Konstantinos Rantis Geist und Natur Konstantinos Rantis Geist und Natur Von den Vorsokratikern zur Kritischen Theorie Wissenschaftliche Buchgesellschaft Einbandgestaltung: Peter Lohse, Bttelborn Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2004 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Satz: SatzWeise, Fhren Gedruckt auf surefreiem und alterungsbestndigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de ISBN 3-534-17462-3 Fr Barba-Giorgos in Freundschaft INHALT Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Die Vorsokratiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Die Entstehung der Philosophie . . . . . . . . . . . . Die ußere Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die innere Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Monotheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bewegungsproblem und der Idealismus . . . . . . Entfaltung der Identitt und ungeschiedene Einheit von Denken und Sein: Parmenides . . . . . . . . . . . . Die pluralistischen Theorien . . . . . . . . . . . . . . Der Dualismus von Geist und Materie: Anaxagoras . . . . . . . 18 24 31 33 35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 42 44 II. Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Aristoteles’ Auffassung der Philosophie . . . . . . . . . . . . Die ußere Vermittlung von Materie (hyle) und Form (morphe) Das erste unbewegte Bewegende und die Welt . . . . . . . . . Der Vorschein der inneren Vermittlung . . . . . . . . . . . . . Zwischenbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 50 57 64 68 III. Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Wiederherstellung der Totalitt . . . . . . . . . . . . Das hegelsche Gesamtsystem . . . . . . . . . . . . . Hegels Idee der Naturphilosophie . . . . . . . . . . Der Begriff der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Begriff des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . Die innere Vermittlung und der Vorrang des Subjekts . . . . . . 73 79 82 87 92 94 IV. Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Marx’ Rezeption der feuerbachschen Hegel-Kritik . . . . . . . . . Rettung der kritischen Elemente der hegelschen Dialektik . . . . . 98 103 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt Negation der hegelschen Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Negation bzw. Verwirklichung der Philosophie . . . . . . . . . . . 114 125 V. Horkheimer und Adorno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Die Zweite Verdrngung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adornos erstes Programm der Idee der Naturgeschichte . . . Die „zweite Natur“ offenbart sich als die „erste“ . . . . . . . Die „Naturgeschichte“ in der Negativen Dialektik . . . . . . Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . 129 . 131 . 141 . 147 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 EINLEITUNG Im philosophischen Problem von Natur und Geist bilden beide Begriffe fr das heutige natrliche Bewusstsein einen gewhnlichen erkenntnistheoretischen und historischen Gegensatz. Außer deren Entgegensetzung gehrt zu diesem als selbstverstndlich angenommenen Dualismus grundstzlich die Auffassung der Natur „als Inbegriff bloßer Objekte“ (Horkheimer, GS 6, 106), die zur Verfgung des Menschen, des Subjekts stehen. Obwohl die totale Beherrschung der Natur durch den Menschen auch in der Zeit der angeblich „aktiven Kommunikation“ (Giddens 2001, 92) der „globale[n] kosmopolitische[n] Gesellschaft“ (ebd., 31) nie wahr geworden ist, verhlt der Mensch sich weiterhin als absoluter Herr dieser Welt und nimmt sie als Objekt „totaler Ausbeutung“ (Horkheimer, GS 6, 119) wahr. Objekt heißt in diesem Fall nicht bloß etwas ihm Entgegengesetztes, sondern vielmehr etwas ihm zu aller Zeit zur Verfgung Stehendes und vom ihm beliebig zu Handhabendes. Obwohl sich in der letzten Zeit schlimmere Naturkatastrophen als das Erdbeben von Lissabon, das damals Voltaire erschttert und seine