Konsumismus - Die Onleihe

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Franz Hochstrasser
Konsumismus
Kritik und Perspektiven
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sich die eigenen Lebensmittel zu besorgen. So sammeln die Menschen
Früchte und Gemüse aus der Natur, späterhin stellen sie ihre Nahrungsmittel selber her. Der eigentliche Entwicklungsschub, der die Menschen
zu Menschen werden liess, liegt darin, dass sie Arbeitsmittel »erfinden«
und sie verbessern. Das kann ein Kessel sein, in dem man die gemolkene
Milch aufbewahrt, oder in der Gegenwart das Telefon, mit dem man sich
über weite Distanzen mit andern Leuten mündlich verständigen kann.
Klaus Holzkamp schreibt allgemein von der »Fähigkeit zur systematischen Werkzeugherstellung« (Holzkamp, 1973, 107ff.). Diese Fähigkeit
beinhaltet, dass diese Werkzeuge nicht nur Mittel darstellen, um ein aktuelles Ziel zu erreichen. Vielmehr – auch das ist ein spezifisch menschliches Merkmal – sind die Werkzeuge so gedacht und hergestellt, dass
sie verallgemeinert, also für jegliche geeignete Gelegenheit und von jeder Person einsetzbar sind (vgl. Holzkamp, 1985, 173). Die Ausbildung
dieser kulturellen Fähigkeiten der Menschen dauerte sehr lange; man
bezeichnet diese Entwicklungsphase als Tier-Mensch-Übergangsfeld.
Dabei hat sich die menschliche Gattung zwar nicht von ihrer organismischen bzw. biologischen Grundlage losgelöst, aber ihre Entwicklung hat
eine neue, nämlich gesellschaftliche Qualität angenommen; sie ist damit
zur eigentlich spezifisch menschlichen Entwicklung geworden.
Nun gilt es, den Faden zum Konsum wieder aufzunehmen. Auf dem
erreichten Niveau von Gesellschaftlichkeit oder kurz: auf dem menschlichen Niveau verändert sich auch die Qualität menschlichen Konsums.
Diese lässt sich daran ablesen, was die Menschen konsumieren – also an
den Gegenständen des Konsums – und wie sie konsumieren – also an
der Form des Konsums. Was die Konsumgegenstände betrifft, sind in
der Regel auch die einfachsten von ihnen von Menschen hergestellt. Zu
denken ist zuvörderst an die Nahrungsmittel, an die Kleidung und an die
Mittel bzw. die Werkzeuge, mit denen es leichter wurde, die Konsumgegenstände herzustellen. Der Einsatz der Fähigkeit, denken zu können,
und der Einsatz von Arbeitsmitteln haben einen Schub der Produktivität ausgelöst: Die Menschen konnten in kürzerer Zeit mehr und vielseitigere Konsumgegenstände hervorbringen. Damit haben sie zugleich
ihre existenzielle Sicherung verstärkt und ihre Überlebenswahrscheinlichkeit angesichts einer als feindlich erlebten Natur erhöht. Insbeson-
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dere entstand damit eine reichere Palette an Nahrungsmitteln. Die Menschen kreierten zunehmend solche Nahrungsmittel, die in der Natur
nicht unmittelbar vorfindbar sind; ich erinnere an all die Produkte, die
gekocht, gebraten oder gebacken werden. Damit tut sich ein respektabler
Unterschied zum tierisch-organismischen Stoffwechsel auf: Denn dieser Stoffwechsel vollzieht sich als mehr oder minder direkte Entnahme
von Stoffen aus der Natur, die einverleibt und in den Körpern verwertet
werden. Der Mensch dagegen wird im Verlauf der kulturellen Entwicklungen mehr zu einer eingreifenden und vermittelnden Instanz: Er bearbeitet die Stoffe aus der Natur, er kombiniert sie neu und verändert sie
durch immer feinere Techniken, bevor er sie konsumiert.
Wie schon gesagt, nahmen auf menschlichem Niveau auch die Formen des Konsums eine neue Qualität an: Die Nahrungsaufnahme als
Voraussetzung des tierisch-organismischen Stoffwechsels wandelte
sich zum Essen. Die Menschen hockten zusammen, das Essen begann,
sich gemeinschaftlich zu vollziehen. Es dürften sich, allenfalls unterbrochen von Witterungseinflüssen oder andern Umweltereignissen,
gemeinsam eingehaltene Rhythmen herausgebildet haben. Die Nahrungsaufnahme bzw. das Essen wurde ein Bestandteil der Alltagskultur. Man sollte zwar die frühen Formen des Essens nicht romantisieren, aber doch sehen, dass sich der menschliche Konsum vom tierischen
deutlich zu unterscheiden begann. Auch wenn er in den frühen Zeiten
menschlichen Zusammenlebens primär der Ernährung und damit der
individuellen Reproduktion4 diente, verliess der Konsum der Menschen
die tierisch-organismische Ebene; er entwickelte sich zum spezifisch
menschlichen reproduktiven Konsum.
