Einführung in die 2. Fachtagung „Ausbildungsreform – Wege. Risiken, Nebenwirkungen“. Autor: Norbert Bowe, Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten Stand 25.06.2014 Die heutige Veranstaltung trägt die Überschrift „Zweite Fachtagung“. Die nüchterne Bezeichnung steht für die Absicht, bei der Suche nach Wegen zur Ausbildungsreform sich an sachlichen und fachlichen Gesichtspunkten zu orientieren - im Bewusstsein der hohen Verantwortung. Vor fast genau einem Jahr hatten sich mehrere Verbände schon einmal in Berlin zu einer 1. Fachtagung zusammengefunden. Die damals offen und gründlich geführte Auseinandersetzung hat weitere Verbände angelockt und dazu geführt, dass man sich heute erneut mit deutlich erweiterter Basis an mitwirkenden Verbänden zur zweiten Tagung trifft unter dem Motto „Ausbildungsreform – Wege. Risiken, Nebenwirkungen“. Zwischenzeitlich hat sich die Diskussion um zukünftige Ausbildungswege weiterentwickelt: 1. Zum einen hat die Bundespsychotherapeutenkammer in Orientierung an Überarbeitungen der ärztlichen Musterweiterbildungsordnung einen komplexen Konsentierungsmodus eingeleitet unter Einbezug der Landespsychotherapeutenkammern sowie der Fach- und Berufsverbänden vorangebracht. Dabei sollen abgestimmte Aussagen über das Berufsbild und die zu erwerbenden fachlichen Kompetenzen gewonnen werden, auf die hin sich eine künftige Ausbildung ausrichten soll. Auch wenn daraus nicht einfach der Königsweg künftiger Ausbildungsgänge zu destillieren sein wird und spätestens bei der Gewichtung der abgestimmten Elemente von Berufsbild und Kompetenzen und deren Zuordnung zu den verschiedenen Abschnitten der Ausbildungsgänge sich Divergenzen auftun dürften, so wird dieser eingeschlagene Weg der Meinungsbildung von den Inhalten her von allen hier veranstaltenden Verbänden einhellig begrüßt. Ausgangspunkt der heutigen Tagung ist daher auch der aktuelle Stand dieses Diskussionsprozesses. 2. Zweitens haben DPtV, DGPs und Unith sich auf das Modell einer basalen Direktausbildung festgelegt und zu Ideenwettbewerben eingeladen bezüglich der Konkretisierung der praktischen Weiterbildung im Anschluss an den Approbationserwerb nach erfolgreich absolviertem neu einzurichtenden Psychotherapiestudium. Inzwischen wurden dabei auch Zahlen und Beträge benannt, mit denen bei der Umstellung zu rechnen ist. 3. Drittens hat diese Positionierung zur Ausbildungsreform Unterstützung seitens der KBV erfahren: Die KBV versucht gerade, die – im Gegensatz zur Psychotherapieausbildung – absolut Klinik-lastige ärztliche Weiterbildung über eine Finanzierung durch ein Stiftungsmodell mehr in den ambulanten Bereich zu verlagern. Dabei würden eine Parallelisierung der Psychotherapieausbildung und eine dortige Schaffung des Prototyps einer gemischten stationär-ambulanten Weiterbildung den eigenen Absichten sehr gelegen kommen. Derartige Pläne stoßen allerdings bei der Gesundheitspolitik bisher auf wenig Gegenliebe – ihre Realisierung ist somit recht ungewiss. Seite 2 4. Auf der anderen Seite sind auch Bedenken, Berechnungen und Risikoabschätzungen zu diesen konkreten Modellvorstellungen erarbeitet worden. Und inzwischen ist auch ein alternatives Modell der dualen Direktausbildung zunehmend in die Diskussion einbezogen worden. 5. Noch schwer abzuschätzen sind die Kontakte bzw. der mangelnde Austausch zwischen der AOLG, dem BMG und der Kultusseite der Länder, die bei delikaten Fragen der Finanzierung und der Änderungen von Studiengängen ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Hier hört man neuerdings leise vernehmbare Signale in Richtung einer Besinnung auf die sog. kleine Lösung, die bisher vom BMG eher nicht gewünscht wurde. 