Jahrbuch 2004/2005 | Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich | Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum Mysterious Stellar Dust in the Early Universe Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Im Jahre 2003 w ar es gelungen, in den entferntesten Quasaren große Staubmengen nachzuw eisen. Damit stellte sich die Frage, auf w elche Weise der Staub innerhalb von nur etw a 700 Millionen Jahren seit dem Urknall entstanden sein konnte. Schon bald schien das Rätsel gelöst: Ein Astronomenteam behauptete, in dem Supernova-Überrest Cassiopeia A (Cas A) außerordentlich viel Staub nachgew iesen zu haben. Die Forscher schlossen daraus, dass Supernovae vom Typ II die ersten Staublieferanten im All w aren. Astronomen des MPIA gingen der Sache nach und kamen zu einem anderen Schluss: Der bei Cas A gefundene Staub hat nichts mit dem Supernova-Überrest zu tun, denn er gehört in W irklichkeit zu einem großräumigen Staubkomplex, der zw ischen der Erde und Cas A liegt. Damit ist die Frage nach dem Ursprung des Staubes im jungen Universum w eiterhin offen. Summary In 2003, large quantities of dust w ere detected in the most distant quasars. So the question arose how this dust could possibly have formed w ithin only about 700 million years after the big bang. The mystery soon seemed to be solved: a team of astronomers claimed to have detected enormous amounts of dust in the Cassiopeia A (Cas A) supernova remnant. The scientists concluded from this that type II supernovae w ere the first to produce dust in the universe. W hen astronomers at MPIA follow ed up this issue they came to a different conclusion: The dust detected at Cas A has nothing to do w ith the supernova remnant but actually belongs to an extended dust complex lying betw een Earth and Cas A. Thus the question about the origin of the dust in the early universe is still open. Staub spielt im Universum eine entscheidende Rolle, denn er ist der Rohstoff, aus dem laufend Sterne und Planeten entstehen. Die festen Partikel können sich jedoch nur bilden, w enn schw ere Elemente, vor allem Kohlenstoff, vorliegen. Nach der derzeitig angenommenen Kosmologie sind im Urknall nur die leichten, flüchtigen Elemente Wasserstoff und Helium sow ie in geringen Mengen Lithium und Beryllium entstanden. Alle schw ereren Stoffe w urden erst im Innern der Sterne bei Kernfusionsreaktionen gebildet. Sie w urden später bei Supernova-Explosionen oder mit Sternw inden in den interstellaren Raum getragen. Erst nachdem das interstellare Medium auf diese Weise mit schw eren Elementen angereichert w ar, konnte sich auch Staub bilden, und erst jetzt w aren auch die Voraussetzungen für Planetenbildung gegeben. W ie © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2004/2005 | Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich | Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum Beobachtungen aus den letzten beiden Jahren belegen, gab es spätestens 700 Millionen Jahre nach dem Urknall große Mengen Staub. So fand man etw a hundert Millionen Sonnenmassen Staub in den am w eitesten entfernten bekannten Quasaren. W ie w aren diese gew altigen Staubmengen in so kurzer Zeit entstanden? Als frühe Staubquellen kamen Supernova-Explosionen in Frage. Die Sterne der ersten Generation bestanden nur aus Wasserstoff und Helium und w aren deshalb im Mittel w esentlich massereicher als heutige Sterne. Massereiche Sterne explodieren als Supernovae, und in ihren Explosionshüllen könnte sich, so die Vermutung, Staub bilden. Doch sind Supernovae w irklich ergiebige Staublieferanten? Bislang galten Supernova-Überreste als staubarm, da sich in ihnen im kurzw elligen Infrarotbereich nur w enig w armer Staub nachw eisen ließ. Mit einer Beobachtung im Jahr 2003 schien sich das zu ändern. Ein britisches Team hatte Cas A im Submillimeterbereich untersucht und starke Emission im Bereich des Supernova-Überrests gefunden. Diese sollte von kühlem Staub mit der erstaunlich großen Masse von drei Sonnenmassen stammen, w as einem großen Teil der Gesamtmasse des kollabierenden Vorgängersterns entsprechen w ürde. Das Fazit w ar: Anscheinend produzierten Supernovae vom Typ II, zu denen die Supernova in Cas A gehört, tatsächlich genügend viel Staub, um damit die Anreicherung im frühen Universum zu erklären. Doch schon ein Jahr später w urde diese Schlussfolgerung w iderlegt. Astronomen des MPIA vermuteten, dass es den Staub zw ar gibt, dass dieser jedoch w eit vor Cas A liegt und mit dem Objekt nichts zu tun hat. Es ist seit langem bekannt, dass Cas A etw a 11000 Lichtjahre entfernt jenseits des staubreichen PerseusSpiralarms steht. Vermutlich w aren vorgelagerte Staubw olken auch dafür verantw ortlich, dass um 1680 kein irdischer Astronom die Supernova-Explosion beobachtete. Cas A steht nämlich der Erde so nahe, dass die Supernova für einige Zeit als der hellste Stern am ganzen Himmel hätte erscheinen müssen. Dichte Staubw olken im Perseus-Arm verhinderten dies aber. Es lag daher nahe, dass die neu entdeckte Emission im