Grenzräume und Interferenzräume - ein interdisziplinär ausgerichteter Forschungsschwerpunkt Christine van Hoof, Christa Jochum-Godglück, Sabine Penth Bereits seit dem Jahr 1984 existiert der interdisziplinär ausgerichtete Forschungsschwerpunkt „Grenzregionen und Interferenzräume“ der Philosophischen Fakultäten der Universität des Saarlandes , der im WS 1985/86 erstmals mit einer Ringvorlesung über die „Probleme von Grenzregionen“ an die Öffentlichkeit trat. Eine Reihe von größeren, im Zweijahresrhythmus veranstalteten Symposien schloss sich an, die sich etwa mit Fragen der „Sprachenpolitik in Grenzregionen“, mit „Grenzgängern“, der „Mischkultur“ in Grenzregionen oder mit „Grenzverschiebungen“ befassten. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei immer wieder das deutsch-französische Ver- 32 hältnis, aber auch der slawische Raum und das Baltikum. Seit dem SS 2002 wurden diese zentralen, in längeren zeitlichen Abständen organisierten Tagungen, die sich vornehmlich an ein fachinternes Publikum wandten, durch während des Semesters regelmäßig stattfindende Vortragsreihen abgelöst. Die veränderte Form sollte dazu beitragen, die Aktivitäten des Forschungsschwerpunkts an der Universität und auch im Bewusstsein der Studierenden stärker präsent zu machen und auf Dauer ein breiteres Publikum anzusprechen. Diesem Zweck diente auch die für die 2006/2007 stattfindende Vortragsreihe erstmals vereinbarte Zusammenarbeit mit der Volkshoch- schule des Stadtverbands Saarbrücken, durch die neben Universitätsangehörigen auch sonstige Interessierte als Publikum gewonnen werden konnten. Diese Öffnung für eine breitere Zuhörerschaft entspricht dabei nicht nur den Intentionen des Forschungsschwerpunkts, sondern dem generellen Bemühen der Universität, ihre Aktivitäten stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Vortragsreihe trug den Titel „Grenzüberschreitungen – Europa und der Orient“. Zu den insgesamt elf Vorträgen konnten Referenten aus fünf verschiedenen Fachdisziplinen (Geschichte, Theologie, Orientalistik/ Islamwissenschaften, Sprachwissenschaft, Geographie) gewonnen werden. Die Vielfalt Universität des Saarlandes der Beziehungen zwischen Christen und Muslimen, zwischen Europa und der islamischen Welt, Konflikte und Kooperation in Geschichte und Gegenwart standen dabei im Mittelpunkt. Das Spektrum reichte von Darstellung und Problematisierung der religionsgeschichtlichen Grundlagen von Judentum, Christentum und Islam bis zu deren Rolle bei der Entstehung auch der gegenwärtigen Konflikte im Nahen Osten (u. a. Prof. Dr. Bernd Schröder, Saarbrücken, Evangelische Theologie: “Abrahamische Religionen – vom Orient nach Europa! Und zurück?“; Prof. Dr. Wolfgang Kraus, Saarbrücken, Evangelische Theologie: „Die Genese des Nahostkonflikts im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert“; Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig, Saarbrücken, Katholische Theologie: „Zur Entstehung und Frühgeschichte des Islam. Die religionswissenschaftliche Frage nach den Anfängen“). Thema waren aber auch die aktuellen Probleme und Diskussionen, die sich aus dem Faktum der starken Zuwanderung nach Deutschland aus Ländern vorwiegend islamischen Glaubens ergeben. Dabei spielten sowohl bildungs- und sozialpolitische Aspekte eine Rolle (Dr. Elisabeth Venohr, Saarbrücken, Germanistik/ Deutsch als Fremdsprache: „Identität, Sprache und Integration türkischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland“) wie etwa auch die zum Teil leidenschaftliche geführte Debatte um die Errichtung von Moscheen als einem Symbol des Islams in einer christlich geprägten Gesellschaft (Dr. Thomas Schmitt, Bonn, Geographie: „Der Orient in Europa? Zu den Debatten um Moscheen in Deutschland“). „Wege zwischen Okzident und Orient“ mitbestimmt, das von Prof. Dr. Heinrich Schlange-Schöningen und dem Sprecherteam des Forschungsschwerpunkts (Christine van Hoof, Dr. Christa Jochum-Godglück, Dr. Sabine Penth) veranstaltet wurde. Inhaltlich griff die Veranstaltung erneut das hohe Interesse an der islamischen Welt sowie den religiösen und kulturellen Strömungen, politischen Beziehungen und wirtschaftlichen Vernetzungen zwischen Okzident und Orient auf und lenkte den Blick dabei vornehmlich auf ganz konkrete Verbindungslinien. Organisatorisch versuchten die Veranstalter neue Wege zu gehen: Indem das Kolloquium als Lehrveranstaltung in den Studiengang „Historisch orientierte Kulturwissenschaften“ eingebunden wurde, konnten die Studierenden bereits in einer sehr frühen Phase ihrer