Als die Römer frech geworden

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Rhein oder Elbe –
Defensive oder Expansion
A
ls die Römer frech geworden
Zogen sie nach Deutschlands Norden,
Vorne beim Trompetenschall
Ritt der Generalfeldmarschall,
Herr Quinctilus Varus.1
Die augusteische Germanienpolitik lässt sich unter drei Fragestellungen fassen. Zunächst geht es um die zeitlichen und inhaltlichen Abhängigkeiten der römischen Offensiven rechts des Rheins und damit
auch um die Ziele. Sodann stellt sich die Frage, inwieweit die Römer
nach der Unterwerfung der germanischen Stämme ihre Zielsetzungen
als erfüllt betrachten konnten und welches Beherrschungskonzept sich
daran anschloss. Drittens ist zu erörtern, wie es zur Clades Variana,
zur Varuskatastrophe, kam und welche Konsequenzen sich aus der
Niederlage des Varus und in der Folge aus der Abberufung des Germanicus ergaben.
Zuerst also soll eine Einordnung der Germanienpolitik in den
Gesamtrahmen der augusteischen Außenpolitik und der römischen
Rheinpolitik seit Caesar erfolgen. Sie ist die notwendige Voraussetzung zum Verständnis der römischen Offensiven im rechtsrheinischen Raum.
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Rhein oder Elbe
Der neue Monarch
und seine Machtgrundlage
Die Übernahme der Herrschaft im Jahr 27 v. Chr., nach dem Sieg über
den letzten innenpolitischen Konkurrenten, stellte sich als Machtdelegation auf Zeit vom Senat bzw. der Volksversammlung auf Octavian Augustus dar. Der Princeps, der nur durch sein persönliches
Ansehen und seine Bewährung die Standesgenossen überragte, regierte innenpolitisch zunächst mithilfe der wiederholten Bekleidung des
höchsten Amtes, des Konsulates, später durch die kunstvolle Kombination von Kompetenzen, die den traditionellen republikanischen Ämtern entliehen waren. Ganz wesentlich für die Dauerhaftigkeit seiner
monarchischen Position im Staat sollte aber der Erfolg bei der Befriedung Italiens und besonders der Provinzen nach Jahrzehnten des
Bürgerkrieges werden. Dafür erhielt er auf Zeit eine statthalterliche
Befehlsgewalt (imperium proconsulare) über alle noch unbefriedeten
Provinzen. Zunächst waren es fünf Provinzen, am Ende seiner Regierungszeit 19 Provinzen, dazu zwei germanische Militärdistrikte, auf
die er so Zugriff erhielt. Später, ab dem Jahr 23 v. Chr., wurde diese
Befehlsgewalt noch ausgedehnt. Sie war fortan übergeordnet (imperium proconsulare maius): Auch die senatorischen Statthalter der
(schließlich kontinuierlich zehn) „öffentlichen“ Provinzen, die vom
Senat verwaltet wurden, waren dem Princeps untergeordnet.
Während sich formal der Vorgang des Jahres 27 v. Chr. als eine
Princc eps oder der Erste unter Gleichen
Inhaber des höchsten Ranges (an Ansehen), Ehrentitel in der römischen Republik unter den Senatoren. Um seine Regierungsform aus republikanischen Traditionen herzuleiten und sich von Caesars Diktatur abzusetzen, wählte Augustus diese Bezeichnung für seine überlegene Machtstellung, bestehend aus einem Konglomerat von einzelnen Amtskompetenzen der Republik. Dieser „Titel“ wird von den Nachfolgern übernommen.
Die neue Armee
Machtaufteilung zwischen dem Senat und dem Princeps auf Zeit ausgab, wirkte sich de facto die Machtdelegierung in der beschriebenen
Form allein zugunsten des Augustus aus, denn in den unbefriedeten
Provinzen standen bis auf wenige Ausnahmen alle Legionen.
Der Vorteil der jetzt legalisierten Macht des Augustus war auch
gleichzeitig die entscheidende Schwäche: Rechtlich konnte das Privileg
der außerordentlichen Machtausübung nur so lange bestehen, wie die
Aufgabe, die Befriedung im Innern und die Absicherung nach außen,
gewährleistet war. Mit jeder kleinen Störung in diesem „deal“, bei jeder kleinen Niederlage und bei jedem kleinen Missgeschick wackelte
die Macht des Princeps insgesamt.
