Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21

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Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts
Position
des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein,
Landesverband der inneren Mission e.V.
zum Grünbuch
Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
Mitteilung der Kommission, KOM (2006) 708 endgültig
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein, Landesverband der Inneren Mission e.V.
Die Diakonie in Schleswig-Holstein, deren Vertretung der Landesverband darstellt, zählt mit
mehr als 28.000 hauptamtlichen und einigen Tausend ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern zu den größten sozialen Dienstleistern in Schleswig-Holstein.
Als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege steht das Diakonische Werk in der Tradition
gesellschaftlicher Mit-Verantwortung und betrachtet sich als verantwortungsvollen und
verlässlichen Partner bei der Gestaltung sozialstaatlicher Rahmenbedingungen. Das Diakonische
Werk Schleswig-Holstein versteht sich als Akteur innerhalb der Zivilgesellschaft, mit
Arbeitsfeldern, die das gesamte Spektrum des Sozialschutzes betreffen.
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
1
Auf europäischer Ebene setzt sich das Diakonische Werk Schleswig-Holstein gemeinsam mit
ihm nahe stehenden Organisationen für ein solidarisches Zusammenleben, für eine verbesserte
soziale Integration, für eine verstärkte soziale Kohäsion und für den Kampf gegen Armut ein.
Aufgrund dieser Zielsetzungen hat das Diakonische Werk Schleswig-Holstein die nachfolgenden
Anmerkungen zusammengestellt.
Grünbuch Arbeitsrecht
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein begrüßt die Bemühungen der EU Kommission, den
europäischen Diskurs zum Thema Flexicurity einzuleiten und mit dem Grünbuch Arbeitsrecht
einen ersten Schritt in diese Richtung zu unternehmen. Flexicurity ist ein Kunstwort, das sich aus
den Wörtern Flexibility und Security zusammensetzt. Die inhaltliche Ausrichtung orientiert sich
an arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Konzepten, die in den Niederlanden und in
Dänemark erfolgreich zwischen den Sozialpartnern und den verantwortlichen staatlichen
Ministerien verhandelt und umgesetzt wurden. Neben Fexibility und Security spielen berufliche
Weiterbildung und Qualifizierung eine erhebliche Rolle, die in dieser Konsultation wie auch in
dem Diskurs um Flexicurity nicht unterschlagen werden sollten.
Das Grünbuch will sich auf personenbezogene weniger auf tarifliche Aspekte (Grünbuch, S. 4)
konzentrieren. Aus diesem Grund erlaubt sich das Diakonische Werk Schleswig-Holstein eine
Zielgruppen bezogene Betrachtungsweise der Ausführungen des Grünbuchs.
Allgemeine Anmerkungen
Als Zielsetzung des Grünbuchs wird festgehalten: „Im vorliegenden Grünbuch wird untersucht,
wie mit Hilfe des Arbeitsrechts Fortschritte bei der „Flexicurity“-Agenda erzielt werden können
und damit das Entstehen eines Arbeitsmarktes gefördert werden kann, der gerechter,
reaktionsfähiger und integrativer ist und dazu beiträgt, Europa wettbewerbsfähiger zu machen.“
(Grünbuch, S. 4) In Fußnote 7 verweist die Kommission darauf, dass das Arbeitsrecht nicht der
alleinige Faktor für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist, sondern dass eine Überprüfung
der Steuerlast und eine Senkung der Lohnnebenkosten sowie der Übergang von steuerlichen
Belastungen bezogen auf
Arbeit hin zu Umwelt- und / oder Verbrauchssteuern relevante
Aspekte darstellen.
