Fallstudie Thur - Perspektiven einer Flusslandschaft Departement Umweltnaturwissenschaften ETH Zürich Der Einfluss veränderter Klimabedingungen und veränderter Landnutzung auf die Thur Schlussbericht der Arbeitsgruppe „Klima und Hydrologie“ Autoren: Raffaele Quirici Mario Schläpfer Peter Preuschoff Daniel Gasser Roland Wegmann Lukas Hauser Betreuer: Dr. Jan Kleinn, Institut für Atmosphäre und Klima, ETH Zürich Mark Verbunt, Institut für Atmosphäre und Klima, ETH Zürich Januar 2003 Zusammenfassung Hydrologische Prozesse eines Flusseinzugsgebietes werden durch das Klima angetrieben und sind unter anderem beeinflusst durch Bodeneigenschaften und Landnutzung. Klima und Landnutzung werden bei der Beurteilung von Hoch- und Niedrigwasser heute oft noch als konstant vorausgesetzt. Für eine längerfristige Beurteilung des Wasserregimes eines Flusseinzugsgebietes ist diese Annahmne jedoch fragwürdig. In der Arbeitsgruppe „Klima und Hydrologie“ wurden deshalb Szenarien für Klima und Landnutzung erarbeitet, um Aussagen über mögliche Entwicklungen des Abflussregimes zu machen. Als Ausgangslage für die Bildung des Klimaszenarios dienten die SRES-Szenarien des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Grundlage für die Landnutzungsszenarien waren Landnutzungsdaten des Bundesamtes für Statistik (BFS). Es wurden drei Szenarien untersucht: Das erste Szenario nimmt eine einschneidende Klimaänderung in den nächsten hundert Jahren an. Das zweite Szenario geht von einer Erweiterung der Siedlungsfläche aus. Dabei wurden aktuelle Siedlungstrends auf die nächsten hundert Jahre extrapoliert. Das dritte Szenario nimmt an, dass Landwirtschaftsflächen über 1000 m.ü.M. durch Wald ersetzt werden. Zusätzlich wurden die Szenarien kombiniert, um zu untersuchen, ob sich die Effekte der einzelnen Szenarien gegenseitig beeinflussen. Die entwickelten Szenarien wurden mit dem Wasserhaushaltssimulationsmodell (WaSiM) der ETHZürich bearbeitet. Gemäss diesem Modell hat eine Klimaveränderung einen starken Einfluss auf die Hydrologie im Einzugsgebiet der Thur. Die Abflüsse nehmen in den Sommermonaten stark ab. In den Wintermonaten hingegen nehmen sie zu. Heute führt die Thur vor allem in den Sommermonaten viel Wasser, im Winter dagegen wenig. Landnutzungsänderungen hingegen wirken sich kaum auf das Abflussregime der Thur aus. Die Änderungen liegen allesamt im Bereich der Modellunsicherheit. Das gewählte Klimaszenario deutet tendenziell auf eine Zunahme von Hoch- und Niedrigwasserereignissen hin. Dem Hochwasserschutz muss deshalb weiterhin Bedeutung eingeräumt werden. 1. Einleitung Bei der Planung und Durchführung wasserbaulicher Massnahmen wird heute ein konstantes Flussregime angenommen. Angesichts des vom IPCC und weiteren Klimaforschern vorausgesagten Anstiegs der globalen Durchschnittstemperaturen ist diese Annahme der Konstanz nicht mehr gerechtfertigt. Hydrologische Prozesse sind stark vom Klima im Einzugsgebiet eines Flusses abhängig: Die Niederschlagsmenge bestimmt die maximale Wassermenge, die im Fluss abfliessen kann. Aus den lokalen Strahlungsverhältnissen und der Temperatur ergibt sich, welcher Anteil des gefallenen Regens wieder verdunstet. Die Temperatur bestimmt auch, ob der Niederschlag abfliesst oder als Schnee im Einzugsgebiet liegen bleibt. Zudem gibt es zahlreiche weitere Parameter, welche die Flusshydrologie beeinflussen. Zu nennen sind hier vor allem die Topographie, die Landnutzung und die damit einhergehenden Einflüsse auf die Bodenstruktur sowie wasserbauliche Massnahmen. Die vorliegende Arbeit macht Aussagen dazu, ob der erwartete Klimawandel das Flussregime der Thur verändern kann. Auch die Nutzung und Entwicklung des Bodens ist einem starken Wandel unterworfen. