Vorwort

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Vorwort
Die Kognitive Verhaltenstherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten als das wohl
erfolgreichste psychotherapeutische Interventionsverfahren etabliert. Dieser Umstand erscheint insofern nicht verblffend, als diverse Faktoren ihre Verbreitung
und ihre Anwendung gefrdert haben: Wohl kaum ein anderes therapeutisches
Verfahren ist so umfangreich durch wissenschaftliche Untersuchungen begleitet
und auf Wirksamkeit geprft worden wie die Kognitive (Verhaltens-)Therapie.
Sie hat sich dabei, auch im Vergleich zu anderen therapeutischen Richtungen, als
besonders wirksame, effiziente (und damit fr die Kostentrger auch als gnstige) Interventionsmethode zur Behandlung emotionaler Probleme im Einzelund Gruppensetting erwiesen. Die Zulassung der Verhaltenstherapie als erstattungsfhiges Verfahren im Rahmen der Psychotherapierichtlinien und die Anerkennung der Methode fr die Approbation zum psychologischen oder rztlichen
Psychotherapeuten hat einen zustzlichen Boom in ihrer Verbreitung ausgelst.
Dieses Buch beschreibt also ein bereits gut bewhrtes psychotherapeutisches Verfahren, das besonders in den letzten Jahrzehnten starke Verbreitung gefunden
hat und ußerst erfolgreich angewendet wird. Es wendet sich in erster Linie an
Fachleute, also an diejenigen, die in Therapie und Beratung ttig sind oder sich
in Ausbildung zum Therapeuten befinden. Es dient als einfhrende Arbeitsgrundlage fr die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung emotionaler
Probleme in der Einzel- und Gruppentherapie. Der Leser lernt eine ußerst effektive Methode kennen, emotionale Probleme seiner Patienten gezielt anzugehen,
strukturiert und zielgerichtet zu bearbeiten und abzubauen, und er kann auch
persnlich davon profitieren.
Nach kurzer Einfhrung in das Wesen, die Kennzeichen und Besonderheiten der
Kognitiven Verhaltenstherapie wird das kognitiv-verhaltenstherapeutische Modell zur Entstehung und Aufrechterhaltung und zur Behandlung emotionaler
Probleme in den einzelnen Phasen der kognitiven Umstrukturierung dargestellt.
Die zahlreichen Fall- und Interventionsbeispiele sind sprachlich so gehalten, dass
sie direkt fr den therapeutischen Einsatz bernommen werden knnen. Diverse
Arbeitsmaterialien, praktische Anwendungshinweise und Tipps fr den Umgang
mit speziellen Patiententypen und deren typischen Fragen und Einwnden erleichtern den Einstieg in die praktische Umsetzung des Gelernten.
Besonders hilfreich fr Leser, die sich in einer Therapie- oder Approbationsausbildung befinden: Jedes Kapitel schließt mit bungsaufgaben und Literaturhinweisen ab. Die bungsaufgaben dienen einerseits der eigenen berprfungsVorwort
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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mglichkeit, um zu testen, wie viel man vom Gelesenen behalten hat oder welche
Inhalte gegebenenfalls zur Auffrischung nachgearbeitet werden sollten (die Antworten stehen im Text des entsprechenden Kapitels), andererseits aber auch als
potentielle Prfungsfragen fr diese Thematik. Die Literaturhinweise zielen auf
besonders geeignete Texte, um die Inhalte des betreffenden Abschnitts vertiefend
zu bearbeiten.
Ebenso wie das therapeutische Verfahren selbst, ist auch diese Einfhrung
besonders auf Klarheit, Struktur und inhaltliche Logik ausgerichtet, denn ein
zentrales Anliegen ist auch das Training des Lesers, seiner Klientel eben dies zu
vermitteln. Die meisten Patienten haben ja genau diese Fhigkeit verloren: Emotionalen Turbulenzen strukturiert, das heißt przise, zielgerichtet und geplant zu
begegnen und den eigenen inneren „roten Leitfaden“ wiederherzustellen.
