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Diplomarbeit in Erziehungswissenschaft
Sozialpädagogik
Ruben Kaster
Kultur als Differenzkategorie in der Pädagogik
Kontakt: rkaster [ätt] palita.net
Version: 1.2
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung...............................................................................4
1.1 Zum Kulturbegriff in dieser Arbeit.....................................8
2. Differenz und Pädagogik.....................................................16
2.1 Zum Begriff „Kultur“ in der „Interkulturellen Pädagogik“
..................................................................................................18
2.2 Die historische Entwicklung „Interkultureller Pädagogik“
..................................................................................................19
2.3 Zum Kulturdiskurs in den Erziehungswissenschaften......24
2.4 Zentrale Kritikpunkte am Kulturkonzept der
„Interkulturellen Pädagogik“...................................................29
3. Exkurs: „Nation“, „Ethnizität“, „Rasse“ und „Kultur“........34
3.1 Ethnizität...........................................................................36
3.2 Rasse.................................................................................40
3.3 (Critical) Whiteness..........................................................48
3.4 Verwobenheit von „Nation“ mit „Ethnizität“, „Rasse“ und
„Kultur“....................................................................................50
3.5 Die Nation-Form...............................................................51
3.6 Zur Entstehung der deutschen Nation...............................57
4. Theoretische Ansätze...........................................................65
4.1 Reflexive Interkulturalität nach Hamburger.....................67
4.1.1 Kulturbegriff.........................................................68
4.1.2 Ethnizität...............................................................71
4.1.3 Kritik der Interkulturellen Pädagogik...................73
4.1.3.1 Solitaristische Deutungen.............................74
4.1.3.2 Reduktive Betrachtungen..............................75
4.1.3.3 Normale Fremdheit.......................................78
4.1.4 Folgerungen aus der Kritik...................................79
4.2 Migrationspädagogik nach Mecheril................................82
4.2.1 Die Migrationsgesellschaft...................................84
2
4.2.2 Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnungen 86
4.2.3 Migrationsandere..................................................89
4.2.4 (Mehrfach-)Zugehörigkeiten................................96
4.2.5 Zum Kulturbegriff................................................97
4.2.6 „Interkulturelle Kompetenz“................................98
4.2.7 Dilemma der Anerkennung.................................102
4.2.8 Reflexive Anerkennung......................................107
4.3 Diversity..........................................................................108
4.3.1 Zum Konzept einer Diversity-Pädagogik...........110
4.3.2 Mögliche Fallstricke von Diversity Konzepten..113
4.3.3 Diversity hegemoniale Praxis oder
herrschaftskritisches Instrument...................................118
4.4 Intersektionalität.............................................................121
5. Fazit....................................................................................127
5.1 Folgerungen für pädagogische Praxis.............................127
5.2 Folgerungen für die pädagogische Theorie.....................139
5.3 Resümee..........................................................................144
6. Literatur..............................................................................147
3
1 Einleitung
Migration stellt ein für moderne Gesellschaften bedeutendes
Phänomen dar. Aufgrund der nationalstaatlichen Ordnung der
modernen Welt, fällt insbesondere der Migration zwischen
Nationalstaaten eine große Bedeutung zu. Diese Form der
Migration geht mit spezifischen Unterscheidungen einher und
stellt die pädagogische Theorie und Praxis vor zu bearbeitende
Fragen.
Seit den 1980er Jahren beschäftigen sich Pädagog_innen in
einer
„interkulturellen“
migrationsgesellschaftlichen
Bedeutung
werden
Perspektive
Fragen.
hierbei
mit
Eine
entscheidende
„kulturellen
Differenzen“
zugeschrieben.
In dieser Arbeit werde ich der Frage nachgehen, wie in der
Pädagogik beziehungsweise den Erziehungswissenschaften seit
Beginn der Debatten um „Interkulturalität“, „Kultur“1 als
1
Im Folgenden werde ich die Begriffe „Kultur“, „interkulturell“,
„kulturelle Differenzen“, etc. in Anführungszeichen setzten, um auf den
Konstruktionscharakter von „Kultur“ hinzuweisen und mich
gleichzeitig vom hegemonialen, essentialisierenden und
homogenisierenden Gebrauch von „Kultur“ zu distanzieren.
4
Differenzkategorie genutzt wird beziehungsweise wurde, wie
sie
problematisiert
wurde
und
welche
kritischen
Umgangsweisen mit der Kategorie entwickelt wurden.
Um dies herauszuarbeiten, beschäftige ich mich in Abschnitt 2
„Differenz
und
Pädagogik“
zunächst
damit,
wie
in
„interkulturellen“ Konzepten „Kultur“ als Differenzkategorie
genutzt wird. Dazu soll die geschichtliche Entwicklung der
„Interkulturellen Pädagogik“ skizziert werden, um eine
historische Einordnung zu ermöglichen und vorhandene
Einflüsse auf das Kulturkonzept zu identifizieren.
Im darauf folgenden Teil soll die Verwobenheit der
„Interkulturellen Pädagogik“ in herrschende Diskurse über
„Kultur“ betrachtet werden. Dabei wird auch auf einer
allgemeinen Ebene auf die Funktionen eingegangen, welche
mit den herrschenden Kulturdiskursen verbunden sind.
In einem ersten Zwischenfazit werden anschließend die
zentralen Kritikpunkte zusammengefasst und damit eine erste
Problematisierung des Kulturbegriffs der „Interkulturellen
Pädagogik“ vorgenommen.
5
Anschließend folgt im dritten Teil ein Exkurs, welcher sich mit
den Verschränkungen von „Kultur“, „Ethnizität“, „Nationalität“
und „Rasse“ auseinandersetzt. Diese stellen zentrale Begriffe
dar, welche mit dem Kulturverständnis der „Interkulturellen
Pädagogik“ implizit verbunden sind. Neben der Einordnung
der Begriffe sollen an dieser Stelle deren Verwendungsweisen
in hegemonialen Diskursen und damit mögliche diskursive
Verstrickungen „Interkultureller Pädagogik“ geklärt werden.
Abschnitt 4 beschäftigt sich mit theoretischen Ansätzen,
welche kritisch an die „Interkulturelle Pädagogik“ anschließen
und dabei den Kulturbegriff selbst nicht verwerfen, aber
problematisieren.
Diese Ansätze werden zunächst daraufhin befragt, wie sie
„kulturelle Differenz“ thematisieren und fassen, aber auch
problematisieren. Dabei wird deutlich wie beziehungsweise ob
sich die Ansätze bei ihrer Thematisierung von „Kultur“ als
Differenzkategorie
von
Ansätzen
der
„Interkulturellen
Pädagogik“ unterscheiden.
So wird an dieser Stelle unter Anderem auf die Verknüpfungen
von
„Kultur“
mit
Macht-,
Herrschafts6
und
Dominanzverhältnissen
eingegangen.
Die
weitgehende
Dethematisierung dieser Verhältnisse ist, wie später noch
erläutert wird, einer der zentralen Vorwürfe gegen den
Kulturbegriff der „Interkulturellen Pädagogik“.
Anschließend wird zu prüfen sein, welche Perspektiven die
einzelnen
vorgestellten
Ansätze
für
die
Erziehungswissenschaften und auch die pädagogische Praxis in
der Migrationsgesellschaft aufzeigen.
Im abschließenden Fazit werde ich prüfen, inwiefern die
Ergebnisse aus der Beschäftigung mit dem einzelnen Ansätzen
sich zu einer zusammenhängenden Perspektive verknüpfen
lassen
und
verschiedene
daraus
resultierende
Schlussfolgerungen ziehen.
Den Ausgangspunkt der Betrachtungen in dieser Arbeit stellt
Deutschland
und
die
deutschsprachige
erziehungswissenschaftliche Debatte dar, sie beschränkt sich
jedoch nicht nur auf diese.
7
1.1 Zum Kulturbegriff in dieser Arbeit
Im Zentrum dieser Arbeit steht der Begriff "Kultur". Dieser ist
in hegemoniale Diskurse über "die Anderen" eingebunden (vgl.
Anschnitt 2.3), welche sowohl auf das Alltagsverständnis von
Menschen, als auch auf das Verständnis von „Kultur“ innerhalb
der pädagogischen Theorie und Praxis Auswirkungen haben.
Gerade im Bezug auf Migrant_innen ist der Begriff zu einem
"bevorzugten 'Fremdmacher'" (Messerschmidt 2008, S. 7)
geworden.
Dies macht deutlich, dass es sich bei „Kultur“ um eine
problematische soziale Kategorie handelt. So werden anhand
von „kultureller Differenz“ Unterschiede festgeschrieben,
welche
mit
der
Reproduktion
von
sozialen
Ungleichheitsverhältnissen verschränkt sind.
Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit „Kultur“ als
Arbeitsbegriff
verstanden,
auf
welchen
zur
Analyse
vorhandener Verwendungsformen nicht verzichtet werden
kann.
Diese Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit dem
8
Kulturbegriff innerhalb der pädagogischen Theorie und Praxis.
Nun stellt sich zunächst die Frage, ob es für die
Erziehungswissenschaften
beziehungsweise
für
die
„Interkulturelle Pädagogik“ denn überhaupt sinnvoll ist,
weiterhin mit dem Begriff „Kultur“ zu arbeiten oder ob auf
diesen
aufgrund der damit verbundenen Problematiken am
besten ganz verzichtet werden sollte.
Gegen einen Verzicht auf den Begriff beziehungsweise die
Kategorie „Kultur“ sprechen die schon oben angesprochenen
realen Folgen des wirkmächtigen, machtvollen Konstrukts
„Kultur“ als Differenzkategorie (vgl. Mecheril / Plößner 2009,
S. 9). Das Ignorieren „kultureller Kategorien“ führt nicht zu
deren
Verschwinden.
So
wird
beispielsweise
die
Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer „kulturellen
Herkunft“ nicht aufhören, wenn Pädagog_innen2 nicht mehr
2
Ich nutze in dieser Arbeit mit der „Gender Gap“ eine Schreibweise,
welche nicht nur die zwei Geschlechter Frau und Mann berücksichtigt,
sondern durch den „_“ (Unterstrich) auch Platz für weitere Geschlechter
schafft, die sich nicht in der binären Geschlechterordnung verorten
lassen oder lassen wollen. Diese müssen bei anderen verbreiteten
Schreibweisen unberücksichtigt bleiben, was indirekt die herrschende
Logik der Zweigeschlechtlichkeit und damit verbundene Macht- und
Dominanzverhältnisse stützt.
9
von kulturellen Zugehörigkeiten sprechen. Zudem dürfen
gerade in der Pädagogik die mit „Kultur“ verbundenen
identitären Selbstverständnisse nicht einfach übergangen
werden. Vielmehr kann „kulturelle“ „Differenz [welche R.K.]
als Ausdruck der Individualität beansprucht wird, […]
insbesondere in pädagogischen Interaktionen mit Anerkennung
rechnen“ (Hamburger 2009, S. 126). Die Wahl „kultureller“
Zugehörigkeiten sollte demnach in der Hand des einzelnen
Menschen selbst liegen.
Noch einen weiteren Aspekt spricht Franz Hamburger in
seinem Buch „Abschied von der Interkulturellen Pädagogik“
(2009) an. Die „Selbstethnisierung“ (Hamburger 2009, S.115)
verstanden als „Identifikation mit einem kulturell definierten
Kollektiv“ (ebd., S.116), also der aktive Bezug auf „kulturelle“
Differenzen, kann gerade für Minderheitsangehörige auch eine
Schutzfunktion haben, beispielsweise bei der Verarbeitung von
Diskriminierungserfahrungen oder aber bei Kämpfen um
soziale Rechte oder kollektive Güter.
Ein sehr konkretes aktuelles Beispiel bietet die „Roma Garde“,
welche von ungarischen Roma in der Stadt Pecs als Reaktion
10
auf
die
auch
nach
ihrem
Verbot
weiterhin
aktiven
nationalistische und rassistische „Ungarische Garde“ gegründet
wurde (vgl. APA 2012). Diese dient offensichtlich als
Gegenmacht und soll Minderheiten den Schutz bieten, welchen
die staatlichen Behörden anscheinend nicht bieten können.
Ein weiteres Beispiel stellt auch die aktuelle Debatte um
„Asylmissbrauch“
dar,
welche
vom
deutschen
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) angestoßen
wurde.
Gerade
aufgrund
ihrer
Selbstethnisierung
beziehungsweise ihrer Organisation als „Roma“ im Zentralrat
der Roma können sich „Roma“ an dieser Debatte aktiv
beteiligen. Erst durch diese Form der Organisation bekommt
die Stimme „der Roma“ ein Gewicht. So ist der Vorsitzende
des „Zentralrates der Sinti und Roma“ Romani Rose mit seiner
Position in den Massenmedien vertreten (vgl. o.A. 2012). Ohne
eine in Deutschland anerkannte Organisationsform wie der
„Zentralrat der Sinti und Roma“ würde diese Position
wahrscheinlich keine größere Beachtung in der Öffentlichkeit
finden.
Beide Beispiele weisen jedoch auch darauf hin, dass die
11
Betroffenen wenig beziehungsweise keine Wahl bei der
Entscheidung für die entsprechende „kulturelle“ Zugehörigkeit
haben.
Grundlage für die Beschränkung der Wahlmöglichkeiten ist ein
verbreitetes
statisches
und
essentialisierendes
Kulturverständnis, welches „Kulturen“ als homogene Blöcke
konzeptionalisiert (vgl. Kalpaka 2005, S. 391f). Anhand dieser
Blöcke beziehungsweise Kollektive, in der Regel werden diese
als „Ethnien“ oder „Nationen“ imaginiert, können Menschen
entsprechend der „eigenen“ oder eben der „fremden Kultur“
zugeordnet werden.
Karin Reindlmeier folgend werde ich deshalb einen offenen
und
dynamischen
Kulturbegriff
verwenden,
welcher
„Kulturen“ als widersprüchlich und veränderbar begreift und
die aktive Rolle der Subjekte bei der Aneignung und
Veränderung von „Kulturen“ betont (vgl. Reindelmeier 2006,
S.258f). Außerdem, so Karin Reindlmeier, muss „Kultur“
immer als soziale Praxis verstanden werden (vgl. ebd., S.259),
was hilft, einer Verdinglichung3 von „Kulturen“ vorzubeugen
3
„Verdinglichung bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob
12
(vgl. Hamburger 1994, S.37).
Aufgrund der weit verbreiteten Annahme „Kultur“ sei gleich zu
setzten mit „Nationalkultur“ beziehungsweise der „Kultur“
einer „Ethnie“4, wird an dieser Stelle zudem darauf verwiesen,
dass
ein
Individuum
immer
an
mehreren
„Kulturen“
partizipiert (Hamburger 2009, S. 110).
Gabriele Khan-Svik verdeutlicht in ihrem Buch „Kultur und
Ethnizität als Forschungsdimensionen“ (2008) mit einer
bildlichen Darstellung die kulturellen Einflüsse auf ein
Individuum. Diese (Abbildung 1) macht die Verwobenheit des
Individuums in verschiedenste soziale Felder und die damit
verbundenen „Kulturen“ deutlich. Sowohl die Felder selbst als
auch ihre Positionen sind fiktiv, andere Felder und Positionen
derselben sind denkbar. Dabei sollte nicht vergessen werden,
4
sie Dinge wären, das heißt als außer- oder gar übermenschlich. […]
Verdinglichung ist die Auffassung von menschlichen Produkten, als
wären sie etwas anderes als menschliche Produkte:
Naturgegebenheiten, Folgen kosmischer Gesetze[...]“ (Berger /
Luckmann 2007, S. 94F, Hervorhebung im Original)
Auch der Begriff „Ethnie“ wird, um auf dessen Konstruktionscharakter
hinzuweisen und zur Distanzierung von einem verbreiteten
essentialisierenden Gebrauch dieser Kategorie in Anführungszeichen
gesetzt (vgl. Abschnitt 3.1 und 3.5).
13
dass das Individuum nicht nur kulturellen Einflüssen aus diesen
Feldern ausgesetzt ist, sondern die jeweiligen „Kulturen“ aktiv
mitgestaltet und kulturelle Einflüsse auch wählen und
ignorieren kann. Dieses Bild verdeutlicht die Komplexität der
Eingebundenheit
von
Individuen
in
verschiedene
gesellschaftliche Felder, welche immer auch „kulturelle
Kontexte“
darstellen,
aber
eben
auch
Auswahlmöglichkeiten des Individuums.
Abbildung 1: kulturelle Einflüsse (Khan-Svik 2008, S.54)
14
die
Hiermit soll die Darstellung des „Kulturbegriffs“ beendet
werden, welcher als Hintergrundfolie für die folgende
Beschäftigung
mit
dem
Kulturkonzept
„Interkulturellen
Pädagogik“ dienen soll.
15
2 Differenz und Pädagogik
Die Debatten über Ungleichheit und damit über Differenz
innerhalb des Bildungsystems sind nicht neu. Marianne
Krüger-Potratz und Helma Lutz datieren deren Beginn auf die
zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts (vgl. Krüger-Potratz / Lutz
2002, S. 82). Damals kam es zur Einführung der Massenschule.
Entsprechend der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse rückten
seitdem unterschiedliche Differenzen in das Zentrum der
Debatten.
Die für das Thema dieser Arbeit interessanten Entwicklungen
innerhalb der deutschsprachigen Erziehungswissenschaften
begannen
mit
dem
Ende
der
Diskussionen
um
die
Bildungsreform zu Beginn der 1970er Jahre. Damals kam es
zur
Herausbildung
erziehungswissenschaftlicher
Fachrichtungen, welche sich auf spezielle benachteiligte
Zielgruppen („Frauen“, „Behinderte“, „Ausländer“) bezogen.
Innerhalb dieser Fachrichtungen, der „Frauenforschung“, der
„Sonderpädagogik“ und der „Ausländerpädagogik“ rückten
entsprechend der jeweiligen Zielgruppe die Differenzen
Geschlecht, Gesundheit und Fremdheit beziehungsweise
16
„kulturelle“ und / oder „ethnische“ Zugehörigkeit in den Blick
(vgl. Krüger-Potratz 1999, S. 150).
Alle
drei
Fachrichtungen
änderten
im
Verlauf
ihrer
Entwicklung ihre Bezeichnung, aus der Frauenforschung
wurde die „Geschlechterforschung“, aus der Sonderpädagogik
entwickelte
sich
die
„Integrationspädagogik“
und
die
Ausländerpädagogik wurde zur „Interkulturellen Pädagogik“.
Damit wurde einem Wechsel der Perspektive weg von Defizit
hin
zu
Differenz
Rechnung
getragen,
der
von
einer
differenzierten Auseinandersetzung mit sozialen Kategorien
zeugt, welcher jedoch bei allen drei Fachrichtungen bis heute
nie vollständig vollzogen wurde. Vielmehr existieren beide
Perspektiven bis heute parallel nebeneinander (vgl. Lutz /
Wenning 2001, S. 15 und Mecheril 2011, S. 60f).
Die Folge dieser Entwicklungen war eine Ausdifferenzierung
der Diskussionen um Differenz und Ungleichheit innerhalb der
Erziehungswissenschaften, welche in den 1960er und 1970er
Jahren noch vor allem an „Klasse“ als Leitdifferenz orientiert
waren (vgl. Krüger-Potratz / Lutz 2002, S. 82f).
Im
Folgenden
soll
nun
näher
17
auf
die
erziehungswissenschaftliche Fachrichtung der „Interkulturellen
Pädagogik“ und die ihr zugrunde liegenden sozialen Kategorie
„Kultur“ eingegangen werden.
2.1 Zum
Begriff
„Kultur“
„Interkulturellen Pädagogik“
in
der
Der Kulturbegriff stellt die zentrale Bezugsgröße in den
Debatten rund um die „Interkulturelle Pädagogik“ dar. Jedoch
muss zunächst festgestellt werden, dass innerhalb des
pädagogischen Diskurses um „Interkulturalität“ implizit und
explizit auf verschiedene Kulturbegriffe zurückgegriffen wird
(vgl. Khan-Svik 2008, S.60ff). Es gibt also nicht den einen
Kulturbegriff der „Interkulturellen Pädagogik“. Es lassen sich
jedoch grundlegende, problematische Prämissen beim Umgang
mit „Kultur“ herausarbeiten, welche innerhalb der Debatten um
„Interkulturelle Pädagogik“ von Bedeutung sind.
Die Annahme, dass zwei (oder auch mehrere) „Kulturen“ sich
als
Einheiten
gegenüber
stehen
und
zwischen
diesen
Beziehungen aufgebaut werden, drängt sich schon aufgrund der
Bezeichnung
„interkulturell“
auf.
Konkreter
18
werden
grundlegende Annahmen „Interkultureller Pädagogik“ jedoch
durch einen Blick auf deren Entstehungsgeschichte und
diskursive Verwobenheit in dominante Kulturdiskurse.
2.2 Die
historische
Entwicklung
„Interkultureller Pädagogik“
Die historische Entwicklung „Interkultureller Pädagogik“ ist
ein Anhaltspunkt für die später kritisierte, essentialisierende
und kulturalisierende Verwendung von Kultur innerhalb
„interkultureller“ Theorien und Praxen, welche „Kulturen“ als
geschlossene und sich einander gegenüberstehende Einheiten
fassen.
Die
„interkulturelle“
Theoriebildung
in
der
Pädagogik
beziehungsweise Erziehungswissenschaft folgte in den 1980er
Jahren als kritische Reaktion auf die im Nachhinein als
„Ausländerpädagogik“
zusammengefassten
Ansätze.
Mit
„ausländerpädagogischen“ Konzepten, Arnd-Michael Nohl
spricht
in
diesem
Zusammenhang
von
„Assimilationspädagogik“ (Nohl 2010, S.11), wurde in den
1970er Jahren5 auf die „nicht mehr zu vernachlässigende“
5
1964 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, dass auch
19
Anzahl an „ausländischen“ Kindern und den mit damit
verbundenen Entwicklungen in deutschen Schulen reagiert
(vgl. Mecheril 2010, S.56f). Es handelt sich also um den
Versuch den nicht ganz neuen migrationsgesellschaftlichen
Differenzverhältnissen gerecht zu werden. Hierbei wurden in
erster Linie die „Defizite“ der „Ausländerkinder“ zum Anlass
genommen besondere Fördermaßnahmen zu entwickeln.
Die assimilationspädagogischen Konzepte richteten sich auch
an erwachsene Migrant_innen, so wurden zu dieser Zeit
beispielsweise
sozialpädagogische
(Sonder-)
Institutionen
eingerichtet, welche sich ausschließlich an „ausländische“
Adressat_innen richteten.