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat sich die Landnutzung in der Schweiz stark verändert. Auf dem engen Raum im Mittelland der Schweiz konkurrieren wachsende Siedlungen mit der Landwirtschaft um den Boden. Die Landwirtschaft verliert in der gesamten Schweiz an Fläche. An deren Stelle machen sich im ebenen Gelände neue Siedlungsflächen breit, während in steilen und abgelegenen Lagen Wald aufkommt (BFS, 2001). Aufgrund dieser Veränderungstendenzen der Landnutzung ist es sinnvoll, Landnutzungsszenarien für das Thureinzugsgebiet zu entwickeln und die Hydrologie der Thur mit veränderter Landnutzung zu simulieren. Eine wichtige Frage ist, wie sich eine veränderte Landnutzung auf das Abflussregime und insbesondere auf Hochwasserereignisse auswirkt. 1 Das Einzugsgebiet der Thur liegt in der Nordostschweiz zwischen dem Walensee im Süden, dem Rheintal im Osten, dem Bodensee im Norden und den Höhenzügen des Toggenburg im Westen. Das Thurgebiet hat eine Grösse von 1700 km2. Von Nord nach Süd nimmt der Gebirgscharakter stark zu. Die Thur entspringt im oberen Toggenburg, fliesst via Wattwil, Wil, Bischofszell und Weinfelden ins Zürcher Weinland. In Andelfingen mündet sie nach einer Lauflänge von 127 km in den Rhein. In die Thur selbst münden zwei grössere Nebenflüsse: bei Frauenfeld die Murg und bei Bischofszell die Sitter. Zur besseren Differenzierung wird eine Unterteilung des ganzen Einzugsgebiets in 12 Teileinzugsgebiete vorgenommen. Diese Unterteilung richtet sich nach den vorhandenen Abflussmessstellen der Landeshydrologie und –geologie (LHG). Jedes der 12 Teileinzugsgebiete ist durch einen Pegel abgeschlossen und bildet in der Abfluss-modellierung eine Bilanzeinheit. In Abbildung 1 sind diese 12 Teileinzugsgebiete mit den Namen der Messstellen und der Gewässer dargestellt (Schulla, 1997). 2. Das hydrologische Modell WaSiM 2.1 Modellbeschreibung Hauptwerkzeug der Fallstudiengruppe „Klima und Hydrologie“ war das Wasserhaushaltssimulationsmodell WaSiM der ETH Zürich. Das WaSiM ist ein modular aufgebautes, in frei wählbarer räumlicher und zeitlicher Auflösung arbeitendes Modell zur Simulation von Prozessen, die für die Oberflächenhydrologie von Einzugsgebieten wichtig sind. Die räumliche Auflösung kann durch ein regelmässiges, blockzentriertes Gitter mit beliebiger Gitterweite realisiert werden. Im Rahmen der Fallstudie wurde die Gitterweite auf einen Kilometer festgelegt. Zur Bildung von Wasserhaushaltsbilanzen kann eine zusätzliche Unterteilung in beliebige Zonen, etwa in Teilgebiete oder Höhenstufen erfolgen. Im Falle der Thurmodellierung ist das gesamte Einzugsgebiet der Thur in zwölf Teileinzugsgebiete unterteilt. Neben einem digitalen Höhenmodell werden räumlich verteilte Bodenarten- und Landnutzungsdaten verwendet. Um die Dynamik der Abflussbildungsprozesse zu erfassen, kann das Modell mit Zeitschritten zwischen einigen Minuten und einem Tag arbeiten. Die Arbeitsgruppe benutzte für die Modellberechnung Zeitschritte von einer Stunde, bei der Datenauswertung hingegen Tagesmittelwerte. Als meteorologische Eingangsdaten werden Niederschlag, Temperatur, Globalstrahlung, Sonnenscheindauer, Windgeschwindigkeit und relative