Persönliche PDF-Datei für R. Seeberger www.thieme.de Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag Aktueller Stand der operativen Techniken zur chirurgisch gestützten Gaumennahterweiterung DOI 10.1055/s-0042-121348 Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für die Nutzung zu nicht-kommerziellen, persönlichen Zwecken bestimmt (z. B. im Rahmen des fachlichen Austauschs mit einzelnen Kollegen und zur Ver­ wendung auf der privaten Homepage des Autors). Diese PDF-Datei ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen, dies gilt auch für soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen. Verlag und Copyright: © 2016 by Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart ISSN 0020-0336 Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags Fallbericht Aktueller Stand der operativen Techniken zur chirurgisch gestützten Gaumennahterweiterung Surgical Correction of Transversal Deficits in the Maxilla: Current State of Surgical Techniques for Surgically Assisted Maxillary Expansion Autor R. Seeberger Institut Praxis für Mund-, Kiefer-, Gesichts- und Oralchirurgie, Ludwigsburg Schlüsselwörter ▶ skelettale Dysgnathie ● ▶ transversales Defizit ● ▶ chirurgisch gestützte ● Gaumennahterweiterung Zusammenfassung Abstract Patienten mit einer skelettal bedingten Dys­ gnathie haben häufig auch ein transversales Defizit des Oberkiefers. Ein-oder beidseitiger Kreuzbiss, ein enges und hohes Gaumendach sowie Zahnengstände sind dabei typische klinische Charakteristika. Diese gehen dann mit kaufunktionellen, atemspezifischen und ästhetischen Beeinträchtigungen einher. Die Therapie beinhaltet in skelettal reifen Patienten eine chirurgische Expansion der Maxilla. Aktuell existieren verschiedene operative Techniken und konkurrierende Expansionsapparaturen in der Therapie dieser Fehlstellungen. Neben der chirurgisch unterstützen Gaumennahterweiterung, die in unterschiedlichen Techniken ausgeführt werden kann, ist auch eine einzeitige Lösung mit Expansion der Maxilla im Rahmen der eigentlichen Umstellungsosteotomie eine vielversprechende Alternative. Im Folgenden werden die operativen Schritte zur Erweiterung des Oberkiefers anhand klinischer Beispiele demonstriert und in Hinblick auf die aktuelle Literatur kritisch diskutiert. Patients with a skeletal-related malocclusion often have a transversal deficit of the upper jaw at the same time. A 1- or 2-sided cross bite, a narrow and high palate and crowded teeth are typical clinical characteristics. They are associated with masticatory, respiratory and aesthetic impairments. Therapy involves surgical expansion of the maxilla in skeletally mature patients. Currently there are various surgical techniques and competing expansion devices for treating these occlusal deficits. In addition to the surgically supported palatal expansion, which can be executed in different techniques, a one-step solution is a promising alternative by expanding the maxilla within the actual orthognathic surgery. In the following the surgical steps for the expansion of the upper jaw are demonstrated by clinical examples and critically discussed with regard to the current literature. Key words ▶ skeletal dysgnathia ● ▶ transversal deficit ● ▶ surgically assisted maxillary ● expansion Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0042-121348 Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0020-0336 Korrespondenzadresse Priv-Doz. Dr. Dr. Robin Seeberger MKG Solitude Praxis für Mund-, Kiefer-, Gesichts- und Oralchirurgie Solitudestraße 24 71638 Ludwigsburg Tel.: + 49/(0)7141/976760 Fax: + 49/(0)7141/9767699 www.mkg-solitude.de www.dysgnathie-ludwigsburg.de [email protected] ▼ Einleitung ▼ Die orthognathe Chirurgie umfasst Korrekturen des Gesichtsskeletts mit dem Ziel, normale anatomische und funktionelle Verhältnisse wiederherzustellen. Auf der Grundlage schädelbezogener Normwerte sollen durch die operative Umstellung