Ausbildung Zugang zu einer Form der Wissensvermittlung und Forschungsdiskussion finden, zu der sie üblicherweise zu diesem Zeitpunkt noch wenig Gelegenheit haben. Zudem konnten sie im Rahmen des Kolloquiums Kontakte insbesondere auch zu auswärtigen Wissenschaftlern unterschiedlicher Institutionen (Museen, Forschungseinrichtungen) knüpfen. Diese Einbindung in das Lehrangebot der Universität kommt den Interessen der Studierenden an einer innovativen Lehre ebenso entgegen wie den Interessen des Forschungsschwerpunktes, dessen Mitglieder eine verstärkte Verankerung im Bewusstsein nicht nur der Lehrenden, sondern auch der Studierenden anstreben. Andererseits sollte wie bei den vergangenen Vortragsreihen neben der universitären Öffentlichkeit auch eine außeruniversitäre Zuhörerschaft angesprochen und einbezogen werden, um so dem Interesse der Universität an größerer Präsenz in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Die Vorträge stießen durchweg auf große Resonanz. Eine wichtige Rolle für das breite Interesse spielte nicht zuletzt die für die Vortragsreihe gewählte Thematik. Nicht erst seit dem 11. September 2001 gehört die Integration muslimischer Einwanderer in Deutschland und anderen europäischen Staaten zu den drängendsten gesellschaftspolitischen Aufgaben, zählen die Konfliktherde im Nahen Osten zu den wichtigsten Problemfeldern internationaler Politik. Die im Zuge der letzten Erweiterungsrunde der EU im Dezember 2004 beschlossene Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei tat ein übriges, die Öffentlichkeit für den Islam, für Geschichte, Kultur, Politik und Wirtschaft der muslimischen Welt zu interessieren und zu sensibilisieren. Die Thematik des Kolloquiums war dabei durchaus geeignet, auch ein breiteres Publikum anzusprechen. Im Fokus der Vorträge, die von Vertretern unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen verantwortet wurden, standen zunächst ganz konkrete Wege, die als Verbindungen zwischen Abendland und Morgenland zu allen Zeiten die Voraussetzungen zum Austausch geschaffen haben - auch wenn Bau und Nutzung dieser Straßen zunächst ganz anderen Intentionen entsprungen sind. Diese Erfahrungen mit der vergangenen Vortragsreihe haben die Konzeption des im kommenden Wintersemester vom 12. bis 14. November 2008 stattfindenden Kolloquiums So ermöglichten die großen Fernstraßen wie natürlich auch der lebhafte Schiffsverkehr im gesamten Mittelmeer - zwischen Italien und dem lateinischsprachigen Kernland magazin forschung 2/2008 des römischen Weltreiches im Westen und dem griechisch geprägten Kulturraum im Osten über ein halbes Jahrtausend lang einen regen Gedanken- und Warenaustausch (Dr. K. Kell, Römermuseum Schwarzenacker, Klassische Archäologie). Obwohl diese Straßen von den römischen Herrschern zunächst zum Zweck einer schnellen Truppenverlegung an die jeweiligen militärischen Brennpunkte gebaut wurden und sie diese Funktion in den immer wieder aufflammenden Konflikten mit dem Perserreich auch behielten, wurden sie darüber hinaus zu wirtschaftlichen Lebensadern, an deren Rändern viele Gebiete zu neuem Wohlstand gelangten. Die Städte Syriens, in denen römische Architektur inmitten gewachsener hellenistischer Bauensembles zunehmend das Stadtbild prägte, legen Zeugnis darüber ab, welche Prosperität die Bewohner dieser Provinz erreicht haben (Dr. F. Meynersen, Saarbrücken, Klassische Archäologie). Mit der Anerkennung des Christentums als neuer „religio licita“ unter Konstantin d. Gr. und dessen immer stärker werdender Verbreitung im vierten Jahrhundert n. Chr. wurden diese alten römischen Straßen auch von frommen christlichen Pilgern aus dem Abendland genutzt, die die heiligen Stätten im Osten des Reiches besuchen wollten und in immer höherer Zahl die neuen großen Basiliken in Jerusalem und Bethlehem bevölkerten, deren Bau und Ausbau von den nunmehr christlichen römischen Kaisern finanziert worden war (Dr. S. Penth, Saarbrücken, Mittelalterliche Geschichte). Nach dem Aufkommen des Islam und seiner allmählichen Ausbreitung wurden die Landwege in Kleinasien und die Seewege im Mittelmeer dann vom 11. bis zum 13. Jahrhundert erneut vor allem zu „Heerwegen“ in den Kämpfen zwischen den christlichen Kreuzrittern und den arabisch-muslimischen Herrschern im „Heiligen Land“ (Prof. Dr. P. Thorau, Saarbrücken, Mittelalterliche Geschichte). Die wechselvolle Überlieferungsgeschichte der Schriften des Aristoteles (Dr. Chr. Catrein, Saarbrücken, Klassische Philologie), die in der muslimischen Welt bereits im 9. Jahrhundert größtenteils