Luftfeuchtigkeit bzw. Dampfdruck verwendet. Da bei den im Feld stationierten Regenmessern Niederschlagsmessungen durch Wind und Temperatur verfälscht werden, wird vom Modell eine Niederschlagskorrektur vorgenommen. Das Modell berücksichtigt, ob der Niederschlag als Regen oder Schnee fällt und modelliert Prozesse wie die Schneeakkumulation und -schmelze. Weiter liefert das Modell Verdunstungs- und Bodenwasserhaushaltsberechnungen. Die wichtigste Output-Grösse für diese Fallstudie war der Abfluss. Daneben liefert das Modell aber auch Informationen über Schneespeicher, Bodenwasserhaushalt, Verdunstung, Schneeschmelze, etc. Das verwendete Modell WaSiM wird am Institut für Atmosphäre und Klima (IAC) der ETH Zürich seit einiger Zeit eingesetzt und ist bereits für das Thurgebiet regionalisiert, kalibriert und validiert worden (Schulla, 1997). 2 2.2 Modellgüte Um Aussagen über die Modellgüte machen zu können, wurde eine Kontrollsimulation durchgeführt. Dabei wurde das Modell mit den meteorologischen Daten der Jahre 1981-2000 sowie den aktuellen Landnutzungsdaten angetrieben. Das somit berechnete hydrologische Regime wurde mit den gemessenen hydrologischen Daten derselben Zeitperiode verglichen. Im Thureinzugsgebiet existieren ca. 40 Messstationen für Wetter- und Klimadaten. Die Messdaten dieser Stationen werden durch ein Interpolationsverfahren auf die Gittergrösse des Modells umgerechnet. Da die Messstationen nicht regelmässig über das Thureinzugsgebiet verteilt sind, entstehen bei der Interpolation Ungenauigkeiten. Dies trifft vor allem auf kleinere Teilgebiete zu, die nur mit einer oder zwei Messstationen bestückt sind. Somit entsprechen die interpolierten Klimadaten der grösseren Teileinzugsgebiete mit mehreren Messstationen den tatsächlichen Klimaverhältnissen deutlich besser. Diese Aussage wird durch die durchgeführten Analysen zur Modellgüte bestätigt: Die hohen R2-Werte am Pegel Andelfingen (Abbildung 2), der das gesamte Thureinzugsgebiet berücksichtigt, zeigen, dass das Modell die Abflüsse sehr gut simuliert (R2-Wert = 0.9) .1 3. Methoden und Vorgehen Die AG „Klima und Hydrologie“ formulierte sowohl für das Klima als auch für die Landnutzung mögliche Szenarien für das Jahr 2100. Ausgangslage für die Erstellung des Klimaszenarios waren bereits bestehende Klimaszenarien des IPCC. Als Basis für die Landnutzungsszenarien dienten Erhebungen des Bundesamtes für Statistik (BFS). Das hydrologische Modell WaSiM wurde mit diesen Szenarien angetrieben, um Aussagen über mögliche Veränderungen des Abflussregimes der Thur unter diesen hypothetischen Umwelt-bedingungen zu machen. In den Simulationen wurde von denselben Wetterereignissen ausgegangen, wie sie in den Jahren 1981 bis 2000 beobachtet wurden. Für die Szenarien wurden lediglich die Temperatur und die Intensität der Niederschlagsereignisse verändert. Die Resultate der verschiedenen Szenarien wurden graphisch dargestellt und anschliessend miteinander verglichen. 3.1 Klimaszenario Der erste Schritt zur Wahl eines geeigneten Klimaszenarios ist die Informationsbeschaffung. Eine gute Grundlage bieten die vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erstellten SRESKlimaszenarien (IPCC, 2001). Die SRES-Szenarien (Second Report on Emission) berücksichtigen Bevölkerungswachstum, ökonomische und soziale Entwicklung, technologische Veränderungen, Ressourcenverbrauch und Umweltmanagement bis ins Jahr 2100. Das für diese Arbeit verwendete Szenario geht davon aus, dass die Weltbevölkerung ständig zunimmt, dass sich die ökonomische und technologische Entwicklung im Vergleich zu heute etwas verlangsamt und dass der Umweltschutz ein bedeutendes gesellschaftliches Anliegen ist. Ausgehend von den SRES-Szenarien werden Annahmen für Temperatur- und Niederschlagsänderungen im Thurgebiet getroffen. 