ZTG, dem Epidemiologischen Krebsregister aus Münster, als auch dem LIGA.NRW Institutionen betroffen, die bislang in gewachsenen Netzwerkstrukturen eingebettet und mit den Akteuren ihrer Standorte in enger und - dies ist zu betonen - erfolgreicher Weise kommunikativ und arbeitstechnisch verbunden waren. Gerade diesen Sachverhalt betont und begründet der bislang verfolgte Clusteransatz des Landes, wie er auch im
Clustermanagement zum Ausdruck gelangt.
Aufgrund der Bedeutung des Gesundheitssektors sowohl für Wachstumsprozesse,
aber ebenso auch für die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort haben sich
Kommunen und Regionen über die letzten Jahre engagiert Kooperationsverbünde,
Netzwerke oder Projekte ins Leben gerufen, um die „Vorteile der Zusammenarbeit
für die eigene Standortentwicklung zu nutzen.“, wie es das Ministerium für Arbeit,
Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen beschreibt. Als sinnvoll
wird mithin vor allem die regionale Kooperation „der Akteure aus der Gesundheitsversorgung, aus Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft, Forschung und Verbänden, aus kommunalen Einrichtungen sowie weitere Partner entlang der Wertschöpfungskette“ betrachtet.55
Vernetzung und Kooperation werden in dieser Hinsicht nicht nur als Erfolgsfaktoren
wirtschaftlicher oder beschäftigungspolitischer Wachstumsprozesse betrachtet,
sondern mit Blick auf die erwähnten Akteure der Gesundheitsversorgung und damit
auch des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, ebenso als erforderliche Voraussetzungen für eine hochwertige Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen.
Zu diesen Gesundheitsdienstleistungen gehören vor allem Wissen und Organisationsformen von Leistungen, so hinsichtlich ausgewiesener regionaler Innovationsfel55
Siehe www.gesundheitswirtschaft-nrw.de
77
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der sowie der Querschnittsthemen Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung als auch Gesunde Kindheit. (Wie der Präventionspreis 2008 „Gesund aufwachsen - ganzheitliche Förderung der körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklung von Vorschulkindern” verdeutlicht). Beide Querschnittsthemen sind auch
originäre Handlungsthemen von LIGA.NRW, die an den regionale Standorten Bielefeld (mit den Aufgabenfeldern Unterstützung des Kindes- und Jugendgesundheitsdienstes, Gesundheitsberichterstattung, Unterstützung der Gesundheitspolitik in
NRW, Prävention und Gesundheitsförderung) und Düsseldorf (Präventive Gestaltung der Arbeitsbedingungen in KMU, Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt
und Erhalt und Förderung von Beschäftigungsfähigkeit im demographischen Wandel) seit langem wahrgenommen werden.
Die Kompetenzen und das Know-how des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind
also ein wesentlicher Faktor des in Clustern regional vernetzten Gesundheitssystems und seiner Leistungen. Ohne die Akteure des öffentlichen Gesundheitswesens
an den regionalen Schnittstellen dürfte sich die Qualität der Wissenstransferierung
und des strategischen Organisationspotenzials für die Verbesserung der Gesundheitsförderung vor Ort, in den Kommunen und Regionen verschlechtern. Eine Konzentration von Know-how an einem zentralen Ort dürfte sich negativ auf den bisherigen dezentralen Ansatz, wie er in den Clustern seine Signatur findet, auswirken.
Die regionalen Gesundheitscluster werden in ihrer Substanz bei Verlagerung von
LIGA.NRW in Bielefeld und Münster getroffen. Denn die erprobte strukturelle Verzahnung von impulsgebenden Netzwerkakteuren und regionalen Forschungseinrichtungen wie Unternehmen wird faktisch dadurch konterkariert, dass wesentliche
Elemente des Netzwerkes wie LIGA.NRW herausgelöst und somit auch von den
vielfältigen regionalen Aktivitäten der Initiativen der Gesundheitsregionen vor Ort
abgeschnitten werden. Hierbei handelt es sich um entscheidende Netzwerkakteure,
die aufgrund ihrer regionalen Verortung gerade jene Prozesse aktivieren, die die
Stärken des Clusters ausmachen.
Dadurch besteht kaum noch eine direkte Erdung für regionale Entwicklungen und
einen nachhaltigen Kompetenzaufbau.
Hinsichtlich der Konzentration dieser Institutionen ist festzustellen, dass zum einen
mit der Herauslösung von netzwerkrelevanten Akteuren, aus den regionalen Clustern - beim LIGA.NRW mit den Standorten Münster und Bielefeld aus den Gesund-
78
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
heitsregionen Münsterland und OWL - die gesamte Clusterphilosophie der Landesregierung konterkariert wird und zum anderen die Gesundheitsregionen als solche
bezüglich der Entwicklung eines leistungsstarken regionalen Gesundheitswesens
beeinträchtigt werden. Dies nicht nur an den derzeitigen konkreten regionalen
Schnittstellen von LIGA.NRW, sondern - in Anbetracht des Aufgabenportfolios von
LIGA.NRW - ebenso auch in landesweiter Hinsicht.
Noch ein weiteres Moment macht den Paradigmenwechsel vom dezentralen Akteursmodell zum zentralen Verwaltungsmodell evident. So ist geplant, dass nicht
mehr die profilierten Gesundheitsregionen selbst die Außendarstellung der NRW
Gesundheitswirtschaft wahrnehmen sollen, sondern dies im Rahmen des Gesundheitscampus erfolgen soll.
Nach den bislang noch geltenden Vorgaben der Landesregierung - und dafür spricht
die Einrichtung des Clustermanagements im Januar 2008, das die Profilbildung und
Vernetzung in den Regionen von NRW vorantreiben soll - dienen die regionalen Allianzen und Initiativen wirtschaftlichen Wachstums, nicht nur einer verbesserten gesundheitliche Versorgung, sondern auch dazu, dass sich der regionalisierte Leitmarkt im internationalen Wettbewerb auch besser positioniert.
„Wir brauchen ein klares Profil, eine klare Botschaft, was die Gesundheitswirtschaft
bei uns in NRW ist und was sie einzigartig macht [...].“56
Diese Einzigartigkeit besteht u.a. auch in der Vielzahl der besonderen Gesundheitsinitiativen und regionalen Netzwerke. Denn „ohne eine regionale Basisaktivität ist
eine Clusterbildung auf Landesebene nicht möglich […]. Deshalb werden wir den
Aufbau und die Profilbildung von regionalen Kooperationen unterstützen.“57 Es geht
hierbei um die regionale Profilbildung der Gesundheitsregionen. Diese wird über die
thematische Schwerpunktsetzung, über innovative Projekte und die Exzellenzinitiativen in den Regionen selbst geleistet.
Mit der Wahrnehmung der Profilierung der in den Regionen verankerten Gesundheitsleistungen unter einer „Dachmarke“ durch das geplante Kompetenzzentrum
(Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) im Gesundheitscampus, relativiert sich jedoch das spezifische regionale Profil, das sich in der Vielschichtigkeit der
Leistungsangebote, der regional qualitativen Besonderheiten und auch in den Stär56
57
Brigitte Meier in: Bielefeld Marketing, Pressemitteilung vom 28.02.2008.
Ebenda.
79
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ken von regionalen Versorgungsstrukturen als best practise konstituiert. Denn unter
der Perspektive der Entwicklung einer Dachmarke für alle Gesundheitsleistungen in
NRW, die vom Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) zu entwickeln ist, dürften sich regionale Besonderheiten kaum noch widerspiegeln. Dies ist sachlogisch in der begrifflichen Struktur von Dachmarken hinsichtlich ihrer Zusammenfassung von heterogenen Leistungsprofilen verankert.
Der Widerspruch besteht darin, dass jede Markenarchitektur auf zwei gegenläufigen
Tendenzen beruht, die auszubalancieren sind. Einerseits sollen alle Gesundheitsdienstleistungen durch Integration möglichst eng mit einer Marke verbunden werden, zum anderen sollen die unterschiedlichen Leistungen sich voneinander differenzieren, so dass sie ihre Besonderheit, Singularität und damit auch das Alleinstellungsmerkmal referieren können. Die Widersprüche zwischen Integrations- und Differenzierungszielen sind insofern unaufhebbar. Mithin ist wenn von sog. Dachmarken die Rede ist, wie hinsichtlich der Beschreibung des Gesundheitscampus durch
das MAGS, äußerste Vorsicht geboten, da dies nahe legt, dass hier ein notwendiger
theoretisch fundierter sowie strategisch orientierter Diskurs im Vorfeld schon nicht
geleistet wurde oder aber es sich hier nur um einen Scheinbegriff handelt.
„Tatsächlich sind Dachmarkenstrategien in vielen Fällen Pseudo-Lösungen. Sie
suggerieren die Lösung eines besonders schwierigen Problems, nämlich die konzeptionelle Ordnung komplexer Portfolios unterschiedlichster Produkte „unter einem
Dach” - ohne jedoch einen Anhaltspunkt zu liefern, wie diese Integrationsleistung im
einzelnen vonstatten gehen soll.“58 Vielmehr erweist sich in der Praxis „der Begriff
„Dachmarke” als ein untrügliches Signal für latent instabile Markenarchitekturen.
Denn mit dem „Dach” soll meist eine semantische Klammer geschaffen werden, die
zusammenhält, was de facto bereits auseinander driftet.“59
Dies besagt nicht, dass eine in sich differenzierte Markenarchitektur nicht auch heterogene Produktportfolios an Gesundheitsleistungen zu einer Marke integrieren kann,
allerdings sollten die unterschiedlichen Leistungsfacetten sich im Markenprofil in
ihren Wechselwirkungen widerspiegeln. Dies wiederum stellt eine hochkomplexe
Marketingleistung dar, die allerdings mit dem Begriff der Dachmarke nichts mehr
verbindet.
58
59
Henning Meyer: Vorsicht Dachmarke!, www.absatzwirtschaft.de (11.12.2008).
Ebenda.
80
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Unter diesen Aspekten gewinnt die „Dachmarkenkompetenz“ des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) jedoch noch eine andere
Bedeutung. Mit dem Pseudobegriff wird die Integration von dezentralen Leistungsprofilen unter eine zentrale Infrastruktur subsumiert und als Erfolgsfaktor mit den
Mitteln des Marketings legitimiert. Das dezentrale Format wird begrifflich auf ein positiv konotiertes zentrales Format eingedampft. Diese Suggestion, dass eine zentrale Markenführung den dezentralen Strukturen regionaler Gesundheitsleistungen und
ihrer Profilbildung überlegen wäre, so dass damit auch die internationale Präsenz
erfolgreich bestritten werden kann, referiert der Begriff der Dachmarke, wie er vom
MAGS funktionalisiert wird. Hieran wird die faktische Verschiebung der Gewichte hin zu einem zentralen gesundheitswirtschaftlichen Standort deutlich. Indem Ressourcen allen Bekundungen zum Trotz den Gesundheitsregionen entnommen werden - dies ist dem Konzept Gesundheitscampus sachlich immanent - wird auch die
Außendarstellung zentralistisch vollzogen, so dass Typik und Identität der regionalen Netzwerke wie auch ihre spezifische Problemlösungskompetenz unter dem zentralen „Dach“ des Gesundheitscampus kaum noch wahrgenommen werden können.
Angesicht der bislang noch dezidiert betriebenen Clusterausrichtung des Landes in
der Leitbranche Gesundheitswirtschaft und der Gesundheitsversorgung, irritiert ein
solcher - darin zum Ausdruck gelangender - Paradigmenwechsel von einem bislang
profilierten dezentralen Clustermodell hin zu einem zentralen Verständnis von
Wachstumskernen und einem korrespondierenden zentralen Modell verwalteter Gesundheitsleistungen.
Der Widerspruch zwischen den bislang geförderten regionalen Potenzialen und dem
Richtungswechsel hin zu einer Zentralisierung der Gesundheitsleistungen scheint
auch den politischen Initiatoren des Konzeptes Gesundheitscampus bewusst zu
sein. Auf die Inkonsistenz zur bisherigen dezentralen Förderung der Gesundheitswirtschaft und die Besorgnis um den Bestand der eingespielten Kooperations- und
Wertschöpfungsstrukturen angesprochen, antwortete der Ministerpräsident des
Landes NRW, Dr. Jürgen Rüttgers der MdB Gudrun Kopp (FDP), dass die NRW
Landesregierung mit dem geplanten Gesundheitscampus nur eine Ergänzung, mithin Verstärkung der Ziele der Clusterentwicklung in den Gesundheitsregionen anvisiere, so dass die NRW Gesundheitswirtschaft in Gänze für den internationalen
Wettbewerb gestärkt werde. „Campus und Regionen sollen einander ergänzen zu
81
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
einem landesweiten Netz der Exzellenzen“, so Jürgen Rüttgers in einem Brief an
Gudrun Kopp.
Beim
geplanten
Gesundheitscampus
im
Ruhrgebiet
setze
die
NRW-
Landesregierung auf internationale Wettbewerbsfähigkeit, schrieb Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident des Landes NRW, an Gudrun Kopp, MdB, als Replik auf ihre
kritische Wertung der Entscheidung der Landesregierung vom Sommer 2008. „Der
Gesundheitscampus NRW soll und kann die Gesundheitsregionen nicht ersetzen,
sondern er stützt sich auf die Exzellenz der Regionen, gerade auch der Region
Ostwestfalen-Lippe“, so Ministerpräsident Rüttgers in seiner ausführlichen Stellungnahme. Diese regionale Stärke habe, laut Kopp, der Ministerpräsident auch ausdrücklich zugestanden, wobei er sogar „von einem Aufbau neuer Beschäftigung im
Gesundheitsbereich von OWL ausgeht“, so Kopp.60 Abgesehen von der Frage der
Wahrscheinlichkeit einer solchen Einschätzung, bedarf es eines genaueren Blickes
auf die tatsächliche vom MAGS vorangetriebene Entwicklung - insbesondere die
Ausschreibung für den Standort des Gesundheitscampus.
Dass es sich bei den salvierenden Einlassungen zur Zweigleisigkeit des Vorgehens
bei der Verfolgung des Gesundheitscampus und der Förderung und Stärkung der
Regionalität seitens des Ministerpräsidenten nur um politische Rhetorik handelt, dekuvriert die Intention, das LIGA.NRW von seinen regionalen Standorten abzuziehen
und es mit einem veränderten Leistungsportfolio an den Standort Gesundheitscampus zu überführen. Dadurch gerät das LIGA.NRW zum einen in die Gefahr, sich der
privatwirtschaftlichen Interessenorientierung des Gesundheitscampus zu assimilieren und zum anderen seine Netzwerkbindung an den regionalen Schnittstellen aufgeben zu müssen. Dies jedoch impliziert - wie noch ersichtlich werden wird - erhebliche Auswirkungen im Hinblick auf eine qualitative Verschlechterung des ÖGD und
des Gesundheitswesens im Rahmen der Gesundheitsregionen.
10.1 Regionalisierung als dezentrales Modell versus Konzentration
als zentrales Modell
Mit der geplanten Zusammenführung der LIGA.NRW Standorte Düsseldorf, Bielefeld und Münster an den zentralen Standort Gesundheitscampus wird die bisherige
60
Quelle: FDP Ostwestfalen-Lippe, 17.11.2008.
82
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
gesundheitspolitische Ausrichtung der Landesregierung diametral verändert. Der
bisherige Clusteransatz - so wie er in den fünf Gesundheitsregionen und vielen lokalen Initiativen - mit großem Engagement über Jahre vorangetrieben wurde, wird damit zu Gunsten eines zentralen Standortes der Gesundheitswirtschaft und zu Lasten
der erfolgreichen regionalen und lokalen Cluster und gesundheitspolitischen Initiativen verändert.
Zwar behauptet das MAGS, dass dies keineswegs der Fall wäre, da weiterhin die
Gesundheitsregionen in erheblichem Maße gefördert würden, wofür allein schon
das seit 1.Januar 2008 eingerichtete zentrale Clustermanagement spräche. Allerdings ist hierbei kritisch anzumerken, dass das Clusterverständnis, das dem Clustermanagement zugrunde liegt, die dezentral organisierten regionalen Cluster der
Gesundheitswirtschaft als ein Ganzes, also die Gesundheitswirtschaft sui generis
als ein einziges Cluster begreift - wofür auch die zentrale Vernetzung der verschiedensten Initiativen - spricht. Ein solches Grundverständnis, dem zur Folge die Gesundheitswirtschaft in NRW als ein eigenständiges Cluster begriffen wird, leistet
damit einer Zentralisierung der faktisch existierenden regionalen Cluster Vorschub,
da die jedem Clusterbegriff immanente lokale bzw. regionale Bedeutungsdimension
ignoriert wird.
Um den Unterschied des Begriffsinhaltes und damit der konträren Konzeptionen, die
sich in ihm begründen, deutlich zu machen, ist noch einmal kurz der Bedeutungsgehalt des Clusterbegriffs zu reflektieren.
Cluster im originären Sinne sind regionale oder überregionale KooperationsNetzwerke, in denen verschiedene Akteure, wie z. B. Produzenten, Lieferanten,
Dienstleister, Forschungseinrichtungen sowie unterstützende Institutionen (z.B.
Verbände, Kammern) in räumlicher Konzentration, entlang von Wertschöpfungsketten miteinander kooperieren. Die dadurch bedingten Synergieeffekte entstehen dadurch, dass unter den Kooperationspartnern ein reger Know-how Transfer stattfindet, da die im Cluster koordinierten Einrichtungen und Unternehmen über die Fähigkeit verfügen, „Wissen und Erfahrung zwischen ähnlichen Wertschöpfungs-Ketten
zu übertragen.“61
61
Peter Meierhofer, Strategisches Management: Nutzen Sie Synergien, www.organisator.ch
Nr. 3/03.
83
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
So gewinnen die Akteure etablierter Netzwerke durch ihren intensiven Austausch
von Informationen und Wissen, das in Form sich ergänzenden Know-hows den gesamten Wissenspool des Clusters fortwährend qualitativ für alle Akteure vor Ort positiv verändert, erhebliche Innovationsvorteile - sei dies nun in ökonomisch rationaler
Hinsicht (Wachstumspotenzialstärkung und Wettbewerbsvorteile) - oder im Hinblick
auf die Entwicklung innovativer gesundheitspolitischer Zielbestimmungen in regionaler Hinsicht.
Dadurch lassen sich - in den Kategorien ökonomischer Rationalität betrachtet - für
alle Netzwerkakteure die Transaktionskosten senken. Zudem erleichtert dies die
Angebotsspezialisierungen von Faktormärkten in Bezug auf Arbeit und Kapital, aber
ebenso auch den Zugang zu technologischen und wissenschaftlichen Quellen. Der
Zugang und der Austausch von Informationen über Markt- und Technologieveränderungen sowie Innovationen in einem Kompetenzfeld, kann auf der regionalen Ebene
eines räumlich eingegrenzten Netzwerkes effektiver gestaltet werden, als von einem
zentralen Standort aus.
Das Zusammenspiel mit den Akteuren auf lokaler Ebene initiiert nämlich perennierende Lernprozesse und formuliert entsprechend differenzierte - auf die regionalen
Schnittstellen wie auch auf größere, übergreifende Verbünde bezogene - platzierbare Angebots- und Nachfragstrukturen.
Die räumliche Nähe in einem Cluster stellt hierbei einen signifikanten Erfolgstreiber
der Synergiebildung dar, da sie institutionelle Vorteile bietet, Zugang zu Wissen zu
erlangen, mit den Möglichkeiten des Austausches, der gezielten Anwendung und
der Evaluation von Know-how. Diese Interaktion der Akteure im regionalen Rahmen
initiiert also Lernprozesse, die wiederum über Innovationen auf die Region zurückwirken. Wissens-Spill-overs oder eine verbesserte Wissensverbreitung sind die
hauptsächlichen Motive für Mitglieder, sich an den Netzwerkaktivitäten zu beteiligen
und diese zu unterstützen.
Hierbei ist jedoch ein wesentlicher Faktor zu beachten. Die räumliche Konzentration
der kooperierenden Netzwerkakteure ist regionalspezifisch fundiert. Sie beruht auf
einer Vielzahl von regional gewachsenen Austauschsprozessen, die die sich herauskristallisierenden Kompetenzfelder einer Region begründen. Regionale Netzwerke entstehen nur dort, wo die in einer bestimmten Region angesiedelten Akteure
auf eine gemeinsame - oft tradierte - wirtschaftliche Basis zurückgreifen können.
84
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Aus diesem Grunde spricht Porter auch hinsichtlich seiner, der gesamten Clusterdiskussion zugrunde liegenden Definition des Clusters „von einer kritischen Masse
von Unternehmen in einem besonderen Tätigkeitsfeld an einem besonderen Standort" sowie einem in der Regel branchenübergreifenden spezialisierten Netzwerk von
Unternehmen und unterstützenden Institutionen.62
Cluster lassen sich demnach als „räumliche Ballung verwandter Wirtschaftszweige
mit intensiven intraregionalen Verflechtungen“ definieren.63
Cluster sind also in gewachsenen regionalen bzw. Standort-Bezügen und schon
bestehenden Netzwerk- bzw. Wertschöpfungsstrukturen fundiert und lassen sich
keineswegs künstlich durch Zusammenführung von unterschiedlichen Akteuren und
dem Versuch ihrer Vernetzung an einen zentralen Standort - quasi auf der „grünen
Wiese“ bilden.
Unter dieser Perspektive wird deutlich, dass man „Cluster […] nicht bilden (kann),
sie müssen erst einmal existieren. Dann sind Kriterien für ihren Erfolg:

die signifikante Größe für die regionalwirtschaftlichen Akteure;

die Lebendigkeit der Cluster: sie müssen sich ständig erneuern, innovativ
sein und bleiben;

der angemessene Branchenmix: soviel Ähnlichkeit wie möglich, soviel Heterogenität wie nötig;

Kooperation und Verflechtungen müssen intra- und interregional vorhanden
sein sowie ein Mix der verschiedenen Betriebsgrößenklassen“64
Die Validität dieser Aussage, lässt sich anhand der Herausbildung und Entwicklung
regionaler Biotech-Cluster in den USA belegen.
Die Biotech-Branche hatte in den vergangenen 15 Jahren in den USA außergewöhnliche Wachstumsraten zu verzeichnen. Meldeten Biotech-Unternehmen 1992
in den USA 1358 Patente an, waren es 1997 bereits 3014. Von 1990 bis 1999 stie62
Vgl. Porter 1991 u. Olaf Arndt: Cluster als Faktor im Standortwettbewerb. Potenziale und
Erfahrungen, Vortrag auf der AGKW-Jahrestagung 2006
63
Rolf Sternberg: Diskussionsbeitrag auf dem RMI Wissenschaftsforum: Zukunft RheinMain, Darmstadt 2002, in: Wissenschaftsforum: Zukunft Rhein-Main: Erfolgsfaktoren regionaler Wirtschaftsentwicklung Cluster und Netzwerke in der Rhein-Main-RegionDarmstadt
2002, S.9 ff.
64
Rolf Sternberg: Diskussionsbeitrag auf dem RMI Wissenschaftsforum: Zukunft RheinMain, Darmstadt 2002, a.a.O., S.9.
85
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
gen die jährlichen privaten Investitionen in den Bio-Pharma-Bereich von 10 auf 24
Mrd. US $ (Rosenberg, 1999). So zeigte sich, dass das explosionsartige Wachstum
der Biotech-Branche in den Jahren von 1990 bis 1999 geografisch sehr ungleichmäßig verteilt war.
Diese regionale Ungleichverteilung hatte allerdings, wie die Erkenntnisse aus einem
diesbezüglichen Forschungsprojekt deutlich machten, gute Gründe. So kommen die
Autoren zu dem Resultat, dass überzeugende Gründe dafür sprächen, „warum die
Biotech-Unternehmen sich in einigen wenigen eng begrenzten Regionen konzentrieren und warum sich gerade diese Regionen zu bevorzugten Standorten für BiotechUnternehmen entwickelt haben. Der wichtigste Produktionsfaktor in der BiotechWirtschaft ist spezialisiertes Fachwissen. In der Regel gelingt es nur wenigen Wissenschaftlern, sich dieses anzueignen. Wissenschaftler mit einem solchen Fachwissen brauchen darüber hinaus Informationen über potenzielle Märkte für Produkte,
die sich aus diesem Fachwissen entwickeln lassen. Darüber hinaus müssen sie
auch den Wunsch und die Bereitschaft mitbringen, dieses Fachwissen unternehmerisch zu verwerten. Die kommerzielle Nutzung von Fachwissen schließlich erfordert
Risikokapital und spezifische unternehmerische Fähigkeiten. Alle diese Faktoren an
einem Ort zusammenzubringen, ist außer in einigen wenigen, privilegierten Regionen nicht gelungen.65 Weiterhin zeigt sich, dass „Zeitpunkt und Ort der Gründung
neuer Biotech-Firmen sich „vorrangig durch die Präsenz von Wissenschaftlern erklären lässt, die sich aktiv an der Grundlagenforschung beteiligen.“ Noch präziser,
neue Firmen werden in der Biotech-Branche am wahrscheinlichsten dort gegründet,
wo Wissenschaftler ansässig sind, die zum Thema Gensequenzierung publizieren.“66
Entscheidend für die Clusterbildung war die schon vorhandene Forschungsinfrastruktur, an die die Unternehmen und Start-ups dann andocken konnten, so dass im
Prozess weiterer Vernetzung - aufgrund der Attraktivität für Unternehmen, die die
Vermarktung der Forschungsergebnisse in Form strategischer Allianzen im Netzwerk vornahmen - sich über diese kollaborierenden Netzwerke allmählich Cluster
entwickeln konnten.
65
David B. Audretsch/ Phil Cooke: Die Entwicklung regionaler Biotechnologie-Cluster in den
USA und Großbritannien, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg,
Nr. 107 / Juni 2001, S.4 ff.
66
Ebenda.
86
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Würde man die Wissensressourcen also aus einem solchen Cluster - wie beispielsweise hinsichtlich der Idee Gesundheitscampus mit der Überführung des LIGA.NRW
geplant - herauslösen, wären die Wertschöpfungsprozesse wie auch die innovative
Kraft dieses regionalen Clusters in erheblichem Maße betroffen. Analog dazu würde
sich mithin der Abzug der für die Region entscheidenden Ressourcen, die das dezentrale LIGA.NRW den regionalen Standorten zuführt, ebenfalls negativ auswirken,
da ein entscheidender Clusterakteur fehlen würde. Die Qualität der gesundheitsbezogenen Infrastruktur wie auch die gesundheitswirtschaftliche Wertschöpfung würden dadurch tangiert.
Cluster sind in der Lage, Spezialisierungen (Kompetenzfelder) zu generieren und
dadurch eine Effizienzsteigerung aufgrund der Zusammenarbeit in Sektoren wie
Ausbildung, Finanzen, Technologie-Entwicklung, Produkte, Marketing und Vertrieb
zu bewirken.
Hierbei ist - um es noch einmal hervorzuheben - die räumliche Einbettung der Akteure in vorhandenen Interaktionsstrukturen der entscheidende Erfolgsfaktor.
Der Austausch von Unternehmen und Forschungseinrichtungen bedarf der regionalen Nähe, da sie den informellen Austausch und die Ansammlung von implizitem
Wissen ermöglicht. Hierbei stellen die Face to Face Kontakte, trotz der Möglichkeiten von Vernetzungen auf der Ebene I. u. K. - Technologien nach wie vor den wohl
wichtigsten Erfolgstreiber dar. Dieses soziale Kapital darf in einem Cluster niemals
geopfert werden.
Denn hierin gründet eine wesentliche Quelle für innovative und kreative Prozesse,
wobei die Interaktion an den unterschiedlichen lokalen Standorten (Verbände, Institute, Messen, Restaurants, Universitäten etc.) stattfinden kann.
Aufgrund dieser Typisierung des Clusters wird deutlich, dass es nicht nur begrifflich
einen Unterschied macht, ob der Clusterbegriff in seinem Bedeutungsgehalt alle
Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen, die in einer regional unspezifisch definierten räumliche Struktur als bestimmend für den Wirtschaftszweig betrachtet werden, definiert oder die jeweilige spezifische regionale Vernetzung entlang von regional definierter Wertschöpfungsketten (Gesundheitsregionen) intendiert.

Im ersten Fall, lässt sich abstrahiert von den geographisch bestimmbaren
Wertschöpfungsnetzwerken und -prozessen auch eine zentrale Kooperationsstruktur legitimieren, aber eben ungeachtet der regionalen Besonderhei-
87
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ten der Netzwerke. Dies wäre der Clusterbegriff, der dem zentral organisierenden
Kompetenzzentrum
(Strategiezentrum
Gesundheit
Nordrhein-
Westfalen) mit seiner Supportfunktion aus den LIGA.NRW-Ressourcen zugrunde läge.

Im zweiten Fall wird die Besonderheit des regionalen Cluster in den Vordergrund gestellt, so dass deutlich wird, dass die Spezifik der Vernetzung in ihrer Qualität für die Wertschöpfung dieses regionalen Netzwerkes (Clusters),
ohne den Bestand und die Interaktion aller vorhandenen Netzwerkakteure
nicht funktionsfähig ist. Brechen gewichtige regionale Netzwerkknoten weg
(etwa ZIG und LIGA.NRW in der Region OWL), dürfte sich die Wertschöpfung wesentlich verändern, möglicherweise sogar erheblich verschlechtern.
Von einem Cluster zu sprechen, macht also nur Sinn, wenn die Spezifik der Vernetzungen der regionalen Wertschöpfungskette sowohl entlang den vertikalen wie auch
horizontalen Kooperationsnetzwerken und branchenübergreifenden Wertschöpfungsketten in den Blick gelangt.
So hilfreich ein zentrales Clustermanagement zur Vernetzung der einzelnen regional
verorteten Initiativen auch sein mag (so bei der Initiative „Brückenschlag“, um nur
ein profiliertes Beispiel von vielen zu nennen), so ist doch in erster Linie die Dynamik der Wertschöpfungsprozesse in den sich über Jahre entwickelten (regionalen)
Clustern von entscheidender Bedeutung, um überhaupt von einer sich dynamisch
entwickelnden Leitbranche Gesundheitswirtschaft sprechen zu können.
Es ist die Vielzahl der regionalen Cluster, in der sich die gesundheitswirtschaftliche
Wertschöpfung manifestiert. Ihre Vernetzungspotenziale und Vernetzungsqualität in
Form von vielfältigen Allianzen und Kooperationen entlang der Wertschöpfungsketten entscheiden maßgeblich darüber, welcher Mehrwert gesundheitswirtschaftlich
erwirtschaftet wird. Insofern lassen sich solche Prozesse zwar mit entsprechendem
Know-how begleiten, jedoch niemals zentral steuern und im eigentlichen Sinne auch
nicht initiieren.
Insofern ist die Feststellung Brigitte Meiers, der Clustermanagerin des Clusters „Gesundheitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologie“ richtig, wenn
sie darauf hinweist, dass ohne „eine regionale Basisaktivität eine Clusterbildung auf
Landesebene nicht möglich (ist)“. Weshalb im Rahmen des Clustermanagements
88
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der Aufbau und die Profilbildung von regionalen Kooperationen unterstützt werden
soll.67
Allerdings zeigt sich hieran ebenso auch, dass den Aktivitäten wiederum ein Clusterbegriff zugrunde liegt, der einer Zentralisierung der Gesundheitswirtschaft und
ebenso auch wesentlicher Teile des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Vorschub
leistet. Denn wenn die Gesundheitswirtschaft zum einen seitens des MAGS als
Ganzes als ein für sich bestehendes Cluster begriffen wird, und seitens der Landesregierung im Hinblick auf ihre Innovationsinitiative von dem Leitmarkt Gesundheit
gesprochen
wird,
der
sich
in
fünf
Clustern
konkretisiere
(NRW.Gesund-
heitswirtschaft und anwendungsorientierte Medizintechnologien; NRW.Medizinforschung / forschungsintensive Medizintechnologien; NRW.Biotechnologie sowie
NRW.Ernährung), so rücken die eigentlich relevanten regionalen Cluster an den
Rand des Blickfeldes.68
Die regionalen Schnittstellen der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozesse, wie die für das Gesundheitswesen entscheidenden Einflussgrößen und Erfolgstreiber einer qualitativen Förderung des Gesundheitswesens, also die Initiativen
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und des diese Prozesse begleitenden und
steuernden LIGA.NRW, werden damit in ihrer Bedeutung marginalisiert. Die zentrale
Steuerungsperspektive erweist sich somit als vorherrschend.
Vor diesem Hintergrund erscheint mithin der Prozess hin zu einer Standortkonzentration der vermeintlich wesentlichen Ressourcen der Gesundheitswirtschaft an einem zentralen Standort nur als konsequent. Insofern definiert sich auch die Rolle
des Kompetenzzentrums Gesundheit (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) unter Einbeziehung des Clustermanagements Gesundheitswirtschaft das ebenfalls aus der Region OWL abgezogen werden und auf dem Gesundheitscampus NRW im Rahmen des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit
Nordrhein-Westfalen) angesiedelt werden soll - sachlogisch konsequent aus den
Prämissen der Zentralität und eines eher desorientierenden Clusterverständnisses.
Das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) soll
eine
67
Auf: www.zig-owl.de
Vgl. hierzu auch: Henze, Michael: Excellenz setzt sich durch - Innovationswettbewerbe in
NRW. Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen,
Brühl 2008.
68
89
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Zentrale Stelle für Forschungskooperationen bilden.
Es soll als

Ansprechpartner und bevorzugte Schnittstelle für die Koordination von
Technologiestrategien, Technologietransfer und Vorvermarktung von Vorhaben der angewandten Gesundheitsforschung fungieren,
wobei es die

Akquisition von Projektvorschlägen, Aufbereitung zu förderungswürdigen
bzw. umsetzungsreifen Vorhaben

Unterstützung bei der Verwertung bzw. Umsetzung der Projektergebnisse
zu leisten hat.
Laut Kabinettsbeschluss gehören zu den wesentlichen Aufgaben des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen)

Strategieentwicklung und gesellschaftlicher Dialog,

Entwicklung von Leitprojekten, nationale und internationale Kommunikation
und Vermarktung,

Förderberatung,

Wissens- und Informationsmanagement (Overhead).

Die Vernetzung mit der Simulationsforschung, wobei ein Ansprechpartner
zur Simulationsforschung das Servicenetz auf dem Gesundheitscampus
komplettieren und Verknüpfungen zu wissenschaftlichen Einrichtungen wie
dem FZ Jülich schaffen soll. (Simulations-Forschung ist ein wichtiger neuer
Zweig auch für die Gesundheits- und Versorgungsforschung, die u. a. bei
epidemiologischen Studien, Berechnung von Molekular- und Wirkstoffstrukturen oder Ausbreitungsmodellen von Infektionskrankheiten zum Einsatz
kommen kann).
In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus von entscheidender Bedeutung, dass

das “ bereits bestehende Clustermanagement Gesundheitswirtschaft in das
Kompetenzzentrum integriert (wird)“ ;
und dass das
90
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen)
„Support-Funktion für die regionalen Entwicklungskonzepte“ hat.
Daran zeigt sich, dass hier eine zentrale Instanz der Steuerung und Zuweisung von
Ressourcen etabliert werden soll, die letztlich den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum der regionalen Akteure einengt und im schlimmsten Falle konterkariert,
indem hierbei wesentliche regionale Ressourcen überführt und zentral verwaltet
werden.
Nicht ohne Überlegung spricht das MAGS in diesem Kontext von der Vorbildfunktion, den die NIH für diese Organisationsstruktur bieten. („Mit dem Gesundheitscampus nehme sich die Landesregierung die amerikanischen National Institutes of
Health zum Beispiel, ohne diese zu kopieren.“) Hierbei bleibt allerdings fraglich,
welches Moment des strukturbildenden Vorbildes denn nun eigentlich am Gesundheitscampus mit welcher Zielvorgabe umgesetzt werden soll. Eine eindeutige oder
wenigstens erkenntnisleitende Antwort ist bislang vom MAGS hierzu noch nicht gegeben worden.
Vermuten lässt sich allerdings, dass mit der angeblichen Zentralität des NIH-Modells
weniger die Institute selbst gemeint sein dürften, als deren zentrales Management.
Hier lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Funktion und der
Steuerungskompetenz der Forschungsprozesse im Hinblick auf die gesamte Strategieentwicklung aller Akteure am Gesundheitscampus feststellen, so wie sich dies im
Aufgabenportfolio des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) ausdrückt. Sollte also das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum
Gesundheit Nordrhein-Westfalen) in Anlehnung an die Funktionen der Stabsstelle
der NIH entwickelt werden, so dürfte die Eigenständigkeit des LIGA.NRW in höchstem Maße tangiert werden. Denn die Organisationsstruktur des NIH impliziert im
Hinblick auf die zentrale Steuerung durch das Office of the Director einen durchweg
hierarchischen Aufbau. Der Direktor des NIH und seine Stabsstelle (Office of the
Director) als die zentrale Verwaltungseinheit mit Richtlinienkompetenz gegenüber
den Instituten ist - auf der Grundlage der Zuarbeitung der untergeordneten Verwaltungseinheiten für

Research, Funding and Coordination

Communications
91
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Administration & Services

policy science policy, science education etc.

Administration & Services.
die zentrale Steuerungseinheit, die die Ausrichtung aller Aktivitäten - entsprechend
den Vorgaben der US-Gesundheitsbehörde - exekutiert.
Das Office of the Director ist für die gesamte inhaltlich strategische Ausrichtung der
NIH, für die Planung, das institutionelle Management der auf dem Campus vertretenen Institute und für die Koordination der Programme und Aktivitäten aller im Rahmen der NIH organisierten Institute und (Verwaltungseinrichtungen) wie auch strategische übergeordnete Forschungseinrichtungen verschiedenster Themenstellungen verantwortlich.69
Insofern ist der organisatorische Aufbau der NIH vor dem Hintergrund der strategischen Funktion wie auch der Weisungsbefugnis der zentralen Stabsstelle für alle
Einrichtungen des Campus durchaus als ausgesprochen zentralistisch und straff
hierarchisch organisiert, zu bewerten.
Unter dieser Perspektive wird die Koordination von Kooperationsbeziehungen der
Institute untereinander sehr wohl wiederum mittels der Offices unter der Regie des
Office of the Director (OD) sichergestellt. Zudem entscheidet das Office of the Director über die Zuwendungen der Mittel aus der Gesundheitsbehörde und bestimmt
damit über die Forschungsetats der Institute, was letztlich auch bedeutet, dass das
OD Einfluss (nach Maßgabe der US Gesundheitsbehörde) auf die Forschungsinhalte und die Projekttätigkeit bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit nimmt.
Hierbei ist zu sehen, dass die National Institutes of Health weltweit der größte Geldgeber für die Forschung auf dem Gebiet der Bio- und Umweltwissenschaften sind.
Das jährliche Budget beträgt annähernd 29 Mrd. US-$, das sind rund 28 % der gesamten Ausgaben in den USA für biomedizinische Forschung. (Stand 2008).
Abgesehen von dieser Dimension der Forschungsförderung in den USA bleibt jedoch die in etwa analoge Funktion der beiden Steuerungszentralen für die Akteure
am jeweiligen Standort bemerkenswert. Sollte also das Kompetenzzentrum (Strate-
69
In Originalsprache: The OD is responsible for setting policy for NIH and for planning, managing, and coordinating the programs and activities of all the NIH components, Homepage
NIH.
92
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
giezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) im Office of Director sein Vorbild gefunden haben, wofür immerhin Indizien wie ein in etwa gleiches Leistungsportfolio,

Durchführung bzw. Steuerung der Projektorganisation, Controlling, Evaluation

Zentrale Stelle für Forschungskooperationen

Strategieentwicklung und gesellschaftlicher Dialog,

Förderberatung

Wissens- und Informationsmanagement (Overhead)
sprechen, so werden sich die Akteure am Standort, insbesondere das LIGA.NRW,
mit einer durchaus restriktiveren Verwaltungsstruktur konfrontiert sehen, da wesentliche Entscheidungsbefugnisse dann zentralisiert würden und nicht mehr in der Verantwortung des LIGA.NRW selbst blieben.
Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionen, die das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) laut Absicht der Landesregierung zu
versehen hat, nämlich

Unterstützung bei der Verwertung bzw. Umsetzung der Projektergebnisse
zu leisten und als

Ansprechpartner und bevorzugte Schnittstelle für die Koordination von
Technologiestrategien, Technologietransfer und Vorvermarktung von Vorhaben der angewandten Gesundheitsforschung zu fungieren sowie

Entwicklung von Leitprojekten, nationale und internationale Kommunikation
und Vermarktung voranzutreiben
wird zudem deutlich, dass mit der Positionierung des LIGA.NRW, wie auch aller anderen Akteure am Standort des Gesundheitscampus, die Gefahr einhergeht, dass
sie von einer kommerziellen Dynamik erfasst zu werden. Die Leitbegriffe, die die
Funktion des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) umschreiben, wie Verwertung, Vermarktung und Vorvermarktung, lassen
den privatwirtschaftlichen, gewinnmaximierenden Tenor deutlich werden.
Für das LIGA.NRW dürfte diese Kombination aus einer fremdbestimmten, eher heteronomen Bedingungen unterstellter Positionierung am Standort und einer Interes-
93
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
senkoordination, die auf die Verwertungsbedingungen der Gesundheitswirtschaft
und deren Interessen an der Vermarktung von Forschungsergebnissen, Produkten
und Dienstleistungen wie überhaupt auf ein weitgehend marktförmig organisiertes
Gesundheitswesen abhebt, eine Funktionsbeeinträchtigung für das Leistungsspektrum des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und für die Gesundheitsförderung im
Rahmen der Entwicklung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen darstellen.
Inwieweit für die sicherlich im Kontext der Gesundheitswirtschaft dominantere wirtschaftliche Rolle des Kompetenzzentrums (Strategiezentrum Gesundheit NordrheinWestfalen) die NIH Vorbildfunktion haben, mag dahingestellt sein - die privatwirtschaftlichen Nutzungsrechte von Patenten, die durch die Forschungsförderung der
NIH sich rasant entfalten, mögen dafür sprechen - aber die mit dem Kernelement
des Gesundheitscampus verknüpften Intentionen der Landesregierung sprechen
unmissverständlich für eine zunehmende Kommerzialisierung.
Abgesehen von diesem problematischen Ansatz einer zentralen Koordinationsstelle
mit strategischer Weisungsbefugnis im Rahmen ihrer Supportfunktionen ist allerdings fraglich, inwieweit die NIH überhaupt eine Blaupause für einen zentralen Ansatz der gesundheitswirtschaftlichen Weichenstellung abgeben können.
Denn die NIH als Teil des U.S. Department of Health and Human Services bestehen
immerhin aus 27 Instituten und Zentren, die mit über 75 Gebäuden auf einem Campus in Bethesda, Maryland konzentriert relativ dezentral aufgestellt sind. Dies betrifft
insbesondere auch deren Vernetzung, die zwar auch untereinander besteht , aber
ebenso auch einem dezentralen Ansatz der Forschungsförderung insofern folgt, als
dass Projektmittel von den einzelnen Instituten US- weit an entsprechende Kooperationsinstitute vergeben werden, die größtenteils als Exzellenzinitiativen die entsprechenden fachlichen Kernkompetenzen ausgebildet haben. Diese dezentrale regionale Interdependenz lässt sich an dem Beispiel des National Cancer Institute
(NCI)70, der wohl weltweit größten und renommiertesten Forschungs-Einrichtung
hinsichtlich der Krebsforschung, Prophylaxe, Diagnostik und Kuration sehr gut illustrieren.
70
Das NCI hat seinen Hauptsitz auf dem Campus der NIH in Rockville Cancer Centers Program. National Cancer Institute 6116 Executive Boulevard Suite 700, MSC 8345, Rockville,
MD 20892-8345.
94
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dennoch liegt hier keine zentrale Struktur im Institutsaufbau vor. Vielmehr werden
eine Reihe von Forschungsaufgaben - und andere Aktivitäten, die auch in Richtung
forschungs- und wissensbasierter Öffentlichkeitsarbeit gehen, von dezentralen
Standorten wahrgenommen, die räumlich entfernt von dem zentralen Standort situiert sind.
So wird eines der wohl relevantesten Forschungsfelder des NCI, die Erforschung
der Molekularstruktur und des Wachstumsmechanismus von Karzinomen und Aids,
in den Forschungslaboratorien des NCI-Frederick Campus auf dem Areal der USArmy in Frederick, Maryland bearbeitet. Überdies kooperieren NCI und die US-Army
am Standort Frederick u.a. im Rahmen der Gesundheitsvorsorge und Wellness. Sie
entwickeln und erproben Trainingsprogramme zur Gewichtsreduktion und führen in
diesem Themenfeld US-weite Wettbewerbe durch.
Ebenso dezentral gegenüber dem Hauptstandort der NCI sind die Excellenz Center
des NCI organisiert, die u.a. neben ihren Forschungsaufgaben vor allem die Krebsaufklärung in Form einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere einer verständlichen und umfassenden Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen
gewährleisten. Hierbei werden neueste Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften ebenso eingesetzt, wie Forschungsleistungen auf diesem Gebiet erbracht.
Diese Exzellenzzentren des NCI liegen ebenfalls abseits des Campus. Es handelt
sich hierbei um die entsprechenden Fachbereiche der Universitäten