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
2
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass die
Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sich nicht in Kostensenkungsstrategien erschöpfen darf
und dass die Konzentration auf juristische und fiskalische Aspekte des Arbeitsmarktgeschehens
Bereiche ausblendet, die gleichermaßen relevant für die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit
und Produktivität sind. Laut der „Vierten Europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen“
(2006) der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zählen
zu
solchen
Bereichen
die
Arbeitsorganisation,
Arbeitszeit,
Beschäftigungsfähigkeit,
Arbeitszufriedenheit, Gesundheitsauswirkungen, Bekämpfung von Gewalterfahrungen und
Belästigungen, Nachhaltigkeit der Beschäftigung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Engführung auf den Bereich des Arbeitsrechts verstellt den Blick auf die Notwendigkeit
eines
PolicyMix,
der
für
eine
sozial
ausgewogene
Bewältigung
von
Flexibilisierunganforderungen notwendig sein wird.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Zusammenhalt in der europäischen Union nicht nur von
ökonomischen Aspekten bestimmt wird, sondern auch von gemeinsamen Werten wie Solidarität,
Zusammenhalt, sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit, angemessenen Sicherheits- und
Gesundheitsbedingungen
am
Arbeitsplatz,
allgemeinem
Zugang
zu
Bildung
und
Gesundheitsversorgung, nachhaltiger Entwicklung und Einbeziehung der Zivilgesellschaft 1
geprägt ist. „Die soziale Dimension ist Grundwert und Ziel europäischer Politik,“ hat der
Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, am 18. Januar 2007 beim
informellen Treffen der europäischen Arbeits- und Sozialminister in Berlin erklärt. Das
Europäische Parlament hat sich in seinem Entschließungsantrag vom 13. Juli 2006 gegen die
Dichotomisierung
von
Sozialem
und
Wirtschaft
gewandt
und
festgehalten,
dass
„Wettbewerbsfähigkeit und Sozialmodell keine Gegensätze, sondern vielmehr von einander
abhängig sind. Der Modernisierungszeitplan sollte auf dem Grundsatz basieren, dass eine
sachgemäß ausgearbeitete Sozialpolitik ein Produktivfaktor von Wirtschaftswachstum und
Wohlstand ist.“ (EP, Entschließungsantrag zu einem Europäischen Sozialmodell für die Zukunft,
13.07.2006, A6-0238/2006) Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein unterstützt diese
grundsätzliche Ausrichtung und betont die Notwendigkeit
von tragfähigen sozialen
Sicherungssystemen, die zu den Grundpfeilern des europäischen Sozialmodells zählen.
1
KOM 2005/0525 endg. Europäische Werte in der globalisierten Welt
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
3
Beteiligung der Stakeholder
Das Grünbuch lädt die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und andere relevante
Akteure2 zu einer ergebnisoffenen Debatte ein, die sich auf die Frage konzentriert, wie das
Arbeitsrecht zur Förderung der Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit,
unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags, und damit letztendlich zu mehr Beschäftigung
und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen kann. (Grünbuch S. 4)
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission dieses
Konsultationsverfahren nicht auf die Sozialpartner beschränkt, sondern auch NichtRegierungsorganisationen die Möglichkeit der Beteiligung an diesem europäischen Diskurs
anbietet. In regionalen und lokalen Bezügen arbeiten NRO an vielen Stellen mit arbeitslosen und
von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen. NRO sind häufig in europäische Projekte (über
EQUAL, LEONARDO, GRUNDVIG etc.)
und in die aktive Umsetzung Arbeitsmarkt
politischer Strategien im Rahmen der Strukturfonds, insbesondere des ESF, eingebunden. Sie
verfügen über einen umfassenden Kenntnisstand, der die kreative und effiziente Entwicklung
von Strategien und Maßnahmen wie auch des Flexicurity-Ansatzes auf der EU Ebene
unterstützen kann. Es gilt strukturierte Dialogformen zu entwickeln, die die Beteiligung der
unterschiedlichen Akteure effektiv und effizient ermöglichen.