Die
in
den
1980er
Jahren
im
Hinblick
auf
diese
„Defizitorientierung“ laut werdende Kritik ist grundlegende
Bedingung für den Perspektivwechsel hin zur „Interkulturellen
Pädagogik“6. Nicht mehr die zu kompensierenden „Defizite“
6
„ausländische“ Kinder der Schulpflicht unterliegen, und zwar in
Reaktion auf das 1960 verabschiedete UNESCO „Übereinkommen
gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen“ (vgl. Nohl 2010, S.23)
Arnd-Michael Nohl spricht in diesem Zusammenhang von „klassischer
interkultureller Pädagogik“. Ich verzichte auf das „klassisch“, weil die
weiterführenden Konzepte (Migrationspädagogik, Reflexive
interkulturelle Pädagogik, etc.), auf die ich in dieser Arbeit eingehen
20
von Migrant_innen sondern „(kulturelle) Differenz“ und damit
einhergehende Forderungen nach Toleranz und Anerkennung
rücken
ins
Zentrum
der
Debatten,
während
-
„ausländerpädagogische“ Paradigmen nie ganz verschwanden
(vgl. Mecheril 2010, S.61 und Leiprecht 2001, S.25). Die
„Ausländer_innen“ wurden in dieser Perspektive nicht mehr als
defizitär, sondern im Sinne des Differenzansatzes als „anders“
betrachtet,
eben
mit
anderen
Kompetenzen
als
die
„Deutschen“.
Wie die Bezeichnung „Interkulturelle Pädagogik“ nahelegt,
wurde bei der Betrachtung der migrationsgesellschaftlichen
Differenz in erster Linie der Kategorie „Kultur“ Bedeutung
beigemessen. Zentrale Aufgabe einer daraus folgenden
Pädagogik ist es, Menschen dazu zu befähigen, vernünftig mit
„kulturellen
Differenzen“
umzugehen.
Hierbei
werden
beziehungsweise wurden Nicht-Migrant_innen im Gegensatz
zu
„ausländerpädagogischen“
Ansätzen
explizit
mit
werde und welche meist unter „Interkultureller Pädagogik“ gefasst
werden (vgl. Nohl 2010, S. 11) spezifischere Eigennamen haben.
Spreche ich im Folgenden über „Interkulturelle Pädagogik“, verstehe
ich darunter das Konzept, welches Arnd-Michael Nohl als „klassische
interkulturelle Pädagogik“ bezeichnet.
21
eingeschlossen (vgl. Krüger-Portratz 1999, S.155ff).
Dass
gerade,
wenn
es
um
Nationalstaatsgrenzen
überschreitende Migration und damit zusammenhängende
Phänomene geht, auf die Kategorie „Kultur“ zurückgegriffen
wird, zeigt, dass zumindest implizit von einer Verbindung
zwischen
„Nation
beziehungsweise
Ethnie
und
Kultur
ausgegangen wurde“ (Khan-Svik 2008, S.88f). Die Grenzen
von „Nationen“ beziehungsweise „Ethnien“ scheinen in diesem
Verständnis auch die der „Kulturen“ zu sein.
Franz
Hamburger
stellt
in
der
„Pädagogik
der
Einwanderungsgesellschaft“ (1994) fest, dass die Annahme
laut
welcher
„Migrantenkinder
[...]
sich
in
einer
interkulturellen Situation“ (Essinger / Hellmich 1981, S.98,
zitiert nach Hamburger 1994, S.37) befinden und „ihre
Sozialisation […] zwischen zwei Kulturen“ (ebd.) verläuft von
der
„Interkulturellen
Pädagogik“
unbefragt
aus
dem
Alltagsverständnis übernommen wird.
Das den Ansätzen „Interkultureller Pädagogik“ zugrunde
liegende
Gesellschaftsmodell
stellt
die
„multikulturelle
Gesellschaft“ dar. Die verschiedenen „Kulturen“, welche in
22
diesem Modell innerhalb einer Gesellschaft (die in diesem
Zusammenhang als Synonym für Nationalstaat gefasst werden
kann) zusammen existieren, werden hier verstanden als die
„Kulturen“ verschiedener „Ethnien“. Dass es innerhalb eines
Nationalstaats mehr als eine „Kultur“ gibt, wird also in erster
Linie auf die Einwanderung zurückgeführt (vgl. Nohl 2010,
S.75ff).
Mit
diesem
Verständnis
von
„Kultur“
knüpft
die
„Interkulturelle Pädagogik“ an hegemoniale Diskurse über
(nationale) Zugehörigkeit an, welche mit Macht-, Herrschaftsund Dominanzverhältnissen verknüpft sind. Auf diesen
Zusammenhang werde ich im folgenden Abschnitt näher
eingehen.
2.3 Zum
Kulturdiskurs
Erziehungswissenschaften
in
den
Nun haben die Pädagog_innen ein solches Kulturverständnis
nicht erst erfunden, sondern knüpfen damit an einen
hegemonialen Kulturdiskurs an, welchen Thomas Höhne im
Hinblick auf die „Interkulturelle Pädagogik“ nachgezeichnet
23
und analysiert hat. Aus einer diskursanalytischen Perspektive
macht Thomas Höhne den Konstruktcharakter von „Kultur“
deutlich und eröffnet damit auch Perspektiven für eine Kritik.
Zunächst stellt er fest, dass der Kulturbegriff aufgrund der
Vielzahl von Verwendungsweisen „als Gegenstand unklar und
als analytischer Begriff unscharf ist“ (Höhne 2001, S.197), was
erklärt, warum es unterschiedlichste Definitionen von „Kultur“
gibt.
Moderne „Kulturen“ sind, so Thomas Höhne, als Ergebnis von
Vergleichen unvergleichbarer Lebensweisen zu betrachten.
Damit der Vergleich gelingt, muss die Identität der „eigenen
Kultur“ und der „fremden Kulturen“ vorausgesetzt werden,
welche paradoxer weise „in der Praxis des Vergleichens selbst“
(ebd.,
S. 198) produziert wird. Die
Kontingenz
der
menschlichen Lebensformen gerät dementsprechend aus dem
Blick (vgl. ebd., S. 198 – 200).
Eine spezifische Bedeutung erhält „Kultur“ erst durch die
Verbindung mit anderen Merkmalen wie beispielsweise
„Rasse“, „Geschlecht“ oder „Klasse“. Durch diese Verbindung
werden voneinander unterschiedene „Kollektivsubjekte“ (ebd.,
24
S. 199) konstruiert. Als zentral für diese Verbindung ist laut
Thomas Höhne der „Bezug auf die 'Nation-Form' (Balibar
1990a, S. 107ff.)“ (ebd.) (vgl. Balibar 1992a; Abschnitt 4.5).
Innerhalb der Nation-Form kommt es, laut Thomas Höhne,
durch die Konstruktion verschiedener Kollektivsubjekte zur
„Festschreibung des 'Eigenen' und des 'Fremden'“ (ebd.),
womit
laut
Thomas
beziehungsweise
der
„Fremddefinition“
Höhne
die
Grunddifferenz
Kulturdiskurs(e)
(ebd.,
S.200)
benannt
des
ist.
Die
beziehungsweise
die
Definition des „Anderen“ stellt also, so Höhne, das zentrale
Merkmal von Kulturdiskursen dar.
In Johann Gottfried Herders „Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit“ wird laut Thomas Höhne erstmals
die Vorstellung von „Kulturen“ als voneinander unabhängigen,
einheitlichen Gebilden entwickelt (vgl. auch Terkessidis 2002,
S.31 und Osterloh / Westerholt 2011, S. 412). Diese „Kulturen“
mit ihrer je eigenen „unverwechselbaren Identität und
Individualität“
(ebd.,
S.199)
sind
hier
mittels
eines
allgemeinen, auf Humanität ausgerichteten Kulturbegriffs
vergleichbar. Die Grundzüge Herders Kulturbegriffs sind bis
25
heute in dominanten Kulturdiskursen vorhanden.
Mit
der
weiter
oben
„ausländerpädagogischer“
angesprochenen
Konzepte
von
Seiten
Kritik
der
„Interkulturellen Pädagogik“ und dem damit einhergehenden
thematischen Wechsel, welcher die Migrationsanderen (vgl.
Abschnitt 4.2.3) in erster Linie eben als „Andere“ fasste, wuchs
die
Bedeutung
(Differenz-)Kategorie.
von
„Kultur“
Andere
als
analytischer
Differenzkategorien,
wie
beispielsweise die „Klasse“ rückten in den Hintergrund. In
diesem Zusammenhang wurde, wie Thomas Höhne schreibt, in
den 1980er Jahren von den Erziehungswissenschaften „ein
unreflektierter ethnologischer Kulturbegriff“ (ebd., S.201)
übernommen, welcher zur Grundlage des Diskurses über die
„Multikulturelle Gesellschaft“ wurde.
Als unreflektiert gilt der Begriff, weil er in der Ethnologie zu
dieser Zeit schon kritisiert und entsprechend anders gefasst
wurde. So hatte sich in der Ethnologie der 1980er Jahre die
Einsicht durchgesetzt, dass es sich bei der Beschreibung von
beobachteten Kulturen nicht nur um ein analytisches
Dekodieren handelt, sondern auch immer um ein Enkodieren
26
von Seiten der Beobachtenden (vgl. ebd., S.201), was
erziehungswissenschaftliche Theoretiker_innen laut Thomas
Höhne nicht berücksichtigten. Dieser Kulturbegriff führte unter
Anderem dazu, dass Vorstellungen wie „Natürlichkeit“,
„Homogenität“, „Eindeutigkeit“ usw. aus dem nach 1945
problematisierten
Rassediskurs
im
erziehungswissenschaftlichen Diskurs um „Kultur“ Aufnahme
fanden (vgl. S. 202).
Dieser Kulturbegriff trug unter Anderem zum „Verschwinden
des Sozialen“ (ebd., S.204) bei und ermöglichte auch weitere
Differenzen neben der „kulturellen“ Differenz auszublenden.
So konnten gesellschaftlich anerkannte Erklärungsmuster,
welche sich beispielsweise zur Erklärung von Konflikten auf
„kulturelle“ Differenzen stützten, ökonomische, rechtliche oder
auch
politische
Gründe,
sowie
andere
Differenzlinien
ausblenden (vgl. ebd., S. 204).
Die Vielzahl der Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs
„Kultur“ (beispielsweise „Diskussionskultur“, „Esskultur“,
„politische Kultur“ aber auch „deutsche, türkische, griechische
Kultur“ etc.) ist bedingt durch dessen Unklarheit und
27
Abstraktheit. Diese Eigenschaften des Kulturbegriffs bilden die
Grundlage zur Identitätsbildung durch Homogenisierung von
Differentem
nach
Heterogenisierung
innen
von
und
Differenzsetzung
Ähnlichkeiten
nach
durch
außen.
Dichotomien wie „Wir / die Anderen“ stellen dementsprechend
ein Ergebnis des hegemonialen Kulturdiskurses dar (vgl. ebd.,
S. 208f).
Durch das Fassen des Kulturbegriffs als Produkt eines
beziehungsweise
mehrerer
Diskurse
wird
er
als
gesellschaftliche Konstruktion begreifbar und bietet damit
einen Anhaltspunkt für dekonstruktive Strategien, jedoch darf
nicht die soziale Wirkmächtigkeit außer acht gelassen werden.
Konstruierte „kulturelle Differenzen“ haben durchaus ganz
reale Folgen, wie zum Beispiel in Form von sozialer
Ungleichheit und Diskriminierung, aber auch in Form
selbstgewählter „identitäre[r] Selbstverständnisse“ (Mecheril /
Plößer 2009, S.9).
28
2.4 Zentrale Kritikpunkte am Kulturkonzept
der „Interkulturellen Pädagogik“
Die in den vorherigen Abschnitten schon thematisierten
Kritikpunkte am Kulturkonzept „interkultureller“ Ansätze
sollen an dieser Stelle systematisiert und miteinander in
Zusammenhang gebracht werden.
Eine grundlegende problematische Prämisse des in der
„Interkulturellen Pädagogik“ verbreiteten Kulturverständnisses
ist der meist implizite Bezug auf Migrant_innen.
Dieser Bezug wird unter Anderem an der Vorstellung deutlich,
dass sich die „multikulturelle Gesellschaft“ und die mit ihr
verbundenen Herausforderungen aufgrund von - die Grenzen
von Nationalstaaten überschreitenden - Migrationsprozessen
entwickelt haben soll (vgl. Iben 1991, S. 32). Wie Paul
Mecheril bemerkt, stellt die von der „Interkulturellen
Pädagogik“ in den Fokus genommene „kulturelle Differenz“
eigentlich
eine
„migrationsgesellschaftliche
Differenz“
(Mecheril 2010, S. 63) dar.
Nun ist jedoch für die „Interkulturelle Pädagogik“ gerade nicht
die
umfassende
Thematisierung
von
29
Differenzen
kennzeichnend, welche für Migrat_innen von Bedeutung sind,
vielmehr wird durch Begriffe wie „Interkulturelle Pädagogik“
und „Interkulturelles Lernen“ nahegelegt, dass gerade „Kultur“
die
zentrale
Differenz
darstellt,
wenn
es
um
den
Zusammenhang von Bildung und Migration geht.
Genau diese Fixierung auf „Kultur“ und „kulturelle Differenz“
in Verbindung mit Migrationsphänomenen stellt einen der
zentralen Kritikpunkte an der „Interkulturellen Pädagogik“ dar.
Die
problematischen
Folgen
dieser
Fixierung
sind
Kulturalisierungen7, welche Karin Reindlmeier definiert als
„die Tendenz, dass sowohl die Verhaltensweisen von
Individuen als auch gesellschaftliche Verhältnisse kulturell
interpretiert und auf diesen Aspekt reduziert werden“
(Reindelmeier 2006, S.236f).
Andere Differenzen sowie soziale und ökonomische Ursachen,
aber auch gesellschaftliche Macht- und Dominanzverhältnisse
zwischen Mehr- und Minderheiten rücken aus dem Blick und
vorhandene Ungleichheiten werden stabilisiert (ebd., S. 236f).
7
Siehe auch Kalpaka 2005 S. 387Ff, Mecheril 2010, S. 62ff und S. 84ff,
Hamburger 2009, S. 122ff,, Kahn-Svik 2008, S .57, Messerschmidt
2008, S. 11ff
30
Die
vermeintlichen
Vorteile
von
Kulturalisierungen
in
Pädagogik und Erziehungswissenschaft liegen auf der Hand.
Sie bieten die Möglichkeit, die Komplexität von Situationen in
gesellschaftlich anerkannter Weise zu reduzieren (vgl. Kalpaka
2005, S. 396) und so Handlungssicherheit zu schaffen.
Eine Folge solcher reduktiver Betrachtungen kann die
Essentialisierung (Wesenszuschreibung) von Gruppen und
Individuen durch „Kultur“ sein.
Eine Anerkennung „kultureller Differenz“ von Migrant_innen
läuft immer Gefahr, diese als („kulturell“) „Andere“ zu
(re-)produzieren. Diese „Anderen“ stehen in gesellschaftlich
hegemonialen
Diskursen
einem
angeblich
homogenen
(nationalen) „Wir“ entgegen. Migrant_innen werden so in eine
gesellschaftlich
marginalisierte
Position
gedrängt,
Möglichkeiten selbst über Zugehörigkeiten zu bestimmen
werden verschlossen.
Auch im „kulturellen“ Rassismus sind Kulturalisierungen von
Bedeutung. Nach Etienne Balibar handelt es sich hierbei um
einen „Rassismus ohne Rassen“ (Balibar 1992b, S.28).
Vermeintliche
biologische
Merkmale
einzelner
31
Gruppen
werden
bei
dieser
Form
des
Rassismus
durch
die
„Unaufhebbarkeit […, ihrer R.K.] kulturellen Differenzen“
(ebd.)
ersetzt.
Somit
werden
gesellschaftliche
(Ungleichheits-)Verhältnisse durch eine als statisch imaginierte
„Kultur“ naturalisiert, welche die Menschen innerhalb der
einzelnen „kulturell homogenen“ Gruppen determinieren soll.
Die „Kulturen“ gelten dabei als unvereinbar, was die
Forderungen nach „kulturell“ homogenen Gruppen stützt und
damit auch die „'Rückführung' von Eingewanderten zum
Schutz 'beider Seiten'“ (Kalpaka 2005, S. 393) begründet. Als
Gruppen werden hierbei meist Nationen bezeichnet.
Diese
Zusammenhänge
werden
schon
seit
längerem
problematisiert, weshalb „interkulturelle“ Konzepte sich oft
explizit auf einen dynamischen Begriff von „Kultur“ beziehen.
Implizit wird jedoch häufig ein statischer Kulturbegriff
beibehalten, indem die Grenzen von „Kulturen“ entlang von
„Nationalitäten“ oder „Ethnizitäten“ gezogen werden (vgl.
Höhne 2001, S. 210f). Ein impliziter, statischer Kulturbegriff
kommt meist dann wieder zum tragen, wenn konkrete
Methoden und Übungen ins Spiel kommen (vgl. Reindlmeiner
32
2006, S. 237f).
Wie in den vorangegangenen Abschnitten schon deutlich
wurde, wird der Begriff „Kultur“ oft in Verknüpfung mit
„Nationalität“, „Rasse“ und auch „Ethnizität“ beziehungsweise
„Ethnien“ gebraucht. Diese Verknüpfungen sollen im nächsten
Abschnitt eingehend herausgearbeitet werden.
3 Exkurs: „Nation“, „Ethnizität“,
„Rasse“ und „Kultur“
Die weit verbreitete Annahme, dass „kulturelle Differenzen“
33
gerade zwischen Menschen aus unterschiedlichen Ländern
beziehungsweise dann, wenn nationale Grenzen überquert
werden, ein zentrales Thema sind, ist erklärungsbedürftig. Im
folgenden Abschnitt werde ich auf diese Thematik eingehen
und sie unter Anderem aus staatstheoretischer Sicht beleuchten,
da die zentrale Rolle moderner Nationalstaaten bei der
Konstruktion dieser Differenzen als evident erscheint.
So schreibt Paul Mecheril, „die formelle und informelle
Erzeugung des Migranten, so wie wir ihn gegenwärtig kennen,
ist […] an die nationalstaatliche Ordnung gebunden“ (Mecheril
2010, S.42).
Einwanderung stellt das „ethnische Projekt gesellschaftlicher
Zugehörigkeit“ (Messerschmidt 2008, S.5f) und damit die
nationalstaatliche Zugehörigkeitsordnung in Frage (vgl. auch
Mecheril
2010,
S.12).
Um
die
dominante
Zugehörigkeitsordnung zu schützen, werden die Grenzen
zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“ immer wieder neu
gezogen. Einwanderung wird in diesem Zusammenhang immer
als Einwanderung in einen Nationalstaat gedacht, und die
(„kulturell“) „Anderen“ oder auch die „Fremden“ sind in
34
diesem Zusammenhang folglich die „Ausländer_innen“, das
heißt Einwanderer beziehungsweise die- _ derjenige, die _ der
dafür gehalten wird. Diese Vorstellungen vom „Anderen“
beziehungsweise „Fremden“ gehören auch wie weiter oben
schon beschrieben zu den vorherrschenden Prämissen der
„Interkulturellen Pädagogik“. Doch wie kommt es zu dieser
meist
nicht
weiter
beziehungsweise
den
hinterfragten
damit
Zugehörigkeitsordnung
verbundenen
hegemonialen
Diskursen?
Um das zu erläutern, soll hier auf die in diesem
Zusammenhang zentralen Begriffe „Nation“, „Ethnizität“,
„Rasse“ und deren Verbindung mit „Kultur“ eingegangen
werden.
Bevor auf die Verbindung der Begriffe zu Nationalstaaten
eingegangen wird, soll deren Verwobenheit untereinander
herausgearbeitet werden. Zu diesem Zweck wird zunächst im
einzelnen auf die Begriffe „Ethnizität“ und „Rasse“ und deren
Verwobenheit mit „Kultur“ eingegangen.
Ziel der Auseinandersetzung mit den Begriffen ist es, die
Herstellungsprozesse der „(kulturellen) Differenzen zwischen
35
'Einheimischen' und 'Ausländern'“ (Krüger-Potratz 1999, S.
159) zu beleuchten, um feststellen zu können, inwiefern
pädagogische Theorie und Praxis in diese verwoben sind.
3.1 Ethnizität
Der Begriff „Ethnie“ dient wie der Begriff der „Rasse“ auch
der Einteilung von Menschen in Gruppen. In einem
ethnologischen Lehrbuch aus dem Jahr 2003 wird „Ethnie“
definiert
„als
eine
überwiegend
endogame
familienübergreifende Gemeinschaft […] deren Mitglieder in
Abgrenzung
entwickelt
von
haben,
anderen
eine
Menschen
gemeinsame,
ein
sie
'Wir-Gefühl'
von anderen
unterscheidende (angenommene) Abstammung, gemeinsame
Geschichte und meist einen gemeinsamen Kanon an Werten
und Normen teilen“ (Beer 2003, S. 54). Noch bis in das 20.
Jahrhundert
wurde
in
der
Ethnologie
von
„Volk“
beziehungsweise „Völkern“ gesprochen.
Der Begriff „Ethnie“ wird in unterschiedlicher Weise
gebraucht. Gabriele Kahn-Svik bescheinigt ihm „Unschärfe“
(Kahn-Svik 2008, S. 106, siehe auch Mecheril 2002, S. 109)
36
und macht diese an einem Beispiel fest. So können „die
Chinesen“ als „Ethnie“ betrachtet werden oder wiederum in 50
„ethnische Gruppen“ unterteilt werden, welche sich am
Kriterium Sprache wiederum aufteilen ließen (vgl. Kahn-Svik
2008, S. 106).
In den Erziehungswissenschaften wird meist nicht auf „Ethnie“
sondern auf „Ethnizität“ Bezug genommen. Der Begriff
„Ethnizität“ wurde in den 1920ern von Theoretiker_innen der
„Chicago School“ eingeführt und löste „biologistische und
genetische Argumentationen zugunsten von kulturellen“ (Lutz
2001, S. 224) ab.
„Ethnizität“ dient in den Erziehungswissenschaften laut Franz
Hamburger
„als
Bezeichnung
für
eine
Bindung
bzw.
Identitfikation mit einem kulturell definierten Kollektiv, dem
vergemeinschaftende
Qualität
zugeschrieben
wird“
(Hamburger 2009, S. 116)8.
An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der Begriff der
„Ethnizität“ unter Anderem in erziehungswissenschaftlichen
8
Auf die Verwendung des Begriffs bei Franz Hamburger wird später
noch eingegangen.
37
Studien meist mit „Nationalität bzw.“ (Kahn-Svik 2008, S.
130) der „Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe“ (ebd.)
gleichgesetzt wird. Dies ist aufgrund der „Vagheit“ (ebd.) des
Begriffs, aber auch aufgrund seiner Geschichte durchaus
nachvollziehbar.
Während der Begriff „Ethnizität“ in englischsprachigen
Debatten parallel zu „Rasse“ gebraucht wird, wird in
Deutschland dieser Zusammenhang meist nicht hergestellt. So
weist beispielsweise Helma Lutz darauf hin, dass „die
Kontinuität des Rassebegriffs und seine Fortführung im
Ethnizitäts- bzw. Kulturbegriff in Deutschland“ (Lutz 2001, S.
224) nur schlecht erforscht ist, das heißt, dass diese mögliche
Verbindung meist nicht mitbedacht wird.
