Ethisch fragwürdige» Dollar-Deals

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Tages-Anzeiger – Donnerstag, 14. April 2016 Schweiz
«Ethisch fragwürdige» Dollar-Deals
Das Zürcher Bezirksgericht geisselt Ex-Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand wegen umstrittener
Devisengeschäfte. Schuldig spricht es aber jene, welche die Deals publik gemacht haben.
Im Fall Hildebrand ist das Bankgeheimnis verletzt worden: Das Bezirksgericht
Zürich hat Ex-Bank-Sarasin-Mitarbeiter
Reto T., der die Affäre um den obersten
Schweizer Notenbanker ins Rollen gebracht hatte, sowie den Thurgauer SVPKantonsrat und Anwalt Hermann Lei für
schuldig befunden. Es spricht – wie von
der Staatsanwaltschaft beantragt – bedingte Strafen aus.
Im Strafmass bleibt Einzelrichter
­Sebastian Aeppli aber unter dem Antrag
der Anklagebehörde – bei T. sogar deutlich: Der ehemalige Bankangestellte erhält statt einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr eine Geldstrafe von 45 Tagessätzen
zu je 30 Franken. Lei müsste eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 340
Franken entrichten, sollte er bald erneut in ähnlicher Weise straffällig werden. Die Staatsanwaltschaft hatte für
ihn 150 Tagessätze gefordert.
Vom Ehrgeiz getrieben
Hildebrand wird entschädigt
Hildebrand war im Januar 2012 unter
grossem öffentlichem Druck von seinem
Amt zurückgetreten. Er hat 24 000 Franken Entschädigung für Verfahrenskosten beantragt, solidarisch getragen von
Lei und T. Das Gericht sprach ihm fast
Basler mit
Rückenwind
Unter den reichsten Ländern der Welt
sind wir das reichste. Das geht im
Alltag manchmal vergessen (das Wetter, die unpünktlichen Züge, wässriger
Kaffee, irgendwas ist immer). Zum
Glück, kann man da nur sagen, gibt es
die Basler Verwaltung. Die kündigte
gestern an, ihr erfolgreiches Projekt
mit den kostenlos ausleihbaren
Lastenvelos auch in diesem Sommer
anzubieten. Diese «Kistenvelos» (man
google «Bakfiets») sind mit einem
E-Motor ausgestattet: «Die Teilnehmenden sind nicht nur leise und umweltfreundlich, sondern auch mit ‹Rückenwind› unterwegs», heisst es in der
Mitteilung an der Grenze zur Euphorie.
Und weil diese Velos eine «sinnvolle
Alternative» zum Auto seien (und dabei
nicht eben günstig) und weil der
­Kanton Basel-Stadt im Moment
­t atsächlich keine Geldsorgen hat,
unterstützt er den Kauf eines solchen
Velos zudem mit bis zu 1000 Franken.
«S het, solang s het», heisst es in der
Mitteilung. Ganz ernsthaft. (los)
Thomas Knellwolf
Die mildere Strafe für T. begründete der
Einzelrichter damit, dass dieser nur ideelle Motive gehabt habe. Das Verschulden sei «sehr leicht». Lei habe sich hingegen zusätzlich auch «einen Sprung in
seiner politischen Karriere erhofft».
Richter Aeppli sprach Lei ideelle Motive
ab. Dem Anwalt sei es einzig darum gegangen, Hildebrand zu stürzen.
Aber auch das Bezirksgericht hält die
Dollar-Deals des Notenbankers, auf welche die Verurteilten aufmerksam gemacht hatten, für «zumindest ethisch
fragwürdig». Trotzdem sei es nicht gerechtfertigt gewesen, jene Wege zu beschreiten, die Lei und T. gewählt hatten.
