Psychosoziale Aspekte bei Krebs

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Universitätsklinikum
Düsseldorf
Psychosoziale Aspekte bei Plasmozytom /
Multiples Myelom
André Karger
Klinisches Institut für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie
Universitätsklinikum Düsseldorf
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Was sind psycho-soziale Probleme von Krebspatienten?
Umgang mit körperlichen Symptomen (Schmerzen, Fatigue etc.)
„psycho“
Psychische Symptome (Ängste, Traurigkeit etc.)
Existentielle und spirituelle Probleme
„sozial“
Soziale Veränderungen (längere Arbeitsunfähigkeit etc.)
Partnerschaftliche und familiäre Probleme
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Wie können die psycho-soziale Probleme begrifflich gefasst werden?
Distress = Belastung
Vorteile
ein Begriff der „normal“ klingt
weniger stigmatisierend
umfasst körperliche, psychische, soziale und existentielle/spirituelle Aspekte
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Belastung bei Plasmozytom / Multiples Myelom
Ein breites Spektrum von unangenehmen emotionalen Erfahrungen psychischer
sozialer oder existentieller / spiritueller Art, die von normalen Gefühlen der
Verletzlichkeit, Traurigkeit und Angst bis hin zu stark einschränkenden
Problemen wie Depression und Angststörungen, Panik, sozialer Isolation und
existentiellen / spirituellen Krisen reichen.
Definition nach NCCH
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Belastungskontinuum
Normale
Schwere
Belastung
Belastung
Ängste
Angststörungen
Sorgen
Familiären Krisen
Traurigkeit
Depression
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Existentielle Krisen bei Krebspatienten
Krebsdiagnose
Beendigung der
Behandlung
Behandlung
Wiederauftreten der Fortschreiten der
Krebserkrankung
Erkrankung, Patientenverfügung, Hospiz
Remission
Palliative
Behandlung
Terminale
Phase
Tod
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Was ist Psychoonkologie?
Psychoonkologie beschäftigt sich mit den psychologischen und sozialen Dimensionen von
Krebs aus zwei Blickwinkeln:
den psychischen Reaktionen von Patienten und ihren Angehörigen – in allen Phasen
der Erkrankung (psychosoziale Perspektive)
den psychologischen und sozialen Bedingungen, die Morbidität und Mortalität
beeinflussen (psychobiologische Perspektive).
Holland 1998
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Evidenzbasiertes Modell der Psychoonkologie
Unab. Variablen
Krebs
Mediatoren
Persönliche,
medizinische
und soziale
BelastungsBedingungen
Interventionen
Abhäng. Variablen
Lebensqualität
(Überleben)
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Einleitung
Subjektives Modell der Psychoonkologie
intrapersonal
interpersonell
kontextuell
Existenzielle
Dimension
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung
Wieviele Patienten mit Krebs klagen über psychische Belastung?
Etwa 30 bis 50 % der Patienten sind auffällig hoch belastet. [1]
Etwa 30 % der Patientin sind psychoonkologisch behandlungsbedürftig, davon
benötigen 5 - 10 % akute psychoonkologische Hilfe. [1]
Aber: Nur etwa 10 % der behandlungsbedürftigen Patienten werden tatsächlich
psychoonkologisch behandelt. [2]
[1] Zabora 2001, IOM 2004, NBCC, NCCI 2003; [2] Newell 2002
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung
Problem: Es besteht ein erheblicher psychosozialer Versorgungsmangel!
Alle Krebspatienten
50 %
30 % Signifikant belastet
Nur 5 - 10 % werden
einer psychosozialen
Versorgung zugewiesen
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung - Häufigkeit
Ein Beispiel
In einer großen Studie wurden im Jahr 2001 insgesamt 4496 Krebspatienten untersucht.
Davon waren 58% ersterkrankt. Die psychische Belastung wurde mit dem BSI (Brief
Symptom Inventory) ermittelt und lag im Mittel bei 35 %. [1]
Zu Beginn der Therapie und bei Rezidiverkrankungen besonders hohe Belastung.