Michigan,

Saint Louis

Wisconsin

Pennsylvania.
Ebenso verfügt auch das National Institute on Aging (NIA) mit Hauptsitz auf dem
Campus über eine Reihe wichtiger Excellence Center, die unverzichtbar für seine
Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit sind. So beispielsweise an der University of
Pittsburgh.
Dieses dezentrale Forschungsprofil dürfte wohl kaum dem zentralen Ansatz, wie er
von der Landesregierung verfolgt wird, als Vorbild dienen. Er entspräche vielmehr
dem dezentralen Modell der gegenwärtigen LIGA.NRW-Standorte. Insofern würden
95
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
die NIH wohl eher eine „Blaupause“ für den bislang erfolgreich im Öffentlichen Gesundheitsdienst verfolgten Ansatz darstellen, Kompetenzen, die regional gebunden
sind und die Synergien, die sich aus den gewachsenen regionalen Netzwerken der
Forschungslandschaft an den Standorten des LIGA.NRW realisieren lassen, an den
Standorten zu belassen und dezentral weiterzuentwickeln. Zum einen wäre es nicht
hilfreich die Exzellenzzentren an einem zentralen Standort zusammenzuführen und
damit von den für sie existenziell wichtigen Ressourcen ihrer regionalen standortbezogenen Netzwerke abzuschneiden, und zum anderen dürften die Forschungssatelliten eines jeden Institutes wohl wenig Synergien mit anderen Instituten auf dem
Campus aufweisen. Dies ist ebenso hinsichtlich der unterschiedlichen Leistungsbereiche des LIGA.NRW der Fall. Auch hier ist keineswegs davon auszugehen, dass
die beabsichtigte Synergiebildung, die mit der Idee eines zentralen Campus verfolgt
wird, eine realistische Basis hat. Denn zum einen ist überaus zweifelhaft, ob eine
zentrale administrative Overheadstruktur überhaupt sinnvoll für das LIGA.NRW ist,
und zum anderen bleibt fraglich, welche Kooperationspartner sich überhaupt für das
LIGA.NRW gegenwärtig und vor allem im Hinblick auf die Wahrnehmung der
Pflichtaufgaben ergeben könnten. Diese Problematik lässt sich an der geplanten
Verlagerung der AUST darstellen.
Die im Rahmen der Aufgabenkritik durchgeführte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
kommt hinsichtlich der Analyse des von der Landesregierung favorisierten Szenarios - Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW und Verlagerung an
dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW - zu dem Resultat, dass
Synergien aufgrund gemeinsamer Organisationsstrukturen bei dem Verwaltungsaufwand des AUST und bei entsprechender Organisation eines gemeinsamen Laborbereiches (beim Labor-Management und Beschaffung) für alle LIGA.NRW Leistungsbereiche realisiert werden können. Ebenso aber konstatiert das Gutachten,
dass durch „die Aufgabe der bisherigen Zusammenarbeit mit dem CVUA Münster
[…] mit begrenzten Mehraufwendungen für die Analytik sowie Nachteilen für die
fachliche Qualität der Arbeit zu rechnen wäre.“71
71
Nigmann, Ralf/Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, hrsg. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH 12.12.2008,
S. 35.
96
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Explizit werden hier sachlich begründete Bedenken gegen eine Herauslösung eines
LIGA.NRW Aufgabenbereiches aus seiner regionalen Vernetzung mit einem regional ansässigen Kooperationspartner geltend gemacht.
Die Kooperationsbeziehung zwischen dem AUST und dem Chemischen Veterinäruntersuchungsamt reicht sehr weit zurück. Analog zu anderen Bundesländern in
denen die Arzneimitteluntersuchungsstellen in anderen Institutionen integriert sind,
die Überwachungsaufgaben wahrnehmen, wie beispielsweise die Lebensmittel- und
Veterinärüberwachung, war auch die AUST.NRW bis 1994 im Chemischen Veterinäruntersuchungsamt in Münster integriert. Von 1995 an wurde sie dann ins neu
gegründete LÖGD überführt und dort im Fachbereich 5 mit ca. 28 Mitarbeitern verankert. Sachliche Gründe, wie Synergiebildung durch Bündelung von Kompetenzen
oder Ressourcen, konnten hierfür jedoch nicht geltend gemacht werden. Allerdings
konnte trotzdem aufgrund der noch gegebenen räumlichen Nähe ein enger fachlicher
Austausch auf dem Gebiet der analytischen Untersuchungen zwischen der Arzneimitteluntersuchungsstelle und dem CVUA in Münster beibehalten werden. So entwickelten sich durch die enge Zusammenarbeit beider Institutionen, insbesondere auf
dem Felde der chemisch-analytischen Spezialuntersuchungen, erhebliche Synergien,
die nunmehr - falls eine räumliche Trennung vollzogen würde - verloren gehen würden.
Noch problematischer auf die Aufgabenwahrnehmung der AUST würde sich jedoch die
Überführung auf den Gesundheitscampus darstellen. Denn in Anbetracht der avisierten
heterogenen Akteure aus der Gesundheitswirtschaft wie auch aus der Forschung, stellt
sich die Frage nach neuen Kooperationspartnern vor Ort, die den Synergieverlust möglicherweise kompensieren könnten.
In Anbetracht der klar definierten Pflichtaufgaben (amtliche chemisch-analytische Untersuchungen von Arzneimitteln auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes sowie
Kontrolle der Herstellungsverfahren auf der Grundlage von Betriebsinspektionen) lassen sich keine potenziellen Kooperationspartner unter den wenigen genannten - aber
noch nicht feststehenden - Akteuren am Campus finden, deren wissensbasierte, personelle oder materielle Ressourcen gemeinsam von der AUST mit entsprechenden Einsparpotenzialen oder einem qualitativen Mehrwert bei der Aufgabenerfüllung nutzbar
wären.
Vielmehr besteht die nicht zu übersehende Gefahr, dass bei dem dominant marktorientierten Profil des Gesundheitscampus der Interessenkonflikt zwischen Überwachungs-
97
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
und Kontrollfunktion im Sinne des Bürgers an der Sicherheit der Arzneimittel und den
Unternehmensinteressen an einer Vermarktung der Produkte in die Arzneimittelüberwachungsstelle selbst integriert wird, wodurch die Gefahr besteht, dass hier die Unabhängigkeit und Neutralität in der Aufgabenwahrnehmung tangiert werden könnte.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass das Bestreben, vermeintliche Kompetenzen an einem zentralen Ort bündeln zu wollen, indem dezentrale, funktionierende Kooperationsschnittstellen demontiert werden, sich geradezu kontraproduktiv auf das Leistungsportfolio und die Aufgabenerfüllung der entsprechenden Einrichtung auswirken wird.
Durch die Konzentrationsversuche der Landesregierung werden intakte und überaus
effizient arbeitende Netzwerke zerstört, die mitunter über Jahrzehnte gewachsen sind.
Werden aus einem solchen Cluster Akteure - wie das LIGA.NRW abgezogen - so
gehen in den Kooperationsverbünden wesentliche Inputs verloren. Die Verbünde beispielsweise aus Forschungseinrichtungen (Universitäten Bielefeld, Paderborn oder
Münster) und LIGA.NRW-Ressourcen (im Hinblick auf Bielefeld und Münster das
Zentrum für Öffentliche Gesundheit (ZÖG) sowie des Zentrum für Gesundheit in der
Arbeit (ZGA) in Düsseldorf) - können damit ihrer Impulsgebung für die Region nicht
mehr nachkommen. Unter dem Druck, nunmehr an einem anderen Standort ohne
intakte Netzwerke (wie beispielsweise dem ZIG-OWL) mit Unternehmen und
Einrichtungen interagieren zu müssen, die wenig bis keine Kooperationsschnittstellen
aufweisen, liegt es nahe, sich einer zwangsweisen Zusammenarbeit mit den noch zu
entwickelnden Kooperationsnetzwerken aus privatwirtschaftlichen und/oder öffentlichen
Institutionen zu beugen und das eigene Leistungsportfolio auf den dann formulierten
Bedarf abzustimmen. Damit jedoch sind die an der AUST aufgezeigten entsprechenden
Risiken verbunden, ohne jedoch - hier im Falle des LIGA.NRW - einen nachhaltigen
Nutzen
im
Hinblick
auf
einen
regionalen
Mehrwert
für
das
öffentliche
Gesundheitswesen erbringen zu können.
Das dezentrale Konzept - so wie es sich im Clusteransatz in der Gesundheitswirtschaft
symbolisiert, den die Landesregierung seit Ende 2007 - mit dem ins Leben gerufenen
Clustermanagement - forciert vorangetrieben hat, war bislang ein Garant für eine sich
dynamisch entwickelnde Gesundheitswirtschaft. Der Grund für den bisherigen Erfolg
liegt auch darin, dass sowohl clusterimmanent wie auch clusterübergreifend neben den
klassischen Erfolgsfaktoren eines Clusters wie der regionalen Nähe, die Austauschbeziehungen der Akteure entlang der Wertschöpfungskette, den Kooperationen zum
Austausch sich ergänzender Fähigkeiten, die synergiebildend sind, vor allem die
98
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Konkurrenzbeziehungen unter den wirtschaftlichen Akteuren in einem Cluster, als
auch unter den Gesundheitsregionen selbst, zu der aufgezeigten wirtschaftlichen
Dynamik beitragen. Insofern gewährleistet die Dezentralität in der Dimension der
Gesundheitsregionen auch den Wettbewerb, der wiederum zur jeweiligen Profilierung der Gesundheitsregionen beiträgt.
Regionale Gesundheitscluster bieten den Vorteil, dass sich in ihnen unterschiedliche gesundheitswirtschaftliche Handlungsschwerpunkte ausbilden, mit denen sich
die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen am Markt positionieren können. Aufgrund der Schwerpunktbildung kann sich zudem ein Expertenwissen in den Regionen akkumulieren, das eine wesentliche Bedingung für Exzellenzinitiativen in Forschung und Praxis darstellt. Mit ihren spezifischen kompetenzfeldbezogenen Netzwerken und den aus ihnen resultierenden Wertschöpfungsprozessen gewinnen Unternehmen, die in einer solchen Netzwerk- Allianz mit den für sie räumlich relevanten Akteuren kooperieren, komparative Vorteile am Markt; ebenso wie ganze Gesundheitsregionen aufgrund der in ihrem Clusterrahmen durch Vernetzung, kooperative Strategien und Synergien optimierten Ressourcen, ein internationales Profil
mit ihren Kernkompetenzen erlangen können.
Hierfür stehen die jeweiligen Kompetenzprofile der Gesundheitsregionen Metropolregion Ruhr, Ostwestfalen Lippe, Münsterland, Aachen, Köln/Bonn.
Dies lässt sich an den gesundheitswirtschaftlichen Kompetenzen in OWL verdeutlichen. Als die wohl stärkste Kur- und Heilbäderregion NRW`s (Standort für 21 von 42
der nordrhein-westfälischen Kurorte und Heilbäder) verfügt diese Region über „besondere Kompetenzen in der Rehabilitation und Prävention.“72 Allerdings - und dies
zeigte die Kurkrise Mitte der 90er Jahre - bergen solche Konzentrationen geradezu
monostrukturellen Zuschnitts auf bestimmte Branchen oder deren Segmente auch
Risiken. So stark auch die brancheninhärenten Kompetenzen sein mögen, so werden sie bei einer weniger breiten Aufstellung dennoch im Zuge der Veränderung
ökonomischer Rahmenbedingungen in ihrer mehrwertbildenden Effizienz tangiert.
Aufgrund des geringeren Verteilungsspielraumes erwuchs der Kur- und Heilbäderregion aus anderen Regionen in diesem Segment Konkurrenz. Aus diesem Grunde
musste sich die Gesundheitsregion strategisch neu aufstellen. Die erworbenen
Kompetenzen in der Rehabilitation und Prävention ausbauend, richten sich die Heil72
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.):
med. in NRW regional. Perspektiven der Gesundheitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe, S.17.
99
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
bäder neu aus, indem sie sich zum einen auf die Behandlung spezifischer Erkrankungen spezialisieren (Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes, Allergologie,
Orthopädie, Neurologie, Tinnitus) und zum anderen neue Zielgruppen anvisieren,
nämlich Kinder und Jugendliche, Migranten, Frauen und Senioren.
Ein weiteres strategisches Kompetenzfeld bilden die Prävention und die Gesundheitsförderung. In diesem Bereich sind neue Projekte ebenso vorangetrieben wie
auch neue Dienstleistungen kreiert worden. Begleitet wurde diese Entwicklung mit
der Gründung neuer Unternehmen und Einrichtungen in den Kompetenzfeldern Kinder-, Jugend- und Frauengesundheit, betriebliche Gesundheitsförderung, Ernährung, Herz-Kreislauf und Diabetes sowie Sportmedizin.
Ebenso ausgeprägt sind die Segmente Versorgung und Spitzenmedizin mit ausgewiesenen Spezialeinrichtungen und den Zentren der Spitzenmedizin, wie dem Herzund Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen und dem Epilepsiezentrum mit der
Neurologie/Neurochirurgie in Bethel.
Da OWL als stärkste Fremdenverkehrsregion NRWs fungiert, lag es nahe, aufgrund
der gut entwickelten medizinischen Infrastruktur Tourismus, Fitness, Lifestyle und
Wellness miteinander zu verbinden und sich so auch in diesem Segment neu aufzustellen.
Ergänzt und weiterentwickelt werden die gesundheitswirtschaftlichen und das Gesundheitswesen betreffenden Aktivitäten durch die hierfür erforderlichen Ausbildungs- und Qualifizierungsressourcen im Bereich der Gesundheitsberufe sowie
durch Forschungsschwerpunkte, die explizit auf Themen des Gesundheitswesens
und der Gesundheitswirtschaft ausgerichtet sind. Zu nennen sind in diesem Kontext
die Universitäten Bielefeld (Gesundheitswissenschaften) und Paderborn (Gesundheitswirtschaft, Schwerpunkt Prävention), die Fachhochschulen Bielefeld, Lippe und
Höxter, die Fachhochschule für Diakonie (Bethel) sowie die Fachhochschule des
Mittelstandes, die Studien- und Forschungsschwerpunkte etabliert haben, „die sich
explizit an das Gesundheitswesen und die Gesundheitswirtschaft richten.“73
Die Struktur der Organisation der Kompetenzfelder der Gesundheitsregion zeigt,
dass ausgehend von der Kompetenzbildung im Bereich der Heilbäder, vor allem
Prävention und Gesundheitsförderung neben Spitzenmedizin und Qualifizierung ei73
Modellregion Ostwestfalen-Lippe - ganz oben in NRW. Strategischer Rahmenplan EFRE
2007 - 2013, Stand 2007, S.41.
100
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
nen hohen Rang einnehmen. Im Rekurs auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst
bedeutet dies, dass mit den ausgewiesenen Kompetenzfeldern der Gesundheitsregion OWL zugleich erhebliche Schnittstellen zum LIGA.NRW, insbesondere zum
Leistungsportfolio des ehemaligen LÖGD bestehen. An ihnen lässt sich aufzeigen,
in welchem Maße dezentrale Organisationsstrukturen die Kompetenzfelder der
Cluster stärken und zugleich die regionalen Kompetenzfelder ihrerseits wichtige Impulse in die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW Bielefeld einspeisen.
Die Stärken der Gesundheitsregion OWL liegen in dem Segment Prävention- und
Gesundheitsförderung. So ist in den Heilbädern ein hohes Kompetenzniveau in der
Vermittlung von präventiven Dienstleistungen im Rahmen ihrer Rehabilitations- und
Vorsorgeangebote ausgebildet.
Diese beziehen sich neben der Akutversorgung und Rehabilitation vor allem auf gesunderhaltende Maßnahmen, da gerade in Anbetracht einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit und zunehmender Arbeitsintensivierung, Gesundheit und Gesunderhaltung neben den Aspekten einer individuellen Steigerung der Lebensqualität
eine zunehmende gesellschaftliche und ökonomische Relevanz erlangen. Zum einen bildet die Prävention - und damit der Komplex Gesunderhaltung als individuelle
Daseinsvorsorge - die Voraussetzung für Kostensenkungen im Gesundheitswesen
und zum anderen bieten präventive Maßnahmen der Gesunderhaltung in Verbindung mit der Schaffung alternsgerechter Arbeitsplätze die Voraussetzung für die
Sicherung der Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern in ihrer Berufsausübung. Angesichts der aus der demographischen Entwicklung künftig resultierenden Reduzierung des Potenzials an Facharbeitern, gewinnen präventive Maßnahmen der Gesunderhaltung und damit des Erhaltes der Arbeitsfähigkeit eine eminente wirtschaftliche Bedeutung. Denn die Sicherung der personellen Ressourcen entscheidet letztlich über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens und damit ebenso über die
Zukunft von Standorten. Insofern sind Präventionsangebote in Verbindung mit einer
betrieblichen Gesundheitsförderung von besonderer Bedeutung.
Um nun die vorhandenen präventiven Potenziale an den Schnittstellen zum Patienten wie auch zur Wissenschaft besser auszuschöpfen, bedarf es eines ständigen
Wissenstransfers. Dies bedeutet, dass eine Vernetzungsqualität unter den Knowhow-Anbietern mit ihren Wissensressourcen im regionalen Cluster gegeben ist, die
es gestattet, Präventionskonzepte zeitnah und patientenspezifisch umzusetzen.
101
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Eine solche hochgradige und bewährte Vernetzung unter den für das System Gesundheitswesen relevanten Wissensanbietern ist in der Gesundheitsregion OWL in
hohem Maße entwickelt.
Neben den Universitäten Bielefeld und Paderborn sowie den regional bedeutsamen
Fachhochschulen, die explizit in Forschung und Qualifizierung thematisch auf das
Gesundheitswesen und die Gesundheitswirtschaft bezogen sind, gewinnen insbesondere die Bertelsmann Stiftung mit ihren Arbeitsschwerpunkten in der Gesundheits- und Demografieentwicklung, die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe in Gütersloh und in besonderem Maße das LIGA.NRW mit seinem Standort Bielefeld als
Netzwerkakteure für die gesamte Forschungs- und Wissenslandschaft eine clusterrelevante Bedeutung. Wobei an der Schnittstelle von Forschung, Unternehmen und
Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft das Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL (ZIG) eine gravierende Koordinations- und Promotorenrolle für
die Bündelung von Kompetenzen im Cluster Gesundheitswirtschaft wahrnimmt. Dies
gerade auch im Hinblick auf die Profilierung der Gesundheitsregion.
Hinsichtlich der für die Entwicklung der Kernkompetenzen der Gesundheitsregion
wesentlichen Trias der Themenfelder Demographie, Gesunderhaltung durch oder im
Rahmen der Prävention sowie Gesundheitsförderung erlangen die Aufgabenbereiche des LIGA.NRW Bielefeld eine erhebliche Bedeutung.
Insbesondere Aufgaben der Prävention und Gesundheitsförderung (laut GVP 4.1.2),
die Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste (GVP 3.2.3), des
wichtigen Meldeverfahrens Gesunde Kindheit (GVP 3.2.4) und der Mitarbeit in Innovationsnetzwerken und -kooperationen (GVP 4.2.3) werden an den Schnittstellen zu
den Kernkompetenzen der Gesundheitsregion relevant. Ausgehend von der Überlegung, dass die Kindesgesundheit schon eine wesentliche Voraussetzung für die
Gesundheit im Erwachsenenalter bildet und präventive Maßnahmen der Gesundheitsförderung schon im Kindesalter einsetzen und darauf aufbauend lebensbegleitend sein sollten, werden die Schnittstellen zwischen der Kernkompetenz und dem
Aufgabenportfolio des LIGA.NRW evident. Um erfolgreiche Präventionskonzepte zu
entwickeln und umzusetzen, ist die genaue Kenntnis der gesundheitlichen Situation
Heranwachsender und der gesundheitlichen Rahmenbedingungen notwendig. Ohne
die differenzierte Erfassung und Auswertung der Daten der unteren Gesundheitsbehörden zur Kindesgesundheit und dem Meldeverfahren Gesunde Kindheit, lässt sich
zum einen der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst kaum effizient unterstützen
102
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
und zum anderen lassen sich auch nicht die erforderlichen präventiven Maßnahmen
zur Gesunderhaltung von Kindern entwickeln, was letztlich zu erheblichen - auch
vermehrt kostenträchtigen - Auswirkungen auf spätere Maßnahmen, die zur Gesunderhaltung im Erwachsenenalter zu treffen sind, führen dürfte. Beispielsweise
bei den Hilfsangeboten für übergewichtige Kinder.
Werden hier keine frühzeitigen Maßnahmen ergriffen, so ist mit typischen Krankheitsbildern im Alter zu rechnen, deren Behandlung schwieriger und kostenintensiver verlaufen werden. Gesundheitsstörungen und Entwicklungsdefizite Heranwachsender können also den Beginn eines langfristigen Krankheitsgeschehens induzieren, das zu einer erheblichen Minderung der Lebensqualität für den Einzelnen führt
und mit hohem Versorgungs- und Kostenaufwand für die Gesellschaft verbunden
ist. Zudem lässt sich feststellen, dass gesundheitsrelevante Einstellungen und Verhaltensmuster sich bereits im Kindes- und Jugendalter herausbilden, die sich dann
im Laufe des Lebens verfestigen und dem entsprechend nur noch schwer beeinflussbar sind. Aus diesem Grunde sind Präventionsprogramme und -maßnahmen
schon frühzeitig zu entwickeln und anzuwenden, so dass hier etwaige Fehlentwicklungen erkannt und behoben werden können. Um dies zu leisten, ist ein einrichtlungenübergreifender Wissenstransfer erforderlich. In der Gesundheitsregion OWL
existieren derzeit diese über Jahre gewachsenen Anknüpfungspunkte und Vernetzungen. So befasst sich beispielsweise die Fakultät für Gesundheitswissenschaften
der Universität Bielefeld - Arbeitsgruppe Prävention und Gesundheitsförderung - mit
diesem spezifischen Themenkomplex. In enger Anbindung an das an der Fakultät
eingerichtete “ WHO Collaborating Center for Child and Adolescent Health Promotion” werden in diesem Forschungsnetzwerk die Präventionspotentiale im Kindesund Jugendalter ausgelotet, so dass erfolgreiche Präventionskonzepte entwickelt
werden können.
In diesem Kontext bestehen enge und direkte Anknüpfungspunkte zum wissensbasierten Leistungsprofil des LIGA.NRW, denn gerade der Bereich der Prävention und
der Kindesgesundheitsförderung nimmt für das LIGA.NRW, welches in diesem
Themenfeld der Prävention die Handlungsschwerpunkte der Landespolitik koordiniert, einen hohen Stellenwert ein. Dieser Handlungsschwerpunkt wurde schon
durch das ehemalige LÖGD intensiv bearbeitet, so dass besondere Empfehlungen
für präventive Maßnahmen zur Verbesserung der Kindergesundheit gegeben werden konnten. So bspw. in der Studie „Gesundheit von Kindern in OWL“, in der sich
103
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
das ehemalige LÖGD in besonderer Weise der regionalen Clusterschnittstelle Gesundheitsregion OWL widmet und in Kooperation mit den jeweiligen Akteuren des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes vor Ort, einen wesentlichen Beitrag zu einem
Ausbau des guten Versorgungsniveaus im regionalen Gesundheitssektor leistete.
Gesundheitsberichte und Analysen dieser Art, die nur aufgrund der Vertrautheit mit
der spezifischen regionalen Situation vor Ort und auf der Grundlage der Zusammenarbeit mit den regionalen Kooperationspartnern in den Verbünden der Gesundheitswirtschaft ihre analytische Kraft und ihren Erkenntniswert für handlungsleitende
Maßnahmen gewinnen können, sind letztlich ein wesentlicher Erfolgstreiber dafür,
dass überhaupt zukunftserschließende Schritte im regionalen Gesundheitssektor
eingeleitet werden können. Hierfür sprechen auch die Vorläufer- Studien des lögd
zur Frauengesundheit OWL und zur Versorgungssituation der Rheuma-Erkrankten
in dieser Region.
Ein weiteres wesentliches Element dieser vernetzten Infrastruktur zur Ausbildung
regionaler Kompetenzen stellt die über lange Jahre gewachsene Kooperation des
LIGA.NRW mit der Fachhochschule Bielefeld dar. Schon das LÖGD mit seinem
Leistungsportfolio der Informationsdienstleistungen, Analysen und Empfehlungen,
rund um den öffentlichen Gesundheitsdienst, baute gemeinsam mit dem deutschlandweit einmaligen Deutschen Zentrum für Public Health Genomics der Fachhochschule Bielefeld und der Public Health Genetics Unit in Cambridge, UK eine „National Task Force Public Health Genomics“ auf.
Themenfelder der Institution sind die Klärung von Fragen nach der Bedeutung von
genetischen Faktoren für die öffentliche Gesundheit, der Möglichkeiten einer Integration genombasierten Wissens in die öffentlich koordinierte Gesundheitsversorgung
sowie die Analyse der Kriterien und Rahmenbedingungen zur Integration genombasierten Wissens in Präventionsansätze. Themenfelder mit erheblicher Relevanz in
Hinblick auf die gesundheitspolitischen Schwerpunktsetzungen der Landesregierung
für deren Koordination bislang das LÖGD, bzw. derzeit das Zentrum für Öffentliche
Gesundheit im LIGA.NRW zuständig ist. Das Public Health Genomics European
Network (PHGEN) bildet ein hochkarätiges Netzwerk aus Vertretern nationaler und
regionaler Gesundheitsbehörden aus allen EU Mitglied-Staaten, Beitrittskandidaten
und EFTA-EEA Ländern, wobei die Akteure des Netzwerks Humangenetiker, Public
Health Wissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Ethiker, Mediziner, Ökonomen,
Rechtswissenschaftler und Epidemiologen sind.
104
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Nach dem Aufgehen des LÖGD im LIGA.NRW (ZÖG) wurde dieses Netzwerk vom
LIGA.NRW erfolgreich weitergeführt. Obgleich nach Auslaufen von PHGEN I im
März 2009 PHGEN II an der Universität Maastricht angesiedelt sein wird, bleibt der
Kooperationsverbund LIGA.NRW (ZÖG) und Fachhochschule Bielefeld dem Netzwerk weiterhin als integraler Bestandteil erhalten.
Ebenso projektbeteiligt in Kooperation mit der Fachhochschule Bielefeld ist das LIGA.NRW beim Projekt „Analyse von Programmen zur Prävention und Gesundheitsförderung bei Arbeitslosigkeit unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Gesundheitsförderung, Gender, Prävention“, das noch
bis Mitte 2009 läuft. Auch hier bringt das LIGA.NRW als Kooperationspartner sein
Know-how aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst ein.
In diesem im Themenfeld Prävention und Gesundheitsförderung angesiedelten Projekt, in dem geschlechtsspezifische Aspekte gesundheitlicher Einschränkungen bei
Arbeitslosigkeit und die Möglichkeit von geschlechtsspezifisch passgenauen Präventionsprogrammen thematisiert werden, kann auf das Know-how des LIGA.NRW
(ZÖG) im Rahmen der Analysen zu den Gesundheitsberichten und den Erkenntnissen zur Prävention und Gesundheitsförderung zurückgegriffen werden.
Die enge Zusammenarbeit des ZÖG im regionalen Rahmen mit den Hochschulen
und den Kommunen in OWL, insbesondere auch mit der Kommune Bielefeld, kann
auf gewachsene Strukturen verweisen. Diese reichen bis in die Gründungszeit der
kommunalen Gesundheitskonferenzen im Jahre 1991 zurück. Mit der Formulierung
und Verabschiedung der ersten „Zehn vorrangigen Gesundheitsziele“ durch die
Landesgesundheitskonferenz im Jahr 1995 wurde die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowohl im Hinblick auf strukturelle Entwicklungen in den Leistungsbereichen und Organisationen des Gesundheitswesens, wie auch bezogen auf
krankheitsbezogene Handlungsfelder im Rahmen von präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen in NRW geschärft. Gerade im Bereich der Prävention und
der Gesundheitsförderung, die in der Formulierung der Gesundheitsziele 1995 als
sich gegenseitig ergänzend betrachtet wurden, spielt nämlich das Instrument der
Gesundheitsberichterstattung eine gravierende Rolle. Denn präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen sind darauf hin zu bewerten, zu welchen Veränderungen sie führen. Es sind hierfür Ziele zu formulieren, damit eine erfolgreiche Planung
und Ergebniskontrolle von Maßnahmen, Aktionen und Programmen und ihrer Effizienz im Hinblick auf die Zielerreichung evaluiert werden kann.
105
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
In diesem Kontext besteht ein wesentliches Ziel der Gesundheitsberichterstattung
darin, die gesundheitsbezogene Ausgangslage darzustellen und bestehende Defizite transparent zu machen. So wird die Gesundheitsberichterstattung zum Fundament für die Bestandsaufnahmen, Planung und Bewertung von Maßnahmen, wobei
schon 1995 die Möglichkeit von Gesundheitsberichten auf regionaler, kommunaler,
stadtteilbezogener oder auch betrieblicher Ebene diskutiert wurde. Dem Öffentlichen
Gesundheitsdienst wurde die Funktion übertragen, eine stärkere Rolle hinsichtlich
der „Initiierung und Koordination von kooperativem Handeln der Träger der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung, kommunaler Dienststellen, Multiplikatoren und Bevölkerungsgruppen“ wahrzunehmen und „verschiedene Interessen
und Ziele auf der kommunalen Ebene zu moderieren, langfristige Entwicklungen
einzuleiten und zu begleiten und neue Steuerungsinstrumente zu entwickeln.“74 Mit
Unterstützung des damaligen Landesinstitutes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) wurde dann eine Bestandsaufnahme der „Zehn Gesundheitsziele
1995-2005“ geleistet, die deutlich machte, wo welche Fortschritte in den vergangenen Jahren erreicht werden konnten. Am 8. Dezember 2004 wurden dann auf der
Grundlage der 13. Landesgesundheitskonferenz die neuen Gesundheitsziele NRW
für den Zeitraum 2005-2010 verabschiedet.75 Im Rahmen dieses Zielkataloges wurde die Relevanz der Gesundheitsberichterstattung für die Konkretisierung und Umsetzung der gesundheitspolitischen Ziele und die Funktion des LÖGD hierbei nachhaltig begründet.
„Das Land Nordrhein-Westfalen hat als eines der ersten Bundesländer ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsberichterstattung entwickelt und sukzessive umgesetzt. Mit dem Gesundheitsreport Nordrhein-Westfalen 1990 wurde erstmals ein Bericht solchen neuen Typs vorgelegt. Seitdem ist es Ziel und Aufgabe der Gesundheitsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen, kontinuierlich Informationen für die
Politik, Fachöffentlichkeit, Bürgerinnen und Bürger sowie Patientinnen und Patienten
u.a. über

gesundheitliche Situation und Gesundheitsrisiken,

Darstellung des Krankheitsgeschehens und Todesursachen sowie
74
Zehn vorrangige Gesundheitsziele für NRW, hrsg. v. Ministerium für Gesundheit, Soziales,
Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (MGSFF) 1995, S.33.
75
Vgl. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes NordrheinWestfalen (Hrsg.): Gesundheitsziele NRW - 2005 bis 2010.Grundlagen für die nordrheinwestfälische Gesundheitspolitik, Bielefeld 2005, S.6 ff.
106
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Versorgung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen
zur Verfügung zu stellen. Die Gesundheitsberichterstattung auf Ebene des Landes
wie auch der Kommunen wurde im ÖGD-Gesetz Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr
1997 auch gesetzlich verankert. Das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen
legt danach regelmäßig Gesundheitsberichte als Grundlage gesundheitspolitischer
Planungen vor und leitet sie dem Landtag zu. Das LÖGD hat auf Landesebene und
kommunaler Ebene u.a. im Bereich der Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung Beratungs- und Unterstützungsfunktion und bereitet den Landesgesundheitsbericht vor. Es hält außerdem Gesundheitsdaten in Form von Gesundheitsindikatoren, Datenbeständen und Auswertungsprogrammen vor, die zunehmend durch
repräsentative (meist telefonische) Befragungen der Bürgerinnen und Bürger ergänzt werden. Wichtige Bedeutung hat die Gesundheitsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen auch für die Entwicklung und Umsetzung des Gesundheitszieleprozesses.“76
Beide Gesundheitszielbestimmungen aus den Jahren 1995 und 2005 weisen auf
zwei wesentliche Elemente der Gesundheitspolitik NRWs hin. Zum einen wird in der
Zielbestimmung aus dem Jahre 2005 die wesentliche und unverzichtbare Funktion
des LÖGD im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung begründet und zum anderen wird in der Zielbestimmung von 1995 die Notwendigkeit, das Instrument der Gesundheitsberichterstattung von der Landes- bis auf die kommunale Ebene herunter
zu brechen, legitimiert. Darüber hinaus wird in der zitierten Zielbestimmung des Jahres 2005 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dem LÖGD im Rahmen seiner Beratungs- und Unterstützungsfunktion, insbesondere in seiner Aufgabenwahrnehmung bezüglich der Unterstützung der Gesundheitspolitik in NRW, die Vorbereitung
des Landesgesundheitsberichtes obliegt, also der entscheidenden Grundlage für die
Entscheidungsfindung und die Formulierung von Gesundheitszielen in der Landesgesundheitskonferenz.
Das LIGA.NRW Bielefeld bildet also mit seinem Leistungsportfolio der Fachbereiche
3 und 4, also Gesundheitsschutz und Gesundheitsberichterstattung sowie Gesundheit und Informationsmanagement und den zugeordneten Fachgruppen Gesundheitsinformation 3.2 sowie Gesundheitsmanagement 4.1 und Informationsmanage76
Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes NordrheinWestfalen (Hrsg.): Gesundheitsziele NRW - 2005 bis 2010.Grundlagen für die nordrheinwestfälische Gesundheitspolitik, Bielefeld 2005, S.23.
107
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ment 4.2 das Zentrum der entscheidenden Supportleistungen sowohl für die Gesundheitskonferenzen auf kommunaler und Landesebene als auch für die Bestimmung der gesundheitspolitischen Ziele der Landesregierung. Das gesamte Aufgabenportfolio, insbesondere die Aufgaben der Fachgruppe 4.1 Gesundheitsmanagement, in dessen Rahmen u. a. die Themenfelder

Grundsatzfragen der Gesundheits- und Präventionspolitik

Gesundheitsziele NRW

Fachliche Vorbereitung der Landesgesundheitskonferenz und Mitarbeit in
den Arbeitsgruppen

Landesinitiative „Gesundes Land NRW“ und Gesundheitspreis NRW

Informationsangebote für Kommunale Gesundheitskonferenzen (KGK) und
Öffentlicher Gesundheitsdienst
bearbeitet werden, weist einen hohen Vernetzungsgrad mit den regionalen Schnittstellen der Gesundheitsregion OWL sowie mit der kommunalen Ebene des Mittelzentrums Bielefeld auf.
Insbesondere die fachliche Vorbereitung der Landesgesundheitskonferenz macht
eine Mitarbeit des ZÖG in verschiedensten regionalen Gremien und Arbeitsgruppen
des regionalen Clusters sinnvoll. Die bestehende, überaus fruchtbare Zusammenarbeit im Rahmen der Netzwerke auf kommunaler (Bielefeld), wissenschaftlicher (Universität Bielefeld/Fachhochschule Bielefeld) und regionaler (AG der Geschäftsstellenleiter OWL) Ebene reicht tief in die Frühzeit der ersten Formulierung der NRW Gesundheitsziele von 1995 zurück. Auf der kommunalen Ebene entwickelte sich
zwischen der Kommune Bielefeld und dem damaligen LÖGD eine intensive und für
beide Kooperationspartner konstruktive Zusammenarbeit, die im Laufe der Jahre
ausgebaut, derzeit vom LIGA.NRW weitergeführt wird. Eines der wesentlichen und
für die örtliche Gesundheitspolitik sowie für die Ausrichtung des ÖGD relevanten
Ergebnisse dieser Zusammenarbeit, bestand in der Entwicklung der Bielefelder Gesundheitsziele zur strategischen Zielbestimmung der Strukturentwicklung im örtlichen Gesundheitswesen und einer nachvollziehbaren Ziel- und Ergebnisorientierung der Bielefelder Gesundheitspolitik in den Jahren 2002/2003.
Für die Entwicklung dieser strategischen Zielbestimmungen die u.a. auf der Grundlage Modularer GBE unter Beteiligung der verschiedenen Mitglieder der Kommuna-
108
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
len Gesundheitskonferenzen (KGK) mit dem Ziel verstärkt Information, Transparenz
und Beteiligung im örtlichen Gesundheitswesen herzustellen, eine Verbesserung
des örtlichen Gesundheitssystems hinsichtlich der Ziele

Bürgerinnen- und Bürgerorientierung

Gesundheitliche Chancengleichheit

Prävention und Gesundheitsförderung
anvisierten, erwies es sich als hilfreich, dass das damalige LÖGD schon im Rahmen
der Kommunalen Gesundheitskonferenz Bielefeld mitwirkte. Im Hinblick auf die Aufgabe Informationsangebote für die KGK und den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu
unterbreiten, hat sich die lange bestehende Mitwirkung in der KGK Bielefeld in Form
einer beratenden Tätigkeit immer wieder als Möglichkeit erwiesen, Inhalte in die
KGK zu transportieren und dabei Resonanzen und Konsequenzen zu erleben und
mitzugestalten. Dieser Prozess, aufgrund der Mitwirkung in den örtlichen Gremien
entscheidende gesundheitspolitische Inputs geben zu können, und an Optimierungen des örtlichen Gesundheitssystems direkt beteiligt zu sein, war und ist allerdings
nicht als ein einseitiger Prozess aufzufassen. Vielmehr ist dieser Austauschprozess
an der Schnittstelle des regionalen Clusters als interdependent zu betrachten. Denn
umgekehrt konnten von hier kommunale Entwicklungen direkt aufgenommen, aufbereitet, verallgemeinert und in den allgemeinen Diskussionsprozess auf der Landesebene eingespeist werden.
Wobei weitere Impulse auch aus den engen Kooperationsbeziehungen mit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld kommen, die u.a.
beim Modellprojekt der ortsnahen Koordinierung die wissenschaftliche Begleitforschung durchführte.
An diesen gewachsenen, produktiven Verankerungen im regionalen System lässt
sich nachvollziehen, was es bedeuten würde, wenn das LIGA.NRW von seinen dezentralen Standorten abgezogen würde. Damit würde nicht nur eine lange Tradition
der Zusammenarbeit und eines gemeinsam erarbeiteten Wissensbestandes enden,
sondern ebenso auch Möglichkeiten verloren gehen, wechselseitig voneinander
Wissen zu beziehen und dieses qualitativ optimiert, erkenntnisleitend in anderen
109
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
generelleren Kontexten regionaler Gesundheitspolitik umzusetzen, um somit zu einer Verbesserung der gesamten Landesgesundheitspolitik beizutragen.
Eine Überführung des LIGA.NRW an einen zentralen Standort und einer damit vollzogenen Abkoppelung von den regionalen Netzwerken bzw. der dann nicht mehr
vorhandenen Kooperationsbeziehung zur Universität/Fachhochschule Bielefeld
würde die Arbeit des LIGA.NRW erschweren.
Negativ auswirken könnte sich eine Verlagerung des LIGA.NRW von den regionalen Netzwerken in denen es seine wechselseitige Wirksamkeit von lokaler Ebene
und Landesebene entwickeln kann, hin zu einem künstlich geschaffenen, ohne eine
gewachsene strukturelle Verankerung von potenziellen Kooperationspartnern vorweisenden Zentrum, ebenso auf die interne künftige Leistungsbilanz des LIGA.NRW
im Aufgabenfeld „Prävention und Gesundheitsförderung“.
Das Leistungsportfolio der Fachgruppe 4.1.2 Prävention und Gesundheitsförderung
umfasst:

das „Präventionskonzept NRW“ und Mitarbeit bei Landesinitiativen zu präventionspolitischen Schwerpunktthemen

den regionalen Knoten NRW des Kooperationsverbundes zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten und Fachveranstaltung zur Prävention
und Gesundheitsförderung

die Unterstützung bei Bewertungsfunktionen in Planungsvorhaben
Eine Zentralisierung des LIGA.NRW verhindert die in sozialer Hinsicht und damit für
jede Kooperation fundierenden unverzichtbaren „Face to face“ Kontakte, jenem soften Innovationsfaktor, der die Harmonisierung unter den Akteuren und ihre zielführende Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel sicherstellt. Austauschbeziehungen
über weitere Distanzen konterkarieren - trotz aller IuK Techniken - eine effiziente
Zusammenarbeit im Cluster, die durch wechselseitige - Vertrauensverhältnisse gekennzeichnet sind, also jenem Essential, dass Kooperationsbeziehungen in Netzwerken erst wirksam werden lässt. Dies bezieht sich ebenso auch auf die Kooperation des LIGA.NRW mit anderen Ämtern der Region OWL, die durch lange Jahre
der engen Zusammenarbeit geprägt ist. Dieses tragende Element "zwischenmenschlicher Chemie", das über alle Fördermittel und Projektpläne hinausweist, stände
dann nicht mehr zur Verfügung. "Es muss zwischen den Beteiligten harmonieren",
110
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
benennt Fritsch diesen extrem soften Faktor, der obwohl für die Wirtschaftsforscher
überaus schwierig zu messen und operationalisieren, dennoch von eminenter Wirksamkeit ist.
Um dieses eminent wichtige vertrauensbildende Kommunikationssystem vor Ort zu
erhalten und zu stärken, aber dennoch einen effizienten Arbeitszusammenhang und
Informationsfluss mit einer zentralen Schnittstelle wie dem Gesundheitscampus zu
gewährleisten, ist es somit unumgänglich, die regionalen Standorte des LIGA.NRW
als Satelliten zu erhalten und mit dem Zentrum Gesundheitscampus sowohl informationstechnisch, als auch personell zu vernetzen. Diese Variante wird in dem Kapitel Handlungsempfehlungen noch ausführlicher dargestellt werden.
Die wichtigen Austauschprozesse zwischen LIGA.NRW und den regionalen Akteuren vor Ort, die in ihrer Gesamtheit auch mit bedingend für die Verbesserung gerade
auch der regionalen Gesundheitssysteme waren, da hierdurch wechselseitige Lernund Erkenntnisprozesse auf der lokalen Ebene stattfinden konnten, die dazu führten, dass sich die Qualität des Wissens kontinuierlich erhöhte, sie sind bei einer
Verlagerung des LIGA.NRW gefährdet. Damit jedoch geht auch eine nachhaltige
Schwächung der regionalen Cluster in ihrem Bemühen einher, ihre Gesundheitssysteme - wie am Beispiel der Bielefelder Gesundheitsziele belegt - fortwährend zu optimieren.
Verschärft wird diese Entwicklung noch durch einen weiteren, damit verbunden, nun
schon im Vorfeld der beabsichtigten Konzentration des LIGA.NRW am Campusstandort einsetzenden Prozess, der darin besteht, dass der Personalbestand angesichts der kaum noch akzeptablen Arbeitsbedingungen am zentralen Standort ohne
Kooperationspartner und regionalen Netzwerkpartnern, allmählich abschmilzt.
Angesichts der Tatsache, dass das MAGS z.B, den Bereich der Prävention zum
Schwerpunkt der Landesgesundheitspolitik erheben will, stellt sich die Reduzierung
von personellen Ressourcen als ein erheblicher Widerspruch dar. Stattdessen wäre
die Landesregierung gut beraten den Personalbestand aufzustocken.
Hier wird deutlich, dass zwei unterschiedliche Entwicklungen die aus den Verlagerungsplänen resultieren, sich gegenseitig verstärken. Zum einen der Prozess des
Rückzuges aus den regionalen Netzwerken mit der Aufgabe von Akteursqualitäten
im regionalen Bereich und zum anderen die Ausdünnung der Personaldecke, die
sich noch nach Verlagerung auf den Campus zu einer dramatischen Dimension für
111
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
die Aufgabenwahrnehmung das LIGA.NRW entwickeln dürfte, da etliche Experten
und hochqualifizierte Mitarbeiter der Verlagerung der LIGA.NRW Standorte nicht
folgen und proaktiv andere Beschäftigungsverhältnisse anstreben werden. Der dadurch bewirkte Know-how-Verlust dürfte sich noch als äußerst problematisch für die
Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW erweisen.
In besonderer Weise dürfte davon auch die Gesundheitsberichterstattung (GBE)
betroffen werden. Noch 2007 wurde die besondere Priorität, die der Gesundheitsberichterstattung in gesundheitspolitischer Hinsicht zukommt, unterstrichen.
Die „Gesundheitsberichterstattung (GBE) ist die systematische Darstellung und
Analyse des Gesundheitszustandes der Bevölkerung, der Gesundheitsdeterminanten und der Gesundheitsversorgung. GBE liefert der Gesundheitspolitik Fakten über
wesentliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Gesundheit und informiert die Akteure im Gesundheitswesen und die Öffentlichkeit über Ziele und Aktivitäten der Gesundheitspolitik. Damit hat GBE eine Schlüsselfunktion für die Politikberatung und
für die Diskussion und Konsensbildung über gesundheitspolitische Vorhaben. Sie
liefert die Grundlagen zur Festlegung gesundheitspolitischer Prioritäten und realistischer Ziele, lässt Fehlentwicklungen und Defizite erkennen und gibt damit Hinweise
auf Felder mit Handlungsbedarf. Für Bereiche, in denen ein Handlungsbedarf gesehen wird, kann GBE detaillierte Beschreibungen und vertiefende Analysen erarbeiten.“77
Sie war einst eine Vorzeigeaktivität des Landes NRW im Gesundheitssektor, die auf
der Entwicklung von Gesundheitsindikatoren rekurrierte. Gesundheitsindikatoren
lassen sich als ausgewählte Parameter beschreiben, die Rückschlüsse über die
Gesundheit der Bevölkerung bzw. von Teilpopulationen, über die Gesundheitsversorgung und verfügbare Ressourcen zulassen.78
Hierbei ist zu sehen, dass die Gesundheitsindikatoren nicht nur als Datenbasis für
die Gesundheitsberichterstattung des Landes NRW dienten, sondern dass mit der
Entwicklung und Formulierung von Gesundheitsindikatoren das Land NRW gegenüber allen anderen Ländern ein innovatives Alleinstellungsmerkmal vorzuweisen hatte. Der ständig weiterentwickelte Gesundheitsindikatorensatz, der auf der Leistung
77
Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) (Hrsg.): Konzept für eine
Weiterentwicklung der Landes- Gesundheitsberichterstattung in NRW, Bielefeld 2007.
78
Vgl. hierzu: Ulla Walter / Friedrich Wilhelm Schwartz: Gesundheitsindikatoren, in: Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Hrsg. v. d. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
2003 S. 111-113.
112
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
des ehemaligen LÖGD NRW beruhte, wurde schließlich sogar verpflichtend in sämtlichen anderen Bundesländern übernommen79. NRW war zu dieser Zeit noch ein
gesundheitspolitischer Trendsetter in der Gesundheitsberichterstattung. Mit der personalmäßigen Dezimierung dieses Handlungsbereiches nach der Fusion von LAfA
und LÖGD zum LIGA.NRW, war das LIGA.NRW in diesem Leistungsbereich zu
konzeptionellen Arbeiten, nur noch bedingt in der Lage.
Die Standortverlagerung an den zentralen Standort im Ruhrgebiet würde zu einer
weiteren Zuspitzung hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung führen, da mit einem
massiven Personaleinbruch zu rechnen ist. Viele der in diesem Aufgabenbereich
noch tätigen Mitarbeiter werden der Verlagerung des LIGA.NRW nicht mehr folgen,
so dass mit einem erheblichen weiteren Personal- und Expertiseverlust zu rechnen
ist, der dazu führen könnte, dass es zu einem Zusammenbruch des reinen GBERoutinerestbetriebs kommen könnte. Von besonderer Bedeutung ist pikanter Weise
hierbei allerdings auch noch, dass es sich bei der GBE um eine Aufgabenstellung
handelt, die zu den gesetzlich determinierten Aufgaben des ÖGD in NRW laut
ÖGDG gehört. Wie die Landesregierung dieses Dilemma beheben will bzw. überhaupt beheben kann, bleibt dahingestellt. Sicher ist jedoch, dass der Bereich GBE in
NRW in Gefahr steht, vom einstigen Vorzeigebetrieb im Vergleich deutscher Bundesländer auf die hinteren Ränge zurückzufallen.
Damit würde auch eine andere relevante Aufgabenstellung des LIGA.NRW, nämlich
die als regionaler Knoten zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten zu
fungieren erschwert, da hierfür eine gute regionale GBE eine wertvolle Hintergrundrolle spielt.
Ein weiterer Ressourcenverlust betrifft u.a. gerade auch die Aufgaben, die im Rahmen der Kooperationsbeziehungen mit der Universität Bielefeld, Fakultät Gesundheitswissenschaften erarbeitet werden. In dieser Hinsicht ist zu bedenken, dass dieses Forschungsnetzwerk in einer langjährigen Verflechtung mit Lehr- und Projekttätigkeiten angelegt ist. Schon zu Zeiten des Bestehens des LÖGD war die Vorläuferinstitution des LIGA.NRW in den 1990er Jahren wesentlich an Aufbau und Profilbildung der Fakultät Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld beteiligt.
Daraus resultiert ein bis auf den heutigen Tag erprobtes und hochqualifiziertes
79
Der für NRW vom damaligen LÖGD erarbeitete Indikatorensatz wurde im Mai 2003 von
der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) als neue
Grundlage der Länder-Gesundheitsberichterstattung vereinbart.
113
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Netzwerk, dessen Ergebnisse belegen, welche vorteilhaften Synergieeffekte sich
durch den Austausch von Ressourcen in gewachsenen regionalen Kooperationsstrukturen ergeben können.
Aktuell (2009) werden diese Synergieeffekte nach Wegfall der LÖGD - Abt. „Umweltmedizin, Umwelthygiene“ in einer thematisch gewandelten Verbindung mit der
Ausrichtung des Forschungsinteresses auf die folgenden Themenfelder relevant:
 „Burden of Disease“ (Berechnung von Krankheitslasten der Bevölkerung als neuartige high-end-Methodik, in der Deutschland versucht, Anschluss an
die internationalen Entwicklung zu bekommen),
 „Health Technology Assessment“ (HTA - Technikbewertung unter gesundheitsbezogenen Aspekten),
 „Risk analysis/Risikoanalyse“ (Methodik zur prospektiven Abschätzung von
Erkrankungsrisiken aufgrund bestimmter Expositionen in Bevölkerungsgruppen),
 „Innovationsmanagement“ (Schwerpunktaufgabe der Fachgruppe 4.2 - mit
Bedarf nach einer sehr weitgefächerten wissenschaftlich fundierten Umsicht, in allen Facetten gesundheits- und krankheitsbezogener Forschung),
 „Versorgungsforschung“ - als für das LIGA.NRW neu zu erschließendem,
zukunftsbezogenem Wissens- und Forschungsgebiet, in dem gute Kooperationen essentiell sein werden.
Daran wird deutlich, dass die regionale Vernetzung des LIGA.NRW mit den konkreten Netzwerkakteuren und Kooperationspartnern vor Ort, die auf eingespielte und
vertraute Kooperationsbeziehungen fußt, nur durch erhöhten Ressourceneinsatz
und unter Inkaufnahme eines nicht kalkulierbaren time-lag, bis die Kooperationsbeziehungen, wenn überhaupt, an einem neuen Standort funktionieren, ersetzt werden
kann. Dies führt wiederum auf den schon bemühten Begriff der Transaktionskosten
zurück.
Wie schon, erwähnt sichern Kooperationsnetzwerke Wissens-Spill-overs oder eine
verbesserte Wissensverbreitung. Da Wissen und Informationen bei den einzelnen
Netzwerkakteuren in einem nicht vollständigen Umfange vorhanden sind, sind diese
genötigt, in Netzwerken Wissen und Informationen untereinander in Form von Kooperationen auszutauschen. Würde jeder Akteur vollständig über alle Wissens- und
114
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Informationsressourcen verfügen, so fielen keine Transaktionskosten (als Beschaffungskosten von Wissen, Know-how, Informationen etc.) an. Da dies jedoch eine
idealtypische Prämisse darstellt, treten aufgrund des bei jedem Akteur nur unvollständig ausgeprägten Wissensbestandes hinsichtlich der Gestaltung seiner Marktwie auch sozialen Aktivitäten Ineffizienzen auf, die aus einer partiellen Intransparenz
des Markt- wie auch des sozialen Interaktionsgeschehens gegenüber anderen
Marktakteuren resultieren. In der Konsequenz bedingen diese Ineffizienzen Transaktionskosten. Um Transparenz in einem intransparenten oder nur in Teilen durchschaubaren ökonomischen oder auch sozialen (wissenschaftlichen) System zu gewinnen, fallen Transaktionskosten zur Informationsbeschaffung an, wobei in Netzwerken die folgenden Kostenkategorien relevant sind:

Such- und Informationskosten,

Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie

Kosten der Überwachung und Durchsetzung (vertraglicher) Leistungspflichten.80
Nun zeichnen sich eingespielte Netzwerke dadurch aus, dass sie, wie im Falle des
LIGA.NRW und der Universität Bielefeld oder der Kommune Bielefeld bzw. den anderen Netzwerkakteuren in OWL und an den Standorten Münster und Düsseldorf,
stabile und intensive Austauschbeziehungen aufweisen. Dies führt dazu, dass die
relativ genauen Kenntnisse der Partner die „Informations-, Verhandlungs- und laufenden Betriebskosten von Netzwerken in der Tendenz reduziert.“81
Bei einer Verlagerung des LIGA.NRW an einen anderen Standort müssten die eingespielten Netzwerke entweder aufgegeben oder- was wohl kaum aus Kostengründen seitens des MAGS akzeptiert würde - mit zusätzlichen Mitarbeiterressourcen an
den „ehemaligen Standorten“ weitergeführt werden. Da jedoch eine Vernetzung aller
Akteure seitens des MAGS am Standort Gesundheitscampus intendiert ist, bedeutet
dies, dass sich das LIGA.NRW um neue Kooperationspartner vor Ort oder in der
regionalen Hochschullandschaft im Ruhrgebiet bemühen müsste. Vor Ort gibt es
80
Vgl. hierzu: Herbert Bassarak / Joachim Genosko Synergieeffekte mit Kosteneinsparungen. Zur Funktion und Bedeutung von Netzwerken und Netzwerkarbeit, in: Mitteilungen LJA
WL 149/2001, S.2 f.
81
Herbert Bassarak / Joachim Genosko a.a.O., S.15). Zudem implizieren stabile und erprobte Netzwerke wechselseitige Abhängigkeits- und Vertrauensbeziehungen, die ein „opportunistisches Verhalten erschweren und damit die Kontrollkosten senken“. ( Herbert Bassarak /
Joachim Genosko a.a.O., S.15.
115
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
derzeit keine Kooperationsschnittstellen mit anderen Einrichtungen am Gesundheitscampus. Zum einen deshalb, da bis auf das avisierte Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) mit dem integralen Bestandteil des
Clustermanagements Gesundheitswirtschaft und der geplanten Fachschule für die
Gesundheitsberufe nur noch vage das ZTG in Frage käme und andere Akteure bislang überhaupt noch nicht feststehen. Zum anderen existieren zu den erwähnten
Einrichtungen keinerlei aufgabenspezifische Vernetzungsmöglichkeiten. Die Leitstelle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (wahrgenommen lt. ÖGDG NW durch das
LIGA) hat - wie bislang deutlich wurde - ein gänzlich divergierendes Leistungsportfolio, das mit den vorgesehenen Campus-Einrichtungen - vielleicht einmal abgesehen
von der am Standort Münster operierenden Sozialpharmazie mit der Koordinierungsstelle Versorgungsforschung - kaum kompatibel sein dürfte.
Dies bedeutet, dass Netzwerke und Kooperationsbeziehungen in den Bereich der
regionalen Hochschulen geknüpft werden müssten, um eine ähnliche fruchtbare Arbeitsgrundlage zu gewinnen, wie dies derzeit mit den Universitäten und Fachhochschulen der Region OWL und im Hinblick auf die AUST mit der Universität Münster
und dem CVUA der Fall ist. Nur so lassen sich die erforderlichen Synergieeffekte
realisieren.
Um dies zu leisten, werden allerdings in einem kaum überschaubaren Zeitrahmen
zusätzliche Kosten anfallen. Eben jene erwähnten Transaktionskosten, die in den
OWL-spezifischen Netzwerken noch äußerst moderat gehalten werden konnten,
nunmehr jedoch eine gänzlich andere Valenz erhalten werden. Denn es werden Zusatzkosten dadurch anfallen, dass unterschiedliche Strukturen zusammengeführt
werden müssen. Dies bedeutet, dass unterschiedliche Verfahrensweisen, Verwaltungsstrukturen bis hin zu unterschiedlichen Managementansätzen und Sprachcodes miteinander koordiniert werden müssen, bevor das Netzwerk überhaupt funktionieren kann.
Ebenso kosteninduzierend - weil u.a. ressourcenbindend und zeitraubend - ist das
Aushandeln und Festschreiben der jeweiligen Aufgaben und Pflichtenzuweisung
sowie die Bestimmung der Nutzungsmöglichkeiten von Leistungen, die im Rahmen
der Kooperationsbeziehungen und des neu zu formierenden Netzwerkes von den
jeweiligen Netzwerkpartnern erbracht und entwickelt werden.
116
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Zu diesen „sicheren“ Kosten, die im Rahmen der Transaktionskosten bestimmbar
sind, kommen überdies noch die sog. „unsicheren“ Kosten hinzu. Unter dieser Kategorie sind die Kosten zu subsumieren, die sich aus den Lernprozessen von Koordination und Kooperation ergeben, sowie diejenigen Kosten, die sich aufgrund längerer Entscheidungsprozesse im Netzwerk ergeben.82
Neben den Transaktionskosten, die die soziale Seite der Netzwerkknüpfung betreffen, fallen überdies erhebliche Kosten für den Umzug sowie für die Beschaffung von
Räumlichkeiten und Laboreinrichtungen an. Die beispielsweise bislang auf der Kooperationsebene mit der Universität Münster genutzten Laboreinrichtungen der Arzneimitteluntersuchungsstelle könnten am neuen Standort nicht mehr genutzt werden. Insofern sind am Gesundheitscampus neue Laboreinrichtungen bereitzustellen.
Nur, NMR-Geräte und deren Betrieb sind extrem teuer, so dass sich die Vision der
Landesregierung von kostensparenden Synergien am Gesundheitscampus sehr
schnell als realitätsblind erweisen dürfte.
Angesichts dieser Kostenlawine, die eine Verlagerung des LIGA.NRW und seine
Neujustierung bzw. Neuverortung verursachen dürfte, lässt sich die Rationalität der
Beschlusslage des MAGS bzw. der Landesregierung im Hinblick auf die Konzentration des LIGA.NRW am Gesundheitscampus kaum noch erschließen. Die monetären Konsequenzen der intendierten Überführung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus konterkarieren den Begründungseuphemismus der Landesregierung,
der über die Begriffe Kostendisziplin, schlanke Verwaltungsstrukturen und effizientere Aufstellung lanciert wird, im Hinblick auf die tatsächlich einsetzende Funktionsparalyse eines an den Gesundheitscampus überführten LIGA.NRW und damit der faktischen Zerschlagung einer bislang hocheffizienten Institution des nordrheinwestfälischen ÖGD und Gesundheitswesens.
10.2 Auswirkungen der Zentralisierung bei Verlagerung des LIGA.NRW
Mit der Zusammenlegung der beiden Zentralbereiche LÖGD und LAfA zu dem neu
geschaffenen LIGA.NRW zum 1. Januar 2008 sollte einer wesentlichen Intention der
82
Vgl.: Herbert Bassarak / Joachim Genosko a.a.O., S.15.
117
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Landesregierung entsprochen werden. Die Gesundheitsverwaltung sollte schlanker
und moderner werden.83
Allein der Zusammenlegung fielen bereits in 2008 40 Stellen zum Opfer. Derzeit arbeiten an den drei regionalen LIGA-Standorten noch ca. 220 Mitarbeiter (in Bielefeld
rd. 60, Münster rd. 60 und Düsseldorf rd. 100 Mitarbeiter). Sie versehen den gesamten komplexen Aufgabenbereich, den LIGA innerhalb der öffentlichen Gesundheitsverwaltung Nordrhein-Westfalens wahrnimmt. Damit ist die Grenze einer möglichen
Personaleinsparung erreicht. Schon derzeit ist es bei einer enormen Arbeitsintensivierung kaum mehr möglich, den gesetzlichen Aufgabenverpflichtungen nachzukommen, insbesondere unter den Bedingungen einer erhöhten Arbeitsbelastung
und Arbeitsverdichtung. Die Beschäftigten des LIGA.NRW sind nicht mehr in der
Lage, weitere Personalreduktionen arbeitstechnisch wie organisatorisch aufzufangen.
Dessen ungeachtet plant das MAGS einen weiteren Abbau der Beschäftigung, der
erforderlich sei, um - wie es der ehemalige Staatssekretär Herr Prof. Dr. Winter
deutlich machte - das LIGA.NRW „zukunftsfähiger und effizienter“ aufzustellen und
im Gesundheitswesen eine "schlanke, moderne Verwaltung zu schaffen."
Unter dieser Zielbestimmung sollen durch Verlagerung des LIGA.NRW an den Gesundheitscampus auf der „Basis einer weiteren Aufgabenkritik 30 weitere Stellen
eingespart werden.“84 Dies würde bedeuten, dass die derzeit schon kritischen Zustände in den Arbeitsbereichen so weit verschärft würden, dass LIGA.NRW das bislang weitgesteckte Aufgabenspektrum nicht mehr vollständig versehen kann. In einigen Bereichen würden die Einschränkungen so weit gehen, dass die Pflichtaufgaben nicht mehr umfassend wahrzunehmen wären. Dadurch würde auch in anderen
LIGA-Arbeitsfeldern eine Situation entstehen, die sich aufgrund der schon geleisteten Personalreduktionen und der im Vorfeld der geplanten Verlagerung ausgeschiedenen Mitarbeiter in ihren Engpässen faktisch bereits jetzt z. B. in den Bereichen
Arzneimitteluntersuchung und Gesundheitsmanagement abzeichnet. Hieraus resultieren erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der gebotenen Aufgabenerfüllung.
Ein weiterer Personalabbau gefährdet das LIGA.NRW in seinen Kernaufgaben.
83
So Minister Laumann in einem Antwortschreiben an den Vorsitzenden des Regionalrats
des Regierungsbezirks Detmold Herrn Reinold Stücke vom 23.Januar 2008.
84
Laumann a.a.O.
118
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Theoretische Grundlage für einen solchen angestrebten weitergehenden Personalabbau
ist das vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH verfasste Schlussgutachten
zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW.
Dieses Gutachten wurde im Zusammenhang mit der Zusammenführung von LÖGD und
LAfA zum LIGA.NRW 2008 auf der Grundlage eines Kabinettbeschlusses eingefordert,
damit die Bereinigung von Aufgaben im Zuge der Errichtung des LIGA.NRW auf einer
scheinbar objektiven Grundlage legitimierbar wurde. Im Zuge der Gründung eines Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen wurde dann die gesamte Aufgabenkritik perspektivisch mit dem Ziel weitergeführt, „dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
NRW (MAGS) bis zum 30.11.2008 einen Vorschlag für den künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW vorzulegen. Dabei waren die derzeitigen Aufgaben
darauf hin zu untersuchen, ob sie ganz oder teilweise weiterhin durch das LIGA.NRW, andere Stellen des Landes oder andere öffentliche oder private Stellen
wahrgenommen werden sollen. Hierzu waren ggf. Vorschläge zu entwickeln und
hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land zu bewerten.“85
Das Gutachten kommt zu dem nicht ganz überraschenden - aber auch zweifelhaften - Ergebnis, dass eine Reihe von Aufgaben und Teilaufgaben des LIGA.NRW nach den Ergebnissen der formalen Zweckkritik wie auch der inhaltlichen Bewertung hinsichtlich der strategischen Relevanz entweder ganz oder auch teilweise wegfallen, gegebenenfalls auch
durch andere staatliche Einrichtungen in wirtschaftlich vertretbarer Weise fortgeführt werden können.
Bezüglich der durchgeführten Zweckkritik wurde auch eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung
vorgenommen, die allerdings ergab, dass die „vom Gutachter in Einzelfällen vorgenommenen Vergleiche kein nennenswertes Einsparpotenzial (haben) erkennen lassen.“ Dies
begründet sich nicht zuletzt durch Kosten, die zusätzlich beim LIGA.NRW aufgrund der
Auftraggeberfunktion anfallen würden, also Kosten für den Einsatz von Sachmitteln und
das Vorhalten einer Overheadstruktur, um überhaupt Dienstleistungen von Privaten einkaufen zu können. Ein Outsourcing von Aufgaben des LIGA.NRW an private Dienstleister
stellt sich also als keine wirtschaftlich vertretbare Alternative dar.
85
Nigmann, Ralf; Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, hrsg. v. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH, 12/2008, S.12.
119
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
Aber wie steht es mit den identifizierten Einsparpotenzialen der aufgabenkritischen Untersuchung? Auch hier sind Zweifel angebracht. Weniger in methodischer, als in prinzipieller
Hinsicht bezüglich der Grundvoraussetzungen und der Aussagekraft der Studie.
Eine umfassende und differenzierte Analyse der größtmöglichen Entlastungsmöglichkeiten
im Aufgabenbestand des LIGA.NRW für das Land, hätte neben der geleisteten Aufgabenkritik, bestehend aus formaler Zweckkritik und strategischer Bewertung, vor allem eine
Vollzugskritik leisten müssen.
Denn diese analysiert die Prozessorganisation, also die Art und Weise, wie Aufgaben erledigt werden und den Umfang der Aufgabenerledigung. Dies ist jedoch unterlassen worden. Insofern ist die Reichweite der Aussagekraft des Gutachten nur sehr begrenzt und
bezüglich der gegebenen Empfehlung, wie sich noch an einem exemplarischen Fall zeigen
wird, zumindest im Hinblick auf die Aufgabenerledigung wie auch die Wirtschaftlichkeit der
Aufgabenerledigung als verfehlt einzustufen.
Dass die Empfehlungen in erster Linie auf Zweckkritik und strategische Bewertungen rekurrieren und interessanter Weise die ablauforganisatorische Fragestellung der Vollzugskritik außen vor lassen, verweist jedoch auf ein grundsätzliches Defizit bei der den Gutachtern gestellten Aufgabe durch die Landesregierung und das MAGS. Dies ist dem Gutachten selbst nicht anzulasten..
Eine differenziertere und besser begründete Ergebnisse gewährleistende Analyse hätte
das endgültige Leistungsportfolio des LIGA.NRW zu seiner Grundlage haben müssen.
Dies jedoch hätte nur politisch entschieden werden können und zwar unter der Voraussetzung, dass sämtliche Akteure, die seitens der Landesregierung als gesundheitspolitisch
relevant eingeschätzt und deshalb auch am Gesundheitscampus konzentriert werden sollen, auch schon bekannt und in ihrer Vernetzungsqualität am Gesundheitscampus einzuschätzen sind. Denn durch die Spezifik der Vernetzung unter synergetischen Aspekten
würde sich dann - folgt man dieser Logik - auch die Rolle und Funktion eines am Standort
Gesundheitscampus etablierten LIGA.NRW zuweisen. Allerdings ist gerade dieser - auch
von den Autoren des Gutachtens als entscheidend betrachtete Komplex - seitens der Landesregierung noch gar nicht abgearbeitet worden. Bis zum derzeitigen Zeitpunkt (Mitte
2009) gibt es nur Absichtserklärungen der Landesregierung, jedoch keinen konkreten
Hinweis darauf, welche Akteure - vor allem mit welchem Leistungsprofil, das mögliche
Schnittstellen für eine Kooperation mit dem LIGA.NRW bieten könnte - sich überhaupt am
Campus niederlassen werden.
120
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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Da bislang noch gar nicht „über das künftige Leistungsportfolio des LIGA.NRW entschieden ist“ und vor allem die “künftige Rolle des LIGA.NRW und insbesondere ihr
Verhältnis zu dem neu aufzubauenden „Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) Gesundheit Nordrhein-Westfalen" ebenfalls noch
nicht geklärt ist, vermag bislang niemand eine Geltung beanspruchende Aufgabenkritik mit Streichungs- oder Verlagerungsempfehlung zu geben.86 Denn um dies klären zu können, müsste erst einmal bekannt sein, „welche Akteure und Einrichtungen
letztlich auf dem Gesundheitscampus NRW angesiedelt sein werden.“ Deshalb „sollte die Aufgabenkritik zunächst auf eine Zweckkritik begrenzt und ablauforganisatorische Untersuchungen zurück gestellt werden, bis über das künftige Leistungsportfolio des LIGA.NRW entschieden ist.“87 Diese Situation verweist auf einen generellen
Webfehler der geplanten Umsetzung der Idee Gesundheitscampus.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Landesregierung wie das MAGS nicht in
der Lage, präzise zu spezifizieren, welche gesundheitspolitisch relevanten Akteure
definitiv auf dem Gesundheitscampus anzutreffen sind. Es bleibt fraglich, nach welchen Kriterien die Auswahl der Akteure stattfinden soll und welche kritische Masse
an Akteuren zur Cluster- und Synergiebildung sowie in welcher Qualität ihr jeweiliges Leistungsportfolio vorhanden sein muss, um ein standortvernetztes LIGA.NRW
überhaupt strategisch auszurichten.
Bislang ist das MAGS nicht in der Lage anzugeben, unter welchen aufgabenkritischen und strategischen Bedingungen eine Verankerung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus überhaupt sinnvoll wäre. Es wird viel von Synergien und einer effizienteren Aufstellung des LIGA.NRW gesprochen, wie diese aber im Rahmen des
Gesundheitscampus mit welch einem Aufgabenportfolio evaluierbar zu realisieren
wären, darüber existieren bislang noch keine Aussagen. Dies hat auch seinen
Grund. Denn die insinuierte angebliche Ineffizienz des LIGA.NRW, die durch die
Verlagerung behoben werden soll, lässt sich nicht nachweisen. Gerade in der
Schwierigkeit des Gutachtens, eine Bewertung hinsichtlich der Aufgaben vorzunehmen, besteht sein eigentlicher konstruktiver Sinngehalt. Er verweist auf die faktische
Konzeptionslosigkeit der Idee Gesundheitscampus, da seitens des Ministeriums
nicht plausibel begründet wird, aufgrund welcher Mechanismen, antizipierbarer Pro-
86
Nigmann, Ralf; Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, a.a.O. S.14.
87
Ebenda.
121
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
zesse und Impulsgebungen seitens der am Standort vorhandenen gesundheitspolitischen Akteure sich ein Mehrwert für LIGA.NRW und damit für die Ausrichtung der
Gesundheitspolitik überhaupt ergeben könnte.
Indem die Autoren indirekt darauf hinweisen, machen sie zugleich deutlich, dass
eine seriöse Bewertung des derzeitigen und künftigen Aufgabenportfolios kaum
möglich ist, schon gar nicht unter dem Aspekt potenzieller Aufgabenreduzierung.
Aus diesem Grunde beschränkt sich das Gutachten auch auf die Zweckkritik, wobei
eine formale Zweckkritik mit einer inhaltlichen Bewertung vorgenommen wird, die
die Zweckkritik um eine strategische Perspektive im Hinblick auf eine Neuaufstellung des LIGA.NRW - in für das Land relevanten Handlungsfeldern - ergänzt. Dies
kann, wie beispielsweise am FB 1 aufzeigbar, dazu führen, dass das im GVP Nr.
1.1.1 ausgewiesene Handlungsfeld Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigende
Stoffe im Ergebnis der formalen Zweckkritik auch von anderen Einrichtungen - ob
privaten Institutionen oder Behörden durchaus wahrgenommen werden könnte - da
die gesetzliche Grundlage nicht dagegen spricht, die strategische Bewertung doch
gegenteilig für eine unveränderte Fortführung durch das LIGA.NRW plädiert, da „die
besondere Dichte von Betrieben in NRW“ es erforderlich macht, dass dies als wesentliches „Handlungsfeld des staatlichen Handelns“ verbleibt.88
Überdies wird an der mitunter stark differierenden Einschätzung zwischen den Ergebnissen der formalen Zweckkritik und der strategischen Bewertung, die die Untersuchung aller Aufgabenstellungen der fünf Fachbereiche in vielen Fällen aufweist,
deutlich, dass der Versuch einer Begründung für den Verbleib einer Aufgabe oder
ihres Fortfalls im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW weniger objektiv, als im Rahmen der Prämissen und Vorgaben eher subjektiv perspektivisch
erfolgt bzw. nur erfolgen kann.
Dies bezieht sich in einem engeren Rahmen auch auf die formale Zweckkritik, bei
der als konstitutives Korrelat der Prüfung die Rechtsgrundlage dient. Zwar werden
einem Fortfall oder einem Outsourcing von Aufgaben an andere behördliche oder
staatliche wie auch private Einrichtungen mehr oder minder klare Grenzen aufgezeigt, da es in vielen Fällen rechtlich unzulässig ist, diese Pflichtaufgaben durch andere Einrichtungen wahrnehmen zu lassen oder sie gar aus dem Aufgabenportfolio
zu streichen, aber auch dieser Rechtsrahmen ist interpretierbar im Hinblick auf sich
88
Ebenda. S. 40.
122
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ergebende Alternativen in der Aufgabenwahrnehmung. Noch interpretativ offener
steht es bei der strategischen Bewertung der Aufgaben sowie in jenen Fällen, bei
denen die gesetzliche Rechtsgrundlage einen Fortfall oder eine Weiterführung von
Aufgaben außerhalb des Handlungsbereiches von LIGA.NRW als möglich einräumt.
Hier liegt es an den gewählten Perspektiven und Prämissen, die eine Bewertung in
der einen oder anderen Richtung als legitimierbar erscheinen lassen.
M. a. W.: die Empfehlung der inhaltlichen Bewertung im Rahmen der strategischen
Prüfung auf der Grundlage der formalen Zweckkritik hat den Status einer hermeneutischen Sachverhaltsprüfung und ist nur in diesem Sinne verbindlich und diskursiv.
Sie ist mithin alles andere als mit objektiven Geltungsansprüchen versehen; als solche würde sie sich ein Maß an Objektivität anmaßen, das wissenschaftslogischepistemologisch nicht einzuholen ist.
Geltungsanspruch und Plausibilität gewinnt sie deshalb nur innerhalb des Rahmens
ihrer erkenntnisleitenden Perspektiven und Prämissen. Eine der wesentlichen Prämissen der Aufgabenkritik des Gutachtens ergibt sich aus seiner generellen Zielrichtung, nämlich: Es soll einen Vorschlag für den künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW vorlegen.
Dem entsprechend wird eine Zweckkritik und inhaltliche Bewertung des Aufgabenbestandes in systematischer Weise vorgenommen. Die Prämisse, die dieser aufgabenkritischen Untersuchung zugrunde liegt, ist die, dass der Aufgabenbestand prinzipiell veränderbar ist, dass also etwaige Einsparpotenziale realisierbar sind. Die
Prämisse selbst ist ihrerseits fundiert in der Grundannahme, dass ein LIGA.NRW,
das auf den Gesundheitscampus verlagert wird, auch seine Aufgaben neu zu bestimmen hat. Hierbei können Aufgaben verlagert werden oder auch ganz bzw. teilweise fortfallen, wobei prinzipiell von der Prämisse Sicherstellung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land auszugehen ist. D.h., der künftige Aufgabenbestand wird sich von dem jetzigen nach Art, Umfang und Aufgabenwahrnehmung unterscheiden. Diese Neubestimmung soll das Gutachten leisten.
Nun ist - wie bereits ausgeführt wurde - die künftige Bestimmung des Aufgabenportfolios allerdings abhängig von den in den Szenarien supponierten Aufgabenprofilen
und diese wiederum hängen von den am Gesundheitscampus agierenden Akteuren,
die noch überhaupt nicht feststehen, ab. Angesichts der Unbestimmtheit dieses Faktors bewegt sich der Versuch, nun eine Aussage über die künftige Ausrichtung des
123
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
LIGA.NRW im Hinblick auf seine Leistungen und seinen Aufgabenbestand zu treffen, in einem unauflösbaren Zirkel. Mit der Aufgabenkritik am gegenwärtigen Aufgabenbestand lässt sich nur eine Aussage darüber treffen, welches Aufgabenspektrum
möglicherweise - unter den relativierenden Bedingungen der perspektivischen Voraussetzungen - vom LIGA.NRW zu versehen wäre. Dass das Ergebnis dieser Aufgabenkritik auch Geltung am Standort Gesundheitscampus haben könnte, lässt sich
damit allerdings logisch kausal nicht begründen, da ja der entscheidende aufgabenund leistungsbestimmende Faktor Akteursnetzwerk nicht inhaltlich bestimmt werden
kann.
Ein am Standort Gesundheitscampus konzentriertes LIGA.NRW wird vorausgesetzt,
um dann das Aufgabenportfolio dieses LIGA.NRW über den Standort, der als Gesundheitscampus völlig inhaltslos und unspezifisch bleibt, zu bestimmen. Da dies
nicht möglich ist, behilft sich das Gutachten mit der Aufgabenkritik am nicht standortbezogenen, sondern regional dezentral operierenden LIGA.NRW, wodurch formallogisch nur das erklärt wird, was immer schon an Veränderungspotenzialen vorhanden ist, aber selbst bei Realisierung eines veränderten Aufgabenbestandes keinerlei Belang für den geplanten Gesundheitscampus haben kann. Einen (unbestimmten) Ausdruck jedoch mit einem anderen zu erklären, ist schlicht zirkulär.
Alle Empfehlungen können deshalb keinerlei Geltung für ein LIGA.NRW am neuen
Standort beanspruchen. Vielmehr verweisen sie selbstreferenziell auf die derzeitige
„bestehende Zentren-Struktur, die aufgegeben werden (sollte).“89
Aus dieser zirkulären Argumentation können sich die Aussagen nicht befreien; es
sei denn, die Akteure mit ihrem Leistungsportfolio und ihren Vernetzungs- und Kooperationsintentionen im Hinblick auf das vorhandene Aufgabenportfolio von LIGA.NRW ständen definitiv fest, so dass unter einer solchen conditio sine qua non
untersucht werden kann, inwieweit bezüglich des Kriteriums der Synergiebildung
und des Effizienzgewinns vor dem Hintergrund der zwei Szenarien die Effektivität
des LIGA.NRW durch ein verändertes Aufgabenportfolio - unter allen hier erläuterten Vorbehalten - neu ausgerichtet werden kann.
Da diese entscheidende Voraussetzung jedoch nicht existiert, ist es sinnlos, von der
durchgeführten Aufgabenkritik auf einen künftigen Aufgabenbestand zu extrapolieren.
89
Ebenda. S. 11.
124
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Aussagen hierüber mögen hypothetisch zutreffend oder falsch sein, sie können jedoch keineswegs eine verbindliche Geltung beanspruchen.
Dennoch werden im Rahmen des Gutachtens - ungeachtet der logischen Problematik der Begründbarkeit der Aussagen - weitreichende Empfehlungen zu einer Neuorganisation unterbreitet. Hieran zeigt sich, dass der politischen Intention einer Verlagerung der Vorrang gegenüber einer präzisen Analyse der möglichen Funktion
und Aufgabenstellung von LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus eingeräumt
wird. Denn eine solche Untersuchung könnte auch zu dem Ergebnis führen, dass
LIGA.NRW keinerlei Schnittstellen mit anderen Akteuren am Gesundheitscampus
aufweisen wird, dass die Potenziale von LIGA.NRW dort überhaupt nicht entwickelt
werden können und dass ein - wie auch immer in seinen möglichen Aufgabenprofilen (anhand der zwei Szenarien) beschriebenes LIGA.NRW am Gesundheitscampus - vielleicht von geringerer Relevanz für den ÖGD und das Öffentliche Gesundheitswesen sein könnte, als das derzeitige LIGA.NRW in seiner regionalen Zentrenbezogenheit, also der Dezentralität seiner jetzigen Standorte. Solch eine alternative
Analyse im Kontext der Aufgabenkritik wäre sicherlich weitreichender, differenzierter
und auch in geltungstheoretischer Hinsicht aussagekräftiger gewesen, als die Beschränkung auf die politischen Vorgaben bei der Analyse. Denn damit geraten die
Ergebnisse in die Gefahr, sich auf den Status einer puren Behauptung zu verengen.
Ohne eine Kritik der Standortwahl lassen sich die künftigen Aufgaben von LIGA.NRW nur unzureichend bestimmen. Dennoch basiert das Gutachten auf der
Voraussetzung, dass es sinnvoll sei, LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus
zu konzentrieren und dem LIGA.NRW ein Profil zu geben, wie es die Zweckkritik mit
ihren Ergebnissen, die ein verändertes Aufgabenportfolio beschreiben, nahe legt,
obgleich die „künftige Rolle des LIGA.NRW und insbesondere ihr Verhältnis zu dem
neu aufzubauenden „Kompetenzzentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen“[…]
ebenfalls noch nicht geklärt (sind).“90
Auf dieser dann konstruierten Grundlage kommt das Gutachten zu der Anregung
„bei der Zusammenführung der Standorte und Verlagerung des LIGA.NRW auf den
Gesundheitscampus die Aufbauorganisation im Sinne eines den zukünftigen Anfor-
90
Ebenda. S. 14.
125
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
derungen gerecht werdenden ganzheitlichen Aufgabenverständnisses zu revidieren.“91
Abstrakt wird vom LIGA.NRW erwartet, dass es eine Organisationsform entwickelt,
die den wechselnden Vernetzungsansprüchen der nicht näher bezeichneten Akteure
folgt, so dass den politischen Erwartungen an „eine Vernetzung und Stärkung der
jeweiligen Kompetenzen verschiedener gesundheitspolitisch relevanter Akteure“
auch organisatorisch entsprochen werden kann.92 LIGA.NRW muss also laut Gutachten eine Organisationsform am Gesundheitscampus entwickeln, die darin besteht „die eigenen Ressourcen und Kompetenzen möglichst flexibel und aufgabenadäquat einsetzen zu können.“(ebenda) Damit ist auch eine zunehmende Virtualität
von LIGA.NRW intendiert. Da aus Effizienzgründen vermieden werden soll, dass
gleichgerichtete Aufgaben der Bereiche Berichterstattung/Datenbasen oder Prävention an verschiedenen Stellen wahrgenommen werden, sollen die verschiedenen
Datenbasen zusammengeführt werden. Eine solche Organisationsform, die dem
derzeitigen Organisationsaufbau als überlegen betrachtet wird, stellt die auf eine
aufgabenbezogene Vernetzung basierende Aufbauorganisation gegenüber einer
Organisationseinheit mit einer starren Aufgabenzuweisung dar.
Begründet wird diese als effizienter ausgewiesene Organisationsform mit dem Verweis auf DV- und Web-gestützte Instrumente, „die eine örtlich flexible und verteilte
Zusammenarbeit und Verteilung von Informationen möglich machen.“93 Damit wird
eine zentrale Datenaufbereitung präferiert, die die am Standort agglomerierten Daten und Informationen wiederum aufgabenspezifisch je nach Aufgabenbedarf verteilt. Da damit die räumliche Konzentration funktional zusammen gehöriger Arbeitsschritte „und der entsprechenden Arbeitskräfte für die Bearbeitung vieler Aufgaben
an Bedeutung“ verlieren, ist es gemäß der Logik dieser Argumentation nur konsequent „bei der räumlichen Konzentration des LIGA.NRW die bestehende ZentrenStruktur“ aufzugeben sowie „bei der Zusammenführung der Standorte und Verlagerung des LIGA.NRW auf den Gesundheitscampus die Aufbauorganisation im Sinne
eines den zukünftigen Anforderungen gerecht werdenden ganzheitlichen Aufgabenverständnisses zu revidieren.“94
91
Ebenda. S. 11.
Ebenda.
93
Ebenda.
94
Ebenda.
92
126
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Das Hauptargument für den hier geleisteten Versuch die Standortkonzentration des
LIGA.NRW zu begründen ist rein formal. Es wird behauptet, dass der derzeitige Organisationsaufbau nicht den Anforderungen an eine aufgabenadäquate und flexibel
handhabbare Kompetenzanwendung genügen würde. Welche Kompetenzen und
Ressourcen hierbei allerdings für welche Aufgaben und Anforderungen erforderlich
und in welcher Weise dann tatsächlich auch verfügbar sind, lässt sich allerdings
wiederum nur im Kontext der anderen Akteure (Kunden, Kooperationspartner etc.)
bestimmen. Sie bleiben also inhaltlich unbestimmt. Hier ließe sich einwenden, dass
Ressourcen und Kompetenzen für eine flexible Aufgabenwahrnehmung potenziell in
der derzeitigen Organisationsform ebenfalls vorhanden sind und - wie die erfolgreiche Arbeitsweise von LIGA.NRW seit Jahren ausweist - auch aktualisiert werden.
Überdies ist zu sehen, dass mit DV- und Web-gestützter Technologie ebenso ein
Instrument existiert, dass gerade die derzeitigen Vorteile der dezentralen Standorte
mit ihren Netzwerken, in einen gemeinsamen Aufgaben- und Handlungskontext dezentral positionierter Bereiche, nutzbar machen kann.
So beispielsweise die nach dem GVP unter 1.3.4 geführten Aufgaben (Pflege einer
dezentralen Informationsbasis für Auswertungen u. zum Arbeitsschutzcontrolling),
die eine zentrale Aufgabe im Rahmen der Risikoerkennung wahrnehmen und nach
Empfehlung der Aufgabenkritik aus Synergiegründen mit der Gesundheitsberichterstattung zusammengeführt werden soll.95 Eine Zusammenführung mit der Gesundheitsberichterstattung würde jedoch bedeuten, dass beide Bereiche an dem
zentralen Ort zu konzentrieren wären. Dadurch allerdings würde die Dezentralität
die - wie sich noch zeigen wird - eine entscheidende Voraussetzung für die Qualität
der Datenbasis ist, aufgegeben werden. Zudem steht zu befürchten, dass bei einer
Zusammenlegung möglicherweise - obgleich die strategische Bewertung dagegen
spräche - die in der formalen Zweckkritik eruierten, über alle Laufbahnen verteilten,
personellen Einsparpotenziale tatsächlich auch aus Kostengründen realisiert würden.
Da aufgrund der schon jetzt existierenden personellen Engpässe in der Gesundheitsberichterstattung die Aufgabenwahrnehmung zunehmend problematischer wird,
würden sich bei einer Zusammenlegung der beiden Bereiche - unter der Voraussetzung einer Realisierung der aufgezeigten Einsparpotenziale - keine weiteren Synergieeffekte mehr ergeben, sondern vielmehr beide Bereiche Schaden nehmen. Ab95
Ebenda. S. 44 f.
127
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
gesehen von dieser möglichen negativen Entwicklung bei einer Zusammenlegung
der Bereiche am Gesundheitscampus (seitens des Gutachtens postulierte Aufgabe
der „Zentren-Organisation) ist den Autoren hinsichtlich ihrer Bewertung, dass es unter einer strategischen Perspektive nicht sinnvoll wäre, diesen Aufgabenbereich
auszugliedern und anderweitig fortzuführen, da es sich hierbei um einen „für Kompetenzerwerb und Kompetenzerhalt zentralen Aufgabenbereich“ des LIGA.NRW
handelt, nur zuzustimmen. Allerdings wäre eine optimierende Weiterführung auch
dadurch sichergestellt, dass die beiden Bereiche an ihren dezentralen Standorten
informations- und kommunikationstechnisch vernetzt (durch Telearbeitsplätze miteinander kooperierend) weitergeführt werden könnten. Damit würde sich ein Musterbeispiel für die Nutzung von Synergieeffekten realisieren lassen, die aus den regionalen Schnittstellen resultieren und mit den Daten des Arbeitsschutzbereiches verbunden, ein großes Maß an Informationspotenzial bieten. Zugleich wäre dies ein
Schritt in Richtung auf eine wirklich effiziente Verwaltung, die alle technologischen
Möglichkeiten zur Optimierung ihrer gestellten Aufgaben wahrnimmt.
Ein weiteres Argument betrifft die Redundanz in der Datenerhebung und im Datenmanagement. Da die Daten grundsätzlich über die zu erreichende virtuelle Struktur
von LIGA.NRW synergieadäquat zusammengeführt und aufgabenspezifisch allokierbar sind, wird in einem weiteren Schritt dann unterstellt, dass eine räumliche
Konzentration an den bisherigen regionalen Schnittstellen nicht mehr funktional von
Nöten und auch nicht mehr effizient sei, so dass die Verlagerung des LIGA.NRW an
den Standort Gesundheitscampus sachlich geboten wäre. Dies gerade auch vor
dem Hintergrund, die Landesgesundheitspolitik optimal zu unterstützen.
Gegen diese Argumentation lässt sich einwenden, dass angesichts der Notwendigkeit einer zunehmenden Virtualisierung auf der Grundlage des Ausbaus der DV- und
Webkapazitäten des LIGA.NRW eine aufgabenspezifische Allokierung von Daten
bzw. das gesamte Datenmanagement eher für die Beibehaltung der derzeitigen dezentralen LIGA.NRW- Standorte spricht. Denn eine Vernetzung der regionalen
Standorte ist ja gerade durch die Interaktion gewährende Virtualität gesichert. Aufgabenbezogene Kompetenzeinheiten und Informationen lassen sich damit an jedem
beliebigen Standort virtuell organisieren und Daten lassen sich ebenso gezielt - ohne Redundanzen - an den Schnittstellen erheben und einer zentralen Aufgabe zuweisen, die auf der Grundlage der Kompetenzen und Ressourcen, die die unterschiedlichen regionalen Schnittstellen falls erforderlich beisteuern.
128
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Gerade aufgrund der vorhandenen Potenziale DV-gestützter Arbeitsweisen spricht
nichts für eine zentrale Zusammenführung der LIGA.NRW Standorte. Vielmehr handelt es sich bei dem Argument um eine durchaus neutrale Argumentationsfigur,
denn funktional betrachtet, kann ein DV-gestütztes Netzwerk anwendungsorientiert
sowohl für eine zentrale Overheadstruktur der Datenverarbeitung als auch für eine
dezentrale Koordination sprechen. Allerdings spricht - wie noch aufzuzeigen sein
wird - der aus den regionalen Kooperationsbeziehungen des LIGA.NRW an seinen
Standorten mit den regionalen Netzwerken resultierende Mehrwert definitiv für ein
dezentrales Modell, dessen LIGA.NRW Standorte sich eben aufgrund der gezielt
einsetzbaren DV-Potenziale effizient vernetzen können. Dies sowohl im Austausch
mit einem zentralen Standort, als auch mit den dezentralen Organisationseinheiten.
Die von der Landesregierung für ihr beispielgebendes Modell so hochgelobten NIH
zeigen, wie eine Vernetzung dezentraler Einheiten möglich ist. Mit der Recherchesoftware Collexis als Wissensplattform für die National Institutes of Health ist eine
Vernetzung aller dezentralen Einheiten sowie auch kooperierender Institute US-weit
möglich geworden. Nichts spricht also dagegen - aber sehr viel dafür - die LIGA.NRW Standorte zu belassen und entsprechend, ähnlich den NIH auf dem
neuesten Level zu vernetzen.
Ungeachtet des problematischen Zugangs zu diesem Themenfeld durchzieht dieses
Diktum, dass die dezentralen Standorte des LIGA.NRW aufzugeben sind, als leitendes Vorverständnis die gesamte Aufgabenkritik und Neuorientierung des LIGA.NRW
(mit einem wie auch immer reduzierten Aufgabenbestand) entsprechend der Zielvorgabe der Untersuchung ,„die für das Land weitreichendste Entlastungsmöglichkeit im Aufgabenbestand“ zu identifizieren.96
Aber es gibt in Verbindung mit dieser Zielstellung noch ein weiteres dominantes Motiv, dass eine Zentralisierung in Form der Standortkonzentration erforderlich erscheinen lässt. Hierbei handelt es sich um eine verstärkt betriebswirtschaftliche
Ausrichtung des LIGA.NRW in Form eines kundenorientierten Dienstleisters in Sachen Gesundheit.
Um die strategischen Zielsetzungen im Hinblick auf die künftige Entwicklung des
LIGA.NRW bewerten zu können, wird die formale Zweckkritik um eine strategische
96
Ebenda S. 26.
129
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Bewertung ergänzt, die mögliche Aufgabenprofile am Gesundheitscampus aufgrund
einer Leistungsmatrix ausweist, die aus zwei Szenarien besteht.
Diese zwei Szenarien sind hinsichtlich einer stärkeren Profilierung von LIGA.NRW
im Rahmen privatwirtschaftlicher Wertschöpfungsprozesse überaus aufschlussreich.

In einem ersten Szenario wird das LIGA.NRW als politischer Fachberater
und Know how Träger zur Unterstützung der Landesgesundheitspolitik gesehen („Szenario Fachberater").

das zweite Szenario sieht das LIGA.NRW primär in der Rolle einer fachlichen,
techn. und verwaltungsmäßigen Dienstleistungseinrichtung für den Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen („Szenario Dienstleister").“97
Vor dem Hintergrund dieser Folie fällt demnach auch die Einschätzung der strategischen Relevanz des LIGA.NRW. und seiner Kernaufgaben, bzw. seiner künftigen
Kernkompetenzen, unterschiedlich aus. Darüber hinaus beschreiben die beiden
Szenarien auch unterschiedliche Existenz- und Entwicklungsmöglichkeiten für ein
LIGA.NRW am Gesundheitscampus Bochum.
Im 1. Szenario fungiert das LIGA.NRW als politischer Fachberater des MAGS, wobei die zentrale Nutzenerwartung an das LIGA.NRW in der konzeptionellen Unterstützung des politischen Handelns besteht. Die folgenden Leistungen würden diese
Erwartungen abdecken:

Konzepte und Handlungsempfehlungen;

Berichterstattung zu politisch relevanten Feldern;

als Motor / Katalysator für Entwicklungen fungieren;

Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis realisieren
Die hierzu erforderlichen Kernkompetenzen, die diesbezüglich einzubringen wären,
sind:

Fachkompetenz zu den relevanten Feldern der Gesundheitspolitik einschließlich Gesundheit in der Arbeit;

Analyse und Bewertung von Daten und Informationen;
Überdies ist es notwendig
97
Ebenda. S. 3.
130
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

die vorhandenen Kompetenzen der beiden Zentren an den richtigen Stellen
und Aufgaben zusammenzuführen;

arbeitswissenschaftliche Kompetenz zu erlangen;

die Fähigkeit zu entwickeln, betriebswirtschaftlich über den Nutzen von Arbeitsschutz / Gesundheitsschutz argumentieren zu können;

toxikologische Kompetenz zu erlangen.(Vgl.S.18)
Beim 2. Szenario als fachliche, technische und verwaltungsmäßige Dienstleistungseinrichtung für den Gesundheitscampus würde das folgende Leistungsportfolio relevant:

die zielgruppengerechte Bereitstellung von Daten und Informationen;

Begutachtungen konkreter Sachverhalte;

Organisation von Veranstaltungen, Erstellung von Medien und InternetPräsentationen;

ein Komplettangebot „Verwaltungsdienste";

Unterstützung in Krisensituationen und

Projektmanagement als Dienstleistung.
Hinsichtlich dieses Leistungsspektrums zeigt sich auch die von den Autoren eingeforderte Neubestimmung des LIGA.NRW über den bisherigen Aufgabenkreis der
„Arbeits- und Schutzverwaltung“ hinaus, hin zu einer geradezu unternehmerischen
Entwicklung eigenständiger neuer Geschäftsideen, Produkte und Dienstleistungen,
mit denen dann auf dem Leitmarkt Gesundheit der Wettbewerb mit konkurrierenden
Anbietern aufzunehmen wäre.
Damit wird an beiden Szenarien - als ein nicht unbedeutendes Moment - eine verstärkt ökonomisch-wettbewerbsorientierte Ausrichtung privatwirtschaftlichen Zuschnitts deutlich. Damit besteht auch inhärent organisatorisch die Notwendigkeit,
das Leistungsspektrum von LIGA.NRW neu zu definieren, um den in diesen Interpretationshorizont vermeintlichen Erfolg des LIGA.NRW zu gewährleisten.
131
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Hier wird folgerichtig die Empfehlung von der Voraussetzung diktiert, die entsprechend den Szenarien zu entwickelnden Leistungsprofile unter Wettbewerbsaspekten zu definieren.
So sind die Leistungen/Produkte aus den Kernkompetenzen des 1. Szenarios zum
einen bei einer Grundfinanzierung von 70% seitens des MAGS und zum anderen
bei einer Finanzierung aus leistungsbezogenen Entgelten (30%) gegenüber dem
MAGS entgeltlich zu spezifizieren und diese Leistungsentgelte gegenüber dem
MAGS „möglichst längerfristig zu vereinbaren.“98
Ist erst einmal eine solche Leistungs- und Dienstleistungsbeziehung zwischen
MAGS und LIGA.NRW entwickelt, impliziert dies auch im Außenverhältnis eine dezidierte Konkurrenzbeziehung gegenüber anderen Dienstleistern als Anbieter entsprechender Kernkompetenzen. In diesem Kontext wären Universitäten, Gutachter,
Institutionen auf dem Gesundheitscampus, Forschungseinrichtungen, Robert-KochInstitut, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und ähnliche Bundeseinrichtungen zu nennen.
Im 2. Szenario würde 30% des Gesamtbedarfs an Finanzierung seitens des Landes
gegeben, 45% wären durch leistungsbezogene Entgelte abzusichern und die restlichen 15% durch leistungsbezogene Entgelte anderer Stellen.
Das Kundenspektrum wäre weit umfangreicher als im 1.Szenario:

MAGS, MUNLV und MWME erwarten die Erfüllung eines klar definierten und
dem LIGA.NRW übertragenen Auftrags.

Kommunen und Ordnungsbehörden erwarten die Bereitstellung von Daten
und Informationen.

Die Bezirksregierungen sowie das LANUV erwarten sowohl die Bereitstellung von Daten und Informationen als auch die Erfüllung konkret definierter
Aufträge.

Andere Landesbehörden und Nutzer auf dem Gesundheitscampus würden
als Kunden ggf. kostengünstige Verwaltungsdienstleistungen, DV-Dienstleistungen etc. erwarten.
98
Ebenda. S. 18.
132
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Insbesondere würden auch andere Akteure als staatliche Stellen zu dem „Kundenkreis“ des LIGA.NRW gehören, nämlich „Institutionen auf dem Gesundheitscampus,
betriebliche Arbeitsschutzakteure, Unfallversicherungsträger, Betriebe, die Gesundheitsregionen, andere Bundesländer und schließlich Abnehmer von HostingLeistungen (Web-Portale etc.).“99
Damit jedoch - gerade auch unter den prekären Finanzierungsbedingungen des LIGA.NRW - müsste LIGA.NRW für die Dienstleistungen, die für die neuen Nachfrager zu erbringen sind, kostendeckende Leistungsentgelte erheben. Die Autoren
deuten selbst die Crux eines solchen Modells an. Zwar könnte LIGA.NRW im Wettbewerb mit seinen Konkurrenten einerseits die Alleinstellungsmerkmale Unabhängigkeit und Neutralität der Beratung und Forschungsdienstleistungen geltend machen und andererseits als Wettbewerbsvorteil anführen, dass seine Leistungen kostenlos abgegeben werden, aber unter den Bedingungen der Refinanzierung, wären
diese Wettbewerbsvorteile nicht mehr am Markt relevant. Müsste LIGA.NRW seine
Leistungen zu realistischen Marktpreisen erbringen, würden die potenziellen Konkurrenten des LIGA.NRW, wie TÜV, private Laborbetriebe, Gutachterbüros, Arbeitsmedizinische Zentren, Gesundheitszentren, Hochschulinstitute, Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, VG und Institute auf dem Gesundheitscampus durchaus Marktchancen haben.
Jedoch stellt sich unter dieser Perspektive die Frage, inwieweit die angeführten Anbieter überhaupt in der Lage sind, qualitativ vergleichbare Dienstleistungen auf dem
Niveau des LIGA.NRW zu erbringen. Wenn es sich um bisherige Kernaufgaben des
LIGA.NRW handelt, dann sind damit auch Kernkompetenzen verbunden, die eben
gegenüber Konkurrenten komparative Wettbewerbsvorteile implizieren.
Da diese Überlegung jedoch nicht zielführend bei beiden Szenarien zu sein scheint,
ist davon auszugehen - und dies wird an dem angegebenen Leistungsportfolio auch
deutlich, dass hier dem am Gesundheitscampus neu aufgestellten LIGA.NRW eine
eher privatwirtschaftliche Handlungsdimension zugewiesen wird.
Dafür spricht insbesondere die aus diesem Szenario zu entnehmende Anforderung
an das LIGA.NRW, „ sich stärker auf möglicherweise kurzfristig wechselnde Kun-
99
Ebenda. S. 21.
133
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
denbedürfnisse“ unter den Bedingungen eines deutlich höheren wirtschaftlichen Risikos einzustellen.100
Gegen ein LIGA.NRW in Dienstleisterfunktion für die im Rahmen des Gesundheitscampus noch zu schaffenden Kooperationsnetzwerke mit privatwirtschaftlichen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, wie es die Campusidee intendiert, spricht allerdings die öffentliche Aufgabenstellung und das Leistungsprofil im Rahmen des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Je ausgeprägter auch die wirtschaftliche Kooperation mit den privatwirtschaftlichen
Akteuren vor Ort ist, desto größer wird die Gefahr, dass das LIGA.NRW seinen öffentlichen Auftrag und seine Aufgabenstellung für das öffentliche Gesundheitswesen
tangiert.
Der vermeintliche Wettbewerbsvorteil, der in dem Alleinstellungsmerkmal Neutralität
und Objektivität der wissensbasierten Leistungen des LIGA.NRW besteht, dürfte
sich bei der für eine Neuaufstellung empfohlenen Erschließung „eines breiteren
Kundenspektrums über den Gesundheitscampus hinaus [...]“ „außerhalb der Arbeits- und Schutzverwaltung“ sehr schnell abnutzen. Gerade die wirtschaftliche
Unabhängigkeit des LIGA.NRW garantiert dessen Neutralität und unparteiische Bewertung von gesundheitspolitisch relevanten Sachverhalten und Empfehlungen im
Rahmen gesundheitspolitischer Ziele auf allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Angesichts der Dynamik des Leitmarktes Gesundheit besteht die Gefahr, dass mit
den

Ressourcen und Mitteln des LIGA.NRW konkurrierende Angebote unterstützt
werden,

LIGA.NRW im Rahmen seiner fachlichen Begutachtung nicht mehr neutral
agiert,

sondern auf der Basis der Auftragsforschung selbst zur Partei im Wettbewerb wird,

und somit möglicherweise sogar hinsichtlich der Auswirkungen für das Gesundheitswesen damit zu einer eher defizienten Entwicklung beitragen könnte.
100
Ebenda. S. 20.
134
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Überdies würde sich im Zusammenhang eines Bewertungs- oder Gutachterauftrages ein Interessenkonflikt auch daraus ergeben, dass der Anbieter an der Empfehlung und Umsetzung von Programmen, Produkten oder Dienstleistungen, also all
dessen, was er bewerten soll, auch noch selbst beteiligt ist. Bei einer Dienstleistungsausrichtung des LIGA.NRW im Sinne der Unterstützung privatwirtschaftlicher
Wertschöpfung ist es nicht abwegig zu vermuten, dass das LIGA.NRW in eine solche Situation kommen könnte, dass es die Markteinführung von Produkten unterstützt und die unterstützten Produkte dann selbst im Rahmen seiner öffentlichen Aufgabenstellung zu bewerten hätte. Das bewertende Organ würde damit - unter dem
Deckmantel der Objektivität und unparteiischen Prüfung oder der Ausübung seiner
Kontrollfunktion - seine eigene Arbeit bewerten müssen. Diesem Interessenkonflikt
wäre LIGA.NRW im Falle privatwirtschaftlicher wissenschaftlicher Dienstleistungsfunktion ausgesetzt.
Zudem könnte dieses Handeln eine erhebliche Intervention in ein Marktgeschehen
darstellen, da es die Transaktionskosten für die Markteinführung und Prüfung eines
Produktes für den Anbieter relativ gering hält und seine Erfolgsaussichten relativ
verbessert. Eine solche Einflussnahme wäre schlicht marktverzerrend.
Die Rolle von LIGA.NRW im öffentlichen Gesundheitsdienst ist klar definiert. LIGA.NRW hat mit dazu beizutragen die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen
sowohl in qualitativer wie quantitativer Hinsicht zu sichern und zu entwickeln. Unter
dieser Perspektive ist es abwegig, dass LIGA.NRW selbst als Akteur oder gar Konkurrent gegenüber anderen Anbietern auf dem Gesundheitsmarkt agiert, möglicherweise sogar - wie im Gutachten vorgeschlagen, - „eigenständig neue Produkte und
Dienstleistungen“ entwickelt. Dies steht diametral zu der Verantwortung, die LIGA.NRW für die Schaffung eines ausreichend verfügbaren und guten Gesundheitswesens für die gesamte Bevölkerung wahrzunehmen hat. Als Marktteilnehmer geraten die Breite und Tiefe der Versorgungsangebote notwendig aus dem Blick, da auf
der privatwirtschaftlichen Akteursebene Kosten- und Rendite bzw. Gewinnüberlegungen dominieren.
So liest sich der Katalog der Kernkompetenzen des Dienstleisterszenarios auch wie
ein Kompendium der strategischen Unternehmensorganisation. Das am Gesundheitscampus positionierte LIGA.NRW benötigt, um erfolgreich am Markt - sei es mit
neuen Produkten oder neuen Kunden - erfolgreich handeln zu können, eine Struktur, die u.a. aus Kernkompetenzen besteht, die in Vertrieb und Akquise ebenso lie-
135
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
gen, wie in der betriebswirtschaftlichen Steuerung und Beherrschung betriebswirtschaftlicher Instrumente, gerade auch, wie die Autoren versichern, um für Kunden
diese „vorteilhaften Angebote entwickeln und erläutern zu können.“101 Einmal abgesehen davon, dass mit dieser Aufgabenstellung die vorhandenen Personalressourcen völlig überfordert wären und die Pflichtaufgaben in den Hintergrund träten, da
Mitarbeiter im Rahmen der strategischen Ausrichtung des „Unternehmens LIGA.NRW“ gebunden wären, mutet dieses Szenario eines marketinggeführten, marktwirtschaftlich agierenden LIGA.NRW reichlich absurd an.
Diese Beschreibung erinnert sehr an die Grundzüge eines Kompetenzmanagements, wie es in der Privatwirtschaft geltende Usance ist. Jedes Unternehmen hat
jene Kernkompetenzen zu identifizieren, welches seinen Produkten, Dienst- oder
Serviceleistungen einen einzigartigen (Alleinstellungsmerkmal) Kundennutzen verleiht.
Ein so organisiertes und auf den gesundheitswirtschaftlichen Markt bezogenes LIGA.NRW wäre seiner übergeordneten Position und Urteilsfunktion beraubt und hätte den Status eines gesundheitswirtschaftlichen Akteurs unter einer Vielzahl von
Akteuren. Unter der Annahme allerdings, dass das LIGA.NRW zweigleisig optiert,
wie es das 2. Szenario auch nahe legt, werden die Interessenkonflikte noch bedrängender. Hier denke man nur an den Kernbereich des LIGA.NRW Standortes Münster, die Arzneimittel-Untersuchungsstelle.
Die vielfältigen Aufgaben der Arzneimitteluntersuchungsstelle sind gesetzlich vorgeschrieben. (Rechtlichen Grundlagen sind AMG, AMGVwV, RL 2001/83/EG, RL
2001/82/EG.)
Einzelne Aufgaben bestehen in der:

Untersuchung und Begutachtung von amtlich gezogenen Arzneimittelproben
(Einsender: Gesundheitsämter, Bezirksregierungen, Zoll, Staatsanwaltschaft, Polizei)

