Aus der Fallsammlung des Schlichtungsausschusses bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz Fachgebiet: Diagnose: Titel: Autor: Verfahren: Chirurgie/Gefäßchirurgie Periphere arterielle Verschlusskrankheit Unterlassene Aufklärung über nicht-operative Therapie Der Schlichtungsausschuss 209/14 - Stand der Veröffentlichung: 15.04.2016 Der Fall Ein 60jähriger Patient wurde wegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium IIb nach Fontaine mit einer schmerzfreien Gehstrecke von <100 m sowohl ambulant als auch stationär von einem Gefäßchirurgen behandelt. Die Diagnostik zeigte einen kurzstreckigen Verschluss der rechten Oberschenkelarterie als Ursache. Daraufhin wurde eine operative Behandlung vereinbart. Bei der Operation wurde eine Gefäßfreilegung in der rechten Leiste durchgeführt und nach frustranem Versuch der Thrombektomie ein Kunststoffbypass auf die A. poplitea oberhalb des Kniegelenks eingepflanzt. Nach zunächst unauffälligem Verlauf wurde der Patient vier Wochen später in einem anderen Krankenhaus wegen einer Nachblutung an der distalen Anastomose erneut operiert, es wurde ein Hämatom ausgeräumt und die Anastomose übernäht. Die Einwände des Patienten Der Patient warf dem Gefäßchirurgen vor, er sei nicht über die Möglichkeit einer nichtoperativen Therapie aufgeklärt worden. Zudem sei die Naht an der Arterie nicht richtig zugenäht worden. Außerdem leide er unter einem Taubheitsgefühl am rechten Schienbein, weil ein Nerv durchtrennt worden sei. Der Vorsitzende des Schlichtungsausschusses hat den Autor dieses Fallbeispiels mit der medizinischen Überprüfung beauftragt, ob ein vorwerfbares ärztliches Fehlverhalten vorliegt. Die Begutachtung Im vorliegenden Fall war zunächst nicht zu erkennen, ob ein ernsthafter konservativer Therapieversuch durchgeführt worden war. Für den Fall, dass die Indikation für eine invasive Behandlung gestellt wurde, hätte nach Einschätzung des Gutachters eine nicht operative, d.h. radiologisch-interventionelle Therapie mit perkutaner Angioplastie ins Behandlungsspektrum einbezogen und der Patient entsprechend aufgeklärt werden müssen. Nur bei Erfolglosigkeit oder Ablehnung durch den Patienten wäre eine primäre Operation gerechtfertigt gewesen. Insgesamt war aus den vorgelegten Dokumenten nur sehr schwer nachvollziehbar, inwieweit die Entscheidung für die durchgeführte Behandlung im Dialog mit dem Patienten und unter differenzierter Aufklärung über die in Frage kommenden Therapiealternativen zustande kam. Nach Meinung des Gutachters muss eine alternative Behandlungsmethode, die nach gängiger Einschätzung weniger riskant ist (wie im vorliegenden Fall die Katheterintervention bei kurzstreckigem Verschluss der Oberschenkelarterie), dem Patienten angeboten werden, auch wenn er deshalb vielleicht nicht vom Gefäßchirurgen, sondern von einem anderen Facharzt behandelt werden muss. Dieses Vorgehen entspricht den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie. Der Eingriff selbst wurde korrekt durchgeführt und auch die weitere perioperative Behandlung mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt. Bei der vier Wochen später akut aufgetretenen Komplikation eines Hämatoms aufgrund Nahtausriss an der distalen Anastomose handelte es sich nach Ansicht des Gutachters um eine schicksalhafte Komplikation, über die der Pati- © Landesärztekammer Rheinland-Pfalz Aus der Fallsammlung des Schlichtungsausschusses bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz ent präoperativ aufgeklärt worden war, ebenso wie über das Risiko von Gefühlsstörungen als Folge des Eingriffs. Die zusammenfassende Wertung des Gutachters Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahl der Therapie nicht dem gültigen Standard entsprach, weil der Patient nicht über alternative, risikoärmere Methoden aufgeklärt wurde. Die Behandlung der pAVK muss heutzutage unter einem „gefäßmedizinischen“ Ansatz erfolgen, der konservative, interventionelle und operative Therapieoptionen differenziert berücksichtigt und ggf. Expertisen aus verschiedenen Fachgebieten (Angiologie, Radiologie, Gefäßchirurgie) zur Verfügung stellt. Dessen ungeachtet sind Risiken oder Komplikationen, über die aufgeklärt wurde und die nach korrekter Behandlung (Operation) eintreten, als schicksalhaft anzusehen und nicht per se als Behandlungsfehler zu bewerten. Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses Der Schlichtungsausschuss ist der Argumentation und Wertung des Gutachters gefolgt und hat ein vorwerfbares ärztliches Fehlverhalten insoweit bejaht, als keine ausreichende Aufklärung über die Möglichkeit einer nicht-operativen Therapie erfolgt war. Ein darauf zurückzuführender eigenständiger Schaden ist aber nicht feststellbar. Ein ärztliches Fehlverhalten bei der operativen Behandlung liegt nicht vor. Der Hinweis des Schlichtungsausschusses Die Beteiligten wurden in der Abschlussverfügung darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen einer fehlerhaften Aufklärung von einer unwirksamen Einwilligung in die Behandlung ausgegangen werden kann. Steht fest, dass der Patient auch bei ordentlicher Aufklärung zugestimmt hätte, haftet der aufklärende Arzt nicht. Dahingehende Erklärungen haben die Beteiligten vorliegend nicht abgegeben und es ist nicht die Aufgabe des Schlichtungsausschusses, insoweit Ermittlungen einzuleiten. Wenn - was von dem Antragsteller ebenfalls nicht vorgetragen wurde - der Patient einen Entscheidungskonflikt plausibel machen würde, d.h. er weiß nicht, wie er sich bei vollständiger Aufklärung entschieden hätte, oder wenn er nachvollziehbar vorbringen würde, dass er die Einwilligung versagt hätte, so kommt es weiter auf den Eintritt eines Schadens an, d.h. auf die Risikoverwirklichung. Die Rechtsprechung hat dabei verschiedene Haftungsfallgruppen herausgebildet, je nach verwirklichtem Risiko und Umfang der Aufklärung. Vorliegend kann ein solcher eigenständiger Schaden noch nicht mit Gewissheit festgestellt werden. Es ist aber ebenfalls nicht die Aufgabe des Schlichtungsausschusses, diese haftungsrechtlichen Fragen weiter zu vertiefen oder sogar festzustellen, ob dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegeben ist. Literaturangaben des Gutachters Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, verabschiedet 31.8.2008 Arterielle Verschlusskrankheit, Der Radiologe 2008/11, Springer Verlag Arterielle Verschlusskrankheit der Becken- und Oberschenkelarterien, Der Radiologe 2010/1, Springer Verlag Incidence and importance of lower extremity nerve lesions after infrainguinal vascular surgery interventions, European Journal of Vascular and Endovascular Surgery 1999, 17, 4: 290-293 © Landesärztekammer Rheinland-Pfalz