Abwendung von der Leibniz’schen Theodizee ausgelst hat (vgl. Adorno, GS 6, 354), ereignet haben und die sogar vom menschlichen Wissen und Handeln verursacht wurden – „hergestellte Risiken“ (Giddens 2001, 39) –, bleibt das animal rationale (zoon logon echon) im institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb immer noch gelassen und fixiert auf seinen Willen zur totalen Beherrschung der Natur, sowohl der ußeren wie der inneren. Goethe hat dieses charakteristische Verhalten des modernen Menschen mit der Allegorie des Zauberlehrlings vorangekndigt: „Die ich rief, die Geister, / Werd’ ich nun nicht los“ (Goethe, HA 1, 276). Die Zeit des Zauberlehrlings ist noch nicht zu ihrem Ende gelangt, im Gegenteil, heute ist seine Stunde gekommen, und sogar mit Hilfe der Wissenschaft. Diese Studie befasst sich mit dem philosophischen Problem von Natur und Geist, fast am Ende seiner langwierigen, Jahrhunderte dauernden Entwicklung, wie sie in der abendlndischen philosophischen Tradition stattgefunden hat. Wahrscheinlich existiert dieses Problem auch in anderen Kulturen, schriftlichen Traditionen und Denkweisen. Gleichwohl soll es hier nur innerhalb der geschlossenen und bestimmten philosophischen Tradition untersucht werden, die mit den Physiologen bzw. Kosmologen im griechischen Ionien beginnt und mit Hegels System ihren Hhepunkt erreicht; so knnte die gesamte nachhegelsche Philosophie als Marginalie zu dieser großen abgeschlossenen Tradition angesehen werden. Die gesamte 10 Einleitung Untersuchung erfolgt aus Sicht der Kritischen Theorie, besonders unter dem Aspekt von Adornos zentraler Idee der „Naturgeschichte“; somit werden fortschreitend deren philosophiegeschichtliche Wurzeln hervortreten. Die heutige polare Entgegensetzung von Natur und Geist bzw. von Objekt und Subjekt ist das Ergebnis einer langwierigen geschichtlichen Entwicklung. In der Philosophie wird diesem blichen Gegensatz meistens ein erkenntnistheoretischer unterstellt, der am Ende auf eine Identitt zwischen Subjekt und Prdikat reduziert wird. Dieser Gegensatz kann als eines der Hauptprobleme der Philosophie angesehen und behandelt werden. Dem, was heute als selbstverstndlich erscheint, soll in seiner geschichtsphilosophischen Entwicklung nachgesprt werden. In der Philosophie der Physiologen wurde zum ersten Mal nach der ußeren Natur (physis) gefragt. Bei den Pythagorern dagegen wurde auf die Bedeutung der inneren Natur abgehoben. Xenophanes versucht alles auf das Eine zurckzufhren. Bei Parmenides bilden Denken (noein) und Sein (einai) eine ungeschiedene Einheit, und erst gegen Ende der vorsokratischen ra, bei Anaxagoras, der die Philosophie nach Athen gebracht haben soll, erscheinen Natur (chremata) und Geist (nous) klar als begriffliches Gegensatzpaar. In der aristotelischen Philosophie erschien das Problem in Gestalt einer Reziprozitt von Materie (hyle) und Form (morphe) (vgl. Adorno, NaS IV/ 14, 58). Dies ist der erste Versuch einer Vermittlung zwischen Natur und Geist. Aus der Sicht der spteren hegelschen Philosophie erscheint diese Vermittlung als eine ußere, es ist eine zwischen zwei entgegengesetzten Extremen, keine innere bzw. dialektische, in der das Eine das Andere in sich selbst enthlt. Gleichwohl ist in dieser Reziprozitt bereits die spter erreichte hegelsche dialektische Vermittlung als Mglichkeit angelegt. Erst in der Philosophie des Deutschen Idealismus, insbesondere der hegelschen, tritt das Problem in seiner vollen Gestalt auf und erreicht auch gleichzeitig seine besondere und einzigartige Bedeutung. Die absolute Identitt zwischen Geist und Natur ist in der hegelschen Philosophie prgnant dargestellt; die dialektische Vermittlung zwischen Geist und Natur wurde nun realisiert, sie ist eine innere, das Eine enthlt das Andere in sich selbst. Hier kommt ein besonderer Gegensatz zum Ausdruck, der objektive oder dialektische Widerspruch (vgl. Wolff 1981, 22). Der Vorrang des Subjekts in dieser absoluten