1 R2-Wert = 1 perfekte Übereinstimmung zwischen Messdaten und Modellsimulation. R2-Wert = 0 Messdaten und Modellsimulation 3 keine Übereinstimmung zwischen Es wird von einem globalen Temperaturanstieg und einer Intensivierung des globalen Wasserkreislaufes während der nächsten 100 Jahre ausgegangen. Bereits das vergangene Jahrhundert wurde von diesen Trends beherrscht. Die Temperatur nahm während der letzten 100 Jahre um 0.5 °C zu, und die winterliche Niederschlagsmenge ist auf der Alpennordseite um 30% angestiegen. Für die Erstellung des Klimaszenarios wurden im Wesentlichen grossräumige Klimatrends für Europa auf das Thurgebiet übertragen. Auf Basis der Temperaturentwicklung, welche die SRES-Szenarien liefern, wird für die Modellrechnung ein ad hoc Szenario gebildet, das bis zum Jahr 2100 von einer Temperaturzunahme von 3 °C ausgeht. Verschiedene Forschungsinstitute verwenden die SRES-Szenarien für die Abschätzung zukünftiger Niederschläge. Generell zeigt sich für Zentraleuropa eine starke Zunahme der Niederschläge im Winter (Dezember bis Februar) und eine schwache Abnahme der Niederschläge im Sommer (Juni bis August). Diese Abschätzungen werden als Ausgangslage für das Klimaszenario verwendet, was für die Wintermonate (Dezember bis Februar) eine maximale Niederschlagszunahme von 30% für Ende dieses Jahrhunderts bedeutet. Für den Sommer (Juni bis August) ergibt sich eine Reduktion der Niederschläge von maximal 10%. Die Werte zwischen den maximalen Korrekturen werden durch eine angepasste Sinusfunktion abgeschätzt (siehe Abbildung 3). Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Zunahme der Niederschläge von rund 7% über das gesamte Jahr. Die Variablen Niederschlag und Temperatur sind in den Eingangsdatensätzen des WaSiM enthalten und wurden dem Szenario entsprechend angepasst. Das Modell generiert die dazugehörigen, hypothetischen Daten zum Abfluss, zum Schneespeicher, zur Verdunstung, etc. Diese Resultate wurden graphisch dargestellt und mit den Ergebnisse der Kontrollsimulation verglichen. 3.2 Landnutzungsszenario Das Bundesamt für Statistik liefert gute Informationen über die Landnutzung und ihre Veränderungstendenzen (BFS, 2001). Als Ausgangslage für die Ermittlung des Landnutzungs-szenarios wurde ein Datensatz des BFS mit einer Auflösung von 1km2 verwendet, welcher als Ist-Zustand im hydrologischen Modell implementiert ist. Für die Bildung des Landnutzungsszenarios wurde von folgenden Veränderungstendenzen der Landnutzung ausgegangen: Veränderungen der Siedlungsflächen: Zunahme der Siedlungsfläche von rund 10% in 10 Jahren (Abschätzung aus BFS-Daten) Veränderungen landwirtschaftlicher Nutzflächen: Abnahme um 3% in 10 Jahren (Abschätzung aus BFS-Daten), Verwaldung sämtlicher landwirtschaftlichen Nutzflächen oberhalb von 800 oder 1000 m.ü.M. Auf der Basis der Datenerhebung des BSF wurden schliesslich folgende Landnutzungsszenarien für Ende dieses Jahrhunderts angenommen: Verwaldung sämtlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen oberhalb von 1000 m.