von Ober- und Unterkiefer kaufunktionelle Defizite behoben sowie eine Verbesserung der Ästhetik erreicht werden. Form- und Lageanomalien des Kiefers sind in allen 3 räumlichen Ebenen möglich, sie können einen oder beide Kiefer betreffen und sowohl einseitig als auch symmetrisch auftreten. Häufig sind Kombinationen verschiedener Fehlbildungen. Ein transversales Defizit der Maxilla führt ▼ funktionell zum Kreuzbiss und damit zur Fehlverzahnung. Zudem kommt es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Nasenatmung und damit verbunden zu zahlreichen Allgemeinbeschwerden. Nach Abschluss des skelettalen Wachstums bleiben kieferorthopädische Maßnahmen zur Erweiterung der Maxilla ohne Wirkung. Es drohen vielmehr Zahnkippungen, Fenestrationen oder gar Wurzelresorptionen. Ab dem Alter von 16 Jahren ist eine konservative Sprengung der Gaumennaht und damit Weitung des Oberkiefers in der Transversalen nicht mehr möglich [1]. Die Korrektur des transversalen Defizits im Oberkiefer kann 1- oder 2-zeitig erfolgen. Das einzeitige Vorgehen erfolgt dabei im Rahmen der Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 271 272 Fallbericht mono- oder bignathen Umstellungsosteotomien und erspart dem Patienten dadurch einen zusätzlichen operativen Eingriff. Beim 2-zeitigen Vorgehen wird die Gaumennaht vor der kieferorthopädischen Ausformung der Zahnbögen in Vorbereitung auf eine Umstellungsosteotomie erweitert. Die theoretischen Grundlagen und deren praktische Umsetzungen ▼ Die chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung (GNE) Verantwortlich für die Resistenz gegen eine konservative rein kieferorthopädische Erweiterung sind die tragenden Pfeiler des Oberkiefers, die sogenannten zirkummaxillären Strukturen. Diese sind die Apertura piriformis, die Cristae zygomaticoalveolares, die Processus pterygoidei und natürlich der Processus alveolaris selbst. Vor allem die Cristae zytomaticoalveolares und die Processus pterygoidei stellen einen so erheblichen Widerstand dar, dass ein Dehnungsversuch ohne chirurgische Durch­ trennung erfolglos bleibt [2–4]. ● ▶ Abb. 1 zeigt schematisch die knöchernen Pfeiler des Oberkiefers. Um diese Pfeiler suffizient zu lösen und eine weitestgehend druckarme Erweiterung des Oberkiefers zu ermöglichen, ist eine subtotale LeFort-I Osteotomie notwendig. Die subtotale LeFort-I-Osteotomie zur chirurgischen Unterstützung der transversalen Weitung des Oberkiefers (surgically assisted rapid maxillary expansion = SARME) wurde 1976 von Bell und Epker beschrieben [5]. Knöcherne transversale Defizite des Oberkiefers können damit besonders bei Patienten nach dem 16. Lebensjahr schnell und dauerhaft ausgeglichen werden [6]. Dabei werden die oben beschriebenen zirkummaxillären Strukturen durchtrennt und eine transversale Weitung mithilfe einer Dehnapparatur erreicht. Dieser Distraktor kann sowohl am Alveolarfortsatz des Knochens als auch an den Zähnen befestigt werden. Die Dehnung wird durch Aktivieren einer Dehnschraube in der Apparatur erreicht. Abb. 1 Schematische Darstellung der in blau eingekreisten Oberkieferpfeiler. Der blaue Strich zwischen den Inzisiven zeigt die Stelle der Osteotomie des Alveolarfortsatzes. Es besteht kein allgemeiner Konsens über die beste Art der Verankerung der Distraktoren. Beide Arten (zahn- und knochengetragen) haben Vor- und Nachteile. Der Vorteil knochengetragener Dehnapparaturen liegt in der direkten Übertragung der Dehnkraft. Zudem kann die kieferorthopädische Ausformung deutlich schneller erfolgen, da in der Retentionsphase keine Bänder die Zahnbewegungen verhindern. ● ▶ Abb. 2, 3 und 4 zeigen die Verankerungsvarianten. Dadurch werden mögliche Nachteile von zahngetragenen Apparaturen, insbesondere eine Kippung der Ankerzähne sowie Wurzelresorptionen, vermieden. Nachteilig sind aber der zusätzlich notwendige Eingriff zur Entfernung des Distraktors und das Operationstrauma am Hartgaumen mit allen damit