Investment Outlook Mai 2014 Bill Gross Your Global Investment Authority HATSCHI! Es geht doch nichts über ein herzhaftes Niesen – vielleicht eine heiße Dusche oder ein Eiscreme-Sandwich, aber nein – abgesehen davon kommt nichts auch nur annähernd an das Niesen heran. Ehrlich gesagt fühlt es sich auf irgendeine Weise gut an – sowohl kurz bevor als auch kurz nach dem Hatschi! Gemeinsam mit 100.000 Bakterien kommt die Luft mit einer höheren Geschwindigkeit aus der Nase geschossen als ein Rennauto bei der Indy 500. Es ist ein soooo tolles Gefühl, dass die Menschen sogar absichtlich zu niesen pflegten. Sie nutzten Schnupftabak und zogen ihn tief in die Nase; schließlich waren der Tabak und die daraus resultierende nasale Explosion früher in Mode. Und gesünder als einige der Dinge, die sich die Menschen heutzutage in die Nase stecken, nehme ich an – allerdings ist das ja auch eine Frage der Generation. Meine Generation ist dem Schnupftabak näher als anderen Dingen. Zu den Problemen, die mit dem Schnupfen einhergehen, zählen die potenziell peinlichen Nachwirkungen. In den guten alten Zeiten trugen die Menschen genau zu diesem Zwecke Stofftaschentücher bei sich, heutzutage hat jedoch niemand mehr eines dabei. Stattdessen könnte man den ganzen Tag mit Toilettenpapier in der Tasche unterwegs sein, würde in diesem Falle jedoch als Bauerntölpel beschimpft, womit die Leute vermutlich auch recht hätten. Also lassen die Schnupfer es meist einfach krachen, bedecken die Nase mit ihrer Hand und beten, dass nichts Sichtbares dahinter zum Vorschein kommt. Sollte es doch einmal vorkommen, gibt es möglicherweise eine Tasche, in die man das Beweismittel verschwinden lassen kann – zumindest für Menschen wie mich. Und die Ladies? Ihre Outfits sind offensichtlich weniger niestauglich. Daher müssen sie noch mehr beten. Und da wir schon einmal beim Beten sind: Man kann die Leute einfach nicht davon abhalten, auf ein Niesen „God bless you“ zu erwidern oder kurz: „Bless you“ (zu Deutsch: „Gesundheit!“). Hält man sich in einem überfüllten Raum mit mehr als 50 Menschen auf, erzeugen diese „God bless you“ eine Geräuschkulisse, die an das Abendmahl in einer katholischen Kirche erinnert. Das kürzere und häufiger verwendete „Bless you“ könnte dem Ganzen indes einen Teil seines religiösen Charakters nehmen und es damit auch für Atheisten möglich machen, zu niesen und dennoch wahrgenommen zu werden. Seinerzeit gab es jedoch tatsächlich einen legitimen Grund für den „Gott segne Dich“-Teil. Denn viele Menschen starben an der Grippe und den damit verbundenen Epidemien, somit kam ihnen Gottes Segen sicherlich sehr gelegen. Meine Frau Sue ist, ebenso wie viele unserer Leser, allerdings nur eine „Bless you“-Person. Ich bin es nicht, was hoffentlich auch in Ordnung ist; außer dass es peinliche Momente hervorrufen kann, wenn wir beide gleichzeitig niesen. Dann erhalte ich nämlich ein „Bless you“ und sie nicht. Da dies meines Erachtens nicht ganz fair ist, spiele ich gelegentlich mit, drücke ihre Hand nach dem Hatschi und sage ihr, dass ich gesegnet bin, sie an meiner Seite zu haben – Niesen hin oder her. Um zu wissen, dass dies eine gute Taktik ist, brauche ich nicht mal eine kleine Prise Schnupftabak. Ein altes Sprichwort besagt: Wenn die US-Wirtschaft niest, bekommt die ganze Weltwirtschaft eine Erkältung. Das scheint nach wie vor zuzutreffen, obgleich die chinesische Grippe zunehmend an Bedeutung gewinnt. Würden beide gleichzeitig niesen, also die amerikanische und die