Einen Hinweis darauf, wie nah die Bedeutungen von „Ethnie“
und „Rasse“ auch in Deutschland beieinander liegen, gibt Thilo
Sarrazin im Interview mit Henryk M. Broder. Dieses wurde im
Dezember 2010, drei Monate nach Erscheinen des Buches
„Deutschland schafft sich ab“ geführt. Im Interview erklärt
Thilo Sarrzin, er habe von seinem Verlag zur „Entschärfung“
des Textes nahe gelegt bekommen „überall das Wort "Rasse"
38
durch "Ethnie" [zu R.K.] ersetzen“ (Broder 2010). Dies habe er
getan,
offensichtlich ohne Bedenken, dass sein Text dadurch
sinnverfälscht würde.
Die Trennlinie zwischen dem Begriff der „Ethnie“ und dem der
„Rasse“ können als äußerst unscharf bezeichnet werden. Wie
gezeigt wurde, sind die Übergänge fließend.
Im Folgenden Abschnitt wird der Begriff der „Rasse“ genauer
betrachtet.
3.2 Rasse
Die Auseinandersetzung mit „Rassismus“ in einer Arbeit über
den Kulturbegriff in der Pädagogik beziehungsweise den
Erziehungswissenschaften mag auf den ersten Blick nicht
einleuchten, die Verknüpfungen von „Kultur“ und „Rasse“ sind
allerdings, wie auch in der Einleitung zu diesem Abschnitt
schon angemerkt wurde, vorhanden.
So weist Thomas Höhne darauf hin, dass „Kultur […] die
durch den [nach 1945 R.K.] diskreditierten Rassebegriff
entstandene 'Leerstelle'“ (Höhne 2001, S. 202) als analytisches
Werkzeug in den Sozial- und Erziehungswissenschaften
39
auszufüllen begann (vgl. Höhne 2001, S. 200ff).
Dieser Problematik stehen in Deutschland wie bereits weiter
oben erwähnt nur wenige Arbeiten entgegen, welche sich mit
den
Kontinuitäten
des
Rassebegriffs
im
Kultur-
beziehungsweise Ethnizitätsbegriff beschäftigen (vgl. Lutz
2001, S. 224, siehe auch Mecheril 2010, S. 66). Aus diesem
Grund ist auch innerhalb der Erziehungswissenschaften eine
Auseinandersetzung mit Rassismus notwendig, um ein
(unbewusstes)
Anknüpfen
an
rassistische
Diskurse
zu
verhindern.
Für Rassismus muss, wie auch beim Ethnizitätsbegriff
festgestellt werden, dass der Begriff „schwer abgrenzbar ist“
(Rommelspacher 2009, S. 33, Hervorhebung im Original), was
zu unterschiedlichen Verständnissen davon führt, was unter
Rassismus genau zu verstehen ist9.
Rudolf Leiprecht hat seine Rassismusdefinition in einem Satz
9
So ist beispielsweise umstritten, ob Antisemitismus als Rassismus zu
bezeichnen ist oder nicht. Auch ob es einen antiislamischen Rassismus
gibt, ist nicht unumstritten. Birgit Rommelspacher sieht den
antiislamischen Rassismus gerade im Entstehen, was widersprüchliche
Standpunkte nachvollziehbar macht (vgl. Rommelspacher 2009, S.
26ff).
40
zusammengefasst. Hierbei hatte er auch die pädagogische
Praxis im Blick, für welche Abhandlungen über mehrere
hundert Seiten nur eingeschränkt von Nutzen sind. Anhand
dieser umfassenden Definition werde ich im Folgenden die
zentralen Aspekte von Rassismus herausarbeiten.
„Bei Rassismus handelt es sich um individuelle, kollektive,
institutionelle und strukturelle Praktiken der Herstellung oder
Reproduktion von Bildern, Denkweisen und Erzählungen über
Menschengruppen, die jeweils als statische, homogene über
Generationen durch Erbfolge verbundene Größen vorgestellt
werden, wobei (explizit oder implizit) unterschiedliche
Wertigkeiten, Rangordnungen (Hierarchien) und / oder
Unvereinbarkeiten
zwischen
Gruppen
behauptet
und
Zusammenhänge zwischen äußerer Erscheinung und einem
'inneren' Äquivalent psycho-sozialer Fähigkeiten suggeriert,
also in dieser Weise 'Rassen', 'Kulturen', 'Völker', 'Ethnien' oder
'Nationen' konstruiert werden“ (Leiprecht 2005, S. 322).
Zunächst ist festzustellen, dass sich Rassismus nicht nur auf
einer
individuellen
Ebene
abspielt,
was
41
Begriffe
wie
„Fremden-“, „Ausländerfeindlichkeit“ und „Fremdenhass“10
nahelegen.
Die individuelle Ebene von Rassismus, welche als idividueller
Rassismus bezeichnet wird, kann in intentionale, das heißt
bewusste und nichtintentionale (hierzu ein Beispiel: Eine
Schwarze Deutsche Frau wird in vermeintlich gut gemeinter
Absicht gelobt „Sie sprechen aber gut deutsch!“) Formen
unterschieden unterschieden werden.
Neben diesem individuellen Rassismus existiert Rassismus
ebenso in Formen von strukturellem und institutionellem
Rassismus, welche sich in impliziter oder expliziter Weise
artikulieren können. Die drei Formen existieren nicht
unabhängig voneinander, sondern sind ineinander verschränkt
in der Gesellschaft vorhanden (vgl. Rommelspacher 2009, S.
10 Diese Begriffe sind unter Anderem deshalb problematisch, weil sie
unterstellen, dass nur „Ausländer“ oder „Fremde“ Ziel von
„Feindlichkeit“ und „Hass“ seien, beispielsweise Schwarze Deutsche
werden hier ausgeklammert oder gar als „fremd“ eingestuft. Zudem
betrifft diese „Feindlichkeit“ auch nicht alle Menschen, welche als
„Ausländer“ gelten gleichermaßen. Weiße Menschen aus anderen
Ländern sind in der Regel nicht gefährdet, Ziel „ausländerfeindlicher“
Attacken zu werden (vgl., Kalpaka / Räthzel 1994, S. 12 und Mecheril
2010, S. 165).
42
31f).
Institutioneller Rassismus, durch welchen Menschen aufgrund
von
organisationsspezifischen
Strukturen
und
Handlungsmaximen diskriminiert werden, ohne dass die in den
Institutionen
handelnden
Menschen
eine
Diskriminierungsabsicht haben (müssen), ist als Teil des
strukturellen Rassismus zu verstehen. Dieser strukturelle
Rassismus umfasst rechtliche, ökonomische und politische
Strukturen, welche im „Normalvollzug“ (Hormel / Scherr
2004, S. 28) Diskriminierungen zur Folge haben. So werden
„Andere Deutsche“ (vgl. Abschnitt 4.2.3) beispielsweise auf
dem
Arbeitsmarkt
und
im
Bildungssystem
strukturell
benachteiligt.
Institutioneller
Rassismus
beziehungsweise
institutionelle
Diskriminierung11 wurde in Deutschland unter Anderem im
Hinblick auf Diskriminierung innerhalb des Bildungssystems
erforscht (vgl., Gomolla 2005, S. 97ff).
In vielen anderen Bereichen wird „institutioneller Rassismus“
11 Institutionelle Diskriminierung bildet den Oberbegriff und umfasst
neben Rassismus verschiedene Formen der Diskriminierung anhand
von Geschlecht, Alter, Behinderung, etc.
43
in
Deutschland
nur
selten
beziehungsweise
gar nicht
thematisiert12, was auf die Tabuisierung des Rassismusbegriffs
in Deutschland verweist. Diese Tabuisierung ist unter Anderem
auf die deutsche Geschichte zurückzuführen, so wird
Rassismus meist eng mit „Auschwitz“ verbunden und gilt
aufgrund dessen oft als ungeeignet zur Beschreibung „von
Alltagsphänomenen“ (Rommelspacher 2009, S. 33; vgl.
Rommelspacher 1995, S. 48ff).
Mit der Nutzung des Plurals bei „Bildern, Denkweisen und
Erzählungen über Menschengruppen“ (Leiprecht 2005, S. 322)
verweist Rudolf Leiprecht in seiner Definition implizit darauf,
dass es unterschiedliche Rassismen gibt und nicht den einen
überzeitlichen Rassismus.
Kolonialer Rassismus kann zwar, wie Birgit Rommelspacher
schreibt als „Prototyp des Rassismus“ (Rommelspacher 2009,
S. 26) gelten, daneben existieren jedoch weitere Formen, wie
der Antisemitismus, Antiziganismus und der antimuslimische
Rassismus.
12 So wird der Begriff beispielsweise in den Diskussionen um das
Behördenversagen angesichts der NSU-Mordserie nur sehr selten
gebraucht.
44
Diese
Rassismen
(homogenen)
fassen
Gruppen
Menschen
mit
festen
in
„einheitlichen“
Grenzen
(statisch)
zusammen, welche durch eine Erbfolge verbunden sind. Dies
verweist
auf
die
Naturalisierung
beziehungsweise
die
Kulturalisierung sozialer Differenzen, welche damit als
unveränderliche, weil vererbte angesehen werden. Rudolf
Leiprecht versteht unter Erbfolge nicht ausschließlich eine
biologische Vererbung im Sinne von „Rasse“, vielmehr kann
diese auch in Form eines „sozialen Erbes ('Kultur')“ (Leiprecht
2005, S. 322) verstanden werden. Auf diese Weise fasst die
Definition nicht nur den „klassischen
Rassismus“, sondern
auch den „Rassismus ohne Rassen“ beziehungsweise den
„kulturellen Rassismus“13. „Kultureller Rassismus“ nutzt nicht
angenommene biologische Differenzen, sondern anscheinend
unaufhebbare kulturelle Differenzen zur Grenzmarkierung.
13 Ob diese Unterscheidung von „körperlichem“ und „kulturellem
Rassismus“ sinnvoll ist, ist umstritten. So wird kritisch angemerkt, dass
auch die scheinbar „biologischen“ Merkmale beziehungsweise
Unterschiede des „nicht kulturellen Rassismus“ im
Rassifizierungsprozess erst zu solchen gemacht wurden, also
keineswegs reale biologische Unterschiede sind. Erkennbar wird dies
am Antisemitismus (vgl. Rommelspacher 2009, S. 27f). Außerdem
verzichte auch der antiismlamische Rassismus, welcher meist unter
„kultureller Rassismus“ eingeordnet wird, nicht auf die Produktion
körperlicher Unterschiede (vgl. Arndt 2011, S. 42).
45
Auch werden in der Regel keine Hierarchien zwischen
„kulturellen
Inkompatibilität
Kollektiven“
voneinander
eingeführt,
sondern
unterschiedener
die
„kultureller
Kollektive“ behauptet und damit „die Schädlichkeit jeder
Grenzverwischung“ (Balibar 1992b, S. 28).
Mit dem Hinweis, dass Wertigkeiten und Hierarchien implizit
oder explizit behauptet werden, verweist Rudolf Leiprecht auf
„das Problem der Wertung“ (Terkessidis 2004, S. 99). In vielen
Rassismusdefinitionen wird die bloße Kategorisierung von
Gruppen noch nicht als Rassismus bezeichnet, wenn sie nicht
mit einer Wertung einhergeht. Darin sieht Mark Terkessidis
eine unzulässige Einschränkung, denn „die vielfältigen
äußerlichen Kennzeichen, die […] zur Festlegung von Gruppen
dienen, [transportieren R.K.] immer schon eine Wertung – sei
es die Nacktheit der Ureinwohner; die schwarze Hautfarbe […]
die berüchtigte Hakennase der Juden oder das Kopftuch der
Migrantinnen“ (ebd.; vgl. auch Sow 2008, S. 77f).
Von diesen äußeren Kennzeichen wird, wie auch Rudolf
Leiprecht feststellt, auf „psycho-soziale[...] Fähigkeiten“
(Leiprecht 2005, S. 322) und Eigenschaften geschlossen
46
(wenig intelligent, unzivilisiert, verschlagen, etc.), welche eine
Dichotomisierung erlauben, so bedeutet zum Beispiel „die
Anderen“ sind unzivilisiert zugleich „Wir“ sind zivilisiert.
Im Anschluss macht Rudolf Leiprecht klar, dass Rassismus
nicht nur für die Konstruktion von Gruppen genutzt wird,
welche auch explizit als „Rasse“ bezeichnet werden. Vielmehr
können, wie er schreibt, auch „'Kulturen', 'Völker', 'Ethnien',
oder 'Nationen' konstruiert werden“ (ebd.). Das bedeutet nicht,
dass jeder Rede von „Nation“ Rassismus zugrunde liegen
muss, sondern ist der Hinweis darauf, dass dies durchaus
möglich ist.
Ein Aspekt kommt in der Definition von Rudolf Leiprecht
nicht explizit vor (an anderer Stelle geht er darauf ein), ist aber
dennoch von Bedeutung. „Rangordnungen (Hierarchien) […]
zwischen Gruppen“ (ebd.) werden nicht nur „behauptet“ (ebd.)
denn,
Rassismus
Legitimationswerkzeug
stellt
für
zugleich
ein
wichtiges
gegebene
gesellschaftliche
Hierarchien dar und ist „[i]n diesem Sinn […] immer ein
gesellschaftliches Verhältnis“ (Rommelspacher 2009, S. 29)
und mit Macht- und Herrschaftsverhältnissen verbunden.
47
Im nächsten Abschnitt wird mit „(Critical) Whiteness“ auf
Theorien eingegangen, welche sich mit der privilegierten
Position in rassistischen gesellschaftlichen Verhältnissen
beschäftigen.
3.3 (Critical) Whiteness
Die
Eingebundenheit
von
Menschen
in
rassistische
gesellschaftliche Verhältnisse wird meist dann thematisiert,
wenn Menschen negativ davon betroffen sind, das heißt
diskriminiert werden. Die privilegierte dominante Position
bleibt meist unbeachtet und erscheint universal und auch
unmarkiert. In der englischsprachigen Rassismusforschung
rückte unter dem Begriff „Whiteness“ (Weißsein) die
gesellschaftliche (Macht-)Position in den Blick, welche
innerhalb der rassistischen Machtverhältnisse die dominante
und privilegierte darstellt.
Whiteness beziehungsweise Weißsein bezeichnet dabei keine
biologischen Merkmale von Menschen, sondern ist als
gesellschaftliche Konstruktion zu verstehen. Dementsprechend
ist das, was unter „Weiß“ verstanden wird, auch variabel. Eine
48
Person kann in unterschiedlichen Kontexten als Weiß oder als
Nicht-Weiß gelten. So galten beispielsweise gegen Ende des
19. Jahrhunderts in den USA Polen und Iren als Nicht-Weiß
(vgl. Pech 2006, S. 67ff).
Die mit Weißsein verbundene Privilegiertheit ist Ergebnis von
rassistischen Diskursen „und durch jahrhundertlange Weiße
Vorherrschaft derartig institutionalisiert und in gesellschaftliche
Strukturen und Wahrnehmungen eingebettet, dass sie für Weiße
Menschen kaum noch als solche, sondern vielmehr als
Selbstverständlichkeit erscheint“ (ebd., S. 73)
Critical Whiteness Studies untersuchen, wie die mit Whiteness
verbundenen Machtverhältnisse produziert wurden, immer
wieder reproduziert werden und wie dadurch die weiße
Dominanzposition als solche erhalten wird (vgl. ebd., S. 67ff).
Dieser Blick auf rassistische Dominanzverhältnisse macht
Critical Whiteness interessant für eine Pädagogik, welche
innerhalb (auch) rassistisch geprägter Machtverhältnisse
verortet ist und diese Machtverhältnisse nicht (unbewusst)
reproduzieren will.
49
3.4 Verwobenheit
von
„Nation“
„Ethnizität“, „Rasse“ und „Kultur“
In Paul Mecherils Begriff
mit
der „Natio-ethno-kulturellen
Zugehörigkeit“ (vgl. Mecheril 2010, S.14) kommt die
Verwobenheit der Begriffe „Nation“, „Ethnizität“ und „Kultur“
zum Ausdruck, die in den letzten Abschnitten schon angedeutet
wurde. Diese Verwobenheit geht meist mit einem unscharfen
Gebrauch der Begriffe einher.
Zu den drei genannten Begriffen wird in meiner Ausarbeitung
„Rassimus“ hinzugefügt, denn dieser ist, wie Etienne Balibar
festgestellt hat, gerade in Form des „Rassismus ohne Rassen“
beziehungsweise des „kulturellen Rassismus“ (vgl. Balibar
1992b, S.28) durchaus an der Konstruktion des „Fremden“
beteiligt und damit Teil der Diskurse, in welchen (nationale)
Zugehörigkeitsordnungen geschaffen und stabilisiert und auch
reproduziert werden. Auch Paul Mecheril selbst stellt fest, dass
„Deutsch-Sein […] in Deutschland auch Sache körperlicher
Attribute“ (Mecheril 2002, S. 110) ist.
Die in den einzelnen Abschnitten beschriebene Unschärfe und
der uneinheitliche Gebrauch der Begriffe im Alltag, aber auch
50
in den Wissenschaften (vgl. auch Khan-Svik 2008, S. 129f)
verweisen auf die Dynamik der Kategorien und machen es
gleichzeitig schwer diese zu fassen.
Im Folgenden werde ich die Verwobenheit der Begriffe durch
den Bezug auf die Nation-Form beziehungsweise den
modernen bürgerlich kapitalistischen Staat erläutern. Dabei soll
die zentrale Rolle von modernen Nationalstaaten bei der
(Re-)Produktion
dominanter
(nationaler)
Zugehörigkeitsordnungen beleuchtet werden.
3.5 Die Nation-Form
Bei der „Nation-Form“ handelt es sich laut Etienne Balibar um
eine „ideologische Form, in der tagtäglich die imaginäre
Singularität der nationalen Formation konstruiert wird“
(Balibar 1992a, S. 108). Diese Form dient damit der
Legitimierung von Nationen.
Die Grundlage der Nation-Form bildet, laut Etienne Balibar,
die Vorstellung beziehungsweise der Mythos einer über viele
Generationen
hinweg
homogenen
Bevölkerung,
welche
innerhalb eines bestimmten Territorium über lange Zeit „eine
51
unveränderliche Substanz übermittelt“ (Balibar 1992a, S.107)
hat. Damit verbunden ist die Idee der „nationalen Kontinuität“
(ebd., S.108), welche besagt, dass die Entwicklung der Nation
nur so verlaufen konnte. Zu diesem Zweck werden bestehende
„sozio-kulturelle Zusammenhänge und Traditionen“ (Hirsch
2005,
S.71)
in
einem
widersprüchlichen
Prozess
so
(re)konstruiert, dass die daraus resultierende „nationale
Identität“ als (nationales) Schicksal erscheint.
Etienne Balibar leitet die Nation-Form nicht aus den
kapitalistischen Produktionsverhältnissen ab, sieht sie aber als
verbunden mit deren „historischen Form“ der „WeltWirtschaft“ (Balibar 1992a, S. 110) an.
Die
Entstehung
der
Nationalstaaten
und
damit
der
nationalstaatlichen Zugehörigkeitsordnungen sind in der
Sichtweise von Etienne Balibar als das Ergebnis von
gesellschaftlichen Kämpfen um Hegemonie verschiedener
Bourgeoisien zu verstehen, in welchen sich diese und die
„bürgerlichen
Gesellschaftsformationen
[...]wechselseitig
durch einen 'Prozeß ohne Subjekt' konstituiert[en]“ (ebd.,
S.112).
52
Dieser Prozess verlief niemals ohne Brüche und Widersprüche,
was später noch am Beispiel der Entwicklung der deutschen
Nation erläutert werden soll.
Zentral in diesem Prozess der Nationalisierung war und ist die
permanente Konstruktion des „Staatsvolkes“ „als nationale
Gemeinschaft“ (ebd., S. 115), welches „als Grundlage und
Ursprung politischer Macht“ (ebd., S.115) zur Legitimation
derselben und des Nationalstaats selbst dient.
Dabei stellte gerade die Heterogenität der Bevölkerung ein
Problem dar, welche diese keineswegs als einheitliches,
homogenes
„Volk“
erscheinen
ließ.
Die
Unterschiede
(beispielsweise ökonomische) mussten, laut Etienne Balibar,
zur Schaffung eines „Volksbewusstsein[s]“ (ebd., S. 117) dem
„symbolische[n] Unterschied zwischen 'uns' und ' den
Fremden'“ (ebd., S. 116) untergeordnet werden.
Diese Homogenisierung nach innen, das heißt die Schaffung
einer
als
natürlich
erscheinenden
„nationalen
(Abstammungs-)Gemeinschaft“ und der damit verbundenen
„nationalen Identität“ verlief bei allen modernen Nationen als
Prozess der „Ethnisierung“ (vgl. Hirsch 2005, S.71).
53
Entienne Balibar spricht von der Konstruktion „fiktive[r]
Ethnizität“ (Balibar 1992a, S. 118). Die Bevölkerung erscheint
durch diese Konstruktion als „natürliche Gemeinschaft […],
die
per
se
eine
herkunftsmäßige,
kulturelle
und
interessenmäßige Identität hat“ (ebd.). Diese Vorstellung ist
zugleich eine universalistische, das heißt alle Menschen sind
dieser Vorstellung entsprechend in „Ethnien“ eingeteilt und
jede_r Einzelne besitzt „eine einzige ethnische Identität“
(ebd.), was die Einteilung in „Wir“ und „die Anderen“
aufgrund „ethnischer Zugehörigkeit“ erlaubt14. Verbunden mit
der Homogenisierung nach innen ist also die Heterogenisierung
nach außen, das heißt die Abgrenzung von „den Fremden“ mit
einer anderen „ethnischen Identität“.
Etienne Balibar unterscheidet zwei grundlegende Wege, die im
14 Bei dieser Einteilung von Menschen in „Ethnien“ handelt es sich
keineswegs um ein universelles Phänomen, sondern um eine in erster
Linie eurozentristische Vorstellung. Dies zeigen beispielsweise Formen
der Sozialorganisation in Afrika. In einigen Regionen wurden hier und
werden teilweise immer noch Zugehörigkeiten durch Heiratsklassen
und andere Organisationsformen vermittelt, welche nicht mit „Ethnien“
gleichzusetzen sind. Die bis heute wirkmächtige Einteilung in
„Stämme“ und „Ethnien“, aber auch die Nationalstaatsgrenzen wurden
von europäischen „Ethnographen und Sozialanthropologen in
Zusammenarbeit mit der [kolonial R.K.] Verwaltung“ eingeführt und
Menschen dementsprechend eingeordnet (Wenning 1992, S. 55ff).
54
Zusammenspiel die Schaffung einer „Ethnizität“ erlauben,
welche als „natürliche“ erscheint. Dabei handelt es sich um
(Mutter-)Sprache und „Rasse“.
Die Mutter- beziehungsweise Nationalsprache als Grundlage
„sprachlich dominierter Ethnizität“ (ebd., 119) musste zunächst
selbst hergestellt werden. Dabei kam dem allgemeinen
Schulbesuch und damit den Pädagog_innen eine wichtige
Aufgabe zu (vgl. ebd., S.120 und Kahn-Svik 2008, S. 79).
Neben der Nationalsprache konnten die Schulen zusätzlich die
„nationale Ideologie“ vermitteln.
