Umsetzung neuer Diabetes-Erkenntnisse in Patientenstudien

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Umsetzung neuer Diabetes-Erkenntnisse in
Patientenstudien
Das Vorarlberger Institut für vaskuläre Forschung und Behandlung (VIVIT) am
Lehrkrankenhaus Feldkirch untersucht anhand großer Patientenkohorten verschiedenste
Faktoren, die das sehr hohe Risiko von Patienten mit Diabetes für Gefäßkrankheiten wie
Herzinfarkte und Schlaganfälle bestimmen. Im BIOPRO-Interview erklärt Prof. Dr. Heinz
Drexel, Leiter des Instituts, warum regelmäßige Leibesertüchtigung immer noch als die
beste Vorsorge gegen die Zuckerkrankheit gilt.
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Prof. Dr. Heinz Drexel ist Leiter des VIVIT-Instituts in Dornbirn © privat
Herr Prof. Drexel, was ist das Besondere an den Forschungsansätzen des VIVITInstituts in Bezug auf Diabetes?
Das VIVIT Institut untersucht in erster Linie die Zusammenhänge von Diabetes und
Arteriosklerose, der häufigsten Todesursache von Diabetikern. Dabei setzen wir neue
Erkenntnisse zum Teil selbst in Patientenstudien um. So fanden wir jüngst in einer großen
Population von Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine enge Assoziation von erhöhten
Leberenzymen mit dem Metabolischen Syndrom. In einer laufenden Studie untersuchen wir
nun, ob die bei Patienten mit Metabolischem Syndrom erhöhten Leberenzyme durch
körperliches Training gesenkt werden können.
Das Metabolische Syndrom geht dem Diabetes zeitlich voraus: Inwiefern stellt es für
Betroffene Ihren Feststellungen zur Folge eine Gefahr da?
Patienten mit Metabolischem Syndrom weisen eine erhöhte Rate von Herzinfarkten und
Schlaganfällen auf. Besonders gefährlich ist das Zusammentreffen von
Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, hohem Blutdruck und Übergewicht. Es ist dabei ganz
entscheidend, wo das überschüssige Fettgewebe gespeichert wird: gefährlich ist das Fett vor
allem in der Bauchregion, der „Bierbauch“. Das Metabolische Syndrom schädigt aber auch die
Leber: In der aktuellen medizinischen Praxis ist es die häufigste Ursache für
Leberwerterhöhungen. Unsere Arbeiten zeigen, dass vor allem Diabetes-Patienten, die bereits
herzkrank sind, ein extrem hohes Risiko für Herzinfarkte haben.
Wie sah die Patientenstudie aus, mit der Sie diese Erkenntnisse gewinnen konnten?
Wir erfassten im Besonderen bei einer große Kohorte von 750 Patienten, die zur Abklärung
einer stabilen koronaren Herzkrankheit an unserem Zentrum einer Koronarangiographie
unterzogen wurden, das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen wie Myokardinfarkten und
Schlaganfällen über einen Zeitraum von vier Jahren. Über 40 Prozent der Patienten mit der
Kombination von Diabetes und Verengungen der Herzkranzgefäße zu Studienbeginn erlitten
während der Beobachtungsphase ein kardiovaskuläres Ereignis. Dieses extrem hohe Risiko
kann heute durch Medikamente und Lebensstilmaßnahmen reduziert werden. Von Bedeutung
in dieser Studie war aber auch die Tatsache, dass das Metabolische Syndrom nach den
klassischen Kriterien des National Cholesterol Education Programme Adult Treatment Panel III
definiert wurde. Eine neuere Definition des Metabolischen Syndroms (die der International
Diabetes Federation) bewährte sich nicht als Instrument zur kardiovaskulären
Risikostratifizierung.
Eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Diabetes und damit letztendlich auch bei
der Entwicklung von Gefäßkrankheiten spielt die Insulinresistenz: Wie kann das
verminderte Ansprechen des Zuckerstoffwechsels auf das Insulin aus Ihrer Sicht als
Mediziner am besten therapeutisch angegriffen werden?