verbundenen Risiken. Die Kosten und der Aufwand bei der Anbringung zahngetragener Distraktoren sind wesentlich geringer als bei knochengetragenen Geräten. In der Literatur finden sich allerdings neben den oben erwähnten Nachteilen auch Berichte über eine Rezidivneigung mit Kollaps des bereits gedehnten Oberkie- Abb. 2 Patientenbeispiel mit zahngetragener Apparatur in der Retentionsphase. Das Diastema medial ist gut erkennbar. Die Bänder der Apparatur verhindern während der Retentionsphase die weitere kiefer­ orthopädische Ausformung. Abb. 3 Patientenbeispiel mit knochengetragener Apparatur in der Retentionsphase. Das Diastema medial ist bereits geschlossen. Die kieferorthopädische Ausformung läuft bereits während der Retentionsphase und die Gesamtbehandlungszeit verkürzt sich dadurch. Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 Fallbericht fers bis hin zu Komplikationen an Strukturen der Schädelbasis bei unsauberer Osteotomie der Processus pterygoidei [7–10]. Eigene Studien konnten derartige Komplikationen nicht nachweisen. Die Ergebnisse zeigen vielmehr eine sichere und schonende Erweiterung des maxillären Zahnbogens [11, 12]. Die Operationstechnik der chirurgischen GNE – „Step by Step“ Nach der gemeinsamen Planung durch den Kieferorthopäden und den Chirurgen folgt bei zahngetragenen Apparaturen das feste Einsetzen des Distraktors an den ersten Molaren und den ersten Prämolaren in der Regel 2–3 Tage vor der Operation. Bei knochengetragenen Apparaturen erfolgt die Applikation der Apparatur durch den Chirurgen in der Operation. Der Kieferorthopäde kann dabei bereits vor der OP bebändern. Lediglich sollte der Bogen zwischen den Inzisiven getrennt bleiben. Damit kann frühzeitig die Ausformung nach der OP beginnen. Der operative Eingriff dauert etwa 30 min. Der Eingriff wird in Vollnarkose durchgeführt und der Patient verbleibt 2 Nächte postoperativ auf Station. Zur primären Wundheilung ist eine Latenzphase von etwa 7 Tagen nötig. Danach beginnt die Distraktionsphase. Die Dauer der Distraktionsphase hängt vom individuellen transversalen Defizit ab. Der Osteotomiespalt wird durch Drehung an der Abb. 4 Patientenbeispiel mit Hybrid-Apparatur zu Beginn der Distraktionsphase. Die kieferorthopädische Ausformung kann auch bei diesen Apparaturen bereits während der Retentionsphase beginnen mit entsprechender Verkürzung der Gesamtbehandlungszeit. (Dankenswert zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Dieter Drescher, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie, Universität Düsseldorf). Schraube des Distraktors mit bis zu 3 Drehungen pro Tag ca. 1 mm/pro Tag verbreitert. Unter regelmäßiger Kontrolle durch die behandelnden Ärzte erfolgt dies im Normalfall selbstständig durch den Patienten und ist schmerzfrei. Die Konsolidierungsphase beginnt nach Erreichen der gewünschten Dehnung und dauert im Normalfall etwa 3 Monate. In dieser Zeit erfolgt die Mineralisierung des Kallus. Die Knochenheilung wird abgeschlossen und die ursprüngliche Belastbarkeit des Knochens erreicht. Das entstandene Diastema schließt sich in der Regel selbstständig durch Kippung der Frontzähne in den noch weichen Kallus. Zur Stabilisierung der Dis­ traktion und zur Fixierung der Kieferanteile wird die Dehnapparatur während dieser Zeit im Mund belassen. Einige Autoren sprechen zusätzlich von einer Remodellierungsphase, da sich in dieser Phase das entstandene Knochengeflecht zu lamellären Knochen umbaut [13, 14]. ● ▶ Abb. 5 zeigt schematisch den zeitlichen Ablauf. Bei der Operationstechnik handelt es sich um eine subtotale LeFort-I-Osteotomie, wobei im Gegensatz zur totalen LeFort-I-Osteotomie das Septum nasale nicht abgesetzt und eine „Down Fracture“ zum vollständigen Lösen des Oberkiefers vom restlichen Gesichtsschädel nicht durchgeführt wird [5]. Der Zugang erfolgt von intraoral über das Oberkiefervestibulum mit beidseitigen horizontalen Inzisionen von den jeweils