ü.M. Verdoppelung der Siedlungsfläche der schon bestehenden Siedlungen auf Kosten landwirtschaftlicher Nutzflächen Kombination der Szenarien Verwaldung und Verdoppelung der Siedlungsfläche Abbildung 4a zeigt die aktuelle Landnutzung, wie sie als Ist-Zustand im Modell implementiert ist. Abbildung 4b stellt die Kombination der Szenarien Verwaldung und Verdoppelung der Siedlungs4 fläche dar. Die Verdoppelung der Siedlungsfläche (rot) führt zu grossen Ballungszentren in tiefliegenden Teilen des Einzugsgebietes, während sich die Verwaldung fast ausschliesslich auf die Bergregion Toggenburg/Säntis beschränkt. 4. Auswertungen und Interpretation der Resultate Für die Auswertung der Resultate wurden die Einzugsgebiete Andelfingen, Halden und Jonschwil intensiver betrachtet (Abbildung 1). Somit wurden bei der Auswertung ein Einzugsgebiet mit einer hohen Modellgüte (Andelfingen), ein Einzugsgebiet mit einem geplanten Rückhaltebecken (Halden) wie auch ein Einzugsgebiet des Oberlaufs mit einem hohen Waldanteil (Jonschwil) berücksichtigt. Folgende Daten und Resultate wurden in die Auswertungen einbezogen: Abfluss in [m3/s] des gesamten, oberhalb des betrachteten Pegels liegenden Einzugsgebietes Verdunstung in [m3/s] in den einzelnen Teileinzugsgebieten Niederschlag in [m3/s] in den einzelnen Teileinzugsgebieten Schneespeicher in [mm] Wasseräquivalent in den einzelnen Teileinzugsgebieten Temperatur in [°C] Das Modell berechnet die Output-Daten in Stundenschritten. Für die Darstellung wurden diese Stundenwerte in Monatsmittelwerte umgerechnet und jeweils von November bis Oktober aufgetragen. 4.1 Resultate Klimaszenario Das Klimaszenario zeigt grosse Änderungen im Vergleich zum Kontrollsimulation des Modells. Grosse Unterschiede zeigen sich in der Abflussmenge, der Verdunstung und im Schneespeicher. Sowohl die mittlere jährliche Abflussmenge, als auch die Verteilung des Abflusses über das Jahr ändern sich stark (Abbildungen 5 und 6). Das heutige Flussregime zeigt eine ausgeprägte Sommer-spitze mit den maximalen Abflüssen in den Monaten April bis Juni. Die Monate mit hohen Abflüssen verschieben sich vom Sommer in der Kontrollsimulation (heutige Situation) auf den Winter im Klimaszenario. Ein Vergleich zwischen heutigen Abflüssen und dem Abfluss im Klimaszenario zeigt deutlich, dass die mittleren monatlichen Abflüsse bei allen Pegeln in den Monaten November bis März zunehmen, während sie in den Monaten April bis Oktober abnehmen. Die verhältnismässig grösste Abnahme wird im August mit zirka -30% erreicht, obschon die Niederschläge in den Sommermonaten nur um rund 10% abnehmen. Die grösste Zunahme des Abflusses tritt im Dezember mit rund +20% auf. Über das ganze Jahr gesehen nimmt die Abflussmenge über das gesamte Einzugsgebiet um rund 9% ab. 5 Die Verschiebung der Abflussspitzen in tief gelegenen Einzugsgebieten auf die Wintermonate kann darauf zurückgeführt werden, dass bei wärmeren Temperaturen im Winter ein deutlich grösserer Anteil der Niederschläge als Regen fällt. Dies wird durch die Abbildung 7 verdeutlicht: Der Abfluss aus dem Schneespeicher nimmt in einem wärmeren Klima deutlich ab, was dadurch erklärt wird, dass bei höheren Temperaturen weniger Schnee fällt als heute. Dieser Effekt verringert die Abflusszeit der gefallenen Niederschläge erheblich, so dass die Wassermenge, welche heute als Schnee bis in den Frühling hinein im Einzugsgebiet liegen bleibt, im Klimaszenario mit kurzer Verzögerung bereits wieder abfliesst. Die Abnahme der jährlichen Abflussmenge trotz zunehmenden