Prekarisierung
Das Grünbuch stellt fest, dass die Segmentierung des Arbeitsmarktes
zu einer
Gegenüberstellung von „Insidern“ (unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, arbeitsrechtlich durch
einen Arbeitsvertrag geregelt, ein einziger Arbeitgeber) und „Outsidern“ (Arbeitslose, Menschen
in prekären und illegalen Beschäftigungsverhältnissen) geführt hat. Bei der letzteren Gruppe
sind Arbeits- und Schutzregeln minimiert, was zu großer Unsicherheit im Privatbereich und auch
im Beschäftigungsbereich führt. Bei der Gruppe der „Insider“ können zu starre Schutzregeln
unter Umständen einen Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel, Weiterbildungsbeteiligung oder
andere durch den Wandel in der Arbeitswelt notwendig gewordene Veränderungsanforderungen
verhindern.
2
Auch der Gemeinsame Beitrag des Beschäftigungsausschusses und des Ausschusses für Sozialschutz (12.Mai
2006, endgültig) zu Flexicurity weist auf die Notwendigkeit der Einbeziehung der Sozialpartner und anderer
relevanter Akteure hin.
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
4
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein teilt die Besorgnis der Kommission über das
Anwachsen prekärer Beschäftigungsverhältnisse, teilt allerdings nicht die Schlussfolgerungen,
die sie aus dieser Feststellung zieht, nämlich Normalarbeitsverhältnisse als Wettbewerbs- und
Produktivitätsbremse zu betrachten. Vielmehr schließt sich das Diakonische Werk SchleswigHolstein den Schlussfolgerungen des informellen Treffens der Ministerinnen und Minister für
Beschäftigung und Soziales vom 18.-20. Januar 2007 in Berlin an: „Reguläre Arbeitsverhältnisse
sind unverzichtbar. Sie geben Sicherheit und stärken nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit. Die
Mitgliedstaaten sind
aufgerufen,
Standardarbeitsverhältnis
zu
entsprechend
stärken
und
ihren
nationalen Gepflogenheiten das
seine
Umgehung
durch
a-typische
Beschäftigungsformen zu begrenzen.“3
Flexibilisierung hat bereits einen nicht unerheblichen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung in der
Europäischen Union erreicht: Teilzeitarbeit ist von 13% auf 18% in den letzten fünfzehn Jahren
gestiegen, befristete Beschäftigung von 12% auf 14%, 15% aller Erwerbstätigen sind
selbstständig, 10% aller Erwerbstätigen in der EU-25 sind allein arbeitende Selbstständige
(begründen keine weiteren Beschäftigungsverhältnisse). (Grünbuch S. 8-9) Bei der zuletzt
genannten Erwerbstätigengruppe liegt die Vermutung nahe, dass sich hier ein nicht
unbeträchtlicher Teil an Scheinselbständigkeit verbirgt.
Ergänzend muss festgehalten werden, dass im Jahr 2003 16% der Bevölkerung der EU-25 (etwa
72 Millionen Menschen) von finanzieller Armut bedroht waren. Das Risiko, unter die
Armutsgefährdungsschwelle zu fallen, ist für Arbeitslose, Nichterwerbstätige, Alleinerziehende,
Behinderte und chronisch Kranke besonders hoch. Im Jahr 2003 galten in der EU-25 etwa 31,7
Millionen Menschen als vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt, das sind 8,5 % der Bevölkerung im
erwerbsfähigen Alter (15- bis 64-Jährige) 4. Die Zahlen lassen den Schluss zu, dass sich
Flexibilisierung und ungesicherte Arbeitsverhältnisse in Prekarisierung und verschärften
Armutsrisiken niederschlagen.
