11.3 Therapie

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11 Maligne intestinale Obstruktion
11.3 Therapie
Die Behandlung einer MIO stellt eine der größten Herausforderungen in der Palliativmedizin dar. In der Regel erfolgt eine stationäre diagnostische Abklärung und Therapie.
Dabei ist die Definition des Behandlungsziels von entscheidender Bedeutung für den
medizinischen Erfolg und die Patienten- und Angehörigenzufriedenheit. Allgemein
geht es in erster Linie um Symptomkontrolle und Verbesserung der Lebensqualität,
eine Lebensverlängerung ist in der Regel von nachrangiger Bedeutung – sie ist jedoch
grundsätzlich möglich. Lange war die Überlebenszeit der primäre Endparameter von
Studien. Die eingeschränkte Bedeutung der Überlebenszeit als Maß für das Outcome
ist jedoch mittlerweile allgemein akzeptiert. In der Palliativsituation sollten Parameter
möglichst patientenzentriert sein, wie z.B. Besserung von Übelkeit, Erbrechen und
Schmerzen, die Fähigkeit zur Aufnahme fester Nahrung oder oraler Nahrung allgemein, die Wiederherstellung der Darmtätigkeit und die Entlassbarkeit nach Hause. In
der klinischen Praxis umfasst das Behandlungsziel in der Regel mehrere Aspekte.
Es ist wichtig, mit dem Patienten und seinen Angehörigen das Behandlungsziel zu
definieren und auf den in der Regel symptomlindernden Charakter hinzuweisen. Zu
beachten ist, dass für viele Patienten und Angehörige die symptomatische MIO die
erste Konfrontation mit dem nahenden Tod ist. Die Verfügbarkeit eines Palliative Care
Teams mit seinen verschiedenen Ressourcen kann in dieser Situation sehr hilfreich
sein. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass das Gefühl sozialer Isolation oder
wiederholter schwerer depressiver Phasen mit einer erhöhten Mortalität einhergeht.
Die MIO ist selten ein Notfall. Aus diesem Grunde sollte die zur Verfügung stehende Zeit
genutzt werden, um mit dem Patienten und seinen Angehörigen das Behandlungsziel festzulegen. Von Anfang an sollten der Chirurg und der endoskopisch tätige Gastroenterologe an
der Festlegung des Behandlungskonzepts beteiligt sein.
■ Nasogastrale Sonde: In den meisten Fällen sind eine nasogastrale Sonde zur
Dekompression und die parenterale Flüssigkeitssubstitution die ersten Maßnahmen.
Die Anlage der Sonde sollte durch analgesierendes Gel erleichtert werden, manchmal
ist eine leichte Sedierung nötig. Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen werden durch
die nasogastrale Sonde häufig deutlich gemindert. Manchmal führt allein diese
Maßnahme schon zur Behebung der intestinalen Obstruktion, einer retrospektiven
Untersuchung zufolge im Mittel innerhalb von 9 Tagen – allerdings nur vorübergehend.
Nasogastrale Sonden können subjektiv sehr beeinträchtigend sein, ihre Entfernung
sollte deshalb nach Einleitung nachhaltigerer Maßnahmen so schnell wie möglich
angestrebt werden. Außerdem erhöhen sie das Risiko der Aspiration und Pneumonie.
Die nasogastrale Sonde erlaubt jedoch ein gutes Monitoring der intestinalen Sekretion
bei Maßnahmen zu deren Hemmung. Leichte Analgetika, topisch oder systemisch, und
Nasenschleimhaut-abschwellende Maßnahmen können die Toleranz der nasogastralen
Sonde verbessern.
Grundsätzlich stehen neben allgemeinen Maßnahmen medikamentöse, endoskopische und chirurgische Therapieoptionen zur Verfügung. Diese drei Eckpfeiler der
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Behandlung einer MIO sollen im Folgenden anhand von Patientenbeispielen erläutert
werden.
Fallbeispiel I
Patient: 79-jähriger Mann mit bekanntem Adenokarzinom am rektosigmoidalen Übergang.
