Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Position des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein, Landesverband der inneren Mission e.V. zum Grünbuch Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Mitteilung der Kommission, KOM (2006) 708 endgültig Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein, Landesverband der Inneren Mission e.V. Die Diakonie in Schleswig-Holstein, deren Vertretung der Landesverband darstellt, zählt mit mehr als 28.000 hauptamtlichen und einigen Tausend ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den größten sozialen Dienstleistern in Schleswig-Holstein. Als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege steht das Diakonische Werk in der Tradition gesellschaftlicher Mit-Verantwortung und betrachtet sich als verantwortungsvollen und verlässlichen Partner bei der Gestaltung sozialstaatlicher Rahmenbedingungen. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein versteht sich als Akteur innerhalb der Zivilgesellschaft, mit Arbeitsfeldern, die das gesamte Spektrum des Sozialschutzes betreffen. Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 1 Auf europäischer Ebene setzt sich das Diakonische Werk Schleswig-Holstein gemeinsam mit ihm nahe stehenden Organisationen für ein solidarisches Zusammenleben, für eine verbesserte soziale Integration, für eine verstärkte soziale Kohäsion und für den Kampf gegen Armut ein. Aufgrund dieser Zielsetzungen hat das Diakonische Werk Schleswig-Holstein die nachfolgenden Anmerkungen zusammengestellt. Grünbuch Arbeitsrecht Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein begrüßt die Bemühungen der EU Kommission, den europäischen Diskurs zum Thema Flexicurity einzuleiten und mit dem Grünbuch Arbeitsrecht einen ersten Schritt in diese Richtung zu unternehmen. Flexicurity ist ein Kunstwort, das sich aus den Wörtern Flexibility und Security zusammensetzt. Die inhaltliche Ausrichtung orientiert sich an arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Konzepten, die in den Niederlanden und in Dänemark erfolgreich zwischen den Sozialpartnern und den verantwortlichen staatlichen Ministerien verhandelt und umgesetzt wurden. Neben Fexibility und Security spielen berufliche Weiterbildung und Qualifizierung eine erhebliche Rolle, die in dieser Konsultation wie auch in dem Diskurs um Flexicurity nicht unterschlagen werden sollten. Das Grünbuch will sich auf personenbezogene weniger auf tarifliche Aspekte (Grünbuch, S. 4) konzentrieren. Aus diesem Grund erlaubt sich das Diakonische Werk Schleswig-Holstein eine Zielgruppen bezogene Betrachtungsweise der Ausführungen des Grünbuchs. Allgemeine Anmerkungen Als Zielsetzung des Grünbuchs wird festgehalten: „Im vorliegenden Grünbuch wird untersucht, wie mit Hilfe des Arbeitsrechts Fortschritte bei der „Flexicurity“-Agenda erzielt werden können und damit das Entstehen eines Arbeitsmarktes gefördert werden kann, der gerechter, reaktionsfähiger und integrativer ist und dazu beiträgt, Europa wettbewerbsfähiger zu machen.“ (Grünbuch, S. 4) In Fußnote 7 verweist die Kommission darauf, dass das Arbeitsrecht nicht der alleinige Faktor für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist, sondern dass eine Überprüfung der Steuerlast und eine Senkung der Lohnnebenkosten sowie der Übergang von steuerlichen Belastungen bezogen auf Arbeit hin zu Umwelt- und / oder Verbrauchssteuern relevante Aspekte darstellen. Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 2 Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sich nicht in Kostensenkungsstrategien erschöpfen darf und dass die Konzentration auf juristische und fiskalische Aspekte des Arbeitsmarktgeschehens Bereiche ausblendet, die gleichermaßen relevant für die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität sind. Laut der „Vierten Europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen“ (2006) der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zählen zu solchen Bereichen die Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Beschäftigungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit, Gesundheitsauswirkungen, Bekämpfung von Gewalterfahrungen und Belästigungen, Nachhaltigkeit der Beschäftigung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Engführung auf den Bereich des Arbeitsrechts verstellt den Blick auf die Notwendigkeit eines PolicyMix, der für eine sozial ausgewogene Bewältigung von Flexibilisierunganforderungen notwendig sein wird. Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Zusammenhalt in der europäischen Union nicht nur von ökonomischen Aspekten bestimmt wird, sondern auch von gemeinsamen Werten wie Solidarität, Zusammenhalt, sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit, angemessenen Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen am Arbeitsplatz, allgemeinem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, nachhaltiger Entwicklung und Einbeziehung der Zivilgesellschaft 1 geprägt ist. „Die soziale Dimension ist Grundwert und Ziel europäischer Politik,“ hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, am 18. Januar 2007 beim informellen Treffen der europäischen Arbeits- und Sozialminister in Berlin erklärt. Das Europäische Parlament hat sich in seinem Entschließungsantrag vom 13. Juli 2006 gegen die Dichotomisierung von Sozialem und Wirtschaft gewandt und festgehalten, dass „Wettbewerbsfähigkeit und Sozialmodell keine Gegensätze, sondern vielmehr von einander abhängig sind. Der Modernisierungszeitplan sollte auf dem Grundsatz basieren, dass eine sachgemäß ausgearbeitete Sozialpolitik ein Produktivfaktor von Wirtschaftswachstum und Wohlstand ist.“ (EP, Entschließungsantrag zu einem Europäischen Sozialmodell für die Zukunft, 13.07.2006, A6-0238/2006) Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein unterstützt diese grundsätzliche Ausrichtung und betont die Notwendigkeit von tragfähigen sozialen Sicherungssystemen, die zu den Grundpfeilern des europäischen Sozialmodells zählen. 1 KOM 2005/0525 endg. Europäische Werte in der globalisierten Welt Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 3 Beteiligung der Stakeholder Das Grünbuch lädt die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und andere relevante Akteure2 zu einer ergebnisoffenen Debatte ein, die sich auf die Frage konzentriert, wie das Arbeitsrecht zur Förderung der Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags, und damit letztendlich zu mehr Beschäftigung und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen kann. (Grünbuch S. 4) Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission dieses Konsultationsverfahren nicht auf die Sozialpartner beschränkt, sondern auch NichtRegierungsorganisationen die Möglichkeit der Beteiligung an diesem europäischen Diskurs anbietet. In regionalen und lokalen Bezügen arbeiten NRO an vielen Stellen mit arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen. NRO sind häufig in europäische Projekte (über EQUAL, LEONARDO, GRUNDVIG etc.) und in die aktive Umsetzung Arbeitsmarkt politischer Strategien im Rahmen der Strukturfonds, insbesondere des ESF, eingebunden. Sie verfügen über einen umfassenden Kenntnisstand, der die kreative und effiziente Entwicklung von Strategien und Maßnahmen wie auch des Flexicurity-Ansatzes auf der EU Ebene unterstützen kann. Es gilt strukturierte Dialogformen zu entwickeln, die die Beteiligung der unterschiedlichen Akteure effektiv und effizient ermöglichen. Prekarisierung Das Grünbuch stellt fest, dass die Segmentierung des Arbeitsmarktes zu einer Gegenüberstellung von „Insidern“ (unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, arbeitsrechtlich durch einen Arbeitsvertrag geregelt, ein einziger Arbeitgeber) und „Outsidern“ (Arbeitslose, Menschen in prekären und illegalen Beschäftigungsverhältnissen) geführt hat. Bei der letzteren Gruppe sind Arbeits- und Schutzregeln minimiert, was zu großer Unsicherheit im Privatbereich und auch im Beschäftigungsbereich führt. Bei der Gruppe der „Insider“ können zu starre Schutzregeln unter Umständen einen Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel, Weiterbildungsbeteiligung oder andere durch den Wandel in der Arbeitswelt notwendig gewordene Veränderungsanforderungen verhindern. 2 Auch der Gemeinsame Beitrag des Beschäftigungsausschusses und des Ausschusses für Sozialschutz (12.Mai 2006, endgültig) zu Flexicurity weist auf die Notwendigkeit der Einbeziehung der Sozialpartner und anderer relevanter Akteure hin. Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 4 Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein teilt die Besorgnis der Kommission über das Anwachsen prekärer Beschäftigungsverhältnisse, teilt allerdings nicht die Schlussfolgerungen, die sie aus dieser Feststellung zieht, nämlich Normalarbeitsverhältnisse als Wettbewerbs- und Produktivitätsbremse zu betrachten. Vielmehr schließt sich das Diakonische Werk SchleswigHolstein den Schlussfolgerungen des informellen Treffens der Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales vom 18.