Auf der gesellschaftlichen Ebene – das habe ich bereits eingeführt
– war und ist der menschliche Konsum nicht voraussetzungslos. Vielmehr ist das meiste, was die Menschen verbrauchen, zunächst in einfachster Handarbeit und heute auf höchstem technologischem Niveau
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Die Zeugung oder Erschaffung neuen Lebens nenne ich Produktion des Lebens, die
Erhaltung oder Wiedererschaffung des Lebens (mittels Konsum) nenne ich Reproduktion des Lebens. Reproduktiver Konsum dient also der Wiederherstellung oder
besser der Erhaltung des Lebens. Konkreter: Trinken löscht den Durst, durch Essen
führt man sich neue Energie zu.
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hergestellt. Die Herstellung wird nicht von vereinzelten Menschen
vor angebracht; vielmehr sind sie aufeinander verwiesen, indem sie
Teilprodukte von andern weiterverwenden (jemand sucht Lehm in einer Grube, ein anderer formt Gefässe daraus, eine dritte Person bringt
eine einfache Glasur an). Oder sie arbeiten gemeinsam an einem herzustellenden Stück, einer ganzen Anlage, einem Projekt (beispielsweise baut eine Arbeitsgruppe in einem modernen Betrieb für Automationstechnik die Steuerungsanlage für ein Hochhaus zusammen). Dazu
kommt, dass die Hersteller nichts nur zum eigenen Gebrauch herstellen. Die Produkte sind vielmehr so konzipiert, dass sie prinzipiell auch
andere brauchen oder konsumieren können; das ist der von Holzkamp
beschriebene Verallgemeinerungsaspekt (auf den Einfluss der jeweiligen gesellschaftlichen Eigentumsordnung gehe ich hier nicht ein). Damit erreicht die kooperative Arbeit der Menschen ein Niveau, welches
auf tierischer Ebene nicht beobachtet werden kann. Es gibt ausser den
Menschen keine Lebewesen, die einen verallgemeinerten Werkzeuggebrauch kennen; wenn etwa Schimpansen einen Stock benutzen, um
eine Banane heranzuholen, wird der Stock als Werkzeug uninteressant, sobald die Banane da ist; Artgenossen beachten ihn nicht als ein
Werkzeug, das auch ihnen dienlich sein könnte. Zudem ist der Grad
der Kooperation zwecks Produktion von Lebensmitteln bei keinem andern Lebewesen so hoch wie bei den Menschen. Hier ist der Hinweis
wichtig, dass die Menschen nicht alle Lebensmittel zu produzieren
brauchen, denn teilweise finden sie solche vor, etwa Luft oder Wasser
(das allerdings zunehmend privat angeeignet und verkauft wird); solche Lebensmittel müssen unter Umständen gesammelt oder von weit
her transportiert werden. Doch auch mit dieser Einschränkung bleibt
richtig, dass ein enger Bezug zwischen der Produktion von (Konsum-)
Gütern und dem Konsum besteht. Die spezifische Qualität menschlichen Konsums ist durch die spezifisch menschliche Qualität der Produktion mitgegeben.
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Produktion und Arbeit
Das Hervorbringen (lat. producere), Erschaffen oder Herstellen von Gütern wird als Produktion bezeichnet. Die dabei entfalteten Tätigkeiten
werden gemeinhin »Arbeit« genannt. Gemeinhin wird in der bestehenden Gesellschaft Arbeit primär als Lohnarbeit verstanden. Erwerbsarbeitstätig waren früher fast ausschliesslich und heute noch immer
mehrheitlich die Männer. Darin spiegeln sich Geschlechterverhältnisse.