Identitt von Geist und Natur ist offenkundig, da die Idee sich frei in die Natur entlsst (vgl. ENP, § 244). Die Natur ist nichts anderes als eine Form der Entfremdung des Geistes. Marx folgt Schelling wie auch den so genannten Linkshegelianern, vornehmlich Feuerbach, und hat durch die Umkehrung des Verhltnisses von Natur und Geist und die Eliminierung des absolut Ersten, bei Hegel der Geist, einen neuen Horizont erffnet: den des Nichtidentischen. Die objek- Einleitung 11 tive Natur kommt unter den neuen historischen Konditionen erneut in den Vordergrund der geschichtsphilosophischen Konstellationen, und Subjekt ist nun nicht der hegelsche Gott vor der Erschaffung der Welt (vgl. WL 1.1, 33 f.), sondern es sind die „in Gesellschaft produzierende[n] Menschen“ (MEW 42, 19). Mit Horkheimer und Adorno, die den nachmetaphysischen, den so genannten fragmentarischen Theorien angehren, wird klar, dass das Misslingen der Aufklrung „im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens“ (DA, 9) mit dem Identittsdenken zu tun hat, und so beginnt der ernsthafteste Versuch unseres Zeitalters, das Nichtidentische zu retten. Dieser Versuch hat das zeitgenssische philosophische Denken geprgt. In unserer Epoche bricht die ‚erste Natur‘ zusammen, und das vom Menschen selbst Gemachte, die ‚zweite Natur‘ offenbart sich als erste (vgl. Adorno, GS/ 10.2, 631). Die Entfaltung und Deutung eines philosophischen Problems wie das des Verhltnisses von Natur und Geist in so verschiedenen Epochen der Philosophie ist vielfachen Gefahren ausgesetzt. Eine Gefahr ist die Unterstellung der Kontinuitt des Problems von unserer Epoche bis hin zum Ursprung der Philosophie: der linearen Entwicklung der Philosophie. Die Philosophie kennt jedoch keinen solchen Evolutionismus, der mglicherweise in anderen herkmmlichen Einzelwissenschaften vorkommt. Die Verwendung des Begriffs des „stetigen Fortschritts“ im Bereich der Philosophie ist sehr prekr und ungeeignet (vgl. Windelband 1993, 7). Die philosophischen Begriffe haben einen Zeitkern, sie sind keine Mumien (vgl. Nietzsche, KSA 6, 74), d. h. ewige Wahrheiten, wie sie von einigen philosophischen Richtungen angenommen werden. Stattdessen verndern sie sich im Laufe der Zeit, indem sie in verschiedenen geschichtsphilosophischen Konstellationen auftreten. So scheinen einerseits der Name Natur (physis) in der vorsokratischen Philosophie und der seit Descartes neuzeitliche Naturbegriff gleichbedeutend zu sein, aber das ist bloßer Schein. Denn nicht nur der Begriff der Natur, wie der Mensch eigentlich ber sie nachdenkt (das Wie), hat sich verndert, sondern auch die Natur selbst (das Was) ist im Verlauf der Zeit nicht unverndert geblieben. Der Begriff des Geistes andererseits stammt zwar aus dem Griechischen, pneuma, er ist aber anhand des parmenideischen Denkens (noein) oder des anaxagoreischen Begriffs nous (Geist) gebildet worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Begriffe Natur (physis) und Geist (nous) nicht strikt von den Krften der Natur getrennt, wie auch physikalische und metaphysische Wesenheiten noch nicht strikt voneinander getrennt waren. Das macht der aus dem 17. Jahrhundert stammende Terminus ‚Hylozoismus‘ besonders trefflich klar: „die Beseelung von Naturkategorien“ (Adorno, NaS IV/14, 135). Erst seit Descartes heißt Geist 12 Einleitung das, was uns heute sehr nahe liegt, das denkende und frei urteilende Ich, und seit Spinoza beinhaltet der Begriff des Geistes auch seinen Akt des Denkens und das Gedachte (vgl. Historisches Wrterbuch der Philosophie, Bd. 3, 156). Es ist also unmglich, die Geschichte des Geistes oder entsprechend die der Natur auf einen Begriff zu bringen, eine definitive, fr alle Epochen gltige, monosemantische Definition zu erstellen. Stattdessen sind beide jeweils in die entsprechenden geschichtsphilosophischen Konstellationen einzubetten, um die jeweilige Bedeutung des philosophischen Problems von Natur und Geist bzw. von Geist und