Michael Bakunin: Konflikt mit Marx, Teil 1: Texte und Briefe bis 1870

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Michael Bakunin: Konflikt mit Marx, Teil 1: Texte und Briefe bis 1870, mit einer
Einleitung von Wolfgang Eckhardt, ISBN: 3-87956-289-X, Karin-Kramer Verlag Berlin
2004, 224 S., Euro 19,80
Der Bakunin-Forscher Wolfgang Eckhardt zeichnet im fünften Band der „Ausgewählten Schriften“ den
ersten Schlüsselkonflikt zwischen Karl Marx und Michael Bakunin - einen grundlegenden Konflikt zwischen
politischen (staatsfixierten) und libertärem Kommunismus - in der Internationalen Arbeiter Assoziation (IAA)
nach; einen Konflikt, der seiner Auffassung nach die späteren Auseinandersetzungen in der ersten Internationale
vorstrukturierte (vgl. S. 9). Er bezieht sich dabei auf den Zeitraum zwischen 1868 und 1870 - vom Zeitpunkt des
Aufnahmeantrags der „Internationale[n] Allianz der sozialistischen Demokratie“ (deren Gründung gegen das
Votum Bakunins durchgezogen wurde) für eine Mitgliedschaft in der IAA bis hin zur Spaltung der romanischen
Föderation bei deren zweiten Kongress im April 1870. Dieser Konflikt zwischen Marx und Bakunin, der
sicherlich auch viel mit den unterschiedlichen Charakteren der beiden Männer zu tun hatte, war vorrangig ein
Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Spielarten des Sozialismus - dem sozialrevolutionären Sozialismus
(Bakunin) und dem politisch-parlamentarischen Sozialismus (Marx). Bakunin schrieb in einem Brief an über die
Manifestation dieses Konfliktes im Vorfeld des Kongresses an seinen Freund Albert Richter: „Es steht eine
große Schlacht bevor. Sie wird in der Hauptsache um die Frage der Beteiligung oder _Nichtbeteiligung der
Arbeiter an der Lokalpolitik gehen. [...] Die Schlacht, die in La-Chaux-de-Fonds ansteht, wird über ihre lokale
Bedeutung hinaus von großem allgemeinem Interesse sein. Sie ist das Vorspiel zu jener, die wir auf dem
nächsten Allgemeinen Kongreß der Internationale schlagen müssen. [...] Wollen wir die vollständige Befreiung
der Arbeiter oder bloß eine Verbesserung ihrer Lage? Wollen wir eine neue Welt schaffen oder bloß die alte
ausbessern? Das sind die Fragen, die wir untersuchen und für den nächsten Kongreß vorbereiten müssen.“
(115f.)
Anhand von drei „Wutausbrüchen“ und der gleichen Anzahl von Schmähschriften, die Eckhardt
gekonnt zerpflückt und auf ihre Hintergründe hin untersucht, zeichnet er den folgenschweren Konflikt
chronologisch nach. Dabei bezieht er auch das Verhalten und die Stellungnahmen anderer Akteure der
internationalen sozialistischen Bewegung mit ein, die an diesem Konflikt partizipierten und bisher in den
meisten Betrachtungen außen vorgelassen wurden - z.B. die publizistischen Anfeindungen in der
deutschsprachigen, sozialistischen Presse von Wilhelm Liebknecht und anderen Marx-Anhängern. Besonders
spannend erscheint mir in diesem Zusammenhang sowohl die Rolle des deutschen Sozialisten Johann Philipp
Becker, einem anfänglichen Anhänger Bakunins, der im Laufe der Zeit die Seiten wechselte, als auch die des
russischen Emigranten und erklärten Bakunin Gegners Nikolaj I. Utin. Eckhardt hatte Beckers Sicht der
Konflikte in der ersten Internationale bereits in einem Beitrag unter dem Titel „Bakunin und Johann Philipp
Becker. Eine andere Perspektive der Auseinandersetzung auf den Beginn der Auseiandnersetzung zwischen
Marx und Bakunin in der Ersten Internationale“ in der Historikerzeitschrift IWK (März 1999) verarbeitet und in
dem vorliegenden Band in einen Gesamtkontext eingeordnet. Akribisch hat Eckhardt für seine Untersuchung
Quellen ausgewertet und greift auch auf die Aussagen von unterschiedlichen Akteuren aus dem Umfeld der
beiden Herren zurück. Er versucht dabei einige vernachlässigte Aspekte in der bisherigen Forschung zu dem
Konflikt ins rechte Licht zu rücken, um seine Bewertung des Konfliktes zu begründen.
