Praxis Rubriken Auf Spurensuche Klaus-Jürgen Bremm Propaganda statt Presse Abb. 1: Ein vermutlich deutscher Presse­fotograf im vordersten Schützengraben an der Westfront im Winter 1916. Die hier entstandenen Fotos bekam die Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht zu sehen, da eine strenge Zensur realistische Kriegsbilder zurückhielt. Im Umgang mit der Presse zeigten sich alle Kriegsparteien einträchtig. Eine freie Berichterstattung gab es auf keiner Seite. Stattdessen wurde zensiert, verfälscht oder gar erfunden. Neue Gesetze und Presseämter sorgten für die „richtigen“ Meldungen. Die Propaganda lief auf Hochtouren. „Wenn die Leute hier wirklich die Wahrheit wüssten, wäre der Krieg morgen schon zu Ende“, gestand der noch sichtlich bewegte David Lloyd George (1863–1945) am 28. Dezember 1917 dem Herausgeber des Manchester Guardian, Charles P. Scott (1846–1932). Bei einem ­Diner abends zuvor war der britische Premierminister Zeuge der detaillierten Beschreibungen von den Verhältnissen an der Front in Nordfrankreich geworden, mit denen der renommierte Kriegskorrespondent Philip Gibbs (1877–1962) selbst hart gesottene Politiker an 54 pgs1_54_55_bremm 54 der feierlichen Tafel schockiert hatte. Warum aber war die Öffentlichkeit im Mutterland der Pressefreiheit auch am Ende des Jahres 1917 immer noch nicht über die tatsächliche Lage ihrer Armee informiert? Kaum jemand in Großbritannien hatte damals eine zutreffende Vorstellung vom Grauen des Gaskriegs oder wusste, dass an der Somme im Juli 1916 allein am ersten Tag des Angriffs 60.000 britische Soldaten getötet oder verwundet worden waren. Weshalb übte die damals mächtigste Presse der Welt nicht mehr Druck auf Poli- tiker und Militärs aus, das sinnlose Schlachten in den bizarren Kraterlandschaften Flanderns so schnell wie möglich zu beenden? Alle diese Fragen sind indes falsch gestellt, denn sie setzen eine objektive und freie Berichterstattung voraus, die es im Ersten Weltkrieg bei keiner Kriegspartei gegeben hat. Weit erfolgreicher als auf den Schlachtfeldern war die Generalität auf beiden Seiten der Front in ihrem Bestreben, sämtliche Nachrichten vom Kriegsschauplatz zu zensieren oder zu verfälschen. Die größten Erfahrungen besaß hierin das britische Kriegsministerium. Schon im Zweiten Afghanistankrieg hatte es 1879 erstmals Presseoffiziere eingesetzt, bei denen sich die Kriegskorrespondenten akkreditieren lassen mussten. Auch wurden bereits alle Berichte zensiert. Fotos: ullstein Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg Verschweigen und erfinden War Office Bureau Die Wirkung kritischer Berichte von einem Kriegsschauplatz in der Öffentlichkeit kannte auch der Erste Lord der Admiralität Winston ­Spencer Churchill (1874–1965) nur zu gut. Als Kriegskorrespondent im Sudan und in Südafrika hatte er sich einen Namen gemacht und damit den Grundstein zu seiner politischen Karriere gelegt. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs überraschte der inzwischen zum Marineminister avancierte Churchill seine ­Kabinettskollegen sogar mit dem Vorschlag, die bedeutendste und einflussreichste Zeitung des Landes, die London Times, in ein amtliches Regierungsblatt zu verwandeln. Auch wenn er damit rundweg auf Ablehnung stieß, verschaffte sich die britische Regierung Praxis Geschichte 1 / 2007 30.11.2006 18:23:27 Uhr Kriegspresseamt Bieder und treuherzig wirkte dagegen die anfängliche Beteuerung der Obersten Deutschen Heeresleitung, man werde nicht immer alles sagen können, aber was man sage, sei wahr. Schon am 2. August 1914 hatte das Kriegsministerium in Berlin den Oberstleutnant Walter Nicolai (1873–1947) von der Nachrichtenabteilung des Großen Generalstabes beauftragt, ein Pressebüro aufzubauen, das schließlich im Oktober 1915 mit der Oberzensurstelle zum Kriegspresseamt zusammengefasst wurde. Auf regelmäßigen Pressekonferenzen erläuterte Nicolai den Berliner Journalisten den Kriegsverlauf und überwachte auch die Akkreditierung von Korrespondenten im Kriegsgebiet. Auf Spurensuche pgs1_54_55_bremm 55 Immerhin gab es schon seit dem 20. August 1914 an der Westfront wie auch an der Ostfront je ein Kriegsberichterstatterquartier unter Leitung