Zentral für die „nationale Ideologie“ ist, dass sich die
„nationale Kultur“ und das „nationale Territorium“ gegenseitig
legitimieren und damit die Grundlage für eine „nationale
Autonomie“ schaffen (vgl. ebd., 79f).
Nun sind Sprachen erlernbar und können auch anderen
„Nationen“ als Nationalsprache dienen, was die Fähigkeit
damit Grenzen zu ziehen beschränkt. Als zusätzliches
Abgrenzungskriterium kann daher die Unterscheidung von
„Rassen“ dienen.
55
Wird die Nation-Form mit „Rasse“ verknüpft, erlaubt dies, die
Vorstellung der „natürlichen“ Einheit zu begründen. Die
„biologische und geistige Substanz“ (ebd., S. 123) wird somit
innerhalb
einer
Abstammungsgemeinschaft
von
einer
Generation an die nächste weitergegeben.
Damit sind zwei grundlegende Modi der Schaffung fiktiver
Ethnizität und damit „nationaler Zugehörigkeiten“ beschrieben.
Im folgenden Abschnitt wird hieran dieser Prozess der
nationalen Homogenisierung am Beispiel „Deutschlands“
nachgezeichnet.
3.6 Zur Entstehung der deutschen Nation
Schon
im
18.
Jahrhundert
entstand
ein
„deutscher“
Nationalismus (vgl. Wenning 1993, S. 67), jedoch zunächst nur
in intellektuellen Kreisen und war noch nicht in der Lage sich
in größeren Teilen der Bevölkerung durchzusetzten. Erst
während der antinapoleonischen Kriege konnten sich die
nationalistischen
Vorstellungen
in
breiteren
Bevölkerungskreisen durchsetzten (vgl. Keil 2009, S. 26).
Auf die Bedeutung der Schule für die Verbreitung nationaler
56
Ideologie verweist Norbert Wenning. So schaltete sich Kaiser
Wilhelm
II.
persönlich
„in
die
Debatten
der
Reichsschulkonferenz von 1890“ (Wenning 1993, S. 85) ein,
um zu fordern, dass die Schule die „nationale Basis zu
kräftigen“ (ebd.) habe. Die Bildung von Nationalbewusstsein
wurde somit ein Ziel von Allgemeinbildung. Dem kam die
Einführung
einer
allgemeinen
„Volksschule“
und
der
Schulpflicht entgegen.
Zentral für die Konstruktion des einheitlichen Staatsvolkes war,
wie im letzten Abschnitt beschrieben, die Schaffung einer
„natürlich“ erscheinenden „nationalen Gemeinschaft“.
Die Konstruktion derselben werde ich mit dem Fokus auf die
Durchsetzung der „nationalen Einheitssprache“ skizzieren. So
waren in diesen Prozess nicht nur Pädagog_innen direkt
verwickelt, auch die Auswirkungen dieser Entwicklungen
haben bis heute Auswirkungen auf pädagogische Theorie und
Praxis.
Zunächst kann festgestellt werden, dass noch in der Mitte des
18. Jahrhunderts von einer „umfassenden Sprachgemeinschaft“
(Wenning 1993, .S 84) der Deutschen keine Rede sein kann. Es
57
werden zu dieser Zeit unterschiedlichste Sprachen und Dialekte
gesprochen (vgl. ebd., S. 82ff).
Im 19. Jahrhundert begann die Diskussion über Zwei- und
Mehrsprachigkeit. Diese ist im Deutschen Reich15 verbunden
mit dem Vorhaben eine „'deutsch-einheitliche' Bildung“
(Krüger-Potratz 1994, S. 83) durchzusetzten. Zu den erklärten
Zielen
zählte
unter
Anderem
die
„Volks-
und
Sprachverzwitterung“ (Der Schulrath an der Oder. Breslau
1815, S. 134, zitiert nach Krüger-Potratz 1994, S. 83) in den
zweisprachigen Gebieten zu überwinden, welche „als Gefahr
für die gemeinsame, nationale Sprache und Kultur“ (KrügerPotratz 1994, S. 83, Hervorhebung R.K.) gesehen wurde.
Bestimmend
in
den
Diskussionen
um
Zwei-
und
Mehrsprachigkeit im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war
die Vorstellung, dass „[n]iemand […] in zwei Muttersprachen
und zwei Volkstümern (Kulturen) leben [kann R.K.], wenn er
nicht Schaden nehmen soll an Leib, Seele und Geist“ (ebd., S.
15 Bei den Bestrebungen die Zwei- und Mehrsprachigkeit zugunsten einer
nationalen Einheitssprache zu überwinden, handelte es sich nicht um
ein auf Deutschland beschränktes Phänomen. Vielmehr handelte es
sich, so Marianne Krüger-Potratz um „ein nationalstaatliches“ (KrügerPotratz 1994, S. 83) Problem.
58
90). Monolingualität galt dementsprechend als „natürlich“ und
als anzustrebendes Ziel.
Die problematischen Folgen, die Zwei- und Mehrsprachigkeit
zu
dieser
Zeit
zugeschrieben
wurden,
wenn
nicht
pädagogische Regeln eingehalten werden, sind gerade auch im
Hinblick auf Diskussionen, welche in den 1980er Jahren um
„Interkulturalität“ geführt wurden, interessant. So wurde
beispielsweise
davon
ausgegangen,
dass
Sprach-
und
Kulturkonflikte ebenso die Folge sein könnten wie das „SichSelbst-Verlieren“ oder aber „Zerrissenwerden[...] zwischen
zwei kulturellen oder geographischen Heimaten“ (ebd., S. 86).
Auch die Entwicklung von zwei- und mehrsprachigen Kindern
selbst galt als gefährdet, die vermeintlichen Folgen reichten
von motorischen Störungen bis hin zu negativen Auswirkungen
auf
die
Intelligenz
der
Kinder
(vgl.
ebd.).
„Nicht
auszuschließen sei auch eine sittliche Gefährdung“ (ebd.).
Sogar die „Volkspersönlichkeit“ (ebd.) selbst war in Gefahr,
wenn ganze Gruppen zu früh in der Kindheit Zwei- und
Mehrsprachigkeit ausbildeten.
Auf dem internationalen Kongress „Le bilinguisme et
59
l'Education“, welcher 1928 in Luxemburg stattfand, ging der
Referent Nicolas Ries, „selbst Luxemburger und Lehrer an der
Industrie- und Handelsschule“ (ebd., S. 87) sehr konkret auf
die
Vorstellungen
ein,
welche
mit
der
nationalen
Einheitssprache verbunden waren. So war die in Luxemburg
vorhandene Zweisprachigkeit seiner Meinung nach der Grund
dafür,
warum
„Luxemburg
keine
eigenständige
Kultur
auszubilden vermocht habe“ (ebd.). Wie Marianne KrügerPotratz schreibt, liegt dem Referat „insgesamt die Vorstellung
zugrunde, daß es territorial oder volklich etwas 'Eigenes' geben
müsse, das, da es sich nur in Abgrenzung vom 'Fremden'
entlang von geographischen, ethnischen und sprachlichen
Grenzen definieren lasse, für Luxemburg fehle“ (ebd.).
Die nationalistischen Grundlagen der Diskussionen werden
immer wieder offensichtlich, so auch bei Ausführungen
darüber, welche Einsprachigkeit (zumindest in der Volksschule)
die richtige sei. Kinder der sprachlichen Minderheiten
(polnisch, litauisch, wendisch) wuchsen meist nicht mit
Deutsch als Erstsprache auf, weshalb in der Schule eine
„künstliche Zweisprachigkeit“ (ebd., S. 88) notwendig wurde,
60
um das Ziel der einheitlichen Nationalsprache zu erreichen. Für
„Deutsche“, die im Ausland lebten, war die Situation genau
entgegengesetzt, sie konnten ebenfalls nur durch „künstliche
Zweisprachigkeit“ die „richtige Einsprachigkeit“ (ebd., S. 87)
erreichen.
Zugrunde
lagen
solchen
Überlegungen
sehr
spezielle
Vorstellungen davon, was eine „Muttersprache“ sei. So standen
sich im Fall der nationalen Minderheiten die „Muttersprache
eines Volkes“ (ebd., S. 89) und die „Muttersprache eines
Territoriums“ (ebd.) nur dem Anschein nach widersprüchlich
gegenüber. Um die sprachliche und territoriale Einheit zu
wahren, konnten Minderheitenangehörige „Teil des Volkes“
(ebd., S. 90) werden. Dies galt aufgrund der Vorstellung der
Überlegenheit der „deutschen Kultur“ als möglich.
Marianne Krüger-Potratz folgend kann an dieser Stelle
festgehalten werden, dass sich seit diesen Debatten in
pädagogischen
Diskursen
viel
geändert
hat.
Die
Wirkmächtigkeit des Normalitätskonstruktes der nationalen
Einsprachigkeit ist jedoch noch immer vorhanden (vgl. ebd., S.
93ff) und die deutsche Sprache gilt als ein „gemeinsames
61
Merkmal 'der' Deutschen“ (Wenning 1993, S. 87).
Die Kontinuität solcher Diskurse mit ihren Brüchen und
Widersprüchen bis zum heutigen Tag nachzuvollziehen, würde
den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Jedoch lassen sich vor
ihrem Hintergrund Vorstellungen, wie die der „ethnischen
Pluralität“ als Folge der Arbeitsmigration seit den 1950er
Jahren besser einordnen.
Auch dass „Kultur“ beziehungsweise „kulturelle Differenz“ als
„Fremdmacher“ (Messerschmidt 2008, S.7) bis heute eine
wichtige Position einnimmt, kann wohl als Folge der während
der Nationalisierung geschaffenen Normalitätskonstruktionen
gelten.
So stellt Astrid Messerschmidt für die heutige Zeit fest, dass
„die Wahrnehmung von Migranten als Fremde eine soziale
Praxis
[bildet
R.K.],
in
der
eine
nationalstaatliche
Identitätsordnung zum Ausdruck kommt“ (ebd., S.5). Die
„Kulturmarkierung“ (ebd., S.6) stellt dabei eine oft bevorzugte
Möglichkeit dar, Menschen, etwa aufgrund der Herkunft ihrer
Eltern als „Fremde“ einzuordnen und dadurch die „national
homogenisiert[e] Identität“ (ebd., S.6) zu schützen und die
62
damit
verbundene
Zugehörigkeitsordnung
aufrecht
zu
erhalten16.
Die Verwobenheit von „Nation“, „Ethnizität“, „Rasse“ und
„Kultur“ hat wie in diesem Abschnitt dargestellt wurde
demnach konkrete Wurzeln, welche bis heute zumindest
teilweise das Alltags- aber auch wissenschaftliche Verständnis
beeinflussen.
Im
nächsten
Abschnitt
soll
auf
theoretische
Ansätze
eingegangen werden, welche sich im Anschluss an die
16 Als ein aktuelles Beispiel hierfür kann eine neue Rechte Bewegung
dienen. Mit der „'Wiener Identitäre Richtung'“ hat sich Anfang 2012 in
Wien eine Gruppe gegründet, welche ihre Ideologie in radikaler Form
an einem solchen essentialistischen Kulturverständnis ausrichtet. Sie
können als exemplarisches Beispiel dafür dienen, in welcher Weise
auch heute noch an völkisches Gedankengut angeschlossen werden
kann. Über Facebook hat sich diese „Bewegung“ mittlerweile auch in
Deutschland verbreitet. Das Konzept verbindet kulturellen Rassismus
mit Popästehik, so zählen Flashmobs und Graffiti zu den
Ausdrucksformen. Offensiv versuchen sich die Macher_innen von
Rassismus und „Rechtsextremen“ abzugrenzen („100% identitär 0%
Rassismus“ (Menzel 2012)) Auffällig ist auch der häufige „positive“
Bezug auf „Vielfalt“. Die Feindbilder „Multikulti“ und „muslimische
Einwanderer“ können jedoch als „klassische“ gelten. Das Ziel scheint
die Erhaltung von „ethnokulturellen Identitäten“ (ebd.) zu sein (vgl.
Pant 2012; Majic 2012). Diese Bewegung zeigt beispielhaft, wie
notwendig eine Auseinandersetzung mit „Kultur“ als Differenzkategorie
für die Pädagogik auch heute ist.
63
„interkulturellen“
herausgebildet
Ansätze
haben
und
der
Erziehungswissenschaften
welche
ein
statisches
essentialisierendes Kulturverständnis problematisieren.
64
und
4 Theoretische Ansätze
In diesem Teil der Arbeit gehe ich auf theoretische Ansätze ein,
welche sich im Anschluss an die „Interkulturelle Pädagogik“
herausgebildet haben. Gemeinsam ist ihnen dementsprechend
eine kritische Perspektive gegenüber der „Interkulturellen
Pädagogik“.
Anhand der drei Ansätze, welche Arnd-Michael Nohl in seinem
Buch
„Konzepte
interkultureller
Pädagogik
–
Eine
systematische Einführung“ (2010) als „Weiterführungen der
Interkulturellen Pädagogik“ (Nohl 2010, S.131ff) bezeichnet,
wird im Folgenden darauf eingegangen, wie diese kritisch an
die „Interkulturelle Pädagogik“ anschließen.
Insbesondere wird dabei auf die Kritik am Umgang der
„Interkulturellen
Pädagogik“
mit
der
Differenzkategorie
„Kultur“ eingegangen und beleuchtet, wie diese Konzepte
anschließend an ihre Kritik selbst mit der Kategorie umgehen.
Das erste Konzept stellt die „reflexive interkulturelle
Pädagogik“ dar, welche Franz Hamburger insbesondere in
seinem Buch „Abschied von der Interkulturellen Pädagogik –
65
Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte“
(2009)
ausgearbeitet
hat.
„Reflexive
Interkulturalität“
konfrontiert „interkulturelle“ pädagogische Ansätze mit den
negativen
Folgen
ihrer
Institutionalisierung
ohne
die
Perspektive selbst zu verwerfen (vgl. Hamburger 2009, S.
127ff).
Im Anschluss wird auf das von Paul Mecheril entwickelte
Konzept
der
„Migrationspädagogik“
eingegangen.
Paul
Mecheril schließt damit an „interkulturelle“ Konzepte und
deren Anerkennungsgedanken an, erweitert und problematisiert
sie allerdings auch. Dies findet unter Anderem in einer neuen
Terminologie Ausdruck. „Kulturelle Differenzen“ spielen
weiterhin eine Rolle, werden allerdings eingebunden in eine
Analyse
von
Zugehörigkeitsordnungen
und
der
damit
verbundenen Diskurse.
Im dritten Abschnitt wird mit Diversity und Intersektionalität
auf Konzepte eingegangen, welche die Mehrdimensionalität
sozialer Differenzen fassen.
Konzepte
verschiedene
der
„Diversity-Pädagogik“
Differenzen
in
den
nehmen
Blick
66
und
viele
sehen
gesellschaftliche Vielfalt nicht nur als konstitutives Merkmal
moderner Gesellschaften an, sondern sehen darin auf einer
normativen Ebene auch einen wünschenswerten Zustand (vgl.
Hormel / Scherr 2004, S. 209).
Die
Intersektionalitätsanalyse
erforscht
anhand
des
Intersektionalitätsmodells Mehrfachunterdrückung, welche aus
der Überschneidung mehrerer Differenzlinien resultiert.
4.1 Reflexive
Hamburger
Interkulturalität
nach
Franz Hamburger schließt mit seinem Ansatz der „Reflexiven
Interkulturalität“ (vgl. Hamburger 2009, S. 127ff) kritisch an
Konzepte der Interkulturalität in der Pädagogik an, ohne diese
gänzlich zu verwerfen.
Die Bezeichnung „Reflexive Interkulturalität“ hat Franz
Hamburger in Anlehnung an das Konzept der „reflexiven“,
„sich selbst in Frage stellende[n] Moderne“ (Nohl 2010) von
Ulrich Beck (vgl. Beck / Gidddens / Lash 1996) gewählt.
„Reflexive“ verweist dabei auf die Forderung an die
„interkulturell“ orientierte (Sozial-) Pädagogik, sich „mit den
67
Wirkungen der eigenen Realisierung auseinanderzusetzen“
(Hamburger 1999, S. 38). Das Konzept der reflexiven
Interkulturalität konfrontiert in diesem Sinne die Interkulturelle
Pädagogik
mit
den
nicht
beabsichtigten
Folgen
ihrer
Institutionalisierung.
4.1.1
Kulturbegriff
Die Kritik an der „Interkulturellen Pädagogik“ führt bei Franz
Hamburger nicht zu einer „Anti-Interkulturalität“ (Hamburger
2009, S. 129) oder gar zu einer Ablehnung des Kulturbegriffs.
Er sieht zwar durchaus die Gefahren, welche mit dem
Gebrauch der Kategorie „Kultur“, gerade auch in der
„Interkulturellen Pädagogik“ verbunden sind, betont aber
zugleich
die
Bedeutung
von
„Kultur“
für
die
„Selbstdefinitionen von Menschen und Gesellschaften“ (ebd.,
S. 108).
Grundlage seines Konzeptes ist ein abstrakter Kulturbegriff,
nach welchem „Kultur [...] ein in Bewegung befindliches,
adaptionsfähiges System“ (ebd.) ist, dessen Grenzen nicht
genau bestimmt werden können. Dieses ist „nicht hierarchisch
68
aufgebaut, sondern reflexiv, heterogen und besteht aus
mehreren, lose miteinander verkoppelten Systemebenen“
(ebd.).
Trotz
dieses
abstrakten
Kulturbegriffs
übersieht
Franz
Hamburger nicht die mit Hilfe von „Kultur“ vollzogenen
Abgrenzungen und Unterscheidungen wie die von „Nationen“
und „Ethnien“, welche „kulturelle Differenzen“ hervorbringen.
Diese
sind
jedoch
dem
allgemeinen
Kulturbegriff
„nachgeordnet, [und R.K.] sekundär“ (ebd.), sie dienen „dem
pragmatischen Zweck der Selbstdefinition“ (ebd., S. 109) und
sollen nicht ontologisiert werden.
Damit fasst der Kulturbegriff sowohl dynamische Grenzen
überschreitende Aspekte von Kulturalität, als auch „feste
Elemente“ (ebd., S. 129) wie die Grenzen, welche durch die
Konstruktion von kulturellen Kollektiven wie „Ethnien“ oder
„Nationen“ entstehen (vgl. ebd.).
„Interkulturalität“ ensteht laut Franz Hamburger dann, wenn
(mindestens) zwei „Kulturen“, welche je „auf eine bestimmte
Gesellschaft“ (ebd., S. 131) bezogen sind, in Kontakt treten.
Dabei ist „Interkulturalität“ nicht zwischen den Grenzen der
69
„Kulturen“ zu verorten, sondern vielmehr in dem durch den
Kontakt entstehenden „Überschneidungsbereich“ (ebd., S.
132). Durch den Kontakt kommt es zur Transzendierung der
Grenzen, schon dadurch, dass versucht wird, diese zu verstehen
oder sich von der anderen „Kultur“ abzugrenzen. Aus diesem
Grund ist „Interkulturalität“ immer auch „Bi-Kulturalität“
(ebd.).
Auch auf der interindividuellen Ebene verortet Franz
Hamburger „Interkulturalität“. Jedes Individuum entwickelt in
Auseinandersetzung
mit
den
„Kulturen“
seine
eigene,
einzigartige, „subjektive Kultur“ (vgl. S. 126), weshalb
„interindividuelle Beziehungen [immer R.K.] interkulturell“
(ebd., S. 132) sind.
4.1.2
Ethnizität
„'Ethnizität' wird […] verwendet als Bezeichnung für eine
Bindung beziehungsweise Identifikation mit einem kulturell
definierten Kollektiv, dem vergemeinschaftende Qualität
zugeschrieben wird.“ (ebd.,S. 116) Entgegen den Vorstellungen
von „traditionellen Theorien der modernen Gesellschaft“ (ebd.,
70
S. 114) wurde „Ethnizität“ nicht durch die Rationalisierung und
Säkularisierung,
welche
Gesellschaften
einher
„Ethnizität“ als
mit
gingen,
der
Modernisierung
verdrängt,
vielmehr
von
ist
„Ergebnis von Modernität“ (ebd.) zu
betrachten.
So „unterminiert[e]“ (Hirsch 2005, S. 67) die mit der
Modernisierung
Säkularisierung
verbundene
„herkömmliche
Rationalisierung
kulturelle
und
und
religiöse
Zugehörigkeiten und Orientierungen“ (ebd.) und schuf dadurch
zugleich das „Bedürfnis[...] nach neuen Routinen, [und R.K.]
Sicherheiten in Gemeinschaftsbeziehungen“ (Hamburger 2009,
S. 114).
„Ethnische Identifikationen“ haben, so Franz Hamburger, einen
ambivalenten Charakter. Sie dienen zugleich „als Abwehr- wie
auch als Bewältigungsressourcen“ (ebd., S. 112).
So kann auf „Ethnizität“ etwa zurückgegriffen werden um
„Nicht-Deutsche“ auszugrenzen und damit die Privilegien der
„Deutschen“ zu verteidigen. Auf der anderen Seite kann
„Ethnizität“
eine
„Schutzreaktion
auf
kränkende
Diskriminierung“ (ebd., S. 115) sein und der Selbstorganisation
71
von Ausgegrenzten dienen, welche gesellschaftliche Teilhabe
fordern.
Diese Ambivalenz zeigt zugleich, dass „Ethnizität“ sowohl ein
Ergebnis
von
Selbstdefinitionen
als
auch
von
Fremdzuschreibungen sein kann, die konkrete Bedeutung muss
dementsprechend in der Situation selbst erkundet werden (vgl.
ebd., S. 125).
Damit
ist
„Ethnitzität“
laut
Franz
Hamburger
immer
„Gegenstand und nicht Instrument der wissenschaftlichen
Untersuchung“ (ebd.).
4.1.3
Kritik
Pädagogik
der
Interkulturellen
„Der springende Punkt des Interkulturalismus ist“ (ebd., S.
140), wie Franz Hamburger schreibt, „die Aktivierung einer
nicht weiter reflektierten Setzung des kulturellen Unterschieds“
(ebd.),
welcher
„intuitiv
an
der
Grenze
zwischen
nationalstaatlich vergesellschafteten Zugehörigkeiten verortet“
(ebd.) wird.
Damit bleiben „interkulturelle“ Ansätze implizit an die
72
Vorstellung der homogenen „Nationalkultur“ gebunden und
(re-)produzieren die damit verbundenen Grenzziehungen. Die
Arbeit mit allochthonen (nicht einheimische) Kindern und
Erwachsenen erfordert folglich insbesondere die Beachtung
ebendieser einen Differenz.
Die
mit
dieser
Prämisse
verbundenen
möglichen
problematischen (Voraus-)Setzungen sind vielfältig und haben
weitreichende Konsequenzen.
In seiner Kritik an „interkulturellen“ pädagogischen Ansätzen
beschäftigt sich Franz Hamburger dementsprechend in erster
Linie mit dem Kulturbegriff und dessen Verwendung innerhalb
„interkultureller“ Ansätze.
4.1.3.1 Solitaristische Deutungen
Eine Ausgangsbedingung für den problematischen, weil
reduktiven Umgang mit dem Kulturbegriff in „interkulturellen“
Ansätzen
sieht
Franz
Hamburger
in
einer
reduktiven
Betrachtung von Identitäten, welche als „solitaristisch“
bezeichnet wird.