Zwei Gesichtspunkte sind an diesem Konflikt zwischen den beiden Protagonisten Marx und Bakunin
von besonders hohem historischen Interesse – die Hintergründe für die von Marx gehegte Feindschaft
(Fehlinformationen aus zweiter Hand, Angst vor Übernahme der IAA durch Bakunin, fehlende Toleranz
gegenüber seinen Ideen konträr gegenüberstehenden Konzepten) und die Art der Konfliktführung (Spitzel,
bewußt-verfälschte Wiedergabe von Konzepten seines Gegners, Unterstellungen, Anstachelung von Dritten).
Marx wiederholte trotz besseren Wissens die Vorwürfe gegen Bakunin in mehreren Schmähschriften – z.B. die
von ihm selbst als Schreibfehler titulierte Formulierung über den Klassenkampf in den Statuten der
„Internationalen Allianz der sozialen Demokratie“ (vgl. S. ; 163-166). In seiner dritten Schmähschrift, einem
Brief an seinen Schwiegersohn Paul Lafurge im Jahre 1870 wiederholt er alle jene im Laufe der zwei Jahre
aufgegriffenen Angriffe gegen Bakunin. Eckhardt faßt sie unter fünf Aspekten zusammen und relativiert sie:
„Bakunin habe die Verlegung des Generalrats von London nach Genf betrieben (eine von Moses Hess
stammende Falschinformation)
Bakunin habe sich in der Nachfolge Alexander Herzens eine jährliche Geldzahlung von russischen
Panslawisten erschlichen (Falschinformation von Johann Philipp Becker)
Bakunin habe den Generalrat in der Égalité angegriffen (Falschinformation von Henri Perret)
Bakunin habe mit dem Ausdruck ‚égalisation des clases‘ für die Fortexistenz der Klassen eintreten
wollen (Marx und Bakunin hatten beide diesen Ausdruck als ‚Schreibfehler‘ bezeichnet)
Bakunin habe die Abschaffung des Erbrechts für das ‚erste Erfordernis‘ der soziale Revolution gehalten
(Verballhornung des zweiten Punkts im Allianz-Programm.)“ (125f.)
Neben einer knapp 140seitigen faktenreichen Einleitung hat Eckhardt für den vorliegenden Band sechs
Briefe und Widmungen von Bakunin an Marx aus den Jahren 1847 bis 1868, diverse Dokumente über den
Themenkomplex der Auseinandersetzung um das Erbrecht und die Resolutionen der beiden Fraktionen der
romanischen Föderation vom thematisierten Kongreß zusammengetragen und sorgfältig editiert. Ergänzend
finden sich 12 Porträts von Personen, die am Konflikt partizipierten, sowie Faksimile von zwei Briefen in der
vorliegenden Ausgabe.
Eckhardt hat mit diesem Band wieder einen wichtigen Beitrag zur Anarchismus-Forschung geleistet.
Der Konflikt in der ersten Internationale ist wie er treffend formuliert ein „entscheidendes Ereignis in der
politischen Ideengeschichte“ (9). Gleichzeitig liefert der Band neues Material für eine partielle Neuinterpretation
der Geschichte der IAA aus anarchistischer Sicht ermöglicht – was auch den MarxistInnen angeraten sei. Der
ergänzende Band, der die Entwicklung des Konfliktes bis 1872 thematisiert, soll noch in diesem Jahr erscheinen.
Mensch kann gespannt sein, was Wolfgang Eckhardt noch an Material aus den Archiven zu Tage gefördert hat.
Bisher in der von Wolfgang Eckhardt herausgegebenen Bakunin-Reihe „Ausgewählte Schriften“ sind folgende
Titel erschienen:
Gott und der Staat, ISBN 3-87956-222-9, 11,50 Euro
‚Barrikadenwetter‘ und ‚Revolutionshimmel‘. Artikel in der ‚Dresdner Zeitung‘, ISBN 3-87956-223-7, 12,50
Euro
Russische Zustände, ISBN 3-87956-231-8, 11,50 Euro
Staatlichkeit und Anarchie, ISBN 3-87956-233-4, 28,50 Euro
Weitere Infos zur Reihe und eine kurze Biographie zu Bakunin: www.bakunin.de.
Das gesamte Verlagsprogramm vom Karin-Kramer-Verlag findet sich unter: www.karin-kramer-verlag.de.
Maurice Schuhmann
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