6. Die Regierungskoalition hat im Koalitionsvertrag die Ausbildungsreform auf ihre Agenda gesetzt; diese Bereitschaft der Politik gilt es zu nutzen. Dem dient auch diese zweite Fachtagung. Es gibt also viel Stoff und es wird entsprechend leidenschaftlich diskutiert – zu Recht. Denn die Ausbildungsfrage ist die Schicksalsfrage unserer Tage: Sie entscheidet über die Zukunft der Psychotherapie. Angefangen von der Frage, ob der erkannte enorme Versorgungsbedarf weiterhin adäquat gedeckt werden kann, über die Frage, wie und von wem Psychotherapie inhaltlich bestimmt werden wird bis hin zur konkreten Gestaltung künftiger Versorgungsstrukturen und Behandlungsmöglichkeiten. Das Bewusstsein um die Bedeutung dieser Schicksalsfrage hat die vielen veranstaltenden Verbände hier zu dieser Tagung zusammengeführt: Für tragfähige Antworten bedarf es gründlicher Recherchen, engagierter Auseinandersetzungen, sorgfältiger Realitätsprüfungen verschiedener Modellansätze und gewissenhafter Abwägungen von Chancen, Risiken und ggf. Schadenspotentialen. Wenig hilfreich sind da Glaubensbekenntnisse nach dem Motto: dieser oder jener Lösungsweg könnte schon klappen. Wünsche und Wunschvorstellungen sind in jedem Fall einer eingehenden Überprüfung der Realisierungschancen zu unterziehen. Nur kalkulierbare Veränderungen mit hinreichend sicheren Verbesserungspotentialen lassen sich verantworten. Denn es gibt u.U. auch viel zu verlieren: - Denn der jetzigen Form der Ausbildung wurde laut Forschungsgutachten eine hohe Akzeptanz und Wirksamkeit bescheinigt. - Des weiteren wird von den derzeit betroffenen PiA und ihren Vertretern, wenn sie über ihre Vorstellungen einer künftigen Ausbildungsstruktur sprechen, neben den zu beklagenden Missständen der Vergütung meist die als gut empfundene Form der praktischen Kompetenzvermittlung betont. - Und schließlich sprechen die hohe Nachfrage nach Ausbildung und die hohe Berufszufriedenheit – und das trotz schlechter Vergütung psychotherapeutischer Leistungen ambulant und stationär – auch dafür, dass die derzeitige Ausbildung nicht ganz am Berufsziel vorbei gestaltet sein kann. Hier wird nicht einem „Weiter so“ das Wort gesprochen. Allen ist die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Ausbildungswege bekannt, nicht erst seit den Veränderungen im Rahmen des Bologna-Prozesses: • Die unwürdigen Ausbildungsbedingungen der Psychotherapeuten in Ausbildung dürfen nicht einfach fortbestehen, Seite 3 • die Weiterentwicklung der Psychotherapie durch Integration von sog. Neuen Verfahren darf nicht an ungelösten strukturellen Hindernissen scheitern, die Ausbildungsverfahren den Zugang zu GKV-Patienten verwehrt. • der Bachelor-Abschluss als Eingangsvoraussetzung für die KJP-Ausbildung darf nicht Maßstab für die Grundlage des Psychotherapeutenberufs der Zukunft werden. • Und schließlich steht eine Erweiterung der Tätigkeitsfelder schon länger an. Aber man sollte sich klar machen: Psychologische Psychotherapeuten und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten haben einen enormen Vorteil in ihrer Ausbildung, auf die ärztliche Psychotherapeuten nur neidisch sein können: Eine Ausbildung ganz konzentriert auf die Vermittlung zentraler praktischer Behandlungskompetenzen, eine zielgerichtete Vorbereitung auf das, was ein Psychotherapeut in seiner Behandlungspraxis an Handlungskompetenzen anwenden muss, um wirksam therapieren zu können. Diese Kompetenzvermittlung, die derzeit im Teil der Praktischen Ausbildung stattfindet, - so ist eine gemeinsame