3
Informelles Treffen der Ministerinnen Minister für Beschäftigung und Soziales vom 18.-20. Januar 2007 in Berlin,
Schlussfolgerungen des Vorsitzes in Zusammenarbeit mit den zwei nachfolgenden Präsidentschaften Portugal und
Slowenien
4
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT, DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN
EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
über eine Anhörung zu Maßnahmen auf EU-Ebene zur Förderung der aktiven Einbeziehung von arbeitsmarktfernen
Personen, KOM(2006)44 endgültig
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
5
Die Kommission konstatiert in diesem Grünbuch einen Wandel, der sich auf die Partner in den
Auseinandersetzungen um Arbeitsverhältnisse und deren Gestaltung bezieht. Waren es bislang
die Sozialpartner, die in Tarifverhandlungen nach Kompromissen für Arbeitskonflikte gesucht
haben, macht sich die Konfliktlinie laut Grünbuch nun an den Inhabern und Inhaberinnen von
Normalarbeitsverhältnissen und a-typischen Arbeitsverhältnissen fest. Damit verschiebt sich das
Lösungspotential auf die Seite der Beschäftigten und individualisiert sich in Optionen, die dem
Einzelnen / der Einzelnen zur Verfügung stehen und aufgrund spezifischer Lebensumstände
umgesetzt werden können oder ungenutzt bleiben. Auf diese Weise unterstützt das Grünbuch
eine Individualisierungsideologie, die für einen großen Teil der europäischen Beschäftigten
unrealistisch ist und darüber hinaus zu verstärkten Ausgrenzungstendenzen führen kann.
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hält fest, dass am Arbeitsmarkt benachteiligte
Zielgruppen nicht weniger sondern mehr Sicherheit benötigen. A-typische und prekäre
Beschäftigungsverhältnisse sind häufig im Niedriglohnbereich angesiedelt und bewegen sich oft
auf einer niedrigen Qualifizierungsstufe. Qualifizierungsmöglichkeiten stehen in der Regel nicht
zur Verfügung. Neben einem minimalen und oft fehlenden Sozialschutz bieten diese
Beschäftigungsverhältnisse
keine
Existenzsicherung.
Die
Durchlässigkeit
in
andere
Beschäftigungssegmente ist im Augenblick gering, und damit wächst die Wahrscheinlichkeit,
des Gefangenseins in einem andauernden Zustand von Prekarität, der neben der beruflichen
Entwicklung auch andere Lebenschancen bestimmt.
Die Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales haben auf ihrem informellen
Treffen5 in Berlin geschlussfolgert: “Faire Löhne sind ein wichtiges Kennzeichen GUTER
ARBEIT. (…) Lohnersatzleistungen und Mindestsicherungen für Arbeitssuchende sind
Bestandteil eines sozialen Europas, das die Bekämpfung der Armut und der sozialen
Ausgrenzung zu seiner zentralen Priorität erhoben hat.“ Die Ministerinnen und Minister für
Beschäftigung und Soziales benennen darüber hinaus Faktoren wie „Arbeitsbedingungen, die
lebenslanges Lernen und Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung fördern, moderne
Mitarbeiter
orientierte
Führung
und
Arbeitsorganisation“
Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
5
vergl. Fußnote 3
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
6
als
Schlüssel
für
die
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein unterstützt die Forderungen nach einem Existenz
sichernden Einkommen, verlässlichen sozialen Sicherungssystemen, Qualifizierungs- und
Weiterbildungsmöglichkeiten und innovativen Formen der Arbeitsorganisation. Gemeinsame
soziale Mindeststandards tragen zu sozialer Kohäsion bei: „Europa muss für die Menschen da
sein. Europa muss die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen.“ (Die Soziale Dimension
Europas gestalten, Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales, 18. Januar 2007)
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein weist darauf hin, dass sich auch bestehende
„traditionelle“ Beschäftigungsverhältnisse unter hohem Flexibilisierungsdruck befinden.
Unbefristete Arbeitsverhältnisse sind längst kein Garant mehr für dauerhafte Beschäftigung wie
Beispiele auch aus der jüngsten Vergangenheit der Bundesrepublik zeigen (BENQ, Allianz,
Siemens). Unternehmen formulieren ihre Ansprüche deutlich und setzen diese mit Hinweis auf
Betriebsverlagerungen und Kündigungen durch.
Gleichwohl gilt es festzuhalten, dass verkrustete und veraltete Regelungen, die Arbeitnehmern
und Arbeitnehmerinnen, Arbeitssuchenden und Arbeitslosen, den Zugang zu Beschäftigungs-,
Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten versperren, überholt und verändert werden müssen.