Als „Solitarismus“ wird im Anschluss an Amartya Sen (2007)
73
die Reduktion der vielen sozialen Identitäten, welche
Menschen besetzen, auf eine einzige vestanden. Soziale
Identitäten
sind
dabei
als
„Zugehörigkeiten
zu
transindividuellen Kategorien“ (Hamburger 2009, S. 135) zu
verstehen. Werden Menschen also genau einer „Kultur“
zugeordnet, meistens der ihres „Heimatlandes“, wobei alle
anderen Zugehörigkeiten ausgeblendet werden, stellt dies eine
„Solitaristische[...] Deutung“ (ebd.) dar.
Eine solche solitaristische Betrachtung erlaubt es, das Handeln
von Menschen „nur im Rahmen ihrer Kultur“ (ebd., S. 136) zu
interpretieren, das wiederum ist als „Kulturalismus“ zu
bezeichnen. Diese Perspektive kann durchaus Vorzüge
aufweisen, so muss zum Beispiel in pädagogischen Situationen
nicht nach individuellen Gründen für das Handeln von
Menschen gesucht werden, dieses kann vielmehr entsprechend
„einer scheinbar in ihm selbst liegenden Typik“ (ebd.)
eingeordnet
werden,
welche
wiederum
bestimmte
Handlungsmuster nahelegt.
Auch Theorien der Moderne, welche das Handeln von
Menschen
ausschließlich
von
einer
„egozentrischen
74
Rationalität“ (ebd.) geprägt sehen und „kulturellen“ Einfluss
völlig außer Acht lassen, betrachtet Franz Hamburger als
solitaritisch.
Beide Betrachtungsweisen sieht Franz Hamburger folglich als
gleichsam problematisch an, denn beide schränken potenziell
die vorhandenen Möglichkeiten von Menschen ein, über ihre
Zugehörigkeiten und die Bedeutung, die sie ihnen beimessen,
selbst zu entscheiden (vgl. S. 136).
4.1.3.2 Reduktive Betrachtungen
Mit der Kulturalisierung ist ein zentraler Kritikpunkt an
„interkulturellen“
Ansätzen
benannt.
Diese
reduktive,
eindimensionale, andere soziale und personale Faktoren
ausblendende Betrachtungsweise ist, so Franz Hamburger,
„konfliktgenerierend, weil die Einsicht in […] tatsächliche
Handlungsparadoxien […] verhindert wird“ (ebd., S. 125).
Die
Betrachtung
pädagogischer
Situationen
in
dieser
kulturalistischen Perspektive führt damit auch zur Ausblendung
anderer Differenzen, wie beispielsweise der für pädagogische
Situationen bedeutenden Generationendifferenz und zu einer
75
„Zuschreibung von Kulturalität“ (ebd., S. 138), was eine aktive
Produktion von „kultureller“ Differenz zur Folge hat (vgl. ebd.,
S. 138).
Exemplarisch für die Problematik, dass es in pädagogischen
Konfliktsituationen, welche als „interkulturelle“ gesehen
werden, zu eindimensionalen Interpretationen kommen kann,
die diese auf ein „Kulturproblem“ (ebd., S. 123) reduzieren,
führt Franz Hamburger die Re-Interpretation einer Studie von
Eberhard Nölke (1996) an.
In
dieser
Studie
werden
Konflikte
innerhalb
einer
Jugendwohngruppe zwischen einem „türkischen“ (Esra) und
mehreren „deutschen“
Differenzen
stellen
Mädchen betrachtet. „Kulturelle“
dabei
anscheinend
die
zentrale
Konfliktursache dar. „Ihre 'türkische Art' zu kochen“ (ebd.,
S.124) wird auch von der interviewten Jugendlichen als
möglicher Grund angeführt, warum es beim Kochen zu
Konflikten kommt. Wird dieser kulturalistischen Interpretation
des
Konfliktes
unreflektiert
gefolgt,
rücken
andere
Betrachtungsweisen aus dem Blick. So handelt es sich unter
Umständen bei der „türkischen Art zu kochen“ gerade um die
76
Fremdzuschreibung, mit der die „deutschen“ Mädchen ihren
Unwillen mit Esra zu kochen artikulieren, um nur eine
mögliche Re-Interpretation zu nennen.
Ein weiterer Konflikt in der Gruppe war offensichtlich durch
eine
Sozialarbeiterin
selbst
entstanden,
welche
dem
„türkischen“ Mädchen verbot, abends so lange weg zu bleiben
wie die „deutschen“ Mädchen. Als Begründung diente ihr
hierbei der Verweis auf die Notwendigkeit, das „türkische“
Kind auf Wunsch des Vaters, aufgrund dessen Gewalttätigkeit
das Mädchen aus der Familie heraus gegangen ist, „türkisch“
erziehen zu müssen. Dieses Verbot stößt bei dem Mädchen
nachvollziehbarer Weise auf Unverständnis (vgl. Hamburger
2009, S. 123ff).
4.1.3.3 Normale Fremdheit
„Kulturelle Fremdheit“ ist ein Thema in Situationen, die als
„interkulturelle“ definiert werden. Dabei wird, so Franz
Hamburger, übersehen, dass sich moderne Gesellschaften unter
Anderem
dadurch
auszeichnen,
dass
„lebensweltliche
Fremdheit universell wird“ (ebd., S. 130). Ermöglicht wird dies
77
dadurch, dass „auch Schutz und Rechtszugang universal“
(ebd.) sind. Genau hier unterscheiden sich „Inländer_innen“
und „Ausländer_innen“ jedoch, was auf einer rechtlichen
Ebene zu einem Sonderstatus führt.
„Interkulturelle“ Ansätze haben auf diesen rechtlichen Status
keinen Einfluss und bewegen sich lediglich „auf der Ebene der
lebensweltlichen Fremdheitsdefinitionen, zu denen in erster
Linie die kulturellen zählen“ (ebd.). Durch ihre Bearbeitung
dieser Fremdheit, beispielsweise mit dem Ziel Toleranz zu
fördern, sind sie an der Produktion dieser „besonderen
Fremden“ (ebd.) beteiligt. Die für moderne Gesellschaften
„normale[...]
Fremdheit“
„Ausländer_innen“
(ebd.,
dementsprechend
S.
131)
nicht
können
für
sich
beanspruchen.
4.1.4
Folgerungen aus der Kritik
Interkulturelles Lernen thematisiert „kulturelle“ Differenzen
und (re-)produziert sie damit notwendigerweise, auch dort, wo
sie gar kein Thema (mehr) sind. So wird die Fremdheit „von
Migrantenkindern“ (Hamburger 2009, S. 108) ständig betont,
78
auch wenn diese „verschwunden ist oder in der privaten
Lebensführung
gehalten
Gemeinsamkeiten
aller
werden
Kinder
soll“
und
(ebd.).
schon
Die
etablierte
Selbstverständlichkeiten im Umgang hingegen geraten aus dem
Blick. Aus diesem Grund plädiert Franz Hamburger dafür,
„kulturelle“ Differenzen nur dann mit dem Ziel der
„Erweiterung von Toleranz und Solidarität“ (ebd.) zu
thematisieren, wenn sie zur Benachteiligung von Kindern
führen.
Diese Handlungsstrategie lehnt sich an die „reflexive
Koedukation“ (ebd., S.133) von Kindern in der Schule an. In
diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass eine ständige
Thematisierung
von
Geschlechterfragen
stereotype
Geschlechterrollen eher stärkt als „zu Grenzüberschreitungen
zu ermutigen“ (ebd.).
Das Nicht-Thematisieren, wenn dies nicht aufgrund von
Benachteiligungen
erforderlich
wird
und
die
„Ent-
Kulturalisierung“ (ebd., S. 129) gehören zu den Überlegungen
Franz Hamburgers, wie eine „bescheidenere[...] Formatierung“
(ebd.) der „Interkulturellen Pädagogik“ aussehen kann.
79
Eine solche bescheidenere Formatierung ist laut Franz
Hamburger unter Anderem deshalb notwendig, weil eine
„Fixierung auf (Inter-)Kulturalität […] konfliktgenerierend“
(ebd., S. 125) ist, die die Reflexion und Bearbeitung der
„tatsächlichen Handlungsparadoxien“ (ebd.) verhindert, welche
hinter den kulturalistischen Erklärungsmustern verschwinden.
Wichtig ist laut Franz Hamburger auch, „die Fixierung auf eine
Dimension der sozialen Beziehungen zu überwinden“ (ebd., S.
133), so dass auch andere Differenzen berücksichtigt und
thematisiert werden.
Die
eigenen
(„kulturellen“)
Zugehörigkeiten
sind
die
Angelegenheit der Adressat_innen selbst und sollen als solche
respektiert oder aber bearbeitet werden (vgl. ebd., S. 142ff).
Das bedeutet auch, dass „kulturelle Zugehörigkeit“ nicht zum
Zwang werden darf (vgl. ebd., S. 112) und eine möglichst freie
Wahl das Ziel sein sollte (vgl. ebd., S. 142). Es ist davon
auszugehen, dass die Pädagogik bei der Bearbeitung dieser
Aufgabe schnell an ihre Grenzen stößt, denn wie Paul Mecheril
schreibt, sind gesellschaftliche „Zugehörigkeitsdiskurse [...]
produktiv und machtvoll“ (Mecheril 2010, S. 36) und der
80
Einfluss der Pädagogik auf diese Diskurse sollte nicht
überschätzt werden.
Grundlage
für
die
freie
Wahl
der
(„kulturellen“)
Zugehörigkeiten bildet ein „Recht auf Differenz“ (Hamburger
2009, S. 133). Dieses kann durch „einen allgemein anerkannten
Verfassungsrahmen“
(ebd.)
„Anerkennung
Differenz
setzt
voraus“
(ebd.,
der
Gleichheitsprinzips
gewährleistet
die
S.
werden.
Die
Geltung
des
90),
ist
Gleichberechtigung nicht gegeben, besteht die Gefahr, mit den
Differenzen verbundene „vorhandene Ungleichheit“ (ebd.) zu
verstärken.
4.2 Migrationspädagogik nach Mecheril
Paul
Mecheril
beschäftigt
sich
in
seinem
Buch
„Migrationspädagogik“ (2010) mit dem Thema Migration und
Bildung, welches auch der zentrale Bezugspunkt der
„Interkulturellen Pädagogik“ ist.
In der „Interkulturellen Pädagogik“ galt und gilt noch immer
„Kultur“ als die zentrale Dimension bei der Beschäftigung mit
Migration und Bildung. Damit einhergehend wird und wurde
81
gesellschaftlich dominanten Diskursen über „Kultur“ folgend
„kulturelle Differenz“ zwischen „kulturellen Kollektiven“, wie
„Ethnien“ und „Nationen“ verortet.
Paul Mecheril ist sich der Wirkmächtigkeit dieser Diskurse
bewusst. Aufgrund des hegemonialen Diskurses, „in dem die
Fremden, Anderen, Ausländer, Migrant/innen (und nur sie und
sie nur in dieser Weise) der kulturellen Differenz bezichtigt
werden, kann [in der Interkulturellen Pädagogik, R.K.] über
besondere Voraussetzungen und Erfordernisse nachgedacht
werden, mit der Differenz zu kulturell Anderen umzugehen“
(Mecheril 2010, S. 65). Zum einen stellt dies jedoch eine
„[k]ulturalistsche Reduktion“ (ebd., S.62ff) dar, denn andere in
diesem Zusammenhang wichtige Differenzen, beispielsweise
ökonomische, politische und rechtliche werden potenziell
ausgeblendet und zum anderen sind „kulturelle“ Differenzen
nicht ausschließlich zwischen Migrant_innen und NichtMigrant_innen zu verorten (vgl. ebd., S.65).
Paul Mecheril beschäftigt sich im Anschluss an diese (nicht
nur) in der „Interkulturellen Pädagogik“ wirkmächtigen
Konzepte
von
„kultureller
Differenz“
82
mit
„migrationsgesellschaftliche[r] Differenz“ (Mecheril 2010, S.
63 Hervorhebung im Orignal). Er nimmt hierzu „natio-ethnokulturelle Zugehörigkeiten“ (ebd., S. 13) und die damit
einhergehenden
natio-ethno-kulturellen
Zugehörigkeitsordnungen,
innerhalb
derer
Menschen
unterschieden und in der Gesellschaft positioniert werden, in
den Blick. Diese Zugehörigkeiten werden in gesellschaftlichen
Interaktionen
(immer
wieder)
hergestellt
und
sind
dementsprechend nicht als „Natürliche“ anzusehen.
Wichtig ist ihm dabei die Rolle der Pädagogik bei der
Produktion und Reproduktion dieser Zugehörigkeitsordnungen
und die Möglichkeitsräume pädagogischer Interventionen in
diese Ordnungen (vgl. Mecheril 2010, S.13f).
4.2.1
Die Migrationsgesellschaft
Paul Mecheril beginnt die Darstellung seines Konzeptes der
„Migrationspädagogik“ mit der Feststellung, dass Migration
für unsere heutige Gesellschaft ein konstitutives Phänomen ist
(vgl. Mecheril 2010, S.7). Unter Migration versteht Paul
Mecheril die „Überschreitung kulturell, juristisch, lingual und
83
(geo-)politisch bedeutsamer Grenzen“, unter welchen heute in
erster Linie die nationalstaatlichen Grenzen und die damit
verbundenen Zugehörigkeitsordnungen verstanden werden. Die
Wanderungen innerhalb nationalstaatlicher Grenzen, welche
für die Biografien der meisten Menschen in unserer heutigen
Gesellschaft durchaus von Bedeutung sind, fallen in den
herrschenden Diskursen nicht unter diesen Migrationsbegriff
und die damit einhergehende Zugehörigkeitsordnung (vgl. ebd.,
S.38). Auf den bei Paul Mecheril zentralen Begriff der
Zugehörigkeitsordnung wird im nächsten Abschnitt genauer
eingegangen. Ersichtig wird aber an dieser Stelle schon, dass
Migration im gerade beschriebenen Sinne mit spezifischen
Zugehörigkeiten (beispielsweise zu Nationalstaaten) verbunden
ist.
Um eine solche von Migration geprägte Gesellschaft zu
beschreiben,
hat
Paul
Mecheril
den
Begriff
der
„Migrationsgesellschaft“ gewählt und entscheidet sich damit
bewusst
gegen
„Einwanderung,
Begriffe
welche
wie
„Zuwanderung“
Migrationsphänomene
auf
oder
eine
einmalige Immigration beschränken und damit den anderen
84
Formen von Migration nicht gerecht werden, die neben der
einmaligen Immigration von Bedeutung sind. So gibt es
beispielsweise Menschen, welche nicht in einem Land
verbleiben, sondern auch von dort wieder weiter wandern, in
ein anderes Land oder andere Länder. Diese Form der
Wanderung wird als Transmigration bezeichnet. Auch das
Pendeln zwischen zwei Ländern stellt eine Form dieser
Migration dar (vgl. ebd., S.11).
4.2.2
Natio-ethno-kulturelle
Zugehörigkeitsordnungen
Für Migrant_innen in der Migrationsgesellschaft sind wie im
letzten
Abschnitt
Zugehörigkeiten
und
schon
angesprochen
dementsprechend
auch
spezifische
spezifische
Unterschiede von Bedeutung.
Diese
Zugehörigkeiten
und
die
damit
verbundene
Zugehörigkeitsordnung werden durch Migration, welche
bedeutsame Grenzen, insbesondere bedeutsame „symbolische
Grenzen der Zugehörigkeit“ (ebd., S.12) überschreitet, immer
wieder problematisiert und damit thematisiert, was wiederum
85
eine Stabilisierung der Zugehörigkeitsverhältnisse zur Folge
hat (vgl. ebd., S.35).
Paul Mecheril nennt diese mit Migration verbundenen
Zugehörigkeiten
(ebd.,
„natio-ethno-kulturelle
S.13). Auch
Auseinandersetzung
Zugehörigkeiten“
dieser Begriff ist
mit
Ergebnis
gesellschaftlich
einer
dominanten
Vorstellungen, welche von der früheren „Interkulturellen
Pädagogik“ meist in Form des Kulturbegriffs in Verbindung
mit „Ethnizität“ übernommen wurden. Die „ethnische Gruppe“,
welche zunächst durch „ihre“ eigene „Kultur“ geprägt ist,
bildet das Phänomen, an welche Paul Mecheril hier anschließt.
Der Begriff natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit verweist
darauf,
dass
gesellschaftlich
dominante
Praxen
der
Unterscheidung von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit auf
einem in der Regel nicht aufzulösenden, diffusen Gemisch von
Vorstellungen beruhen, welche mit „Ethnizität“, „Kultur“ und
„Nation“
verbunden
sind.
Im
Exkurs
über
„Nation“,
„Ethnizität“, „Rasse“ und „Kultur“ wurde bereits auf die
Zusammenhänge eingegangen, durch welche die Begriffe
verbunden sind, beziehungsweise verbunden werden können.
86
So ist beispielsweise die Vorstellung eines „ethnischen“ und
damit auch „kulturell“ homogenen „deutschen Volkes“ noch
immer weit verbreitet. Daran anschließend wird auch die
Staatsangehörigkeit oft mit Vorstellungen einer „Ethnie“
verbunden, was unter Anderem Ausdruck in Gesetzestexten
findet sowie in alltäglichen Stereotypen, welche Hinweise
darauf geben, ob jemand als „Deutsche_r“ gilt oder eben nicht.
An dieser Stelle wird deutlich, dass mit dieser Form der
Zugehörigkeitsordnung
eine
zentrale
gesellschaftliche
Differenz geschaffen und aufrechterhalten wird, nämlich die
zwischen dem „Wir“ und „dem Anderen“ oder konkret auf
Deutschland bezogen, die „Deutschen“ und die „Ausländer“.
Diese
Differenz
ist,
wie
im
Abschnitt
4.4
über
„Intersektionalität“ beschrieben wird, keineswegs die einzige
und Paul Mecheril bestreitet dies auch nicht, sondern verweist
auf die Vermitteltheit mit anderen Differenzverhältnissen wie
beispielsweise
„Geschlecht“
und
„Klasse“.
Migrationspädagogik geht es allerdings darum „in einer
'künstlichen Einstellung' […], das Verhältnis von Migration
und Pädagogik unter dem Thema natio-ethno-kulturelle
87
Zugehörigkeit zu betrachten“ (ebd., S.15). Aus diesem Grund
werden andere Differenzverhältnisse nur „punktuell“ (ebd.)
thematisiert.
Natio-ethno-kulturelle
Zugehörigkeitsordnungen
sind Teil
gesellschaftlicher Macht- und Dominanzverhältnisse. In ihnen
werden Menschen nicht nur im Sinne von „Alle anders – alle
gleich“ bestimmten Gruppen zugeordnet, denn verbunden mit
natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeiten sind immer auch
gesellschaftliche Positionierungen, welche den Menschen mehr
oder weniger Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und
gesellschaftlicher Anerkennung ermöglichen (vgl. ebd., S.15).
Über die eigene Zugehörigkeit kann meist nicht individuell
entschieden werden (vgl. ebd., S. 36). Die der jeweiligen
Zuordnung zugrunde liegenden Zugehörigkeitsordnungen sind
Ergebnisse gesellschaftlicher Diskurse über Zugehörigkeit und
die damit einhergehenden Grenzen. Diese sind als umkämpft
und in ständigem Wandel zu verstehen (vgl. ebd., S.36ff).
In der Migrationspädagogik geht es also zum einen um die
Frage der Produktion und Reproduktion natio-ethno-kulturellen
Zugehörigkeitsordnungen und die Folgen, welche diese für die
88
Menschen haben. Zentral ist dabei die Rolle der Pädagogik,
wie diese an den Prozessen der Produktion und Reproduktion
der
Zugehörigkeitsordnungen
beteiligt
ist
und
welche
Möglichkeiten der Beeinflussung und Veränderung dieser
Ordnungen ihr zur Verfügung stehen (vgl. ebd., S.15).
4.2.3
Migrationsandere
In einer Migrationsgesellschaft leben also unterschiedliche
natio-ethno-kulturelle
„Griech_innen“,
Gruppen
„Deutsche“,
nebeneinander,
„Türk_innen“
usw.,
wobei
Vermischungen und auch Mehrfachzugehörigkeiten möglich
sind. Im Rahmen dieser Ordnung bilden die nicht zur eigenen
Gruppe (den eigenen Gruppen) Zugehörigen, die „natio-ethnokulturellen Anderen“ (ebd., S.16).
Paul Mecheril weist auf eine weitere alle natio-ethnokulturellen
Zugehörigkeiten
einschließende
dichotome
Differenz hin und zwar die zwischen „Migrationsanderen“ 17
17 Paul Mecheril weist darauf hin, dass „Migrationsandere“ nicht als
„einheitliche Gruppe“ zu verstehen sind, vielmehr handelt es sich bei
dem Begriff um ein Werkzeug, welches „auf Kontexte, Strukturen und
Prozesse der Herstellung der in einer Migrationsgesellschaft als Andere
geltenden Personen verweist“ (ebd., S.17).
89
und
„Nicht-Migrationsanderen“.
Diese
in
der
Migrationsgesellschaft bedeutsame Differenz verweist auf den
nationalstaatlichen Rahmen und zieht die symbolische Grenze
zwischen „innen“ und „außen“, zwischen „Wir“ und „NichtWir“ (ebd., S.17f).
Zwei Formen der Festlegung von Zugehörigkeit können hier
unterschieden werden. Zum einen gibt es die formelle
Festlegung
durch
Staatsangehörigkeit.
Über
diese
Zugehörigkeit wird anhand von Gesetzen bestimmt. Neben der
formellen Festlegung kommt es in der Alltagswelt immer
wieder zu informellen Festlegungen von Zugehörigkeit, welche
sich auf „Imaginationen, Mythen und auch Rassismen“ (ebd.,
S.40) stützen. So ist nationale Zugehörigkeit in Deutschland
auf informeller Ebene durchaus „auch Sache körperlicher
Attribute“ (Mecheril 2002, S.110), auch andere Merkmale
beziehungsweise
„natio-ethno-kulturelle
Mitgliedschaftssignale“ (Mecheril 2002, S.111), wie „nicht
deutsch klingende“ Namen und der Habitus spielen auf dieser
alltagsweltlichen Ebene eine Rolle (vgl. Mecheril 2010, S.40)
bei der Identifizierung von Migrationsanderen.
90
Wird
Migrationsanderen
die
natio-ethno-kulturelle
Zugehörigkeit beispielsweise in Form der Staatbürgerschaft
zuerkannt, handelt es sich hierbei immer um eine „[p]rekäre
Zugehörigkeit“ (Mecheril 2002, S.112), bei welcher die
Möglichkeit der Aberkennung der Zugehörigkeit immer
vorhanden ist. Sie steht damit im Gegensatz zur „fraglosen
Zugehörigkeit“
(ebd.,
Zugehörigkeit
die
S.113). Allerdings
„angeborene“
stellt
prekäre
natio-ethno-kulturelle
Zugehörigkeit auch immer in Frage, weil sie diese als wählbar
markiert und damit denaturalisiert (vgl. ebd., S.113).