Beratung der Überwachungsbehörden und der Ministerien MAGS und
MUNLV

Durchführung von GMP- und GLP-Inspektionen in NRW sowie im Ausland,
sofern die pharmazeutischen Firmen dort Niederlassungen haben.
101
Ebenda. S. 21.
136
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Die Arzneimittelsicherheit bildet unter der Perspektive des Verbraucherschutzes wie
auch der Gesundheitsförderung eines der wichtigsten Anliegen des öffentlichen Gesundheitsdienstes
Besonders relevant für den Verbraucher ist jedoch die Schutzfunktion, die die Arzneimitteluntersuchungsstelle ausübt. Bei Arzneimittelskandalen leistet die Arzneimitteluntersuchungsstelle eine Art „Feuerwehrfunktion“.
Angesichts eines Umsatzvolumens von 41, 28 Mrd. € in 2007 und einer Umsatzsteigerung von 8,4% gegenüber dem Vorjahr stellt die Pharmabranche aufgrund ihrer
Marktmacht gegenüber den Belangen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und
den Interessen der Bürger an einer sicheren und kostengünstigen Versorgung mit
Medikamenten, eine kaum zu regulierende Macht dar. Die gescheiterten Versuche
der Kostenregulierung im Pharmabereich, der zunehmende und immer aggressiver
werdende Lobbyismus und der Kotau des Gesetzgebers vor der Branche sprechen
für sich.
Aber auch die Pharmabranche kämpft mit einigen Problemen. Sie resultieren aber
weniger aus Konjunktur-Risiken, wie das Handelsblatt v. 17.10.2008 schreibt, sondern vor allem aus strukturellen und regulatorischen Veränderungen. So ist unter
anderem wegen höherer Sicherheits-Anforderungen die Entwicklung neuer Medikamente wesentlich schwieriger und aufwendiger geworden. Gerade dieser Umstand könnte zu einem erheblichen Interessenkonflikt im Rahmen der Variante eines
kommerzialisierten LIGA.NRW führen.
„Von den sich auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln wird seitens der Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße optimale Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erwartet.
Insofern ist staatlicherseits sicherzustellen, dass keinerlei gesundheitliche Gefahren
von Arzneimitteln ausgehen und dass deren Wirksamkeit auch garantiert ist.
Um dies zu gewährleisten existiert ein zweistufiges Prüfungs-Verfahren, dass neben
der Zulassung von Arzneimitteln auch die behördliche Überwachung des Arzneimittelverkehrs beinhaltet, also die ständige Arzneimittelprüfung und -überwachung.
Die Überwachung wird in NRW von Bezirksregierungen und Kommunen wahrgenommen. Das LIGA.NRW unterstützt die genannten Behörden in ihren Aufgaben als
fachliches Kompetenzzentrum. Hierzu wird im LIGA.NRW die amtliche Arzneimittel-
137
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
untersuchungsstelle des Landes NRW unterhalten die analytisch die Qualität von
Arzneimittelproben überprüft. Daneben wird das Expertenwissen der hier tätigen
Apothekerinnen und Apotheker auch zur Beurteilung der Herstellungs- und Kontrollprozesse in den pharmazeutischen Unternehmen bei Betriebsinspektionen durch
die Bezirksregierungen genutzt. Weitere wichtige Bausteine der Arzneimittelsicherheit sind Projekte für einen sinnvollen Arzneimittelkonsum der Bevölkerung (Sozialpharmazie) sowie zur Erhöhung der Anwendungssicherheit von Arzneimitteln durch
Patientinnen und Patienten.“102
Die Arzneimitteluntersuchungsstelle im LIGA.NRW nimmt so eine entscheidende
Funktion für den Gesundheitsschutz wahr. Einerseits durch die Analyse der Arzneimittel und Gesundheitsprodukte und andererseits, indem sie die pharmazeutischen
Unternehmen und ihre Herstellungsprozesse kontrolliert.
Allerdings kann sie diesen Aufgaben derzeit kaum noch - in verantwortlicher Weise gerecht werden. Denn mit dem aktuell vorhandenen Personalbestand ist die kritische Masse bereits unterschritten. So haben z.B. die Fachgruppen 5.2 und 5.3 in
den letzten Jahren bereits 2 Apotheker in Vollzeit und 3 Labormitarbeiter (1 in Teilzeit) und eine Hilfskraft verloren.
Die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben können dadurch - wie die Experteninterviews ergaben - aktuell nicht erfüllt werden. Bei der Arzneimitteluntersuchungsstelle
(FB 5.2 und 5.3) handelt es sich um ein Labor mit einem akkreditierten Qualitätssicherungssystem, das regelmäßig von externen Auditoren überprüft wird. Die Akkreditierung ist eine zwingende Voraussetzung für die gerichtliche Anerkennung der
Analysenergebnisse. Durch den Personalabbau ist die Akkreditierung gefährdet.
Fazit: Wenn der Personalbestand in diesen Fachgruppen nicht umgehend erweitert
wird, ist eine gesetzeskonforme Aufgabenerfüllung kaum noch gewährleistet.
Sollte nun politisch dem 2.Szenario Raum gegeben werden, so steht zu befürchten,
dass die ohnehin knappen Ressourcen eher kundenorientiert umgeschichtet werden, als dass die komplexe Kontrollfunktion von Gesundheitsprodukten und den
Dienstleistern im Gesundheitswesen - im Rahmen des öffentlichen Interesses - in
sachlich gebotenen Weise weiter verfolgt oder gar ausgeweitet werden wird.. Überdies besteht – folgt man diesem Szenario - die Gefahr, dass aufgrund einer ausgeprägten Dienstleistungsorientierung dann möglicherweise auch den Interessen der zu
102
Auf: www.loegd.nrw.de
138
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
akquirierenden –privatwirtschaftlichen – Kunden, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem effizienten Patienten- und Verbraucherschutz eine allzu hohe Priorität eingeräumt werden könnte. Denn aus der wirtschaftlichen Zielstellung, die mit
dem Konzept Gesundheitscampus vertreten wird, ergeben sich im Spannungsverhältnis von Refinanzierungsgebot und Pflichtaufgaben erhebliche Konfliktpotenziale
für das LIGA.NRW. So besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass angesichts des
wirtschaftlichen Primats eine wissenschaftlich haltbare, aussagekräftige und objektive Bewertung der Produkte auf ihre Unbedenklichkeit und Produktsicherheit nur
noch eingeschränkt und interessegeleitet wahrgenommen wird, was zu Lasten des
Verbraucher- und Patientenschutzes ginge. Sofern LIGA.NRW auf ein Leistungsprofil reduziert wird, wie es mit dem Modell Gesundheitscampus intendiert ist, also mit
privatwirtschaftlichen Unternehmen als neuen Kunden auf der Ebene von Geschäftsbeziehungen kooperiert, wird ein solcher Interessenkonflikt fortwährend bestehen.
Gerade dieser neuralgische Aspekt wird auch seitens der Mitarbeiter der Arzneimitteluntersuchungsstelle als überaus problematisch empfunden. In den Interviews
wurde prononciert darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftlich fundierte Kontrollfunktion nicht mit einer interessengeleiteten Vermarktung kompatibel ist. So wurde dezidiert darauf hingewiesen, dass Forschung wie sie im LIGA.NRW betrieben
wird, keine Dienstleistung privatwirtschaftlicher Verwertung sei und Kontrollfunktionen prinzipiell in staatlichen Händen bleiben müssten, da ansonsten Interessenskonflikte bestehen würden.
Die Apothekerinnen und Apotheker der Arzneimitteluntersuchungsstelle erstellen
unabhängige Gutachten in amtlichem Auftrag und sehen diese Unabhängigkeit
gefährdet, wenn sie im Bereich Beratung und Wirtschaftsförderung tätig sein müssten. Dadurch würden erhebliche Interessenskonflikte auftreten, wenn sie ein Unternehmen in NRW beraten und parallel dazu ein Produkt dieser Firma beanstanden
müssten. Angesichts der Marktmacht der Pharmabranche (Gewinn der Pharmaindustrie in Deutschland 2007 31,7 Prozent des Umsatzes, Kosten für Medikamente
die von Patienten bzw. den Krankenversicherungen in Höhe von 34 Milliarden € im
Jahr zu zahlen sind) lässt sich ermessen, dass beispielsweise eine auf Refinanzierung angewiesene Arzneimitteluntersuchungsstelle möglicherweise in die Zwangslage kommen könnte, ihre Untersuchungsgegenstände entsprechend den Interes-
139
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
sen ihrer Auftraggeber zu selektieren wird und entsprechende Empfehlungen auszusprechen.
Ein Beispiel aus einem anderen Bereich bildet hierfür die seit Jahren von Verbraucherschützern und der um den Gesundheitsschutz bemühten Fachwelt eingeforderten Klärung der Wirkung und des Gefährdungsrisikos von kombinierten Schmerzmitteln. Obgleich seit mehr als 6 Jahren dazu aussagekräftige Studien eingefordert
werden, wurde bislang dem Desiderat nicht entsprochen. Da selbst unter den derzeitigen Bedingungen der relativen Unabhängigkeit der Arzneimitteluntersuchung
auf Bundes- und im Rahmen des ÖGD auf Landesebene, seitens des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM eine solche Notwendigkeit anscheinend nicht gesehen und weiterverfolgt wird – bleibt fraglich, ob sich das LIGA.NRW bei einer vergleichbaren Sachlage einem zunehmenden Einfluss privatwirtschaftlicher Interessen vollständig und wirkungsvoll entziehen können wird.
Bei einem Modell eines LIGA.NRW, das als unternehmerisch agierender Dienstleister seine eigene ökonomische Basis durch Geschäftsbeziehungen auch zur Privatwirtschaft sichern muss, besteht immer die Gefahr, dass die unabhängige Forschungs- und Analysearbeit belastet werden könnte.
Ebenso wie in der Arzneimittelüberwachung verhält es sich auch in den anderen
relevanten Handlungsfeldern wie der Gesundheitsberichterstattung, der Infektionsund Umweltepidemiologie, der Trinkwasserqualitätsbestimmung und den zentralen
Handlungsbereichen des „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“, also den Aufgabenfeldern „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“, bei den sicherheitstechnischen Aufgaben zum Schutz Dritter sowie in der
Politikberatung im Rahmen des Arbeitsschutzes. Ein in seinem Aufgabenbestand
stärker privatwirtschaftlich ausgerichtetes LIGA.NRW gerät ständig in die Gefahr
einer Interessenkollision.
Angesichts der Kernkompetenzen des LIGA.NRW sowohl bei der Arzneimittelsicherheit als auch bei der strategisch relevanten Gesundheitsberichterstattung und
im Arbeitsschutz, wäre ein Wissensdienstleister, der zugleich über hoheitliche Rechte verfügt und zudem in seiner wissenschaftlichen Reputation unangreifbar ist, ein
idealer Partner in einer strategischen Allianz mit privatwirtschaftlichen Unternehmen
- dies auch und gerade aus ökonomischen Interessen.
140
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dass es für diese Sichtweise durchaus ernst zu nehmende Anhaltspunkte gibt, dürfte an dem folgenden Sachverhalt evident werden.
Nachdem die Standortentscheidung nun am 12.05.2009 für Bochum gefallen ist,
änderte die Landesregierung auch ihre Informationspolitik. Dies bedeutet allerdings
nicht, dass nunmehr eine durchkalkulierte, konsistente Konzeption als solche, mit
belastbaren Daten oder Zahlen vorgelegt wurde. Vielmehr erschöpft sich die Darstellung der Landesregierung in allgemeinen Verlautbarungen zur Idee des Gesundheitscampus und seinen angeblichen Vorteilen für die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung - wie sie auch schon seitens Minister Laumann und des
ehemaligen Staatssekretärs Prof. Winter - der Presse im vergangenen Jahr mitgeteilt wurden. Allerdings ist auf eine wichtige Akzentverschiebung aufmerksam zu
machen. Während Prof. Winter in der Vorstellung der Idee Gesundheitscampus vor
allem die Aspekte Strategie und Vernetzung, Forschung, Qualifikation, Strategische
Technologiefelder, die europäische Dimension und nicht zuletzt das Öffentliche Gesundheitswesen betonte und kurz skizzierte, wird nunmehr ein weiteres Moment der
Konzeptidee deutlich. Es ist der Primat privatwirtschaftlicher Verwertungsinteressen,
der nunmehr verstärkt offensichtlich Regie führen soll.
Festmachen lässt sich die kardinale wirtschaftliche Ausrichtung des Gesundheitscampus im Sinne der gesundheitswirtschaftlichen Wertschöpfung an den Ausführungen, die die Bekanntgabe der Standortwahl erläuternd begleiteten.103 So wird die
Idee des Gesundheitscampus primär ökonomisch begründet. Hierzu in der o.g. Publikation das MAGS:
„Wir gehören weltweit zu den 20 größten Wirtschaftsregionen, aber dies impliziert
noch keinen Automatismus in Fragen der Exzellenz. Die Zukunftskommission hat in
dem am 20. April 2009 vorgelegten Bericht festgehalten, dass unser Land nach den
Indikatoren des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung allenfalls bei der Umsetzung von Innovationen relativ stark sei. Die klare Empfehlung lautet, Geld und
Energie zu investieren, um im Hinblick auf Forschung und Entwicklung unter die
Besten Deutschlands und Europas zu kommen. Mit dem Gesundheitscampus
Nordrhein- Westfalen folgen wir in einem ersten Schritt dieser Empfehlung!“104
103
Vgl. hier zu: Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen. Innovation in der Gesundheitswirtschaft. Hrsg. vom MAGS. NRW 5/2009.
104
Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen 2009, a.a.O., S.3.
141
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Die Botschaft lautet, dass die Forschungslandschaft zwar gut aufgestellt sei („gute
Grundlagen für Forschung und Gesundheitsdienstleistungen“) aber sich noch wesentlich verbessern muss, um über Excellenzen und originären Innovationen eine
gesundheitswirtschaftliche Wertschöpfung zu erlangen. Gleich darauf wird das eigentliche Ziel, dass mit der Idee Gesundheitscampus verfolgt wird, benannt:
„In Nordrhein-Westfalen sollen vermarktungsreife Produkte schneller für die Gesundheitswirtschaft entwickelt werden.“105 Zwar werden darauf folgend eine beträchtliche Anzahl an humanitären Forschungsprojekten in Form von Willenserklärungen
in Aussicht gestellt, aber der Grundtenor stellt sich als signifikant ökonomisch dar.
„Es werden Forschungsprojekte zur Entwicklung neuer Medikamente durch Konsortien gefördert. Bestehende Einrichtungen werden vernetzt und Kooperationen mit
Unternehmen geschaffen.“ Somit kann konstatiert werden, dass sich der Gesundheitscampus in erster Linie an die Pharmaindustrie - und ihrer Interessenlage - richtet. Dies belegt auch die Aussage: „Die nationale und internationale Pharmaindustrie wird im Bereich der präklinischen Forschung attraktive Angebote erfahren.“106 ,
wobei eines der attraktiven Angebote die Strategie sein könnte, die für die Pharmaindustrie relevanten Einrichtungen - wie das Krebsregister - mit den Unternehmen zu koordinieren.
Der Zweck, der mit dem Gesundheitscampus somit verfolgt wird, scheint also darin
zu bestehen, dass die Einrichtungen, die am Gesundheitscampus gebündelt werden, auch eine engere Kooperation mit der Privatwirtschaft (insbesondere der
Pharmaindustrie) eingehen sollen, vermutlich nicht zuletzt mit dem Ziel, das Wertschöpfungspotenzial der „Kooperationspartner“ zu steigern. Vor diesem rein wirtschaftlichen Hintergrund ist es nur logisch stringent, wenn beklagt wird, dass bislang
noch keine effiziente Vernetzung zwischen der Industrie und öffentlichen Einrichtungen bestünde. Aus diesem Grunde gelte es auch, „das Krebsregister strategisch so
zu positionieren, dass sehr viel schneller Daten landesweit mit neuen Informationsplattformen evaluiert und entsprechende produktorientierte Forschungen initiiert
werden können.“107
Der Gesundheitscampus dient also – nach Auffassung der Landesregierung in nicht
unerheblicher Weise - dem Zweck, „Schubkraft für ein innovationsfreundlicheres
105
Ebenda.
Ebenda. S. 4.
107
Ebenda. S. 5.
106
142
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Wirtschaftsklima“ zu erzeugen und er gibt Raum „für unterschiedliche Strukturen
und Geschäftsmodelle mit Mittelstand und Industrie.“108
Nicht ohne Ironie ist die Begründung für die dezidiert wirtschaftliche Ausrichtung
dieses Modells. So soll der Gesundheitscampus die Geschäftsmodelle mit Mittelstand und Industrie auch deshalb fördern, um u.a.

die Bevölkerung bedarfsgerechter über Krankheiten zu informieren,

den Menschen in Nordrhein-Westfalen die beste Prävention und medizinisch-pflegerische Versorgung zu bieten,

die Gesundheit bei der Arbeit und in anderen Lebenswelten zu sichern und
zu fördern.
Es bleibt fraglich, ob diese positiven Ziele durch eine intensivere Kooperation der
Wirtschaft mit öffentlichen Einrichtungen wie dem Epidemiologischen Krebsregister
NRW gGmbH und vor allem dem LIGA.NRW realisierbar sind.
Die Aufgaben des Krebsregisters NRW bestehen in der Erfassung, Speicherung
und Interpretation von Informationen zu Krebserkrankungen. Ein solches Krebsregister bildet neben der amtlichen Todesursachenstatistik die einzige Datenbasis zur
Häufigkeit und Verbreitung von Krebserkrankungen in der Bevölkerung. Aus diesem
Grunde leistet es eine wesentliche Unterstützung für das Gesundheitswesen, indem
eine aussagekräftige Datenbasis durch die