T. hat sich dabei laut mündlicher Urteilsbegründung von gestern mehrfach der
Verletzung des Bank- und Geschäftsgeheimnisses schuldig gemacht, Lei der
Gehilfenschaft zur Bankgeheimnisverletzung und der versuchten Verleitung
dazu. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Lei und T. hatten Ende 2011 den SVPChefstrategen Christoph Blocher über
Devisendeals des Nationalbank-Präsidenten informiert. Blocher schaltete
Bundespräsidentin Micheline CalmyRey ein, und er tauschte sich in jenen Tagen intensiv mit «Weltwoche»-Chef Roger Köppel aus. Schliesslich schnipselte
Lei Dokumente, die T. bei der Bank Sarasin kopiert hatte, neu zusammen und
schickte sie der «Weltwoche». Umstritten blieb in der Strafuntersuchung, wer
in der Sache genau welche Rolle gespielt
hatte. Das Verfahren gegen Blocher
wurde eingestellt.
Kreuz und verquer
Bis zu 300 Franken
Busse für Littering
Der Thurgauer Kantonsrat Hermann Lei (l.) und Anwalt Valentin Landmann auf dem Weg zur Urteilseröffnung. Foto: Keystone
11 000 Franken zu. Hildebrand kann nun
auswählen, von wem er wie viel davon
beansprucht. Mit dem erstinstanzlichen
Urteil dürfte die juristische Aufarbeitung der schlagzeilenträchtigsten
Schweizer Affäre dieses Jahrzehnts noch
nicht abgeschlossen sein. Der Verteidiger von Reto T., Viktor Györffy, bezeichnet den Schuldspruch seines Mandanten
als «mit der Aktenlage nicht vereinbar».
Lei sprach von einem «politischen
Urteil». Sowohl Györffy als auch Leis
Verteidiger Valentin Landmann prüfen
einen Weiterzug ans Obergericht.
Unzureichende Regeln geändert
Zufrieden mit den Verurteilungen zeigte
sich die Staatsanwaltschaft. Wegen des
Strafmasses, das bei T. deutlich unter
ihrem Antrag liegt, wird auch die Anklagebehörde die ausführlichere Begründung des Gerichts prüfen. Hildebrand
geht straffrei aus. Devisentransaktionen
von Nationalbank-Mitgliedern waren
während seiner Amtszeit nicht ausdrücklich verboten. Das hat sich nun –
auch dank den Verurteilten – geändert.
Kommentar Von Thomas Knellwolf
Ein Denkmal haben sie verdient, keine Strafe
Ein Gericht hat Menschen verurteilt,
weil sie etwas Gutes getan haben.
Es sind zwar nur geringe Geldstrafen,
bedingt ausgesprochen. Und doch sind
es schmerzhafte Schuldsprüche für
zwei Männer, die das Leben bereits
genug bestraft hat. Reto T. hat nicht
nur seine Bankstelle verloren, er ist
auch gesundheitlich angeschlagen. Das
über vier Jahre dauernde Strafverfahren hat ihn stark belastet – stärker noch
als SVP-Lokalpolitiker Hermann Lei,
dessen Anwaltstätigkeit zeitweise
massiv eingeschränkt wurde.
Die Thurgauer Kindergartenkollegen von einst werden bestraft, weil sie
etwas Wichtiges getan haben: Ende
2011 war T. mit dicker Post in Leis
Anwaltskanzlei spaziert. Er hatte an
seinem Sarasin-Arbeitsplatz Unterlagen
zu Deals des obersten Schweizer
Notenbankers kopiert. Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand hatte es
zugelassen, dass auf seinem Konto mit
Devisen spekuliert wurde, was jetzt
auch das Zürcher Bezirksgericht als
«zumindest ethisch fragwürdig» bezeichnet. Trotzdem hat es T. und Lei
schuldig gesprochen – und nicht Hildebrand. Aus einem einfachen Grund:
Eine Verletzung des Bankgeheimnisses
wird in der Schweiz bestraft, selbst
wenn das Gesetz fragwürdiges Verhalten schützt.
Hildebrands Deals wurden nicht
einmal strafrechtlich untersucht. In
den einschlägigen Bestimmungen war
eine Selbstverständlichkeit nicht
erwähnt worden: dass Währungsgeschäfte für Währungshüter tabu sind.