Ein wesentliches Ziel Kognitiver Verhaltenstherapeuten besteht darin, ihren Patienten Hilfestellung zur Selbsthilfe zu geben und die bernahme von Eigenverantwortung zu frdern. Dazu fhren sie ihre Klientel von Beginn an in die Methodik, Vorgehensweise und „Werkzeuge“ des Kognitiven Modells ein, aus arbeitskonomischen Grnden meist in Form von Bibliotherapie, das heißt unter
Verwendung patientengerechter Lektre, mit der die Betroffenen die vermittelten
Inhalte so lange wie ntig in der ihnen eigenen Lese- und Lerngeschwindigkeit
nacharbeiten knnen. Dazu eignet sich besonders das fr diese Thematik konzipierte Therapiebegleitbuch: Stavemann, H.H. (2001): „Im Gefhlsdschungel –
Emotionale Krisen verstehen und bewltigen“, denn das dort fr Betroffene beschriebene Vorgehen, die „Werkzeuge“, Fallbeispiele und Terminologie sind mit
diesem Buch abgestimmt.
Hamburg und Apia, im Januar 2003
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Harlich Stavemann
Vorwort
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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In die problemtypische bungsleiter (siehe Phase 5, S. 254ff.) dieser Klientel
gehren Verhaltensbungen, in denen das adquate geschlechtsspezifische
Rollenverhalten, Konkurrenz mit Gleichgeschlechtlichen um potentielle Partner, Herausstellen sexueller Attraktivitt (z.B. durch Schminken, Kleidung,
Frisur) und erwachsenes Annherungsverhalten gebt wird.
3.2 Anwendung des ABC-Modells zur Identifikation
dysfunktionaler Kognitionen
Da man nur die Fehler beseitigen kann, die man auch erkennt, werden wir nun
betrachten, was zu tun ist, um dysfunktionale Konzepte aufzuspren. In dieser
„Konzept-Diagnose-Phase“ geht es zunchst darum, irrationale Muster zu erfassen.
Bewusste Denkprozesse. Am einfachsten ist das natrlich, wenn die Patienten
ihre Denkweisen bereits (oder noch) erkennen knnen. In solchen Fllen lsst
sich mit Hilfe des ABC-Modells der inhaltliche Zusammenhang zwischen Denken und Fhlen problemlos darstellen. Dazu sammeln und notieren die Patienten ber mehrere Tage mit Hilfe des ABC-Modells die Situationen, Gedanken
und Verhaltensweisen, die fr ihr Problem typisch sind. Diese Beispiele dienen
dann spter als Grundlage fr den therapeutischen nderungsprozess.
Am Beispiel von Frau Optimax betrachten wir, wie man das macht.
BEISPIEL
Frau Optimax erstellt ihr B
Frau Optimax, die gebte Null-Verzicht-Denkerin und ausgebuffte Entscheidungsverweigerin (siehe Beispiel auf S. 86) kennt genau ihre unangemessenen
Denkmuster, wenn sie sich mal wieder nicht entscheiden will. Sie stellt hierzu
aus dem Gedchtnis ein ABC auf, das spter als weitere Arbeitsgrundlage dient:
A: Es ist Mittwoch, 14.30 Uhr, ich sitze in der Kche mit den Kleinanzeigen
in der Hand.
B1: Der Wagen, den ich mir heute Morgen angesehen habe, ist wirklich mit
Abstand der beste, der in dieser Preisklasse auf dem Markt ist. Der wre
gut fr mich. Aber am nchsten Samstag gibt es wieder neue Angebote.
Mglicherweise ist noch ein besserer, gnstigerer dabei.
B2: Ich wrde mich unendlich rgern, wenn ich dann die falsche Entscheidung getroffen, mich zu frh fr diesen Wagen entschieden htte. Ich htte dann keinen Spaß mehr an diesem Fahrzeug, alles wr’ mir vermiest.
3.2 Anwendung des ABC-Modells zur Identifikation dysfunktionaler Kognitionen
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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Andererseits knnte auch nichts Passendes dabei sein, und dieser Wagen ist
dann schon verkauft. Ich stnde dann ziemlich dumm da.
B3: Das wre echt tzend!
C1: Angst (5), leichter Erregungsanstieg
C2: Ich lege die Zeitung weg und fange an abzuwaschen.
Unbewusste, verdeckte Denkmuster. Schwieriger wird die Angelegenheit natrlich, wenn Patienten ihre Denkmuster nicht mehr erkennen oder wenn zumindest ein Teil ihrer Gedanken unbewusst abluft, und es ihnen erscheint, als ob sie
berhaupt nichts gedacht, sondern direkt auf eine Situation, Person oder Sache
reagiert haben.
