Zusammenfassung 86 4 Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen dieser Arbeit wurden verschiedene Verbindungen synthetisiert und hinsichtlich ihrer inhibitorischen Wirkung gegenüber der Dipeptidylpeptidase IV, der Prolyloligopeptidase oder der Dipeptidylpeptidase I untersucht. 1. Die DP IV ist ein ubiquitäres und multifunktionelles Enzym. Im Blut ist sie für die Inaktivierung der glukoseabhängigen insulinotropen Hormone GLP-1 und GIP verantwortlich. Um die Halbwertszeit der Inkretine in vivo zu verlängern, sollte es ausreichen, die katalytische Aktivität der DP IV nur im unmittelbaren Zeitraum nach der Nahrungsaufnahme zu blockieren. Deshalb sollten kompetitive Inhibitoren des Enzyms mit kurzer Halbwertszeit unter physiologischen Bedingungen entwickelt werden. Dazu wurden verschiedene Aminosäurethiazolidide und Aminosäurepyrrolidinomethylketone nach in der Peptidchemie allgemein üblichen Methoden synthetisiert und kinetisch charakterisiert. Aus der Klasse der Aminosäurethiazolidide konnte für Pro-Thia, Asn-Thia und Glu-Thia im Gegensatz zum Ile-Thia und His-Thia gezeigt werden, daß die Verbindungen in Abhängigkeit vom pH-Wert einem nichtenzymatischen Zerfall unterliegen. Die Halbwertszeiten bei pH 8 betragen mehrere Tage. Für Pro-CH2-Pyrr aus der Klasse der Aminosäurepyrrolidinomethylketone wurde bei pH 7,6 eine Halbwertszeit von 27,6 min ermittelt. Die Vertreter dieser Verbindungsklasse sind schlechte kompetitive Inhibitoren der DP IV. Für Asn-Thia, Glu-Thia, His-Thia und Ile-Thia wurde gezeigt, daß diese Verbindungen Substrate des Peptidtransporters PepT1 sind. 2. Um instabile potentielle Inhibitoren der DP IV hinsichtlich einer pharmazeutischen Anwendung besser handhaben zu können, sollte nach einer Möglichkeit gesucht werden, solche Verbindungen präapplikativ zu stabilisieren. Deshalb wurden prodrug-Formen des Ile-Thia und His-Thia synthetisiert, aus denen der DP IV-Inhibitor erst nach Abspaltung einer Aminosäure oder eines Dipeptides durch Peptidasen freigesetzt wird. Die Tri- und Tetrapeptidanaloga wurden durch schrittweise N-terminale Verlängerung des Ile-Thia bzw. His-Thia erhalten. Aus Gly-Pro-, Ile-Pro- und Pro-Pro-Ile-Thia wird Ile-Thia durch die DP IV selbst freigesetzt. Für Pro-Ile-Thia kommt die LAP als freisetzendes Enzym in Frage. Beide Enzyme sind in der Darmmukosa des Dünndarms lokalisiert, so daß die Inhibitorfreisetzung nach oraler Applikation der prodrugs im Dünndarm erfolgen kann. A- Zusammenfassung 87 ber auch in Serum wird Ile-Thia rasch aus den 4 prodrug-Formen freigesetzt. Nur für IlePro-Ile-Thia konnte gezeigt werden, daß es ein Substrat des Peptidtransporters PepT1 ist. Die prodrugs Pyr-Ile-Thia und Pyr-His-Thia sind Substrate der u.a. im Blut lokalisierten PAP. Aus ihnen wird der DP IV-Inhibitor in Heparin-Blut sehr langsam freigesetzt. Sie könnten die Wirkung eines oral verabreichten potentiellen DP IV-Inhibitors auf die Serum-DP IV beschränken. Beide Verbindungen sind keine Substrate des Peptidtransporters PepT1. Um Aussagen darüber zu treffen, ob die orale Applikation von Pyr-Ile-Thia und Pyr-His-Thia zu pharmakologisch wirksamen Konzentrationen im Blut führt, sind entsprechende in vivo-Versuche am Tiermodell notwendig. 3. Die selektive Inhibierung der intestinalen DP IV könnte im Rahmen der Entwicklung von Nahrungsaufnahme und Körpergewicht regulierenden Therapeutika von Interesse sein. Darum wurde Glu-Thia in der Seitenkette mit unterschiedlich großen Resten modifiziert, um Verbindungen zu erhalten, die gute potentielle Inhibitoren der DP IV sind, aber nach oraler Applikation die Darmschleimhaut nicht mehr passieren können. Die Einführung von Polyglycinresten (1, 3 und 5) in die Seitenkette des Glu-Thia verbesserte die Affinität der DP IV zu den Inhibitoren im Vergleich zur unmodifizierten Verbindung um den Faktor 5. Ein PEG-Rest an der Aminosäure in P2-Position (durchschnittliches MG 8000) führte zu einer leichten Vergrößerung der Hemmkonstante. Für Glu(Gly5)-Thia und Glu(PEG) Thia wurde gezeigt, daß die Verbindungen keine Substrate des intestinalen Peptidtransporters PepT1 sind. Eine Untersuchung der Inhibitoren in vivo ist noch nicht erfolgt. 