Natur zu erkennen. Hegel hatte die Einbettung der philosophischen Probleme in die jeweiligen geschichtsphilosophischen Konstellationen und ihre Deutung durch das „Verstehen der Stze“ und nicht durch „den grammatischen Sinn der Worte“ empfohlen (vgl. VGP, 2). Adorno nannte dieses Kontextverstehen Konstellation: „Es handelt sich nicht um ein Erklren von Begriffen auseinander, sondern um Konstellation von Ideen, und zwar der Idee von Vergnglichkeit, des Bedeutens und der Idee der Natur und der Idee der Geschichte“ (Adorno, GS 1, 359). Die Untersuchung eines durch die Jahrhunderte laufenden philosophischen Problems hat zur Voraussetzung einen entsprechenden Begriff der Geschichte der Philosophie. Eine herkmmliche Geschichte der Philosophie ist fr das zu behandelnde Problem inadquat. Sie verschanzt sich hinter biographischen Einzelheiten von großen Denkern und genauen historischen Darstellungen, und letztens Endes bleibt sie genau da stumm, wo sie ihre eigentliche Arbeit beginnen sollte: die Sache nicht abstrakt zu reflektieren, sondern konkret, in Relation auf die Geschichte und die ganze Thematik der abendlndischen Philosophie. Die stoffgeschichtliche Entfaltung des philosophischen Problems ist fr die nachfolgende skizzierte geschichtsphilosophische Deutung kein Vorbild. Sie versucht „dessen inne zu werden, was mehr ist als bloßer Stoff“ (Adorno, MA, 90). Wie Hegel schon erkannt hat, steht eine Geschichte der Philosophie unter der Notwendigkeit einer „Auswahl der zu erzhlenden Begebenheiten“ (VGP, 1). Allerdings ist es auch Hegel nicht gelungen, seine Idee als „ein organisch fortschreitendes Ganzes, als einen vernnftigen Zusammenhang“ (ebd., 4) der gesamten Geschichte der Philosophie mit absoluter Plausibilitt zugrunde zu legen. (Vgl. Jaeschke 1993, XVIII ff.) Was sich durch die gesamte Geschichte der Philosophie zieht, sind philosophische Probleme. Sie sind nicht ein fr alle Mal gelst, sie kehren zu einem spteren Zeitpunkt wieder und verlangen eine neue Lsung. Die Hoffnung auf eine menschenwrdige Gesellschaft, die notwendige politische und gesellschaftliche Wandlungen in Gang setzt, rckt das Problem erneut in den Vordergrund, und in den neuen Situationen wird es von den Einleitung 13 Menschen anders gedeutet (vgl. Windelband 1993, 11). Diese neue Deutung ist keine absolut neue, sie fllt nicht wie Manna vom Himmel. Sie war als Mglichkeit schon von Anfang an in der Sache angelegt und wird deshalb zu einem spteren Zeitpunkt verwirklicht. Eine solche Analyse ist eine immanente Analyse. In der Philosophie berdauern nicht bloß berreste vergangener Philosophien, wie berreste von alten Produktionsweisen im Kapitalismus, sondern es werden bestimmte Ansichtspunkte, Deutungen, Theorien umgebildet. Denn die Philosophie ist keine einfache Aufnahme der Tradition, sondern vielmehr deren schpferische Umbildung, Bearbeitung (vgl. VGP, 8). Allerdings wurden die Deutungen der vorangegangenen Formen der Philosophie hinsichtlich der letzten als „Andeutungen auf Hhres“ offenbar, erst wenn das spter Erreichte da ist (vgl. MEW 42, 39). Das Moment ‚nachtrglich‘ ist fr die Deutung vergangener Ereignisse von Relevanz. Freuds Psychoanalyse hat dies besonders hervorgehoben. Fr die Psychoanalyse freilich bezieht sich dieses Moment auf den psychischen Mechanismus, der Freud zufolge durch Aufeinanderschichtung entstanden ist, „indem von Zeit zu Zeit das vorhandene Material von Erinnerungsspuren eine Umordnung nach neuen Beziehungen, eine Umschrift erfhrt“ (Freud 1986, 217). Im Entwurf einer Psychologie (1895) wendet Freud die Konzeption von Nachtrglichkeit konkret an. Ein zeitlich erstes verdrngtes Ereignis, das nicht als Trauma erlebt wurde, gewinnt seinen pathogenen Wert durch ein zeitlich zweites, welches nur oberflchlich dem ersten hnelt. Das erste Ereignis wird nachtrglich zum Trauma (vgl. Freud 1987, 447 f.). Die Applikation des Moments ‚nachtrglich‘ auf die Geschichte der Philosophie knnte die noch nicht