chinesische Wirtschaft, riefe anstelle von „Gott segne Euch“ vielleicht jemand „Gnade uns Gott“. So weit sind wir aber noch nicht, obwohl es in der heutigen, hoch verschuldeten Zeit zu realisieren gilt, dass der Preis des Geldes und die laufenden Kosten unserer Verschuldung von zentraler Bedeutung für die Gesundheit der Wirtschaft sind. Die Große Rezession wurde vor allem durch die Notenbanken ausgelöst, die den Preis der Kredite zu stark anhoben, wenn man die Haushalte und die verschuldeten Spekulanten bedenkt, die ihre wachsende Zinsrechnung irgendwann nicht mehr tragen konnten. Als die Zahlungsausfälle bei US-Subprime-Hypotheken und Hochzinsanleihen häufiger wurden, weigerten sich die Kreditnehmer nicht nur, zusätzliche Kredite aufzunehmen, sondern wurden zu einer Liquidierung ihrer Hebelprodukte gezwungen, was einen sprichwörtlichen Run auf die „Kreditbank“ auslöste, der sich in den USA inzwischen auf rund 75 bis 85 Billionen US-Dollar beläuft. Als die US-Notenbank ihren Leitzinssatz zwischen 2004 und 2006 auf 5,25% anhob, folgte sie einem historischen 2 Mai 2014 | Investment outlook Standardmodell, das eine Abflachung der Zinskurve bewirken sollte. Damit würden Kredite teurer und die Wirtschaftsaktivität abgebremst, um die Inflation zu dämpfen. Dieses 5,25%-Ziel wurde zum einen auf Basis dessen gewählt, was als Taylor-Regel bekannt war und nach wie vor ist, und beruhte zum anderen auf der recht praktischen Annahme, dass eine Annäherung der kurzfristigen Zinsen an das Niveau des nominalen BIPWachstums in der Regel auf das Endziel eines Straffungszyklus hindeutet. Was die US Federal Reserve dabei jedoch nicht bedachte, war der wachsende Schuldenberg, der es dem System nicht länger erlaubte, den geldpolitischen Standardregeln von Taylor und BIP zu folgen. Ich stelle diese historische Betrachtung an, um das Problem zu verdeutlichen, mit dem in dieser neuen Epoche der hohen Verschuldung nicht nur die Fed umgehen muss sondern auch alle anderen Notenbanken. Hohe Schuldenniveaus verändern nicht notwendigerweise die Regeln der Finanzwelt – wer mitspielen möchte, muss bezahlen –, sondern die Modelle, auf denen sie basieren. Damit die Schuldner in einer verschuldeten Wirtschaft überleben können, die Schuldenlast als prozentualer Anteil am BIP reduziert werden kann und die Länder eine Rezession oder Depression verhindern können, müssen die Zinsen niedriger sein! Doch wie sieht der magische „neutrale“ Zinssatz aus, der in einem schuldenreichen Umfeld all dies bewirken kann? Schwer zu sagen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Federal Reserve und die anderen Notenbanken mit ihrer expansiven Geldpolitik, ihren Fristverlängerungen, ihren magischen blauen Punktdiagrammen sowie anderen Zaubertränken und Heilmitteln weiter voranstolpern, während sie versuchen, ein vorteilhaftes Ergebnis zu erzielen. Trotz der Unsicherheit und der neuen Bedeutung historischer Modelle, die sich an der Arbeitslosigkeit als praktischem Leitfaden orientierten, gab es dennoch Untersuchungen, die eine Annäherung an einen neutralen US-Leitzins erlauben dürften. So verfassten Thomas Laubach und John Williams, die beide dem Vorstand der US-Notenbank angehören, bereits 2001 ein frühes Werk mit dem Titel „Messung des natürlichen Leitzinses“. Ihr aktualisiertes Modell, das auf der Website der Federal Reserve von San Francisco zu finden ist, legt nahe, dass der „neutrale nominale US-Leitzins“ gegenwärtig bei nur 50 Basispunkten liegen könnte sowie bei 150 Basispunkten