kontinuierliche Beobachtung des Krebsgeschehens

Analyse zeitlicher Trends und regionaler Verteilungen

Planung und Bewertung der onkologischen Patientenversorgung sowie

Bewertungen von Maßnahmen zur Prävention und Früherkennung
für wissenschaftliche Studien zur Krebsforschung bereitstellt.
Entscheidend hierbei ist, dass Studien und Daten für die Öffentlichkeit bestimmt
sind. Diese Transparenz und öffentlichkeitsrelevante Funktion beschreibt das Krebsregister wie folgt:
„Das Epidemiologische Krebsregister Nordrhein-Westfalen muss die gespeicherten
Daten für die Gesundheitsplanung und die epidemiologische Forschung einschließ108
Ebenda.
143
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
lich der Ursachenforschung und Gesundheitsberichterstattung bereitstellen, statistisch epidemiologisch auswerten und die wesentlichen Ergebnisse in geeigneter
Form veröffentlichen. Dies erfolgt üblicherweise in Jahresberichten über alle Krebserkrankungen oder in Schwerpunktberichten über eine ganz bestimmte Tumordiagnose. Diese Veröffentlichungen richten sich sowohl an die allgemeine Öffentlichkeit
einschließlich der von Krebs Betroffenen und deren Angehörige wie auch an die
meldenden Ärztinnen und Ärzte sowie andere Vertreterinnen und Vertreter des Gesundheitswesen.“109
Fokus des Leistungsportfolios des Krebsregisters NRW sind somit zum einen die
allgemeine Öffentlichkeit und zum anderen der ÖGD und das Gesundheitswesen.
Am Standort Münster leistet diese Einrichtung mit einem Höchstmaß an Effizienz
und Transparenz eine hervorragende Arbeit, indem auch diese Institution, vernetzt
mit den Akteuren aus der Forschung am Standort Münster, seit ihren Anfängen in
2005 auf eine unverzichtbare Forschungsinfrastruktur im Raum Münster rekurrieren
kann. Insbesondere die Kooperation mit dem Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster führt der Krebsforschung eminent wichtige Expertise zu. Ebenso bildet die Kooperation mit dem Referenzzentrum Mammographie
Münster ein unverzichtbares Element einer erfolgreichen Krebsforschung. Hierbei ist
zu sehen, dass das Zentrum in Münster für die anderen Referenzzentren im Bundesgebiet Vorbildcharakter hat.
Gerade aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit dem Epidemiologischen
Krebsregister NRW „wird es künftig möglich sein, präzise zu belegen, wie häufig
Brustkrebs in welchem Alter und in welchem Stadium auftritt. Damit können die Methoden der Brustkrebsfrüherkennung verbessert werden.“110
Mit der Zentralisierung des Krebsregister NRW werden - analog dem LIGA.NRW auch für diese renommierte Institution die Arbeitsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Mit der Verlagerung werden intakte und hochgradig effiziente Netzwerke zerstört
und somit die bislang fruchtbare Zusammenarbeit im Cluster behindert. Die Überführung dieser Einrichtung an den Gesundheitscampus bietet also keinerlei arbeitstechnische oder wirtschaftliche Vorteile, da Synergieeffekte aufgrund nicht vorhandener Kooperationspartner, wie auch beim LIGA.NRW, ausbleiben werden. Zwar
109
110
www.krebsregister.nrw.de
www.klinikum.uni-muenster.de
144
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
spricht die Gründung des Europäischen Protein Forschungszentrums (PURE), dessen Arbeiten sich auf Krebs und neurodegenerative Erkrankungen (wie zum Beispiel
Alzheimer und/oder Parkinson) fokussieren sollen, formal dafür, dass sich für das
Krebsregister Kooperationsschnittstellen ergeben könnten. Allerdings ist selbst unter
der rein hypothetischen, bislang noch nicht bewiesenen Voraussetzung, dass sich
Synergien ergeben werden, fraglich, inwieweit eine Kooperation auf der Ebene des
Datentransfers nicht auch auf der Grundlage moderner elektronischer Kommunikationsmittel möglich wäre, ohne die derzeitigen Synergieeffekte der gegenwärtig bestehenden Netzwerke zu tangieren.
Eine diesbezügliche Analyse der Vor- und Nachteile einer Verlagerung, ihrer Kosten- und ihres Nutzens, ist bislang von der Landesregierung, respektive dem MAGS,
nicht geleistet worden. Insofern scheint die Entscheidung der Zentralisierung weniger sachlich, als politisch von dem Interesse geleitet zu sein, wirtschaftliche Wachstumsprozesse zu optimieren. Vorteile im Hinblick auf die Aufgabenbewältigung und
die öffentlichkeitsrelevante Funktion des Krebsregisters am Standort Bochum bestehen damit in evidenter Weise nicht.
Stattdessen könnte die Leistungsfähigkeit des Krebsregisters am Gesundheitscampus dadurch beeinträchtigt werden, dass auch hier die Mitarbeiter aus sozialen
Gründen eine Verlagerung ihrer Arbeitsplätze nicht begleiten werden. Also weder
ihren Wohnsitz aufgeben, noch fernpendeln werden. Vielmehr muss befürchtet werden, dass sie ihren Arbeitsplatz aufgeben.
Verständlicherweise war es deshalb Minister Laumann und dem MAGS auch nicht
möglich, in der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Landtages im August
2008 die Verlagerung des LIGA.NRW und insbesondere des Krebsregisters mit
überzeugenden und nachprüfbaren Argumenten zu begründen. Vor diesem Hintergrund bleibt der Grund für die Verlagerung deshalb weiterhin diffus.
Zu konstatieren ist, dass das Krebsregister bislang exzellente Arbeit hinsichtlich der
Datenbeschaffung, Aufbereitung und Evaluation leistet. Dies aber scheint dem Verständnis der Landesregierung folgend nicht ausreichend zu sein. Auch die vorhandene öffentliche Transparenz sowie die Qualität der aufbereiteten Daten und Forschungsergebnisse, die sowohl von den Beteiligten des ÖGD wie auch von den Experten des Gesundheitswesens in Forschung und Kuration geschätzt werden,
scheint für die Landesregierung relativ irrelevant zu sein. Vielmehr geht um eine an-
145
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
dere strategische Ausrichtung des Krebsregisters. Zu vermuten ist, das es deshalb
verlagert werden soll, damit „entsprechende produktorientierte Forschungen initiiert
werden können.“ Hier scheint es, dass eine strategische Allianz zwischen dem
Krebsregister und den mittelständischen Unternehmen sowie der Pharmaindustrie
anvisiert wird. Ginge es nur um die Bereitstellung von Daten zur Krebsforschung für
Unternehmen, so könnten diese auch seitens der Industrie am Standort Münster
abgerufen werden. Unternehmen der Pharmabranche, ob Mittelständler oder Konzern, haben die gleichen Möglichkeiten, Daten und Forschungsergebnisse, da für
die Öffentlichkeit bestimmt, im Bereich des Krebsregisters zu eruieren, wie jeder
Bürger die entsprechenden Informationsplattformen ebenso aufsuchen kann. Der
Vorteil, der sich für die Pharmabranche hinsichtlich eines am Standort Gesundheitscampus etablierten Krebsregisters ergäbe, läge jedoch darin, dass sie ihren wirtschaftlichen Einfluss intensiver geltend machen könnte. Ein unter dem Einfluss der
Wirtschaft stehendes Krebsregister wie auch eines von der Gesundheitswirtschaft
kontrollierten LIGA.NRW, würden eher den Verwertungsinteressen der Unternehmen zuarbeiten, als dies an den dezentralen Standorten möglich sein würde.
Ebenso würde eine stärkere wirtschaftliche Ausrichtung des LIGA.NRW dazu führen, dass Koordinierung und Ausführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten
bei einer Ausrichtung als Dienstleister wahrscheinlich in nicht mehr ausreichendem
Maße möglich sein werden. Dadurch wird die Möglichkeit reduziert, die Politik neue
Entwicklungen und innovative Potenziale für das Gesundheitswesen und die Versorgungsqualität der Bevölkerung für die nordrhein-westfälische Politik zu erschließen und anwendbar zu machen.
Zudem würde eine solche Interessenverquickung mit den Akteuren der Gesundheitswirtschaft eine erhebliche Relativierung der Aufgabenwahrnehmung darstellen,
die wiederum die Kontrollfunktion, beispielsweise im Arzneimittelbereich und im
Rahmen des Arbeitsschutzes, konterkarieren dürfte.
Denn die Leistungspalette, die LIGA.NRW um den privatrechtlichen Kundenbeziehungen gerecht zu werden, wahrzunehmen hätte, würde in Konflikt mit dem dennoch zu erfüllenden „Vorrang staatlicher Leistungsansprüche gegenüber vertraglich
mit Dritten vereinbarten Leistungen“ geraten. Insofern würde eine entsprechend den
Leistungszuweisungen von LIGA.NRW im Rahmen der zwei Szenarien gewonnene
Neuausrichtung der bisherigen erfolgreichen Aufgabenwahrnehmung im Rahmen
des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht mehr gerecht werden.
146
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Gegen die in beiden Szenarien entwickelte Perspektive einer Neuaufstellung von
LIGA.NRW, deren wesentliches Essential eine auch privatwirtschaftliche Signatur
von LIGA.NRW ist, ist der damit erfolgende Substanzverlust - gemessen am derzeitigen Leistungsprofil und der Aufgabenwahrnehmung von LIGA.NRW - höchst kritisch zu bewerten.
Unter den veränderten Bedingungen einer Neuausrichtung am Gesundheitscampus
in Relation zu den beiden Szenarien, die als Vorverständnis zur Begründung der
inhaltlichen wie formalen Zweckkritik mit ihren Empfehlungen zur Neuorientierung
der Aufgaben fungieren, werden dann auch die Empfehlungen zur Rationalisierung
und zum vermeintlichen Effizienzgewinn durch Synergiebildung verständlich, wenn
auch nicht unter der jetzigen Ausrichtung und Leistungsperspektive des LIGA.NRW
akzeptierbar.
Am Beispiel des GVP Nr. 3.2.3, der die Aufgabe „Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste“ bezeichnet, wird dies deutlich.
Innerhalb des LIGA.NRW bildet dieser Aufgabenbereich für das öffentliche Gesundheitswesen und für den öffentlichen Gesundheitsdienst auf kommunaler Ebene
ebenso wie auch auf der Ebene der gesundheitspolitischen Zielbestimmung und der
gesundheitspolitischen Entscheidungsebene, eine überaus relevante Pflichtaufgabe.
Hier kommt die formale Zweckkritik zu dem Ergebnis, dass dieses Aufgabengebiet
teilweise wegfallen kann, während das Ergebnis der strategischen Bewertung darauf hinausläuft, dass diese Aufgabe mit verringerter Intensität fortgeführt werden
könnte. Ein Teilsegment dieser Aufgabenstellung - darin stimmen inhaltliche und
formale Zweckkritik überein - kann allerdings fortfallen. Hierbei handelt es sich um
die Erfassung der Daten der unteren Gesundheitsbehörden. Die Begründung hierfür
lautet, dass die „Zentralerfassung durch technischen Fortschritt nicht mehr erforderlich“ wäre, womit sich ein Einsparpotenzial an Stellen im MD von 0,30 ergeben würde.
Im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW Standortes Bielefeld bei
dem u.a. dieses Aufgabengebiet angesiedelt ist, erweist sich dieses Votum der Gutachter als nicht haltbar.
Denn die Empfehlung berücksichtigt nicht die tatsächlich erforderlichen Arbeitsabläufe, die zur Erstellung einer validen Datenbasis notwendig sind. Die Spezifik der
147
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Prozesse zur Datenerhebung und die unterschiedlichen systemimmanenten Voraussetzungen der Datenerfassung auf den verschiedenen Ebenen der Datenaufbereitung sprechen eindeutig dagegen.
Bereits heute werden knapp 50% der Daten nicht mehr über das Einlesen maschinenlesbarer Datenblätter via Beleg-Leser, sondern über unterschiedliche Erfassungssoftware in den Kommunen erfasst. Der kommunale Datensatz wird dem LIGA.NRW zur Aggregation in den NRW-weiten Datensatz übermittelt.
Das Problem unterschiedlicher Erfassungssoftware ist nicht vom LIGA.NRW zu verantworten, obgleich es die Datenaufbereitung immens erschwert. D.h., die Prozesse
sind komplizierter geworden, anstatt sie, wie es das Rationalisierungsinstrument
Datensoftware nahe legt, zu vereinfachen und auch zeit- wie kostengünstiger zu
machen.
Zwar zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass durch die innovative elektronische
Datenerfassung zwar Personalressourcen, die für das Einlesen und gegebenenfalls
Korrigieren von Datensätzen im mittleren Dienst tätig waren, bereits eingespart werden konnten, aber zugleich auch, dass diese Form des Arbeitsprozesses unter Qualitätsmaßstäben der Datenaufbereitung an anderer Stelle einen zusätzlichen Personalbedarf erfordert.
In dem Maße, wie im LIGA.NRW die Übermittlung kommunaler Datenbestände auf
elektronischem Weg zunimmt, erhöht sich der Personalbedarf in diesem Arbeitsbereich allerdings an anderer Stelle, und zwar im Bereich der elektronischen Verarbeitung, Korrektur und Integration der kommunalen Datensätze zu einem vollständigen
und validen Datenbestand für Nordrhein-Westfalen. Auch der Arbeitsanteil im LIGA.NRW für den Kontakt bzw. die Zusammenarbeit mit Anbietern von entsprechender Erfassungssoftware nimmt zu. Die für diese Tätigkeit notwendige Qualifikation
ist jedoch einer höheren Besoldungsgruppe - im gehobenen Dienst - zuzuordnen.
Auf der einen Seite werden also Stellenanteile im mittleren Dienst eingespart, auf
der anderen Seite steigen die Arbeitsbelastung und der Personalbedarf im gehobenen Dienst an.
Der „neue“ Personalbedarf im LIGA.NRW ergibt sich im Wesentlichen durch die Heterogenität der verwendeten kommunalen Software zur Dateneingabe und Datenverarbeitung. Auf die Auswahl der Software in den Kommunen hat das LIGA.NRW
keinen Einfluss. In 2006 haben 21 Kommunen ihre schulärztlichen Daten bereits
148
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
elektronisch erfasst; dabei kamen neun verschiedene, in Einzelfällen von den Kommunen selbst entwickelte, Systeme zum Einsatz. Ähnlich heterogen ist die Kompetenz der Mitarbeiter in den Kommunen im Umgang mit den entsprechenden Programmen und dem für das LIGA.NRW notwendigen Export. Nur in wenigen Fällen ist
aus den bisherigen Erfahrungen ein problemloser und zeitnaher vollständiger Import
des kommunalen Datenbestandes in die Nordrhein-westfalenweite Datenbank erfolgt.
Der Aufwand des LIGA.NRW, die Kommunen zur Übermittlung ihrer Daten in einer
für die Datenbank kompatiblen Form anzuhalten, wird allerdings noch zunehmen.
Plausibilitätskontrollen, wie sie bei der zentralen Erfassung über den Beleg-Leser
zur Sicherung der Datenqualität stattfinden, sind nicht in jedem Fall durch die verwendeten kommunalen EDV-Erfassungssysteme gewährleistet bzw. können kommunal sehr unterschiedlich - auch mit Qualitätsverlust - adaptiert werden. Dies wiederum erfordert eine verstärkte Kontrolle der übermittelten kommunalen Datenbestände durch Mitarbeiter des LIGA.NRW.
Das oben beschriebene Szenario wird sich bei einem kompletten Wegfall der zentralen, beleglesergestützten Erfassung fortsetzen bzw. verstärken und zusätzliche
Arbeitsanteile im gehobenen Dienst und im mittleren Dienst erforderlich machen, um
einen Datenbestand für Nordrhein-Westfalen zu erreichen, der den bisherigen Kriterien im Hinblick auf Vollständigkeit und Qualität entspricht.
In der Bewertung, die demgegenüber durch das Landesinstitut geleistet wurde,
spiegeln sich die in den konkreten Arbeitsprozessen involvierten Schwierigkeiten,
eine notwendige Pflichtaufgabe qualitativ anspruchsvoll und damit aussagekräftig zu
versehen, allerdings nicht wider.
Eine Empfehlung, wie sie auf der Grundlage der Zweckkritik geleistet wurde, basiert
nur auf einer abstrakten Wahrnehmung und Einschätzung der tatsächlich komplexen Arbeitsabläufe in der Praxis, die sich oftmals als widersprüchlich gegenüber einer allzu glatten und eindeutigen Bewertung ausweisen.
Übertragen auf die gesamte Bewertungsbasis der nach dem GVP ausgewiesenen
Aufgaben der fünf Fachbereiche des LIGA.NRW, erweist sich das Gutachten somit
als durchaus problematisch im Hinblick auf die gegebenen Empfehlungen in der einen oder auch anderen Hinsicht, da die Funktion und die Arbeitsabläufe der Aufgaben des LIGA.NRW nicht in jedem einzelnen Fall eingehend mit einer entsprechen-
149
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
den Evaluation der einzelnen Arbeitsprozesse zur Aufgabenwahrnehmung versehen
und diskutiert wurden. Insofern ist die Aussagekraft des Gutachtens nur bedingt
tragfähig.
Dies besagt nicht, dass das Votum hinsichtlich der einen oder anderen Aufgabe, die
wahrzunehmen ist, nicht in sich schlüssig und intersubjektiv nachvollziehbar wäre.
Dies allerdings nur vor dem Hintergrund der schon diskutierten jeweiligen Perspektiv- und Prämissensetzung, die letztlich die etwaige Weiterführung oder den Fortfall
von Aufgaben in ihrem Begründungsdiskurs legitimieren. Insofern sind die Ergebnisse dieses Gutachtens nur relativ in ihrer entscheidungsleitenden Verbindlichkeit.
Ebenso wenig können sie zielführend sein in Hinsicht auf weitreichende personalpolitische und organisatorische Entscheidungen.
Dies scheint den Autoren durchaus bewusst zu sein, da sie darauf aufmerksam machen, dass gesicherte Aussagen, in welcher Weise sich ein LIGA.NRW am Gesundheitscampus neu aufstellen sollte, unter den gegebenen Umständen kaum
möglich sind, da noch nicht einmal der Rahmen, innerhalb dessen LIGA.NRW seine
Funktion wahrzunehmen hätte, inhaltlich bestimmt ist.
Ausgehend von dem jetzigen Leistungsspektrum ist allerdings hinsichtlich der Aufgabenkritik, die das Gutachten bei allen Einschränkungen leistet, ebenfalls fraglich,
ob hierbei nicht entscheidende Erfordernisse der Gesundheitsförderung ignoriert
werden und die Qualität der Leistungen für das Gesundheitswesen nach Vollzug der
vorgeschlagenen Aufgaben- und Personalreduktion noch erbracht werden können.
Überhaupt vermittelt die Prämissensetzung der beiden Szenarien, die eine Neuorientierung des LIGA.NRW am Standort Gesundheitscampus leisten sollen, dass
hierbei ein einseitig auf Kostenstrukturen fixiertes betriebswirtschaftliches Denken
mit aus der Privatwirtschaft adaptierten Verfahren, gegenüber dem - eher als gemeinwohlorientiert zu beschreibenden - bisherigen Ansatz der Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW mitunter überbetont wird.
Darauf deutet auch die Argumentationsführung der Landesregierung entlang der
dem privatwirtschaftlichen Unternehmensmanagement entlehnten Leitbegriffen
„schlanke Verwaltung“, „Effizienz und Synergiepotenziale“ hin, die bei einer Neuaufstellung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus Bochum zu realisieren sind.
Einmal abgesehen davon, dass die eingeforderten „Synergieeffekte“ bereits durch
die Verlagerung von 40 Stellen aus den beiden ehemaligen Verwaltungsabteilungen
150
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
erreicht worden sind, ist diese Begriffswahl in strategischer Hinsicht überaus dekuvrierend und wird deshalb nachfolgend einer gesonderten Kritik unterzogen.
10.3 Mehr Effizienz und ein besseres Gesundheitssystem durch
Lean Adminstration?
Die geplante Zusammenlegung der Standorte des Landesinstitutes für Gesundheit
und Arbeit wird seitens des MAGS mit dem Prozess der Verwaltungsreformbemühungen der Landesregierung gerechtfertigt. In der Perspektive des MAGS bestand
ein entscheidender Schritt in dieser Richtung in der Zusammenlegung des ehemaligen Landesinstitutes für den öffentlichen Gesundheitsdienst (LÖGD) und der Landesanstalt
für Arbeitsschutz (LAfA), die bislang auf die Standorte Bielefeld, Münster und Düsseldorf verteilt waren.
Mit dem dadurch zum 1. Januar 2008 neugeschaffenen LIGA.NRW war somit in der
Diktion des MAGS eine erste Etappe der für die Landesregierung zielführenden
schlankeren und moderneren Verwaltungsorganisation - die die Landesverwaltung
bestrebt ist, über alle Organisationseinheiten einzurichten - erreicht.
In einem weiteren Schritt auf diesem Wege soll nun durch die Konzentration der LIGA.NRW Standorte am Gesundheitscampus das LIGA.NRW angeblich effizienter
und zukunftsfähiger ausgerichtet werden.
Hierbei ist auffällig, dass ein schlankeres LIGA.NRW mit Effizienzgewinnen in Verbindung gebracht wird. Um diese vermeintlich schlanke und damit effiziente Struktur
zu gewinnen, wurde im Rahmen einer Aufgabenkritik schon im Zuge der Zusammenlegung von LÖGD und LAfA eine Bereinigung von Aufgaben vorgenommen, der
40 Stellen zum Opfer fielen. Mit dem Gutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaften soll nun die fachlich-organisatorische Grundlage für eine weitere Aufgabenkritik, respektive für eine weitere Bereinigung von Aufgaben geschaffen werden. Dies heißt im Klartext nichts anderes, als dass ein weiterer Stellenabbau seitens der Gutachter und des MAGS für erforderlich gehalten wird.
Zu den bislang abgebauten Stellen sollen vorerst noch ca. 30 Stellen hinzukommen,
sodass LIGA.NRW von seinen bisher 290 Mitarbeiter bis zur Etablierung am Standort Gesundheitscampus gut 70 Mitarbeiter - vielleicht auch noch mehr- verloren haben dürfte. Wobei noch fraglich ist, ob es bei dieser Personalreduktion bleibt, oder
151
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ob es - was angesichts der Dynamik mit der die Verlagerung und Neuaufstellung
des LIGA.NRW seitens der Landesregierung betrieben wird - wahrscheinlicher sein
dürfte, zu einem, wie auch in der Aufgabenkritik erwogenen oder als Konsequenz
auf die Verlagerungsintention durch Kündigung induzierten weiteren Personalabbau
kommen wird. Dies dürfte dann allerdings für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW einen kaum mehr zu korrigierender GAU darstellen.
Schlanke Verwaltungsstrukturen korrespondieren somit eindeutig mit einem gravierenden Personalabbau.
Damit werden zwei gegeneinander laufende Prozesse offenkundig. Zum einen werden erhebliche Mittel, ca. 75 Mio. €, für die Finanzierung des Gesundheitscampus
als Inkubationszentrum kommerzieller Verwertungsinteressen der Gesundheitswirtschaft investiert und zum anderen die Personaldecke des für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung wesentlich relevanteren Öffentlichen Gesundheitsdienstes
in der Gestalt des LIGA.NRW reduziert, so dass entscheidende Aufgaben im Sinne
der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und des Gesundheits- und Arbeitschutzes nur noch unzureichend wahrgenommen werden können.
Dieser Prozess figuriert unter dem Schlagwort „schlanke Verwaltung“ und versucht
mit angeblichen Effizienzgewinnen und qualitativen Verbesserungen der Aufgabenwahrnehmung, die daraus resultieren würden, eine positive Konnotation dieses Vorhabens in der Öffentlichkeit zu erzielen.
Allerdings ist hierbei zu sehen, dass eine Verschlankung von Verwaltungsstrukturen
in den letzten 20 Jahren bundesweit bislang immer noch auf Einführung unternehmerischer, betriebswirtschaftlich orientierter Organisationsstrukturen basierte, also
auf Implementierung von betriebswirtschaftlichen Ansätzen sowie auf Marktöffnung
und Wettbewerb. Hiervon kündet das Dienstleisterszenario des Gutachtens, das
eine Marktöffnung des LIGA.NRW im Bereich der Gesundheitswirtschaft hypothetisch durchspielt. Am gesundheitswirtschaftlichen Markt wird sich dann - so die Erwartung - ein schlankes, in seinem Aufgabenbestand neu definiertes LIGA.NRW im
Wettbewerb mit seinen vorhandenen Kernkompetenzen und Stärken gegenüber anderen Akteuren gut profilieren können.
Zu fragen ist in dieser Hinsicht nach der Funktion und Valenz der ideologischen Begrifflichkeiten, die sich rund um den Begriff einer „Lean Administration“ gruppieren.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
„Der Umzug auf den Gesundheitscampus schafft […] ideale Voraussetzungen, um
dieses neue, schlanke LIGA.NRW zukunftsfähig und effizient aufzustellen.“ Im Zuge
dessen, „sollen dabei auf Basis einer weiteren Aufgabenkritik 30 weitere Stellen
eingespart werden.“111
Diese beiden Aussagen von Minister Laumann referieren ein eher neoliberal überformtes Verwaltungsverständnis, wohingegen Verwaltungshandeln im eigentlichen
Sinne getragen sein sollte von der partizipativen Verantwortung der Verwaltungen
für die Zivilgesellschaft, indem sie als Knoten und als Anwälte der Zivilgesellschaft
im politischen Netzwerk, das Staat und Zivilgesellschaft bilden, fungieren.112 Stattdessen schwingt in den Begrifflichkeiten „effizient“ und „schlank“, die zu Leitbildern
der idealen Verwaltung stilisiert werden, jener scheinrationale und wirtschaftsliberale
Mythos mit, der besagt, dass sich Verwaltungen marktkonform analog Unternehmenseinheiten am Markt zu verhalten hätten. Diesem Prinzip folgend, werden Verwaltungen entsprechend betriebswirtschaftlichen Steuerungsmodellen strukturiert,
wobei die Verwaltungen zu Dienstleistern umfunktioniert werden, die schlank und
effizient geformt an einem Pseudomarkt ihre Kunden zu bedienen haben. Dieser
Kommerzialisierungstendenz der Verwaltungsstrukturen und des Verwaltungshandeln gegenüber ist zu betonen, dass der Begriff der Effizienz als solcher zum einen
immer schon eine Rolle im Verwaltungshandeln, ohne seine penetrant ökonomische
Überformung, spielte; er jedoch andererseits in der Verbindung mit dem ideologischen Arsenal ökonomischer Rationalität und Verschlankungspostulate erst seinen
verzerrten Bedeutungsgehalt hinsichtlich der Rollenwahrnehmung der Verwaltung in
einem Gemeinwesen zugewiesen bekommt.
Aus der Sicht der Verwaltungslehre wird nämlich „Effizienz“ neutral als rationaler
Begriff verstanden, der eine Relation von Mitteln und Zielen beschreibt, bei der die
allerbeste Verwendung und Wirkung des Ressourceneinsatzes angestrebt wird.
Verwaltungseffizienz in diesem Sinne zeichnet also ein Verwaltungshandeln aus,
das eine optimale Zweck-Mittel-Relation beim Einsatz seiner Ressourcen verfolgt.
Effizient ist das Handeln dann, wenn es einen optimalen Verhältniszustand zwischen dem zu erreichenden Zweck und den zur Verfügung stehenden Mitteln bzw.
Ressourcen erreicht.
111
Laumann, Schriftverkehr mit Reinhold Stücke (23.07.08) und Guntram Schneider (23.09.08).
Vgl. hierzu: Friedhelm Hengsbach: Die Verantwortung der Verwaltung für die Gesellschaft, Frankfurt a.M.
112
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Insofern das Verwaltungshandeln eo ipso immer schon unter dieser Kategorie der
Erfüllung des Gemeinwohlauftrages, respektive der Realisierung der normativ konkret vorgeschriebenen oder im Gesetz implizierten Zwecke der Verwaltungsaufgaben, subsumiert ist, entlarvt sich die - bezogen auf das LIGA.NRW - nunmehr im
Namen des neoliberal eingefärbten Effizienzbegriffes geführte Kritik als ein Manöver, das bislang seitens des LIGA.NRW sowohl effizient, als auch verwaltungstheoretisch effektiv wahrgenommene Aufgabenprofil, nunmehr marktkonform gleichzuschalten. Denn ein LIGA.NRW - so der Subtext - mit seinem öffentlich-rechtlichen
Leistungsportfolio und damit in seiner Funktion als Anwalt für den Netzwerkakteur
Bürger zu agieren, steht immer in der Gefahr, den gesundheitswirtschaftlichen Verwertungszusammenhang empfindlich zu stören, wenn nicht sogar zu konterkarieren.
Um Friktionen dieser Art zu vermeiden, wird mit den so kommerziellbetriebswirtschaftlich i.S. marktwirtschaftlichen Handelns definierten Begriffen einer
schlanken und effizienten Verwaltung Konformitätsdruck aufgebaut, der das LIGA.NRW in seiner Aufgabenerfüllung nunmehr mit den Bedürfnissen der marktförmig ausgerichteten Gesundheitswirtschaft konform führt. Nur unter der Perspektive
des Marktes ist es nämlich möglich, die derzeitige Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW als nicht effizient zu geißeln, indem unterstellt wird, dass das LIGA.NRW
seine Ressourcen nicht in einer optimalen Zweck-Mittel-Relation verwenden und
mithin organisatorisch nicht effizient handeln würde. Demgegenüber ist folgendes
festzustellen:
Vor dem Hintergrund, dass Verwaltungen dezidiert Verantwortung für die Gesellschaft tragen müssen, können sie diesem Anspruch in der Moderne unter den Bedingungen der Zivilgesellschaft nur gerecht werden, wenn sie sich im politischen
Netzwerk, das viele Interessen vieler Netzwerkakteure kennt, als intermediäre Orte
definieren. Nehmen Verwaltungen diese Rolle wahr, so sind sie einerseits in der Lage zu verhindern, dass sich die staatlichen Entscheidungsträger von den Interessen
der Bürgerinnen und Bürger entfernen oder umgekehrt, sich von diesen in ungerechtfertigter Weise der Gleichsetzung von Kapital- und Allgemeininteressen - so
transitorisch und wenig substanziell sie auch sein mögen (siehe manche Auswüchse der Gesundheitswirtschaft vor denen zu warnen eben die Aufgabe auch des LIGA.NRW ist) - manipulieren lassen. Wobei diese Interessen - häufig angesichts des
Milliardenmarktes im Gesundheitswesen - durch Werbung und gezielte Manipulation
der Lobbyisten der Öffentlichkeit indoktriniert werden.
154
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Um diese Kapitalinteressen angesichts eines schnelllebigen Produktmarktes zielgerecht und möglichst zeitnah bedienen zu können, wird in nicht unerheblicher Weise
von den Funktionseliten des Marktes darauf gedrungen, dass sich die öffentlichen
Verwaltungen dem beschleunigten Tempo der wirtschaftlichen Wertschöpfung, also
der Märkte - in diesem Falle des gesundheitswirtschaftlichen Marktes - anpassen
und die angebliche Schwerfälligkeit ihrer Prüfprozesse und ihrer Entscheidungsfindung in den polykorporativen Netzwerken überwinden, indem sie sich schlank und
effizient aufstellen. Analog diesem Marktverständnis sind Kontrollmechanismen und
Empfehlungsdiskurse, die die Interessen aller Netzwerkakteure gründlich und vor
allem sachlich profund prüfen und wo möglich intermediär ausrichten, im Namen
des Marktes möglichst nachhaltig auszuhebeln, wobei dem Prinzip der ökonomischen Rationalität Priorität vor einer intensiven Beteiligung des Bürgers eingeräumt
wird oder vor einem Kontroll- und Prüfverfahren, dessen objektive Erkenntnisse auf
rational diskursive Verfahrensweisen basieren, die sui generis zeitaufwendig und wie im Falle des LIGA.NRW - mit sehr viel aufwendiger, aber notwendiger Expertise
versehen sind. Mit der Forderung jedoch, öffentliche Einrichtungen mit den Kampfbegriffen „schlank“ und „effizient“ zu kommerzialisieren, also dem Markt gleichzuschalten, „wird ein marktradikaler ,wirtschaftsliberaler Mythos transportiert“, der besagt „dass man auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen könne, insofern
das ausschließliche Verfolgen des Eigennutzes am Ende dazu führt, dass der allgemeine Nutzen erzeugt wird. Die Verwaltungen werden in Dienstleister umbenannt, die bestrebt sind, Bedürfnisse souveräner Kunden zu befriedigen, selbst
wenn die angeblichen Märkte total politisiert oder ökonomisch vermachtet sind. Ein
unverzichtbarer Bestandteil dieses Mythos ist das Bekenntnis zum schlanken Staat
und zu schlanken Verwaltungen als den besten aller möglichen Staaten und Verwaltungen.“113
Diesem Diktat folgend wird das neue Zusammenspiel von Verwaltung und Wirtschaft nach den Prinzipien und Regularien der Privatwirtschaft noch ideologisch
verbrämt, indem auf den vermeintlichen Nutzen für den Bürger seitens der Politik
und interessierter Funktionseliten aus der Wirtschaft und Verwaltung aufmerksam
gemacht wird. Die funktionierende Interaktion von Wirtschaft und Verwaltung sei
eben bürgerfreundlicher, kostengünstiger und leistungsstärker. Lean Management
gibt sich mit diesem geradezu sakral vorgetragenen Glaubensbekenntnis, das Erlö113
Friedhelm Hengsbach: Die Verantwortung der Verwaltung für die Gesellschaft, a.a.O.
155
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
sung aus den Zwangsmechanismen der aufgabenbezogenen Leistungsprozesse
und Verwaltungsstrukturen, die öffentliche Einrichtungen mit hoheitlichen Kompetenzen wie das LIGA.NRW mit entsprechendem Zeit- wie Qualitätsaufwand zu leisten haben, geradezu eschatologisch verkündet, als das zu erkennen, was es tatsächlich ist, nämlich nichts mehr als eine neoliberale Umbaumetapher.
Insofern weist auch die Begriffskritik darauf hin, dass ein am Gesundheitscampus
überführtes LIGA.NRW eben der Gefahr ausgesetzt ist, zu einem Dienstleister unter
vielen am Markt umfunktioniert zu werden, der unter den Marktmechanismen von
Angebot und Nachfrage konform zu agieren hat. Die effiziente und schlanke Verwaltung sieht originär in ihrer Mischung aus ordo- und neoliberalem Staats- und Verwaltungsverständnis vor, dass staatliche Aufgaben in die Gesellschaft verlagert und
vom Markt gelöst bzw. marktförmig erledigt werden.
Da - dieser Ideologie folgend - der Markt sowieso den vorhandenen Bedarf und die
eingesetzten Ressourcen besser zu allokieren vermag als jede Verwaltung, wird das
Modell der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und der Privatwirtschaft zum Leitbild
auch der öffentlichen Einrichtungen. Dem entsprechend verwundert es nicht, wenn
in der Aufgabenkritik vom Institut für Verwaltungswirtschaft in ihrem zweiten hypothetischen Szenario von einem LIGA.NRW als einer „verwaltungsmäßigen Dienstleistungseinrichtung“, ganz i.S. der oben benannten Dienstleisterkultur, die Rede ist,
zu der Verwaltung unter dem Druck des Marktes mutieren muss. Nur logisch, dass
stringent mit dieser Position auch Flexibilität eingefordert wird, um sich auf „kurzfristig wechselnde Kundenbedürfnisse einzustellen.“114
Ist das LIGA.NRW erst einmal in dieses ideologische Prokrustesbett ordo- und neoliberalen Ansatzes am Gesundheitscampus eingespannt, so bedeutet dies für das
Leistungsportfolio, dass zwangsläufig auch noch ein weiteres ideologisches Prinzip
bestimmend wirken wird. Es ist das der grundsätzlichen Autonomie des Individuums
in Gestalt des Wirtschaftsubjektes, das selbstverantwortlich - weil denkend und wertend über Markttransparenz verfügend - am Markt agierend, seine Bedürfnisse souverän befriedigen kann. Jede Form von Bevormundung wäre unter dieser Perspektive ein Sakrileg des Staates, der in dieser Doktrin allein seiner Funktion zur Sicherung der Autonomie der Wirtschaftssubjekte, d.h. ihrer Konsumfreiheit nachkommen
darf. Gegen eine Verwaltung, die hier intervenierend eingreifen würde - gerade auch
114
Nigmann/Dahs a.a.O., S. 20.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
um den Gesundheitsschutz der Bürger im Gesundheitswesen sicherzustellen, ließe
sich vor diesem Hintergrund mit dem Nestor des ordoliberalen Staatsverständnisses
- Alfred Müller-Armack - argumentieren, dass allein der Markt und nicht der Staat
oder seine Verwaltungen als der einzige überlegene Koordinationsmechanismus
betrachtet werden muss, da er allein in der Lage ist, die Leistungen der Anbieter
funktional richtig zu koordinieren. Dies deshalb, da „kein menschlicher Verstand das
Wissen umfassen kann, das das Handeln der Gesellschaft lenkt“. Staat und Verwaltung gewinnen ihre Funktion somit nur noch als „Spielleiter und Schiedsrichter“, die
die Konsum- und Angebotsfreiheit der am Markt vertretenen Wirtschaftssubjekte zu
sichern haben (Milton Friedman).115
Diese Positionierung des LIGA.NRW am Gesundheitscampus dürfte sowohl im
Hinblick auf seine jetzige Ausrichtung, als auch für das Gesundheitswesen gleichermaßen depravierend sein. Denn wenn ein nahezu marktmäßig neutralisiertes
LIGA.NRW, das dann schlank und effizient den ökonomischen Interessen zuarbeitet, am Gesundheitscampus entsteht, dürfte sich das öffentliche Gesundheitswesen
deutlich verändern und zwar negativ im Hinblick auf die Interessenlage der Bürger.
Aus einer Institution, die als Anwalt der Bürger Schutz vor gesundheitsgefährdenden
Entwicklungen bietet und im Rahmen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes die
Entwicklung eines qualitativ hochwertigen Gesundheitssystems sicherstellt, wird eine Einrichtung mutieren, die dann nur noch in der Lage sein wird, gesundheitswirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Mit der Konsequenz, zu Ungunsten der betroffenen Bürger zu agieren, die eben nicht als abstrakte Wirtschaftssubjekte ihrer eigenen Interessen in einem scheintransparenten Gesundheitsmarkt wahrnehmen
können, sondern auf die Information, die Expertise und die Empfehlungen des LIGA.NRW und des kommunalen ÖGD - i.S. einer Interessenwahrnehmung des
Netzwerkakteurs Bürger - angewiesen sind.
Dies wird wiederum offensichtlich am schon diskutierten Aufgabenportfolio der Arzneimitteluntersuchungsstelle und im Bereich der Sozialpharmazie. Da der Bürger als
mündiger Konsument eine Chimäre ist, hat der Gesetzgeber mit dem ÖGDG (vom
25.November 1995) gerade den Bereich Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie - worauf noch einzugehen ist - im §20 gestärkt. Da der normale Bürger nicht
die Kompetenz hat, die Arzneimittelsicherheit und die Wirksamkeit und Risiken von
115
Vgl. hierzu: Wolfram Lamping, Henning Schridde, Stefan Plaß, Bernhard Blanke: Der Aktivierende Staat. Positionen, Begriffe, Strategien, Düsseldorf 2002, S.15 ff.
157
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Medikamenten zu beurteilen, ist er auf die Fakultas der Arzneimitteluntersuchungsstelle, des Bereiches Sozialpharmazie und der auf der Ebene des kommunalen
ÖGD tätigen Amtsapotheker angewiesen. Sie sichern im Rahmen ihrer Kontroll- und
Überwachungsaufgaben mit ihrem Know-how den Verkehr von Arzneimitteln, so
dass das Gefährdungsrisiko für den Konsumenten nahezu ausgeschlossen wird.
Somit leisten die Mitarbeiter der Bereiche Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie aktiven Verbraucherschutz und zwar dort, wo ohne ihre Aufklärung der
Bürger vollständig überfordert wäre und den Versprechungen der Pharmabranche
wie der Gesundheitswirtschaft, unkritisch - mit einem unkalkulierbaren Risiko für
seine Gesundheit - Glauben schenken müsste.
Wenn die Landesregierung und das MAGS von einer „zukunftsfähigen Ausrichtung“
des LIGA.NRW sprechen und „das Gesundheitswesen in erster Linie […] als Chance für die Bürgerinnen und Bürger, für die Beschäftigten und die Unternehmen unseres Landes wahrnehmen“, so bedeutet dies, dass dem LIGA.NRW in diesem Prozess eine neue Rolle zugewiesen wird. Das LIGA.NRW - das Öffentliche Gesundheitswesen wie auch das wichtige Themenfeld „Gesundheit in der Arbeit" - sollen,
nach erklärtem Willen der Landesregierung, eine funktionale Stellung im Rahmen der
Bemühungen der Landesregierung einnehmen, Gesundheits-, Forschungs- und
Wirtschaftspolitik am Gesundheitsstandort Nordrhein-Westfalen zusammenzuführen. Unter dieser gesundheitspolitischen Perspektive sieht Minister Laumann dann
auch die Notwendigkeit einer Lean Administration.
„Der Umzug auf den Gesundheitscampus schafft dabei ideale Voraussetzungen, um
dieses neue, schlanke LIGA.NRW zukunftsfähig und effizient aufzustellen.“116
Die Leitbegriffe, die die verstärkt ökonomisch funktionale Ausrichtung des LIGA.NRW markieren, sind hierbei schlank, zukunftsfähig, effizient; eben jene Begriffshülsen aus dem Jargon eines enggeführten, eindimensional verstandenen
Lean und Change Managements, die mit dem Hinweis auf die durchgeführten Personalreduktionen und die noch vorhandenen Einsparpotenziale die Richtung, in die
sich ein organisatorisch neu formiertes LIGA.NRW entwickeln wird, erkennbar werden lassen.
116
Minister Laumann: Korrespondenz mit dem Vorsitzenden des Regionalrats des Regierungsbezirks Detmold Herrn Reinold Stücke vom 23.Juli 2008.
158
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Denn wenn von den vermeintlichen Erfolgsfaktoren „Verschlankung“ und „Effizienzgewinn“ die Rede ist, so wird notwendigerweise das Steuerungsleitbild der schlanken Verwaltungsorganisation intendiert, das zu einem „im Marktwettbewerb stehenden Dienstleistungsunternehmen“ entwickelt werden soll.117
Insofern macht es auch Sinn, Marktöffnungsstrategien und die Einführung wettbewerbsähnlicher Elemente mit der internen Reorganisation der Arbeit so zu verbinden, dass sich Mitarbeiterqualifikationen auf Kundenbedürfnisse hin orientieren.
Schlanke Verwaltungsorganisationen richten ihre Strukturen auf Bedürfnisse der
Kunden hin aus. Dies ist eines der Kernprinzipien der o. diskutierten Lightversion
des Lean Managements. Das am Gesundheitscampus angesiedelte LIGA.NRW allerdings müsste eine Kundenorientierung in zweierlei Richtungen vornehmen. Zum
einen, je nach Szenario, im Hinblick auf seine Funktion als politischer Fachberater
oder als eine fachliche, technische und verwaltungsmäßige Dienstleistungseinrichtung und zum anderen, gemäß einer stärkeren Betonung des Dienstleistungscharakters seiner Aufgabenstellung nach innen, auf die Kundenprofile der Netzwerkakteure sowie einer darüber hinausgehenden Kundenperspektive.
Damit jedoch geraten wiederum die eigentlichen „Kunden“, öffentlicher Gesundheitsdienst und die Bürger, ins Hintertreffen. Denn aufgrund der Aufgabenbeschneidung, wie auch unter dem Aspekt geringerer Personalressourcen, lässt sich nur
noch in einer Richtung optieren, wenngleich auch der Wille vorhanden sein mag,
Aufgaben im Sinne der Allgemeinheit weiterzuführen. Diese Intention jedoch dürfte
bei einer verstärkt marktförmigen Ausrichtung des LIGA.NRW nach außen – wie sie
die Positionierung am Gesundheitscampus vorsieht – und einem damit intern korrespondierenden betriebswirtschaftlich-organisatorischen Zuschnitt, wie er kennzeichnend für ein Lean Management, bzw. ein Lean Administration ist, eher konterkariert werden.
Darüber hinaus scheint sich aber die von der Landesregierung für das LIGA.NRW
favorisierte schlanke Organisation am Gesundheitscampus im Wesentlichen nur auf
die Einführung wettbewerblicher Elemente zu beschränken. Denn die eigentlichen
Erfolgsfaktoren der Lean Administration werden faktisch - schon in der Verlagerungsphase - ignoriert. Diese Erfolgstreiber der Verschlankung von Verwaltung bestehen darin, mehr Kompetenz und Verantwortung an die Basis zu delegieren.
117
Oppen, Maria: Schlanker Staat - magere Beschäftigungsperspektiven? Discussion Paper
FS-II 96-201. Berlin : Wissenschaftszentrum, Berlin 1996.S.6.
159
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dies wird zwar seitens der Landesregierung - gerade auch im Rahmen der Verwaltungsstrukturreform - proklamiert, allerdings erweisen die Vorgänge um die Konzentration des LIGA.NRW an den Standort Gesundheitscampus das Gegenteil dessen, was offiziell bekundet wird.
Im neuen zentralen Modell ist von einer Entfaltung von Selbständigkeit und Eigenverantwortung und einer motivierenden Arbeitsgestaltung und Ausstattung nicht
mehr die Rede. Ansonsten wären schon Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter in der Planungsphase geschaffen worden. Nichts dergleichen ist
geschehen, was zu einer starken Belegschaftsverunsicherung aufgrund fehlender
Informationen geführt hat. Einmal abgesehen davon, dass die Position eines marktfähigen Dienstleisters im Dienste der Gesundheitswirtschaft keine dem LIGA.NRW
angemessene Rolle beschreibt und damit die Funktion des LIGA.NRW für das Gesundheitswesen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst wie schon betont, konterkariert und verzerrt, entbehrt die intendierte „Zurichtung“ des LIGA.NRW wesentlicher Elemente, um überhaupt im Sinne der angezielten Wertschöpfungsprozesse
effektiv funktionieren zu können.
Wenn schon eine unternehmensähnliche Ausrichtung des LIGA.NRW angezielt
wird, sollte auch die Einbeziehung der Mitarbeiter und ihres Engagements sichergestellt sein. Ansonsten bestehen kaum Chancen, dass sich ein solches Modell effizient am Campus behaupten können wird.
Denn ohne die erforderliche Identifikation der Mitarbeiter mit den Zielen und den von
ihnen mitzugestaltenden Wertschöpfungsstrukturen eines veränderten LIGA.NRW,
ist auch die operative Qualität tangiert. Dies bedeutet, dass ohne eine bottom-up
Strategie der Veränderungsprozesse, die die Beteiligung und Mitwirkung der Mitarbeiter sicherstellt und ihre Ideen und ihre Erfahrungen sowie ihren Gestaltungswillen
mit einbezieht, sich auch die organisatorischen Prozesse kaum bewältigen lassen,
da die Akzeptanz mit dem neuen Organisationsprofil ausbleibt. In einem von ihnen
nicht selbst mitgestalteten LIGA.NRW werden sich die Mitarbeiter nicht mehr wiederfinden.
Diese entscheidende Voraussetzung eines jeden Veränderungsprozesses und Veränderungsmanagement ist seitens des MAGS bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden. Ansonsten wären die Bedenken der Mitarbeiter gegen eine Konzentration der LIGA.NRW-Standorte und der damit erfolgenden Herauslösung aus ge-
160
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
wachsenen Kooperationsstrukturen auch ernst genommen und über die Entwicklung
anderer, beteiligungsorientierter Szenarien berücksichtigt worden.
Die Theorie des Konzeptes des Lean Managements, dem das Konstrukt der schlanken Verwaltung folgt, ist jedoch wesentlich umfassender und komplexer strukturiert
als die in deutschen Verwaltungen oftmals verwendete Blaupause, die eher eine
Schwundstufe dieser Philosophie der Unternehmensorganisation darstellt. Dies wird
häufig übersehen. Es weist nämlich auf ein anderes - gerade im Bereich öffentlicher
Verwaltungen aus Kostengründen - gern ignoriertes Moment hin. Dem in der Philosophie des KAIZEN fundierten Lean Management ist nämlich gerade die Qualitätsverbesserung der Arbeit durch eine ständige Erhöhung der Mitarbeitermotivation
wesentlich. 118
Wobei KAIZEN als eine Philosophie und Methode zu betrachten ist, ein komplexes
organisatorisches System der Wertschöpfung, sei dies wissensbasiert oder auch
produktionstechnisch orientiert, nach dem Prinzip eines unnachgiebigen Bemühens
um kontinuierliche Verbesserung auszurichten, die vom Kunden her gedacht wird
und in deren Realisierungsprozess die dazu erforderlichen Prozesse kontinuierlich
zu optimieren sind. Hierbei ist zu berücksichtigen - was im Derivat Lean Management oder Lean Administration häufig nicht mehr offensichtlich ist - dass die Methoden der Lean Production oder des Lean Management, die in einem System des
Lean Manufacturing zusammenlaufen, selbst nur eine geringe Reichweite aufweisen. Sie bilden quasi nur die Oberfläche an Maßnahmen und Werkzeugen, von
dem, was dem organisatorisch-instrumentellen Blick offensichtlich wird.
Die tragende Struktur, die diese Techniken der Prozessoptimierung fundiert, wird in
der zu kurz greifenden, kostenorientierten Betrachtungsweise jedoch nicht offensichtlich. Das, was in sog. effizienzorientierten Managementkonzepten unterschlagen wird, ist, dass Kaizen als Unternehmenskultur und Methode, die die stetige, also kontinuierliche Verbesserung aller Wertschöpfungsprozesse und technischen
Entwicklungen zum Ziel hat, ganzheitlich ausgerichtet ist. Hierbei richtet sich das
ganzheitliche Denken nicht nur auf den unternehmensinternen Prozess der Wertschöpfung, sondern sieht in der gesamten Wertschöpfungskette Potenziale, die
ständig zu verbessern sind. Deshalb ist KAIZEN (und sein Derivat Lean Manage118
Vgl. hierzu: Gienke, Helmuth/ Kämpf, Rainer: Handbuch der Produktion. Innovatives Produktionsmanagement: Organisation, Konzepte, Controlling. München 2007, S.884 ff.
161
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ment) netzwerkorientiert. Als Potenziale werden sowohl Kunden, Zulieferer wie auch
Wettbewerber betrachtet. Letztere werden nach Möglichkeiten von Kooperationen
beurteilt, so dass sich dadurch auch die Transaktionskosten reduzieren lassen. (Potenzialprinzip). Den aber in diesem Stakeholdermodell wichtigsten Produktionsfaktor
und damit das entscheidende Element der KAIZEN - Philosophie, wie es in mustergültiger Weise von dem global erfolgreichsten Automobilherstellers Toyota in Gestalt des Toyota Production System (TPS) verwirklicht wurde, stellt der Mitarbeiter
dar. Bei KAIZEN steht der Mensch allein im Mittelpunkt. 119
KAIZEN ist prozessorientiertes Gestalten von Arbeitszusammenhängen, in denen
die Fähigkeiten, Kompetenzen, die jeweilige Persönlichkeit des Mitarbeiters und
seine Potenziale, die es erfolgreich in den Arbeitsprozess zu integrieren gilt, im Vordergrund stehen. Dies bedeutet auf der Führungsebene, dass die Kommunikation
zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten stetig optimiert wird, Mitarbeiter in alle Entscheidungsprozessen einbezogen und zur Mitwirkung animiert werden, so dass sich
auf dieser Identifikationsbasis Engagement und Arbeitsmoral ständig verbessern.
Hierbei meint Qualitätsverbesserung der Arbeit in erster Linie eine Attraktivitätssteigerung der Tätigkeitsprofile und damit eine deutliche Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse. Dazu gehört nicht nur eine effiziente Organisationsstruktur, ein in
ausreichender Verfügbarkeit stehendes, materielles wie ebenso auch informationelles Equipment, das gerade im Bereich wissensbasierter Leistungen von ausschlaggebender Bedeutung ist, sondern primär die Schaffung von Strukturen, die Mitgestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter ermöglichen.
Lean Management erschöpft sich somit nicht in der Zielstellung reiner Kostenreduzierung oder Effizienzgewinne, sondern bezeichnet den methodischen Aspekt einer
umfassenden Unternehmenskultur, die alle Organisationseinheiten eines Unternehmens durchzieht und in deren Philosophie dem Mitarbeiter als wichtigste Unternehmensressource weitestgehende Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden.
Hierbei folgt die grundlegende Idee, Mitarbeitern erhebliche Gestaltungsräume hinsichtlich ihrer Arbeitsorganisation einzuräumen, der empirisch belegbaren Annahme, dass - indem Mitarbeiter aufgrund ihrer Erfahrungen und Kompetenzen den
Produktionsprozess konstruktiv mitgestalten und somit den gesamten Wertschöp-
119
Vgl. hierzu: Gienke, Helmuth/ Kämpf, Rainer: Handbuch der Produktion. Innovatives Produktionsmanagement: Organisation, Konzepte, Controlling. München 2007, S.891.
162
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
fungsprozess erfolgreich mit auszurichten vermögen - hierdurch auch die Motivation
erhöht wird. Der einzelne Mitarbeiter wie das gesamte Team erleben, wie das Engagement und die Ideen zur Weiterentwicklung der gesamten organisatorischen
Prozesse auch unternehmensintern umgesetzt werden. Neben der Bereicherung,
dass die Arbeitsabläufe selbstverantwortlich gestaltet werden und somit optimierend
auf das Gesamtsystem zurückwirken, gründet die Motivation vor allem darin, dass
aufgrund der Eigeninitiative und ihrer Widerspiegelung in den Prozessen Toyotamitarbeiter in ihren Entscheidungsprozessen relativ unabhängig von Hierarchien agieren können und sich deshalb weit weniger entfremdet fühlen, als Mitarbeiter anderer
Unternehmen oder staatlicher bzw. kommunaler Verwaltungen.
Allerdings scheint dieses partizipative Element des Lean Management in seiner unternehmenskulturellen Dimension weder im MAGS bezüglich seiner diffusen Informationspolitik, noch im LIGA.NRW selbst Platz gegriffen zu haben.
So wurden beispielsweise am LIGA.NRW-Standort Bielefeld - trotz Intervention und
überzeugender Argumente aus den Fachgruppen - die Arbeitsverhältnisse erschwert, indem die für die Öffentlichkeitsarbeit wesentlichen Publikationsressourcen
stillgelegt und gestrichen wurden.
Der ehemals entlastende Druckereibereich wurde trotz seiner von den Beschäftigten
allseits als Entlastung gelobten Effizienz und seiner Kostenvorteile eingestellt.
Dies verweist auf zweierlei.
Zum einen beleuchtet es kritisch den Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit, der vermutlich
ein nicht mehr so großer Stellenwert eingeräumt wird, da ansonsten sichergestellt
würde, dass die damit befassten Mitarbeiter in allen Belangen entlastet würden und
effiziente Vertriebsstrukturen zur Verfügung gestellt bekämen. Dies lässt für die weitere Phase der Verschlankung am Standort des Gesundheitscampus mit seinen
kommerziellen Prioritäten noch Schlimmeres im Hinblick auf die Qualität der gesundheitsfördernden Aufgabenwahrnehmung befürchten.
Zum anderen wird deutlich, dass auf die Interessen der Beschäftigten keinerlei
Rücksicht genommen wird. Ihre Einwände gegen die Veränderung von funktionierenden Strukturen sowie ihre Vorschläge zu einer Optimierung werden nicht aufgegriffen. Dies zeigt sich ebenso ganz massiv an der geplanten Verlagerung des LIGA.NRW. Weder die Personalvertretungen, noch die Beschäftigten werden rechtzeitig und umfänglich über die Konzeptidee LIGA.NRW am Gesundheitscampus,
163
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Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
über den Stand der Planung, die organisatorischen Auswirkungen für die Fachbereiche, noch über die Konsequenzen für die jeweiligen Arbeitsplätze und die Veränderungen in der Aufgabenwahrnehmung informiert.
Weder werden die Mitarbeiter über den angeblichen Sinn und Nutzen einer Verlagerung in Kenntnis gesetzt, noch darüber, welche Veränderungen auf sie zukommen
werden. Mitarbeiter wie Personalvertretung werden so von Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten gezielt ausgeschlossen. Dies wiederum steht völlig konträr zur Strategie des Lean Management wie auch eines, den Veränderungsprozess
professionell gestaltenden Change Managements.
Es besteht kein Zweifel daran, dass das LIGA.NRW für den Öffentlichen Gesundheitsdienst
eine hocheffiziente, wissensbasierte Schaltzentrale darstellt. Dies wird auch seitens des
MAGS in keiner Weise bestritten. Vielmehr werden die Leistungsbereiche des LIGA.NRW
als besonders relevant nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch im Hinblick auf
die Lösung von drängenden Problemen einer künftigen Gestaltung der Arbeitswelt in NRW
betrachtet. Mit dem Know-how des Düsseldorfer LIGA.NRW - Standortes bezüglich einer angesichts des demographischen Wandels in der Arbeitswelt sich verschärfenden Problemlage - lassen sich Fragen nach einer präventiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen in
KMU sowie des Erhaltes und der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit im demographischen Wandel beantworten.
Um die Bedeutung dieses Aufgabenprofils für die Wertschöpfung in NRW hervorzuheben,
wird seitens des MAGS damit argumentiert, dass gerade aufgrund der strategischen Relevanz dieses Themenkomplexes für die Wirtschaft in NRW das LIGA.NRW mit dem „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ auf dem Campus zugleich die strategischen Zukunftsthemen „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung“ wahrnehmen wird.120 Einerseits akzentuiert dies abermals die verstärkte Interessenbindung, die sich aus einer profilierten Kundenbindung am Gesundheitscampus ergibt. Das „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“ auf dem Campus soll als Dienstleister für die Wirtschaft u.a. in Sachen alternsgerechte Arbeitsplätze fungieren, was wiederum bedenklich hinsichtlich der Neutralität des LIGA.NRW werden könnte, gerade auch vor dem Hintergrund eines Abbaus von Arbeitnehmerrechten, wie er seit Jahren an der Lockerung der gesetzlichen Grundlagen des Arbeitsschutzes zu beobachten ist. Würde auf der Basis des Dienstleister-
120
Winter 2008, a.a.O.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
szenarios nun eine Verquickung von Wirtschaftsinteressen und Auftragsforschung
bzw. Beratung im Hinblick auf eine Gestaltung des gesetzlichen Rahmens der Arbeitsbedingungen mit dem Ziel der Unternehmensförderung realisiert, so besteht
die Gefahr, dass Arbeitnehmerinteressen an der Gestaltung von Arbeitsplätzen in
den Hintergrund treten.
Andererseits unterstreicht die Bedeutung, die dem LIGA.NRW am Gesundheitscampus zuerkannt wird, dass das Leistungsportfolio und die Qualität der Aufgabenwahrnehmung dem Standard einer hoch leistungsfähigen Organisation entsprechen.
Dies jedoch bedeutet, dass der Veränderungsprozess (Umstrukturierung, strategische Neuausrichtung auf Partnerschaften am Gesundheitscampus) der Verwaltungsorganisation, der zu einer schlanken Verwaltung führen soll, vor allem - wenn
er erfolgreich sein will - die Organisationskultur als einen alles entscheidender Faktor für das Gelingen oder Misslingen der Veränderung in den Mittelpunkt der Bemühungen stellen muss.121
Ohne eine Veränderung der Unternehmenskultur scheitern durchschnittlich 70%
aller Veränderungsbemühungen (Mc. Kinsey). Der „weiche Faktor“ Organisationskultur gewinnt damit eine immer stärkere Bedeutung als Art Schlüsselfaktor für die
Erklärung des Erfolgs oder Misserfolgs der Veränderungsbemühungen.
Wobei unter der Organisationskultur einer Verwaltung oder eines Unternehmens
alle Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, Überzeugungen und Meinungen sowie Potentiale, Beziehungen und Gegebenheiten zu verstehen sind, die innerhalb
eines Unternehmens zusammenwirken und sich im jeweils spezifischen Selbstverständnis, der Kommunikations- und Arbeitsweise und den symbolischen Kodierungen einer Organisation ausdrücken.122 Die jeweilige Organisationskultur lässt sich
damit auch als „eine Art gemeinsam akzeptierte(r) Realitätsinterpretation darstellen,
die im Austausch mit der Umwelt über das tägliche Tun entsteht […] und die das
Unternehmensgeschehen nachhaltig, aber unsichtbar […] beeinflusst.“123
Diese Organisationskultur äußert sich beispielsweise in den verschiedenen Arbeitsstilen und Arbeitsgewohnheiten der Mitarbeiter, ihren unterschiedlichen Wertvorstel121
Vgl. hierzu: Fisch, Rudolf/ Beck, Dieter: Organisationsgestaltung und Veränderungsmanagement. Organisationskultur als kritischer Erfolgsfaktor, in: FÖV 37, Discussion Papers,
Speyer 2006.
122
Vgl. hierzu auch Petra Klees: ORGANISATIONSKULTUR UND INNOVATIONSFÄHIGKEIT, http://www.personalseite.de/
123
Quelle: Edgar H. Schein: Organisationskultur, 2003.
165
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
lungen ebenso wie in unterschiedlichen Auffassungen von Führung und Entscheidungsbeteiligung.124
Die Organisationskultur einer Verwaltung kann somit entweder als ein unflexibles,
hierarchisch strukturiertes Entscheidungs- und Verantwortungsgefüge gekennzeichnet sein oder durch eine partnerschaftliche Kooperation der Mitarbeiter über alle
Entscheidungs- und Organisationsebenen hinweg. Veränderungsprozesse, die nur
bei den Faktoren Regelungsoptimierung, Aufgabenumbau, Personal, Steuerungsinstrumente oder Verwaltungspolitik ansetzen und den Erfolgsfaktor Organisationskultur außen vor lassen, sind allerdings zum Scheitern verurteilt.
Ein Change Management hingegen, das die Organisationskultur in Richtung auf
mehr Partizipation verändert, hat demgegenüber die größten Erfolgschancen, eine
in ihrer Effizienz nicht nur ökonomisch definierte Verwaltung bzw. Organisation zu
schaffen. Dies deshalb, da innerhalb des veränderten Rahmens eine Kultur etabliert
wird, die durch die Prinzipien eines auf den Menschen hin ausgerichteten Führungsverhalten geprägt ist, also auf der Delegation von Verantwortung, Freiraum
und Mitsprache am Arbeitsplatz basiert. Dies sind Schlüsselfaktoren für mehr Zufriedenheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz und ein höheres Maß an Kreativität und
Engagement. Ebenso zeigen eine Vielzahl von best practise Beispielen, dass Mitarbeiter sich dann voll entfalten, wenn sie für ihre Arbeitsbereiche auch auf den nachgeordneten Ebenen verantwortlich sind, im Team agieren und am Erfolg der Arbeit
partizipieren können. Um dies zu gewährleisten, müssen die Kommunikationsstrukturen so gestaltet werden, dass alle Mitarbeiter mit den die Strategie und Philosophie ebenso wie die operative Ausrichtung der einzelnen Arbeitsbereiche der Organisation betreffenden Informationen versorgt werden. Dies gilt insbesondere für die
politischen Entscheidungsfindungen bezüglich eines Change Managements und
deren Auswirkungen auf die Organisation der Aufgabenwahrnehmung und der Arbeitsplätze. Dies schafft nicht nur eine erforderliche Vertrauensgrundlage, sondern
auch eine symmetrischen Kommunikationsrelation zwischen Politik, Leitungsebene
und Mitarbeitern. Ohne eine vollständige Transparenz der Strategie von Veränderungsprozessen und deren Umsetzungsmodalitäten sowie der Verdeutlichung der
Konsequenzen und Erfordernisse für die Umgestaltung der einzelnen Fachbereiche
und Geschäftsstellen ist keine Partizipation der Mitarbeiter an den Veränderungsprozessen selbst möglich. Und diese Partizipation muss unbedingt sichergestellt
124
Vgl.: Fisch; Beck a.a.O., S.13.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
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sein. Zum einen deshalb, weil sich ansonsten die Mitarbeiter fremdbestimmt einem
von ihnen nicht mehr mit zu gestaltenden Prozess ausgeliefert fühlen, der dann aufgrund seiner Bedrohlichkeit auch Widerstand hervorruft.
Zum anderen sind es die Mitarbeiter in den Organisationseinheiten, die am sachkundigsten über die Sinnhaftigkeit von Veränderungen in den von ihnen versehenen
Aufgabengebieten urteilen können.
Sind jedoch die Gestaltungs- und Einflussnahmen der Mitarbeiter gesichert, ist es
immerhin möglich, dass Veränderungen in einem gemeinsamen, die Führungsebenen übergreifenden konstruktiven Prozess bewältigt werden, da sichergestellt ist,
dass Ziele und Zwischenziele kommuniziert und gegebenenfalls auch verändert
werden, da nicht zuletzt sich auch Ideen und Erfahrungen der Mitarbeiter darin widerspiegeln.
Werden allerdings die betroffenen Mitarbeiter - wie dies derzeit bei der Idee des Gesundheitscampus der Fall ist - nicht mit einbezogen und fühlen sich derart zu Objekten eines über sie hinweg veranstalteten Interessenspiels degradiert, so drohen „innere Kündigung“ und Indolenz, ebenso wie Obstruktion.
Jeder anvisierte Veränderungsprozess hat solche Kommunikations- und Beziehungsnetzwerke zu entwickeln, in denen der Informationsbedarf aller Mitarbeiter
auch gedeckt wird, denn allein dadurch wird die Grundlage für Handlungsspielräume und instruktive Optionen geschaffen.
In dem vorliegenden Fall lässt sich bedauernswerter Weise, entgegen der best practise, konstatieren, dass nichts dergleichen an transparenten Kommunikationsstrukturen, die den Informationsfluss optimieren im Vorfeld der vom MAGS und der Leitungsebene des LIGA.NRW intendierten Veränderungsprozesse eingesetzt wurde.
Hier wurden aus Unkenntnis oder mit Vorsatz gravierende Managementfehler - zu
Lasten aller Mitarbeiter - begangen. Stattdessen werden die Mitarbeiter, ohne dass
sie die Effektivität und Effizienz der geplanten Veränderungen überprüfen und auf
ihre Geltung hin bewerten können, einem Prozess ausgesetzt, der völlig opak verläuft und sie selbst zu bloßen Funktionspartikeln herabwürdigt.
Dieses Vorgehen geht in keiner Weise mit einem professionellen, an üblichen Standards orientierten Change Management konform. Insofern ist auch nicht nachvollziehbar, wie angesichts der Belastungen, die sich aus der Umgestaltung des LIGA.NRW ergeben, das MAGS und die Landesregierung von einem am Gesund-
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
heitscampus effizienter aufgestellten LIGA.NRW sprechen können. Verunsicherte
Mitarbeiter, die um ihre Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Mitwirkung gebracht
worden sind, werden sich in der Regel keineswegs mit einer neuen Unternehmensphilosophie und einer neuen Zielorientierung identifizieren. Führungskräfte und Mitarbeiter die sich nur noch als Werkzeug empfinden, werden sich auch nicht besonders motiviert auf neue Aufgaben einlassen und ihre Arbeit besonders engagiert
versehen. Dieser Sachverhalt wird auch im IfV-Gutachten gestreift. Allerdings unter
der Perspektive eines neuen Verwaltungshandeln, das darin besteht, die „wechselnden Anforderungen einer systemisch angelegten Unterstützung der Landesgesundheitspolitik zu erfüllen.“125 Dieses Verwaltungshandeln zeichnet sich durch veränderte Anforderungen aus, die darin bestehen, dass nunmehr proaktiv, Rahmenbedingungen setzend und Standards gewährleistend zu agieren sei. Angesichts der
tatsächlich vorhandenen, die gesamte Arbeitsorganisation bedrohenden Informationsdefizite, stellt die Skizzierung eines solchen Anforderungsprofils eine Farce dar.
Überdies ist zu klären, wie der eingeforderte „erforderliche Umbau und die Entwicklung des Personalkörpers“ denn inhaltlich beschaffen sein sollen, angesichts der
Tatsache, dass selbst das MAGS noch keine klare Vorstellung darüber entwickelt
hat, welche Aufgaben tatsächlich in welcher Weise, aufgrund welcher Vernetzungen
wahrzunehmen sind. Wie sollen vor diesem Hintergrund die neuen Kompetenzprofile gegenüber den derzeitigen Kompetenzprofilen der Mitarbeiter beschaffen sein?
Darüber schweigt sich das MAGS ebenso aus, wie das Gutachten keinerlei weitere
Angaben dazu macht. So lässt sich vielmehr vermuten, dass derjenige Mitarbeiter,
der nicht bedingungslos - quasi in blinder Gefolgschaft - dem von der Landesregierung betriebenen Paradigmenwechsel nachvollzieht und die dafür vermeintlich erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen erwirbt, auch nicht mehr für das neu
aufgestellte LIGA.NRW tragbar ist. Um sich dieser Mitarbeiter zu entledigen unterbreitet das Gutachten auch einen entsprechenden modus operandi:
Die mit der Verlagerung des LIGA.NRW auf den Gesundheitscampus verbundene
„Entwicklung des Personalkörpers“ bietet hierzu nach Auffassung des Gutachtens
eine gute Gelegenheit, „da nicht zu erwarten ist, dass das gesamte Personal der
verteilten Standorte zum Umzug bereit sein wird.“ Bei der voraussichtlich erforderlichen Rekrutierung neuen Personals sollten diese Aspekte bereits berücksichtigt
werden. Es wird also eine Personalentwicklung gefordert, die einen Mitarbeitertypus
125
Nigmann, Ralf/ Dahs, Karl, a.a.O. 2008. S.11.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
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verlangt, der die Ziele der Marktöffnung des LIGA.NRW internalisiert hat und dem
entsprechend ökonomisch agiert. Diesem Typus entsprechend hätte der neue LIGA.NRW Mitarbeiter künftig proaktiv gesundheitswirtschaftlich konform am neuen
Standort seine Arbeit als Dienstleister im Kundeninteresse zu verrichten, unter dieser Zielvorgabe daran mitzuwirken, dass „eine Vernetzung und Stärkung der jeweiligen Kompetenzen verschiedener gesundheitswirtschaftlicher Akteure“ erfolgt.126
Damit wird die gebotene Distanz des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Gesundheitswirtschaft eingeebnet. Die Vereinnahmung wird zu Lasten der Bürger gehen, da ein LIGA.NRW, das im Kundeninteresse mit einem „schlankeren“ auf die
Erfordernisse des Campus ausgerichteten Leistungsportfolio handelt, seine originären Aufgaben, die den Erhalt und die Förderung der Gesundheit der Bürger zum Ziel
haben, nur noch unzureichend wahrnehmen werden kann.
Angesichts eines weiteren Kommerzialisierungsschubes, der von einer Konzentration gesundheitswirtschaftlicher Aktivitäten an einem zentralen Ort aufgrund der zunehmenden Vernetzung der gesundheitswirtschaftlichen Akteure unter privatwirtschaftlichen Interessen zu befürchten ist, hätte LIGA.NRW eine durchaus notwendige regulative Funktion zu versehen, nämlich als ein beaufsichtigendes und kontrollierendes Organ der Gesundheitswirtschaft i. S. der Gefahrenabwehr zu agieren,
zum Schutze des Bürgers vor einem zweifelhaften Gesundheitskonsum, der aus
den sich dynamisch entwickelnden Produkten und Dienstleistungen kommerzialisierter Gesundheitsangeboten resultiert. Eine solche Korrektivfunktion wird - folgt
man den Intentionen, die sich mit dem Konzept Gesundheitscampus verbinden LIGA.NRW in seiner Neuaufstellung nicht mehr umfänglich leisten können. Unter
dieser Perspektive wird das Ziel, ein schlankes effizientes LIGA.NRW zu schaffen,
das aufgrund seiner Aufgabenreduzierung und des angestrebten Personalabbaus
das Gesundheitswesen nur noch unzureichend vor den Auswüchsen eines unüberschaubaren und die Gesundheit der Bevölkerung im Extremfall gefährdenden gesundheitswirtschaftlichen Angebotes schützen kann, in seiner ideologischen Funktion evident.
Eine marktkonforme LIGHT-Version des LIGA.NRW weist keine Friktionen und Widerstände gegenüber der herrschenden Verwertungslogik mehr auf. Stattdessen
können die gesundheitswirtschaftlichen Akteure aufgrund der angestrebten Kooperationen an den noch verbleibenden wissensbasierten Leistungen des LIGA.NRW
126
Nigmann/ Dahs a.a.O., S. 11.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
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partizipieren und aus diesen Synergien dann ihren Marktauftritt optimieren. Dies jedoch dürfte, bezogen auf die Kernbereiche des Gesundheitswesens, wohl kaum im
Verbraucherinteresse sein.
Die Aufgabenkritik, mit der Vorschläge zum künftigen Aufgabenbestand des LIGA.NRW unter den Kriterien einer wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit für das Land zu
entwickeln waren, zeichnet hinsichtlich der Identifizierung von Aufgaben, die ganz
oder teilweise fortfallen können, ein breites Spektrum, sofern die Ergebnisse der
formalen Zweckkritik und der strategischen Bewertung der einzelnen Aufgaben zusammen betrachtet werden. Hier und unter der letztlich empfehlenden Gutachterperspektive werden durchaus in einzelnen Fällen nachvollziehbare Voten auch für
den gebotenen Fortbestand von Aufgaben gegeben, die aus Gründen der strategischen Ausrichtung und dem geforderten proaktiven Verwaltungshandeln unbedingt
notwendig sind. Auch wenn die formale Zweckkritik zu einem anderen Urteil gelangt.
So differenziert in dem gegebenen Rahmen und aufgrund der gemachten Voraussetzungen das IfV-Gutachten auch in dieser Hinsicht den Verbleib von Aufgaben die keine Pflichtaufgaben darstellen - nachvollziehbar legitimiert, bleibt dennoch zu
fragen, ob angesichts der dominanten Ausrichtung und Unterstützung der privaten
Gesundheitswirtschaft, die das Ziel des Gesundheitscampus bildet, den Empfehlungen auch im vollen Umfange entsprochen wird.
Hier liegt der Verdacht nahe, dass unter dem Dogma von kostenorientierten Produktivitätsstrategien und der Vernetzung von LIGA.NRW im Kontext der Gesundheitswirtschaft nicht mehr den in Hinsicht auf einen Fortfall oder eine Übertragung von
Aufgaben restriktiveren Ansatz des Gutachtens gefolgt wird, sondern eine möglichst
große Anzahl an Aufgaben, die gesundheitswirtschaftlich von geringem Nutzen sind,
gestrichen wird.
Damit sind - im worst case Szenario - alle Aufgaben und Teilaufgaben gemeint, die
laut formaler Zweckkritik ganz oder auch nur teilweise fortfallen können, die allerdings für die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW im Hinblick auf sein Leistungsprofil für den Öffentlichen Gesundheitsdienst und das Gesundheitswesen sowie im Hinblick auf die Unterstützung der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung der Bevölkerung von notwendiger Bedeutung sind.
Ein Beispiel hierfür wurde schon zuvor diskutiert. So könnte nach Rechtslage die
Aufgabe des LIGA.NRW „Unterstützung der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste“
170
Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
(GVP Nr.:3.2.3) teilweise fortfallen - und die Erfassung von Daten der unteren Gesundheitsbehörden vollständig. Damit jedoch wäre die Beratungsfunktion wie auch
die Strategieentwicklung in diesem Handlungsbereich nicht mehr möglich und die
Kinder- und Jugendgesundheitsdienste würden in ihrer Aufgabenwahrnehmung, die
ein vitales gesellschaftliches Interesse erfüllt, behindert.
Ein weiteres Beispiel für eine durchaus drohende Aufgabenreduzierung, die nicht im
Interesse der Bevölkerung (im Hinblick auf eine gesunden Umwelt wie auch an
schadstoffunbelasteten Arbeitsbedingungen) sein kann, aber unter gesundheitswirtschaftlichen Verwertungsbedingungen eher störend wirken könnte, stellt die Aufgabe „Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigende Stoffe“ dar (GVP 1.1.1) Hier
könnten laut formaler Zweckkritik die Beratung zu Belastungen und Beanspruchungen durch Gefahrstoffe und gesundheitsbeeinträchtigenden Stoffen sowie die Datenpflege der Gefahrstoffdatenbank der Länder und die Beratung zu Einstufung und
Kennzeichnung von Gefahrstoffen/Gefahrgütern entweder fortfallen (Datenpflege)
oder auf Private bzw. eine andere Behörde übertragen werden. Zwar sieht der Kabinettsbeschluss zu LIGA.NRW vor, dass im „Zentrum für Gesundheit in der Arbeit“
weiterhin die Aufgabenfelder „Gesundheitsrisiken bei der Arbeit“ und „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“ zu bearbeiten sind. Allerdings wird hierbei der Akzent
auf den Erhalt und die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit vor allem in kleinen
und mittleren Unternehmen als einem wesentlichen Schwerpunkte gelegt.
Ebenso soll das Zentrum darüber hinaus im Bereich des Arbeitsschutzes auch sicherheitstechnische Aufgaben zum Schutz Dritter und i. S. von Politikberatung
wahrnehmen. Eine direkte Erwähnung der Relevanz der Aufgabenwahrnehmung
hinsichtlich der Gefahrstoffe erfolgt jedoch nicht. Zwar plädieren gerade die Autoren
des Gutachtens eindringlich dafür, dass unter „dem Gesichtspunkt der Risikobeherrschung […] die Fähigkeit zur Abschätzung von Risiken und zur Beratung hinsichtlich Risiken“ als „eine zentrale Zukunftskompetenz des LIGA.NRW“ erhalten
bleibt, dies vor allem in Anbetracht der besonderen „Dichte von Betrieben der chemischen Industrie in NRW“; aber angesichts der dominant kommerziellen Ausrichtung des Campus und der dadurch gegebenen privatwirtschaftlichen Dienstleisterfunktion, die das LIGA.NRW dann am Standort mit wettbewerbsähnlichen Elementen wahrzunehmen hätte, ist mehr als fraglich, ob dieser substanzielle Aufgabenbereich - obgleich er im Gutachten als ein „wesentliche(s) Handlungsfeld des staatlichen Handelns“ ausgewiesen wird, nicht doch noch mit einem kw-Vermerk verse-
171
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
hen wird. Die jüngsten Erfahrungen aus anderen umweltrelevanten Bereichen legen
dies nahe. Dass die Landesregierung sich angesichts ihrer wirtschaftsfreundlichen
Haltung mit dem Umweltschutz und dem Gefahrenschutz der Bevölkerung schwer
tut, ist nämlich nicht erst seit den Skandalen um die Verseuchung des Ruhrwassers
durch Einleitung von Gefahrstoffen (PFT- Emissionen) offenkundig.
Ebenso leichtfertig wie beim Gewässerschutz und der Trinkwassergüte zeigte sich
die Landesregierung über Jahre auch im Hinblick auf die gesundheitliche Belastung
der Bürger durch Gefahrstoffe bei der Sondermüllverbrennung. So wurden insgesamt 615.940 t Sondermüll - vor allem aus Österreich, Frankreich, Großbritannien
und Benelux im Jahre 2005 nach NRW eingeführt und hier „entsorgt“.127
Allein 2008 wurden 1,7 Mio. Tonnen Abfall nach NRW importiert, worunter sich
mehr als 650.000 Tonnen giftiger Sondermüll befand. Obgleich die Menge des importierten Mülls seit 2004 kontinuierlich abnahm, sollen nach Willen der Landesregierung die Kapazitäten in der Müllverbrennung erheblich erhöht werden. Dem entsprechend werden die Anlagen in Bielefeld, Hamm und Köln stark ausgebaut, in
Krefeld laufen Genehmigungsverfahren und die größte Müllverbrennungsanlage
Asdonkshof in Kamp-Lintfort soll ebenfalls in ihren Kapazitäten stark erweitert werden.128
Hierbei ist zu sehen, dass sich in einer Müllverbrennungsanlage selbst der „vermeintlich harmlose Hausmüll nicht einfach in saubere Luft auf(löst). Etwa ein Drittel
der Eingangsmenge einer MVA verbleibt als Reststoff, davon entfallen etwa 13%
auf Filter- und Kesselstäube sowie sonstige feste Abgasreinigungsrückstände. Diese Substanzen, insbesondere die Filterstäube, sind eine wahre Schadstoffsenke:
Sie sind hoch angereichert mit Schwermetallen, Dioxinen sowie Furanen und müssen als hochgiftiger Sondermüll beseitigt werden.“ Ebenso emittieren über den Luftpfad […] trotz vermeintlich bester Filtertechnik gesundheitsgefährdende Schadstoffe. Und: Je mehr Müll verbrannt wird, desto höher ist trotz Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die reale Belastung.129
Angesichts dieser - alle gesundheitlichen und umweltverträglichen Bedenken hinten
anstellenden - wirtschaftsfreundlichen Apologie der Müllverbrennung und des Müll127
Peter Kleinert: NRW-Umweltminister kneift, in: Neue Rheinische Zeitung 24.01.2007.
Quelle: Dumke, Holger: Minister wirbt für Akzeptanz für Müllimporte, in: NRZ
v.08.04.2009.
129
Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. Landespressekonferenz, Düsseldorf, 20.11.2008.
128
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
importes, verheißt das Ergebnis der formalen Zweckkritik in Analogie zu besagtem
Fall einer möglichen Aufgaben- und Personalkürzung bei den Gefahrstoffen also
nicht viel Gutes.
In dieser neuen „Welt“ eines dem Leitbild einer schlanken, effizienten Verwaltung
konformen LIGA.NRW ist zwar sehr wohl von einem kommerziellen Marktauftritt die
Rede, nicht aber mehr von den öffentlichen Aufgaben des LIGA.NRW. Die Verantwortung, die LIGA.NRW gerade auch gegenüber der Bevölkerung hinsichtlich einer
in ihren Produkten und Dienstleistungen ausufernden gesundheitswirtschaftlichen
Wertschöpfung wahrzunehmen hätte, wird mit dieser Version eines LIGA.NRW am
Gesundheitscampus nahezu eingedampft.
Dass aber gerade angesichts der dargestellten ungezügelten Wachstumsdynamik
der Gesundheitswirtschaft, deren zweifelhafte Produkte auf ihre Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit überwacht und kontrolliert werden müssten, findet keinerlei Erwähnung. Dies weder seitens des MAGS noch im IfV-Gutachten selber.
Besonders deutlich wird dies an der Diskussion, die um die Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle geführt wird, die derzeit noch in Münster ansässig ist.
Im Rahmen der Konzentrationsbemühungen seitens der Landesregierung soll auch
sie an den Campus verlagert werden.
Aus der geleisteten Aufgabenkritik lassen sich die entscheidenden Mängel dieses
Konzeptes herauslesen. Hier vor allem - neben den sachlichen Mängeln des Konzeptes - die nicht erfolgende Partizipation der Mitarbeiter. Im Rahmen der projektleitenden Aufgabenkritik werden die möglichen Szenarien, die sich für die AUST ergeben, hinsichtlich der Konsequenzen und Kostenbelastungen durchgespielt. Gegen
die präferierte Option der Landesregierung „Fortführung der AUST als Fachbereich
des LIGA.NRW und Verlagerung an dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW“, sprechen neben den Mehraufwendungen, die aufgrund der Aufgabe
der bisherigen Zusammenarbeit der AUST mit der CVUA Münster kostenmäßig einzustellen wären und dem aus dem Fortfall der bisherigen Kooperation resultierenden Synergieverlusten, die zu Nachteilen bezüglich der fachlichen Qualität führen
werden, insbesondere die „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass die Mitarbeiter keinen
Standortwechsel akzeptieren werden.130
130
Nigmann, Ralf/Dahs, Karl, a.a.O.2008, S.35.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
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Das von den Gutachtern selbst favorisierte Szenario „Ausgliederung der AUST aus
dem LIGA.NRW und Übertragung an eine landesgeführte gGmbH“, weist das gleiche Defizit auf. Zwar wäre eine Verlagerung auf den Gesundheitscampus nicht
mehr erforderlich und die Synergien mit dem CVUA Münster wären gewährleistet,
aber diesem Szenario ist die Gefahr des Personalabbaus immanent. Kryptisch formuliert, kommen die Gutachter zu dem für sie positiven Ergebnis, dass, bei diesem von den AUST Mitarbeitern abgelehnten - Szenario „Gestaltungsspielräume für personalwirtschaftliche Gestaltungen und das Outsourcing von Verwaltungsdiensten (z.
B. Buchhaltung, Personalservice)“ bestehen würden, was im Klartext darauf hinausläuft, dass ein Beschäftigungsabbau zu befürchten ist. So ist es verständlich, dass
„das derzeitige Personal diese Organisationsform aus prinzipiellen Überlegungen
heraus ab(lehnt).“ Insofern ist auch bei diesem Szenario mit „einem erheblichen
Personalverlust“ zu rechnen, mit entsprechend negativen Konsequenzen für das
Aufgabenwahrnehmung. Denn speziell „pharmazeutisches Personal ist über die
PEM nicht zu rekrutieren und müsste von außen gewonnen werden. Für die Schulung und Einarbeitung des neuen Personals ist mit einem einmaligen Zusatzaufwand, abhängig von der Zahl der neu zu besetzenden Stellen, zu rechnen. Nach
Einschätzung der Fachbereichsleitung würde die Arbeitsfähigkeit dadurch bis zu
einem Jahr stark beeinträchtigt“, so die Einschätzung der Gutachter.131
Einzig die beiden Szenarien „Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW
unter Beibehaltung des derzeitigen Standortes“ und „Ausgliederung aus dem LIGA.NRW und Rück-Übertragung der Aufgaben und des Personals an das CVUA in
Münster“ wären für die Mitarbeiter akzeptable Lösungen, die allerdings den Konzentrationsbemühungen der Landesregierung konträr laufen. Wobei die Ausgliederung aus dem LIGA.NRW eine Maximalforderung darstellt, die keinerlei realistische
Basis aufweist.
An diesem Beispiel zeigt sich, dass Veränderungsprozesse ohne die Interessen der Mitarbeiter zu berücksichtigen, wie sie seitens des MAGS in großem Stile initiiert werden, letztlich zu Widerständen führen, die in einzelnen Fällen äußerst kostenintensiv werden können. Abgesehen davon sind im Falle der AUST der Öffentliche Gesundheitsdienst und damit der Gesundheitsschutz sowie die vitalen Interessen der Bevölkerung an sicheren und
wirksamen Medikamenten besonders betroffen. Die Qualität des Gesundheitswesens würde durch eine Funktionsunfähigkeit dieses wichtigen Bereiches erheblich tangiert werden.
131
Ebenda. S. 39.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
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aus Arbeitnehmersicht
Für jegliche konstruktive Veränderung jedoch - wie etwa die dringend gebotene Aufstockung der Personalressourcen - ist der Konsens mit den Mitarbeitern eine unhintergehbare
conditio sine qua non.
Ein Unternehmen oder eine politisch verantwortlich handelnde Landesregierung, die hinter
solche Standards zurückfällt und autokratisch ihre Interessen durchsetzt, dürfte - wie die
Intention der Verlagerung des LIGA.NRW zeigt - dem Gesundheitswesen und damit der
Bevölkerung größeren Schaden als Nutzen bereiten. Für jedes fortschrittliche und erfolgreiche Unternehmen - um diese Analogie einmal zu bemühen - basieren Veränderungsprozesse grundsätzlich auf der Einbeziehung aller Mitarbeiter. Dass die wohl grundlegendste
Voraussetzung für einen Wandel und der damit angezielten Qualitätssteigerung der Aufgabenwahrnehmung in der Partizipation und in den Freiräumen besteht, die den Mitarbeitern
eine weitgehende Entscheidungsbefugnis für die Gestaltung ihrer Arbeitsorganisation einräumen, gehört zum Standardwissen eines jeden Veränderungsmanagements. Umso erstaunlicher ist es, dass das MAGS in seinem Bestreben vermeintlicher Effizienzsteigerungen
durch gravierende Veränderungsprozesse dieses basale Know-how ignoriert.
Wäre seitens des MAGS frühzeitig die Intention der Verlagerung mit einem belastbaren
Konzept kommuniziert und nicht oktroyiert worden, so hätte die Chance bestanden, dass
ein solches durchgerechnetes und Alternativen aufzeigendes Konzept von den Mitarbeitern
an den LIGA.NRW Standorten zeitnah hätte diskursiv aufgenommen und erörtert werden
können.
Damit wären auch die Probleme und Konsequenzen hinsichtlich einer Veränderung
der Aufgabenerfüllung und der Veränderungen, die im Leistungsprofil des LIGA.NRW anvisiert werden, seitens der Mitarbeiter aufgezeigt und kritisch bewertet
worden. Dies hätte den Vorteil gehabt, dass das zentrale Modell der Konzentration
sich als frühzeitig nicht realisierbar erwiesen hätte oder nur unter der negativen und
nicht akzeptablen Voraussetzung einer verstärkt kommerziellen Orientierung des
Leistungsprofils des LIGA.NRW am Gesundheitscampus.
Der Diskurs mit den Mitarbeitern und der Personalvertretung, um die Beschäftigtenund Partizipationsinteressen zu berücksichtigen und die Sachkompetenz der Insider
aufzunehmen, mit dem Ziel, das gesamte Vorhaben auf dieser Folie einer sachkritischen Prüfung zu unterziehen, wurde seitens des MAGS nicht geführt. Eine Beteiligung der Mitarbeiter wurde offenbar zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen.
Stattdessen wurde autokratisch über das dezentral organisierte LIGA.NRW verfügt
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
und an den Informationsbedürfnissen der Mitarbeiter und der Personalvertretung
vorbei ein „Leuchtturmprojekt“ in die Öffentlichkeit lanciert, das in seiner Zentralität
zwar einigen kommerziellen Interessen entsprechen dürfte, aber das den gewachsenen LIGA.NRW-Schnittstellen Schaden zufügt. Dies wird weiter unten noch ausgeführt werden.
Die Gründe für dieses Vorgehen lassen sich nur vermuten. Wahrscheinlich soll das
LIGA.NRW mit seinem derzeitigen Leistungsportfolio am neuen Standort - nach der
bisherigen Analyse – verstärkt auch mit kommerziellen Interessen synchronisiert
werden.
Dafür sprechen auch Teile des IfV-Gutachten. Diese Ideologie kennzeichnet immerhin noch ein geplantes Vorgehen, während hinsichtlich der Ausschließung der Mitarbeiter von jeglicher Information eher zu vermuten steht, dass diese darauf beruht,
dass weder Landesregierung, noch MAGS in irgendeiner Weise ein durchstrukturiertes, in sich schlüssiges Konzept zur Umsetzung ihrer Idee „Gesundheitscampus“
entwickelt haben. So muss die gesamte Planung notwendigerweise diffus bleiben.
Dafür spricht, dass weder der Sinn, der sich mit dem Modell Gesundheitscampus
verbindet bis auf einige wenige semantische Hülsen überhaupt erörtert wird, noch
dass für die einmal in die Welt gesetzte Idee „Gesundheitscampus“ eine differenzierte theoretische Begründung geleistet wird. Damit wäre immerhin eine diskursive
Basis geschaffen, auf der eine intersubjektive Bewertung möglich wäre. Nichts dergleichen wurde jedoch vom MAGS geleistet. Ebenso wenig existiert erkennbar ein
Projektmanagement, das zielführend für die Umsetzung tätig wäre. Von einem Ablaufkonzept, von Meilensteinen in der Realisation der Idee - gerade auch im Hinblick
auf die zu erreichende Organisation der Akteure im Rahmen des Gesundheitscampus - war bis Mitte 2009 ebenfalls seitens des MAGS nichts bekannt.
10.4 Folgen der Zentralisierung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW
Die bisherige Diskussion einer dezentralen Organisation des Gesundheitswesens,
wie sie in den Gesundheitsregionen bislang vorbildlich und mit entsprechenden Optimierungspotenzialen versehen realisiert wurde, zeigte, dass insbesondere die Dezentralität der Einrichtungen, die passgenau auf die verschiedenen Kompetenzfel-
176
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der der Regionen ausgerichtet sind, ein breit gefächertes Netzwerk qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung sicherstellte. Demgegenüber würde ein solches
dezentral begründetes, breit gefächertes Versorgungsnetz, sofern es von einem
zentralen Standort aus organisiert würde, einen erheblichen Mehraufwand erfordern. Vor allem die gewachsenen, gut funktionierenden Kontakte des LIGA.NRW
vor Ort zu den Kooperationspartnern im Gesundheitssektor, die auch über die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW im Rahmen seiner Leistungen für den öffentlichen Gesundheitsdienst in NRW hinaus eine wesentliche Impulsgebung z.B. für die
Region ermöglichten, würden damit nicht mehr zur Verfügung stehen. Ebenso wenig
ließen sich bei Verlust dieser kommunikativ eingespielten Schiene hier auch keine
Informationen und Empfehlungen von der Ebene der gesundheitspolitischen Zielstellungen des Landes im Hinblick auf regional relevante gesundheitsfördernde
Maßnahmen mehr friktionslos transferieren.
Das gleiche gilt für die landesweit relevanten Aufgaben des LIGA.NRW. Werden die
entscheidenden Schnittstellen zu den regionalen Akteuren in Forschung und im Gesundheitswesen nicht weiterhin gepflegt, so lassen sich nur über einen erheblichen
Mehraufwand an Zeitressourcen und finanziellen Mitteln neue Kooperationspartner
im regionalen Kontext - beispielsweise der Gesundheitsregion Ruhr - finden und
diesbezügliche strategische Netzwerke aufbauen.
Aufgrund der engen Kooperation des ehemaligen LÖGD und LIGA.NRW mit den
regionalen Forschungseinrichtungen beispielsweise in OWL, ließen sich in den letzten Jahren, erfolgreich Erkenntnisse aus unterschiedlichsten gesundheitswissenschaftlich und medizinisch relevanten Bereichen gewinnen. Dies in Form von Projekten, Studien, Workshops, Ringvorlesungen, Netzwerkbildungen, Symposien etc.,
wobei zugleich die öffentliche Bedeutung und die handlungsorientierte Umsetzung
der gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes
und des Gesundheitssektor, eine vorrangige Rolle einnahmen.
So mit der Fachhochschule Bielefeld im Hinblick auf die Themenbereiche:

medizinischer Verfahren und Technologien

Prävention und Gesundheitsförderung

Frauengesundheit und Geschlechterforschung
177
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

Integration genombasierten Wissens in die öffentlich koordinierte Gesundheitsversorgung

Kommunales Gesundheitsmanagement

Multimediale Ausbildungsmodule für Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen.
Ebenso fruchtbar ist die Kooperation mit der Universität Bielefeld, dort insbesondere
mit der Fakultät Gesundheitswissenschaften. Sie erstreckt sich über einen breiten
Kanon der Zusammenarbeit in Forschung, Lehre und Projekttätigkeiten, wobei der
Datenaustausch unter den beiden Kooperationspartnern in vielfältiger Weise der
wissenschaftlichen Begleitforschung von Projekten (so bei der wissenschaftlichen
Begleitung des Modellprojektes „Ortsnahe Koordinierung der gesundheitlichen und
sozialen Versorgung“ des Landes Nordrhein-Westfalen und zu zahlreichen anderen
Projekten und Praxiskonzepten), Forschungsvorhaben, Analysen zu medizinisch
relevanten Einzelfragen und dem fachlichen Diskurs zur Implementierung von Maßnahmen und Programmen ebenso dient wie auch dem wissenschaftlichen Mehrwert, der beispielsweise durch den Erkenntnisgewinn der Forschung im Rahmen
von Promotionsverfahren und bei der Erstellung von Masterarbeiten erzielt wird.132
Daneben werden regelmäßig Tagungen in enger Zusammenarbeit ausgerichtet, die
thematisch weitumspannend aktuelle und teils neuralgische Themata von öffentlicher Bedeutung behandeln, die von Fragestellungen der „Demografischen Alterung
und Gesundheit“ über „Lebensumwelten und Gesundheit“ bis hin zu „Problemlösungs- und Präventionsstrategien für den umweltbezogenen Gesundheitsschutz“
reichen, um nur ausschnitthaft und keinesfalls erschöpfend die wesentlichen Kooperationsaktivitäten zu skizzieren.
Diese so gekennzeichneten Kooperationsaktivitäten in ihrer Gesamtheit wirken wiederum weitreichend in die Region zurück, wo sie praxisnah als „Leitplanken“ der regionalen Gesundheitsplanung fungieren können. In regionaler Hinsicht sind die Inputs aus dem Netzwerk LIGA.NRW, regionale Forschungseinrichtungen und ZIG
von gravierender Bedeutung. So verfügt die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe
neben den schon erwähnten Kompetenzfeldern Prävention und Gesundheitsförde-
132
So z.B. in der Studie von Ulrike Wolf: Grenzübergreifende Zusammenarbeit Im Gesundheitswesen. Stand und Entwicklung in Euregios und Interreg-Programmen mit deutscher
Beteiligung, Bielefeld 2008, die u.a. unter Einbeziehung der bereitgestellten Daten des
LÖGD ihren belastbaren Aussagegehalt fundieren konnte; um nur ein Beispiel zu nennen.
178
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
rung - bei deren unterschiedlichen Settings der Wissenstransfer von LIGA.NRW
(LÖGD) und Forschungseinrichtungen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung
einnimmt - auch erhebliche Kernkompetenzen im Segment der „Betrieblichen Gesundheitsförderung“. Diese Kernkompetenz wird seit Jahren über das Netzwerk „Betriebliche Gesundheitsförderung OWL“ sichergestellt, das vom Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL (ZIG) koordiniert wird. Neben den Forschungseinrichtungen:

Fachhochschule Bielefeld

Fachhochschule der Diakonie

Fachhochschule des Mittelstands Bielefeld

Hochschule Ostwestfalen-Lippe

Universität Bielefeld

Universität Paderborn
war auch das Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst NRW als LIGAVorläufer Partner und Fördermitglied für die Gesundheitswirtschaft in diesem Netzwerk.
Eng verbunden mit diesem Netzwerk/Arbeitskreis Betriebliche Gesundheitsförderung ist auch das jüngste Modellprojekt „fit im Handwerk OWL“, in dem das Ziel verfolgt wird, die betriebliche Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Handwerksbetrieben nachhaltig zu verankern, um somit eine langfristige Beschäftigungsfähigkeit zu fördern sowie die Betriebliche Gesundheitsförderung zu einem Moment
einer jeden Unternehmenskultur zu machen.
Ein Ergebnis dieser Aktivitäten ist u.a. die Entwicklung eines gewerkeübergreifenden Praxis-Leitfadens für die Einführung und Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung in kleinen und mittleren Handwerksunternehmen in OWL, der in Kürze
(2009) zur Verfügung stehen wird.
In diesem Verbund arbeiten also Gesundheitseinrichtungen, Gesundheitsexperten
aus den verschiedenen Partnerbereichen wie dem LIGA.NRW und den Universitäten untereinander vernetzt zusammen, um innovative und zukunftsweisende Angebote der Gesundheitsförderung in verschiedenen Kompetenzfeldern zu formulieren
und umzusetzen.
179
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ZIG und LIGA.NRW lassen sich somit als wichtige Entwicklungspartner für die Gesundheitsregion OWL identifizieren. Wobei das ZIG entsprechend seiner Gründungsintention und -geschichte den gesundheitswirtschaftlichen Bereich repräsentiert. So haben vor 9 Jahren Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, Kliniken,
Verbände, Kammern und Hochschulen ihre Interessen im „Verein zur Förderung
von Innovationen in der Gesundheitswirtschaft OWL e.V.“(dem Träger des ZIG) mit
dem Ziel zusammengeführt, die Unternehmensentwicklung durch gemeinsame, innovative Projekte und Maßnahmen zu fördern sowie die Region in ihrer Kompetenz
für Gesundheit und Gesundheitswirtschaft zu profilieren. Mittlerweile hat sich dieser
Verbund unter Koordination des ZIG zu einem entscheidenden Inkubator und Motor
der regionalen Standortentwicklung in der Gesundheitswirtschaft entwickelt.
Durch die Partnerschaften im Handlungsfeld Wissenstransfer, koordiniert in den Arbeitsgruppen Rehabilitation und Heilbäder sowie betriebliche Gesundheitsförderung,
ist es möglich, dass auf der Grundlage der Netzwerkaktivitäten des LIGA.NRW sein
Know-how-Input für die Gesundheitsregion auch im Bereich der Gesundheitsförderung des Gesundheitswesens sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung als ein
wichtiger Impulsgeber Eingang finden kann, um somit zur Verbesserung des regionalen Gesundheitssektors beizutragen. Eine solchermaßen sich über viele Schnittstellen im Netzwerk erstreckende, intensive Kooperationsstruktur kommt also der
Gesundheitsregion ebenso zugute, wie sie letztlich auch inhaltlich-thematisch mit
ihren Forschungsergebnissen ein Korrektiv für den öffentlichen Bereich gegen eine
zunehmende und immer unkontrollierbarer werdende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens durch die überformenden Kräfte der Gesundheitswirtschaft darstellt. Gerade in dieser Hinsicht sind eingespielte und damit äußerst effiziente Forschungs- und Kommunikationsnetzwerke, wie sie derzeit bestehen unverzichtbar.
Auch am LIGA.NRW-Standort Münster existiert eine über lange Jahre gewachsene
und überaus erfolgreiche Vernetzung mit dem kommunalen ÖGD, den Forschungseinrichtungen (Universität Münster und CVUA Münster) und der Apothekerkammer.
Das LIGA.NRW am Standort Münster leistet einen erheblichen Input für die regionalen Forschungs- und Lehreinrichtungen, wobei zu sehen ist, dass diese Kooperationsstruktur ebenfalls stark interdependent ist. Aufgrund der Zusammenarbeit mit der
Universität Münster gelingt es, Praktikumsstellen für Studenten seitens des LIGA.NRW anzubieten. Ebenso werden Doktoranden Forschungsmöglichkeiten eingeräumt. Überdies ist eine Zusammenarbeit von Mitarbeitern des LIGA.NRW und
180
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
der Universität in gemeinsamen Projekten sichergestellt. Aktuellstes Beispiel hierfür
aus dem Bereich Sozialpharmazie ist ein Projekt zur Arzneimittelversorgung von
Heimbewohnern.
Des Weiteren ergaben die Interviews, dass die Zusammenarbeit mit der Lehre an
der Universität Münster aufgrund der Nähe beider Einrichtungen sehr gut funktioniert. Beispielsweise werden Vorlesungen von Mitarbeitern des LIGA.NRW abgehalten, so u.a. im Bereich Klinische Pharmazie/ Pharmakovigilanz.
In diesem Kontext ist zu sehen, dass die Ausbildung der Studenten in Forschung
und Lehre aufgrund der funktionierenden Kooperationsstrukturen zwischen der Universität und dem LIGA.NRW gegenüber der Ausbildungssituation an anderen Universitäten einen qualitativen Vorteil bzw. einen deutlichen Mehrwert aufweist. Denn
für Studenten der Pharmazie ist es normalerweise nicht üblich, ihre vorgeschriebene
Famulatur und ihr praktisches Jahr in einer Arzneimitteluntersuchungsstelle durchzuführen. Die meisten Studenten, richten sich auf die Apotheken aus. Mit dem
Standort Münster ergibt sich für Studenten, die auch institutionell umsetzbare Chance, die Arbeit in der Arzneimitteluntersuchungsstelle oder im Bereich Sozialpharmazie kennenzulernen. Dieses niedrigschwellige Angebot der Horizonterweiterung
kann als ein Alleinstellungsmerkmal des Pharmaziestudiums in Münster gegenüber
anderen Universitätsstädten wie Düsseldorf oder Bonn betrachtet werden, da Studenten dort nicht auf ein solches Angebot zurückgreifen können. So besteht aufgrund der Kooperation mit der Universität Münster die Möglichkeit, dass Studenten
der Pharmazie oder Chemie in Zeiten, in denen die Freisetzungsanlage der Arzneimitteluntersuchungsstelle nicht genutzt wird, von diesen verwendet werden darf,
z.B. im Rahmen einer Diplom- oder Doktorarbeit.
Insofern bildet diese auf mehreren Ebenen gelagerte erfolgreichen Zusammenarbeit
von LIGA.NRW und Universität Münster ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, dass
zum einen eine verbesserte Qualifikation der Pharmazeuten ermöglicht und zum
anderen die Attraktivität des Studienortes Münster und damit der Gesundheitsregion
Münsterland steigert.
Bei einer Verlagerung ins Ruhrgebiet wird es diese Niedrigschwelligkeit über lange
Jahre nicht mehr geben. Außerdem darf nicht übersehen werden, das das LIGA.NRW auch im Ausbildungsbereich tätig ist. Allerdings würde die Ausbildung von
Pharmaziepraktikanten und Famulanten wahrscheinlich entfallen, da es im Ruhrge-
181
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
biet keine Universität mit dem Studiengang Pharmazie gibt. Somit ist davon auszugehen, dass sich für Auszubildende und Studenten die Situation stark verschlechtern wird.
Aber auch für die Arzneimitteluntersuchungsstelle und für den Bereich Sozialpharmazie dürfte sich die Situation nachhaltig verschlechtern, da interessierte Studenten
nicht mehr im gleichen Maße die Möglichkeit erhalten, die Arbeit im LIGA.NRW
kennenzulernen. Mit großer Wahrscheinlichkeit verliert dadurch das LIGA.NRW die
Chance, besonders motivierte zukünftige Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit im
Öffentlichen Gesundheitsdienst zu interessieren. Angesichts der bedenklichen
Nachwuchssituation im Öffentlichen Gesundheitsdienst wird damit eine große
Chance vertan, besonders motivierte und interessierte Nachwuchskräfte zu rekrutieren.
Ein weiteres wichtiges Netzwerk besteht in der Vernetzung der Arzneimitteluntersuchungsstelle mit dem Chemischen Landes- und staatlichen Veterinäruntersuchungsamt (CVUA).
Vor dem Hintergrund, dass bis Dezember 1994 die Arzneimitteluntersuchungsstelle
eine Abteilung des CVUA war, ergeben sich gerade aus dieser Kooperation erhebliche Synergiegewinne. So besteht eine langjährige Zusammenarbeit mit dem CVUA
sowohl in den Bereichen Analytik, als auch im fachlichen Austausch u. a. zu rechtlichen Angelegenheiten. Des Weiteren werden nach wie vor bestimmte Fachliteratur
gemeinsam genutzt.
Diese Synergieeffekte würden durch die Verlagerung nachhaltig geschädigt, wenn
nicht sogar langfristig zerstört. Dies würde sich überaus nachteilig auf die Qualität
der Arbeit des LIGA.NRW auswirken. Im Bereich der Aufgabenerfüllung der Arzneimitteluntersuchungsstelle wäre ein Verlust an Effektivität zu beklagen. Denn würde
die Zusammenarbeit mit dem CVUA, wie oben bereits beschrieben, durch eine Verlagerung des LIGA.NRW konterkariert, so würde dies dazu führen, dass eine Kooperation nur noch fernmündlich oder per E-Mail möglich wäre. Bislang war es Usus,
dass in den nicht sehr wenigen, sehr dringenden Fällen, wo schnellstmöglich untersucht werden musste, die Proben von den Mitarbeitern persönlich in das CVUA gebracht und die Art der Untersuchung mit dem dortigen Fachmann besprochen wurde. Dies wird nach der Konzentration der Arzneimitteluntersuchungsstelle am Gesundheitscampus nicht mehr der Fall sein. Darunter leidet die gesamte bisherige
182
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Effizienz des Bereiches, da es keine, die Effektivität sichernde Synergieeffekte mehr
mit dem CVUA gibt. Ein weiterer Vorteil der auf mehreren Ebenen gelagerten Kooperation der Arzneimitteluntersuchungsstelle mit der Universität Münster besteht für
die Arzneimitteluntersuchungsstelle darin, NMR-Messungen an der Universität
durchführen zu lassen. NMR-Geräte und deren Betrieb sind extrem teuer. Da diese
Untersuchung nur selten anfällt, ist die Anschaffung eines solchen Gerätes für die
Arzneimitteluntersuchungsstelle nicht vertretbar.
Sowohl die Vernetzung mit der Universität Münster, als auch mit der CVUA ist gekennzeichnet durch kurze Wege der Kommunikation und Kooperation. Dieses, die
eigentlichen Synergieeffekte generierende Prinzip, würde mit der Verlagerung zum
Campus fortfallen, wodurch eine effiziente und zeitnahe Aufgabenerledigung vereitelt würde. Daran zeigt sich erneut, dass eine effiziente öffentliche Einrichtung ihre
Effizienz nicht durch verstärkte Kosteneinsparung nach dem Modell der schlanken
Verwaltung erlangt, sondern durch die Synergiegewinne, die durch das Zusammenspiel der regionalen Akteure vor Ort und die Netzwerkqualität garantiert werden, die
den schnellen Austausch von Informationen und die kostengünstige gemeinsame
Nutzung von Analysetechnik ermöglicht.
Bei einer Verlagerung an den neuen Standort im Ruhrgebiet allerdings, werden die
Schnittstellen zur Universität Münster und zum CVUA unwiederbringlich verloren
gehen und zudem keine neuen Schnittstellen zu irgendeinem relevanten Kooperationspartner mehr bestehen.
An den bislang aufgezeigten Vernetzungen, die das LIGA.NRW an den Standorten
Bielefeld mit der Gesundheitsregion OWL und der kommunalen Ebene sowie am
Standort Münster mit der Kommune und der Gesundheitsregion Münsterland aufweist, lässt sich ermessen, dass eine Überführung und damit Herauslösung des LIGA.NRW aus den regionalen Clusterstrukturen mit all ihren vielfältigen Aktivitäten
einerseits zu einem erheblichen Know-how Verlust für die Region und den kommunalen ÖGD, andererseits ebenso auch zu einem Verlust wesentlicher wissenschaftlicher wie Expertisenressourcen des regionalen Umfeldes für das LIGA.NRW selbst
führen würde.
Angesichts der dadurch zerstörten Ressourcen und des Verlustes an Synergieeffekten stellt sich eine Verlagerung des LIGA.NRW als eine eher schädliche Intention
der Landesregierung bezüglich des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens
183
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
dar, da ein LIGA.NRW mit einem nur noch unzureichenden Leistungsportfolio künftig nur noch sehr eingeschränkt in der Lage sein wird, jene wesentlichen Impulse für
die Entwicklung des Gesundheitswesens zu vermitteln, wie es das ÖGDG NW als
Aufgabe einer solchen Landeseinrichtung vorsieht.
Allerdings existiert im Nexus mit der geplanten Verlagerung und Konzentration der
LIGA.NRW Standorte an den zentralen Ort des Gesundheitscampus (Bochum) eine
weitere, die Aufgabenwahrnehmung des LIGA.NRW noch weit stärker, weil nachhaltiger tangierende Tendenz, die zu deutlichen Qualitätseinbußen bei den Arbeitsergebnissen, Einschränkungen bei der Aufgabenerfüllung bis hin zu einem Aufgeben
ganzer Aufgabengebiete führen könnte. Diese Entwicklung resultiert aus der mit der
Verlagerung erfolgenden, weitgreifenden Personalfluktuation und dem daraus resultierenden Expertiseverlust.
Das Problem lässt sich exemplarisch für das gesamte LIGA.NRW an den Standorten Münster, Düsseldorf und Bielefeld an der Aufgabenkritik des Institutes für Verwaltungswissenschaften im Hinblick auf die Diskussion der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die AUST in Münster aufzeigen. Die Aufgabenkritik kommt zu dem Ergebnis, dass unter der Perspektive der formalen Zweckkritik eine „vollständige Übertragung der Aufgaben auf einen anderen öffentlichen Träger“ durchaus möglich
ist.133
Wie bereits erörtert, lassen sich bezüglich dieses Ergebnisses nun eine Reihe von
Optionen durchspielen, wobei die Fortführung der AUST als Fachbereich des LIGA.NRW und seine Verlagerung an dessen neuen Standort auf dem Gesundheitscampus NRW der Wunschvorstellung der Landesregierung entspricht. Wie die Aufgabenkritik hinsichtlich dieser Option deutlich macht, wären - nach Meinung der IfVAutoren - damit auch erhebliche Synergien, insbesondere beim Verwaltungsaufwand und durch die gemeinsame Nutzung eines zu organisierenden Laborbereiches
für alle LIGA.NRW-Aufgaben bei den Kostenstellen „Beschaffung“ und „Labor- Management“ realisierbar. Diese Konsequenz darf zumindest angezweifelt werden, da
sich erhebliche Synergieeffekte schon aus der bisherigen sehr effizienten Zusammenarbeit der AUST mit dem CVUA Münster ergeben, deren Laborbereiche auf die
jeweiligen Aufgabenstellungen aufgrund der ehemaligen funktionalen Einheit beider
Institutionen optimiert sind. Überdies sind die möglichen Synergiepotenziale im
133
Nigman/Dahs 2008, a.a.O., S.35.
184
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Verwaltungsbereich mittlerweile schon längst ausgereizt worden. Denn durch die
Zusammenlegungen von LÖGD und LAfA wurden sämtliche, im Hinblick auf eine
relativ friktionslose Funktionsweise des LIGA.NRW noch vertretbaren, erzielbaren
Synergieeffekte bereits durch die Verlagerung von 40 Stellen aus den beiden ehemaligen Verwaltungsabteilungen schon erreicht. Ein weiteres Abschmelzen des
Personalbestandes, sei es im Verwaltungsbereich oder in den Fachabteilungen, ist
im Hinblick auf die zu gewährleistende Aufgabenerfüllung des LIGA.NRW insgesamt
nicht mehr vertretbar.
Mit welchen negativen Folgen der unternehmensgemäß betriebene Umbau des LIGA.NRW analog der Trias aus Personaleinsparung, Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung schon derzeit mit dem ÖGD korreliert, lässt sich exemplarisch an
der angegriffenen Position des für den Verbraucherschutz und die Gesundheitsförderung so wichtigen Bereiches der Sozialpharmazie aufweisen
10.5 Der Bereich Sozialpharmazie im Rahmen der LIGA.NRWVerlagerung
„Arzneimittel müssen sicher sein. Auf die gute Qualität der Produkte muss sich der
Anwender verlassen können. Aber auch Arzneimittel von hoher Qualität können Gefahren verursachen, wenn sie falsch eingesetzt werden. Der Fachbereich Sozialpharmazie arbeitet zusammen mit anderen Beteiligten daran, die Arzneimittelanwendungssicherheit zu verbessern. Die Fachgruppe Sozialpharmazie unterstützt
dabei überregionale Projekte der Landesregierung sowie kommunale Projekte der
Kreise und kreisfreien Städte. Zusammen mit Amtsapothekerinnen und Amtsapothekern wird der Arzneimittelkonsum der Bevölkerung beobachtet, dokumentiert,
analysiert und bewertet. Aus diesen Ergebnissen werden Aufklärungsmaßnahmen
für einen verantwortungsvollen Einsatz von Arzneimitteln abgeleitet. Auch die Bekämpfung des Drogen- und Medikamentenmissbrauchs sowie Fragen der Heilmittelwerbung sind Themen des Arbeitsgebietes. Dabei werden wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen weitergeleitet, Konzepte und Strategien
entwickelt, Projekte initiiert und begleitet, Methoden entwickelt und Kooperationen
vermittelt.
Der Bereich Sozialpharmazie im LIGA.NRW berät und unterstützt in sozialpharmazeutischen Fragen die Amtsapothekerinnen und Amtsapotheker in den Kreisen und
kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen bei der Konzipierung und Durchführung
185
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
von kommunalen Projekten sowie das für das Gesundheitswesen zuständige Landesministerium bei überregionalen Projekten. Dazu werden die verfügbaren Daten
des Arzneimittelmarktes und Informationen über den Arzneimittelgebrauch in der
Bevölkerung gesichtet und, wo gewünscht, zur Verfügung gestellt. Die Fachgruppe
ist zudem bei der Erstellung von Informations- und Aufklärungsmaterial über Arzneimittel behilflich.“ (LÖGD)
Allein die jüngsten Meldungen zu Erkenntnissen der Arzneimittelsicherheit und vor
allem der Erkenntnisse im Forschungsfeld der Sozialmedizin verdeutlichen die immense Relevanz, die gerade diesem Forschungs- und Handlungsbereich im Rahmen der Aufgabenstellungen des ÖGD zuerkannt werden muss.

30.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Die dänische Arzneimittelbehörde warnt vor Tamiflu-Fälschungen.

28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Verbraucherzentrale warnt vor Nahrungsergänzungsmitteln

28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Programm zur
Cannabis-Prävention erfolgreich umgesetzt

28.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Methamphetamin:
Partydroge schädigt fetale Hirne

20.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: BfArM warnt vor
einem dubiosen Produkt zur Gewichtsabnahme aus dem Internet („Apfeltabletten“ bzw. „FSS® - Fat slimming show“

17.04.2009 Arzneimittelsicherheit
und
Sozialpharmazie:
Warnung
vor
Chuan Xiong Chao Tiao Wan Pills

08.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Warnung vor dem
TCM Produkt „Jia Yi Jian"

03.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Keine Pharmawerbung durch Dritte

03.04.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie: Kinderärzte warnen vor Antibiotikaresistenzen
186
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht

31.03.2009 Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie Zehn Warnzeichen
für Quacksalberei. Geheime Indianerrezepte gegen Krebs, garantierte Heilung ohne jede Nebenwirkung -"Wundermittel" versprechen viel, was sie
nicht halten können. Wer die teuren Fehlgriffe vermeiden will, sollte sich vom
Apotheker beraten lassen. Hier zehn Punkte, an denen Verbraucher Quacksalberei erkennen können134.
Ebenso wie die Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung nimmt
auch die Sozialpharmazie eine wichtige Stellung im ÖGDG ein. § 20 „Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie“ führt dazu Folgendes aus:

Der Arzneimittelverkehr auf örtlicher Ebene wird von der unteren
Gesundheitsbehörde (Amtsapothekerin/Amtsapotheker) überwacht.

Die untere Gesundheitsbehörde (Amtsapothekerin/Amtsapotheker) soll mit
Unterstützung des Landesinstituts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst
anhand der ihr zur Verfügung stehenden Daten den Arzneimittelkonsum der
Bevölkerung beobachten, dokumentieren, analysieren und bewerten. Sie
kann dazu Erhebungen durchführen. Auf dieser Grundlage soll sie die Bevölkerung über einen verantwortlichen Arzneimittelkonsum aufklären, informieren und beraten sowie an der Bekämpfung des Drogen- und Arzneimittelmissbrauchs mitwirken.“ (ÖGDG).
Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsförderung und Prävention sowie Arzneimittelüberwachung und Sozialpharmazie bilden im Hinblick auf die grundlegenden
Aufgaben, die der ÖGD und damit das LIGA.NRW im Rahmen der Verwirklichung
der gesundheitspolitischen Zielstellungen („Die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, zu verbessern und die dazu notwendige Infrastruktur zu gewährleisten“) eine
Funktionseinheit, von deren effektiven Zusammenspiel letztlich die Qualität der Verbesserung des Gesundheitswesens und darüber hinausreichend in einem gesellschaftlich noch umfassenderen Sinne, die Gesundheit der Bevölkerung abhängt.
Das Spektrum reicht von der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, umweltbezogener und sozialpharmakologisch orientierter GBE, über Fragen der Suchtprävention und Lifestylemedikamente, der betrieblichen Gesundheitsförderung, der
praktischen Arbeitsmedizin bis hin zu Themenfeldern der medikamentösen Primär134
Quelle: LIGA.NRW: www.loegd.nrw.de (21.05.2009).
187
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
prävention und der Beschäftigungsförderung als präventivem Modell im Rahmen
grundlegender Forschungsfelder der Sozial- und Arbeitsmedizin zu Themenkomplexen der Arbeit, Armut und Gesundheit. Die Valenz, die der Sozialpharmazie in diesem Spektrum zukommt, spiegelt sich gerade auch im ÖGD wider.
Mit der Aufnahme der Sozialpharmazie in das Aufgabenspektrum des ÖGD ging
beispielhaft ein Paradigmenwechsel einher, der den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen der letzten Jahrzehnte Rechnung trägt. Wobei sich die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse der letzten 50 Jahre in den Begriffen Selbstbestimmung, Bürgerorientierung, Partizipation und Demokratisierung als die wesentlichen
Eckpunkte dieser Entwicklung andeutungsweise skizzieren lassen. Signifikant und
induzierend für diese Entwicklung sind die Handlungsstrategien, auf die sich die
WHO-Staaten im Bereich der Gesundheitsförderung (Ottawa-Charta 1986) verständigt haben.
Hierzu gehören das