In diesen Verhältnissen besteht – schon vor der heutigen Gesellschaftsformation – eine Ungleichheit zuungunsten der Frauen Diese Ungleichheit ist Resultat einer Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Die
Frauen sind für die Produktion und unmittelbare Reproduktion des Lebens zuständig. Sie gebären Kinder, ziehen sie auf, ernähren sie und sind
Dienstleisterinnen für ihre Männer. Das alles geschieht im Prinzip zuhause. Und die Männer sind zuständig für die Produktion der Lebensmittel, also dessen, was man zum Leben braucht. Dazu gehören auch die
Arbeitsmittel, ob es sich um einfache Werkzeuge, um grosse Maschinen
oder neuerdings um kleinste Taschencomputer handelt. Die Produkte
der Männer- und der Frauenarbeit werden gesellschaftlich ungleich bewertet. Männer erhalten Arbeitslohn; falls Frauen in der Produktionssphäre Lohnarbeit leisten, erhalten sie noch immer für gleiche Arbeit
einen um ca. 20 Prozent geringeren Lohn als die Männer. Für ihre reproduktive Arbeit erhalten sie keinen Lohn. Sie gilt nicht als Arbeit. In meiner Dialektsprache lautet denn auch die Antwort auf die Frage, was die
Frau arbeite: »Sie ist zuhause«. Die Männer und Frauen reproduzieren
diese Geschlechterverhältnisse mit ihren verschiedensten Lebenspraktiken, vor allem aber mit der faktischen Aufrechterhaltung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.
Zusammenfassend zitiere ich Frigga Haug aus ihrem Buch »Die Vierin-einem-Perspektive«: »Geschlechterverhältnisse als ›Verhältnisse, die
die Menschen in der Produktion ihres Lebens eingehen‹, sind immer
Produktionsverhältnisse, wie Produktionsverhältnisse umgekehrt immer auch Geschlechterverhältnisse sind. Die Doppelung der ›Produktion‹ in die von Leben (im weitesten, Aufzucht und Pflege umfassenden
Sinn) und die von Lebensmittelns (im weitesten, die Produktionsmit-
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tel umfassenden Sinn), war der Ausgangspunkt der historischen Verselbstständigung der Letzteren zum System der Ökonomie und – im Kapitalismus – ihrer Dominanz über die Lebensproduktion« (Haug, 2008,
339f.).5
Um nun zur Produktion von Lebensmitteln zu kommen: Die Güter,
welche die Menschen konsumieren, sind Ergebnisse ihrer Arbeit. Soweit
sich Arbeit mit materiellen Dingen befasst, erweist sie sich bei genauem
Hinsehen als Prozess der Umformung von Materie. Das kann beispielsweise Mehl sein, das ein Mann oder eine Frau durch Zugabe von Wasser,
durch Kneten und Backen zu Brot umwandelt. Das können auch Backsteine sein, welche die Maurer aus ihrem isolierten Backsteindasein herauslösen und sie in eine grossflächige, fest gefügte Hauswand einbauen.
Damit ist deutlicher geworden, dass und wie der arbeitende Mensch als
vermittelnde Instanz, wie ich oben schrieb, in das ursprünglich direkte
Verhältnis von Natur(stoffen) und Konsum eingreift.
Ein zweites möchte ich hinzufügen: Menschliche Arbeit ist kooperative Tätigkeit. Nicht dass die Menschen aktuell immer mit andern zusammenarbeiten, ist der Leitgedanke, sondern der Umstand, dass sie als
Arbeitende aufeinander verwiesen sind. In aller Regel fussen ihre Arbeitstätigkeiten auf den Werken anderer. In aller Regel führen sie Arbeiten aus, die andern in irgendeiner Weise zustatten kommen. Selbst
wenn sie ein Gerät für sich selbst produzieren, ist das Gerät auch für andere nützlich. So spiegelt sich in der Arbeit und in den Produkten wider,
dass Menschen aufeinander angewiesen sind. Damit gewinnt die Arbeit
auch das, was wir als Sinn oder Bedeutungshaftigkeit bezeichnen, nämlich beim Arbeiten den Nutzen für die andern mitzudenken. Dieser Nutzen kann übrigens auch in einem schönen und ansonsten »nutzlosen«
Produkt liegen. Im sozialen Bezug und in der Schaffung von Neuem liegt
in der Arbeit eine Quelle der Selbstverwirklichung und der Selbstanerkennung: Ich gestalte und erweitere sowohl meine Verbindungen zu
nahen Menschen wie auch zur Gesellschaft. Und ich gestalte, teilweise
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Mir ist bewusst, dass meine Überlegungen in diesem Buch schwergewichtig die Produktion der Lebensmittel verfolgen und dabei die Produktion des Lebens tendenziell
vernachlässigen.
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