Grundforderung - darf durch kein Zukunftsmodell aufs Spiel gesetzt oder beeinträchtigt werden. Insofern sind sich die veranstaltenden Verbände darin einig, dass eine Parallelisierung zur derzeitigen ärztlichen Aus- und Weiterbildung eher zu Einbußen bei der Vermittlung von Handlungskompetenzen, d.h. zu Qualitätsverlusten führen würde. Im Folgenden möchte ich einleitend stichwortartig eine gemeinsam als unverzichtbar angesehene Matrix an Kriterien zur Bewertung von Modellen künftiger Ausbildungsstrukturen aufzeigen. In den Vorträgen der heutigen 2. Fachtagung werden dazu dann die konkreteren Einzelheiten ausgeführt werden. Hier also die u.E. unverzichtbaren Kriterien: 1. Die Kompetenzvermittlung entsprechend dem derzeitigen praktischen Ausbildungsteil muss sowohl strukturell als auch finanziell im für die Versorgung ausreichenden Umfang gesichert bleiben. Die Weitergabe von Behandlungswissen durch Praktiker und die Qualität des Verfahrensbezugs kann nur durch Praxis-kompetente Ausbilder gewährleistet werden. Dem ambulanten Setting kommt dabei insofern eine besondere Bedeutung zu, - als nur dort komplexe oder schwere Störungen über die notwendigen längeren Zeiträume behandelt werden können, - als nur dort Psychotherapeuten unter alleiniger Verantwortung behandeln lernen können - als nur dort ihre Patienten dabei Entwicklungen unter Realbedingungen des Alltags machen können. 2. Die Finanzierung der Ausbildung und ggf. auch Weiterbildung muss insgesamt für die PiA angemessen geregelt werden. a. Dabei ist hinsichtlich des stationären Teils der Aus- oder Weiterbildung eine Abwägung vorzunehmen: Höhe der Vergütung und Anzahl der verfügbaren Aus- bzw. Weiterbildungsplätze stehen zueinander in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis, da die von den Krankenhausträgern zur Verfügung gestellten Finanzmittel limitierend wirken. b. Auch für die praktische Kompetenzvermittlung (derzeit: Praktische Ausbildung) sind verbindliche Vergütungsregelungen zu treffen, sei es für die Ausbildungs- Seite 4 fälle im Rahmen der dualen oder für die Weiterbildung im Rahmen der basalen Direktausbildung. 3. Der Teil der Kompetenzvermittlung im stationären Setting (derzeit Praktische Tätigkeit) sollte in seinem Umfang nicht zu einer Verknappung von stationären Ausbzw. Weiterbildungsplätzen führen (z.B. durch verlängerte Klinkzeiten, durch Konkurrieren um Klinikplätze mit ärztlichen Weiterbildungsteilnehmern). Hinreichende stationäre Behandlungserfahrungen, Arbeit in multiprofessionellen Teams sollten ebenso gewährleistet sein wie auch Kompetenzvermittlung bzgl. Psychiatrischer Krankheitsbilder - z.B. akute und chronische Psychosen, schwere Depressionen, bipolare Störungen, schwere Persönlichkeitsstörungen und deren Behandlungsmöglichkeiten. 4. Jedes zur Auswahl stehende Modell muss eine hinreichende Absolventenzahl/Jahr sicherstellen können. Dabei sind die Fragen zu beantworten: - Können genügend Studienplätze vorgehalten werden? - Kann eine ausreichende Zahl von stationären Aus- bzw. Weiterbildungsplätzen in Kliniken gesichert werden? - Ist eine hinreichende Anzahl an Aus- bzw. Weiterbildungsinstituten mit angeschlossenen Ambulanzen und Lehrpraxen für die praktische Kompetenzvermittlung gesichert, um den Versorgungsbedarf auch langfristig zu decken? 5. Die Modelle müssen sicherstellen, dass das Qualitätsniveau zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen ohne Abstriche erhalten bleibt und Behandler in hinreichender Anzahl für die Altersstufe der Kinder- und Jugendlichen ausgebildet werden können. 