Die neue Armee
Basis der Sicherung der Grenzen und der Befriedung der unbefriedeten Provinzen war eine schlagkräftige Armee. Dazu waren die Bürgerkriegsarmeen des 1. vorchristlichen Jahrhunderts denkbar ungeeignet:
Nichts ist gefährlicher und unberechenbarer als eine Armee, die politisch denkt. Die ganze Periode der Bürgerkriegszeit hindurch, und besonders nach Caesars Tod, hatten sich die aufgeblähten Bürgerkriegsheere (bei Philippi im Jahr 42 v. Chr. kämpften insgesamt über
200 000 Mann!) auf allen Seiten mehrfach in das politische Geschehen eingeschaltet. Dabei haben sie den Lauf der Ereignisse in der Auseinandersetzung zwischen den großen Potentaten Antonius und
Octavian (Augustus) erheblich mitbestimmt. So nützlich ihre Einmischung für den Adoptivsohn Caesars, Octavian, am Anfang seines kometenhaften Aufstiegs auch war: Im Besitz der konkurrenzlosen
Macht nach dem Tod des Antonius, konnte der siegreiche Augustus
solche unzuverlässigen Heere nicht weiter dulden und gebrauchen –
und entließ sie.
Das war kein leichtes Unterfangen. Seit Marius’ Heeresreformen
um 100 v. Chr. gehörte es kontinuierlich zum Kalkül mächtiger und
ehrgeiziger römischer Militärpotentaten (potentes), dass sie „ihre“
Heere, die ihnen über Jahre durch Loyalität ihre Siege und damit
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Rhein oder Elbe
Der Zenturio in der römischen Armee
In der Zeit der Manipulartaktik hatte der rangältere Zenturio (centurio) das taktische Kommando in einem aus zwei Zenturien bestehenden
Manipel. Die Ränge der 60 Zenturionen einer Legion bemaßen sich nach
der Aufstellung in der Schlachtordnung. Der ranghöchste Zenturio einer
Legion (10 Cohorten, 30 Manipel, ca. 5000 Mann) war der Primus pilus,
der an den Feldherrnbesprechungen zusammen mit den Offizieren (Militärtribunen) teilnahm. Als Bindeglied zwischen Offizieren und Mannschaften hatten sie die Disziplinargewalt, weswegen sie einen Rebstock
trugen (virga). Weitere Kennzeichen waren ein quergestellter Helmbusch,
besondere Beinschienen und ein Goldring.
ihren persönlichen Aufstieg garantierten, belohnten – mit Beute aus
den Kriegszügen und mit Land nach der Dienstzeit. Damit schufen sich
diese Potentaten auch auf Dauer eine treue Klientel: Soldaten in den
Legionen waren immer Bürger; Bürger hatten immer Wahlrecht, das
sie – wenn sie nahe an Rom siedelten – auch wahrnehmen konnten,
aus Dankbarkeit für den fürsorglichen Anführer natürlich im Sinne
des ehemaligen Feldherrn.
Die Ansiedlung von Veteranen in Italien war immer prekär und,
besonders wenn nahe an Rom, mit Unruhen verbunden, denn normalerweise siedelten auf diesen attraktiven Parzellen Familien seit Generationen, die jetzt für die Neuansiedlung enteignet und deren Ländereien konfisziert werden mussten.
Augustus hatte darüber hinaus als Sieger nicht nur sein eigenes,
inzwischen etwa 230 000 Mann starkes Heer zu betreuen. Die schnelle Kapitulation des unbesiegten, wenn auch führerlosen Landheeres
des Antonius nach der Seeschlacht bei Actium war auch nur dadurch
möglich, dass Octavian die Versorgung der Soldaten mit Land zusicherte. Erst ab 7 v. Chr. wurde – im Sinne der Veteranen, die nicht mit
Land in einer fernen Provinz abgespeist werden wollten – zunehmend
eine Entschädigung mit Geld am Ende der Dienstzeit anvisiert.
Die neue Armee
Octavian entließ zwischen 31 und 19 v. Chr. 120 000 Soldaten,
soweit sie auf seiner Seite gestanden hatten. Insgesamt wurde das
Reichsheer auf 25 Legionen zusammengekürzt, die an den gefährdeten Grenzen und in den unbefriedeten Provinzen konzentriert wurden,
anfänglich noch in (mobilen) Holzlagern, später in Steinlagern.
Das Ergebnis war ein stehendes Kernheer, das gleichzeitig mit
den Entlassungen systematisch neu aufgebaut wurde und loyaler sowie besser ausgebildet war. Die Soldaten wurden nach der Bedeutung
der Truppen und nach Hierarchie abgestuft bezahlt. Im Jahr erhielt
ein Legionär 250 Denare, ein Prätorianer 750 Denare, ein Auxiliar (etwa in Ägypten) 186 Denare und ein Zenturio 3750 Denare. Ein Denar
war im 1. Jahrhundert ein guter Tagesverdienst eines Tagelöhners, der
die Lebenshaltungskosten sicherstellte.
Ein römischer Legionär augusteischer Zeit mit Bewaffnung:
Helm, Schuppenpanzer (lorica
squamata), Gurt (cingulum) einschließlich Schurz, Schwert
(gladius) und Dolch (pugio),
Schild (scutum), typischen Soldatenstiefeln (caligae) und Wurfspeer (pilum). Als Marschgepäck
hatte der gemeine Legionär neben seiner schweren Rüstung
auch noch die Verpflegung zu
tragen, insgesamt etwa 48 kg.
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