Gender
Gender als Querschnittsthema von EU Politiken und Strategien wird in den Ausführungen des
Grünbuchs ignoriert. Frauen werden völlig undifferenziert als am Arbeitsmarkt benachteiligte
Zielgruppe benannt. Lapidar wird festgehalten, dass „die Probleme weiblicher Arbeitnehmer, die
in den neuen Beschäftigungsformen überproportional vertreten sind und nach wie vor beim
Zugang zu vollen Rechten und Sozialleistungen behindert werden, ebenfalls behandelt werden
müssen.“ (Grünbuch, S.10) Das Grünbuch nimmt keinen Bezug auf den europäischen Diskurs
„Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, auf die geschlechtsspezifische Segregation des
Arbeitsmarktes, den „glass-ceiling“ Effekt oder auf Lohndiskriminierung. Vertikale und
horizontale Arbeitsmarktsegregation gehören immer noch zu den Erfahrungen vieler Frauen in
der Arbeitswelt.
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
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Die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in der EU-27 befindet sich im unteren Drittel der
Einkommensskala. Vier Bereiche beschäftigen mehr als die Hälfte aller weiblichen
Erwerbstätigen: Gesundheit, Bildung, Einzel- und Großhandel, und das Hotel und
Gaststättengewerbe. Diese Bereiche sind gekennzeichnet durch einen großen Anteil an
Teilzeitbeschäftigung. Wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen betrachtet werden,
arbeiten Frauen länger als Männer, selbst wenn Frauen Teilzeit berufstätig sind.6
Die Zunahme an Teilzeitarbeitsplätzen (Grünbuch, S. 8) erlaubt den Schluss, dass sich
größtenteils Frauen in diesen Beschäftigungsverhältnissen wieder finden und damit häufig von
Weiterbildungsmaßnahmen und Aufstiegschancen ausgegrenzt sind.
Unter den Vollzeitbeschäftigten in der Bundesrepublik stellen Frauen mit 64,1% beinahe zwei
Drittel aller Niedriglohnbezieher. Betrachtet man alle abhängig Beschäftigten (inklusive Miniund Teilzeitjobs), die einen Niedriglohn beziehen, liegt der Frauenanteil sogar bei 69,6%7.
Niedrige Stundenlöhne und kurze Arbeitszeiten führen dazu, dass insbesondere Frauen geringe
Chancen für eine eigenständige Existenzsicherung haben. Frauen werden häufig als
“Zuverdienerinnen“ betrachtet, deren Existenz über einen besser verdienenden Partner
abgesichert ist. Allerdings
muss diese Absicherung nicht dauerhaft stabil sein, und
Lebensrisiken wie Trennung / Scheidung oder Arbeitslosigkeit zeigen Grenzen auf. Dem Modell
der „Zuverdienerin“ liegt die traditionelle Rollenverteilung zugrunde, die Frauen und Männern
geschlechtsspezifische Aufgaben im privaten und öffentlichen Bereich zuweist. Aus der
Zuständigkeit
von
Frauen
für
Familienaufgaben
entstehen
häufig
diskontinuierliche
Erwerbsbiographien, die reduzierte Rentenansprüche und damit Altersarmut zur Folge haben.
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein regt an, dass die Fragestellungen, die das Grünbuch
aufwirft, unter Gender-Gesichtspunkten betrachtet werden, und der Frage nachgegangen wird,
wie der Diskurs um Flexicurity dazu beitragen kann, Bewegung in die stereotypen
Arbeitsmarktchancen von Frauen zu bringen.
6
Vierte Europäische Erhebung über Arbeitsbedingungen, 2006, Résumé, Europäische Stiftung zur Verbesserung der
Lebens- und Arbeitsbedingungen
7
Frauen und Niedriglöhne, Dr. Claudia Weinkopf, 2007, Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg
Essen
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
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Gesundheit am Arbeitsplatz
Das Grünbuch stellt die Frage nach den Chancen zur Erhöhung der Produktivität (Grünbuch, S.