ersten Molaren bis zu den Eckzähnen. Anschließend werden die Cristae zytomaticoalveolares sowie die Aperturae piriformes durch Abschieben des Mukoperiosts dargestellt. Die medialen, fazialen und lateralen Kieferhöhlenwände werden osteotomiert. Üblicherweise werden die Processus pterygoidei mit einem gebogenen Meißel durchtrennt. Vervollständigt wird die Osteotomie zur Bildung zweier getrennter Oberkiefersegmente durch eine mediane Osteotomie des Oberkieferalveolarfortsatzes. Danach wird der Distraktor mit einigen Umdrehungen aktiviert, um den Operationserfolg durch das zwanglos entstehende Diastema mediale überprüft. Im Folgenden zeigen die ● ▶ Abb. 6– 10 die einzelnen Phasen der Operation anhand eines Fallbeispiels. Ein alternativer Zugang ist in ● ▶ Abb. 11, 12 aufgezeigt. Hierbei werden die gleichen Strukturen osteotomiert über einen minimalst invasiven Zugang über den inneren Nasenvorhof. Durch schonende tunnelierende Präparation ist das Weichteildetachment (Ablösen des Periosts) sehr gering. Der Vorteil hierbei sind postoperativ minimale Schwellungen, sehr kleine Wundflächen und keine Naht im Oberkiefervestibulum. Lediglich zum Ablösen des Processus pterygoideus mit dem Osteom ist eine Stichinzision enoral im Bereich des Tubers erforderlich. Abb. 5 Darstellung des zeitlichen Ablaufs bei der chirurgisch gestützten Gaumennahterweiterung unabhängig von der verwendeten Apparatur. Die Retentionsphase kann teils auch länger als 12 Wochen betragen und wird individuell bestimmt, abhängig vom Ausmaß der getätigten Expansion. Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 273 274 Fallbericht Abb. 6 Zugang über den Mundvorhof über einen 2–3 cm langen Schnitt vom 1. Molar bis zum Eckzahn. Abb. 7 Osteotomie der zirkummaxillären Strukturen von Crista zygomaticoalveolaris über die vordere Kieferhölenwand bis zur Apatura piriformis. Abb. 9 Vervollständigung der Osteotomie durch Lösen des Processus pterygoideus mit dem Lambotte-Meißel. Abb. 10 Abschließend die Osteotomie des Alveolarfortsatzes zwischen den Inzisiven. Man erkennt bereits das entstehende Diastema mediale. Besonders geschützt wird die Papille der Inzisiven, um eine Verletzung dort unbedingt zu vermeiden. Modifikationen der OP-Technik sind möglich. So kann die Osteotomie auch ohne eröffnen des Oberkiefervestibulums von nasal erfolgen. Dies ist weniger invasiv und vermeidet enorale Narbenzüge. ● ▶ Abb. 10, 11 zeigen diese minimalinvasive Variation. In keiner der aktuellen OP-Techniken ist eine Eröffnung des Hartgaumens zur zusätzlichen medianen Osteotomie notwendig. Daher können und sollen die zahngetragenen Apparaturen durch den Kieferorthopäden bereits einige Tage vor der Opera­ tion fest über die Bänder einzementiert werden. Abb. 8 Darstellung der vollständigen Osteotomielinie als subtotale LeFort-I, links im Bild die Crista zygomaticoalvelaris und rechts die Apertura piriformis. Die Two-piece-maxilla: Eine Alternative zur chirurgischen Gaumennahterweiterung Als Alternative zu der oben beschriebenen 2-zeitigen Methode kann auch eine 1-zeitige Methode zur Erweiterung des Oberkiefers angewandt werden. Dabei erfolgt die transversale Erweiterung im Rahmen der eigentlichen bimaxillären Umstellungs­ Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 Fallbericht osteotomie die in der Regel auch jeder chirurgischen GNE folgt. In der Literatur besteht ein Konsens bei moderaten Engständen [15]. Eine eigene Arbeit verglich hierzu die Two-Piece-Maxilla mit der klassischen chirurgischen GNE bezüglich der möglichen erreichbaren Oberkieferexpansionen. Wir konnten dabei zeigen, dass mit der geeigneten Operationstechnik Erweiterungen von über 5mm problemlos stabil erreichbar sind [12]. Damit kann einem Großteil der Patienten eine vorgeschaltete Operation zur Expansion des Oberkiefers erspart werden, was die Akzeptanz der gesamten Kombinationsbehandlung bei den Patienten deutlich erhöht. ● ▶ Abb. 13 zeigt