eines Generalstabs­ offiziers. Ihm gehörten im Westen zunächst acht Korrespon­denten von „anerkannt patriotischer Gesinnung“ an. Mit dem „patriotischen Schwung“ seiner Zeitungsleute war dann auch Kaiser Wilhelm II. höchst zufrieden. Anlässlich seines Geburtstages am 27. Januar 1915 im Großen Hauptquartier machte er der versammelten Presse sogar ein Kompliment: „Sie schreiben ja famos. Ich lese Ihre Berichte sehr gern“. „Kämpfer mit der Feder“ Das britische Kriegsministe­ rium erlaubte erst im Juni 1915 einer handverlesenen Anzahl von britischen und amerikanischen Korrespon­ denten die Reise ins Front­ gebiet. Nur auf amerikanischen Druck und mit der Bedingung strikter militärischer Überwachung der Journalisten gab das Kriegsministerium nach. Die anfänglichen Bedenken und Widerstände des damaligen britischen Oberbefehlshabers, Sir John French (1852–1925), erwiesen sich jedoch als völlig unbegründet. Selbst weltbekannte Autoren (vgl. auch Abb. 2, Alexander Roda Roda) wie Herbert G. Wells (1866– 1946) zögerten nicht, das unglaubliche Gemetzel an der Westfront noch zu beschönigen. Er wisse, so beteuerte der Autor des „Krieg der Welten“, dass sein Risiko, von einer Kugel getroffen zu werden, unendlich geringer sei, als die Kampfmoral durch allzu grausame Bilder und übertriebene Ansichten zu gefährden. Nach Ansicht des Franzosen Edouard Helsey Abb. 2: „Kämpfer mit der Feder“: Namhafte Literaten wirkten als Kriegsberichterstatter, hier der österreichische Schriftsteller Alexander Roda Roda (1872–1945), der als Kriegskorrespondent der Vossischen Zeitung in einem Fesselballon aufsteigt (Aufnahme von 1915). (geb. 1883) von der Zeitung „Le Journal“ hatte der Kriegskorrespondent jetzt sogar die patriotische Mission, die Verbindung zwischen Front und Heimat herzustellen. Widerstände gegen die massive Zensur und Beeinflussung der Pressearbeit waren auch in Frankreich die Ausnahme. Tatsächlich habe die französische Presse, so der Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Marcel Prévost, durch die Stärkung des Durchhaltewillens und der Kampfbereitschaft bei der Bevölkerung dazu beigetragen, dass Frankreich das Krisenjahr 1917 überstehen konnte. Im Umgang mit der Presse waren sich alle wichtigen Kriegsparteien ungewöhnlich einig. Bei Durchsetzung ihrer rigiden Kontrollen kam ihnen die patriotische Gesinnung der meisten Pres- seleute, die sich durchweg als „Kämpfer mit der Feder“ verstanden, weit entgegen. Ihren fatalen Hang zur kriegerischen Phrase geißelte später mit kaum überbietbarem Sarkasmus der Wiener Kritiker und Herausgeber der Fackel, Karl Krauss (1874– 1936), in seinem Dokumentationsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“: „Mir scheint, die Vorstellung ist zu Ende. Wie schade! Es war erstklassig“, lässt er darin die österreichische Kriegskorrespondentin Alice Schalek (1874–1956) das Ende des P Wahnsinns bedauern. Literatur Daniel, U.: Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert. Göttingen 2006 Knightley, Ph.: The eye of war. London 2003 Quandt, S.; Schichtel, H. (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg als Kommunikationsereignis. Gießen 1993 Hintergrund: Deutsche Kriegsberichterstatter biwakieren am 11. Juli 1915 an der Dubissa in Litauen. Die Idylle hinter der Front trügt. durch ihren berüchtigten „Defence of the Realm Act“ (Gesetz zur Verteidigung des Königreichs) vom 8. August 1914 doch die völlige Kontrolle über sämtliche ein- und ausgehenden Pressemeldungen vom französischen Kriegsschauplatz. Korrespondenten, die gegen die neuen Bestimmungen verstießen, konnten jetzt sogar ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden. Das War Office Bureau unter Leitung von Frederick E. Smith (1872–1930), dem späteren Lord Birkenhead, sorgte seit Kriegsbeginn dafür, dass Tatsachen propagandistisch entstellt oder ganz verschwiegen wurden. Mit besonderem Erfolg verbreitete die britische Propaganda auch völlig frei erfundene Berichte, wie etwa die über abgehackte Kinderhände im besetzten Belgien oder über eine deutsche Leichenverwertungsanstalt. Dieser gefälschte Bericht erschien am 16. April 1917 sogar in der renommierten Londoner Times. 55 30.11.2006 18:23:33 Uhr