Die Diagnose war 6 Jahre zuvor gestellt worden, bei TNM-Stadium T3 N1 M0 erfolgte eine
Sigmaresektion und anschließend eine adjuvante Therapie. Wegen der distalen Lage auf
ausdrücklichen Wunsch des Patienten zusätzlich zur adjuvanten Chemotherapie mit 5-FU
nach dem Protokoll von O’Connell Bestrahlung mit 50,4 Gy. Regelmäßige Nachsorge hatte
vor 3 Jahren ein nicht-stenosierendes Lokalrezidiv und Lebermetastasierung ergeben, chirurgische Sanierung nicht möglich, daher verschiedene palliative Chemotherapien wie FOLFOX
und FOLFIRI unter Einschluss des monoklonalen Antikörpers Cetuximab mit teilweisem
Ansprechen. Vor einem Jahr entwickelte der Patient Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe
und gab Stuhlverhalt seit 5 Tagen an. Abdomenleeraufnahme zeigte Dünndarmspiegel, die
Computertomografie erweiterte Dünn- und Dickdarmschlingen bei einer Stenosierung im
kleinen Becken, am ehesten durch ein Lokalrezidiv, sowie ausgedehnte Peritonealkarzinose
im linken Oberbauch (s. Abb. 11-4).
Therapieverlauf: Unter konservativer Therapie mit nasogastraler Sonde und parenteraler
Flüssigkeitssubstitution (einschließlich Metoclopramid und Butylscopolaminiumbromid)
besserten sich die Beschwerden, die Gabe von Gastrografin vor Computertomografie hatte
abführende Wirkung. Der Patient konnte wieder normal essen und trinken und nach 5 Tagen
entlassen werden. Nach 4 Monaten Beschwerdefreiheit kam es zu einer erneuten Beschwerdeepisode, die sich ebenfalls unter konservativen Maßnahmen beheben ließ, nach 6 Wochen
kam es zu einem erneuten Rezidiv. Da der Patient ansonsten in gutem Allgemeinzustand
war und keine relevanten kardiovaskulären Risikofaktoren vorlagen, wurde ihm offeriert,
die Möglichkeit einer palliativen Kolostomaanlage zu explorieren. Trotz des Hinweises, dass
es jetzt in immer kürzeren Abständen zu solchen Episoden mit zunehmendem Schweregrad
kommen könnte, wurde eine Operation vom Patienten mit Verweis auf die insgesamt eingeschränkte Prognose, die Angst vor postoperativen Schmerzen und die Ablehnung eines
künstlichen Ausgangs zunächst abgelehnt. Bei der 4. Episode nur 2 Wochen später war der
Patient zu einer chirurgischen Maßnahme bereit. Als Therapieziele wurden die Möglichkeit
zu essen und zu trinken ohne Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzfreiheit und die weitere
Versorgung im häuslichen Umfeld festgelegt. Der Patient wurde darauf hingewiesen, dass
sich intraoperativ ausgedehnte Verwachsungen zeigen könnten, die die Anlage eines Stomas
unmöglich machen.
Intraoperativ zeigten sich tatsächlich ausgedehnte Verwachsungen und eine ausgedehnte
Peritonealkarzinose mit einem Konglomerattumor im Bereich der linken Flexur, die die Anlage eines Kolostomas unmöglich machte. Es wurde ein doppelläufiges Ileostoma angelegt.
Postoperativ erfolgte eine ausreichende Analgesie mithilfe eines Epiduralkatheters. Der
weitere Verlauf war komplikationslos. Nach 10 Tagen konnte der Patient mit normaler oraler
Ernährung und guter Stomafunktion entlassen werden.
Terminalphase: Der Patient lebte ca. 3 Monate weitgehend beschwerdefrei. Dann kam es zu
einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Kachexie bei Inappetenz,
jedoch ohne Übelkeit oder Erbrechen. Bei Fortschreiten der Lebermetastasierung kam es
zu einem cholestatischen Ikterus mit Cholangitis, die vorübergehend durch endoskopische
Anlage eines Stents im Ductus hepaticus communis behoben werden konnte. Bei Verdacht
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