unter der Annahme einer künftigen Inflation von zwei Prozent. Bill Dudley, Präsident der Federal Reserve von New York, hielt im Mai 2012 hingegen eine bedeutende Rede, in der er von einem „neutralen Realzins“ um null Prozent sprach, was wiederum einen Nominalzins von 200 Basispunkten impliziert, sofern die US-Notenbank ihr Inflationsziel erreicht. Saumil Parikh von PIMCO kam im März 2013 in einem „Asset Allocation Focus“ zu dem Schluss, dass der langfristig neutrale, nominale US-Leitzins bei 100 Basispunkten beziehungsweise bei einem Prozent liegt – und die Teuerungsrate bei zwei Prozent sowie das BIP-Wachstum bei etwa fünf Prozent stabilisiert. Diese Schätzungen sind jedoch nichts anderes als das – Annäherungen an den neutralen Leitzins in einer Wirtschaft der „Neuen Normalität“, die von einem hohen Schuldenberg und anderem strukturellen Gegenwind belastet wird, wie die Globalisierung, die Alterung der Gesellschaft und die Technologie. Dennoch vermute ich, dass diese Schätzungen mit einem Schnitt von unter zwei Prozent der finanziellen Realität viel eher entsprechen als die recht unterschiedlichen Prognosen von durchschnittlich vier Prozent, die durch die Fed-Mitglieder mittels „blauer Punkte“ abgegeben und durch Fed-Chefin Janet Yellen im vergangenen Monat schon fast belächelt wurden. Aus welchem Grund ist dieser akademische „Kampf in der Fed“ relevant für die Märkte? Nun – wenn ein Anleiheninvestor wüsste, ob der langfristig neutrale Leitzins bei vier oder zwei Prozent liegt, hielte er sprichwörtlich den Schlüssel zum Königreich in den Händen. Derzeit rechnen die Terminmärkte bis etwa 2020 mit einem Anstieg des Nominalzinses auf vier Prozent. Beliefe sich der neutrale Zinssatz hingegen auf zwei Prozent und nicht auf vier, wären Anleihen nicht künstlich hoch-, sondern attraktiv bewertet. Anstatt sich in einem Bärenmarkt wiederzufinden, der von Marktkennern aktuell mit fast hundertprozentiger Sicherheit vorausgesagt wird, erhielten Anleihenhalter ein wenig Trost durch eine niedrig rentierliche, gleichzeitig jedoch weniger volatile Zukunft. Anleihen könnten ihren „Beschlagnahme-Zertifikat”-Charakter für ein weiteres Jahrzehnt oder noch länger ablegen, da ein neutraler Leitzins von zwei Prozent die Verschuldung der Volkswirtschaft reduzieren würde, ohne Inflationsangst hervorzurufen. Bei PIMCO sind wir überzeugt, dass der entscheidende Schlüssel für eine Generierung von Mehrwert an allen Anlagemärkten in einem entsprechenden Fokus auf den künftigen „neutralen“ Leitzins zu finden ist. Rentieren Barmitteln künftig mit zwei und nicht mit vier Prozent – unsere Einschätzung –, müssen wir zudem davon ausgehen, dass auch andere Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien nahezu angemessen bewertet sind. Die aktuelle Angst vor einer Vermögensblase wäre unbegründet. Ein neutraler Leitzins von zwei Prozent ist allerdings keine Win-WinSituation für die Anleger. Er hat seinen Preis: und zwar eine finanzielle Zukunft mit wesentlich geringeren Anlageerträgen als in der Vergangenheit. Es liegt auf der Hand, dass Sparer eine vierprozentige Rendite auf ihre zurückgelegten Gelder einem Zins von zwei Prozent eindeutig vorziehen würden. Das versteht sich von selbst. Der Weg hin zu diesen vier Prozent wäre jedoch um einiges holpriger, und „Bärenmarkt“ wäre eine passende Beschreibung für die bevorstehenden fünf Jahre. Genau dies versucht die Fed zu vermeiden, setzt die Märkte dabei jedoch einer „finanziellen Repression“ aus und bietet