Insulinresistenz führt zu einer komplexen Störung des Fettstoffwechsels. Die
schädlichen Triglyzeride steigen und das „gute“ HDL-Cholesterin, welches die Gefäße schützt,
sinkt. Das an sich schon „schlechte“ LDL-Cholesterin, welches sich in den Gefäßen ablagert und
diese dadurch verengt, wird durch Insulinresistenz noch giftiger. Auslöser ist die
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Insulinresistenz am Fettgewebe, wodurch zu viele freie Fettsäuren aus den Fettdepots ins Blut
kommen. Sehr wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Insulinresistenz sind, wie unsere
eigenen Forschungsergebnisse zeigen, vermehrte körperliche Bewegung und
Gewichtsabnahme bei Übergewicht. Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie unseres Instituts
zeigt, kann sogar das wenig anstrengende Abwärtswandern die Insulinresistenz deutlich
verringern. Körperliche Bewegung und Gewichtsabnahme können generell zur Vorbeugung von
Diabetes und Gefäßkrankheiten empfohlen werden. Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass
das Ausmaß des Herzrisikos bereits beim Metabolischen Syndrom voll ausgeprägt ist und die
Entwicklung der Zuckerentgleisung nicht der entscheidende Faktor für die Gefäße ist.
Am VIVIT-Institut werden unter anderem Zusammenhänge von Diabetes und Arteriosklerose erforscht. © Dr. Axel
Mündlein
Wie kann man sich den Ablauf Ihrer durchgeführten Studie zum Abwärtswandern
vorstellen?
Ziel dieses großen sportmedizinischen Projekts im vergangenen Jahr war die Untersuchung der
Auswirkungen des Abwärtswanderns auf Stoffwechselfaktoren. Über 50 Studienteilnehmer
fuhren mit einer Seilbahn auf den Karrenberg bei Dornbirn und wanderten dann bergabwärts.
So konnten wir spezifisch die Stoffwechseleffekte der exzentrischen Muskelarbeit untersuchen,
der Muskelarbeit, die bei Bremsbewegungen, wie eben beim Abwärtswandern, aufgewendet
wird. Patienten mit Diabetes profitieren besonders von körperlicher Bewegung, haben
umgekehrt oft sehr große Schwierigkeiten, ein anstrengendes körperliches Training auf sich zu
nehmen. Das relativ wenig anstrengende Abwärtswandern erscheint deshalb gerade für
Patienten mit Diabetes eine hervorragende Option. Ein Projekt zu den Auswirkungen des
Abwärtswanderns bei Patienten mit Diabetes ist gerade in Planung. Generell laden wir
verschiedene Patientengruppen zur Teilnahme an wissenschaftlichen Studien ein, etwa
Personen nach Herzinfarkt, Patienten mit Erkrankung der Beingefäße und Patienten nach
Herzkatheteruntersuchung. Auch gesunde Menschen nehmen an Studien teil, die in manchen
Fällen über 1.500 Probanden umfassen können.
Welche Folgen hat Ihren Erkenntnissen nach die Dyslipidämie bei Typ-2Diabetikern hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen?
Eine unserer wichtigsten Botschaften ist, dass die Dyslipidämie aus hohen Triglyzeriden und
niedrigem guten HDL-Cholesterin ein ganz herausragender Risikofaktor für
Gefäßerkrankungen bei Metabolischem Syndrom und bei Diabetes ist. Klassische Studien zur
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kardiovaskulären Risikoreduktion durch Lipidintervention (etwa 4S, CARE oder die Heart
Protection Study) verglichen die Wirksamkeit der primär das „schlechte“ LDL-Cholesterin
senkenden Statine mit Placebo. Diese Studien belegten sehr überzeugend eine Reduktion
kardiovaskulärer Ereignisse durch Statine. Auch für eine primär die Triglyzeride senkende
Therapie mit Fibraten gibt es Daten, die eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos zeigen.
Die Frage ist, inwieweit das kardiovaskuläre Risiko durch Triglyzeride senkende und das gute
Cholesterin steigernde Medikamente weiter reduziert werden kann, wenn diese Medikamente
zusätzlich zu den etablierten LDL senkenden Statinen gegeben werden. Das wird in großen
laufenden Studien (AIM-HIGH, HPS-2-THRIVE, und im Lipidarm der ACCORD Studie) zur Zeit
untersucht.
Neben seinen Forschungstätigkeiten führt das VIVIT klinische Studien im Auftrag überregionaler Unternehmen am
akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch durch. © VIVIT
Wie könnte man Ihrer Meinung nach das Herzinfarktrisiko bei Diabetikern in der
Zukunft medizinisch bekämpfen?