Niederschlägen kann damit erklärt werden, dass die Verdunstung während des gesamten Jahres höher liegt. So steigt die mittlere jährliche Verdunstung im Teileinzugsgebiet Andelfingen um 24%, im Teileinzugsgebiet Halden um 29% (Abbildung 8) und im Teileinzugsgebiet Jonschwil gar um 36%. Der prozentuale Anteil des verdunsteten Niederschlags nimmt von den Quellgebieten bis zum Unterlauf der Thur um etwa einen Drittel zu. Wird für die betrachteten Pegel das Verhältnis zwischen Verdunstung und Niederschlagsmenge für den Monat Juli berechnet, so ergeben sich folgende Werte: Bis Jonschwil verdunsten im Jahresschnitt 43% des Niederschlags, bis Halden schon 53% und im ganzen Einzugsgebiet der Thur bis Andelfingen verdunsten durchschnittlich 59% des Niederschlags. Zum Vergleich; im ganzen Thureinzugsgebiet verdunsteten im Juli in der Periode 1981-2000 durchschnittlich 46% des Niederschlags. 6 Die relative Häufigkeit von Abflussereignissen zeigt die Häufigkeit auf, mit welcher eine bestimmte Abflussmenge überschritten wird. Der minimale Abfluss hat somit die relative Häufigkeit 1. Werden die Abflusshäufigkeiten im kombinierten Klima- und Landnutzungsszenario (siehe 4.3) betrachtet, zeigt sich eine Tendenz zu vermehrten Hoch- und Niedrigwasserereignissen. Abbildung 11a zeigt, dass im Winter Ereignisse mit hohen Abflüssen zunehmen. Abbildung 11b stellt die relative Häufigkeit der Abflussereignisse in den Sommermonaten dar. Hier zeigt sich, dass Niedrigwasserereignisse in ihrer Häufigkeit zunehmen. Im Teileinzugsgebiet Andelfingen verdunstet gemäss Klimaszenario im Monatsmittel in den Monaten Mai bis Juli gleich viel Wasser, wie die Niederschläge im Monatsmittel für diese Monate liefern. Das bedeutet, dass im Teileinzugsgebiet Andelfingen im Monatsmittel netto kein Wasser den Flüssen oder dem Grundwasser zufliesst. Das Wasser am Pegel Andelfingen stammt in den Monaten Mai bis Juli hauptsächlich aus den höher gelegenen Teileinzugsgebieten der Thur und dem Grundwasserspeicher. Wie viel Wasser dem Grundwasserspeicher entzogen wird, wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht. Aus diesen Überlegungen ergeben sich interessante Fragestellungen, die in einer weiteren Studie vertieft bearbeitet werden müssten, um fundierte Aussagen machen zu können: Fallen kleinere Bäche im Teileinzugsgebiet Andelfingen, die nicht vom Grundwasser oder von Quellen mit grossem Reservoir gespiesen werden, in den Sommermonaten in einem wärmeren Klima trocken? Wie verändert die Abnahme in der Grundwasserneubildung den Grundwasserspiegel und -fluss im Teileinzugsgebiet Andelfingen in einem wärmeren Klima? Das Flussregime ändert seine Charakteristik im Klimaszenario grundlegend. Zu beachten ist allerdings, dass die Szenarioannahmen von einer Erhöhung des Niederschlags im Winter und einer Verminderung der Niederschlagsmenge im Sommer ausgehen. Die Änderungen im Abflussregime hängen direkt mit den Szenarioannahmen zusammen und gelten nur unter diesen meteorologischen Bedingungen. 4.2 Resultate der Landnutzungsszenarien Szenario Verdoppelung der Siedlungsfläche Ausgangslage des ersten Landnutzungsszenarios ist die Verdoppelung der Siedlungsfläche auf Kosten landwirtschaftlicher Nutzflächen. Bei einer Zunahme versiegelter Flächen könnte angenommen werden, dass der Abfluss zunimmmt, weil Regen schneller über die Kanalisation in die Gewässer gelangt und nur zu einem geringeren Teil verdunstet. Im Gegensatz dazu kann Wasser von unbebauten Böden bis zur Sättigung aufgenommen werden und verdunstet anteilsmässig viel stärker. 