4. Alle N-terminal geschützten Synthesevorstufen der untersuchten DP IV-Inhibitoren und die prodrugs sind potentielle kompetitive Inhibitoren der POP. Die Hemmkonstanten gegenüber einer rekombinanten POP von Flavobacterium meningosepticum wurden bestimmt. 5. Als potentieller Inhibitor der DP I wurde Gly-Phe-NHO-Bz synthetisiert. Die 2. Ordnungsgeschwindigkeitskonstante der Inaktivierung des Enzyms (DP Ihum) wurde mit 34979 [s-1M-1] und die Partitionierungskonstante 82 ermittelt. Es konnte gezeigt werden, daß die Verbindung ein irreversibler und selektiver Inhibitor des Enzyms ist. Die Verbindung ist mit einer Halbwertszeit von 18,4 h bei pH 5,6 stabil. Damit wurde die Klasse der O-Acyl, N-Peptidyl-Hydroxamsäuren als Inhibitoren für die DP I erschlossen. Unter Anwendung des entwickelten spezifischen DP I-Inhibitors Gly-Phe-NHO-Bz und des DP IVInhibitors Ile-Thia konnte inzwischen in der Arbeitsgruppe nachgewiesen werden, daß die Zusammenfassung 88 DP IV und nicht die DP I die Bioaktivität des Glukagons im Serum limitiert (Pospisilik, Hinke et. al., 2001). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollte an einem Tiermodell untersucht werden, ob oral verfügbare kompetitive Inhibitoren der DP IV die Glukosetoleranz der Tiere nach einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) positiv beeinflussen. Mit dem kompetitiven DP IV-Inhibitor Ile-Thia und GPIThia und PIThia als Vertreter der prodrugs wurden Untersuchungen an der Ratte vorgenommen. • Von diesen Verbindungen wurde gezeigt, daß sie in Ratten oral verfügbar sind. Für das Ile-Thia konnte eine lineare Abhängigkeit der Ile-Thia-Konzentration im Plasma von der oralen Dosis im untersuchten Bereich (bis 100 µmol/300 g KG) ermittelt werden. • Die orale Gabe von Ile-Thia an gesunde Wistar-Ratten hatte keinen signifikanten Einfluß auf deren Glukosetoleranz im OGTT. Dies wurde auf eine generell sehr gute Glukosetoleranz von Jungtieren zurückgeführt. • Die orale Gabe von Ile-Thia an Zucker-Ratten vom Fa/?-Typ verbesserte deren Glukosetoleranz nach einem OGTT. Die integrierte Glukoseantwort verringerte sich bei Inhibitorgabe um 22% im Vergleich zur Kontrolle. Die integrierte Insulinantwort erhöhte sich um 23%. • Die orale Gabe von Ile-Thia an Zucker-Ratten vom fa/fa-Typ verbesserte deren Glukosetoleranz nach einem OGTT erheblich. Die integrierte Glukoseantwort verringerte sich bei Inhibitorgabe um 39% im Vergleich zur Kontrolle. Die integrierte Insulinantwort erhöhte sich um 134%. • Die orale Gabe der prodrugs PIThia und GPIThia an Zucker-Ratten vom Fa/? und fa/faTyp wiesen eine dem Ile-Thia vergleichbare Wirkung auf deren Glukosetoleranz im OGTT auf. Damit sind diese prodrugs geeignet, potentiell instabile Verbindungen präapplikativ zu stabilisieren. Die Wirksamkeit des Konzepts der Beeinflussung der Glukosetoleranz durch Verlängerung der Halbwertszeit der biologisch aktiven Formen der Inkretine GIP und GLP-1 nach einmaliger oraler Gabe eines DP IV-Inhibitors wurde damit erstmals in einem Tiermodell des Diabetes Typ 2 des Menschen, den fa/fa-Zucker-Ratten, nachgewiesen. Inzwischen konnten Ahrens und Simonsson (2001) in einer vierwöchigen Studie zeigen, daß die Gabe eines DP IVInhibitors an Personen mit Diabetes Typ 2 zu einer Reduktion der Blutglukosekonzentration im nüchternen Zustand und nach Nahrungsaufnahme führte. Zusammenfassung 89 Ob diese Effekte nach langfristiger Gabe des Inhibitors erhalten bleiben oder ob Anzeichen von Tachyphyllaxie zu beobachten sind, bleibt weiterführenden Untersuchungen vorbehalten. Des weiteren ist es Aufgabe von Langzeitversuchen zu klären, inwieweit eine langanhaltende Inhibierung der DP IV zu unerwünschten Nebenwirkungen führt. Da es nicht gelungen ist, einen kompetitiven Inhibitor der DP IV zu entwickeln, der sich durch eine geringe Stabilität in vivo und gute Wirksamkeit auszeichnet, bleibt auch dies eine weiterhin bestehende Aufgabe.