84 11 Maligne intestinale Obstruktion 11.3 Therapie Die Behandlung einer MIO stellt eine der größten Herausforderungen in der Palliativmedizin dar. In der Regel erfolgt eine stationäre diagnostische Abklärung und Therapie. Dabei ist die Definition des Behandlungsziels von entscheidender Bedeutung für den medizinischen Erfolg und die Patienten- und Angehörigenzufriedenheit. Allgemein geht es in erster Linie um Symptomkontrolle und Verbesserung der Lebensqualität, eine Lebensverlängerung ist in der Regel von nachrangiger Bedeutung – sie ist jedoch grundsätzlich möglich. Lange war die Überlebenszeit der primäre Endparameter von Studien. Die eingeschränkte Bedeutung der Überlebenszeit als Maß für das Outcome ist jedoch mittlerweile allgemein akzeptiert. In der Palliativsituation sollten Parameter möglichst patientenzentriert sein, wie z.B. Besserung von Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen, die Fähigkeit zur Aufnahme fester Nahrung oder oraler Nahrung allgemein, die Wiederherstellung der Darmtätigkeit und die Entlassbarkeit nach Hause. In der klinischen Praxis umfasst das Behandlungsziel in der Regel mehrere Aspekte. Es ist wichtig, mit dem Patienten und seinen Angehörigen das Behandlungsziel zu definieren und auf den in der Regel symptomlindernden Charakter hinzuweisen. Zu beachten ist, dass für viele Patienten und Angehörige die symptomatische MIO die erste Konfrontation mit dem nahenden Tod ist. Die Verfügbarkeit eines Palliative Care Teams mit seinen verschiedenen Ressourcen kann in dieser Situation sehr hilfreich sein. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass das Gefühl sozialer Isolation oder wiederholter schwerer depressiver Phasen mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. Die MIO ist selten ein Notfall. Aus diesem Grunde sollte die zur Verfügung stehende Zeit genutzt werden, um mit dem Patienten und seinen Angehörigen das Behandlungsziel festzulegen. Von Anfang an sollten der Chirurg und der endoskopisch tätige Gastroenterologe an der Festlegung des Behandlungskonzepts beteiligt sein. ■ Nasogastrale Sonde: In den meisten Fällen sind eine nasogastrale Sonde zur Dekompression und die parenterale Flüssigkeitssubstitution die ersten Maßnahmen. Die Anlage der Sonde sollte durch analgesierendes Gel erleichtert werden, manchmal ist eine leichte Sedierung nötig. Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen werden durch die nasogastrale Sonde häufig deutlich gemindert. Manchmal führt allein diese Maßnahme schon zur Behebung der intestinalen Obstruktion, einer retrospektiven Untersuchung zufolge im Mittel innerhalb von 9 Tagen – allerdings nur vorübergehend. Nasogastrale Sonden können subjektiv sehr beeinträchtigend sein, ihre Entfernung sollte deshalb nach Einleitung nachhaltigerer Maßnahmen so schnell wie möglich angestrebt werden. Außerdem erhöhen sie das Risiko der Aspiration und Pneumonie. Die nasogastrale Sonde erlaubt jedoch ein gutes Monitoring der intestinalen Sekretion bei Maßnahmen zu deren Hemmung. Leichte Analgetika, topisch oder systemisch, und Nasenschleimhaut-abschwellende Maßnahmen können die Toleranz der nasogastralen Sonde verbessern. Grundsätzlich stehen neben allgemeinen Maßnahmen medikamentöse, endoskopische und chirurgische Therapieoptionen zur Verfügung. Diese drei Eckpfeiler der 11.3 Therapie 85 Behandlung einer MIO sollen im Folgenden anhand von Patientenbeispielen erläutert werden. Fallbeispiel I Patient: 79-jähriger Mann mit bekanntem Adenokarzinom