7 Wie aus Abbildung 9 ersichtlich, hat die Verdoppelung der Siedlungsflächen allerdings kaum einen Einfluss auf die Abflussmenge. Die Änderungen liegen im Bereich der Modellunsicherheit. Frühere Untersuchungen kamen ebenfalls zum Ergebnis, dass eine Zunahme der Siedlungsflächen keinen signifikanten Einfluss auf das Wasserregime hat (Renzo Rosso, 2000). Szenario Verwaldung oberhalb von 1000 m.ü.M. In diesem Szenario wird von einer Verwaldung der landwirtschaftlichen Nutzflächen oberhalb 1000 m.ü.M. ausgegangen. Aufgrund der höheren Wasserspeicherkapazität der Bäume kann angenommen werden, dass die Verdunstung in Lagen oberhalb von 1000 m.ü.M. zunimmt. Dies könnte zu einer Abnahme des Abflusses führen. Wie Abbildung 10 zeigt, kann diese Hypothese nicht bestätigt werden: Die Änderungen des Abflusses liegen im Bereich der Modellunsicherheit. Kombiniertes Szenario: Verdoppelung der Siedlungsfläche und Verwaldung oberhalb von 1000 m.ü.M. Die Verdoppelung der Siedlungsfläche und Verwaldung oberhalb von 1000 m.ü.M. werden in diesem Szenario miteinander kombiniert. Da weder die Verdoppelung der Siedlungsflächen noch die Verwaldung einen Einfluss auf die Flusshydrologie haben, wird auch für die Kombination beider Szenarien keine Änderung gegenüber der Kontroll-simulation erwartet. Dies wurde durch das Modell bestätigt. 4.3 Kombiniertes Szenario Klimaänderung/Landnutzungsänderung Das Klimaszenario und das Landnutzungsszenario Verdoppelung der Siedlungsfläche und Verwaldung oberhalb 1000 m.ü.M. wurden kombiniert. Die bereits geschilderten Resultate legen nahe, dass Änderungen des Flussregimes aufgrund dieser Kombination der Szenarien fast ausschliesslich durch die Klimaänderung verursacht werden. Die Modellrechnungen bestätigten dies: Die Klima-änderungen hat einen viel stärkeren Einfluss als die Landnutzungsänderungen: Der Abfluss wird im Wesentlichen durch das Klima bestimmt. Landnutzungsänderungen spielen dabei eine untergeordnete Rolle. 5. Schlussfolgerungen Die Resultate zeigen, dass der Einfluss des Klimas auf das Abflussregime der Thur bedeutend grösser ist, als der Einfluss einer veränderten Landnutzung. Bei der Diskussion über die zukünftige Flusshydrologie ist dementsprechend zu berücksichtigen, dass eine der Hauptursachen einer Änderung des Flussregimes klimatische Veränderungen sein werden. Veränderungen der Landnutzung, wie beispielsweise eine Zunahme der Siedlungsfläche oder eine starke Verwaldung, spielen gemäss den Simulationen eine marginale Rolle. Aus dem Sicht des Hochwasserschutzes interessieren vor allem die Hochwasserereignisse. Die Ergebnisse der Simulationen zeigen, dass die Häufigkeit von Hoch- und Niedrigwasserereignissen tendenziell zunehmen wird. Somit wird der Hochwasserschutz entlang der Thur auch in Zukunft von Bedeu8 tung sein. Die Szenarien deuten vor allem für die Wintermonate auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von hohen Abflussspitzen hin. Potential für ein Hochwasserereignis ist dann gegeben, wenn sich lang andauernde Niederschlagsperioden ergeben mit wenig Schneeakkumulation in höheren Lagen, kombiniert mit bereits wassergesättigten Böden. Solche Situationen sind in Zukunft häufiger zu erwarten, falls die angenommenen Klimaänderungen tatsächlich eintreten. Hochwasserspitzen im Frühsommer, wie sie heute vor allem auftreten, nehmen tendenziell ab. Dies