schematisch den zeitlichen Ablauf der Behandlung. Die Operationstechnik der Two-Piece-Maxilla – „Step by Step“ Abb. 11 Darstellung der Apatura piriformis über einen kleinen Zugang im rechten Nasenloch. Anschließende tunnelierende Präparation bis zur Crista zygomaticoalveolaris. Nach der entsprechenden engen Abstimmung mit den Kieferorthopäden erfolgt die Expansion im Rahmen der bimaxillären Umstellungsosteotomie. Nach der LeFort-I-Osteotomie und der „Down Fracture“ werden auf dem knöchernen Nasenboden 2 Paramediane Osteotomien zusätzlich vorgenommen. Diese vereinigen sich dann Y-förmig an der Spina nasalis. Durch dieses Vorgehen wird zum einen der entstehende Expansionsspalt auf 2 Osteotomien verteilt und insbesondere zum anderen die auftretenden Spannungen in den Bereich der wesentlich elastischeren seitlichen Gaumenschleimhaut verlagert. So gelingt eine spannungsfreie Expansion ohne Einreißen der Gaumenschleimhaut mit der Gefahr der Entstehung einer oronasalen Fistelung. Die erreichte Expansion wird anschließend über die ohnehin notwendigen seitlichen Osteosyntheseplatten gesichert. In der Vorbereitung sollten durch den Kieferorthopäden an den Molaren palatinale Verankerungen zum Einhängen von Crisscross-Elastics angebracht werden. In der Nachsorge sollten dann konsequent Criss-cross-Elastics appliziert werden, um die erreichte Expansion auf der dentalen Ebene zu sichern. ● ▶ Abb. 14, 15 ­demonstrieren das Vorgehen. Diskussion ▼ Abb. 12 Osteotomie derselben Strukturen wie bei der „klassischen“ Variante über die tunnelierende Präparation. Intraoral folgt lediglich eine Stichinzision im Bereich des Tubers zur Osteotomie des Processus pterygoideus mit dem Osteom in typischer Weise. Die chirurgisch unterstützte transversale Oberkieferweitung ist eine heute allgemein übliche Technik zur Korrektur transversaler Defizite der Maxilla. Ziele der Distraktion sind die Erweiterung des Zahnbogens zur Korrektur der Fehlverzahnung und zur Verbesserung der Nasenatmung. Negative Effekte wie die starke Kippung der Ankerzähne oder eine vestibuläre Fenestration, wie sie bei einem konservativen Vorgehen auftreten können, sollen dadurch vermieden werden. Zahngetragene Dehnapparaturen haben im Vergleich mit knochengetragenen den Vorteil, dass der Verlauf der Dehnung durch die Kieferorthopäden besser zu kontrollieren ist. Ein weiterer Vorteil zahngetragener Distraktoren liegt in der Vermeidung eines zusätzlichen Eingriffs zur Entfernung der Apparatur mit weiterer Traumatisierung des Patienten. Abb. 13 Schema des zeitlichen Ablaufs bei einzeitigem Vorgehen mit Two-Piece-Maxilla. In der Regel kann nach ca. 16–18 Monaten entbändert werden. Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 275 276 Fallbericht Daher sind zahngetragene Apparaturen wirtschaftlicher als knochengetragene. Der entscheidende Vorteil der knochengetragenen Apparaturen liegt in der verkürzten kieferorthopädischen Behandlungszeit. Diese Apparaturen blockieren, anders als die zahngetragenen, nicht die Zähne und können dennoch als Retention zur Vermeidung von Rezidiven belassen werden. Das ermöglicht dem Kieferorthopäden bereits 2–3 Wochen nach Beendigung der Dehnphase die aktive Behandlung mit Multiband. Im Gegensatz dazu blockiert die zahngetragene Apparatur die Weiterbehandlung ▶ Abb. 4), die anterior für etwa 3 Monate. Hybrid-Apparaturen ( ● über palatinale Mini-Implantate und posterior über Bänder an den Molaren die Expansionskräfte übertragen, haben ebenfalls den Vorteil einer frühen KFO-Anschlussbehandlung. Auch bei Abb. 14 Nach der „Down Fracture“ im Rahmen der bimaxillären Umstellungsosteotomie erfolgen zusätzlich die paramedianen Osteotomien am knöchernen Nasenboden zur einzeitigen Expansion des Oberkiefers. Abb. 15 Refixierung des Oberkiefers und Sicherung der transversalen über die üblichen Osteosyntheseplättchen. diesen Apparaturen kann die Ausformung während der Reten­ tionsphase beginnen. Die