anwaltschaftliches Eintreten für bedürftige Bevölkerungskreise,

Empowerment,

Vermitteln und Vernetzen, so z.B. von professionellem Handeln, von bürgerschaftlichem Engagement, von Politik, Versorgung und Bildung.
Als eines der relevanten Handlungsfelder in dieser Dimension lässt sich die Neuorientierung der Gesundheitsdienste identifizieren, da diese den gesellschaftlichen
Veränderungen mit einem entsprechend neu orientierten Leistungsbereich gerecht
werden mussten und die tendenziell neuen Entwicklungen mit den in ihnen angelegten Potenzialen der Selbstbestimmung, Partizipation und Stärkung der Gesundheit
aktiv im bürgerschaftlichen Sinne voranzutreiben hatten. Analog dazu entwickelte
sich in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts im
wissenschaftlichen Bereich - den Aufschwung der Neudefinition der Gesundheitsförderung begleitend - die akademische Disziplin Gesundheitswissenschaften / Public Health, wobei die Zusammenarbeit mit dem ÖGD als besonders sinnvoll und
notwendig betrachtet wurde. Ausdruck dieses Paradigmenwechsels ist die Erweiterung des Aufgabenspektrums des ÖGD.
Denn nunmehr treten neben den traditionellen Aufgaben des ÖGD - Medizinalaufsicht über Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Gesundheitsschutz
188
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
einschl. Umwelthygiene, Gesundheitsförderung und- vorsorge sowie Gesundheitshilfe, dort wo sie notwendig ist (sozialkompensatorischer Auftrag), gutachterliche
Tätigkeit und Epidemiologie - in jüngerer Vergangenheit neue Aufgabenfelder für
den kommunalen ÖGD hinzu. Dies ist bedingt durch eine Änderung des Krankheitsspektrums (von den Infektionskrankheiten zu den chronischen Volkskrankheiten),
das nach komplexeren Versorgungsstrukturen verlangt, wobei diese komplexeren
Versorgungsstrukturen auch eine anspruchsvollere Moderation verlangen. So entstehen neue Herausforderungen an die Moderation und Vernetzung von Präventions- und Versorgungsleistungen. Ebenso zeigt sich, dass die Entwicklung des ÖGD
dahin geht, dass die Gesamtlage der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung
stärker fokussiert wird, dies auch unter Berücksichtigung einzelner Bevölkerungsgruppen und ihrer Problemlagen.
So werden beispielsweise mit epidemiologischen Methoden und den Instrumenten
einer modernen Gesundheitsberichterstattung Situationen vor Ort analysiert und mit
den Betroffenen nach Lösungsstrategien gesucht. Tendenziell führt dies dazu, dass
neben den klassischen Aufgabenfeldern des ÖGD (Kontroll- und Überwachungsaufgaben bis hin zum Risikomanagement) die strategische Planung in Form der Organisation von Kooperationsbeziehungen - unter allen im Gesundheitsbereich tätigen Akteuren - zunehmend an Bedeutung gewinnt. Seien es professionell tätige Akteure, Institutionen oder BürgerInnen, die an der Verbesserung des gesundheitlichen Angebotes, der Schließung von Versorgungslücken, einer gesundheitsbezogenen Verbesserung der lokalen Verhältnisse oder an der Partizipation der Bürger
hinsichtlich eines effizienten Einsatzes der Ressourcen des Gesundheitswesens
und seiner Angebote interessiert sind.
Angesichts dieser Öffnung des ÖGD für eine den Veränderungsprozessen und damit den aus den gesellschaftlichen Bedürfnissen resultierenden neuen Herausforderungen angemessene Veränderung des Leistungsportfolios, wird auch der Handlungsbereich Sozialpharmazie immer relevanter. War die Sozialpharmazie im traditionellen Aufgabenkatalog des ÖGD noch nicht enthalten, wurde nunmehr mit dem
ÖGDG ihre gesellschaftliche Bedeutung im Hinblick auf die Gesundheitsförderung
und -vorsorge anerkannt, da sich im Laufe der Zeit auch die Erkenntnis durchsetzte,
dass Gesundheit und Krankheit unter etlichen anderen Bedingungen auch sozial
determiniert sind.
189
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Ein wesentlicher Aspekt der Daseinsfürsorge im Gesundheitswesen wird für den
Bürger gerade durch die Sozialpharmazie abgedeckt. Zum einen, indem sie Apotheken und Einzelhandelsbetriebe ebenso überwacht wie den Verkehr mit Arzneimitteln auf kommunaler Ebene. Zum anderen beteiligt sich die Sozialpharmazie an
der Klinischen Prüfung von Arzneimitteln. Wenn in der ideologischen Diktion der
freien Marktwirtschaft vom mündigen Verbraucher die Rede ist, so zeigt der Aspekt
der Arzneimittelsicherheit die Grenzen dieses Konstruktes. Transparenz über die
Indikation und Wirkungsweise sowie über die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen
von Arzneimitteln lässt sich für den Verbraucher ebenso wenig ermitteln, wie er
Markttransparenz über die Kostenstruktur eines marktgängigen Medikamentes gewinnen kann. Dies aber leistet die Sozialpharmazie sowohl im Rahmen des LIGA.NRW in ihrer Beratungs- und Leitstellenfunktion, als auch die im Rahmen des
ÖGD tätigen Amtsapothekerinnen und Amtsapotheker. Insofern ist die Sozialpharmazie ein wesentliches Instrument der Arzneimittelsicherheit wie auch des Verbraucherschutzes.
Bei der Wahrnehmung dieser wichtigen Aufgabe ist die Sozialpharmazie auf Informationen und Daten aus den unterschiedlichsten arzneimittelrelevanten Bereichen
angewiesen, woraus ersichtlich wird, dass sie deshalb auf die Gesundheitsberichterstattung angewiesen ist. Fragen nach den Konsumenten von Arzneimitteln, nach
deren Applikationsroutinen, nach den Möglichkeiten einer optimalen Medikation,
nach dem Stellenwert von Alter, Geschlecht und Befindlichkeitszustand bei der Medikation sowie der Gefahren von Arzneimitteln, selbst bei adäquater Verabreichung,
nach der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln etc., lassen sich nur beantworten,
wenn alle diesbezüglichen Datensätze - bis auf die kommunale Ebene oder Kreisebene heruntergebrochen - vorliegen.
Da dies aus finanziellen Gründen nicht von den Amtsapothekerinnen und Amtsapothekern zu leisten ist, bedarf es der Kooperation mit der KGK und der Gesundheitsberichterstattung, um hier belastbare Daten zu erheben und auszuwerten.. Entsprechend umfangreiche Befragungen und Studien wurden so vom LÖGD und dem jetzigen LIGA durchgeführt. Die daraus gewonnen Erkenntnisse dienen der Aufklärung, Information und Beratung (s. ÖGDG). Ob es sich um Themenfelder wie Arzneimittelkonsumverhalten, Nahrungsergänzungsmittel oder Präparate aus anderen
Therapiekulturkreisen handelt, grundsätzlich dienen die gewonnenen Erkenntnisse,
insbesondere wenn sich eine Gefahrenlage abzeichnet und verdichtet, der direkten
190
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Information der im Gesundheitswesen tätigen Akteure (Ärzte, Apotheker, Behörden)
sowie der Bevölkerung. Als Multiplikatoren dienen alle am Gesundheitswesen beteiligten Institutionen (Behörden, Ärztekammern), Heilberufe und Selbsthilfegruppen.
Als Kanäle dienen Informationsmaterialien, die Medien sowie vermehrt auch das
Internet mit den Internetauftritten des LIGA.NRW ebenso wie der Gesundheitsämter.
Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung über die Risiken von Arzneimitteln und Drogen
sind auf der Grundlage von Forschung und Analyse entscheidende Aufgaben, die
die Sozialpharmazie im Rahmen des ÖGD wahrzunehmen hat. Die Überwachung
des Arzneimittelverkehrs und die Arzneimitteluntersuchung und -überwachung ergänzt die Tätigkeiten der Sozialpharmazie im Sinne des Verbraucherschutzes.
Die Sozialpharmazie bietet mithin die Möglichkeit, nicht allein durch Überwachungsmaßnahmen Verstöße der Anbieter zu suchen (wie es Aufgabe der AUST
ist), sondern das pharmazeutische Fachwissen zu nutzen, um in Zusammenarbeit
mit anderen Berufsgruppen Probleme zu erkennen und zu behandeln. Darauf aufbauend kann dann daran mitgearbeitet werden, im Sinne des Verbraucherschutzes,
die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, selbst zu erkennen, wo Gefahren bestehen und wie man sie vermeidet. Letztlich lässt sich so durch Überwachung und Sozialpharmazie mit den vorhandenen Mitteln ein Optimum für den Verbraucherschutz
erreichen.
Insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Verbraucherschutzes ist eine
interkommunale Zusammenarbeit und eine Vernetzung von Fachwissen über die
einzelnen KGK hinaus sinnvoll. Denn nur so werden auch überregionale Projekte
mit Amtsapothekern aus anderen Kreisen oder kreisfreien Städten möglich. Hierbei
werden der gemeinsame Diskurs und die Vernetzung wichtig. Auf ihrer Basis lassen
sich dann von ins Leben gerufenen Projektgruppen Projekte konzipieren, einheitliche Erfassungsinstrumente erstellen und Daten gemeinsam auswerten. Die Zusammenarbeit mit dem LIGA.NRW bietet die Voraussetzung, dass die Aufgaben gut
vorbereitet und die Ergebnisse mit denen aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich
verglichen werden können. Dies macht die Schlüsselstellung des Bereichs Sozialpharmazie im LIGA.NRW für den Gesundheits- und Verbraucherschutz in seiner
Koordinationstätigkeit und seinen wissensbasierten Inputs für eine interregional und
interkommunal, wie auch übergreifend institutionell erfolgreiche Zusammenarbeit
und Projekttätigkeit deutlich. Ohne den Bereich Sozialpharmazie im LIGA.NRW wä-
191
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
ren die Arzneimittelsicherheit, ein verantwortlicher Umgang mit Arzneimitteln sowohl
beim Patienten selbst, als auch auf der Ebene von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sowie der Verbraucherschutz und die Prävention in Form der Kompetenzstärkung des Verbrauchers nachhaltig negativ betroffen.
Angesichts der Bedeutung, die der Bereich Sozialpharmazie im Rahmen des ÖGD
einnimmt, sollte der nordrhein-westfälischen Landesregierung daran gelegen sein,
sofern sie ihre Führungsrolle, die sie mit dem ÖGDG und seiner Umsetzung gegenüber allen anderen Ländern im Bund anstrebte, nicht gefährden möchte, diesem
Bereich die erforderlichen Ressourcen für eine optimale Leistungsentwicklung bereitzustellen.
Wie unsere Interviews ergaben, sieht die Realität im Hinblick auf die Sozialpharmazie allerdings gänzlich anders aus.
Statt diesen - gerade auch für den Verbraucher eminent wichtigen Bereich - weiter
auszubauen, sind Einsparungen für die Sozialpharmazie vorgesehen. So ist derzeit
ein - die Arbeitsweise der Sozialpharmazie gefährdender weiterer Stellenabbau geplant. Dies führt zu einer katastrophalen Schieflage im Hinblick auf den gesamten
Arbeitsablauf in diesem Bereich, da gerade in Zeiten, in denen bei Projekten Daten
anfallen, diese auch im LIGA.NRW zeitnah erfasst und ausgewertet werden müssen. Dies ist aufgrund einer solchen Personalreduktion nicht mehr gewährleistet.
Vielmehr wirkt sich die durch Tätigkeiten in der Arzneimitteluntersuchungsstelle veranlasste Arbeitszeitreduzierung äußerst kontraproduktiv auf die Arbeitsweise der
Sozialpharmazie aus, da dies zu einer Verlängerung der Auswertungszeiten führt
und damit ebenso zu einer Verschlechterung der Projektergebnisse.
Neben der Personalreduzierung wird zudem auch noch der Status der Sozialpharmazie selbst in Frage gestellt. So wurde veranlasst, die bisherige Fachgruppe Sozialpharmazie aufzulösen und den Bereich Sozialpharmazie als eine Untereinrichtung
bzw. Untergliederung der Arzneimitteluntersuchungsstelle im LIGA.NRW weiterzuführen. Kontraproduktiv ist dies deshalb, da sich auch die Kommunen dadurch veranlasst sehen könnten, im Zuge von Sparmaßnahmen den nun in seiner Reputation
beschädigten Bereich Sozialpharmazie aus dem ÖGD zu entfernen. Dies hätte jedoch zur Folge, dass NRW schließlich seine Spitzenposition im ÖGD gegenüber
anderen Bundesländern verlieren würde. Auf der Strecke blieben das nordrheinwestfälische Gesundheitswesen und insbesondere die Verbraucher in NRW, denn
192
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
die Chancen, die sich aus der Kombination der Arzneimittelüberwachung mit der
Sozialpharmazie - wie weiter oben beschrieben - für die Menschen ergeben, werden
dann nicht mehr weiter genutzt werden können. Die Konsequenz wäre eine massive
Einschränkung des Verbraucherschutzes im Bereich Arzneimittelsicherheit. Überdies würden maßgebliche Potenziale hinsichtlich der Chancen einer Verbesserung
im Arzneimittelmarkt wie auch eines verbesserten Umgangs der Patienten mit Arzneimitteln verspielt.
Eine solche Entwicklung ließe sich nur dadurch umkehren, dass strategisch insofern
umgedacht wird, dass seitens der Politik verstärkt Mittel für einen Ausbau der Sozialpharmazie eingestellt werden. Damit ließe sich erreichen, dass über den Verbraucherschutz hinaus auch noch Möglichkeiten erschlossen werden könnten, die sozialmedizinischen und sozialwissenschaftlichen Aspekte und Ziele des Gesamtinstituts extensiver zu bearbeiten und umzusetzen. Überdies wäre es durch Personalund Mittelaufstockungen möglich, auch aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen in den Gesundheitswissenschaften aufzugreifen, wie beispielsweise die Versorgungsforschung. Die Erkenntnisse aus dem Bereich Arzneimittel im Rahmen
dieses - auch seitens der Landesregierung als äußerst wichtig betrachteten Forschungs- und Handlungsfeldes - ließen sich seitens der Sozialpharmazie aufgreifen
und aufgrund der Netzwerke in der Verzahnung von Sozialpharmazie und Öffentlichem Gesundheitsdienst landesweit verbreiten.
Diese Chancen für das Gesundheitswesen werden verspielt, wenn es bei der gegenwärtigen Herabstufung der Sozialpharmazie und der personell äußerst unbefriedigenden Situation bleibt. Derzeit jedoch ist zu befürchten, dass sich die Situation
für die Sozialpharmazie im Rahmen der Verlagerung eher noch verschlechtern dürfte, da - wie die Interviews verdeutlichten - davon auszugehen ist, dass ca. 40% der
Mitarbeiter des Gesamtbereiches Arzneimitteluntersuchungsstelle den Standortwechsel nicht mit vollziehen werden.
Damit ist die immense Gefahr gegeben, dass die Sozialpharmazie in Folge der Verlagerung an den Standort Gesundheitscampus weiter personell ausgehöhlt werden
wird, da die vakanten Stellen in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Arzneimitteluntersuchung ausgeglichen werden müssen. Sollte dies tatsächlich geschehen, so würde dies für die Sozialpharmazie bedeuten, dass sich dieser Bereich aus
organisatorischen Gründen nicht mehr weiter aufrechterhalten lässt. Insofern würde
die Verlagerung des LIGA.NRW für die Sozialpharmazie das Aus bedeuten, un-
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
geachtet der Tatsache, dass im Gutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaften unter dem Aspekt der strategischen Bewertung für eine unveränderte Fortführung dieser Aufgabe plädiert wird.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Verlagerung und Konzentration der dezentralen Standorte des LIGA.NRW nicht nur die Synergieeffekte der Netzwerke
zerstört, sondern schon im Vorfeld und bei Realisierung der Idee Mitarbeiter an den
dezentralen Standorten dazu zwingt, ihr Beschäftigungsverhältnis aufzugeben, wodurch die Leistungsfähigkeit des ÖGD in irreparabler Weise geschädigt wird.
Dass, wie das Institut für Verwaltungswissenschaften in seinem Schlussgutachten
bzgl. der Wirtschaftlichkeitsüberlegungen hinsichtlich der AUST deutlich macht, „ein
erheblicher Teil des Personals nicht zu einem Standortwechsel in die Ruhrregion
bereit“ sei, ist übertragbar und generalisierbar für alle Standorte des LIGA.NRW.
Ebenso wie die Konsequenz, die im Rahmen der Aufgabenkritik durchaus realistisch
gesehen wird.
Falls - und damit ist angesichts der Beschäftigungssituation wie sie derzeit für die
LIGA.NRW Mitarbeiter gegeben ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu rechnen - eine Verlagerung stattfinden sollte, gleichgültig welche Bereiche davon betroffen sein mögen (ob das Zentrum für Gesundheit in der Arbeit, das
Zentrum für die Öffentliche Gesundheit oder die Stabsstellen), so ist damit zu rechnen, dass - wie an der AUST exemplarisch aufgewiesen wurde - über die gesamte
Aufgabenbreite und -tiefe in der das LIGA.NRW aufgestellt ist, die Arbeitsfähigkeit
so tangiert würde, dass eine Wiederherstellung kaum mehr - bzw. auf keinen Fall
mehr zeitnah - möglich sein dürfte.
Denn durch die Zwangsverlagerung der Einrichtungen wird das LIGA.NRW massive
Know-How-Verluste hinnehmen müssen, da nur wenige Mitarbeiter in der Lage sein
werden, ins Ruhrgebiet zu wechseln.
10.6 Belastungsfaktoren der LIGA.NRW Mitarbeiter und deren Auswirkungen
So unterschiedlich das Leistungsportfolio an den Standorten des LIGA.NRW auch
ist, so gibt es doch einige gemeinsame Indikatoren im Rahmen der Personalstruktur, die einen Vergleich der Beschäftigtensituation des LIGA.NRW an den drei Stan-
194
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
dorten ermöglichen und somit Tendenzen in für alle Standorte verallgemeinerungsfähiger Weise herauskristallisieren können. Dadurch werden die Gründe, die für eine Personalreduktion ursächlich sind und die daraus resultierenden Folgen für die
Arbeitsfähigkeit des LIGA.NRW an allen Standorten nachvollziehbar.
Zu den Indikatoren zählen die Altersstruktur des Personals des LIGA.NRW ebenso
wie die psychischen Belastungen, die sich aus der Unsicherheit und relativen Unbeeinflussbarkeit der Beschäftigungssituation wie auch aus den Belastungen ergeben, die
ein Fernpendeln oder einen Wohnortwechsel mit den damit verbundenen Nachteilen
materieller, beruflicher wie familiärer Art verursachen.
Eine Verlagerung des LIGA.NRW von den derzeitigen Standorten auf den Gesundheitscampus impliziert die Notwendigkeit, dass die Mitarbeiter der derzeitigen dezentralen Standorte, Düsseldorf, Bielefeld und Münster, standortbezogen ihren Arbeitsplatz wechseln müssten und damit in unzumutbarer Weise belastet werden.
Um einem Standortwechsel ins Ruhrgebiet zu folgen, bieten sich für die Mitarbeiter
zwei Optionen an. Zum einen ein tägliches Fernpendeln und zum anderen eine Verlagerung des Wohnsitzes. Ein tägliches Pendeln mit dem eigenen PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln führt zu erheblichen Belastungen, wobei die Entfernung
zwischen Bielefeld zum LIGA.NRW-Standort Bochum minimum 110 km für eine einfache Fahrt betragen würde. Selbst bei optimalen Verkehrsverhältnissen, die kaum
vorausgesetzt werden können, sind für eine einfache Fahrt damit rund 2 Stunden
Fahrtzeit (Door-to-Door) einzuplanen. Da die Rückfahrt möglicherweise im RushhourBereich liegen dürfte, sind gut 3 Std. anzusetzen, bei widrigen Witterungsverhältnissen für An- und Abfahrt sogar noch mehr. Somit ist mit einer täglichen Fahrzeit von
mindestens 5 Std. pro Tag für jeden Mitarbeiter zu rechnen.
Die lakonische Einlassung von Minister Laumann in seinem Antwortschreiben an den
Vorsitzenden des DGB NRW vom 19. September 2008, dass die „vorgesehene Zusammenführung [...] natürlich für alle Beschäftigten eine berufliche Veränderung (bedeutet), die im Einzelfall auch als Belastung empfunden werden kann" spricht nicht
gerade von einem ausgeprägten Verständnis für Mitarbeiterbelange.
Selbst ein Pendeln aus dem näher gelegenen Münster nach Bochum würde noch
eine tägliche Fahrzeit von mehr als 2,5 Std. beanspruchen. Auch dies ist angesichts
der zunehmenden Belastungen, denen die LIGA.NRW-Mitarbeiter bei einer Konzentration der Standorte ausgesetzt sind - gerade auch angesichts der organisatori-
195
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
schen Maßnahmen, die dann im Rahmen eines Change Managements zu bewältigen und durch einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit gekennzeichnet sind nicht vertretbar.
Hinsichtlich des derzeitigen Standes der Forschungslage zu den gesundheitlichen
Beeinträchtigungen von Berufspendlern, lässt sich Folgendes festhalten:
Eine Studie, die an der LMU München durchgeführt wurde, kommt beispielsweise
zu dem Resultat, dass die Frage, inwieweit das Pendeln als erhebliche Belastung
erlebt wird, u. a. von der Fahrtdauer abhängt: „Je länger die Fahrt dauert, desto belastender wird sie in der Regel erlebt“, wobei „Arbeitnehmer, die durch Pendeln
stark belastet waren, [...] am Arbeitsplatz erhöhte Müdigkeit, Konzentrationsmangel,
Abnahme der Produktivität und höhere Fehlzeiten auf(wiesen). Sie klagten außerdem häufiger als nicht pendelnde Kollegen über Schmerzen sowie über funktionelle
und somatische Beschwerden, wobei Frauen und Schichtarbeiter besondere Risikogruppen darstellten.“135
Insbesondere Fernpendeln, womit eine mehr als 45 min. betragende Wegezeit für
die einfache Strecke gemeint ist - stellt wie aus der Studie hervorgeht - auf Dauer
eine erhebliche zusätzliche gesundheitliche Belastung dar. Hierbei gehen Frauen
unter den Berufspendlern, wie die deutlich höheren Stress-Scores aufweisen, aufgrund von Doppelbelastungen oftmals ein weitaus größeres Krankheitsrisiko ein als
die Risikogruppe der Männer. Denn Frauen schultern die vielfältigen Belastungen
durch Familie, Haushalt, Beruf und Pendeln entweder selbst oder sie verzichten
weitgehend auf ein Privatleben und widmen sich ausschließlich dem Beruf, während
Männer häufig Unterstützung durch ihre Partnerin erhalten.136
Ungeachtet dieser Differenzierung lässt sich jedoch feststellen, dass eine erzwungene Mobilität in Form des Fernpendelns dazu führt, dass aufgrund dieser Lebensführung das physische wie psychische Wohlbefinden der Pendler in erheblicher
Weise leidet. Insbesondere die Zeitknappheit für Kinder und Familie stellt einen erheblichen Stressfaktor dar. Zwar ermöglicht das Fernpendeln über erhebliche Distanzen den Erhalt sozialer Strukturen (Freundes- und Bekanntenkreis) am Wohnort,
135
Vgl. Sonnenmoser, Marion: Berufliche Mobilität: Vielfältige Belastungen, in: PP 7, Ausgabe März 2008, Seite 120.
136
Ergebnisse der Studie „Berufsmobilität und Lebensform“ an der Universität Mainz;
Schneider, Norbert F et.al.:Berufsmobilität und Lebensform: sind berufliche Mobilitätserfordernisse in Zeiten der Globalisierung noch mit der Familie vereinbar? Stuttgart 2002, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.); Bd.208.
196
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
allerdings mit der wesentlichen Beeinträchtigung, dass die sozialen Kontakte kaum
noch aufgrund des für die Fahrt zum Arbeitsort anzusetzenden Zeitbudgets gepflegt
werden können, mit der Konsequenz einer Zunahme von Entfremdungstendenzen.
Weitere Gründe, aufgrund derer die Belastungen der Fahrtzeiten in Kauf genommen
werden, sind die berufliche Einbindung von Partnern, die einen Berufswechsel nicht
zulässt und die Unzumutbarkeit einer Veränderung des Wohnortes für die Kinder.
Sowohl bei Fernpendlern, als auch bei Wochenendpendlern stehen Entfremdungsprozesse von Partnern und Kinder sowie Effekte der Herauslösung aus sozialen
Netzwerken mit den Folgen von Kontaktverlusten und sozialer Desintegration, die
zu gesundheitsbeeinträchtigenden Problemen führen, im Vordergrund. Hinzu kommen die immensen Kosten, die Fernpendeln und Wochenendpendeln verursachen
und für Durchschnittsverdiener kaum zu bewältigen sind und sich letztlich ebenfalls
psychisch beeinträchtigend auf das Wohlbefinden auswirken.
Überdies erzeugt das Pendeln starke verkehrsbedingte Belastungen durch lange
Reise- und Wartezeiten sowie Unpünktlichkeit der Verkehrsmittel. So steigt beispielsweise das Risiko, im Stau zu stehen. Dies aber bedeutet Kontrollverlust, da
die Pendler fürchten, zu spät zur Arbeit zu kommen. Dieser Kontrollverlust führt
wiederum zu Stress, der sich in vielfältigen psychosomatischen Beschwerden niederschlagen kann, wie Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen.
Diese psychischen Belastungsfaktoren in ihrer Verdichtung und in Verbindung mit
objektiven Stressfaktoren, die aus der Verkehrssituation resultieren (Fahrstress bei
Autofahrern), entwickeln eine nicht unerhebliches Erkrankungspotenzial, dass dazu
führt, dass PendlerInnen erhebliche Tendenz zu schlechterer Gesundheit aufweisen. Hinzu kommen für Pendler auch physische Belastungsfaktoren wie etwa ein
erhöhtes Risiko der Aufnahme von Kohlenmonoxid im Straßenverkehr.
„Pendler leiden unter höheren Erkrankungsraten (JÜTTNER 1976, OTT et al. 1999),
besonders Arthrosen im Lumbosakralbereich (COSTA et al. 1988b), arterieller Hypertonie (FISCH et. al 1976), schlechtem Zahnstatus (HELÖE u. KOLBERG 1974),
höherer Infektionsgefahr (Yagi et al. 1999), Verschiebung der zirkadianen Phasenlage (PÖLLMANN u. MOOG 1993) und unterschiedlichen psychischen Symptomen
197
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
wie Müdigkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Ängste, Husten, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Herzklopfen (COSTA et al. 1988b).“137
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Pendeln, vor allem in der extremen
Form des Fernpendelns, wie es den meisten Mitarbeitern des LIGA.NRW an den
Standorten Bielefeld und Münster und für alle südlich und westlich von Düsseldorf
wohnenden aufgrund der Verlagerung nahegelegt wird, ein erhebliches Krankheitsrisiko beinhaltet. Selbst wenn die Mitarbeiter des LIGA.NRW dazu bereit wären,
würden sich daraus erhebliche Kosten aufgrund der krankheitsbedingten Fehlzeiten
ergeben.
Betrachtet man sich die Altersstruktur am LIGA.NRW so fällt auf, dass es sehr wenige Beschäftigte unter 30 Jahren gibt, aber ein grosser Teil bereits heute und zum
Zeitpunkt der Verlagerung über 50 Jahre oder gar über 60 Jahre sein wird.
Angesichts dieser Altersstruktur, wobei sich physisch bedingt ab dem 45 Lebensjahr
die Belastungsfaktoren durch Formen des Fernpendelns noch verstärken dürften, ist
es für die Mitarbeiter nicht mehr zumutbar, derart gesundheitsgefährdende Fahrtstrecken bis zum Arbeitsplatz tagtäglich zurückzulegen. Im Hinblick auf die Stressfaktoren ist unter der Perspektive der human resources festzustellen, dass bei Zumutung dieser Fahrtzeiten sich erhebliche Probleme für die Leistungsfähigkeit des LIGA.NRW am zentralen Standort ergeben dürften. Denn neben den immensen physischen Beeinträchtigungen leidet die Konzentrationsfähigkeit der Fernpendler in
einem erheblichen Maße. Wie Analysen aus den USA belegen, kostet die verminderte Konzentrationsfähigkeit eines Mitarbeiters einem Unternehmen durchschnittlich 12 % bis 25 % des gesamten Personalaufwandes.138
Hinzu kommt, aufgrund der enorm gestiegenen Belastungen durch das Pendeln,
eine Erhöhung der Fehlzeiten. Angesichts der Tatsache, dass das LIGA.NRW aufgrund der Reduktion des Personalbestandes und der daraus resultierenden Mehrbelastung und Arbeitsintensivierung geschätzte Fehlzeitenstand von ca. 20% aufweist, ist davon auszugehen, dass bedingt durch das Fernpendeln und die Alterung
der Mitarbeiter sich diese Fehlzeiten noch erhöhen dürften. Damit allerdings wäre
137
Wolfgang Carl Gustav Blickle: Darstellung und Analyse besonderer Belastungseffekte bei
Berufspendlern, Göppingen 2005, S.69.
138
Vgl. hierzu: Sabine Voermans: Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung zur
Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei älteren Mitarbeitern, Vortrag im Rahmend der Jahrestagung der BAuA 2007, 27. August 2007, Dortmund.
198
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
eine Aufgabenerfüllung, wie sie derzeit an den Standorten noch geleistet wird, nicht
mehr möglich.
Als Alternative zum Fernpendeln käme für die Mitarbeiter an den Standorten des
LIGA.NRW als theoretische Option die völlige Verlagerung des Lebensmittelpunktes
in Frage. Also die Aufgabe des derzeitigen Wohnortes und den Umzug an den neuen LIGA.NRW Standort Gesundheitscampus nach Bochum.
Allerdings ist diese hypothetische Alternative genauso absurd wie das Ansinnen des
Fernpendelns. Menschen in fortgeschrittenem Alter zeichnen sich dadurch aus,
dass sie sich persönlich und beruflich weitestgehend etabliert haben. Es besteht
mithin ein familiäres und persönliches Umfeld, das auch Verpflichtungen mit sich
bringt: (Enkel) -kinder, die versorgt werden müssen, Angehörige, die betreut, resp.
gepflegt werden müssen. Einmal abgesehen von den psychischen Folgen der Desintegration aus über Jahrzehnten gewachsenen sozialen Beziehungen und familiären
Bindungen an den dezentralen Standorten, scheitert diese Form der Mobilität daran,
dass es sich bei den Mitarbeitern des LIGA.NRW - in den erwähnten Altersklassen zum einen um MitarbeiterInnen mit Familien und Kindern handelt, denen aus vielfältigen sozialen Gründen (Schule/Kindergarten/Betreuung durch Verwandte etc.) ein
Umzug nicht zugemutet werden kann und zum anderen um ältere Mitarbeiter des
LIGA.NRW, die oftmals über Jahre Pflege- und Betreuungsleistungen gegenüber
Familienangehörigen (Eltern) erbringen und diese Bindungen auch nicht für einen
halbwegs gesicherten Arbeitsplatz am Gesundheitscampus aufgeben werden.
Überdies ist es den meisten Mitarbeitern auch finanziell nicht möglich, einen Wechsel des Beschäftigungsortes vorzunehmen. Denn in diesem Alter sind viele Mitarbeiter in die Eigentumsbildung gewechselt und sind langfristige finanzielle Verpflichtungen für den Erwerb und die Nutzung von Immobilien eingegangen, die nunmehr
noch abgezahlt werden müssen. Insofern ist es völlig unrealistisch, von diesen Mitarbeitern zu verlangen, dass ihre Partner einerseits den Beruf vor dem Hintergrund
einer wirtschaftlichen Megakrise mit ihren Arbeitsplatzrisiken aufgeben - also das
gesamte Arbeitsmarktrisiko bei steigenden Arbeitslosenzahlen im Ruhrgebiet tragen
- und andererseits bei stetig sinkenden Marktchancen am Immobilienmarkt auch
noch ihre z.T. nicht abbezahlten Immobilien zu veräußern, was nur mit erheblichen
Verlusten möglich ist. Damit wären viele Mitarbeiter vom Ruin bedroht. Ein Change
Management, dass die negativen Konsequenzen seines Handelns im Hinblick auf
die Humanressource Mitarbeiter nicht zu antizipieren weiß und dem entsprechend
199
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
auch nicht in der Lage ist, proaktiv solche Belastungen auszuräumen, belastet das
Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unzumutbarere
Weise. Statt zu motivieren, werden dadurch Voraussetzungen geschaffen, die langfristig zur Demotivierung und „inneren Kündigung“ der Mitarbeiter beitragen.
Angesichts der Tatsache, dass es sich viele Mitarbeiter des LIGA.NRW einfach
nicht leisten können, ihren Wohnsitz in Nähe des neuen Standortes in Bochum zu
verlagern oder auch fernzupendeln, sind sie - obgleich hoch motiviert - dennoch gezwungen, ihre Beschäftigung beim LIGA.NRW aufzugeben. Signifikant lässt sich
dies beispielsweise an der AUST Münster belegen.
In der Arzneimitteluntersuchungsstelle NRW sind mehr als 10 zum Teil alleinerziehende Teilzeitkräfte mit insgesamt ca. 25 Kindern beschäftigt. Das tägliche Pendeln
ins Ruhrgebiet bzw. ein Umzug der Familien ist für diese Mitarbeiter aus sozialen
und finanziellen Gründen nicht möglich. Dies besagt, dass die Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle auf den Gesundheitscampus damit die Arbeitsplätze
dieser Mitarbeiter gefährden würde. Denn die Teilzeitkräfte sind weder in der Lage,
mehrere Stunden zu pendeln, noch eine Zweitwohnung im Ruhrgebiet anzumieten
mit der Option wöchentlicher Heimfahrt. Bei Beschäftigten in Teilzeit und/oder bei
Beschäftigten in unteren Gehaltsstufen geht tägliches Pendeln oder eine Zweitwohnung mit Mehrkosten einher, die durchaus ein Drittel bis die Hälfte des Nettoeinkommens ausmachen können. Das kann sich kein vernünftig denkender Mensch
dauerhaft leisten. Insofern gibt es für Mitarbeiter in diesen Gehaltsstufen keine andere Möglichkeit, als zu kündigen, sicherlich auch zum Preis von Arbeitslosigkeit
oder eines Arbeitslosengeld-II-Bezuges.
Wenn die Mobilität erzwungen wird, ist ein Personalsubstanzverlust des LIGA.NRW
sicher, denn das qualifizierte Personal wird nicht mehr zur Verfügung stehen, so
dass der Wegfall ganzer Arbeitsbereiche droht, wie es aktuell in einzelnen Bereichen bereits absehbar ist. Am Standort Bielefeld gibt es allein im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung bei der Erstellung der Gesundheitsberichte zwischen 30 und
50% freiwillige Meldungen zum LPEM incl. Anträge auf Altersteilzeit.
Die primäre Aufgabe des Landesamtes für Personaleinsatzmanagement NRW besteht darin, den Prozess der vorzeitigen Realisierung von kw-Vermerken aktiv zu
begleiten. Darüber hinaus ist die Behörde aber auch zuständig für die Koordination
des landesweiten Personaleinsatzes, wodurch ein landesinterner Arbeitsmarkt ge-
200
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
schaffen wird. Dem obliegt es, über seinen Stellenpool die ins Landesamt für Personaleinsatzmanagement versetzten Mitarbeiter zu beraten, zu qualifizieren und sie
auf freie und besetzbare Stellen in der Landesverwaltung weiterzuvermitteln.
Die Meldung zum Landesamt für Personaleinsatzmanagement ist insofern möglich,
da entsprechend der Gesetzeslage das LIGA.NRW im Zuge seiner Verlagerung als
eine aufgelöste Behörde i.S. der Verwaltungsstrukturreform zu betrachten ist. Insofern unterliegt das LIGA.NRW dem Zuständigkeitsbereich des Landesamtes, dessen Tätigkeitsschwerpunkt in der raschen Vermittlung von Beschäftigten z.B. aus
aufgelösten Behörden besteht, die von der Verwaltungsstrukturreform direkt betroffen sind (wie im Falle des LIGA.NRW). Diese Beschäftigten werden dann in feste
Stellen oder in längerfristige Übergangseinsätze vermittelt. „Mit der Versetzung von
Beschäftigten zum Landesamt gehen die Stellen und das Budget auf diese Behörde
über. Vorrangige Zielsetzung ist, die von der Verwaltungsstrukturreform betroffenen
Beschäftigten in andere Bereiche der Landesverwaltung befristet oder auf Dauer zu
vermitteln und ggf. für die neue Tätigkeit zielgerichtet zu qualifizieren.“139 Die Hoffnung der Mitarbeiter geht also dahin, dass sie aufgrund des inhaltlich und regional
möglichst breit gefächerten Stellenpools doch noch die Möglichkeit haben, an ihrem
Wohnort zu verbleiben oder nur geringe Fahrtzeiten zum neuen Arbeitsplatz in Kauf
nehmen zu müssen.
Dies bedeutet allerdings für das LIGA.NRW, bezogen auf das Zentrum für Öffentliche Gesundheit, dass nur noch eine reduzierte Anzahl an Mitarbeitern für die Aufgabenwahrnehmung der Gesundheitsberichterstattung am neuen Standort zur Verfügung stehen wird. Damit ist die Arbeitsfähigkeit des Landesinstituts in Frage gestellt, da sich der Verlust an Know-how und Erfahrungswissen, kurz an personalisierter Expertise, nicht wieder in einem vertretbaren Rahmen kompensieren lassen
wird.
Überhaupt zeigen die Daten zum LIGA.NRW Standort Bielefeld, dass auch die anderen Leistungsbereiche des ZÖG von der Verlagerung im Hinblick auf den damit
einsetzenden Personalschwund in ihrer Arbeitsweise erheblich betroffen sind.
Für etwa ein Drittel der Bielefelder Beschäftigten ist weder ein Umzug noch dauerhaftes Fernpendeln eine realistische Option. Telearbeit könnte für einen weiteren
Teil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – abhängig von den Konditionen – eine Op139
Vgl. hierzu: www.pem.nrw.de.
201
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
tion sein. Lediglich ein kleiner Anteil erwägen einen Umzug oder ein dauerhaftes
Fernpendeln. Überdies arbeiten knapp 20% der Mitarbeiter im Teilzeitbereich, so
dass sich für sie weder ein Umzug noch das Fernpendeln lohnen dürfte. Auch sie
werden bei einer Verlagerung des LIGA.NRW ins Ruhrgebiet ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen. Hinzu kommen noch weitere Mitarbeiter, die über einen bewilligten
ATZ-Antrag; (Freistellungsphase zwischen 2009 und 2011) verfügen.
Der Umzug an den neuen Arbeitsplatz, ebenso wie das kaum zu bewältigende
Fernpendeln, stellt jedoch für die Beschäftigten einen erheblichen Kostenfaktor dar.
Insofern ist interessant, zu eruieren, wer sich diese Option überhaupt aufgrund seiner Bezüge offen halten kann. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass
Fernpendeln für Beschäftigte des mittleren und gehobenen Dienst und für Teilzeitbeschäftigte eine erhebliche und in vielen Fällen kaum tragbare Belastung aufbürden.
Es bleibt zu befürchten, dass das ZÖG einen Teil seiner Belegschaft – und damit
erworbenes Erfahrungswissen - verlieren wird und auf das verbleibende Personal
weitere erhebliche Belastungen - hervorgerufen durch Mehrarbeit und Arbeitsintensivierung aufgrund der immensen Ausdünnung der Personaldecke - ergeben werden. Hinzu kommen für die Pendler die bereits erwähnten gravierenden psychischen und physischen Belastungen der Fahrtzeiten und anderer sozialer Stressfaktoren an ihren Wohnorten.
Dies dürfte einer adäquaten Aufgabenerledigung weiter abträglich sein Angesichts
dieses Personalverlustes werden der Verlagerung neben den Aufgaben, die nicht
als Pflichtaufgaben ausgewiesen sind, auch Offizialaufgaben zum Opfer fallen.
So zählt beispielsweise die Aufgabe des LIGA.NRW, als regionaler Knoten zur Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten zu fungieren zu einer Pflichtaufgabe,
die das LIGA.NRW zu versehen hat. Da jedoch zur Erledigung dieser Aufgabe eine
gute regionale GBE eine unverzichtbare und wertvolle Hintergrundrolle spielt, bedeutet der Verlust an Mitarbeitern in diesem Bereich, dass eine solche Aufgabe
künftig nur noch mit Einschränkungen versehen werden kann. Letztlich ist zu sehen,
dass viele Aufgaben Querschnittsaufgaben darstellen, die auch von der Zufuhr der
Kompetenzen und des Know-hows aus anderen Bereichen und Aufgabenfeldern
abhängig sind und nur unter deren Einbeziehung differenzierte Erkenntnisse sicherstellen.
202
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Ebenso ist zu beachten, dass die Aufgabenerledigung ganzer Fachgruppen an die
Expertise von erfahrenen Einzelpersonen gebunden ist. In diese damit problematische Kategorie fallen Aufgaben, die laut GVP das Tätigkeitsspektrum der Fachgruppe 4.1. umfasst. Also die Unterstützung der Gesundheitspolitik in NRW, Grundsatzfragen der Gesundheits- und Präventionspolitik, die europäische und internationale Vernetzung. Neben der fachlichen Vorbereitung und Unterstützung der Landesgesundheitskonferenz geht es um die Identifizierung von innovativen Projekten
zur Förderung der NRW-Gesundheitsziele im Rahmen der Landesinitiative „Gesundes Land NRW“ sowie um die Unterstützung des ÖGD insgesamt durch Informations- und Beratungsangebote. Die wissenschaftliche und konzeptionelle Unterstützung des NRW-Gesundheitszielprozesses wie auch die anderen Fachaufgaben erfordern „sehr hohe und umfassende Fach- und Methodenkompetenzen“. Zudem
gründet die Beratungs- und Unterstützungsfunktion im Detailwissen der Experten
„über Strukturen, Prozesse und gesundheitspolitische Entwicklungen in NRW[...].“140
Alle derartigen Aufgaben sind an die Erfahrung und langjährig erworbene Kompetenz von damit befassten Experten gebunden. Scheiden diese aufgrund der Verlagerung aus oder werden diese Leistungsträger aus dem LIGA.NRW für das Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) abgeworben, so
lassen sich die Aufgaben nicht mehr weiterführen. Dies könnte beispielsweise auch
die komplette Fachgruppe 4.2 „Innovationsmanagement“ betreffen.
„Die Konzeptentwicklung und Qualitätssicherung für gesundheitliches Innovationsmanagement“ (GVP 4.2.1) beschreibt einen Aufgabenbereich, der die Schwerpunktthemen der NRW-Landesregierung „Innovationspolitik“ und „Gesundheitswirtschaft“
behandelt. Hierbei stehen Ziele der „Standortsicherung, der Schaffung neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze und die Verbesserung der Qualität der medizinischen
Versorgung durch Innovation“ im Vordergrund.141 Da zur Erreichung dieser Ziele
zum einen eine umfassende Konzeptarbeit zum gesundheitlichen Innovationsmanagement zu leisten ist und zum anderen vor allem die Expertise anderer LIGABereiche mit einbezogen werden müssen, handelt es sich bei dieser Aufgabenwahrnehmung u.a. um eine wesentliche Schnittstellenorganisation zur Einbindung
der im LIGA.NRW vorhandenen themenspezifischen Wissensressourcen.
140
Nigmann, Ralf/Dahs, Karl: Schlussgutachten zur Aufgabenkritik im Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, hrsg. vom Institut für Verwaltungswissenschaften gGmbH 12.12.2008,
S.174.
141
Nigmann, Ralf/Dahs, Karl 2008, a.a.O., S.184.
203
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Sollten diese Bereiche ebenfalls durch Reduktion von Personal bei Verlagerung des
ZÖG gefährdet werden, so gehen wesentliche Impulse sowohl in gemeinwohlorientierter Hinsicht (Qualität des Gesundheitswesens/Qualität der medizinischen Versorgung), als auch für Innovationen im Gesundheitswesen und ebenso auch für die
Gesundheitswirtschaft selbst verloren. Erwartete Zugewinne an zukunftssicheren
Arbeitsplätzen könnten dadurch behindert werden.
Das LIGA.NRW steht damit in Gefahr, um interessante Facetten und zukunftsträchtige Aufgabenfelder beraubt zu werden und zusehends zu einer in Abwicklung und
im Niedergang befindlichen, zunehmend unattraktiven Rest-Einrichtung des Landes
zu depravieren.
Aber selbst der verbleibende Restbestand an Mitarbeitern wird nicht mehr jene Leistungsfähigkeit aufweisen, wie sie derzeit dezentral an den verschiedenen Standorten des LIGA.NRW ausgeprägt ist. Dies liegt darin begründet, dass die seitens der
Landesregierung und des MAGS schon im Vorfeld der Verlagerungsbestrebungen
geschaffenen Strukturen ein Klima der Angst und Verunsicherung hervorgerufen
haben. Hierzu trägt vor allem (a) die nicht erfolgende, lückenlose Information der
Mitarbeiter über die Verlagerungsintention über deren Gründe (die durch eine Kosten-Nutzen Kalkulation zu untermauern gewesen wäre), (b) über den Ablauf der
Verlagerung, sowohl dessen Zeitrahmen, als auch die Angabe, welche Bereiche
davon in welcher Weise betroffen sind, und vor allem (c) die nicht vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten, auf die Entscheidung der Landesregierung mit guten Argumenten einzuwirken.
Stattdessen stoßen die Mitarbeiter des LIGA.NRW auf eine völlig opake Situation,
die gekennzeichnet ist durch Intransparenz, Konzeptlosigkeit, eine Reihe von Willenserklärungen, deren Praktikabilität gegen Null tendiert, wenig tragfähige und nicht
auf ihre Konsequenzen reflektierte Überlegungen, letztlich in ihrer Gesamtheit auf
eine nicht diskursive und kommunikativ bedauernswerte Kommandostruktur, die jede Form beteiligungsorientierter Mitwirkung seitens der Arbeitnehmer negiert und
eher eine Schwundstufe der Unternehmenskultur darstellt, als eine an der Entwicklung ihres Humankapitals interessierten Governance-Struktur.
Seitens der Landesregierung wurde während der gesamten Verlagerungsdiskussion
- die maßgeblich über die Presse geführt wurde - kein Gesprächsangebot zu einem
dialogischen Prozess an die Belegschaft oder die Personalvertretung, die sich dar-
204
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
um redlich bemühte, herangetragen. Die Kommunikation kann in dieser Hinsicht als
völlig unterentwickelt betrachtet werden. Dabei sollte gerade bei einem Reorganisationsprozess solchen Ausmaßes die Kommunikation sicherstellen, dass jeder Mitarbeiter über die Ziele und die Prozesse, die zur Zielerreichung geplant sind, vollständig informiert wird. Hierbei ist die größtmögliche Transparenz von Zielen, Verfahren
und Hintergrunddarstellungen seitens der Veränderungsakteure über die anstehenden Veränderungsprozesse herzustellen. D. h., dass die Unternehmens- bzw. Administrationskultur so beschaffen sein muss, dass Informationen ungehindert hinund herfließen können, so dass Mitarbeiter auch in die Lage versetzt werden, zu
Entwicklungen dieses Prozesses kritisch Stellung beziehen und eine wie auch immer ausgerichtete, sachkundige Haltung einnehmen zu können.
Eine solche Kultur verhindert das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht,
einem nicht beeinflussbaren Prozess zu unterliegen, der sich rücksichtslos - ohne
den Interessen der Mitarbeiter auch nur annähernd gerecht zu werden - zu einer
objektiven Macht verselbständigt. Eine solche Entmündigung der Mitarbeiter stellt
eigentlich ein längst obsoletes Relikt autoritärer Personalführung dar, das im Wirtschaftsleben als kontraproduktiv betrachtet wird, da Motivation, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Innovationsdynamik dadurch konterkariert werden.
Dies verbreitet unter den Mitarbeitern Angst, Unsicherheit und Apathie, da keine
nachvollziehbare Antwort darauf - gegeben wird, warum das erfolgreiche Modell der
dezentralen Standorte nunmehr ohne, dass es die „Wertschöpfungssituation“ nahe
legen würde - verabschiedet wird. Mitarbeiter, die Sorge hinsichtlich ihrer Lebensplanung und Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sind nicht sehr motiviert. Vielmehr
spalten sie die bedrängende angstbesetzte Situation ab, indem sie innerlich kündigen, selbst bei dem Schein äußerlicher Angepasstheit und Funktionalität. Wie eng
verwoben die Arbeitssituation und ihr Belastungspotenzial mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter am Arbeitsplatz sind, lässt sich am Indikator „BurnoutRisiko“ ablesen. „So erhöht sich das Burnout-Risiko bei fehlenden Partizipationsmöglichkeiten um das 3,5-Fache und bei einem wenig auf Mitarbeiterorientierung
ausgerichteten Führungsstil um das 2,5-Fache.142 So beschreibt die Ottowa-Charta
der WHO 1986 die Gesundheitsförderung als einen Prozess, der darauf abzielt, „al-
142
Eberhard Ulrich: PSYCHISCHE GESUNDHEIT AM ARBEITSPLATZ, in: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, hrsg. v. Vorstand des Berufsverbandes Deutscher
Psychologinnen und Psychologen e.V.
205
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
len Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Lebensumstände
und Umwelt zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen [...]. Menschen können ihr Gesundheitspotenzial nur dann entfalten, wenn sie
auf die Faktoren, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können
[…]. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit und die Arbeitsbedingungen organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen.“143 Gerade dieses elementare Recht scheint in dem
Falle der Verlagerung des LIGA.NRW seitens der Landesregierung den Mitarbeitern
vorenthalten worden zu sein.
Dass Arbeitsplatzunsicherheit als gesundheitsbeeinträchtigende Belastung identifizierbar ist, ist spätestens seit der Whitehall-Studie eindeutig belegbar. „Die Whitehall-Studie verdeutlichte in einem zweieinhalbjährigen Beobachtungszeitraum an
britischen Regierungsangestellten den Zusammenhang zwischen chronischer Arbeitsplatzunsicherheit und affektiven Störungen.144 In einer Metaanalyse konnten
Sverke, Hellgren und Näswall (2004) zeigen, dass Arbeitsplatzunsicherheit deutlich
mit psychischen Beeinträchtigungen einhergeht.“.145. In einer ausführlichen Studie
der oben genannten Autoren aus dem Jahre 2007 zu den Beeinträchtigungen der
psychischen Gesundheit vor dem Hintergrund der Angst vor Arbeitsplatzverlust
zeigte das nicht überraschende Ergebnis, dass „Berufstätige mit Sorgen um den
Arbeitsplatz [...] weniger somatoforme Beschwerden (schilderten) als Arbeitslose,
aber mehr als Berufstätige ohne Sorgen um den Arbeitsplatz. Sie beschrieben mehr
körperliches Wohlbefinden und mehr Lebensqualität als Arbeitslose, aber weniger
als Berufstätige ohne Sorgen um den Arbeitsplatz.146 Signifikant ist allerdings, dass
sich hinsichtlich des chronischen Stresses zeigte, dass hierbei die höchste Belastung die Arbeitenden aufwiesen, „die sich große Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen [...]. Berufstätige mit Sorgen um den Arbeitsplatz schilderten die stärkste Arbeitsüberlastung, soziale Überlastung und Überforderung, den höchsten Erfolgs-
143
Ulrich, Eberhard 2008, a.a.O. ebenda.
Ferrie, Shipley, Stansfeld & Marmot, 2002.
145
Cornelia Albani, Gerd Blaser, Michael Geyer, Norbert Grulke, Harald Bailer, Gabriele
Schmutzer, Hendrik Berth, Elmar Brähler: Psychische Gesundheit und Angst vor Arbeitsplatzverlust, in: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, hrsg. v. Vorstand
des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V, BDP, Berlin 2008,
S.16.
146
Cornelia Albani et.al.2008, a. a. O. S.17.
144
206
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
druck und Mangel an sozialer Anerkennung sowie die ausgeprägtesten sozialen
Spannungen und chronischen Stress (Screening-Skala).“147
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass der Verlust von Planbarkeit, Geborgenheit, Berechenbarkeit und sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz die psychosoziale
Gesundheit von Mitarbeitern stark und nachhaltig beeinträchtigen.
Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist davon auszugehen, dass Arbeitsüberlastungen in Verbindung mit den Ängsten um den Verlust des Arbeitsplatzes und
der Unsicherheit bezüglich der erforderlichen Neuorientierung und Positionierung
(im Falle eines Standortwechsels) die bedrängende Arbeitsplatzsituation noch verschärfen werden, so dass sie krankheitsinduzierend eskaliert.
Arbeitsplatzsicherheit als Basis für eine zukunftsfähige Lebensplanung lässt sich
somit als ein schützenswertes Gut legitimieren, dessen Schutz jeder Arbeitgeber,
auch auf der Ebene der Landesverwaltung, der um die Entwicklung von Humanressourcen bemüht ist, schon im wohlverstandenen Eigeninteresse in sein Handlungsportfolio aufnehmen sollte. So belegt die von J. Pfeffer 1998 durchgeführte Studie
zu den Organisationsmerkmalen derjenigen US-amerikanischen Unternehmen, die
bezogen auf den Shareholder-Value, langfristig am erfolgreichsten wirtschafteten,
„dass diese Unternehmen durch folgende Merkmale gekennzeichnet waren: Arbeitsplatzsicherheit, gezielte und sorgfältige Personaleinstellungspolitik, dezentrale
Entscheidungen und verstärkte Teamarbeit als grundlegendes Prinzip der Organisationsentwicklung, vergleichsweise hohe, leistungsorientierte Bezahlung, systematische und extensive Schulung, Abbau von Statusunterschieden und -barrieren zwischen den innerbetrieblichen Positionsgruppen, offene Informationspolitik, v.a. bezüglich der Betriebsergebnisse.“148
Das Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeiter, ihrem Interesse an einem gesicherten Arbeitsverhältnis, einer berechenbaren Arbeitsorganisation, an Orientierung und umfassender Information, bildet ein wesentliches Merkmal einer jeden erfolgreichen, weil mitarbeiterbezogenen, Personalorganisation und verantwortungsbewussten Unternehmensführung erfolgreicher Unternehmen. Denn darin drückt
sich die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern aus. Das Bestreben seitens der
147
Cornelia Albani et.al.2008, a. a. O. S.18.
Cornelia Albani et.al.2008, a.a.O., S.19; vgl. hierzu auch: Pfeffer, J. (1998). The human
equation: building profits by putting people first. Boston: Harvard Business School Publishing.
148
207
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Unternehmensleitung diesen elementaren Bedürfnissen nach Sicherheit und Planbarkeit gerecht zu werden, verhindert letztlich, dass chronischer Stress, gesundheitsschädigende Angst, Unsicherheit und die Überforderung die Situation als Akteur des eigenen Lebens überhaupt noch bewältigen zu können, bis hin zum Burnout-Syndrom Eingang in die Beschäftigungsverhältnisse finden. Gerade diese Essentials moderner Personalführung werden bei den Verlagerungsbestreben der
Landesregierung jedoch sträflich vernachlässigt. Stattdessen werden unreflektiert
alle Potenziale der Produktivität und der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter für eine
Verlagerung an einen zentralen Standort riskiert, mit den zu erwartenden Folgen,
dass die wenigsten Mitarbeiter mitziehen werden und diejenigen, die zwangsweise
an den neuen Standort gebunden werden, aufgrund der geschilderten krankmachenden Stressoren in ihrer Leistungsfähigkeit stark gehandikapt sein werden. Eine
Beeinträchtigung, die irreversibel sein dürfte.
Ein weiteres Problem neben den gesundheitsschädigenden, aus der diffusen Situation der Mitarbeiter erwachsenden Faktoren, besteht in der Rekrutierung von Experten für die verwaisten Stellen derjenigen Mitarbeiter, die ihrem Arbeitsplatz nicht folgen können und wollen.
Mit ebenso großen Beschäftigungsverlusten wäre bei einer Verlagerung des Münsteraner LIGA.NRW an den Standort des Gesundheitscampus zu rechnen. Es ist
nach Recherchelage davon auszugehen, dass derzeit 30-50% der im Fachbereich 5
tätigen Mitarbeiter dem Umzug nicht folgen können .
Gerade im FB 5 ist - wie bereits angedeutet - ein hoher Anteil an Teilzeitkräften beschäftigt, die familiär an Münster gebunden sind, da der Vollverdienst der Familie
dort durch den Lebenspartner erworben wird. Diese Teilzeitkräfte beginnen ihre Arbeit morgens sehr früh, um ab Mittag ihre Kinder versorgen zu können. Eine Standortverlagerung würde bedeuten, dass aufgrund des weiten Weges zur Arbeit eine
zusätzliche Kinderbetreuung neben erheblichen Fahrtkosten finanziert werden
müsste. Dies würde für die Betroffenen eine massive Verdienstkürzung bedeuten
und würde zudem zu Lasten der Kinder ausgehen. Auch hier liegt eine dem Bielefelder Standort vergleichbare Entscheidungslage für die Betroffenen vor. Die hohe
Mehrbelastung hinsichtlich der zusätzlichen, nicht tragbaren Kosten wie auch der
organisatorische Mehraufwand für die Familien diktiert die Entscheidung, den Arbeitsplatz aufgeben zu müssen. Die mit der Überführung des LIGA.NRW an den
neuen Standort von der Landesregierung dann geschaffene Situation übt damit ei-
208
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
nen objektiven Zwang auf die Mitarbeiter wie auf das LIGA.NRW selbst aus, der
sich so verselbständigen wird, dass nicht nur die Mitarbeiter und deren Familien dabei zu Opfern eines nicht bis in seine Konsequenzen hinein durchdachten Projektes
werden, sondern das Gesundheitswesen ebenso dabei in erheblichem Maße Schaden nehmen wird.
Da durch den Weggang von Personal ein erheblicher Know-How-Verlust entstehen
wird, bedeutet dies wiederum, dass die Handlungsfähigkeit der Arzneimitteluntersuchungsstelle in ihren wesentlichen Aufgabenbereichen für mehrere Jahre am
Standort des Gesundheitscampus in starkem Maße eingeschränkt sein wird.
Eine solche Einschätzung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Untersuchung
und Begutachtung von Arzneimittelproben sehr anspruchsvolle Tätigkeiten darstellen, deren qualitativ hochwertige Ausführung nur durch eine langjährige Praxis erlernt werden kann. Neu eingestellte Mitarbeiter müssen stets aufwendig und langwierig qualifiziert werden. Im FB 5 sind sehr viele Mitarbeiter seit mehreren Jahrzehnten tätig. Dieses langjährig erworbene Know-How würde teilweise verloren gehen und somit wäre der FB 5 sicherlich für 1-3 Jahre nicht voll funktionsfähig. Die
„Feuerwehrfunktion“ im Falle von Skandalen, wie z.B. dem Schlankheitsmittelskandal 1995/96 oder dem „Zytostatikaskandal“ 2008 wäre nicht mehr ausreichend gegeben. Dies allerdings beschreibt eine optimistische Einschätzung, der die Annahme zugrunde liegt, dass sofort neue Mitarbeiter gefunden und eingearbeitet werden
können. Gerade im Bereich der Apotheker werden spezialisierte Fachkräfte mit Berufserfahrung benötigt. Diese sind für die Besoldung im öffentlichen Dienst in der
Regel nicht zu erhalten.
Zweifelhaft ist zusätzlich, dass neue Mitarbeiter selbst mit den notwendigen Qualifikationen gewonnen werden können, die gerade das Ruhrgebiet für eine erstrebenswerte Wirkungsstätte halten.
Unter der Voraussetzung, dass dies nicht der Fall sein wird, da qualifizierte Fachkräfte rar sind und andere Arbeitgeber, vor allem die Industrie, finanziell und örtlich
(weiche Standortkriterien der Lebensqualität) weitaus lukrativere Arbeitsangebote
bieten, sind hinsichtlich eines solchen Szenarios - nach Einschätzung von Experten
- vielleicht sogar unbestimmt viele Jahre einzukalkulieren, bis der Fachbereich wieder die gleiche Leistungsperformance erbringt, wie noch zu einem aktuellen Referenzzeitpunkt am Standort Münster.
209
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Eine nicht funktionsfähige öffentliche Einrichtung oder Behörde kostet allerdings das
Land wesentlich mehr, als es an Nutzen daraus ziehen könnte. Es sei denn, die
Strategie des MAGS und der Landesregierung liefe darauf hinaus, ein in seiner
Kontrollfunktion die privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen am Gesundheitscampus störendes LIGA.NRW zu demontieren. Unter dieser Perspektive würde
dann die Standortverlagerung mit einem defizienten LIGA.NRW durchaus einen
Sinn ergeben.
Ansonsten ist für das seitens der Landesregierung favorisierte zentrale Format gegenüber den Vorteilen der dezentralen Standorte mit ihren Netzwerken, hochqualifizierten und motivierten Mitarbeitern sowie erheblichen Synergiegewinnen kennzeichnend, dass es aufgrund der immensen finanziellen wie sozialen Kosten sich
eher zu einem der teuersten Projekte im Gesundheitswesen NRWs entwickeln wird,
als zu einem international renommierten Leuchtturmmodell der Gesundheitswirtschaft.
11 Handlungsempfehlung
Resümierend lässt sich festhalten, dass ein - aus seinen dezentralen Standortbindungen heraus gelöstes - am Gesundheitscampus angesiedeltes LIGA.NRW seine
Aufgaben und seine Funktion für den ÖGD und das Gesundheitssystem nicht mehr
in ausreichendem Maße wird wahrnehmen können.
Aus diesem Grunde ist es erforderlich, darüber nachzudenken, wie die großen strategischen Vorteile, die die dezentral organisierten Bereiche des LIGA ZÖG und LIGA ZAG bieten, mit ihren standortspezifischen Kooperationsnetzwerken erhalten
bleiben können.
Unter der Voraussetzung, dass der Gesundheitscampus Realität wird, was mit der
Wahl des Standortes Bochum beschlossene Sache ist, ist es erforderlich, neben der
gesundheitswirtschaftlichen Prioritätensetzung insbesondere die Gesundheitsförderung und den Gesundheitsschutz für die Allgemeinheit zu akzentuieren und Strukturen zu schaffen, die gewährleisten, dass die regionale Gesundheitsplanung in den
Gesundheitsregionen zur Verbesserung der ortsnahen Versorgung erhalten bleibt
und intensiviert wird.
210
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Angesichts des Faktums, dass NRW mit knapp 18 Mio. Einwohnern bei einer Zentralisierung des LIGA.NRW auf Landesebene keine etablierten regionalen Schnittstellen mit Gesundheitskompetenz mehr aufweisen wird, könnte auch die Qualität
ortsnaher Dienste dadurch beeinträchtigt werden. Dem gilt es vorzubeugen, indem
die regionalisierten LIGA.NRW-Standorte weiterzuführen sind. Dies u.U. auch mit
einer themenfeldspezifischen Ausrichtung.
Statt Ressourcen aus den Regionen abzuziehen, sollte vielmehr die Kooperation
der LIGA.NRW Bereiche mit den Clusterakteuren vor allem in den Kommunen und
der Wissenschaft ausgeweitet werden.
So könnte eine orts- wie auch regionenspezifische Schwerpunktbildung weiter entwickelt werden, die dem ÖGD und der gesundheitspolitischen Zielbestimmung aufgrund der sich weiter differenzierenden Kernkompetenzen noch aussagekräftigere
Informationen und Daten für kommunal- wie landespolitische Initiativen für eine verbesserte Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen würde.
Wie eine solche Schwerpunktbildung aussehen könnte, lässt sich am Beispiel des
Bielefelder LIGA.NRW -Standortes mit seinen spezifischen Kernkompetenzen illustrieren.
Es wurde schon ausführlich darauf hingewiesen, dass Ostwestfalen-Lippe eine Gesundheitsregion darstellt, die über eine entwickelte gesundheitsbezogene Infrastruktur verfügt. Neben einer fachlich ausgewiesenen, überregional anerkannten Hochschul- und Kliniklandschaft existiert eine leistungsfähige, innovative Gesundheitswirtschaft, die ergänzt wird durch ein breites Spektrum erfolgreicher und gut aufgestellter öffentlicher Leistungsträger und privatwirtschaftlich wie auch kirchlichkonfessionell organisierter Versorgungszentren für Dienstleistungen. Die Lösung
gesundheitsbezogener Fragestellungen bildet somit eine der Kernkompetenzen der
Region. Allerdings gilt es angesichts der ökonomischen Krisensituation und der dadurch bedingten Verschlechterung der Haushaltslage der öffentlichen Hand darauf
hinzuwirken, dass der erreichte gute Entwicklungsstand und das gute Versorgungsniveau erhalten bleiben und weiterhin zukunftserschließende Schritte im regionalen
Gesundheitssektor vorgenommen werden können.
Hierzu ist es erforderlich, dass die vernetzte Infrastruktur des regionalen Clusters
nachhaltig konsolidiert und gestärkt wird. In diesem Kontext ist es deshalb unverzichtbar, das Know-how und die Infrastrukturbeiträge des LIGA.NRW am Standort
211
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Bielefeld zum Nutzen für Stadt und Region zu erhalten. Es sind also insbesondere
die Anteile der LIGA.NRW-Institutsarbeit zum beiderseitigen Nutzen - sowohl für
Land wie Region - zu stärken, die mit einem besonderen Mehrwert für die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe verknüpft werden können. Konzeptionell sollte unter
dieser Voraussetzung insgesamt eine erkennbare Intensivierung regionalbezogener
Anwendungs- und Praxisbegleitforschung im Vordergrund stehen. Diese ließe sich
folgendermaßen initiieren:
Aufgrund der langjährige Kompetenz des LIGA.NRW Bielefeld hinsichtlich der Akquise und des Projektmanagements von EU- und WHO Projekten - z. T. als nationaler Repräsentant für Deutschland - die schon in LÖGD-Zeiten fundiert wurde, könnte
dieser LIGA.NRW Standort zu einer landesweiten Koordinierungsstelle für regional
relevante Projekte und ihrer Evaluation zu avancieren. Denn diese Projekte standen
schwerpunktmäßig in einem inhaltlichen Bezug zu den Themenfeldern Gesundheitsförderung, Gesundheitsberichterstattung, Health Impact Assessment, Regional
Health Policy sowie zu thematischen Kombinationsfeldern aus dem Public Health
Spektrum wie beispielsweise Planung und Gesundheit, also Themenfeldern, die im
Rahmen der Aufgabenerfüllung des ZÖG eine Rolle spielen. Grundsätzlich ist jedoch hinsichtlich der Binnenwirkung solcher internationaler Projekte festzuhalten,
dass sich diese nur unter der Voraussetzung entfalten kann, dass eine zusätzliche
regionale und lokale Verankerung, u. a. im Sinne einer angeleiteten und evaluierten
Praxiserprobung, besteht. Diese war bislang nicht immer und in optimaler Weise
gewährleistet, so dass die Reichweite der Projektergebnisse NRW-spezifisch nur
unzureichend gewährleistet war. Für eine nützliche Umsetzung hätte schon zu Zeiten des LÖGD eine entsprechende Infrastruktur bestehen müssen.
Mittlerweile jedoch ist die Vernetzungsqualität zwischen dem LIGA.NRW Bielefeld,
der Universität Bielefeld, der Fachhochschule und der Stadt Bielefeld so intensiv
und tragfähig, dass nunmehr davon auszugehen ist, dass die für solche Projekte
erforderliche lokale und regionale Verankerung zur Praxiserprobung und Evaluation
gegeben ist.
So wäre es in der jetzigen Situation möglich, durch ein Konsortium aus Land/ LIGA.NRW und regionalen Akteuren wie Universität / Fachhochschule, Stadt Bielefeld, Region Ostwestfalen-Lippe, regionaler Gesundheitswirtschaft, Krankenkassen,
Krankenhäusern und Versorgungseinrichtungen am Standort Bielefeld eine Arbeits-
212
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
einheit ins Leben zu rufen, die sich auf Projektaufträge spezialisieren könnte, die
dann auf die lokale und regionale Umsetzungsebene herunter zu brechen wären.
Gerade ein solcher Praxisbezug bildet einen wesentlichen Erfolgstreiber in der Projektakquise, da dadurch die Qualität der Projektdurchführung gesteigert wird. Der
konkrete Mehrwert der Einrichtung und Tätigkeit einer solchen längerfristig konzipierten Arbeitseinheit für Region und Stadt würde darin bestehen, dass damit im
Gesundheitssektor vor Ort künftig verstärkt praxisbezogene Modellprojekte akquiriert und sachgerecht durchgeführt werden können, die eine konkrete Entwicklungspotenz und einen direkten Nutzen für zukunftsfähige gesundheitsbezogene Praxisstrukturen in Ostwestfalen-L/Bielefeld aufweisen.
Unter der Voraussetzung, dass es gelingt, eine Serie solcher projektinduzierter Entwicklungen in OWL und Bielefeld umzusetzen - könnte die Region dadurch längerfristig einen Exzellenzstatus erlangen und als „Musterregion“ für Praxiserprobungen
und -einführungen gesundheitsbezogener Innovationen landes- und bundesweites
Renommee erwerben. Überdies wäre hinsichtlich einer Verbesserung des Wirkungsgrades und der Realisierungschancen einer solchen Idee noch zu prüfen, ob
sich hierfür nicht auch eine erweiterte Organisationsform in Form eines Regionalverbunds (ggf. mit der Gesundheitsregion Münsterland oder themenfeldspezifisch
mit anderen regionalen Gesundheitsclustern) anbieten würde.
Eine solche Basis vorhandener themenbezogener Erfahrungen, regionalen Praxisbezuges und Umsetzungsmöglichkeiten bietet darüber hinaus die Chance, dazu
passgenau aus nationalen Programmen Projekte der regional bedeutsamen Themenfelder „Arbeit und Gesundheit“ bzw. „soziale Benachteiligung“ verstärkt einzuwerben.
In diesem Zusammenhang kann hier auf die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen werden, die in den
letzten Jahren signifikant dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die Einkommensunterschiede und damit die Armutsschere kontinuierlich vergrößert haben, so dass
sich soziale Unterschiede zunehmend und rasant verstärken. Dies impliziert die
Tendenz erheblicher soziale Benachteiligungen. Insofern gewinnen Themen, die die
soziale Ungleichheit und die dadurch verursachten gesundheitlichen Belastungen
und Schädigungen fokussieren, an Bedeutung.
213
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Parallel dazu zeigt sich, dass Armuts- und Gesundheitsberichterstattung nicht nur
als distinkte Beschreibungsmodelle unterschiedlicher gesellschaftlicher Phänomene
gesehen, sondern verstärkt auch in ihrem sachlogischen Zusammenhang begriffen
werden müssen. Denn soziale Ungleichheiten „und ihr empirischer Zusammenhang
mit gesundheitlicher Ungleichheit auf individueller Ebene“ sind „durch verschiedenste Untersuchungen und Dokumentationen belegt.“149
In diesem Kontext stellt die Betrachtung des Zusammenhanges „zwischen sozialer
Benachteiligung und gesundheitlicher Ungleichheit im regionalen Kontext“ ein Forschungsdesiderat dar.150
Ein solches Themenfeld ließe sich von der lokalen/regionalen Koordinierungsstelle
mit in den Themenkreis der zu bearbeitenden Projekte aufnehmen. Insofern würde
dies einen sicherlich vielversprechenden Forschungshorizont mit einem Alleinstellungsmerkmal erschließen.
Überdies wäre darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoller wäre, in dem am Gesundheitscampus entstehenden Strategiezentrum eine Dependanz des LIGA.NRW
zur ortsnahen Koordinierung aller Aktivitäten, insbesondere der Projekttätigkeiten,
im Rahmen des ZGA und ZÖG einzurichten, als Personalressourcen der LIGA.NRW-Standorte in das Strategiezentrum abzuziehen und somit die jetzigen
Standorte zu schwächen. Eine solche Repräsentanz aller derzeitigen Standorte des
LIGA.NRW würde zwar zusätzliches Personal erfordern, wäre jedoch für die Koordination im Hinblick auf alle anderen gesundheitspolitisch relevanten Aktivitäten des
Landes wesentlich effizienter als eine physikalische Zusammenführung der LIGA.NRW-Bereiche am Gesundheitscampus. Dadurch ließen sich landesweit bedeutsame wie regionale Problemlagen schneller erkennen, die erforderlichen Handlungsbedarfe formulieren und zeitnahe und passgenaue Umsetzungen diesbezüglich erforderlicher Maßnahmen vornehmen.
Ein notwendiges Essential einer solchen Idee wäre allerdings eine weitaus intensivere kommunikative Vernetzung aller Standorte des LIGA.NRW untereinander sowie mit dem künftigen Strategiezentrum am Gesundheitscampus.
149
Schultz, Annett (ZEFIR); Annuß, Rolf (LÖGD): Regionale soziale Cluster und gesundheitliche Lage in Nordrhein-Westfalen, in: Heft 381 Reihe Gesundheitsberichterstattung, S. 4865, herausgegeben vom MFJFG NRW, Düsseldorf, S.1.
150
Ebenda.
214
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dies hätte den Vorteil, dass die regionalen Schnittstellen des LIGA.NRW als unverzichtbare Satelliten mit ihren wesentlichen regionalen Ressourcen, Vernetzungen
und Inputs sowie den erforderlichen face-to-face - Kontakten erhalten blieben, aber
andererseits das LIGA.NRW am Gesundheitscampus dennoch ebenso präsent wäre.
Wie eine solche, den derzeitigen LIGA.NRW Standorten angemessene thematische
Schwerpunktbildung