ist auf die Annahmen des Klimaszenarios zurückzuführen, die davon ausgehen, dass gegenüber heute die Niederschläge im Frühsommer abnehmen. Für die Entstehung von Extremhochwassern ist insbesondere die zeitliche Verteilung von Niederschlägen ausschlaggebend. In den verwendeten Simulationen wird von denselben Niederschlagsereignissen ausgegangen, wie sie in den Jahren 1981 bis 2000 beobachtet wurden. Im Klimaszenario wurde lediglich die Intensität verändert. Wahrscheinlich wird sich aber bei einer Klimaveränderung nicht nur die Intensität, sondern auch die Struktur der Niederschlagsereignisse verändern. Insbesondere sind in den Wintermonaten länger andauernde Perioden mit kontinuierlichen Niederschlägen zu erwarten. Solche Änderungen werden im Modell nicht berücksichtigt. Insofern sind die Aussagen über zukünftige Hochwasser mit Vorsicht zu bewerten. Heute treten Niedrigwasserperioden vor allem im Winter und Spätsommer auf. Die Resultate der Szenarien zeigen eine Verschiebung der Niedrigwasserereignisse in die Sommermonate. Daraus ergeben sich Konsequenzen für Nutzer, die auf eine Wasserversorgung durch die Thur angewiesen sind. Das sind zum Beispiel Abwasserreinigungsanlagen, für welche die Thur als Vorfluter dient. Die Zunahme von Niedrigwasserereignissen, aber auch die allgemeine Tendenz zu geringeren Abflussmengen kann zu erhöhten Belastungen des Flusses mit Stoffen aus Landwirtschaft und Siedlungsabwässern führen. Führt der Fluss nur wenig Wasser, erhöht sich entsprechend die Konzentration der Stoffe, die von den Abwasserreinigungsanlagen in den Fluss geleitet werden. Wie stark diese Auswirkungen sein werden, kann im Rahmen dieser Arbeitsgruppe nicht abgeschätzt werden. Auch die Landwirtschaft ist für Bewässerungszwecke auf Thurwasser angewiesen. Besonders in den tiefer gelegenen Thureinzugsgebieten wird heute Thurwasser für die Bewässerung von landwirtschaftlichen Kulturen verwendet. Die Resultate weisen auf eine deutliche Abnahme der Abflüsse in den bewässerungsintensivsten Monaten hin. Geringere Abflussmengen im Sommer könnten in Zukunft zu Konflikten zwischen der landwirtschaftlichen Nutzung und Naturschutz-anliegen führen. Allerdings sind die Simulationen für Niedrigwasser deutlich unsicherer, als Simu-lationen für mittlere Abflussmengen. Insofern sind diese Aussagen mit Vorsicht zu bewerten. Die Simulationen zeigen, dass die Verdunstung in den Sommermonaten erheblich zunimmt. Da in diesen Jahreszeiten gleichzeitig auch die Niederschläge abnehmen, stellt sich die Frage, wie dies den Grundwasserspiegel im Einzugsgebiet beeinflusst. Ausgehend von den Ergebnissen der Szenarien ist es vorstellbar, dass aufgrund der Abnahme in der Grundwasserneubildung der Grundwasserspiegel absinken könnte. Eine Beurteilung der sich daraus ergebenden Konsequenzen erfordert weitere Arbeiten auf dem Gebiet der Flusshydrologie. Literatur IPCC, 2001: Climate Change 2001: The Scientific Basis. Contribution of Working Group I to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press. BSF, 2001: Bodennutzung im Wandel. Arealstatistik Schweiz. Bundesamt für Statistik, Neuenburg 2001. Schulla, J. 1997: Hydrologische Modellierung von Flussgebieten zur Abschätzung der Folgen von Klimaänderungen. PhD thesis. Swiss Federal Institute of Technology (ETH). Dissertation No. 12’018. Rosso, R. 2000: Flash-flood Risk Assessment under Impacts of Land Use Changes and River Engineering Works. Politechnico di Milano. Milano 9