Submillimeterbereich von jenem vorgelagerten Staub stammt, und nicht von Cas A selbst. Um diese Hypothese zu überprüfen, w erteten die Astronomen des Instituts zunächst Infrarotdaten aus, die sie im Archiv des Infrarotsatelliten ISO fanden. Mit ISO w ar das Gebiet um Cas A im Rahmen der so genannten Zufallsdurchmusterung im fernen Infraroten bei einer Wellenlänge um 170 µm beobachtet w orden (Abb. 1). In diesem Bereich emittiert sehr kalter Staub mit Temperaturen zw ischen 10 und 20 Kelvin, entsprechend –250 bis –260 °C. Auf der ISO-Karte zeigten sich drei Emissionsgebiete, die in ihrer Lage und Ausdehnung sehr genau mit der im Submillimeterbereich gefundenen Emission übereinstimmten. Der hierfür verantw ortliche Staub hat eine Temperatur von 14 K, ein typischer W ert für Dunkelw olken. © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2004/2005 | Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich | Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum Die Um ge bung von C a s A, ge se he n in de r ISO P HO TZufa llsdurchm uste rung be i e ine r W e lle nlä nge von 170 µm . Hie r ist die Em ission se hr k a lte n Sta ube s zu e rk e nne n. C a s A (im Ze ntrum ) wird offe nsichtlich von e ine r a usge de hnte n Sta ubwolk e im Vorde rgrund übe rde ck t. Die Konture n inne rha lb de s we iße n R e chte ck s ze ige n Me ssunge n m it de m Infra rotte le sk op SP ITZER (na ch Lym a n Spitze r, jr.(19111997)) be i 160 µm , die m it de n ISO -Me ssunge n se hr gut übe re instim m e n. © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Interessanterw eise hatte man schon früher aus dem Gebiet dieser Staubw olke molekulares Gas nachgew iesen (Abb. 2). Da dieses Gas in Absorption gegen die helle Radiostrahlung von Cas A detektiert w urde, muss es sich zw ischen der Erde und dem Supernova-Überrest befinden. Aufgrund seiner gemessenen Kinematik kann es dem Perseus-Arm zugerechnet w erden. Aus der Säulendichte des OH-Moleküls und des Submillimeterflusses ergab sich auch eine gute Korrelation von Gas und Staub. Fazit: Das gefundene Verhältnis von Gas zu Staub ist typisch für unsere galaktische Umgebung (Abb. 3). © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2004/2005 | Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich | Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum Ve rte ilung von O H-Ga s in de r unm itte lba re n Um ge bung von C a s A. De r ge ze igte Be re ich e ntspricht de m we iße n R e chte ck in Abbildung 1. Da die O H-W olk e in Absorption ge ge n die he lle R a dioque lle C a s A ge m e sse n wurde , m uss die inte rste lla re W olk e im Vorde rgrund de s Supe rnova -Übe rre sts lie ge n. © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Korre la tion von Ga s und Sta ub, e rm itte lt a us de r Sä ule ndichte de s O H-Mole k üls und de s Subm illim e te rflusse s. Da s ge funde ne Ve rhä ltnis von Ga s zu Sta ub ist typisch für unse r Milchstra ße nsyste m . © Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie , He ide lbe rg Aus dem quantitativen Vergleich der Verteilung dieses Gases mit der Staubemission ergibt sich, dass der in den interstellaren Wolken vorhandene Staub praktisch für die gesamte Strahlung im Infrarot- und Submillimeterbereich verantw ortlich ist. In diese Analyse w urden neue Beobachtungen von Cas A mit dem w eltraumgestützten Infrarotteleskop SPITZER einbezogen. Dafür nutzten die Astronomen des Instituts © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2004/2005 | Krause, Oliver; Birkmann, Stephan M.; Lemke, Dietrich; Klaas, Ulrich | Rätselhafter Sternenstaub im frühen Universum gemeinsam mit Kollegen vom Stew ard Observatory in Tucson, Arizona, und dem Space Science Institute in Boulder, Colorado, das abbildende Photometer bei 160 µm Wellenlänge. Tatsächlich erstrecken sich die im Infraroten nachgew iesen Staubw olken sogar w eit über die Grenzen des Supernova-Überrest hinaus. Es gibt also keine w esentlichen Mengen Staubes, die mit dem Supernova-Überrest Cas A assoziiert sind (Abb. 4). De r Supe rnova -Übe rre st C a ssiope ia A, a ufge nom m e n m it SP ITZER be i 24 µm W e lle nlä nge . Die se s Infra rotbild ze igt die Em ission de s von de r Supe rnova e rze ugte n wa rm e n Sta ube s, de sse n Ge sa m tm a sse nur 0.002 Sonne nm a sse n be trä gt. © JP L/NASA/O . Kra use , Univ. of Arizona Damit ist die Frage nach den ersten Staubquellen im Kosmos w ieder offen. Sie ist eng verknüpft mit der Suche nach der ersten Sterngeneration, von der bislang noch keine Anzeichen gefunden w urden. Die Suche nach ihr gehört mit zu den vordringlichen Aufgaben der Astrophysik. Zukünftige Weltraumteleskope, w ie HERSCHEL (benannt nach Sir W illiam Herschel, 1738-1822) oder PLANCK (benannt nach Max Planck, 1858-1947), sollen hier neue Aufschlüsse erbringen. Das MPIA ist als eines der 14 Institute am Bau von PACS (Photoconductor Array Camera and Spectrometer) beteiligt, PACS ist eines der drei Instrumente an Bord von HERSCHEL. © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5