in arabischer Übersetzung vorlagen, zeigt jedoch, dass es auch in dieser Zeit der - zumindest vordergründig - religiös motivierten militärischen Auseinandersetzungen weiterhin einen kulturellen Austausch zwischen Morgen- und Abendland gab, der nicht abreißen sollte. Den Prototyp einer Straße, die von Beginn an als Handelsweg geplant war, verkörpert ge- 33 scher Sicht herausragendes militärisch-politisches Bauprojekt war die zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwirklichte Bahnverbindung zwischen dem türkischen Konya und Bagdad, die „Bagdadbahn“ (Dr. S. Mangold, Wuppertal, Neuere Geschichte,). Sie führte zu einer erheblichen Intensivierung des deutsch-türkischen Verhältnisses und hatte damit weitreichende politische Folgen für das Beziehungsgeflecht der damaligen europäischen Großmächte. Im Ersten Weltkrieg spielte sie neben dem Donau-Wasserweg eine bedeutende Rolle in der Logistik der Mittelmächte (A. Will, Saarbrücken, Journalist, Neuere Geschichte), an deren Seite die Türkei in den Krieg eingetreten war. genüber den römischen Fernstraßen die Seidenstraße (PD Dr. Th. Ertl, Heidelberg, Mittelalterliche Geschichte), deren Existenz bereits der griechische „Vater der Geschichtsschreibung“ Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. Ihr Verlauf zwang Reisende zu einem aufreibenden Marsch durch menschenfeindliche Wüsten und über gefährliche kältestarrende Hochgebirgspässe. Sie durchquerte als transkontinentaler Verbindungsweg viele unterschiedliche Herrschaftsgebiete, militärische Auseinandersetzungen machten sie deswegen häufig unpassierbar. Aber sie dokumentiert trotzdem einen lebhaften Handels- und Güteraustausch zwischen dem fernen Osten und dem Westen, der im Mittelalter eine Blütezeit unter der chinesischen Tang-Dynastie und im 13. Jahrhundert unter der Mongolenherrschaft erreichte. Über diese alte Route, aber auch über neue Handelswege wurden bereits im Mittelalter 34 und der Renaissance wertvolle Teppiche insbesondere aus dem osmanischen Reich in den Okzident importiert (Prof. Dr. Cl.-P. Haase, Museum für islamische Kunst, Berlin, Islamwissenschaften). Deren Farben, Formen und Muster können in den seltensten Fällen noch durch materielle Überreste dokumentiert werden. Aber die Gemälde des Augsburgers Hans Holbein (1497/8 - 1543), der ein begehrter Maler an den Fürstenhöfen Europas war, und die Werke des weniger berühmten Venezianers Lorenzo Lotto (1480 - 1557) bilden als Auftragsarbeiten detailgetreu das kostbare Interieur von Adelshöfen ab und ermöglichen damit einen Einblick in die Farbenpracht und die spezifischen Muster dieses kostbaren Handelsgutes. Mit dem Aufkommen der Eisenbahnen als neuer schienengebundener Verkehrsmittel entstanden schnellere Verbindungswege zwischen West und Ost. Ein aus preußisch-deut- Mit dem berühmten „Orient-Express“, der anfänglich von Paris nach Istanbul fuhr und später auch an London angebunden wurde, reiste Agatha Christie 1928 nach dem Ende ihrer unglücklichen ersten Ehe nach Bagdad, und verarbeitete diese Reise später in einem Kriminalroman. Ihr Verhältnis zum Orient beleuchtete ein Vortrag von Dr. Ch. Trümpler, Ruhr-Museum-Essen, Klassische Archäologie. Eine ganz neue Komponente im Verhältnis zwischen Orient und Okzident kam im 20. Jahrhundert hinzu, als die Bedeutung des fossilen Brennstoffes Kohle immer stärker zurückging und Rohöl und Erdgas für alle Bereiche von Wirtschaft, Verkehr und Wärmeerzeugung sehr viel wichtiger wurden. Pipelines als Mittel für den Öl- und Gastransport aus dem Orient über weite Strecken (Prof. Dr. J. Kubiniok, Saarbrücken, Geographie) wurden zu neuen Verbindungssträngen zwischen den reichen Ölländern am Golf und den von diesen Energieträgern abhängigen Staaten im Okzident. Der Abendvortrag der Leipziger Ethnologin PD Dr. Annegret Nippa behandelte das bizarre Leben der 1844 in Sansibar geborenen Sayyida Salme, der Prinzessin von Oman und Sansibar, die nach ihrer Heirat mit dem Hamburger Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete in Deutschland lebte. Unter ihrem neuen Namen Emily Ruete schrieb sie zwei autobiographische Bücher; ihr Werk „Memoiren einer arabischen Prinzessin“ war die erste Autobiographie einer Araberin in der Literaturgeschichte. Frau Nippa porträtierte die Autorin und las aus ihrem Werk. Die Veranstaltung sprach neben den Vertretern der verschiedensten wissenschaftlichen Fachgebiete und den Studierenden auch ein breiteres Publikum an und regte zu einem weiterführenden interdisziplinären Dialog an. Universität des Saarlandes