Der Kampf um diese Zugehörigkeit Migrationsanderer stellt
dementsprechend einen wichtigen Ansatzpunkt dar, wenn es
um
die
Veränderung
von
natio-ethno-kulturellen
Zugehörigkeitsordnungen geht.
Der Begriff Migrationsandere ist meiner Meinung nach nicht
ganz unproblematisch, so bezieht er sich als „Werkzeug“
(Mecheril 2010,S.17) zwar bewusst auf Menschen, welche in
der Migrationsgsellschaft als „Andere“ gelten, impliziert aber
genau
deswegen
auch
Menschen,
wie
beispielsweise
„Schwarze Deutsche“, welche nie über Nationengrenzen
91
hinweg gewandert sind, aber trotzdem beispielsweise aufgrund
physiognomischer
Merkmale
als
Migrat_innen
/
Migrationsandere angesehen und behandelt werden. Diese
Menschen als Migrationsandere zu bezeichnen, folgt meiner
Meinung
nach
zu
stark
den
dominanten
Normalitätsvorstellungen. Diese besagen, dass Menschen, die
vom Prototyp „des _ der Deutschen“ zu stark abweichen,
„nicht von hier kommen können“ und dementsprechend
eingewandert sein müssen, was die dominante Vorstellung der
Abhängigkeit der Staatsangehörigkeit von der Abstammung
unterstützt beziehungsweise reproduziert.
Mit „Andere Deutsche“ (Mecheril 2011, S. 579) hat Paul
Mecheril selbst einen alternativen Begriff eingeführt, welchen
ich für sinnvoller erachte, weil der anscheinend notwendige
Bezug zu Migration fehlt. Der Begriff „Andere Deutsche“ ist
zwar konkret auf Deutschland bezogen, jedoch erscheint er mir
theoretisch abstrakt genug, um auch auf andere (nationale)
Kontexte bezogen zu werden. Auch dieser Begriff kommt um
einen Bezug auf dominante Kategorien nicht herum, jedoch ist
dies wohl ein allgemeines Problem, welches sich bei der
92
Thematisierung von Dominanzverhältnissen ergibt. Allerdings
werden mit dem Begriff nicht direkt dominante Bilder
unterstützt, vielmehr bietet der Begriff durch die Kombination
ein potenziell dekonstruktives Potenzial, auf welches später
noch eingegangen werden soll.
Paul Mecheril bezeichnet mit „Andere Deutsche“ Menschen,
welche in Deutschland leben, „aber soweit von einem fiktiven
prototypischen Bild des
oder der 'Standard-Deutschen'
abweichen, dass sie von dem → weißen gesellschaftlichen
Mainstream als zu weit abweichend und folglich nicht legitim
zugehörig wahrgenommen und behandelt werden“ (ebd.,
S.580, Hervorhebung im Original).
Der Begriff zeigt an, dass die Zugehörigkeit „deutsch“ in erster
Linie davon abhängig ist, ob jemand seinen Lebensmittelpunkt
in Deutschland hat und nicht von Kriterien wie der
Abstammung. Auch wenn „Deutsche_r“ sein nicht unbedingt
erstrebenswert zu sein scheint, bietet es unter der Perspektive
natio-ethno-kultureller
Zugehörigkeitsordnungen
Möglichkeiten für die als „Andere“ Wahrgenommenen.
Außerdem rückt mit diesem Begriff der Konstruktionscharakter
93
der dominanten Vorstellung von „Deutsch“ in den Blick. Nicht
nur, dass Menschen als „deutsch“ bezeichnet werden, welche
nicht dem Prototyp entsprechen, weist auf Inkonsistenzen hin,
durch den Zusatz „Andere“ wird außerdem die Herstellung des
„Eigenen“ und des „Anderen“ thematisiert. Beides ermöglicht
potenziell eine Veränderung von Zugehörigkeitsordnungen.
Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den Bezeichnungen
„Andere Deutsche“ und „Deutsche“ um relationale Begriffe
handelt18, erscheint es mir zudem sinnvoll „Deutsch“ als
Position fragloser natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit nicht
unmarkiert zu lassen. So könnte neben den Anführungszeichen
als Hinweis auf den Konstruktionscharakter zusätzlich die
hegemoniale Norm als
solche gekennzeichnet werden,
beispielsweise durch den Begriff „Norm Deutsche“.
Weiterhin kann festgestellt werden, dass mit dem Begriff auf
die „prekäre Zugehörigkeit“ der „Anderen Deutschen“
hingewiesen wird, diese ist geprägt vom „doppelte[n]
Anderssein“ (Mecheril 2011, S. 581). So sind Andere Deutsche
nicht nur anders als fraglos „Deutsche“, sondern auch anders
18 Relational bedeutet, dass sich die Begriffe als Gegensätze
wechselseitig aufeinander beziehen.
94
als „Nicht-Deutsche“.
Auch diesen Begriff möchte Paul Mecheril im Hinblick auf die
Gefahr
der
Personengruppen
Essentialisierung
als
Werkzeug
von
konstruierten
„der
Konzentration,
Typisierung und Stilisierung“ (Mecheril 2011, S. 582)
verstanden wissen.
4.2.4
(Mehrfach-)Zugehörigkeiten
Für Andere Deutsche beziehungsweise Migrationsandere sind,
so Paul Mecheril, mehr als ein natio-ethno-kultureller Kontext
von Bedeutung, auch wenn ihr Lebensmittelpunkt in einem
Kontext, beispielsweise „Deutschland“ liegt. Aus diesem
Grund spricht Paul Mecheril von (Mehrfach-)Zugehörigkeit.
Diese ist mit ein Grund für den prekären Status der
Zugehörigkeiten
mehrfach
zugehöriger
Menschen
(vgl.
Mecheril 2003, S. 26f).
Konzepte wie die Transmigration, welche die Möglichkeit und
Realität
transnationaler
sozialer
Räume
aufzeigt
und
Hybridität, zeigen laut Paul Mecheril, wie natio-ethnokulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit gefasst werden kann.
95
(Mehrfach-)Zugehörigkeiten überschreiten dominante natioethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnungen und bieten damit
Möglichkeiten
diese
zu
verändern.
Damit
bieten
sie
Ansatzpunkte für pädagogisches Denken und Handeln, welches
dominante Zugehörigkeitsordnungen verändern will. Dabei
darf
nicht
vergessen
werden,
dass
auch
mehrfache
Zugehörigkeiten keineswegs immer selbst gewählt sind und
mit Diskriminierungen einhergehen können (vgl. Mecheril
2010, S. 51ff).
4.2.5
Zum Kulturbegriff
Mit seinem Kulturbegriff schließt Paul Mecheril an den Begriff
von „Kultur“ an, welchen das „Center for Contemporary
Cultural Studies“ entwickelt hat. Hier wird „Kultur“ als
„dynamisch und prozesshaft“ (ebd.), aber auch nicht als
beliebig ausgestaltbar begriffen. Insbesondere die umkämpften
Prozesse „der Konstruktion von sozialen Differenzen und
Identitäten“ (ebd.) rücken hier in den Fokus.
Paul
Mecheril
versteht
dementsprechend
„Kultur“
als
sinnstiftende „sozial-symbolische Praxis“ (ebd.), durch welche
96
sich die Menschen ihre „Lebensbedingungen symbolisch
aneignen“ (ebd.). Diese Aneignungen gehen einher mit der
Produktion von symbolischen „Unterscheidungsweisen [und]
bewirken Unterschiede“ (ebd.).
Diese
Produktionen
verlaufen
innerhalb
bestehender
Machtverhältnisse, sind umkämpft und aufgrund dessen,
daraufhin
zu
Konsequenzen
befragen,
symbolisch
wer
was
und
unterscheidet,
mit
welchen
und
welche
„kulturellen Formen“ sich jeweils gegen andere durchsetzen.
4.2.6
„Interkulturelle Kompetenz“
In seiner Beschäftigung mit „interkultureller Kompetenz“ (vgl.
Mecheril 2010, S. 77ff) wird Paul Mecherils Umgang mit der
Differenzkategorie „Kultur“ deutlich. Zunächst kritisiert er den
dominanten Diskurs zu „interkultureller Kompetenz“, in
welchem diese nicht als allgemeine Kompetenz, sondern „als
Sonderkompetenz“ (Mecheril 2010, S.78) für die Arbeit mit
Migrant_innen aufgefasst wird. Migrationsandere sind in den
Konzepten als Professionelle meist gar nicht vorgesehen und
wenn, dann oft, weil sie aufgrund ihrer Biografie als
97
„landeskundliche[...] Experten“ (ebd., S. 81) gelten und eben
nicht aufgrund professioneller Kompetenzen und Reflexion.
Der Bezeichnung „interkulturelle Kompetenz“ liegt, laut Paul
Mecheril,
zudem
oft
ein
sozialtechnisches Verständnis
zugrunde, welches suggeriert, dass Wissen über die „anderen
Kulturen“ von den Professionellen richtig angewandt zu den
gewünschten
Ergebnissen
führt.
Dabei
werden
die
gesellschaftlichen Bedingungen und Begrenzungen und der
sich
dadurch
ergebende
Möglichkeitsraum
für
die
Professionellen nur wenig oder gar nicht berücksichtigt.
An dieser Stelle kritisiert Paul Mecheril auch das vielen
Konzepten Interkultureller Pädagogik zugrunde liegende
Kulturverständnis.
So
liegt
der
meist
unreflektiert
vorausgesetzten Verbindung von Migration und „kultureller
Differenz“ in vielen Konzepten zum einen eine Reduktion auf
„Kultur“ als Differenzdimension zugrunde, zum Anderen
besteht aufgrund der Annahme der „kulturellen Differenz“ von
Migrant_innen auch immer die Gefahr, diese „Anderen“ in der
pädagogischen Praxis und auch Theorie selbst zu (re-)
produzieren. Diese Gefahr besteht gerade auch dann, wenn die
98
Anerkennung „kultureller Differenz“ gefordert wird.
Einen
weiteren
Aspekt
stellt
die
Problematik
der
Essentialisierung der „Fremden“ und des „Eigenen“ anhand
des Merkmals „Kultur“ dar. Hierbei wird die vermeintliche
eigene
beziehungsweise
fremde
„Kultur“
als
zentrales
„Wesensmerkmal“ gedacht. Auch die Verortung „kultureller
Differenzen“ zwischen Nationalitäten und Ethnien kritisiert
Paul Mecheril. Diese ist eine durchaus gängige, problematische
Praxis,
welche
an
dominante
Diskurse
und
Alltagsverständnisse anschließt. Damit einhergehend kann es,
„wenn [s]tatische, das Wesen größerer Kollektive behauptende
Kulturverständnisse, die Assoziationen von Kultur, Körpern
und Territorien herstellen“ (ebd., S.88) zu Anschlüssen an
„kulturellen“ Rassismus kommen.
Das Wissen um diese Problematiken, welche mit der
Verwendung des Kulturbegriffs einhergehen können, führt bei
Paul Mecheril jedoch nicht dazu, auf diese Kategorie
verzichten zu wollen. Diese sei vielmehr eine bedeutende
„erziehungswissenschaftliche Analysedimension“ (ebd., S.92).
Deshalb gilt es, so Paul Mecheril, „Kultur“ als „ein
99
Deutungsmuster zu verstehen, welches [...] in Selbst- und
Fremdbeschreibungen alltagsweltlicher Handlungssubjekte“
(ebd.), aber auch in (Erziehungs-)wissenschaftlichen Ansätzen
verwendet wird.
„Kultur“ ist dementsprechend als Instrument zu verstehen,
dessen
Relevanz
und
Bedeutung
in
(pädagogischen)
Situationen immer wieder neu erkundet werden muss. Dabei
darf die Reflektion der Verknüpfung von „Kultur“ und Macht
nicht in den Hintergrund rücken. Damit wird die Beobachtung
davon, wer unter welchen Bedingungen auf welche Weise
„Kultur“ gebraucht, zentral. Die eigene professionelle Praxis
und deren Konsequenzen soll davon nicht ausgenommen,
sondern gerade auch deren Reflexion systematisch unterstützt
werden (vgl. ebd., S. 92ff).
Weiterhin schlägt Paul Mecheril vor, die „Verschränkung von
Verstehen und Nicht-Verstehen als interkulturelle [und damit
allgemeine R.K.] Perspektive zu betrachten“ (ebd., S.97).
Nicht-Wissen kann eine nicht festlegende und für den _ die
Andere_n nicht einschränkende Bezugnahme auf die _ den
Andere_n ermöglichen. Nicht-Wissen ist jedoch selbst immer
100
mit Wissen verschränkt, so zum Beispiel mit dem, wer denn
als Andere_r behandelt wird.
An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass laut Paul
Mecheril „Kultur“ durchaus eine Bedeutung für pädagogisches
Handeln hat. Zentral für den professionellen pädagogische
Umgang ist die Reflektion des Gebrauchs der Kategorie
„Kultur“, deren Bedeutung immer nur in der konkreten
Situation feststellbar ist. Insbesondere die damit verbundenen
Macht- und Dominanzverhältnisse sind hierbei zu beachten.
Nachdem nun geklärt ist, was laut Paul Mecheril unter
„Kultur“ zu verstehen ist, stellt sich die Frage, wie mit „natioethno-kulturellen
Differenzen“
umzugehen
ist.
Deren
Anerkennung ist zwar gut zu begründen, hat aber zugleich
problematische Konsequenzen. Welche Orientierung Paul
Mecheril für sinnvoll erachtet und warum, soll im nächsten
Abschnitt geklärt werden.
4.2.7
Dilemma der Anerkennung
„Der Anerkennung der Zugehörigkeit von Individuen zu
sozialen
Gemeinschaften
kommt
unter
101
heutigen
gesellschaftlichen Bedingungen […] eine besondere Bedeutung
zu“ (Mecheril 2003, S. 26). Zum erziehungswissenschaftlichen
Thema wurde Anerkennung zunächst in den Richtungen der
Pädagogik, welche vornehmlich mit dem Thema der Differenz
verbunden sind, dazu gehören neben der „Interkulturellen
Pädagogik“ die geschlechtersensible und die integrative
Pädagogik (vgl. Mecheril 2010, S.182). So stellt beispielsweise
Georg Auernheimer fest, dass der „Gleichheitsgrundsatz und
de[r] Grundsatz der Anerkennung anderer Identitätsentwürfe“
(Auernheimer 2001, S. 45, Hervorhebung R.K.) die beiden
Grundprinzipien der „interkulturellen Bildung“ darstellen, denn
„'Gerechtigkeit' […] muss an eine über die schlichte
Gleichbehandlung
hinausgehende
Achtsamkeit
für
Unterschiede und die Pluralität der 'Identitätsentwürfe'
geknüpft sein“ (Mecheril 2010, S.182). Wird dies nicht getan,
tendiert
sie
zu
„einer
Benachteiligung
durch
Gleichbehandlung“ (Mecheril 2005, S.320), das heißt jene
Menschen werden
benachteiligt, welche
Bildungsinstitutionen
nicht
den in
dominierenden
Normalitätskonstruktionen entsprechen.
102
Ziel pädagogischer Anerkennungsansätze ist also nicht nur der
gleichberechtigte
Zugang
beispielsweise
zu
Bildungsinstitutionen, sondern auch Strukturen, welche die
Handlungsfähigkeit der Menschen entsprechend ihren „basalen
Handlungsdispositionen“ (ebd., S.321) ermöglichen und damit
einen Status als handlungsfähige Subjekte bieten. Die „basalen
Handlungsdispositionen“ werden innerhalb eines „kulturellen
Rahmens“ entwickelt und so gesehen ist die Anerkennung
dieses Rahmens verbunden mit der Entwicklung zum
handlungsfähigen Subjekt.
An dieser Stelle spielt das Verständnis von „Kultur“ eine
wichtige Rolle für die Interpretation der Pädagog_innen, was
unter einem spezifischen „kulturellen Rahmen“ zu verstehen ist
und
wie
dieser
sich
auf
die
Handlungsdispositionen,
„normative Disponiertheiten, Sprache und leibgebundene
Empfindsamkeiten“
(ebd.,
S.322)
auswirkt.
So
kann
Anerkennung Kulturalisierung und Ethnisierung zur Folge
haben, beispielsweise, wenn kulturelle Unterschiede „an der
Grenze
zwischen
nationalstaatlich
vergesellschafteten
Zugehörigkeiten verortet“ (Hamburger 2009, S.140) werden
103
und es in erster Linie um die Erhaltung kollektiver kultureller
Identitäten geht.
Paul Mecheril bemerkt kritisch zur eben skizzierten Idee der
Anerkennung, dass diese die Grenzen, welche innerhalb der
Dominanzkultur für sie bestehen (vgl. Mecheril 2010, S. 185f)
nicht ignorieren darf. Der Verbleib in einer nicht dominanten,
natio-ethno-kulturellen Lebensform, kann in Kontexten, die für
die Entwicklung von Handlungsfähigkeit von Bedeutung sind,
zur Benachteiligung oder gar zum Ausschluss aus diesen
Kontexten führen.
Aus diesem Grund plädiert Paul Mecheril für Angebote,
welche neben der Anerkennung auch eine Teilhabe an
Kontexten ermöglichen, welche durch die dominante natioethno-kulturelle Lebensform geprägt sind. Paul Mecheril
spricht in diesem Zusammenhang von „Akkulturation“
(Mecheril 2010, S. 186). Darunter kann beispielsweise
Deutschunterricht verstanden werden, der die für die
Handlungsfähigkeit notwendigen Sprachkenntnisse vermittelt.
Akkulturation ohne vollständige Assimilation ist möglich im
Rahmen
einer
„Pädagogik
der
(nicht
104
verhinderten)
Mehrfachzugehörigkeit“
(ebd.,
S.324,
Hervorhebung
im
Original). Diese erkennt nicht nur natio-ethno-kulturelle
Zugehörigkeiten,
sondern
Gleichzeitigkeiten,
„auch
Mischformen,
Hybridisierungen
Mehrfachzugehörigkeiten“
und
damit
und
verbundenen
Dispositionen an, welche sich in der Migrationsgesellschaft
entwickeln. Ein Beispiel von Mehrfachzugehörigkeit sind
bilingual
aufwachsende
Kinder,
welche
ganz
eigene
Anforderungen beispielsweise an die Schule stellen.
Die Anerkennung, welche immer innerhalb spezifischer
gesellschaftlicher Macht- und Dominanzverhältnisse geschieht,
(re-)produziert der dominanten, binären und ausschließenden
Logik folgend die Unterscheidung in Andere und NichtAndere.
Somit
Dominanzverhältnisse
werden
und
gegebene
der
damit
Macht-
und
verbundene
„subalterne[...] und inferiore[...] Status“ (ebd., S.324), welchen
die („kulturell“) „Anderen“ innerhalb dieser Verhältnisse inne
haben, (re-)produziert.
Aus diesem Grund plädiert Paul Mecheril aus einer
dekonstruktiven Perspektive für die „Achtsamkeit für Formen,
105
in denen hegemoniale Zugehörigkeitsgrenzen sprachlicher und
kultureller Art überschritten werden“ (Mecheril 2010, S. 189).
Dies können etwa Formen der Mehrfachzugehörigkeit oder
Hybridität sein, welche die dominante Zugehörigkeitsordnung
unterlaufen.
Diese können Ansatzpunkte für pädagogische Theorie und
Praxis
bieten,
dominante
Zugehörigkeitsordungen
zu
verändern.
4.2.8
Reflexive Anerkennung
Wie weiter oben beschrieben kann die Anerkennung der
Anderen als Andere helfen, einen Ausschluss aus den
pädagogischen Tätigkeitsfeldern zu verhindern, gleichzeitig
bedeutet dies die (Re-)Produktion der von den bestehenden
Macht- und Dominanzverhältnissen geprägten Identitäten und
Differenzen von Anderen und Nicht-Anderen, was nach deren
Veränderung verlangt.
Die
Verschiebung
und
Vervielfältigung
bestehender
Zugehörigkeitsverhältnisse steht dabei in einem unaufhebbaren
Spannungsverhältnis
zur
Anerkennung
106
vorhandener
Zugehörigkeiten (ebd., S.190).
Angesichts dessen ist sowohl der Ausschluss, als auch die
Reproduktion der Anderen unvermeidbar (Vgl. Mecheril 2005,
S.325). Für Pädagog_innen bleibt nur die Berücksichtigung
genau dessen und die Möglichkeit vorhandene Verhältnisse so
zu
verändern,
dass
innerhalb
gegebener
Macht-
und
Dominanzverhältnisse „weniger Gewalt und Macht ausgeübt“
(Mecheril 2010, S.190) wird. Dieser Prozess der Reflexion und
Veränderung pädagogischer Handlungen, Wissensbestände und
Strukturen kommt an kein Ende, vielmehr müssen die
Ergebnisse selbst wiederum reflektiert werden. Um eine
(Re-)Produktion der von der eigenen kulturellen Dominanz
ermöglichten Repräsentationsverhältnisse zu vermeiden, in
welchen die Nicht-Anderen die Anderen beschreiben und damit
mit erzeugen, ist es sinnvoll in den Reflexionsprozess über die
Probleme der Anerkennung die Anderen mit einzubeziehen
(vgl. Mecheril 2005, S.326).
4.3 Diversity
Der Begriff „Diversity“ wurde von der Human-Rights107
Bewegung in den USA geprägt und kann mit „Vielfalt“
übersetzt werden (vgl. Fager 2006). Der Begriff ist bezogen auf
„die Heterogenität und Unterschiedlichkeit von Lebenslagen
und Lebensentwürfen, die in Gesellschaften der Spätmoderne
charakteristische sind“ (Eggers 2011, S. 256). Vielfalt wird in
Diversity-Ansätzen als wünschenswerte und positive, zu
fördernde Ressource für die gesellschaftliche aber auch
ökonomische
Entwicklung
verstanden.
Damit
rücken
Differenzen zwischen Menschen unter positiven Vorzeichen in
den Blick.
Damit geht die Forderung nach einer „konsequente[n]
Anerkennung des Rechts auf eine selbstbestimmte individuelle
Lebensführung“ (Hormel / Scherr 2004, S. 209) einher.
Bei Diversity handelt es sich „um keine genuin pädagogische
Programmatik“ (ebd., S. 208), das zeigt sich schon daran, dass
gerade
„Diversity
Management“
als
eine
Form
der
Unternehmens- beziehungsweise Organisationsentwicklung zu
den bekanntesten Diversity Konzepten gehört.
Ein einheitliches Konzept der „Diversity-Pädagogik“ gibt es
nicht, vielmehr beziehen sich unterschiedliche pädagogische
108
Konzepte19 in unterschiedlicher Weise auf den Begriff
Diversity (vgl. ebd., S. 205).
Im Folgenden werde ich aus diesem Grund auf konkrete
Konzepte nur am Rande eingehen und auf einer allgemeinen
Ebene untersuchen, ob Potenziale für eine Kritik an der
traditionellen „Interkulturellen Pädagogik“ und deren Umgang
mit „Kultur“ vorhanden sind und welche Perspektiven
Diversity-Ansätze möglicherweise für eine Pädagogik in der
Migrationsgesellschaft bieten, welche über die Ansätze der
traditionellen „Interkulturellen Pädagogik“ hinausweisen.