Bewertungen laufen umso schneller ab und verschwinden ins Unbewusste, je
hufiger bestimmte Auslser sich wiederholen und je fter bestimmte Gedankengnge bereits vollzogen wurden. Man kennt die Angelegenheit dann ja schon,
und so tritt der Bewertungsprozess immer mehr in den Hintergrund, wird blitzschnell, kaum noch wahrnehmbar vollzogen und wird schließlich unbewusst.
Hufig sind diese verdeckten kognitiven Prozesse fr emotionale Turbulenzen
verantwortlich.
Um unbewusste Denkvorgnge wieder ans Tageslicht zu frdern, kann man
„geleitete Vorstellungsbungen“ und das Verfahren des Gedankenstopps verwenden. Dahinter verbirgt sich ein relativ einfaches Vorgehen, das zu seiner erfolgreichen Anwendung aber einiger bung bedarf.
3.2.1 Geleitete Vorstellung und Gedankenstopp
Eine geleitete Vorstellungsbung beschreibt ein Verfahren, bei dem der Therapeut den Patienten gedanklich in eine typische, problemrelevante Situation fhrt
und diese inhaltlich derart gestaltet, dass sie fr den Patienten in sukzessiv steigender Schwierigkeit abluft. Der Patient versucht, seine Emotionen und Gedanken zu beobachten, whrend er sich in der Vorstellung in die geschilderte Situation begibt.
Die Technik des Gedankenstopps dient dazu, verdeckte kognitive Prozesse
wieder in das Bewusstsein zurckzuholen.
TIPP
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Gedankenstopps zum Aufspren dysfunktionaler Konzepte lassen sich sowohl
bei Vorstellungs- als auch bei Verhaltensbungen anwenden. Dabei begeben
sich die Patienten – entweder in der Vorstellung oder aber tatschlich – in eine
Situation, in der sie ihre problematischen Konzepte normalerweise aktualisieren. Dabei sollen die Patienten so genau wie mglich auf das Auftreten der
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Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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betreffenden emotionalen Reaktion achten. Sobald sie diese erkennen, rufen
sie innerlich laut: „Halt! Stopp!“ und versuchen, sich folgende Fragen zu beantworten: „Welches Gefhl habe ich gerade? Was ist da gerade abgelaufen?
Was habe ich eben gedacht, so dass ich mich jetzt so fhle? Was ging mir in
dieser Sekunde durch den Kopf?“
Je verborgener die problematischen Gedanken sind, umso mehr Versuche werden
die Patienten bentigen, um sie auf diese Weise nach und nach wieder ins Bewusstsein zu rcken. Haben die Patienten ihre Bewertungssysteme erkannt, werden sie dazu ABCs aufstellen, um dann spter daran verndernd zu arbeiten.
3.2.2 Identifikation dysfunktionaler Konzepte auf der
Vorstellungsebene
Meist versucht man zunchst, verdeckte Konzepte auf der Vorstellungsebene mit
Hilfe einer geleiteten Vorstellungsbung zu erarbeiten, um ein zeitraubendes, oft
sehr aufwendiges Aufsuchen problemtypischer Situationen in vivo zu umgehen.
BEISPIEL
Herr Kontrolletti erarbeitet sein B in einer geleiteten Vorstellungsbung
Herr Kontrolletti hat Flugangst, die er wegen seiner Geschftsreise nach Kapstadt unbedingt bearbeiten mchte (siehe Beispiel auf S. 41). Htte die Rekonstruktion von Kontrollettis Bewertungssystem „von unten“ (siehe Beispiel
auf S. 45ff.) nicht geklappt, htte der Therapeut versucht, nun mit einer geleiteten Vorstellungsbung voranzukommen. Verstandesmßig kann sich Herr
Kontrolletti seine immense Furcht ja nicht erklren. Er weiß, dass Flugreisen,
statistisch gesehen, weitaus ungefhrlicher sind als die mit anderen Verkehrsmitteln. In denen hat er jedoch keine Angst. Obwohl er weiß, dass es viel
wahrscheinlicher ist, mit dem Auto zu verunglcken, fhrt er doch damit jeden Tag ohne Befrchtungen ins Bro. Da die angefhrten, bewussten Bewertungen ber das Fliegen die Angst nicht erklren, ist es wahrscheinlich, dass er
weitere, unbewusste gefllt hat. Daher bekommt er nun in der Therapiestunde
die Anweisung, sich die vom Therapeuten plastisch geschilderten Situationen
mglichst genau und realistisch auszumalen. Sobald er Unruhe oder Angst in
sich aufsteigen versprt, soll er einen Gedankenstopp vornehmen: „Halt!