Die versäumte Aufführung wurde
mittlerweile nachgeholt – und das ist
das Verdienst der Verurteilten. Statt
einer Strafe hätten sie ein Denkmal
verdient. Der Sockel müsste nicht allzu
hoch sein, denn zu strahlenden Helden
taugt das längst verfeindete Duo nicht.
Die Ausfälle und Drohungen von T.
gegen Staatsanwälte und andere Involvierte sind durch nichts zu entschuldigen, auch nicht durch grosse Verzweiflung. Und Hermann Leis Verrat an
seinem Ex-Klienten T. ebenso wenig.
Errichtet werden müsste ein Denkmal, das nicht heroisiert, sondern zum
Denken anregt. Zum Beispiel zur
Frage, weshalb in der Schweiz Insiderhandlungen kaum je geahndet werden,
während Whistleblower praktisch
immer verurteilt werden.
Wer Abfall im öffentlichen Raum achtlos
liegen lässt, statt ihn im Abfalleimer zu
entsorgen, soll in Zukunft in der ganzen
Schweiz mit einer Busse von bis zu
300 Franken bestraft werden. Der Bundesrat unterstützt die geplante Änderung des Umweltschutzgesetzes. Die
Verschmutzung des öffentlichen Raumes durch Littering habe «ein bedenkliches Niveau erreicht», schreibt die Regierung in ihrer gestern publizierten
Stellungnahme. Obwohl schon heute
verschiedene Kantone das sogenannte
Littering unter Strafe stellen, erachtet
die Regierung eine landesweit einheitliche Busse als sinnvoll. Das Littering soll
im Ordnungsbussenverfahren geahndet
werden, wenn der Täter auf frischer Tat
ertappt wird. Das gilt aber nur für kleine
Abfallmengen. Illegales Entsorgen grösserer Mengen Abfälle wird immer im ordentlichen Verfahren bestraft.
Die geplante Gesetzesrevision geht
zurück auf eine parlamentarische Initiative von Bauernverband-Direktor und
Nationalrat Jacques Bourgeois. Der freisinnige Parlamentarier aus dem Kanton
Freiburg hatte damit ein Anliegen der
Bauern aufgenommen, die sich gegen
die Verschmutzung ihrer Wiesen und
Felder wehren und die Politik zum Handeln auffordern.
Die nationalrätliche Umweltkommission (Urek) hatte daraufhin die nun vorliegende Gesetzesänderung ausgearbeitet. Zu dieser hat der Bundesrat jetzt
Stellung genommen. Der Nationalrat
wird voraussichtlich in der Sommersession über die Gesetzesänderung entscheiden, danach geht die Vorlage in
den Ständerat. (SDA)
Staatliche Auftragnehmer des Bundes dürfen nicht zu günstig offerieren
Der Bund muss eine Analyse
des SRG-Angebots neu
vergeben. So will es das
Bundesverwaltungsgericht.
Die Universität Zürich soll
zu tief offeriert haben.
Iwan Städler
St. Gallen
Es kommt äusserst selten vor, dass das
Bundesverwaltungsgericht einen Fall
­öffentlich berät. Gestern fand eine dieser raren Beratungen vor Publikum
statt. Die Richter unterstrichen damit
die grosse Tragweite, die sie ihrem Entscheid beimessen. Es ging um die Frage,
ob das Bundesamt für Kommunikation
(Bakom) einen Auftrag zur Analyse des
SRG-Onlineangebots korrekt vergeben
hat. Oder ob die Universität Zürich, die
den Zuschlag erhalten hat, die Arbeiten
ungerechtfertigt mit Steuergeldern subventioniert. Dies ist auch weit über den
konkreten Fall hinaus «von grundsätzli-
cher Bedeutung», wie das Gericht festhält. Denn die Auftragsforschung ist für
Schweizer Hochschulen eine wichtige
Einnahmequelle. Gleichzeitig sind die
Universitäten staatlich finanziert, was
im Wettbewerb mit privaten Anbietern
zu Verzerrungen führen kann. Auch bei
anderen staatlichen Anbietern stellt sich
diese Problematik.