inhaltlich beschaffen sein müsste,

wie zu entwickeln wäre,

welche Schwächen und Stärken die dezentralen Standorte hierfür aufweisen

und mit welchen Aufwendungen hinsichtlich des noch genauer zu spezifizierenden Nutzens zu rechnen wäre,
müsste im Rahmen der dazu erforderlichen Szenarienbildung in Form einer Projektstudie zu einer möglichen Neuaufstellung und Neupositionierung des LIGA.NRW
unter Beibehaltung seiner dezentralen Stärken eingehender untersucht und diskutiert werden. An dieser Stelle ist es nur möglich, dies als Horizont einer möglichen
alternativen Konzeptbildung zum Gesundheitscampus zu formulieren.
Aber selbst unter den bestehenden Strukturen ist LIGA.NRW durchaus in der Lage,
einem Strategiezentrum, bzw. einem potenziellen Netzwerk am Gesundheitscampus
gesundheitsverbessernde Impulse zu vermitteln, die Interessen des ÖGD am Gesundheitscampus zu vertreten und somit im Rahmen seiner Kontroll- und Schutzfunktion den Handlungsrahmen der Akteure mit zu bestimmen. Hierzu ist jedoch
wiederum als eine notwendige Bedingung auf die IuK-Vernetzung mit und nicht auf
dem Gesundheitscampus aufmerksam zu machen.
In diesem Kontext ist auch ein weiteres Moment zu sehen, das die Leistungsfähigkeit des dezentralen LIGA.NRW ebenso stärken kann. Es handelt sich um die Einrichtung von Telearbeitsplätzen für die Mitarbeiter, die einen Umzug an den Gesundheitscampus nicht mehr zwingend notwendig machen.
215
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
12 Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Form der Telearbeit
Die Belastungen der Mitarbeiter bei einer etwaigen Standortverlagerung dürften bei
weitem die Grenze der Zumutbarkeit übersteigen. Insbesondere deshalb, da von
den vielen Mitarbeitern des LIGA.NRW an den dezentralen Standorten, die familiär
an den Standorten gebunden sind, tatsächlich erwartet wird, dass sie entweder ein
stundenlanges Fernpendeln in Kauf nehmen oder ihren Wohnsitz verlagern. Letzteres scheitert - wie schon dargestellt - in erster Linie an den finanziellen Einbußen,
die für Teilzeitkräfte ebenso wenig hinnehmbar sind, wie für Mitarbeiter des mittleren
und gehobenen Dienstes.
Hinsichtlich des Fernpendelns stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die von der
Landesregierung ständig in prononcierter Form vorgetragene und von den Unternehmen in NRW geforderte Vereinbarkeit von Beruf und Familie denn in den eigenen Kanon von Arbeitgeberpflichten aufgenommen und realisiert wird.
Angesichts der Einlassung von Minister Laumann, dass die vorgesehene Zusammenführung des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit auf dem Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen nun mal „für alle Beschäftigen eine berufliche Veränderung, die im Einzelfall auch als Belastung empfunden“ werden könne, darstellt,
sind erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit angebracht, dass die Landesregierung
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich aktiv fördern und voranbringen
möchte, da sie in ihrem eigenen beschäftigungspolitischen Binnenbereich dieses
Ziel in sträflicher Weise ausblendet.
So werden seitens des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen die Initiativen von Unternehmen gelobt und als
best practise angeführt, die ihre unternehmerische Interessenlage auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf abgestimmt haben und somit ihren Arbeitnehmern
eine familienpolitisch adäquate Lösung im Hinblick auf die ambivalente Interessenlage von Berufsausübung und Familienförderung anbieten. Diese Unternehmen zeigen, dass die unternehmerische Interessenlage keineswegs konträr zu den Ansprüchen einer familienbezogenen Lebensweise stehen muss, sondern dass es durchaus gelingen kann, die Ambivalenz mit viel Kreativität, aber auch dem Einbringen
von materiellen Ressourcen seitens des Unternehmens zu Gunsten eines Interes-
216
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
senausgleiches aufzulösen. Indem die Unternehmen in eine familienfreundliche Infrastruktur investieren, gelingt es ihnen, Mitarbeiter zu motivieren und zu binden.
Dabei reicht das Spektrum der Maßnahmen von einer familienfreundlichen Arbeitszeitgestaltung, der Vermittlung qualifizierter Tagesmütter, bis hin zu kreativen Vertretungsregelungen im Team oder der Einrichtung von Online-Telearbeitsplätzen.
Eine familienbewusste Personalpolitik, die zum integralen Bestandteil der Unternehmenskultur geworden ist, rechnet sich aber auch für das Unternehmen. Indem
Mitarbeitermotivation und Bindung an das Unternehmen gestärkt werden, da Mitarbeiter in ihren Interessenlagen und Bedürfnissen ernst genommen werden, erhöht
sich zum einen das Engagement der Mitarbeiter, die sich nicht funktionalisiert fühlen, sondern i.S. einer corporate identity sich mit den Unternehmenszielen und Zwecken identifizieren, zum anderen gelingt es einem familienfreundlichen Unternehmen wesentlich leichter, benötigte Fachkräfte am Markt zu rekrutieren, als einem
Unternehmen, das den Familienkosmos als Privatsache deklariert. Denn ein solches
familienpolitisch sensibilisiertes Unternehmen bietet mit seinen familienpolitischen
Angeboten einen echten Mehrwert für Arbeitnehmer mit Familien und ist deshalb
wesentlich attraktiver als ein Nachfrager am Arbeitsmarkt, der über diesen entscheidenden soft factor nicht verfügt.
Wenn also die Landesregierung in ihren offiziellen Verlautbarungen ständig darauf
hinweist, dass sich die „Politik für Familien [...] an der Lebenswelt von Familien ausrichten (muss)“, so sollte dies auch zu Exzellenzinitiativen in den eigenen Binnenverhältnissen der Beschäftigungsstrukturen in Behörden und öffentlichen Einrichtungen wie dem LIGA.NRW führen.
Durch die Einführung einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik ließen sich
beim LIGA.NRW gleich zwei Probleme lösen. Zum einen das der dringend benötigten Personalaufstockung aufgrund der demographischen Altersstruktur der Belegschaft. Immerhin beträgt das Durchschnittsalter der Beschäftigten dieses Landesinstituts ca. 45 Jahre. Insofern ist es erforderlich, dass junge, motivierte Experten, die
durch die altersspezifische Fluktuation hervorgerufenen Beschäftigungslücken wieder füllen. Angesichts der finanziellen Unattraktivität des ÖGD ist dies nur bedingt
möglich. Aber mit einem entsprechend familienfreundlichen Angebot, das eine längere Lebensplanung zulässt, hätte das LIGA ein Alleinstellungsmerkmal, das seine
Attraktivität für Mitarbeiter mit Familien erheblich steigern könnte.
217
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Zum anderen ließen sich durch eine familiengerechte Beschäftigungsinfrastruktur
jene Experten und unverzichtbare Fachkräfte halten, die gegenwärtig aufgrund mitarbeiter- und familienfeindlicher Verhaltensweisen genötigt sind, der geplanten Verlagerung proaktiv in Form der Kündigung zu begegnen.
Schließlich wäre es der Landesregierung damit ebenfalls möglich, einen wirklichen
Leuchtturm der Exzellenzinitiativen in NRW mit Beispielfunktion für die Wirtschaft zu
bilden. Anstatt einer bloßen Verbalisierung, könnte sie mit einem so familienfreundlich organisierten dezentralen LIGA.NRW selbst die Initiative ergreifen und auf dem
Weg zu der postulierten Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit einem solchen Best
Practise eine entscheidende Orientierung für viele Unternehmen im Lande geben.
Hierfür müssten allerdings zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um die Beschäftigungspotenziale an den regionalen Netzwerkknoten weiter zu entwickeln. Es muss
in eine IuK-Infrastruktur investiert werden, die es gestattet, die Vorteile der regional
aufgestellten LIGA.NRW-Standorte weiterhin zu nutzen und sie mit dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen) zu verbinden. Hier
wäre denkbar, dass eine Fachabteilung LIGA.NRW im Kompetenzzentrum (um die
face to face-Kontakte zu sichern) mit Koordinierungsfunktion aller dezentralen LIGA.NRW-Standorte am Gesundheitscampus eingerichtet werden könnte, ohne jedoch die bestehenden knappen Personalressourcen des LIGA.NRW dadurch zu
belasten. Mithin müssten zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit onlineund DV-gestützter Technologie ließen sich so familienfreundliche Telearbeitsplätze
an den Standorten sichern, so dass eine berufliche Planung und eine Lebensplanung ermöglicht wird, die den Mitarbeitern des LIGA.NRW jene Planungssicherheit
garantiert, die von der Landesregierung bislang sträflich vernachlässigt und teilweise auch über eine mitarbeiterinadäquate Informationspolitik systematisch konterkariert wurde.
Durch diese beschriebene Strategie würde das LIGA.NRW tatsächlich an Effizienz
und Zukunftsfähigkeit gewinnen, da durch die so gewonnene Sicherheit des Arbeitsplatzes sowohl die krankheitsbedingenden Faktoren wie Stress und das Gefühl
der Instrumentalisierung und des Ausgeliefertseins wie auch die dadurch bedingte
Demotivation, mit der Konsequenz der „inneren Kündigung“ der Mitarbeiter, keinerlei
Bedeutung mehr hätten.
218
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dies könnte auch den mittlerweile einsetzenden Prozess der ungesteuerten Personalfluktuation, der die Arbeitsfähigkeit vieler LIGA.NRW Aufgabenbereiche massiv
einschränkt, stoppen. Dies wiederum bedeutet, dass die aus der Personalreduktion
resultierende Mehrbelastung und Intensivierung der Arbeit abnimmt, so dass die
Möglichkeit besteht, eine ausgewogene Work-Life-Balance zu erreichen, was derzeit absolut nicht möglich ist.
Die Einführung von Telearbeitsplätzen scheint angesichts der Fokussierung der
Landesregierung auf den Gesundheitscampus mit seiner Zentrale, dem Kompetenzzentrum (Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen), das Mittel der
Wahl zu sein, um den Excellenzstatus des LIGA.NRW in seiner Dezentralität zu sichern. Dass die Einführung von Telearbeitsstrukturen möglich und sinnvoll ist, beweist u.a. das Fallbeispiel Landesforsten Rheinland-Pfalz. Hierbei handelt es sich
um eine Landesbehörde, die einen wesentlich höheren Personalstand hat als das
LIGA.NRW. Die Landesforsten Rheinland-Pfalz beschäftigen 2.338 Mitarbeiter. Davon sind 23% Frauen und 15% Teilzeit Beschäftigte. Um den Elternzeitlern eine familienfreundliche Arbeitsplatzgestaltung einzuräumen, wurde die Arbeit flexibilisiert.
Eine wesentliche Flexibilisierungsform besteht in der Telearbeit. Hierbei werden den
Mitarbeitern zwei unterschiedliche Modelle angeboten.
Sie können zwischen den Modellen „permanente Heimarbeit“ und „alternierende
Telearbeit“ wählen. Alternativ dazu wurden von der Landesforstverwaltung Satellitenbüros eingerichtet, die den Vorteil bieten, dass sie sich im Nahbereich des Wohnortes befinden. So brauchen Mitarbeiter der Forstverwaltung zum Arbeitsplatz keine belastenden, weil weitere Strecken zurücklegen. Ein Fernpendeln wie es die LIGA.NRW - Mitarbeiter auf sich nehmen sollen, ist für die Landesforsten RheinlandPfalz völlig indiskutabel. Die familienbezogene Unternehmens-/Verwaltungskultur
kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Landesbehörde in ihren Dienststellen
hinsichtlich der Kinderbetreuung individuelle Lösungen anzubieten versucht. In verschiedenen Dienststellen wurden bereits Eltern-Kind-Zimmer eingerichtet.
Außerdem vermittelt die Familienbeauftragte Betreuungsangebote für Kinder (Tagesmütter, Kinderhorte, Elterninitiativen).151
151
Vgl. hierzu: Monika Runkel: Familienfreundliche Unternehmenskultur in einer männerdominierten Behörde, auf: www.familie.dgb.de
219
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Dieses Beispiel verdeutlicht den gravierenden Unterschied in der Unternehmenskultur der Landesforstverwaltung und des vom MAGS gesteuerten LIGA.NRW. Wäre
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tatsächlich ein substanzielles Thema des
MAGS, so wäre - wie auch in Rheinland-Pfalz - sichergestellt worden, dass bei einer
Reorganisation einer Behörde das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
auf allen Ebenen berücksichtigt werden muss. Um dies umsetzbar zu gestalten und
den Stellenwert des Themas zu kommunizieren, wurde in der Landesbehörde die
Familienbeauftragte auf höchster Chefebene angesiedelt. Damit wurde ein erster
wesentlicher Schritt in Richtung auf eine Veränderung von Führungsstrukturen getan, der das Selbstverständnis einer hierarchisch strukturierten Behörde in Frage
stellt. Mit der auf der Entscheidungsebene angesiedelten Familienbeauftragten soll
signalisiert werden, dass Veränderungen möglich und möglichst zeitnah umzusetzen sind, wobei sich die alten Führungsstrukturen und ihre, eine schnelle Umsetzung von Innovationen konterkarierenden Dienstwegen, grundlegend zu verändern
haben.
Nur vor diesem Hintergrund wird erklärlich, dass sich eine familienfreundliche Unternehmensphilosophie mit ihren konkreten Initiativen in einer Landesbehörde mit
einem so großen Personalbestand relativ friktionslos im Interesse der Arbeitnehmer
umsetzen ließ.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass der Wille, in das LIGA.NRW eine entsprechend familienfreundliche Struktur einzuziehen, nicht sehr ausgeprägt ist. Dies lässt
auch erahnen, dass die Interessenlage und die Arbeits- wie Lebensumstände der
von der Verlagerung bedrohten Beschäftigten, dem MAGS - wie auch schon im
Schlussgutachten des Institutes für Verwaltungswissenschaft ausgeführt - relativ
gleichgültig zu sein scheint. Die Humanressource Mitarbeiter wird offenbar als ein
bloßer Produktionsfaktor betrachtet, der möglichst ohne großen Aufwand und möglichst reibungslos in dem vorgegebenen Produktionsrahmen zu funktionieren hat.
Dass eine solche - über die Interessen der Beschäftigten - hinwegsehende Unternehmenskultur mit ihrer Entscheidungsfindung den Arbeitszusammenhang und die
Produktivität nachhaltig schädigt, wird sich spätestens dann erweisen, wenn die
Verlagerung an den Standort des Gesundheitscampus tatsächlich erfolgen sollte
und die Arbeitsfähigkeit des LIGA.NRW aufgrund des Personalverlustes nicht mehr
gesichert ist. Ein am Gesundheitscampus jedoch handlungsunfähiges LIGA.NRW
dürfte die Erwartungen der Landesregierung im Hinblick auf die Synergieeffekte, die
220
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
von einer Bündelung aller relevanten gesundheitswirtschaftlichen Akteure am Gesundheitscampus erhofft werden, wohl kaum noch erfüllen.

Insofern wäre es strategisch klüger, schon jetzt seitens des MAGS darüber
nachzudenken, ob es nicht sinnvoller wäre, die Mitarbeiter an den regionalen
Standorten zu belassen und alternativ dazu landesweit die Kommunikationsstrukturen zwischen dem ÖGD, den Gesundheitsregionen und dem Leuchtturm der Gesundheitswirtschaft, dem Gesundheitscampus mit dem Strategiezentrum auszubauen.
Denn dadurch würden nicht nur

die regionale Exzellenz gesichert,

der ÖGD und das Gesundheitswesen profitieren,

dem Strategiezentrum entsprechendes Know-how zugeführt, so dass es
„neue Impulse in der Versorgungsforschung setzen, Leitprojekte entwickeln
und die internationale Vermarktung des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens unterstützen kann“,
sondern vor allem in mustergültiger Weise die familienpolitische Ausrichtung der
Landesregierung belegt.
13 FAZIT
„Aktuell wenden wir in Deutschland rund 250 Mrd. € (gut 10 %) des Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit auf. Dieser Betrag lässt sich nicht beliebig steigern.
Deshalb müssen wir die gesundheitliche Versorgung so effizient wie möglich gestalten […].“
„Mit dem Gesundheitscampus bündeln wir unsere Kräfte in der Gesundheitswirtschaft und machen unsere Anstrengung auch nach außen sichtbar.“
221
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
„Wir sind heute eine führende Gesundheitsregion in Deutschland. Wir wollen eine
führende Gesundheitsregion in Europa werden. Und wir wollen international mit den
Besten mithalten.“152
Drei Begründungsversuche von Minister Laumann für das Modell der zentralen
Bündelung und Konzentration von Akteuren am neu zu errichtenden zentralen Gesundheitscampus.
Was es mit der ersten Aussage auf sich hat, lässt sich nunmehr im Zuge des Gutachtens - insbesondere im Rahmen der Kritik des Effizienzbegriffes - signifikant dechiffrieren.
Wenn von einer effizienten gesundheitlichen Versorgung im Sinne der Landesregierung die Rede ist, so bezieht sich dies - nach den bisherigen Ausführungen - in erster Linie auf die gesundheitswirtschaftliche Angebotsstruktur. Die soll durch den Gesundheitscampus ausgeweitet und gestärkt werden, indem alle wesentlichen Ressourcen des Gesundheitswesens (dezentral gestaffeltes LIGA.NRW, Epidemiologische Krebsregister und Clustermanagement) aus den regionalen Gesundheitsclustern abgezogen werden. Dies erinnert eher an einen Marketingcoup zur Verkaufsförderung gesundheitswirtschaftlicher Dienstleistungen und Produkte, als das eine
wirklich qualitative Entwicklung des Gesundheitswesens mit dem Ziel der Verbesserung der Versorgungsqualität der Bevölkerung in regionaler, wie NRW weiter Hinsicht angestrebt würde. (Ansonsten wäre es beispielsweise sinnvoller die personell
gefährdete Erfüllung der Fachaufgaben GVP 4..1 und 4.2 in ihrer Relevanz für die
NRW-Gesundheitspolitik an dem regionalen Standort Bielefeld zu stärken).
Eine führende „Gesundheitsregion NRW“ wird damit faktisch kongruent gesetzt mit
einer erfolgreich am internationalen Markt aufgestellten Gesundheitswirtschaft, von
der sich die Landesregierung erhebliche Wachstumsprozesse erhofft - selbst wenn
die Verlautbarungen der Landesregierung hier weniger eindeutig und oftmals ambivalent sind. Gäbe es seitens der Landesregierung nicht die Intention, eine zentrale
Säule des ÖGD, nämlich das dezentral aufgestellte und in seiner Erfüllung von
Aufgaben für den ÖGD und das Gesundheitswesen in ganz NRW effektiv und effizient arbeitende LIGA.NRW, aus seinen regionalen Verankerungen herauszulösen
und am Gesundheitscampus geradezu krampfhaft in eine artifiziell geschaffene
152
Zitat von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes
Nordrhein-Westfalen.
222
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Struktur einzubinden, ungeachtet bislang fehlender Kooperationsschnittstellen zu
anderen Akteuren, wäre die in diesem Gutachten vorgetragene Kritik am Modell
Gesundheitscampus nicht gerechtfertigt.
So aber wird an der Depotenzierung des LIGA.NRW in Form des Verlustes seiner
dezentralen Struktur deutlich, dass es der Landesregierung weniger um die Optimierung des Gesundheitswesens geht, als um die Förderung der Gesundheitswirtschaft. Damit sind zwei gegenläufige und höchst bedenkliche Entwicklungen verbunden.
Indem mit einem Budget von 75 Mio. € die Gesundheitswirtschaft am Standort Gesundheitscampus aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird, werden seit Jahren im Namen von Effizienz und einer Schlanken Verwaltung beim LIGA.NRW - Kürzungen vorgenommen, indem Stellen gestrichen und erforderliche Mittel nicht bereitgestellt werden.
Aufgrund dieser anhaltenden Auszehrung ist das LIGA.NRW schon derzeit in vielen
Aufgabenbereichen nicht nur geschwächt, sondern auch partiell handlungsunfähig.
So offenbart die Personalsituation des ZÖG den Widerspruch zwischen öffentlichen
Verlautbarungen des MAGS und der tatsächlichen Situation des ÖGD. Beispiele
hierfür sind die Bereiche Prävention, Gesundheitsberichterstattung und Arzneimitteluntersuchung, also geradezu die Paradedisziplinen, mit denen sich die Landesregierung in den offiziellen Verlautbarungen gerne schmückt.
So ist das MAGS einerseits bestrebt, die Prävention zu einem Schwerpunktfeld in
der Landesgesundheitspolitik auszubauen, während sie andererseits diesen wichtigen Bereich durch die Reduzierung der personellen Ressourcen ausbluten lässt.
Die Gesundheitsberichterstattung war einst eine Vorzeigeaktivität des Landes NRW.
Alle anderen Bundesländer waren gehalten, den vom vormaligen LÖGD entwickelten Gesundheitsindikatorensatz - der sich in ständiger Differenzierung und Fortentwicklung befand - verpflichtend zu übernehmen. Im Zuge der Fusion zum LIGA ist
gerade dieser Bereich personalmäßig erheblich dezimiert worden, was dazu führt,
dass er zu konzeptionellen Arbeiten nur noch bedingt in der Lage ist.
Während zum Beispiel andere Bundesländer mittlerweile erkannt haben, wie wichtig
für das Gesundheitswesen die Empfehlungen und die Kontrollfunktion des Bereiches Sozialpharmazie sind, so dass in Bayern beispielsweise Stellen in diesem Bereich neu geschaffen werden, werden in NRW personelle Ausdünnung und Bedeu-
223
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
tungsverlust der Sozialpharmazie mittelfristig dazu führen, dass die Sozialpharmazie
aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in NRW verschwinden wird. Auch
dadurch ist der Verlust einer Spitzenposition von NRW im Bereich ÖGD in der Bundesrepublik Deutschland vorprogrammiert.
Ebenso verhält es sich in vielen Bereichen der Arzneimitteluntersuchungsstelle.
Alle bisher angeführten Beispiele verdeutlichen eine zentrale Tendenz: während die
als Leitbranche deklarierte Gesundheitswirtschaft mit erheblicher finanzieller Unterstützung zum Vorzeigeprojekt der Landesregierung avanciert, depraviert der Öffentliche Gesundheitsdienst.
Die Kollateralschäden dieses Substanzverlustes sind aber noch weit gravierender.
Denn ein in seinem Leistungsportfolio stark eingeschränktes LIGA.NRW kann auch
seinen Kontroll- und Überwachungsfunktionen des gesundheitswirtschaftlichen
Marktes kaum noch gerecht werden. M. a. W., der Verbraucher bleibt sich selbst
überlassen, ganz nach dem Verdikt des mündigen, souveränen Konsumenten. Der
allerdings vermag die vielfältigen Angebote des Gesundheitsmarktes nicht auf ihre
Qualität und Wirksamkeit zu prüfen. So besteht die Gefahr, dass der vermeintlich
mündige Verbraucher dem Marketing auch zweifelhafter Therapie- und Kurationsangebote und deren Versprechungen erliegt. Ein LIGA.NRW als aufklärendes und
Orientierung bahnendes Korrektiv gegen Auswüchse auf dem gesundheitswirtschaftlichen Markt, wäre bei einer weiteren personellen Schwächung sowie einer
potenziellen Nähe zu privatwirtschaftlichen Kooperationsstrukturen im Rahmen des
Gesundheitscampus, nur noch eingeschränkt in der Lage, in effizienter Weise dem
Verbraucherschutz zu dienen. Sollten mit der Verlagerung an den Gesundheitscampus überdies noch weitere (30) Stellen (wie intendiert) gestrichen werden, so dürfte
der LIGA.NRW in seinem Kern getroffen sein. Dies hat erhebliche Konsequenzen
für den ÖGD im Lande.
Oder deutlicher formuliert: Das Land setzt sich mit der Verlagerung der dezentralen
Standorte des LIGA.NRW an den zentralen Standort des Gesundheitscampus Bochum dem Risiko aus, funktionierende Strukturen und Netzwerke zu zerschlagen.
Denn mit einem auf seine Dezentralität verzichtendes LIGA.NRW steht zu befürchten, dass in kürzester Zeit ein über Jahrzehnte mühsam aufgebautes Bindeglied in
der Struktur des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf der Ebene des Landes zerstört wird. In absehbarer Zeit wird die Landesregierung - die eigentlich Verantwor-
224
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
tung für intakte, gemeinwohlorientierte Systeme und Strukturen im Gesundheitswesen (u.a. Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit der Gemeinschaft und des
Einzelnen) zu tragen hätte - mit den negativen Folgen dieser Verlagerungsbestrebungen konfrontiert werden; nämlich mit dem Ergebnis, dass das Gesundheitswesen - auch aufgrund der daraus resultierenden Schwächung - Schaden nehmen
wird.
Parallel dazu werden Millionenbeträge in ein Projekt investiert, dessen Konturen seitens der Landesregierung nicht - bis auf einige dürre Andeutungen und Allgemeinplätze - auch nur annähernd nachvollziehbar kommuniziert werden konnten. Bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt existieren weder öffentlich zugänglich belastbare Zahlen,
noch ein der interessierten Öffentlichkeit bekanntes konsistentes Konzept für den
Gesundheitscampus. Weder stehen die privatwirtschaftlichen noch die öffentlichen
Akteure definitiv fest. Die bisherige, wohlbegründete Absage des Krebsregisters, ist
hierfür symptomatisch.
Es gibt insbesondere für die beabsichtigte Verlagerung des LIGA.NRW von den dezentralen Standorten zum zentralen Standort Gesundheitscampus keine der Öffentlichkeit bekannte alternative Kosten-Nutzen Schätzung im Hinblick auf den Aufwand
der zu leisten wäre, um das LIGA.NRW zentral (natürlich dem Willen des MAGS
folgend auch abgespeckt) weiterzuführen.
Es spricht vieles dafür, dass eine Verlagerung nur mit einem erhöhten Investitionsaufwand gegenüber einem Verbleib an den alten Standorten zu leisten wäre. Dies
belegen nicht zuletzt auch die Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, die das Institut für
Verwaltungswissenschaften in seiner Aufgabenkritik durchführte. Gerade bei der
Verlagerung der Arzneimitteluntersuchungsstelle ist mit höheren Aufwendungen am
neuen Standort für die gesamte Labortechnik zu rechnen. Werden die Transaktionskosten für die Beschaffung von Informationen und Analyseergebnisse, die gegenwärtig durch die Netzwerke von LIGA.NRW, CVUA und Universität Münster sichergestellt und gewährleistet werden, noch hinzuaddiert, so dürfte der Kostenfaktor
noch beträchtlich höher sein.
Ebenso kontraproduktiv wäre es, die kostenträchtigen Laboreinrichtungen für den
Arbeitsschutz des Düsseldorfer Standortes zu verlagern. Dies würde jeglichen vertretbaren Kostenrahmen sprengen. Auch hier spricht eine rationale Kosten-Nutzen
Analyse gegen eine Verlagerung des LIGA.NRW Standortes nach Bochum.
225
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Mit Rentabilitätsüberlegungen lassen sich die Verlagerungsbestrebungen also nicht
begründen.
Selbst unter dem wohlwollensten Szenario, dass sich am Standort Gesundheitscampus für das LIGA.NRW keine oder nur sehr konstruiert minimale Schnittstellen
für eine Kooperation finden lassen, bleibt dennoch die Frage weiterhin klärungsbedürftig, warum ohne große Not regionale Kooperationsstrukturen zerschlagen werden, deren Synergieeffekte nicht nur kostenreduzierend wirkten, sondern zudem
auch innovative Prozesse auf den Weg brachten, die dann tatsächlich zu einem
Kompetenzzuwachs und einer Verbesserung von Strukturen des ÖGD, des Gesundheitswesens und gerade auch hinsichtlich der gesundheitswirtschaftlichen
Wertschöpfung führten. Die Spitzenpositionen, die die Gesundheitsregionen in vielen Kompetenzfeldern auf der Grundlage des ÖGD und eben auch der damit vernetzten Gesundheitswirtschaft (s.ZIG) erreicht haben, sprechen dafür. Dies sind die
Anstrengungen und Erfolge, die dann tatsächlich nach außen hin sichtbar werden
und vor allem das Renommee der Gesundheitsregionen und der „Gesundheit.NRW“
begründen.
All dies dürfte künftig- wenn hier endgültig Ressourcen abgezogen werden -nur
noch eine historische Reminiszenz sein.
Einerseits eine Investition von 75 Mio. € in ein nicht nachvollziehbares, in seinem
Umfang wie auch in seiner Interaktionsdynamik mit überregionalen Akteuren nicht
kalkuliertes Projekt zu leisten, die andererseits zum Resultat hat, dass langjährig,
mit nicht unbeträchtlichen Investitionen und Mühen seitens der engagierten Mitarbeiter aufgebaute Strukturen eines funktionierenden und beispielgebenden ÖGD
nachhaltig beschädigt werden, dürfte eine eher kontraproduktive politische Entscheidungen darstellen. Hier könnte eine Wiederholung der negativen Entwicklungen, wie z. B beim Trickfilmstudio Oberhausen (HDO) oder beim Zentrum für Mikrochirurgie stattfinden.
Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, warum eine wachstumsdynamische Branche, die laut Landesregierung bis zu 200 000 neue Arbeitsplätze in NRW schaffen
wird, mit einem solchen hohen Betrag subventioniert werden muss. Wieso bedarf es
für eine Branche, die derart gut am Markt aufgestellt ist, und ihre Produkte (worunter
beispielsweise alle privat finanzierten Produkte und Gesundheitsdienstleistungen
des „Zweiten Gesundheitsmarktes zu subsumieren sind) mit Leichtigkeit in den für
226
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
sie relevanten Marktsegmenten abzusetzen weiß, überhaupt einer solchen Absatzförderung?
So weisen z. B. die Prognosen der Bundesregierung und eine Studie der Roland
Berger Strategy Consultants - in der eine zusätzliche Nachfrage von 16 Milliarden
Euro errechnet wird, für die bislang noch kein ausreichendes Angebot besteht - genau in diese Richtung. Insofern ist zu fragen, ob es wirklich notwendig ist, EU-Mittel
und Steuergelder in ein solches Projekt zu investieren, da doch die Branche genügend Potenzial hat, sich selbst am Markt erfolgreich aufzustellen.
Hinsichtlich der öffentlichen Einrichtungen, die am Standort zentralisiert werden sollen, lässt sich zudem nicht überzeugend belegen, dass mit einer Konzentration von
LIGA.NRW, Krebsregister, Clustermanagement NRW und auch der geplanten
Fachhochschule für Gesundheitsberufe an den Campus, ein Mehrwert verbunden
wäre. Der Beleg für diese Kausalität ist bislang noch nicht geleistet worden.
Selbst die Positionierung „Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen“, mit
seinen drei Kernfunktionen:

Betriebswirtschaftlicher Service z. B. bei der Förderberatung und bei der
Campusentwicklung;

Initiierung von Kooperationen und Netzwerken (z. B. im Bereich der Versorgungsforschung, im Ausbau internationaler Standards oder der Erschließung
ausländischer Patientenmärkte;

Initiierung zukunftsweisender Projekte und Initiativen (z. B. im Management
von Projekten im Bereich der Gesundheitsförderung, der gesundheitlichen
Vorsorge und der gesundheitlichen Versorgung)
erfordert nicht die Zentralisierung der dezentralen LIGA.NRW - Bereiche oder des
Krebszentrums NRW. Vielmehr lässt sich die Koordinierung in diesem Bereich - anders als an den relevanten Clusterschnittstellen, die auf face to face Kontakte zur
engen Kooperation angewiesen sind, mit modernen Kommunikationsmitteln bewältigen.
In Anbetracht des Personalverlustes, den das am Campus konzentrierte LIGA.NRW
in Kauf zu nehmen hat, dürften zudem die Inputs im Rahmen der am Standort des
Gesundheitscampus intendierten Vernetzungen und Kooperation eher gering ausfallen. Andererseits wäre ein voll funktionsfähiges LIGA.NRW an dem Standort Biele-
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
feld durchaus in der Lage, wesentliche Impulse einer am Standort Bielefeld ansässigen Fachhochschule für Gesundheitsberufe - gerade aus den im Gutachten anvisierten GVP 4.1.2 (Prävention und Gesundheitsförderung) zu vermitteln.
Auch hieran zeigt sich, dass keinerlei Alternativkonzepte auf der Basis von Szenarien entwickelt hierzu wurden, die über die Vorteile und Nachteile alternativer Standorte im Rahmen von Nutzen-Aufwand Relationen anhand nachvollziehbarer Parameter hätten Auskunft geben können.
Die Anwendung eines in jeder Projektplanung zur strategischen Positionierung und
Zielausrichtung gängigen Instrumentes wie dem Szenario-Management, mit dem
sich Erfolgs- und Nutzenpotenziale alternativer Standorte und deren Zukunftspotenziale hätten erschließen lassen, konnte bezüglich der Entscheidungsfindung seitens
des MAGS bislang nicht recherchiert werden. Ansonsten wäre es – bei entsprechender Anwendung eines solchen Planungsinstrumentes – dem MAGS auch möglich gewesen, die Entscheidung für eine Konzentration der dezentralen LIGAStandorte am Gesundheitscampus sachlich nachvollziehbar zu begründen.
Auf eine solche sachlich untermauerte und objektiv nachvollziehbare Begründung
warten die LIGA.NRW - Mitarbeiter bis heute. Aber selbst mit der Wahl und Bekanntgabe des Standortes Bochum wurde dies seitens der Landesregierung noch nicht
einmal ansatzweise versucht.
Auch hier zeigen sich wiederum die erheblichen strategischen Defizite der geplanten Standortverlagerung, bzw. der Konzentration der Akteure am Gesundheitscampus.
Es fehlt einfach ein in sich schlüssiges Konzept, in dem der wirtschaftliche wie gesundheitspolitische Nutzen der Standortverlagerung zweifelsfrei argumentativ nachvollziehbar wäre. Hierzu allerdings wäre es erforderlich gewesen, eine für alle Beteiligten transparente Kosten - Nutzenanalyse durchzuführen, anhand derer belegbar
ist, dass sich die Investitionen in Höhe von 75 Mio. € tatsächlich rechnen werden, da
sie in erheblicher Weise neue Beschäftigung sowohl am Standort selbst als auch in
den von der Verlagerung betroffenen Gesundheitsregionen schaffen werden. Darauf
hat die Landesregierung verzichtet.
So allerdings bleibt es beim Prinzip Hoffnung, dass in seiner Prognostik noch nicht
einmal auf vergleichbare Projekte verweisen kann. Immerhin lässt die Landesregierung verlauten, dass durch den zentralen Standort möglicherweise 500 neue Ar-
228
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
beitsplätze geschaffen werden. Wie dies nun möglich sein soll, in Anbetracht weiterer Personalkürzungen, die beim LIGA.NRW vorgenommen werden sollen und der
Ansiedlung von bislang noch ungesicherten Einrichtungen, bleibt weiterhin unerfindlich und rational nicht nachvollziehbar. Für die genannte Anzahl an Arbeitsplätzen
fehlt es bis heute an einem Begründungsdiskurs. Mithin handelt es sich bei dieser
Angabe wohl weniger um eine methodisch abgesicherte Prognose, als um eine
Prophetie. Zu hoffen wäre allerdings, dass die Landesregierung in dieser Frage
noch einen objektiven Nachweis liefern würde für die in Aussicht gestellte Anzahl an
Arbeitsplätzen, wie auch für die Vorteile, die der Gesundheitscampus in Hinsicht auf
den Erhalt und die Förderung der Gesundheit der Bürger und einer innovativen Verbesserung des gesamten Gesundheitswesens zu leisten in der Lage ist. Eine stringente Begründung mit erkennbaren Indikatoren und Parametern, die die Perspektive, aus der sich die Erwartungen nähren, kenntlich machen würde, wäre immerhin
in der Lage, den bislang verabsäumten Diskurs hierüber mit den Experten und Beschäftigten zu eröffnen. Nur auf dieser Folie, bei der Vor- und Nachteile der Planung
der Landesregierung evident werden, lassen sich auch Sachentscheidungen entweder für oder gegen eine Übersiedlung an den Gesundheitscampus Bochum seitens
der Vertreter der einzubindenden Einrichtungen fällen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass in keiner Verlautbarung
oder Publikation des MAGS eine wie auch immer ausgerichtete inhaltliche Funktionsbeschreibung der Aufgabenwahrnehmung und der Rolle vermittelt wird, die das
LIGA.NRW künftig am Gesundheitscampus einnehmen soll. Stattdessen wird in dürren Worten darauf hingewiesen, dass das „Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit
(LIGA.NRW) ebenfalls auf dem Campus tätig werden (wird).“153 Ansonsten wird analog den gesetzlichen Bestimmungen des ÖGDG das Leistungsspektrum des LIGA.NRW noch einmal aufgelistet. Eine Begründung dafür, warum LIGA.NRW notwendiger Weise ebenfalls am Standort Gesundheitscampus verankert sein soll,
vermeidet die Darstellung.
Aus der bisher geleisteten Analyse lässt sich allerdings gerade auch unter der dezidiert wirtschaftlichen Ausrichtung des gesamten Campuskonzeptes dennoch davon
ausgehen, dass auch das LIGA.NRW den wirtschaftlich relevanten Netzwerken implementiert werden soll, um somit als Dienstleister fungieren zu können, mit all den
bereits aufgezeigten negativen Folgen für den ÖGD und das Gesundheitswesen.
153
Ebenda. S. 8.
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Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Prävention und Gesundheitsförderung, Konzeptentwicklung, Innovationsmanagement, Sozialpharmazie, arbeitsbedingte Erkrankungen, Entwicklung von Präventionskonzepten, betriebliches Gesundheitsmanagement sowie die Datenbasis Gesundheit NRW und die Gesundheitsberichterstattung dürften von Interesse für die
Wirtschaft sein, insofern sie schon im Zugriff auf das LIGA.NRW im Vorfeld über
Entwicklungen Kenntnis gewinnen und bestimmte Empfehlungen inhaltlich mit beeinflussen könnte. Insofern würde sie in lukrativer Weise auf gesundheitspolitische
Entscheidungen und Zielbestimmungen Einfluss nehmen können. Direkter als dies
an den dezentralen Standorten der Fall wäre. Gleiches gälte für die Arzneimitteluntersuchungsstelle und das ZGA. Gerade die diskutierte Problematik um die Interessenkollision innerhalb des Gesundheitscampus zwischen öffentlichen Auftrag und
Förderung der Gesundheitswirtschaft verweist auf die Gefahren für den Verbraucher- und Gesundheitsschutz.
Folgt man dieser konzeptionellen Ausrichtung des LIGA.NRW in seiner Neuaufstellung am Standort in Bochum, so wird allerdings ein Widerspruch signifikant.
Ein LIGA.NRW, mit seinem auch für die Wirtschaft relevanten Leistungsportfolio,
würde seine ihm zugewiesene Mittlerfunktion zwischen ÖGD, Gesundheitspolitik,
Gesundheitswesen und Privatwirtschaft nur wahrnehmen können, wenn es voll
funktionsfähig wäre.
Diese Funktionsfähigkeit ist jedoch nicht gewährleistet. Daran kann allen Daten und
Informationen, die bislang vorliegen und ausgewertet worden sind folgend, kein
Zweifel bestehen. Zu groß sind die personellen Lücken, die die Verlagerung reißen
wird. Wenn bis zu 30% aller Beschäftigten des LIGA.NRW Standortes Bielefeld und
zwischen 30% und 50% der am Standort Münster derzeit Beschäftigten nicht an den
Gesundheitscampus folgen werden, so kann man nur noch von einem in Rudimenten am Standort Bochum anzusiedelnden LIGA.NRW ausgehen. Damit dürfte die
Überlegung der Landesregierung - so sie denn explizit besteht - das LIGA.NRW in
den wirtschaftlichen Verwertungsnexus am Gesundheitscampus mit all seinen Supportleistungen zu integrieren, kaum von Nutzen sein. Ein Rumpf-LIGA.NRW kann
die in ihn gesetzten Erwartungen nicht mehr erfüllen.
Ebenso wenig macht ein Gesundheitscampus Sinn, der um seine zentralen Einrichtungen gebracht wird. Das Krebsregister wird aller Wahrscheinlichkeit nach kaum
einer Verlagerung zustimmen. Wenn doch, so werden sich personell die gleichen
230
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
Probleme einstellen, wie unter der Voraussetzung eines zentralisierten LIGA.NRW.
Viele hochqualifizierte Mitarbeiter werden der Verlagerung nicht folgen, so dass
auch hier erhebliche Friktionen in der Aufgabenwahrnehmung entstehen werden.
Auch hier besteht die Gefahr, dass ein tatsächliches Leuchtturmprojekt mit europäischer Bedeutung und Vorbildcharakter durch eine unnötige Verlagerung Schaden
nehmen wird.
Werden diese beiden Einrichtungen - LIGA.NRW und Krebsregister NRW - entweder nicht oder nicht in vollem Umfange übersiedeln (beim LIGA.NRW zeichnet sich
ab, dass die - bezogen auf die Arzneimitteluntersuchungsstelle - gegen eine Ansiedlung am Gesundheitscampus sprechenden Kostenargumente nicht ganz ihre Wirkung beim MAGS verfehlen), so bleibt fraglich, welchen Sinn der Gesundheitscampus dann noch haben wird.
Die zentrale - wenn auch wenig überzeugende Zielrichtung - bestand immer in der
Funktion des Gesundheitscampus, die relevanten öffentlichen Akteure des Gesundheitswesens zu bündeln um Synergien zu schaffen, die zu einer Verbesserung des
Gesundheitswesens beitragen. Wenn diese Voraussetzung sachlich nicht umsetzbar bzw. nicht erfüllbar ist, da die Idee in die Realität übersetzt eine kontraproduktive Eigendynamik entfaltet, hat die Idee in Referenz zum Gesundheitscampus keine
Berechtigung mehr und der Gesundheitscampus würde sich ad absurdum führen.
Ausgehend davon, dass intendiert ist, dass das LIGA.NRW auch weiterhin eine
zentrale Rolle für ÖGD, die Gesundheitspolitik und das Gesundheitswesen und damit auch indirekt für die Gesundheitswirtschaft spielen soll, ohne dass das LIGA.NRW ökonomisch funktionalisiert wird, stellt die Verlagerung eine dieses Ziel
konterkarierende Strategie dar.
Sie agiert, wenn man wie die Landesregierung einem am Gesundheitscampus konzentrierten LIGA.NRW einen entscheidenden Stellenwert für die Zukunftsfähigkeit
des Gesundheitswesens zuerkennt, geradezu antagonistisch diesem Bestreben gegenüber.
Die Landesregierung kann nur eins leisten. Entweder sie akzeptiert ein leistungsfähiges dezentrales LIGA.NRW, dass standortspezifisch Synergieeffekte generiert
und Inputs in die regionalen Cluster vermittelt und somit das Gesundheitswesen zukunftsfähig im Sinne der Bürger gemeinwohlorientiert ausrichtet oder sie zentralisiert
das LIGA.NRW am Standort des Gesundheitscampus in Bochum. Dann allerdings
231
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
mit der Konsequenz, dass das LIGA.NRW seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen
können wird, wodurch in letzter Konsequenz die Zukunftsfähigkeit eines mustergültigen ÖGD und - in the long run - die Zukunftsoffenheit für eine bürger- und wahrhaft
bedarfsgerechtes Gesundheitswesens verspielt wird.
232
Die Verlagerung des LIGA.NRW
Anforderungen an ein innovatives Gesundheitsmanagement
aus Arbeitnehmersicht
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