Bei bis zu 80 % der Patienten traten psychische Belastungen auf, welche jedoch im
Verlauf bei 50 % bis 80 % der Patienten sich spontan zurückbildeten (unter der
Voraussetzung eines günstigen Behandlungs- und Erkrankungsverlaufs.
[1] Zabora 2001
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung - Häufigkeit
Welche behandlungsbedürftige psychische Belastungen kommen häufig
vor?
Angststörung
Depression
Anpassungsstörung
Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
Psychische Belastung
Vgl. Zabora 2001, IOM 2004, NBCC, NCCI 2003; Newell 2002
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung - Häufigkeit
Zitiert nach dem Bundesgesundheitsbericht 1998
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung - Häufigkeit
Störung
Häufigkeit
Angststörungen
Gesamtprävalenz: 25 % (1–49%),
bei terminal Kranken 50–80%
Depressive Störungen
Gesamtprävalenz: 25 % (0–58%),
bei terminal Kranken 9–77%
Anpassungsstörungen
Gesamtprävalenz: 20 % (2–52%)
PTSD
Gesamtprävalenz: 8 % (0–35%)
Tab. Häufigkeit psychischer Störungen bei Krebspatienten [1]
[1] Sellik 1999, Stark 2002, Grassi 2004, Massie 2004, Okamura 2005
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung
Was unterscheidet „normale“ von krankmachenden Emotionen?
Auslöser
Verstärkte
vegetative Reaktion
Vermeidungsverhalten
Angst
Starke vegetative Reaktion mit körperlichen
Symptomen (Herzrasen, Schwitzen, Atemnot,
innere Unruhe etc.)
Typische automatische Gedanken
(Angst vor Kontrollverlust,
Erwartungsangst)
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastung - Angststörungen
Welche Angststörungen kann man unterscheiden?
Reaktive Angststörungen als Reaktion auf die lebensbedrohliche Krankheit Krebs und deren Behandlung
(einschließlich der Progredienzangst)
Symptom- und behandlungsbedingte Angststörungen häufig durch unzureichende Behandlung von
Schmerzen, Funktionsstörungen oder andere somatische Symptome
Substanzinduzierte Ängste und Angststörungen z. B. durch Kortikosteroide, Bronchodilatoren
Vorbestehende Angststörungen (bei etwa 40 % der Patienten)
Tab. Angststörungen und deren Ursachen [1]
[1] Breitbart 2004
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastungen – Depression
Warum ist die Behandlung psychischer Belastung wichtig?
25 % der Patienten leiden im Krankheitsverlauf unter einer Depression.
Neben einer zusätzlich verminderten Lebensqualität sind weitere Folgen der Depression [1]:
Verminderte Wirksamkeit der Chemotherapie
Längere Krankenhausaufenthalte
Vermehrte Schwierigkeiten im Umgang mit Ärzten (Compliance)
Erhöhtes Selbsttötungsrisiko (um das 1,5-fache erhöht)
Vermehrte Belastung für die Angehörigen
[1] Colleoni 2000, Faller 1999, Watson 1999, Parker 2003, Pitceathly 2003
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychische Belastungen – Risikofaktoren
Wann ist das Risiko einer vermehrte psychischen Belastung besonders hoch?
Folgende Risikofaktoren wurden studienübergreifend gefunden [1]
fortgeschrittenes Krankheitsstadium
starke körperliche Beeinträchtigung (Funktionsfähigkeit)
jüngeres Erwachsenenalter
weibliches Geschlecht
Vorhandensein psychischer Erkrankungen in der Vorgeschichte
geringe soziale Unterstützung
[1] Aschenbrenner 2003
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Erkennen von Belastung
Problem
Obwohl psychische Belastungen häufig vorkommen, besteht ein erheblicher
Versorgungsmangel.
Welche Barrieren behindern eine Verbesserung der psychosozialen
Versorgung von Krebspatienten?
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Erkennen von Belastung
Hinderliche Einstellungen bei psychischer Belastung
Von Seiten der Patienten
Von Seiten der Ärzte
Von Seiten der Krankenhausinstitution
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Erkennen von Belastung
Hinderliche Einstellungen bei psychischer Belastung
Von Seiten der Patienten
Patienten mit Krebs befürchten ein zweites Stigma, nämlich zusätzlich zur
Krebserkrankung eine psychische Störung zu haben.