10), nimmt aber keinen Bezug auf die sich ständig verdichtende Arbeitsintensität in vielen
Beschäftigungsbereichen, die ebenfalls als ein Ausdruck des Flexibilisierungs- und
Existenzdrucks
festgehalten
werden
muss.
Gesundheitliche
Beeinträchtigungen
ganz
unterschiedlicher Art wie zum Beispiel Suchtgefährdung, Depressionen, psychosomatische
Erkrankungen sollten in diesen Rahmen gestellt werden. Psychische und psychosomatische
Erkrankungen betreffen Erwerbstätige wie auch arbeitslose Menschen gleichermaßen und
erfordern medizinische und psychologische Unterstützung, aber auch präventionsgeleitete
Politiken und Strategien. „Betriebliche Prävention und Rehabilitation muss selbstverständlich
werden,“ lautet eine Forderung, die die Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und
Soziales in Berlin aufgestellt haben8.
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein verweist auf das Grünbuch „Die psychische
Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der
psychischen Gesundheit in der Europäischen Union“9 und die Ergebnisse des daraus
resultierenden Konsultationsprozesses, die einen Beitrag leisten können zur Diskussion um die
Qualität und Sicherheit von Arbeitsplätzen. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hat sich
in seiner Stellungnahme zum Grünbuch „Psychische Gesundheit“ zu den belastenden Faktoren
im Kontext der Arbeitswelt ausführlich geäußert und die notwendige Verstärkung präventiver
Ansätze eingefordert.
Schlussfolgerungen
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hält fest, dass Beschäftigung Menschen nicht nur zu
Wirtschaftsakteuren macht, sondern ihnen darüber hinaus im umfassenden Sinn gesellschaftliche
Teilhabe ermöglicht. Für einen „gerechten, reaktionsfähigen und integrativen Arbeitsmarkt“ ist
aus dieser Perspektive ein modernes Arbeitsrecht notwendig, das den Aspekt der sozialen
Sicherheit berücksichtigt, und darüber hinaus ist ein Politikfeld übergreifender Ansatz zu
8
9
Vergl. Fußnote 3
KOM(2005) 484 endgültig
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
9
entwickeln, der die Schlussfolgerungen des informellen Treffens der Ministerinnen und Minister
für Beschäftigung und Soziales10 unter dem Motto GUTE ARBEIT aufarbeitet und umsetzt.
Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein regt an, dass die Europäische Kommission
-
für einen Diskurs über Flexicurity strukturierte Dialogformen anbietet, die eine effektive
und
-
effiziente Beteiligung der unterschiedlichen Akteure ermöglicht.
sich unter Einbeziehung der Sozialpartner, der Nicht-Regierungsorganisationen und
anderer relevanter Akteure für die Entwicklung sozialer Mindeststandards einsetzt, um
die soziale Kohäsion zu unterstützen.
-
Maßnahmen initiiert, die zu mehr sozialer Sicherheit für Beschäftigte in prekären
Beschäftigungsverhältnissen beitragen.
-
Bemühungen unterstützt und fördert, die lebenslanges Lernen in Form von betrieblicher
Weiterbildung und Qualifizierung in Unternehmen als originärem Bestandteil von
Unternehmenspolitik und – entwicklung verankern und allen Beschäftigten zugänglich
machen.
-
die Analyse, die Schlussfolgerungen und die Fragestellungen des Grünbuchs unter
Berücksichtigung des Gender-Aspekts überarbeitet.
-
Erkenntnisse aus der Konsultation zum Grünbuch „Die psychische Gesundheit der
Bevölkerung verbessern“ mit dem Themenbereich ‚Gesundheit am Arbeitsplatz’ verzahnt
und durch verbesserte Möglichkeiten der Prävention und Rehabilitation verstärkt.
10
Vergl. Fußnote 3
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07
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