Am besten ist es, die Entstehung von Diabetes überhaupt zu verhindern durch Vermeidung von
Übergewicht und ausreichend körperliche Bewegung. Eine wirksame Maßnahme zur
Verhinderung von Herzinfarkten bei Patienten mit Diabetes ist eine medikamentöse Senkung
des schlechten LDL-Cholesterins. Das Risiko bleibt aber trotz starker Senkung des LDLCholesterins gerade bei Diabetikern, bei denen bereits eine Herzerkrankung bekannt ist, sehr
hoch. Unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass eine Korrektur der diabetischen
Dyslipidämie, also eine Senkung der Triglyzeride und eine Steigerung des HDL-Cholesterins das
Herzinfarktrisiko mindern kann. In einem rezenten Projekt untersuchten wir hierzu, welche
Risikofaktoren bei Herzpatienten mit Diabetes, welche bereits eine das schlechte LDLCholesterin senkende Statintherapie erhielten, kardiovaskuläre Ereignisse vorhersagen
können.
Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass es in der Zukunft ein einziges
Medikament für Diabetes geben wird?
Ein Patient mit Diabetes, der womöglich bereits Folgeerkrankungen wie eine Herzkrankheit
hat, wird auch in Zukunft nicht mit einem einzigen Medikament auskommen. Gerade die
Folgeerkrankungen des Diabetes verlangen eine multifaktorielle Behandlungsstrategie. Auch
in einem früheren Stadium des Diabetes, wenn noch keine Folgeerkrankungen manifest sind,
ist nicht ein einziges Medikament das richtige Medikament für alle Patienten. Der behandelnde
Arzt muss aus verschiedenen verfügbaren Substanzen die für den jeweiligen Patienten beste
aussuchen. Neue Wirkprinzipien haben in den letzten Jahren die therapeutischen Möglichkeiten
wesentlich erweitert. Als generell wirksame Maßnahmen können aber, wie bereits erwähnt,
vermehrte körperliche Bewegung und die Vermeidung von Übergewicht empfohlen werden.
Wie wollen Sie Ihre Forschungstätigkeit auf dem Gebiet von Diabetes künftig
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fortführen?
Wir haben in den letzten Jahren ein leistungsstarkes Labor zur Untersuchung von genetischen
Ursachen für Diabetes und Gefäßkrankheiten errichtet, das wir noch erweitern möchten. In
Kürze werden wir zusätzlich zu den laufenden Studien ein neues Projekt mit Patienten mit
Herzschwäche starten, für welche Diabetes und Metabolisches Syndrom starke Risikofaktoren
sind. In diese neue Studie werden Patienten aufgenommen, die an der HerzschwächeAmbulanz unseres Zentrums behandelt werden. Zuerst wollen wir im Querschnitt die
Assoziation von Stoffwechselparametern mit dem klinischen Zustand der Patienten und mit
den Befunden der Herzultraschall-Untersuchung erforschen. In einem weiteren Schritt haben
wir vor, die Auswirkungen von Stoffwechselparametern (u.a. des HDL-Cholesterins) auf die
Prognose dieser Patienten zu erkunden.
Zur Person:
Prof. Dr. Heinz Drexel absolvierte eine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin mit
Schwerpunkt Diabetes und Kardiologie, woraufhin er die Leitung der Diabetesambulanz an
der Klinik Innsbruck übernahm. Derzeit ist er Chefarzt an der Abteilung für Innere Medizin
und Kardiologie am Akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch und seit 1997
Geschäftsführer des VIVIT Instituts mit 95 Originalpublikationen und über 300
Kongressbeiträgen. Prof. Dr. Heinz Drexel hatte eine Gastprofessur in Philadelphia (USA)
inne und ist Ordinarius für Kardiologie und Stoffwechsel and der Privaten Universität im
Fürstentum Liechtenstein. Am VIVIT führt er ein insgesamt 16-köpfiges Team an, unter
anderem bestehend aus Ärzten, Biologen, Genetikern und Psychologen.
Fachbeitrag
19.06.2009
mst
BioLAGO
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
VIVIT (Vorarlberg Institute for Vascular Investigation and
Treatment)
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Diabetes, die immer noch unterschätzte Gefahr
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