4.3.1
Zum Konzept
Pädagogik
einer
Diversity-
Paul Mecheril erklärt zu Beginn seiner Ausführungen über
„Migrationspädagogik“, dass er auf den Zusammenhang „von
Migration und Pädagogik“ (Mecheril 2010, S. 15) in einer
„künstlichen Einstellung“ (ebd.) mit dem Fokus auf natioethno-kulturelle
Zugehörigkeit
eingeht
und
andere
19 Einen bekannten Ansatz stellt beispielsweise die „Pädagogik der
Vielfalt“ dar, welchen Annedore Prengel auch als „Diversity Education“
bezeichnet (vgl. Prengel 2007, S. 50).
109
Differenzlinien beziehungsweise Dimensionen damit weniger
beachtet
und
weist
damit
darauf
hin,
dass
weitere
Differenzlinien durchaus von Bedeutung sind.
Genau diese Fokussierung vieler Differenzlinien ist das Ziel
von Diversity-Ansätzen. Dabei lehnen sich viele Ansätze an
Modelle der Intersektionalität an und verstehen die Differenzen
nicht als isolierte sondern gehen von „Überkreuzungen und
Wechselwirkungen (Interdependenzen)“ (Eggers 2011, S. 257)
zwischen den Differenzlinien aus. Ulrike Hormel und Albert
Scherr zählen zu den für Diversity-Ansätze bedeutsamen
Differenzen „soziale Klasse und sozialer Status, sex / gender,
sexuelle Orientierung, Ethnizität / Nationalität, „Rasse“, Alter,
Sprache, Religion, psychische und physische Gesundheit,
Behinderung und Regionalität“ (Hormel / Scherr 2004, S. 205).
Gertraude Krell, Barbara Riedmüller, Barbara Sieben und
Dagmar Vinz gehen sogar davon aus, dass „die Liste möglicher
Diversity-Dimensionen unendlich lang“ (Krell / Riedmüller /
Sieben / Vinz 2007, S. 9) ist. Darauf, dass dies wiederum nicht
unproblematisch ist, soll später noch eingegangen werden.
Aufgrung
dieser
programmatischen
Fokussierung
110
einer
Vielzahl von Differenzen besteht potentiell die Möglichkeit
„kulturalistische[...] Engführungen“ (Hormel / Scherr 2004, S.
214) zu vermeiden, welche in Konzepten der „Interkulturellen
Pädagogik“ oft vorzufinden sind. Ob jedoch in allen an
Diversity anschließenden pädagogischen Konzepten dadurch
auch die Verwendung von „Kultur“ selbst weitergehend
reflektiert wird und beispielsweise ein „Inseldenken“ (Mecheril
2010, S. 64) überwunden wird, bleibt zu bezweifeln. Ulrike
Hormel und und Albert Scherr schreiben selbst, dass „[m]anche
Varianten
der
Diversity-Pädagogik
[…]
von
tradierten
Konzepten interkultureller Pädagogik nicht zu unterscheiden“
(Hormel / Scherr 2004, S. 205) sind. Solche Konzepte können
dementsprechend
Pädagogik“
auch
keine
Hinausweisende
über
sein
die
und
„Interkulturelle
bei
einer
Problematisierung des Kulturbegriffs in der traditionellen
„Interkulturellen
Pädagogik“
nicht
weiterhelfen.
Liegt
Konzepten der Diversity-Pädagogik jedoch ein Verständnis von
sozialen und individuellen Identitäten zugrunde, welches diese
als prozesshaft, situationsabhängig und von Brüchen und
Widersprüchen geprägt sieht, können diese laut Ulrike Hormel
111
und Albert Scherr „als konsequente Fortführung einer
reflektierten interkulturellen Pädagogik […] verstanden werden
(ebd., S. 206ff). Auf ebensolche Konzepte beziehen sich
dementsprechend auch meine weiteren Betrachtungen.
4.3.2
Mögliche Fallstricke von Diversity
Konzepten
Die weiter oben angesprochene potenziell „unendlich“ lange
Liste von Differenzen, welche in Diversity-Ansätzen zu tragen
kommt, kann zu einem naiven „Verständnis gesellschaftlicher
Vielfalt“ (ebd., S. 210) führen, wenn nicht beachtet wird, dass
manche Differenzen wie zum Beispiel „kulturelle Differenzen“
oder
„Rasse“
mit
Ungleichheitsverhältnissen
gesellschaftlichen
verbunden
Macht-
und
sind
und
Diskriminierungen zur Folge haben können, während andere
Unterschiede, Ulrike Hormel und Albert Scherr nennen
beispielsweise Ernährungsgewohnheiten „in keinem Bezug zu
Strukturen sozialer Ungleichheit“ (ebd., S. 209) stehen und
damit auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind.
Damit ist auch angesprochen, dass viele Differenzen mit der
112
(Re-)Produktion gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse
verknüpft sind. So wird allen Differenzenlinien, welche auch
aus
Intersektionalitätsdebatten
bekannt
sind,
ein
Grunddualismus zugeordnet, welcher aus einer dominanten
und einer dominierten Position besteht, also hierarchisch
geordnet ist. So sind die Unterscheidungen „von Männern und
Frauen, Heterosexuellen und Homosexuellen, Einheimischen
und Fremden […] usw. […] asymetrisch konstruiert“ (ebd., S.
211) und implizieren eine hierarchische Ordnung.
Die Forderung nach Anerkennung von Differenzen, welche
„mit der Zuweisung eines ungleichen sozialen Status sowie
ungleichen Chancen der Wertschätzung“ (ebd.) verknüpft sind,
steht folglich mit dem Anspruch „der Nicht-Hierarchisierung“
(ebd.) von Differenzen im Widerspruch.
Aus diesem Dilemma schließen Ulrike Hormel und Albert
Scherr, dass bei Differenzen, welche „mit Strukturen sozialer
Ungleichheit verwoben“ (ebd., S. 212) sind, nicht die fraglose
Anerkennung
das
Ziel
sein
kann,
sondern
„gesellschaftspolitische[...] Strategien, die auf die Veränderung
solcher Strukturen zielen, deren Effekt ungleiche Chancen der
113
Bildung und Persönlichkeitsentwicklung sind“ (ebd., S. 211f)
in den Blick genommen werden müssen.
So
können
Diversity-Ansätze
sich
beispielsweise
mit
„Strukturen und Prozesse[n]“ (ebd., S. 212) auseinandersetzen,
welche an der Produktion von Ungleichheit beteiligt sind.
Außerdem können sie zu einer kritischen Auseinandersetzung
mit
„Stereotypen und Vorurteilen“ (ebd.) anregen und auf
Brüche in den scheinbar klaren „Gruppenzuordnungen“ (ebd.)
hinweisen.
Durch
„Kommunikations-
und
Kooperationszusammenhänge“ (ebd.) soll es zudem möglich
sein, Räume zu schaffen, welche „die Irrelevanz etablierter
Gruppenunterscheidungen“ (ebd.) erfahrbar machen.
Gerade die Auseinandersetzung mit der (Re-)Produktion von
Stereotypen ist für Diversity-Ansätze auch deshalb wichtig,
weil sie durch die Thematisierung von Vielfalt und die
Anerkennung der damit verbundenen Differenzen immer
Gefahr
läuft,
die
Differenzen
selbst
und
die
damit
einhergehenden Stereotypisierungen zu verstärken oder zu
aktivieren (vgl. ebd., S. 215).
Das Dilemma macht also eine doppelte Strategie notwendig.
114
Die „Anerkennung von Differenzen“ und das „Plädoyer für
Vielfalt“ (ebd.) müssen laut Ulrike Hormel und Albert Scherr
einhergehen mit einer Auseinandersetzung darüber, wie diese
Differenzen,
innerhalb
gesellschaftlicher
Macht-
und
Dominanzverhältnisse (re-)produziert werden und welche
Folgen diese gerade für die Menschen in den nicht-dominaten
Positionen der damit verbundenen Ordnung hat. Mit anderen
Worten „ist es notwendig, zur Einsicht in Prozesse der
Konstruktion des 'Anderen' zu befähigen“ (ebd.). Dabei
können, wie weiter oben schon erwähnt, Hinweise auf Brüche
innerhalb der Zugehörigkeitskonzepte sinnvoll sein. Damit sind
„Grenzüberschreitungen und […] heterogene Identitäten“
gemeint, welche „etablierte Unterscheidungen unterlaufen“
(ebd.).
Mit dem Konzept der Toleranz sind diese Forderungen für
Ulrike Hormel und Albert Scherr nicht vereinbar. Die von
Diversity-Ansätzen „oftmals programmatisch beanspruchte
Zielsetzung“
(ebd.)
von
Toleranz
verbleibt,
laut
den
Autor_innen bei der Forderung die „Anderen“ gewähren zu
lassen beziehungsweise zu dulden. Die dominante Position der
115
Mehrheit und die damit verbundene Normalitätskonstruktion
bleibt dabei jedoch unhinterfragt. Zudem ist davon auszugehen,
dass es sich bei der angesprochenen Toleranz um ein Verhältnis
unter Ungleichen handelt, eines zwischen Mehrheit und
Minderheit. Für die Minderheitsangehörigen behält dieses
Verhältnis
damit
einen
widerrufbaren
und
auch
paternalistischen Charakter (vgl. ebd., S. 216f). Weiterhin
stehen möglicherweise nicht tolerierbare „antiemanzipatorische
Tendenzen und Repressive Praktiken“ (ebd., S. 217) einer
Verallgemeinerung von Toleranz entgegen.
Sowohl generelle Toleranz als auch generelle Anerkennung von
Vielfalt
laufen
Gefahr,
dominante
Zuordnungen
als
„selbstverständlich gegebene Sachverhalte“ (ebd., S. 217)
anzusehen und damit das Recht der _ des Einzelnen zu
übergehen, sich diese selbst anzueignen beziehungsweise sich
der Zuordnung zu entziehen. Um solche Festlegungen zu
vermeiden, gilt es konsequent die Möglichkeiten von
Individuen
zur
Selbstbestimmung
zu
erweitern
und
„Identitätsfixierungen“ (ebd., S. 216) zu vermeiden.
Nach Ulrike Hormel und Albert Scherr sind damit die zentralen
116
Anforderungen an eine Diversity Perspektive für die Pädagogik
benannt. Dabei ist klar geworden, dass eine solche Perspektive
nicht von Problematiken einer „interkulturellen“ Perspektive
befreit, so kann es durchaus zu Kulturalisierungen oder
Essentialisierungen
kommen.
pädagogischen Ansätzen,
Dem
welche
an
muss
diese
auch
in
Perspektive
anschließen, Rechnung getragen werden. Ist dies der Fall, kann
Diversity, so Ulrike Hormel und Albert Scherr beispielsweise
in der Schule als „Querschnittsperspektive für unterschiedliche
Themen und Fächer“ (ebd., S. 232) dienen. Eine Bedeutung
messen die Autor_innen der Perspektive auch bei der
„Organisationsentwicklung von Schulen und Hochschulen“
und „für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von PädagogInnen“
(ebd., S. 233) zu, „[d]enn die Herausforderung eines
angemessenen
Umgangs
mit
Differenz
[…]
ist
ein
durchgängiges Element des pädagogischen Alltags“ (ebd.).
4.3.3
Diversity hegemoniale Praxis oder
herrschaftskritisches Instrument
Ulrike Hormel und Albert Scherr haben beschrieben, unter
welchen Umständen eine Diversity Pädagogik kritisch an die
117
traditionelle „Interkulturelle Pädagogik“ anschließen kann und
über diese hinausgeht. Dabei ist klar geworden, dass an das
Konzept durchaus auch unreflektiert angeschlossen werden
kann und auch angeschlossen wird (vgl. ebd., S. 205). Dies soll
zum Anlass genommen werden, an dieser Stelle noch einmal
spezifisch
nach
dem
möglicherweise
problematischen
Potenzial von Diversity zu suchen.
Maureen Maisha Eggers sieht Diversity als „zunehmend
umkämpfte Ressource“ (Eggers 2011, S. 258). So kann
Diversity als „herrschaftskritisches Instrument“ (ebd., S. 259)
gegen Diskriminierung und Ausgrenzung eingesetzt werden.
Jedoch lässt sich auch ein Gebrauch von Diversity als
hegemoniale Praxis beobachten. Hierbei werden gerade die
herrschafts- und machtkritischen Aspekte von Diversity
entschärft. Gelingt es, die „Normalität von Diversität zu
banalisieren“
(ebd.,
Machtverhältnisse
zu
S.
258),
also
verschleiern,
damit
rücken
verbundene
die
damit
verbundenen Ungleichheitsverhältnisse aus dem Blick, was
Diversity den „gesellschaftskritischen Stachel“ (ebd., S. 259)
zieht
und
zugleich
gegebene
Ungleichheitsverhältnisse
118
stabilisiert.
Ein Potenzial zur Veränderung vorhandener gesellschaftlicher
Macht- und Dominanzverhältnisse sieht Maureen Maisha
Eggers darin, dass Heterogenität, welche immer vorhanden ist,
auch wissenschaftlich wahrgenommen wird. Das könnte ihrer
Meinung nach auf den Konstruktionscharakter von Normalität
verweisen und damit den Raum für „neue Vorstellungen und
Entwürfe von lebbaren und repräsentierbaren Normalitäten“
(ebd., S. 261) eröffnen.
Auch Paul Mecheril erkennt die „hegemonialen Wirkungen“
(Mecheril
2006),
welche
Diversity
innewohnen
und
gleichzeitig, wie Maureen Maisha Eggers „'das emanzipative'
Potenzial“ (ebd.). Paul Mecheril attestiert dem Konzept also
eine Ambivalenz, welche es zu beachten gilt, wenn nicht
unreflektiert Macht- und Dominanzverhältnisse (re-)produziert
werden sollen.
So kann Diversity laut Paul Mecheril „eine Praxis der
raffiniert(er)en Annexion von Differenzen / Identitäten“ (ebd.)
und damit eine hegemoniale Praxis darstellen.
119
Werden
innerhalb
von
Diversity
Konzepten
die
Verschränkungen der verschiedenen Differenzlinien nicht
ausreichend beachtet, kann dies, so Paul Mecheril, „zu einem
entschärfenden und nivellierenden Bezug“ (Mecheril 2006) auf
diese führen, was die
Festlegung von Identitäten anhand
dominanter Differenzschemata zur Folge haben kann.
Zudem muss angesichts der Verbreitung von Diversity in der
Wirtschaft die Frage gestellt werden, wer von Diversity
Programmen in den konkreten Fällen tatsächlich profitiert.
Wird Diversity lediglich eingesetzt, um die Profite von
Unternehmen zu maximieren, was naheliegend ist, stellt diese
Instrumentalisierung von Differenzen dar. Ebenso wie die
angesprochene Festschreibung von Identitäten muss dies als
machtvoller Moment von Diversity gesehen werden, welcher
die Stärkung von Hegemonien zur Folge hat.
Zentral ist für Paul Mecheril also, „das machtvolle Potenzial“
(ebd.) von Diversity-Ansätzen in der Praxis zu reflektieren. Die
durchaus vorhandenen machtkritischen und emanzipativen
Potenziale von Diversity können bei der Beachtung von
Differenzen helfen, wodurch der „Ausschluss marginalisierter
120
Positionen / Identitäten“ (ebd.) gemindert werden kann.
4.4 Intersektionalität
Neben
Diversity-Ansätzen,
welche
viele
verschiedene
Differenzlinien in den Blick nehmen, aber zugleich normative
und
programmatische
Ziele
definieren,
existiert
das
Intersektionalitätsmodell, welches weniger als Programm, denn
als Forschungsparadigma zu verstehen ist.
Durch die analytische Konzentration auf „Kultur“ als
Differenzkategorie besteht für die „Interkulturelle Pädagogik“
die Gefahr, die Vielzahl anderer Differenzkategorien, welche
für eine sinnvolle Analyse auf theoretischer und praktischer
Ebene von Bedeutung sind, aus den Augen zu verlieren. Stellen
doch
gerade
die
Verschränkungen,
Kreuzungen
und
Verknüpfungen von „Kultur“ als Differenzkategorie mit
anderen Differenzkategorien einen wichtigen Bezugspunkt dar.
Deshalb
soll
an
dieser
Erziehungswissenschaften
Stelle
auch
diskutierte
auf
in
Konzepte
den
der
Differenzlinien und der „Intersektionalität“ eingegangen
werden, welche sich mit eben solchen Verschränkungen
121
verschiedener
Differenzkategorien
beziehungsweise
Differenzlinien und den damit einhergehenden Effekten
beschäftigen.
Die Intersektionalitätsanalyse (intersectionality) hat ihren
Ursprung in der Genderforschung. Hier plädierten „vor allem
schwarze US-amerikanische Feministinnen“ (Lutz 2001, S.
222) dafür, die einzelnen Differenzen „Gender, „Rasse“ /
Ethnizität, Klasse, Sexualität und Nationalität“ (ebd.) und
deren Wirkungen in ihrer Verschränkung zu untersuchen. Dabei
wird davon ausgegangen, dass sich Menschen „im Schnittpunkt
(intersection)“ (ebd.) dieser Differenzen befinden und so
positioniert „ihre Identitäten, Loyalitäten und Präferenzen
entwickeln“ (ebd.) (vgl. Crenshaw 1994 und Smith 1998).
Auch im deutschsprachigen Raum ist die Beachtung mehrerer
Differenzen zugleich ein Thema. Helma Lutz und Norbert
Wenning haben eine nicht als abgeschlossen aufzufassende
Liste von 13 solcher Differenzlinien mit den dazugehörigen
„Grunddualismen“ (Lutz / Wenning 2001, S.20) erarbeitet,
welche ihrer Meinung nach in erziehungswissenschaftlichen
Diskussionen von Bedeutung sind (vgl. ebd.).
122
Abbildung 2: 13 Differenzlinien (Lutz / Wenning 2001, S. 20)
Alle diese Differenzlinien sind als wirkmächtige soziale
Konstruktionen zu verstehen, anhand derer Menschen in der
Gesellschaft positioniert werden.
Zusammen mit Marianne Krüger-Potratz hat Helma Lutz in
einer späteren Arbeit noch Religion (säkular - religiös) und
Sprache (überlegen - unterlegen) als weitere Differenzlinien
hinzugefügt (vgl. Krüger-Potratz / Lutz 2002, S. 88f). In der
ersten Fassung der Differenzlinien mit Norbert Wennning
wurden diese beiden Differenzen zwar zusammen mit den
123
Linien Bildung und dem Gegensatz von Stadt und Land
genannt, allerdings nicht in die Tabelle eingefügt. Als Grund
wird angegeben, dass sie „jeweils einem anderen Differenzpaar
zugeordnet werden können“ (Lutz / Wenning 2001, S. 20),
dabei handelt es sich um Zugehörigkeit und NichtZugehörigkeit und „Kultur“.
Die erarbeiteten Grunddualismen, beispielsweise „männlich“
und „weiblich“ bei der Differenzlinie „Geschlecht“, sind
hierarchisch angeordnet. Die erste von beiden ist immer die
gesellschaftlich dominante, die Norm darstellende Kategorie,
die zweite Stellt eine Abweichung von dieser Norm, die nicht
dominante Kategorie dar.
Das Modell von Helma Lutz und Norbert Wenning lässt sich
nicht eins zu eins auf alle Zusammenhänge die in dieser Arbeit
Thema sind, übertragen, bietet aber eine sinnvolle Grundlage
für die Überlegungen zu den Wechselwirkungen und
Überschneidungen verschiedener Differenzlinien.
Es wurde bereits angesprochen, dass die Differenzlinien
Religion und Sprache zunächst nicht in der Tabelle von Helma
Lutz und Norbert Wenning aufgeführt sind, weil diese einem
124
anderen Differenzpaar zugeordnet werden können. Bildung
wird dem Klassenbegriff und Religion dem Dualismus
zugehörig und nicht zugehörig zugeordnet (vgl. ebd., S. 20).
Dass die Differenzen zunächst nicht in die Liste aufgenommen
wurden, verweist auf die Grenzen der Vorstellung von
einzelnen separaten Linien, welche sich erst im Nachhinein
kreuzen.
Helma Lutz und Norbert Wenning verweisen auch darauf,
„dass sich Zuordnungen überschneiden können, d.h. dass
Differenzlinien mehrdeutig“ (ebd., S. 21) verortet werden
können. Diese Schwierigkeiten kommen auch bei der
Bearbeitung meines Themas zum Tragen.
So ist „Kultur“, wie gezeigt wurde, von den Linien
„Ethnizität“, „Nation(alität)“ und „Sprache„ gerade auch im
Bezug auf die Diskussion um „Interkulturelle Pädagogik“ nicht
zu trennen, vielmehr wird „kulturelle“ Differenz oft genau an
diesen Linien festgemacht (vgl. Krüger-Potratz / Lutz 2002, S.
86 und Lutz 2001, S. 226f).
125
5 Fazit
In diesem Abschnitt sollen die Erkenntnisse der im letzten
Abschnitt dargestellten theoretischen Ansätze sowie die des
Exkurses über den Zusammenhang von „Nation“, „Ethnie“,
„Rasse“ und „Kultur“ zu einem zusammenhängenden Bild
zusammengefügt werden. Ich werde also herausarbeiten,
welche Fallstricke, aber auch welche Möglichkeiten für eine
„Interkulturelle-“ beziehungsweise „Migrationspädagogik“ in
der Beschäftigung mit „Kultur“ als Differenzkategorie
verbunden sind.
Zu diesem Zweck werde ich zunächst den Fokus auf die
pädagogische Praxis legen und die zentralen Anforderungen
aber auch Möglichkeiten ausarbeiten, um mich dann im
Anschluss
mit
den
Konsequenzen
für
die
erziehungswissenschaftliche Theoriebildung zu beschäftigen.
5.1 Folgerungen für pädagogische Praxis
Einen zentralen Ausgangspunkt für Überlegungen zum
pädagogischen Umgang mit der Differenzkategorie „Kultur“
bietet das Dilemma der Anerkennung, auf welches unter
126
Anderem Paul Mecheril aufmerksam macht (vgl. Mecheril
2010, S. 190f; Mecheril 2009, S. 9f) und welches schon im
Abschnitt 4.2.6 Thema war.
Dieses Dilemma resultiert, wie weiter oben schon beschrieben,
aus dem Widerspruch, dass „kulturelle“ (beziehungsweise
natio-ethno-kulturelle) Differenzen von Migrationsanderen
beziehungsweise
Anderen
Deutschen,
welche
durchaus
wirkmächtig sind, anerkannt werden müssen. Notwendig ist
dies unter Anderem, um Ungleichheit im Bildungssystem zu
vermeiden und die Selbstbestimmung über die eigene Identität
zu
ermöglichen.
Die
Anerkennung
der
„kulturellen
Differenzen“ führt allerdings zu deren (Re-)Produktion
innerhalb der gegebenen hegemonialen Zugehörigkeitsordnung
und den damit einhergehenden Ungleichheiten (vgl. Mecheril
2009, S. 5ff und Mecheril 2010, S. 181ff und Mecheril 2005, S.
395ff).