-20. Januar 2007 in Berlin an: „Reguläre Arbeitsverhältnisse sind unverzichtbar. Sie geben Sicherheit und stärken nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit. Die Mitgliedstaaten sind aufgerufen, Standardarbeitsverhältnis zu entsprechend stärken und ihren nationalen Gepflogenheiten das seine Umgehung durch a-typische Beschäftigungsformen zu begrenzen.“3 Flexibilisierung hat bereits einen nicht unerheblichen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung in der Europäischen Union erreicht: Teilzeitarbeit ist von 13% auf 18% in den letzten fünfzehn Jahren gestiegen, befristete Beschäftigung von 12% auf 14%, 15% aller Erwerbstätigen sind selbstständig, 10% aller Erwerbstätigen in der EU-25 sind allein arbeitende Selbstständige (begründen keine weiteren Beschäftigungsverhältnisse). (Grünbuch S. 8-9) Bei der zuletzt genannten Erwerbstätigengruppe liegt die Vermutung nahe, dass sich hier ein nicht unbeträchtlicher Teil an Scheinselbständigkeit verbirgt. Ergänzend muss festgehalten werden, dass im Jahr 2003 16% der Bevölkerung der EU-25 (etwa 72 Millionen Menschen) von finanzieller Armut bedroht waren. Das Risiko, unter die Armutsgefährdungsschwelle zu fallen, ist für Arbeitslose, Nichterwerbstätige, Alleinerziehende, Behinderte und chronisch Kranke besonders hoch. Im Jahr 2003 galten in der EU-25 etwa 31,7 Millionen Menschen als vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt, das sind 8,5 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15- bis 64-Jährige) 4. Die Zahlen lassen den Schluss zu, dass sich Flexibilisierung und ungesicherte Arbeitsverhältnisse in Prekarisierung und verschärften Armutsrisiken niederschlagen. 3 Informelles Treffen der Ministerinnen Minister für Beschäftigung und Soziales vom 18.-20. Januar 2007 in Berlin, Schlussfolgerungen des Vorsitzes in Zusammenarbeit mit den zwei nachfolgenden Präsidentschaften Portugal und Slowenien 4 MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT, DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN über eine Anhörung zu Maßnahmen auf EU-Ebene zur Förderung der aktiven Einbeziehung von arbeitsmarktfernen Personen, KOM(2006)44 endgültig Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 5 Die Kommission konstatiert in diesem Grünbuch einen Wandel, der sich auf die Partner in den Auseinandersetzungen um Arbeitsverhältnisse und deren Gestaltung bezieht. Waren es bislang die Sozialpartner, die in Tarifverhandlungen nach Kompromissen für Arbeitskonflikte gesucht haben, macht sich die Konfliktlinie laut Grünbuch nun an den Inhabern und Inhaberinnen von Normalarbeitsverhältnissen und a-typischen Arbeitsverhältnissen fest. Damit verschiebt sich das Lösungspotential auf die Seite der Beschäftigten und individualisiert sich in Optionen, die dem Einzelnen / der Einzelnen zur Verfügung stehen und aufgrund spezifischer Lebensumstände umgesetzt werden können oder ungenutzt bleiben. Auf diese Weise unterstützt das Grünbuch eine Individualisierungsideologie, die für einen großen Teil der europäischen Beschäftigten unrealistisch ist und darüber hinaus zu verstärkten Ausgrenzungstendenzen führen kann. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hält fest, dass am Arbeitsmarkt benachteiligte Zielgruppen nicht weniger sondern mehr Sicherheit benötigen. A-typische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind häufig im Niedriglohnbereich angesiedelt und bewegen sich oft auf einer niedrigen Qualifizierungsstufe. Qualifizierungsmöglichkeiten stehen in der Regel nicht zur Verfügung. Neben einem minimalen und oft fehlenden Sozialschutz bieten diese Beschäftigungsverhältnisse keine Existenzsicherung. Die Durchlässigkeit in andere Beschäftigungssegmente ist im Augenblick gering, und damit wächst die Wahrscheinlichkeit, des Gefangenseins in einem andauernden Zustand von Prekarität, der neben der beruflichen Entwicklung auch andere Lebenschancen bestimmt. Die Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales haben auf ihrem informellen Treffen5 in Berlin geschlussfolgert: “Faire Löhne sind ein wichtiges Kennzeichen GUTER ARBEIT. (…) Lohnersatzleistungen und Mindestsicherungen für Arbeitssuchende sind Bestandteil eines sozialen Europas, das die Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung zu seiner zentralen Priorität erhoben hat.