Komplikationsrate der Mini-Implantate ist insgesamt gering. Seltene Komplikationen wie z. B. Lockerungen oder Überwucherung mit Schleimhaut kommen zwar vor, sind aber vernachlässigbar. Ein weiterer Effekt der transversalen Enge des Oberkiefers ist die reduzierte Nasen-Luft-Passage. Dies äußert sich durch vermehrte Mundatmung und führt zu weiteren gesundheitlichen Problemen wie Mundtrockenheit, Schleimhautentzündungen und chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen aufgrund der Minderbelüftung. Zudem ist der funktionelle Zungenraum stark eingeengt und die Ruhelage der Zunge ungünstig, was teils erhebliche funktionelle Beeinträchtigungen der Sprache und der Atmung verursacht. Aktuell steigt die Nachfrage seitens der Kieferorthopäden nach einer einzeitigen Erweiterung des Oberkiefers im Rahmen der Umstellungsosteotomie. Dies geschieht zum einen wegen des gestiegenen Patientendrucks in Bezug auf minimalinvasive Methoden, aber auch wegen ästhetischer Bedenken. Bei der chirurgisch gestützten GNE ist ein Diastema mediale für einige Wochen nicht zu vermeiden, was auf viele Patienten abschreckend wirkt. ● ▶ Abb. 16 demonstriert die vorübergehenden ästhetischen Nachteile. Zwar existieren Methoden, dies durch 2 Osteotomien in den Eckzahnbereich zu verlagern [16], allerdings ist der operative Aufwand ungleich höher und das Risiko für Zahnschädigungen steigt. Auch im Zusammenhang mit Surgery-First-Patienten hat diese Anforderung zugenommen. Zwar steht die Mehrheit der Kieferorthopäden dem Konzept bislang kritisch gegenüber, jedoch steigt die Nachfrage durch das immer mehr beworbene Versprechen nach schneller ästhetischer und funktioneller Verbesserung. Machbar und auch sehr zufriedenstellend ist dabei vieles, aber bei Weitem nicht alles. Eine kritische Evaluation und eine enge Abstimmung zwischen den Kieferorthopäden und den Chirurgen ist dabei die Grundvoraussetzung: Das bedeutet auch mal den Wunsch nach schneller OP zu verneinen! Unabhängig von der gewählten Operationsmethode ist immer mit einer Verbesserung der Nasenatmung und der Zungenfunktion zu rechnen, da die anatomische Engstelle der Nasenatmung aufgelöst wird und der funktionelle Zungenraum sich vergrößert. Dadurch gelingt eine erfolgreiche Behandlung von okklusalen Defiziten mit stabilen Ergebnissen. Abb. 16 Vorübergehende ästhetische Nachteile durch das entstehende Diastema mediale bei der chirurgisch unterstützten Gaumennahterweiterung. Die Lücke schließt sich in der Regel in den folgenden 4–6 Wochen. Seeberger R. Aktueller Stand der operativen … Inf Orthod Kieferorthop 2016; 48: 271–277 Fallbericht Zusammenfassung ▼ Die chirurgisch unterstützte Korrektur von Fehlbissen erfordert eine sorgfältige Planung, Durchführung und Nachbehandlung in enger, fachübergreifender Zusammenarbeit von Zahnärzten, MKG-Chirurgen und Kieferorthopäden. Ein umfassender Behandlungsplan ist dabei für ein optimales Ergebnis entscheidend. Die Behandlung der Oberkiefer-Kompression kann vielfältig gelöst werden. Im Bestreben nach Minimalinvasivität und Patientenkomfort haben sich die hier beschriebenen Techniken bewährt und durchgesetzt. Gerade die einzeitige und für den Patienten deutlich weniger belastende Variante (Two-Piece-Maxilla) gewinnt in routinierten chirurgischen Abteilungen mehr und mehr an Bedeutung. Literatur 1 Haas AJ. Palatal expansion: just the beginning of dentofacial orthopedics. Am J Orthod 1970; 57: 219–255 2 Neubert J, Somsiri S, Howaldt HP et al. Surgical expansion of midpalatal suture by means of modified Le Fort I osteotomy. Dtsch Z Mund Kiefer Gesichtschir 1989; 13: 57–64 3 Pinto PX, Mommaerts MY, Wreakes G et al. Immediate postexpansion changes following the use of the transpalatal distractor. J Oral Maxillofac Surg 2001; 59: 994–1000 discussion 1001 4 Wriedt S, Kunkel M, Zentner A et al. Surgically assisted rapid palatal expansion. 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