Dekonstruktive
Strategien,
Zugehörigkeitsordnung
welche
anschließen,
an
Brüche
wie
in
der
beispielsweise
hybride Identitäten, können zur Veränderung der gegebenen
Zugehörigkeitsordung führen und die darin eingelagerten
127
Dichotomien, in „Wir“ und „die Anderen“ sowie Macht- und
Dominanzverhältnisse in Frage stellen. Die Strategie der
Dekonstruktion
gegebener
Zugehörigkeitsverhältnisse
ist
wiederum nur schwer mit deren Anerkennung zu vereinen, so
tendiert sie „dazu, die Schemata der Unterscheidung zu
übergehen, in denen Menschen sich und andere (v)erkennen
und (miss)achten“ (Mecheril 2003, S. 398).
Für die pädagogische Theorie und Praxis bedeuteten diese
Widersprüche, dass „[s]owohl der Ausschluss als auch die
Produktion
Anderer
durch
professionelles
Anerkennungshandeln“ (Mecheril 2010, S. 190) unvermeidbar
sind. Angesichts dessen bleibt nur die Suche nach „Handlungs-,
Erfahrungs- und Denkformen, die weniger Macht über Andere
ausüben“ (ebd., S. 19). Genau auf diese Suche werde ich mich
im Folgenden machen.
Zunächst soll auf den Fall eingegangen werden, dass die
Anerkennung „kultureller Differenzen“ und damit verbundener
Zugehörigkeiten als notwendig erscheint, beziehungsweise
diese auch ohne Zutun der _ des Pädagog_in zum Thema
werden. Gänzlich voneinander trennen lassen sich affirmative
128
und transformative Denk- und Handlungsweise nicht, was noch
deutlich werden wird. Dennoch werde ich der Übersichtlichkeit
halber eine Trennung versuchen.
Wie schon erwähnt, muss der konkrete Gebrauch und die
Bedeutung von „Kultur“ und die damit einhergehende
Differenz zunächst in der Situation selbst ergründet werden.
Wer
gebraucht
wie
„Kultur“
und
welche
Wirkungen
beziehungsweise Effekte sind damit verbunden?
Das
Wissen
über
die
gängigen
Problematiken
wie
Kulturalisierungen und Essentialisierungen, sowie die Kenntnis
herrschender Kulturdiskurse können bei der Einschätzung
hilfreich sein. Die eigene Situiertheit in natio-ethno-kulturellen
Zugehörigkeitsverhältnissen und damit einhergehende Machtund Dominanzverhältnisse sollten bei der Einschätzung der
Situation
genauso
Beachtung
finden
wie
die
eigenen
Verstrickungen in hegemoniale (Zugehörigkeits-)Diskurse.
Diskurse über Zugehörigkeit sind wie bereits festgestellt
wurde, mit rassistischen Diskursen verwoben, weshalb
beispielsweise der Rückgriff auf „(Critical) Whiteness“ eine
mögliche Form der Reflexion der eigenen Verstricktheit in
129
Zugehörigkeitsdiskurse darstellen kann.
Die (Re-) Produktion von „Wir“ - „die Anderen“ Dichotomien
sollte als solche benannt und problematisiert werden. So kann
die Thematisierung der Herstellung dieser Differenzen
beispielsweise im deutschen Nationalismus, in Gesetzen, etc.
eine Möglichkeit darstellen, diese zu problematisieren und zu
denaturalisieren. Ebenfalls sollten damit einhergehende Machtund Dominanzverhältnisse thematisiert und hinterfragt werden.
Kulturalisierung gilt es zu vermeiden (vgl. Abschnitt 4.1.3.2).
Werden etwa Menschen in erster Linie als Vertreter_innen
„ihrer
Kultur“
betrachtet,
sollten
alternative
nicht-
kultralisierende Erklärungen nahegelegt werden.
Auch die eigenen Vorstellungen sollten auf solche reduktiven
Betrachtungsweisen überprüft werden. Diese führen nicht nur
zu unangemessenen Einschätzungen der Situation, sondern
können auch Festlegungen zur Folge haben, welche die so
betrachteten und behandelten Menschen in ihren Möglichkeiten
der Selbstdefinition einschränken. Gefährlich naheliegend sind
Kulturalisierungen
zum
Beispiel
dann,
Adressat_innen selbst „kulturell“ verorten.
130
wenn
sich
Insbesondere statische und homogenisierende Kulturbegriffe
bergen die Gefahr von Kulturalisierungen, beispielsweise in
Form von „die Italiener sind halt so und so“. Dementsprechend
sollte der eigenen Praxis ein offener und dynamischer
Kulturbegriff zu Grunde liegen, welcher das Individuum nicht
einfach als Ausführenden „kultureller“ Vorgaben betrachtet,
sondern „die (potenzielle) Flexibilität und Reflexivität der
Subjekte gegenüber“ (Leiprecht 2001, S. 23f) „kulturellen“
Einflüssen betont und sie zugleich als die Produzent_innen von
„Kulturen“ betrachtet (vgl. Abschnitt 2).
Situationen, welche als „interkulturelle“ betrachtet werden,
legen den Fokus auf „Kultur“ häufig nahe. Die konsequente
Beachtung weiterer Differenzlinien wie „Geschlecht“, „Alter“,
„Sozialstatus“, etc. ist deshalb von besonderer Bedeutung um
reduktiven Betrachtungen entgegen zu wirken.
Im Rahmen der Pädagogik der Mehrfachzugehörigkeit weist
Paul Mecheril darauf hin, dass neben der Anerkennung der
sozialen („kulturellen“) Kontexte, in welchen Migrationsandere
„ihre Identität entwickelt haben“ (Mecheril 2003, S. 393), die
Anerkennung Migrationsanderer als politische Subjekte eine
131
weitere Ebene der Anerkennung darstellt. Hierbei stößt die
Pädagogik schnell an ihre Grenzen. So können Möglichkeiten
zur gesellschaftlichen Partizipation durch Pädagog_innen nur
in einem eingeschränkten Rahmen verwirklicht werden, wenn
grundlegende Rechte wie das Wahlrecht aufgrund von
Gesetzten
beschränkt
demokratischer
sind.
Verhältnisse
grundlegende Voraussetzung
Gleiche
sind
Rechte
innerhalb
dementsprechend
eine
für die Anerkennung
von
Migrationsanderen (vgl. ebd., S.392f, Hamburger 2009, S. 143,
Auernheimer 1999, S. 32).
Der anerkennende Bezug und die Thematisierung der
„kulturellen“
Zugehörigkeiten
Differenz
stellen
und
jedoch
damit
nur
verbundener
eine
mögliche
Handlungsorientierung dar. Auch die Differenzen nicht zu
betonen, nicht zu thematisieren, kann im Sinne der „Reflexiven
Interkulturellen Pädagogik“ sinnvoll sein (vgl. Hamburger
2009, S. 133f). Dies schließt, wie weiter oben schon
beschrieben, die Thematisierung, wenn diese denn notwendig
ist, nicht aus (vgl. Abschnitt 4.1). Die Entscheidung darüber,
132
wann diese Notwendigkeit gegeben ist, setzt Reflexivität
voraus und wie weiter oben schon betont, bewegen sich
Pädagog_innen damit innerhalb eines Widerspruchs, den sie
auch nicht überwinden werden. Dies ist der Grund dafür, dass
auch die Ergebnisse der Reflexion letztlich wieder zu
reflektieren sind.
Eine
weitergehende
transformative
Handlungsperspektive
eröffnen dekonstruktive Strategien, welche potenziell zur
Veränderung hegemonialer Zugehörigkeitsordnungen beitragen
können (vgl. Abschnitt 4.2.4).
Paul Mecheril unterscheidet im Rahmen der Pädagogik der
natio-ethno-kulturellen Mehrfachzugehörigkeit zwei Formen
der Transformation, neben der akkulturativen gibt es die
dekonstruktive Transformation.
Die akkulturative Transformation zielt auf die Ermöglichung
von
Handlungsfähigkeit
innerhalb
dominanzkultureller
Verhältnisse, welche bestimmte „kulturelle“ und sprachliche
Lebensformen
priviligieren.
Mittelschichtsorientierung in den
Hier
kann
die
Schulen Deutschlands als
Beispiel dienen.
133
Als Akkulturation bezeichnet Paul Mecheril, wie in Abschnitt
4.2.7 beschrieben, den zwanglosen Prozess des zusätzlichen
Erwerbs von Qualifikationen, welche eine Teilhabe an
dominanzkulturellen Kontexten ermöglichen (vgl. Mecheril
2011, S. 186). Akkulturation erfolgt unter Beibehaltung der
natio-ethno-kulturellen
Mehrfachzugehörigkeit,
die
vollständige Assimilation in den Dominanzkontext ist gerade
nicht das Ziel.
Das Moment der Uneindeutigkeit der Zugehörigkeit von
Mehrfachzugehörigen stellt die binäre Ordnung natio-ethnokultureller
Zugehörigkeiten,
welche
von
eindeutigen
Zuordnungen zu nur einer „Nation“ oder „Ethnie“ ausgehen,
infrage. Es wird nicht der „Inländerstatus der Ausländer_innen
[ge]fordert, sondern das Deplazierte“ (Mecheril 2003, S. 402).
Durch die Anerkennung und den Anschluss an Formen der
Mehrfachzugehörigkeit selbst kommt es also möglicherweise
schon
zu
einer
Schwächung
hegemonialer
Zugehörigkeitsordnungen.
An
dieser
Stelle
soll
kurz
auf
zwei
134
Formen
der
Mehrfachzugehörigkeit eingegangen werden, welche bisher nur
am
Rande
thematisiert
wurden.
Transnationalität
und
Hybridität stellen zwei Phänomene dar, welche, laut Paul
Mecheril,
die
Grenzen
der
hegemonialen
Zugehörigkeitsordnungen in Frage stellen.
Unter Transnational können zunächst all jene Phänomene
zusammengefasst werden, welche über die Grenzen von
Nationalstaaten hinaus gehen. Abgegrenzt werden muss
transnational von international, welches sich auf Beziehungen
zwischen Nationalstaaten bezieht. Von Bedeutung für diese
Arbeit ist in erster Linie transnationale Migration.
Diese stellt keine lineare Bewegung vom Herkunftsland zum
Einwanderungsland dar. Der Verbundenheit zu einem nationalkulturellen Kontext wird die „Plurilokalität“, die Verbundenheit
zu mehreren solcher Kontexte entgegengesetzt. Möglich wird
eine solche Mehrfachverbundenheit durch Pendelmigration,
aber
auch
nationale
Grenzen
überschreitende
Kommunikationsstrukturen (Mecheril 2010, S. 51ff). Durch
diese Transmigrationsprozesse werden „soziale, materielle und
subjektive Realitäten – transnationale Räume“ (Mecheril 2010,
135
S. 51, Hervorhebung R.K.) geschaffen, welche sich „von
traditionellen
nationalen
Lebenskontexten
unterscheiden“
(ebd.).
Kritisch
ist
anzumerken,
dass
auf
der
Suche
nach
transnationalen Phänomenen die national-kulturellen Kontexte
als tendenziell homogene gedacht werden müssen. Durch den
Fokus auf die Grenzen von Nationalstaaten überschreitende
Phänomene,
wie
die
Transmigration,
schreibt
das
Transnationalitätskonzept „die vorrangige Bedeutung von
Territorialität bzw. Räumlichkeit als Form der sozialen
Grenzziehung bzw. der Strukturierung sozialer Prozesse fort“
(Bommes 2003, S. 104).
Das Konzept „kultureller Hybridität“ kommt ursprünglich aus
den Postcolonial Studies und wurde von Homi K. Bhabha
geprägt (vgl. Ha 2011, S. 345f). Mit Hybridität wird wie bei
der Mehrfachzugehörigkeit ein Mischzustand von mehreren
„kulturellen“
Zugehörigkeiten
beschrieben,
welche
hegemoniale, auf Eindeutigkeit ausgerichtete Konstrukte von
Zugehörigkeit potenziell zersetzen. Die „geglaubte und sozial
praktizierte
Reinheit
und
Exklusivität
der
136
natio-ethno-
kulturellen Identität“ (Mecheril 2003, S. 331) wird durch
Hybridität irritiert. Damit schließt Hybridität allerdings auch
immer an hegemoniale Praxen der Unterscheidung an und
(re-)produzieren diese.
Alle
Formen
der
natio-ethno-kulturellen
Mehrfachverbundenheit können als Ressourcen gedeutet
werden, allerdings stellt Mehrfachzugehörigkeit auch immer
einen prekären Status dar und geht für die Individuen oft mit
Diskriminierungen einher (vgl. Mecheril 2003, S. 333).
„Doppelte Halbsprachigkeit“ beispielsweise wird gerade in der
Schule selten als Ressource betrachtet, sondern gilt als
Problem.
In der Anerkennung „lingualer Hybridität“ (ebd., S. 409)
außerhalb marginalisierter Räume, kann eine dekonstruktive
Strategie
bestehen,
welche
die
hegemonialen
Zugehörigkeitsverhältnisse, welche auch mit (Hoch-) Sprache
verknüpft sind, in Frage zu stellen. Dabei dürfen akkulturative
Angebote
nicht
vernachlässigt
werden,
welche
die
Handlungsfähigkeit Migrationsanderer in Dominanzkontexten
ermöglicht.
137
5.2 Folgerungen
Theorie
für
die
pädagogische
Für die pädagogische Theorie in der Migrationsgesellschaft ist
ebenso wie im letzten Abschnitt für die pädagogische Praxis
beschrieben,
ein
Analysewerkzeug
reflektierter
bedeutsam.
Kulturbegriff
als
Beachtung
des
Die
Konstruktcharakters von „Kultur“, wie auch die damit
einhergehenden Macht- und Dominanzverhältnisse spielen eine
zentrale Rolle für einen nicht naiven Umgang mit der
Differenzkategorie „Kultur“.
Durch die Untersuchung von Kulturdiskursen kann, wie
gezeigt wurde, die Produktion der Differenzkategorie „Kultur“
erforscht
werden,
was
wiederum
die
Reflexion
der
Verstrickungen pädagogischer Theorie und Praxis in diese
Diskurse erlaubt.
Konkret bedeutet dies, die im Abschnitt 3 im Bezug auf
Deutschland
Theorie
thematisierten Verstrickungen
und
Praxis
in
pädagogischer
Konstruktionsprozesse
von
Nationalstaaten zu erforschen.
Die aus den Transnational Studies kommende Kritik des
138
methodologischen Nationalismus kann dabei helfen, reduktive
Vorannahmen als solche zu erkennen und zu vermeiden (vgl.
Kongeter
2009).
Kritisiert
Sozialwissenschaften
„Einführung
wird
verbreitete
des
hier
(vgl.
Nationalstaats
die
ebd.,
als
in
S.
den
340f)
implizite
Hintergrundvariable in die Analyse der sozialen Wirklichkeit“
(ebd., S. 343), welche „zu einer Überbetonung der territorialen
Grenzen“ (ebd.) führt.
Die Kritik am methodologischen Nationalismus verweist auf
die Vorteile einer transnationalen (Forschungs-) Perspektive,
welche soziale Prozesse und Strukturen nicht nur innerhalb der
nationalstaatlichen Grenzen, sondern (wenn nötig) darüber
hinausgehend betrachtet. Dies erscheint gerade bei der
Betrachtung und Erforschung von „Kultur“ und der damit
verbundenen
Diskurse
als
sinnvoll,
insofern
mit
der
Differenzkategorie Grenzen zwischen einem „Innen“ und
„Außen“ beziehungsweise einem nationalen „Wir“ und „den
Anderen“ gezogen werden (vgl. Abschnitt 2.3, 3.5, 3.6).
Stefan Kongeter macht bei der Untersuchung der Gründe für
einen methodologischen Nationalismus auf den Einfluss des
139
Staates auf die Wissenschaften aufmerksam (vgl. Kongeter
2009, S. 352ff). Angesichts der in Abschnitt 3 angesprochenen
Verstrickungen der Pädagogik in nationalistische Diskurse gilt
es diesen Hinweis ernst zu nehmen und mögliche die
wissenschaftliche Perspektive im Sinne des methodologischen
Nationalismus einschränkende Faktoren zu beachten.
In Abschnitt 3 wurde unter Anderem auf die Verstrickungen
von Diskursen über „Rasse“ mit „Kultur“ eingegangen (vgl.
Mecheril 2010, S. 87f und Höhne 2001, S. 200ff). Die
Verstrickungen machen auf die Notwendigkeit aufmerksam, sie
innerhalb der Erziehungswissenschaften zu reflektieren, um sie
vermeiden zu können. Nur so kann einer (unbewussten)
Verstrickung in rassistische Diskurse entgegen gearbeitet
werden.
Die im Abschnitt 5.1 über die Folgerungen für pädagogische
Praxis bereits angesprochene Gefahr von Kulturalisierungen
spielt selbstverständlich auch in der pädagogischen Theorie
eine Rolle und sollte dementsprechend berücksichtigt werden,
um reduktive Betrachtungen zu vermeiden, welche gerade in
einer „interkulturellen“ Perspektive nahe liegen können.
140
Die konsequente Berücksichtigung von mehr Differenzen als
die der „Kultur“ kann hierbei hilfreich sein und ist wie unter
Anderem in Abschnitt 4.4 angesprochen notwendig, um die
Komplexität der Ungleichheitsverhältnisse analysieren zu
können,
welche
für
eine
Pädagogik
in
der
Migrationsgesellschaft von Bedeutung sind.
Wie in Abschnitt 4.2.3 bereits angesprochen, bedarf nicht nur
die Kategorie „Kultur“ einer besonderen Reflexion. Auch
damit verbundene „Beschreibungs- und Analysekategorien“
(Mecheril 2002, S. 105) wie beispielsweise Migrant_innen,
„mit Migrationshintergrund“, etc. bedürfen der Reflexion,
insofern sie immer auch „Instrumente der Erzeugung sozialer
Realität“
(ebd.)
beziehungsweise
darstellen.
Mit
Migrationsanderen
Anderen
und
Deutschen
natio-ethno-
kultureller Zugehörigkeit(-sordnung) hat Paul Mecheril ein
Instrumentarium geschaffen, an welches im Sinne dieser
Reflexion angeschlossen werden kann.
Zu berücksichtigen bleibt, ob den Kategorien überhaupt der
Stellenwert zukommt, welcher ihnen oft im Alltagsverständnis
beigemessen wird. So verliert beispielsweise, wie Franz
141
Hamburger schreibt, der „'Migrationshintergrund' […] an
Erklärungskraft“ (Hamburger 2009, S. 190f).
Das im Abschnitt 5.1 schon für die pädagogische Praxis als
zentral
für
den
Umgang
mit
„kultureller
Differenz“
herausgestellte Dilemma, welches mit der Anerkennung
„kultureller Differenzen“ beziehungsweise Zugehörigkeiten
verbunden
ist,
hat
auch
Bedeutung
für
die
erziehungswissenschaftliche Theoriebildung und Forschung.
So gilt es zu untersuchen, wie Anerkennung unterschiedlicher
„kultureller“ Zugehörigkeiten etwa in der Schule möglich ist.
Formen der Mehrfachzugehörigkeit wie die „kulturelle
Hybridität“ und transnationale soziale Räume (vgl. Abschnitt
5.1) stellen, wie schon erwähnt, wichtige Bezugspunkte für
Konzepte dar, welche gegebene Zugehörigkeitsordnungen und
damit einhergehende Macht- und Dominanzverhältnisse nicht
einfach
(re-)produzieren
wollen,
sondern
auf
deren
Veränderung zielen.
Dabei müssen die schon erwähnten Problematiken, wie die
prekäre
soziale
Position,
welche
142
beispielsweise
mehrfachzugehörige Andere Deutsche innehaben, mitbedacht
werden.
5.3 Resümee
Wie aufgezeigt wurde, stellt „Kultur“ und die damit
verbundenen Zugehörigkeitsordnungen einen komplexen, aber
auch wichtigen Bezugspunkt für die pädagogische Theorie und
Praxis dar.
Allein die Anerkennung „kultureller Differenzen“ kann vor
dem Hintergrund der in dieser Arbeit erläuterten Probleme, wie
die der Festschreibung von Identitäten und der (Re-)Produktion
von Dichotomien und damit verbundener Macht- und
Dominanzverhältnisse keine zufriedenstellende Perspektive
mehr für eine Pädagogik darstellen.
Das daraus folgende Dilemma erfordert, wie beschrieben
wurde, einen hohen Grad an Reflexivität. Gerade diese
Komplexität muss für die Übertragung der
erziehungswissenschaftlichen Theorie in die pädagogische
Praxis als Hindernis angesehen werden. Der hohe Grad an
143
Komplexität und erforderlicher Reflexivität kann als ein Grund
dafür betrachtet werden, weshalb reduktionistische
Kulturkonzepte gerade in der Praxis noch verbreitet sind. So
bieten beispielsweise „kulturelle“ Stereotypen eine
Handlungssicherheit, welche in der alltäglichen Praxis oft
gesucht wird (vgl. Kalpaka 2005, S. 396).
Die Suche nach Umgangsweisen mit „Kultur“, welche für eine
alltägliche pädagogische Praxis praktikabel sind, sehe ich
deshalb als eine der zentralen Herausforderungen, sowohl für
die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung, als auch für
die Reflexion der pädagogischen Praxis selbst.
Mögliche Strategien zur Veränderung hegemonialer
Zugehörigkeitsordnungen müssen bei diesen Reflexionen
Thema sein, wenn durch pädagogische Praxis Menschen nicht
in marginalisierten Positionen festgeschrieben werden sollen.
So ist zu bezweifeln, dass mit der Verbreitung transnationaler
Phänomene, beispielsweise in der Pop- und Jugendkultur auch
statische Kulturverständnisse und damit verbundene „kulturelle
Differenzen“ quasi automatisch verschwinden. Wie die
Entwicklung des „kulturellen Rassismus“ aus dem „klassischen
144
Rassismus“ oder auch die Entwicklung des „deutschen“
Nationalismus zeigt (vgl. Keil 2009, S. 20ff), kommt es zwar
immer wieder zu Rekonstruktionen bei der Festlegung von
„kulturell“ definierten Zugehörigkeitsgrenzen, allerdings
führen diese in der Regel nicht zu deren Abschaffung.
Eine zentrale Position bei der (Re-)Produktion von
hegemonialen Zugörigkeitsordnungen haben, wie im Exkurs
über „Nation“, „Ethnizität“, „Rasse“ und „Kultur“
herausgearbeitet wurde, moderne Nationalstaaten. Die
Herstellung nationaler Gemeinschaften und der damit
einhergehenden Zugehörigkeitsordnungen ist jedoch niemals
abgeschlossen, sondern stellt einen permanenten Prozess dar,
welcher unter Anderem aufgrund transnationaler Phänomene,
immer mit Brüchen einher geht (vgl. Balibar 1992a) und damit
Ansatzpunkte für eine pädagogische Praxis bietet, welche
darauf „zielt […] nicht dermaßen auf symbolische, räumliche,
institutionelle Einteilungen von Menschen angewiesen zu sein,
die ihre Würde und ihr Handlungsvermögen beschneiden“
(Mecheril 2010, S. 19).
145
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