“ Die Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales benennen darüber hinaus Faktoren wie „Arbeitsbedingungen, die lebenslanges Lernen und Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung fördern, moderne Mitarbeiter orientierte Führung und Arbeitsorganisation“ Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. 5 vergl. Fußnote 3 Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 6 als Schlüssel für die Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein unterstützt die Forderungen nach einem Existenz sichernden Einkommen, verlässlichen sozialen Sicherungssystemen, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und innovativen Formen der Arbeitsorganisation. Gemeinsame soziale Mindeststandards tragen zu sozialer Kohäsion bei: „Europa muss für die Menschen da sein. Europa muss die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen.“ (Die Soziale Dimension Europas gestalten, Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales, 18. Januar 2007) Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein weist darauf hin, dass sich auch bestehende „traditionelle“ Beschäftigungsverhältnisse unter hohem Flexibilisierungsdruck befinden. Unbefristete Arbeitsverhältnisse sind längst kein Garant mehr für dauerhafte Beschäftigung wie Beispiele auch aus der jüngsten Vergangenheit der Bundesrepublik zeigen (BENQ, Allianz, Siemens). Unternehmen formulieren ihre Ansprüche deutlich und setzen diese mit Hinweis auf Betriebsverlagerungen und Kündigungen durch. Gleichwohl gilt es festzuhalten, dass verkrustete und veraltete Regelungen, die Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, Arbeitssuchenden und Arbeitslosen, den Zugang zu Beschäftigungs-, Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten versperren, überholt und verändert werden müssen. Gender Gender als Querschnittsthema von EU Politiken und Strategien wird in den Ausführungen des Grünbuchs ignoriert. Frauen werden völlig undifferenziert als am Arbeitsmarkt benachteiligte Zielgruppe benannt. Lapidar wird festgehalten, dass „die Probleme weiblicher Arbeitnehmer, die in den neuen Beschäftigungsformen überproportional vertreten sind und nach wie vor beim Zugang zu vollen Rechten und Sozialleistungen behindert werden, ebenfalls behandelt werden müssen.“ (Grünbuch, S.10) Das Grünbuch nimmt keinen Bezug auf den europäischen Diskurs „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, auf die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes, den „glass-ceiling“ Effekt oder auf Lohndiskriminierung. Vertikale und horizontale Arbeitsmarktsegregation gehören immer noch zu den Erfahrungen vieler Frauen in der Arbeitswelt. Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 7 Die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in der EU-27 befindet sich im unteren Drittel der Einkommensskala. Vier Bereiche beschäftigen mehr als die Hälfte aller weiblichen Erwerbstätigen: Gesundheit, Bildung, Einzel- und Großhandel, und das Hotel und Gaststättengewerbe. Diese Bereiche sind gekennzeichnet durch einen großen Anteil an Teilzeitbeschäftigung. Wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen betrachtet werden, arbeiten Frauen länger als Männer, selbst wenn Frauen Teilzeit berufstätig sind.6 Die Zunahme an Teilzeitarbeitsplätzen (Grünbuch, S. 8) erlaubt den Schluss, dass sich größtenteils Frauen in diesen Beschäftigungsverhältnissen wieder finden und damit häufig von Weiterbildungsmaßnahmen und Aufstiegschancen ausgegrenzt sind. Unter den Vollzeitbeschäftigten in der Bundesrepublik stellen Frauen mit 64,1% beinahe zwei Drittel aller Niedriglohnbezieher. Betrachtet man alle abhängig Beschäftigten (inklusive Miniund Teilzeitjobs), die einen Niedriglohn beziehen, liegt der Frauenanteil sogar bei 69,6%7. Niedrige Stundenlöhne und kurze Arbeitszeiten führen dazu, dass insbesondere Frauen geringe Chancen für eine eigenständige Existenzsicherung haben. Frauen werden häufig als “Zuverdienerinnen“ betrachtet, deren Existenz über einen besser verdienenden Partner abgesichert ist. Allerdings muss diese Absicherung nicht dauerhaft stabil sein, und Lebensrisiken wie Trennung / Scheidung oder Arbeitslosigkeit zeigen Grenzen auf. Dem Modell der „Zuverdienerin“ liegt die traditionelle Rollenverteilung zugrunde, die Frauen und Männern geschlechtsspezifische Aufgaben im privaten und öffentlichen Bereich zuweist. Aus der Zuständigkeit von Frauen für Familienaufgaben entstehen häufig diskontinuierliche Erwerbsbiographien, die reduzierte Rentenansprüche und damit Altersarmut zur Folge haben. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein regt an, dass die Fragestellungen, die das Grünbuch aufwirft, unter Gender-Gesichtspunkten betrachtet werden, und der Frage nachgegangen wird, wie der Diskurs um Flexicurity dazu beitragen kann, Bewegung in die stereotypen Arbeitsmarktchancen von Frauen zu bringen. 6 Vierte Europäische Erhebung über Arbeitsbedingungen, 2006, Résumé, Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen 7 Frauen und Niedriglöhne, Dr. Claudia Weinkopf, 2007, Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg Essen Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 8 Gesundheit am Arbeitsplatz Das Grünbuch stellt die Frage nach den Chancen zur Erhöhung der Produktivität (Grünbuch, S. 10), nimmt aber keinen Bezug auf die sich ständig verdichtende Arbeitsintensität in vielen Beschäftigungsbereichen, die ebenfalls als ein Ausdruck des Flexibilisierungs- und Existenzdrucks festgehalten werden muss. Gesundheitliche Beeinträchtigungen ganz unterschiedlicher Art wie zum Beispiel Suchtgefährdung, Depressionen, psychosomatische Erkrankungen sollten in diesen Rahmen gestellt werden. Psychische und psychosomatische Erkrankungen betreffen Erwerbstätige wie auch arbeitslose Menschen gleichermaßen und erfordern medizinische und psychologische Unterstützung, aber auch präventionsgeleitete Politiken und Strategien. „Betriebliche Prävention und Rehabilitation muss selbstverständlich werden,“ lautet eine Forderung, die die Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales in Berlin aufgestellt haben8. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein verweist auf das Grünbuch „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union“9 und die Ergebnisse des daraus resultierenden Konsultationsprozesses, die einen Beitrag leisten können zur Diskussion um die Qualität und Sicherheit von Arbeitsplätzen. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hat sich in seiner Stellungnahme zum Grünbuch „Psychische Gesundheit“ zu den belastenden Faktoren im Kontext der Arbeitswelt ausführlich geäußert und die notwendige Verstärkung präventiver Ansätze eingefordert. Schlussfolgerungen Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein hält fest, dass Beschäftigung Menschen nicht nur zu Wirtschaftsakteuren macht, sondern ihnen darüber hinaus im umfassenden Sinn gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Für einen „gerechten, reaktionsfähigen und integrativen Arbeitsmarkt“ ist aus dieser Perspektive ein modernes Arbeitsrecht notwendig, das den Aspekt der sozialen Sicherheit berücksichtigt, und darüber hinaus ist ein Politikfeld übergreifender Ansatz zu 8 9 Vergl. Fußnote 3 KOM(2005) 484 endgültig Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 9 entwickeln, der die Schlussfolgerungen des informellen Treffens der Ministerinnen und Minister für Beschäftigung und Soziales10 unter dem Motto GUTE ARBEIT aufarbeitet und umsetzt. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein regt an, dass die Europäische Kommission - für einen Diskurs über Flexicurity strukturierte Dialogformen anbietet, die eine effektive und - effiziente Beteiligung der unterschiedlichen Akteure ermöglicht. sich unter Einbeziehung der Sozialpartner, der Nicht-Regierungsorganisationen und anderer relevanter Akteure für die Entwicklung sozialer Mindeststandards einsetzt, um die soziale Kohäsion zu unterstützen. - Maßnahmen initiiert, die zu mehr sozialer Sicherheit für Beschäftigte in prekären Beschäftigungsverhältnissen beitragen. - Bemühungen unterstützt und fördert, die lebenslanges Lernen in Form von betrieblicher Weiterbildung und Qualifizierung in Unternehmen als originärem Bestandteil von Unternehmenspolitik und – entwicklung verankern und allen Beschäftigten zugänglich machen. - die Analyse, die Schlussfolgerungen und die Fragestellungen des Grünbuchs unter Berücksichtigung des Gender-Aspekts überarbeitet. - Erkenntnisse aus der Konsultation zum Grünbuch „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern“ mit dem Themenbereich ‚Gesundheit am Arbeitsplatz’ verzahnt und durch verbesserte Möglichkeiten der Prävention und Rehabilitation verstärkt. 10 Vergl. Fußnote 3 Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, März07 10