Im konkreten Fall hatte das Bakom
die Analysen der SRG-Onlineangebote
für die Jahre 2015 bis 2018 öffentlich ausgeschrieben. Mit ihnen soll überprüft
werden, ob sich die SRG an die rechtlichen Vorgaben hält. Längere Texte darf
das öffentlich-rechtliche Medienunternehmen nämlich nur dann online stellen, wenn die Texte einen zeitlichen und
thematischen Bezug zu einer Radiooder Fernsehsendung haben. So möchte
der Bund verhindern, dass die SRG im
Internet ein vollwertiges Newsportal betreibt und derart die privaten Verleger
konkurrenziert.
Den Auftrag für die Untersuchung
vergab das Bakom ans Institut für Publizistikwissenschaft und Medienfor-
schung (IPMZ) der Uni Zürich. Dieses
hatte bereits in früheren Jahren ähnliche
Analysen durchgeführt. Das Nachsehen
hatte das private Medienforschungsunternehmen Publicom, das dagegen
beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichte.
Günstiger als ein Malerlehrling
Publicom ist überzeugt, dass das IPMZ
ein sogenanntes Unterangebot eingereicht hat. Der offerierte Preis von rund
700 000 Franken sei nicht kostendeckend und nur möglich, weil die Zürcher
Steuerzahler das Projekt über die Universität quersubventionieren würden.
So habe das IPMZ zum Beispiel einen
Stundenansatz von nicht einmal
60 Franken veranschlagt. Dies unterschreite sogar den Ansatz für einen Malerlehrling im 3. Lehrjahr. Auch habe es
für die Arbeit des Projektleiters, Professor Michael Latzer, nichts verrechnet.
Dieses Unterangebot, so Publicom,
stehe im Widerspruch zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
und zum Finanzreglement der Uni Zü-
rich, das für solche Aufträge kostendeckende Entschädigungen verlange.
Hätte sich das IMPZ an die Vorgaben gehalten, hätte es laut Publicom rund
70 Prozent höher offerieren müssen. Die
Universität selber kann kein Unteran­
gebot erkennen. Das IPMZ habe reglementskonform offeriert und den
Arbeitsaufwand korrekt berechnet.
Das Bundesverwaltungsgericht hat
nun aber den Zuschlag ans IPMZ aufgehoben und das Geschäft ans Bakom zurückgewiesen. Dieses muss prüfen, ob
von einem quersubventionierten Unterangebot ausgegangen werden muss. Ein
solches sei nicht erlaubt, fanden drei der
fünf Richter. Sie sprachen von einem
«Lehrbuchbeispiel». Es gehe zu weit,
wenn ein öffentlich-rechtliches Institut
ganze Kostenpositionen gratis anbiete.
Zwei der Richter vertraten dagegen
die Ansicht, es sei nicht am Bakom, die
Offerten auf ein allfälliges Unterangebot
zu untersuchen. Wenn die Uni Zürich
unter Kosten offeriere und Studien mit
Steuergeldern quersubventioniere, sei
dies ein Problem des Kantons Zürich.
Das Gesetz sehe denn auch kein Verbot
solcher Unterangebote vor. Letzteres
räumten auch die obsiegenden Richter
ein, beriefen sich aber aufs Wirtschaftsverfassungsrecht. Dieses wolle einen fairen Wettbewerb und gleich lange Spiesse
für private und staatliche Anbieter.
Einigung möglich
Die schriftliche Urteilsbegründung steht
noch aus. Liegt sie vor, kann das Bakom
den Entscheid vor Bundesgericht anfechten. Da die Analyse zeitlich dringlich ist, hat das Bundesverwaltungsgericht die Untersuchung für das Jahr 2015
durch das IPMZ schon erlaubt. Gestritten wird jetzt noch über die Jahre 2016
bis 2018. Ob ein definitives Urteil rechtzeitig vorliegt, ist unklar. Möglicherweise finden sich das Bakom und Publicom aussergerichtlich. Der privaten Medienforschungsfirma geht es um den
Grundsatzentscheid: «Es kann doch
nicht sein, dass wir mit unseren Steuern
unsere Konkurrenz subventionieren»,
ärgert sich Geschäftsleitungsmitglied
Stefan Thommen.
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