6. Künftige Ausbildungsstrukturen müssen darauf ausgerichtet sein, über die bisherigen Tätigkeitseinschränkungen hinaus auf eine Ausweitung der beruflichen Tätigkeitsfelder vorzubereiten - u.a. Behandlungsmöglichkeiten über die PT-Richtlinien hinaus, Prävention, Rehabilitation. 7. Ein Psychotherapiestudium als Baustein zukünftiger Kompetenzvermittlung sollte nach Meinung des bvvp - und sicher der meisten anderen Verbände - noch einige Mindestbedingungen erfüllen: a. Das Studium muss die Grundlagen von allen wissenschaftlichen Psychotherapieverfahren in Theorie und praktischen Anteilen vermitteln. In der Approbationsordnung ist festzulegen, dass alle wissenschaftlichen Psychotherapieverfahren während des Studiums von in den jeweiligen Therapieverfahren qualifizierten Hochschullehrern bzw. Ausbildern gelehrt werden. Diese sollten über eine entsprechende Fachkunde - bzw. vergleichbare Qualifikationen bei den bisher sozialrechtlich nicht zugelassenen Verfahren - verfügen und eine mindestens 5-jährige Behandlungserfahrung im jeweiligen Verfahren vorweisen können. Inhaltlich sollte neben Theoriewissen auch praktische Erfahrungen u.a. durch Fallkonferenzen und verfahrensspezifischer Selbsterfahrung vermittelt werden. b. Das Studium sollte alle für den Kompetenzerwerb nötigen Inhalte der Grundlagenfächer einschließen. Diese sind insbesondere Psychologie, Pädagogik, Medizin, aber auch Soziologie, Philosophie mit Anthropologie und Wissenschaftstheorie. Seite 5 c. Pädagogische Kenntnisse gehören neben psychologischen und medizinischen zu den zentralen Grundlagen der Psychotherapie und des Berufsfeldes. Sie müssen in Approbationsordnung und Weiterbildung ausreichend vorgesehen werden (Der Inhalts-Katalog der Arbeitsgruppe in der BPtK vom 27.03.2012 und die bisherigen Grundkenntnisse gemäß Anlage 1 zu § 3 der PsychThG-APrV sind dabei zugrunde zu legen). Ich möchte die Einleitung mit einer Bemerkung abschließen: Eine Ausbildung in Psychotherapie sollte der Sonderstellung der Fachrichtung im medizinischen Versorgungsspektrum gerecht werden: Einerseits ist Psychotherapie genuiner und unverzichtbarer Teil einer humanen und patientengerechten Medizin. Andererseits erscheint Psychotherapie angesichts der medizinisch-technischen Entwicklungen wie ein Gegenentwurf zur allgemeinen Verdinglichung von Krankheitsverständnis und zu apparativen Behandlungstechniken. Dem Therapeuten als unmittelbarem Gegenüber seines Patienten stehen keine anderen Mittel zur Verfügung als die Ressourcen seiner Persönlichkeit und die erlernte professionelle Handhabung des therapeutischen Dialogs. Die Anwendung der gelernten Methodiken, Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion, die Modelle des Fremdverstehens, sind mit seiner Person und seiner Erfahrungswelt eng verknüpft. Allegiance, die innere Bindung an die von ihm angewandten Methoden, die Passung zwischen Therapeut und Methode, sind von entscheidender Bedeutung für den Therapieerfolg. Für diese Verknüpfungen von Wissen, Erfahrung, Erklärungsmodellen, Behandlungsmethoden und Therapeutenpersönlichkeit braucht es als optimale Bedingungen einen geschützten Rahmen mit genügendem Entwicklungsraum ohne übermäßigen Leistungsdruck und einen Erfahrungsaufbau unter Anleitung von Erfahrenen, damit eine hilfreiche therapeutische Haltung verinnerlicht werden kann, sich eine subjektiv getragene Überzeugung bilden kann. Eine gute Ausbildung wird diesen Besonderheiten der Psychotherapie gerecht. In diesem Sinne suchen die veranstaltenden Verbände mit dieser Tagung nach den notwendigen Elementen für ein bestmögliches Zukunftsmodell. Wir hoffen auf eine engagierte Auseinandersetzung.