am rektosigmoidalen Übergang. Die Diagnose war 6 Jahre zuvor gestellt worden, bei TNM-Stadium T3 N1 M0 erfolgte eine Sigmaresektion und anschließend eine adjuvante Therapie. Wegen der distalen Lage auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten zusätzlich zur adjuvanten Chemotherapie mit 5-FU nach dem Protokoll von O’Connell Bestrahlung mit 50,4 Gy. Regelmäßige Nachsorge hatte vor 3 Jahren ein nicht-stenosierendes Lokalrezidiv und Lebermetastasierung ergeben, chirurgische Sanierung nicht möglich, daher verschiedene palliative Chemotherapien wie FOLFOX und FOLFIRI unter Einschluss des monoklonalen Antikörpers Cetuximab mit teilweisem Ansprechen. Vor einem Jahr entwickelte der Patient Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe und gab Stuhlverhalt seit 5 Tagen an. Abdomenleeraufnahme zeigte Dünndarmspiegel, die Computertomografie erweiterte Dünn- und Dickdarmschlingen bei einer Stenosierung im kleinen Becken, am ehesten durch ein Lokalrezidiv, sowie ausgedehnte Peritonealkarzinose im linken Oberbauch (s. Abb. 11-4). Therapieverlauf: Unter konservativer Therapie mit nasogastraler Sonde und parenteraler Flüssigkeitssubstitution (einschließlich Metoclopramid und Butylscopolaminiumbromid) besserten sich die Beschwerden, die Gabe von Gastrografin vor Computertomografie hatte abführende Wirkung. Der Patient konnte wieder normal essen und trinken und nach 5 Tagen entlassen werden. Nach 4 Monaten Beschwerdefreiheit kam es zu einer erneuten Beschwerdeepisode, die sich ebenfalls unter konservativen Maßnahmen beheben ließ, nach 6 Wochen kam es zu einem erneuten Rezidiv. Da der Patient ansonsten in gutem Allgemeinzustand war und keine relevanten kardiovaskulären Risikofaktoren vorlagen, wurde ihm offeriert, die Möglichkeit einer palliativen Kolostomaanlage zu explorieren. Trotz des Hinweises, dass es jetzt in immer kürzeren Abständen zu solchen Episoden mit zunehmendem Schweregrad kommen könnte, wurde eine Operation vom Patienten mit Verweis auf die insgesamt eingeschränkte Prognose, die Angst vor postoperativen Schmerzen und die Ablehnung eines künstlichen Ausgangs zunächst abgelehnt. Bei der 4. Episode nur 2 Wochen später war der Patient zu einer chirurgischen Maßnahme bereit. Als Therapieziele wurden die Möglichkeit zu essen und zu trinken ohne Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzfreiheit und die weitere Versorgung im häuslichen Umfeld festgelegt. Der Patient wurde darauf hingewiesen, dass sich intraoperativ ausgedehnte Verwachsungen zeigen könnten, die die Anlage eines Stomas unmöglich machen. Intraoperativ zeigten sich tatsächlich ausgedehnte Verwachsungen und eine ausgedehnte Peritonealkarzinose mit einem Konglomerattumor im Bereich der linken Flexur, die die Anlage eines Kolostomas unmöglich machte. Es wurde ein doppelläufiges Ileostoma angelegt. Postoperativ erfolgte eine ausreichende Analgesie mithilfe eines Epiduralkatheters. Der weitere Verlauf war komplikationslos. Nach 10 Tagen konnte der Patient mit normaler oraler Ernährung und guter Stomafunktion entlassen werden. Terminalphase: Der Patient lebte ca. 3 Monate weitgehend beschwerdefrei. Dann kam es zu einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Kachexie bei Inappetenz, jedoch ohne Übelkeit oder Erbrechen. Bei Fortschreiten der Lebermetastasierung kam es zu einem cholestatischen Ikterus mit Cholangitis, die vorübergehend durch endoskopische Anlage eines Stents im Ductus hepaticus communis behoben werden konnte. Bei Verdacht