„Ich schäme mich, mit dem Arzt zu sprechen.“
„Sie werden denken, ich sei verrückt.“
„Das Plasmozytom ist mein Problem – da kann ein Gespräch auch nichts
daran ändern.“
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Erkennen von Belastung
Hinderliche Einstellungen bei psychischer Belastung
Von Seiten der Ärzte
„Ich habe nicht so viel Zeit, den Patienten auch nach seinen
psychosozialen Belastungen zu fragen.“
„Der Patient wird es mir schon sagen, wenn er belastet ist.“
„Psychologisches Gerede hilft auch nicht.“
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Erkennen von Belastung
Weitere Schwierigkeiten in der Diagnostik
Unzureichende Kenntnisse über psychische Störungen und deren Diagnostik
Überlappung körperlicher und psychischer Symptome
Unsicherheit im Umgang mit emotionalen Reaktionen
geringe Korrelation zwischen Selbst-, Fremdeinschätzung und
Inanspruchnahmeverhalten [1]
[1] Köhle 1996
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Beispiel HADS: Aussagekraft [1]
7%
Wunsch nach psychol. Betreuung
24%
Psychoonkolog. behandlungsbedürftig: 23%
Davon von Ärzten bis 36% erkannt
Davon von Pflege bis 36% erkannt
Davon ¾ per Fragebogen (HADS) erkannt
[1] Krauß 2004
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Hospital-Anxiety-and-Depression-Scale (HADS) [1]
1.
Ich fühle mich angespannt und überreizt.
2.
Ich kann mich heute noch so freuen wie früher.
3.
Mich überkommt eine ängstliche Vorahnung, dass
etwas Schlimmes passieren könnte.
4.
Ich kann lachen und die freundliche Seite der
Dinge sehen.
5.
Mir gehen beunruhigende Gedanken durch den
Kopf.
6.
Ich fühle mich zufrieden.
7.
Ich kann mich entspannen.
[1] Zigmond & Snaith
Einführung in die Psychoonkologie
Hospital-Anxiety-and-Depression-Scale (HADS) [1]
Selbstbeurteilungsinstrument zur Erfassung von Angst und Depressivität bei
Erwachsenen mit körperlichen Beschwerden bzw. Erkrankungen.
Hauptanwendungsgebiete im Bereich der somatischen Medizin (Stationärer
Bereich)
am Aufnahmetag einsetzbar
im Anamnesegespräch des Arztes,
im Aufnahmegespräch der Pflegekraft
14 Interviewfragen
Durchführung in ca. 2 – 5 min
Treffsicherheit ca. 80%
[1] Zigmond & Snaith
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Versorgung von Krebspatienten mit psychosozialen Belastungen
Ziele
Psychische Belastungen sollen in allen Krankheitsstadien frühzeitig erkannt,
beobachtet, dokumentiert und behandelt werden.
Alle Patienten sollen bei der ersten Konsultation auf psychische Belastungen
hin untersucht werden (Screening).
Ein Screening soll Art und Ausmaß der Belastung erfassen.
Psychische Belastungen sollen evidenzbasiert nach klinischen Standards
versorgt werden.
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
NCCN-Leitlinie zum Belastungsscreening
Wartezimmer
Behandlungszimmer
Überweisung
Psycho-
„Wenn Sie
psychol.
Unterstützung
wünschen...“
Kurzes
BelastungsScreening
Somatik/POD
Mäßige
bis hohe
Belastung
Einschätzung durch
onkologische
Primärbehandler
(Ärzte, Pflege,
Sozialarbeiter)
geringe
Belastung
psychoonkologische
Behandlungsleitlinien
Sozialdienst
Sozialdienst-Leitlinien
Seelsorge
Klinikseelsorge-Leitlinien
Onkologische
Primärbehandler,
verfügbare
Ressourcen
National Comprehensive Cancer network (NCCN): Distress management: Clinical Practise Guidelines. JNCCN 1:344-374, 2003;
Holland J, Reznik I, 2005
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Möglichkeiten der psychoonkologische Behandlung
Welche psychoonkologischen Versorgungsformen gibt es?