einen „YellenPut“, der geringe Anlageerträge zur Folge hat. Mögliche zwei Prozent für Barmittel anstelle von vier Prozent, mögliche drei Prozent für zehnjährige US-Staatsanleihen anstelle von fünf Prozent, Aktienerträge von vier Prozent anstelle von fünf bis sieben Prozent – letztlich ist die finanzielle Repression kein Freund der Anleger, da sie die Erträge von Barmitteln und allen anderen Finanzwerten verringert. Sie sagen also, dass Sie mehr benötigen? Willkommen im Club. Die meisten Pensionsfonds rechnen mit einer Gesamtrendite von sieben bis acht Prozent, um ihren künftigen Pensionsverbindlichkeiten nachzukommen. Zwar wünschen die Anleger, dass ihr „Kuchen“ zum aktuellen Marktpreis bewertet wird, ziehen es jedoch gleichzeitig vor, künftige Erträge nahe dem zweistelligen Bereich zu „verspeisen“. Bei einem neutralen Leitzins von zwei Prozent wird dies allerdings nicht geschehen. Nichtsdestotrotz gibt es Möglichkeiten, dagegen vorzugehen – die meisten erfordern eine Inkaufnahme verschiedener Risiken, an die Sie vielleicht bereits gewöhnt sind: alternative Anlagen, Hedgefonds, gehebelte geschlossene Fonds oder ein höherer Aktienanteil gegenüber Anleihen in Ihrem Privatportfolio. Die Portfoliomanager von PIMCO verstehen diesen Sachverhalt Investment outlook | Mai 2014 3 und können auch ein auf die Gesamtrendite ausgerichtetes Anleihenportfolio in eine höher rentierliche Anlage umwandeln. In einer Welt, in der die Leitzinsen bei zwei Prozent liegen, gehen all diese Alternativen mit potenziell höheren Renditen einher, während sich Barmittel schlechter entwickeln, gleichzeitig jedoch eine günstige Verbindlichkeit darstellen und zum Vorteil eines Anlegers geliehen werden können. Wenden Sie sich mit Ihrem Erkältungsproblem an uns: Wenn Sie niesen, werden wir Ihnen einfach die Hand drücken und mitteilen, dass wir damit gesegnet sind, Sie zu haben. Hoffentlich trifft dies auch auf die Gegenseite zu. Um dies zu wissen, ist noch nicht einmal eine Prise Schnupftabak nötig. Hatschi – Resümee 1.) Der künftige „neutrale“ Leitzins ist für alle Vermögenswerte von Bedeutung. 2.) Derzeit vertreten die Akteure der US-Notenbank die Ansicht, dass der neutrale Zins bei vier Prozent liegt. 3.) PIMCO ist überzeugt, dass ein neutraler Zinssatz von zwei Prozent der Wahrheit eher entspricht. 4.) Wenn dem so ist, neigen die Anlagemärkte nicht zur Blasenbildung, sondern gehen lediglich mit niedrigen Erträgen einher. 5.) Wenn Sie höhere Renditen wünschen, sollten Sie sich in anderen Risikosegmenten umsehen. 6.) Bringen Sie auf jeden Fall ein Taschentuch mit. Haaatschii! William H. Gross Managing Director Die Wertentwicklung in der Vergangenheit bietet keine Gewähr und ist kein verlässlicher Indikator für zukünftige Ergebnisse. Alle Anlagen bergen Risiken und können an Wert verlieren. Es wird keinerlei Gewähr dafür übernommen, dass die angegebenen Anlagestrategien in jedem Marktumfeld erfolgreich durchsetzbar sind und sich für jeden Anleger eignen. Investoren sollten daher ihre Möglichkeiten eines langfristigen Engagements insbesondere in Phasen rückläufiger Märkte überprüfen. Anleger sollten vor einer Anlageentscheidung ihren Anlageexperten konsultieren. Diese Veröffentlichung gibt die Meinungen des Verfassers, aber nicht unbedingt die Ansichten von PIMCO wieder, und diese Meinungen können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Diese Veröffentlichung dient ausschließlich zu Informationszwecken. 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