ausdrcklich geußerten Tendenzen vorangehender Philosophien durch zeitlich sptere philosophische Ausfhrungen aufhellen und die vorige hegel-marxsche Deutung, „Andeutungen auf Hhres“, bekrftigen. Zu untersuchen ist also ein philosophisches Problem im Rckblick auf seine letzte Entwicklung, den „Dualismus von Ich und Natur“ (Horkheimer, GS 6, 118). An diesem Punkt lauert eine andere Gefahr, die der strengen Systematisierung aller vorangegangenen philosophischen Epochen vermge des spter Erreichten der neuzeitlichen Philosophie, besonders der kantischen oder der hegelschen. Es gibt Werke ber die Geschichte der Philosophie, die die Philosophie der „Alten“ nach dem beliebten aristotelischen Ausdruck (vgl. Phys. 194 a 19) aufgrund der Begriffe des Seins, des Werdens und des Erkennens unterscheiden, oder solche, die sie nach Schulen aufgrund des Dreitakt-Schemas Affirmation – Negation – Negation der Negation einordnen. Am Ende der Gliederung ist dann eine klare Linie durch die ganze Philosophie gezogen, die jede Philosophie in eine materialistische und idealistische bzw. realistische und nominalistische ein- 14 Einleitung ordnet, was man als „Schubladendenken“ bezeichnet. Natrlich stellen solche streng angewandten Verfahrensweisen Mglichkeiten der Deutung der Philosophie der „Alten“ dar, sie erleichtern sogar die Annherung an eine ziemlich entlegene Sache, aber sie reflektieren mehr die spteren Projektionen der systematischen Philosophie auf die Sache der vergangenen Philosophie als die Sache selbst. Deswegen werden hufig von einer jeden derartigen systematischen Philosophie alle vergangenen Philosophien auf das Prokrustesbett gelegt und gemß des spter Erreichten nach Gutdnken beschnitten. So sind die in diesem Text gebrauchten Bezeichnungen „Schule“, „System“ oder „Antwort“ nicht im strengen Sinn zu nehmen (vgl. Guthrie 1960, 20; KRS, 396; ebd., 399). Wohl sind es Rckprojizierungen aus spterer Zeit, aber sie vermgen den Blick auf das Konkrete zu erleichtern und verstellen ihn nicht, wenn sie die Deutung der philosophischen Probleme in Bezug auf die Geschichte der Philosophie ermglichen. Eine geschichtsphilosophische Deutung des Problems von Natur und Geist erhebt den Anspruch, das Problem in Relation zur gesamten Geschichte der Philosophie des Abendlandes darzulegen. Analog zu Hegels philosophischer Geschichtsschreibung versucht sie keine quasi philologische Darstellung der ursprnglichen Philosophie wiederzugeben (vgl. VPG, 4), vielmehr soll sie eine philosophische Betrachtung sein (vgl. Adorno, NaS IV/14, 41). Deswegen bezieht sie sich nur auf solche Denker, die die Philosophie in enger Beziehung zur Dialektik verstehen und bei denen man bisher wenig darauf geachtet hat, was sie ber die antike Philosophie geschrieben haben. 1 Diese Relation der geschichtsphilosophischen Deutung zur Geschichte der Philosophie ermglicht es, die spteren Entwicklungen der Philosophie als schon in der Sache angelegt zu betrachten, als Mglichkeiten, die von Anfang an da waren und sich spter entfaltet haben. Das ist das Moment des Nochnichtseins, die Negativitt der Sache, die als widerspruchsvoll in sich selbst betrachtet und gedeutet wird. Der Unterschied zwischen Mglichkeit und Wirklichkeit ist das Movens der Dialektik. Sie ist in allen philosophischen Epochen zu finden, aber gleichwohl hat sie in einer jeden ein besonderes Merkmal. Aristoteles’ Dialektik ist eine Voraussetzung von Hegels spekulativer Dialektik, aber nie identisch mit dieser. Materialistische Dialektik setzt die spekulative voraus, hat aber eine andere Prioritt: den Vorrang des Objekts. Negative Dialektik nimmt diesen nicht lediglich wahr, sondern sie rettet das Nichtidentische und das Intentionslose, indem sie als offenes Denken den systematischen Charakter des Spekulativen preisgibt (vgl. Adorno, DD, 174). Die alte dreiteilige hegelsche Einteilung der Geschichte der Philosophie ist fr die nachfolgende Untersuchung immer noch gltig. Wie bekannt,