Psychotherapie (PT)
Sozialberatung
Pharmakotherapie
Seelsorge
Psychodynamische PT
Entspannungstherapie
Verhaltenstherapie
Körpertherapie
Imagination
Hypnotherapie
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Möglichkeiten der psychoonkologische Behandlung
Was ist Psychotherapie?
Unter Psychotherapie („der Seele dienen“) versteht man die Behandlung von kranken
und leidenden Menschen mit psychologischen Mitteln
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Möglichkeiten der psychoonkologische Behandlung
Was ist Psychotherapie?
Psychotherapie meint
einen bewusst geplanter Prozess zwischen Klient und Therapeut
zur Beeinflussung von Leidenszuständen und Verhaltensstörungen,
die in einem Konsens zwischen Klient, Therapeut und gesellschaftlichen Gruppen
(GKV/PKV) für behandlungswürdig gehalten werden, und zwar
mit psychologischen Mitteln (verbale und nonverbale Kommunikation)
in Richtung auf ein gemeinsam erarbeitetes definiertes Ziel (Symptombeseitigung)
mittels lehrbarer evidenzbasierter Behandlungsstandards.
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Psychoonkologische Behandlung
Kontinuierliche Begleitung durch alle Phasen von Erkrankung und med. Behandlung
Prävention Krebsdiagnose Akutbehandlung Überleben Rezidiv Palliation Sterben
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Häufige Fragen: Krebspersönlichkeit?
Gibt es psychologische Risikofaktoren, welche die Entstehung der
Krebserkrankung beeinflussen?
Die Annahme einer „Krebspersönlichkeit“ (Typ-C-Verhalten: extreme
Verdrängung und Verleugnung, ausgeprägte emotionale Kontrolle) ist empirisch
wiederlegt.
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Häufige Fragen: Krankheitsverarbeitung (Coping)?
Gibt es psychologische Risikofaktoren, welche den Verlauf der
Krebserkrankung beeinflussen?
Definition von Coping (Lazarus)
Das Gesamt der sowohl handlungsorientierten wie intrapsychischen Anstrengungen, die
ein Individuum unternimmt, um externale und internale Anforderungen, die seine
Ressourcen beanspruchen oder übersteigen, zu bewältigen.
Copingstile sind beispielsweise:
Depressive Verarbeitung, aktives Problemlösen, Ablenkung und Selbstaufbau,
Religiösität und Sinnsuche, Bagatellisierung und Wunschdenken (FFK).
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Häufige Fragen: Krankheitsverarbeitung (Coping)?
Gibt es psychologische Risikofaktoren, welche die Entstehung und den
Verlauf der Krebserkrankung beeinflussen?
Aktives „kämpferisches“ Bewältigungsverhalten ( „fighting spirit“) hat positive
Effekte auf die Überlebenszeit.
Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit, Depression und fehlende soziale Unterstützung haben
negative Effekte auf die Überlebenszeit.
Fehlende soziale Unterstützung und Partnerschaftsprobleme haben negative Effekte auf
die Überlebenszeit.
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Häufige Fragen: Wirkung psychosozialer Versorgung?
Welche Wirkung hat Psychotherapie auf den Krankheitsverlauf?
Psychoonkologische Therapien führen empirisch nachgewiesen zu einer verbesserten
Lebensqualität bei den Krebspatienten, zu einer Abnahme von Komplikationen (Übelkeit,
Medikamentennebenwirkung etc.), zu einer verminderten Krankenhausverweildauer und
zu einer verbesserten Lebensqualität von Angehörigen.
Nur vereinzelt konnten positiven Effekte auf die Überlebenszeit gezeigt werden.
Psychosoziale Aspekte bei Krebs
Zusammenfassung
Psychosoziale Belastungen sind ein häufiges und bedeutsames Problem von
Plasmozytom / Multiples Myelom Patienten.
Psychosoziale Belastungen vermindern die Lebensqualität und erhöhen die
Schwierigkeiten des Krankheitsverlaufs und der medizinischen Behandlung.
Psychosoziale Belastungen werden immer noch, trotz zunehmender wirksamer
Versorgungsangebote unzureichend behandelt.
Holen Sie sich Hilfe!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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