Stopp! Wovor habe ich jetzt Angst? Was habe ich gerade gedacht? Was genau
befrchte ich? Was knnte mir passieren?“
Der Therapeut beginnt dann, die Situationen vom Einchecken ber das Einsteigen, Starten und Fliegen so realittsnah wie mglich zu schildern, bis es
3.2 Anwendung des ABC-Modells zur Identifikation dysfunktionaler Kognitionen
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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Herrn Kontrolletti gelingt, Antworten auf diese Fragen zu finden und sich seine verdeckten Bewertungen bewusst zu machen.
Nach verschiedenen Anlufen – der Therapeut schildert gerade, wie das Flugzeug auf der Startbahn zum Abheben ansetzt – beobachtet Herr Kontrolletti
bei sich folgende Gedanken:
B1: Beim Fliegen bin ich passiv, ich werde geflogen, ich kann nichts machen,
nichts beeinflussen. Ich bin auf Gedeih und Verderb den Piloten ausgeliefert. Ich muss mich ihnen in die Hand geben. Ich mag dieses Ausgeliefertsein, diese Abhngigkeit nicht und werde bestimmt wieder verkrampfen.
B2: Andere knnten das sehen, knnten meine Unruhe und Angst erkennen
und sich darber lustig machen. Sie knnten sich gegenseitig anstoßen
und auf mich zeigen, wie ich da verkrampft in meinem Sitz hocke und
mich auslachen. Ich wre dann total verachtenswert.
B3: Das wre furchtbar peinlich!
Nun – nach Aufdecken dieser Bewertungen – wird seine Flugangst natrlich
verstndlich. Und an diesen unangemessenen Gedanken wird die weitere therapeutische Arbeit ansetzen.
3.2.3 Identifikation dysfunktionaler Konzepte auf der
Verhaltensebene
Ist der Patient nicht in der Lage, seine verdeckten Konzepte auf der Vorstellungsebene zu erarbeiten – sei es aus mangelndem Vorstellungsvermgen oder wegen
innerer Widerstnde gegen diese Phantasie – wird man die problemtypischen
Situationen in vivo aufsuchen mssen, um den dysfunktionalen Mustern auf die
Schliche zu kommen.
Wie das funktioniert, demonstriert uns Frau Kontrolletti.
BEISPIEL
Frau Kontrolletti erarbeitet ihr B in einer Verhaltensbung
Frau Kontrolletti kam wegen sexueller Schwierigkeiten zur Behandlung (siehe
Beispiel auf S. 40). Sie kann sich beim Geschlechtsverkehr nicht entspannen,
ist nicht in der Lage, sich ‚fallen zu lassen und hat noch nie sexuelle Befriedigung erfahren. Ihre innere Verkrampfung und ihre diffuse Angst kann sie sich
aber nicht erklren.
Der Versuch, mit Hilfe von Vorstellungsbungen an die unangemessenen Bewertungen heranzukommen, zeigt keinen Erfolg. Sie ist nicht in der Lage, ihre
Gedankenablufe und Befrchtungen zu erkennen, wenn sie sich die Situation
vorstellt: ‚Ich schlafe mit meinem Mann.
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3 Phase 2: Identifikation dysfunktionaler Konzepte
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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Frau Kontrolletti bekommt nun die Aufgabe, in den nchsten Wochen so oft
wie mglich mit ihrem Mann zu schlafen und ihre Gedanken dabei genau zu
beobachten. Immer wenn sie bemerkt, dass sie zu verkrampfen beginnt oder
Angst versprt, soll sie einen Gedankenstopp vornehmen. Sie wird dann ihren
Gedankenfluss unterbrechen, indem sie sich sagt: „Halt! Stopp! Wovor habe
ich jetzt Angst? Was befrchte ich gerade? Woran habe ich gerade gedacht?
Welche negativen Konsequenzen male ich mir aus? Was knnte mir passieren?“
Sie soll dies so lange wiederholen, bis sie ihre verdeckten Bewertungen herausgefunden hat.
Nach etlichen ergebnislosen Versuchen gelingt es ihr schließlich, nach und
nach die Befrchtungen aufzudecken, die sie mit der Situation „ich schlafe
mit meinem Mann“ verbindet, und sie erklrt ihre Befrchtung: „Ich knnte
beim Orgasmus die Kontrolle ber mich und mein Verhalten verlieren. Ich
muss mich jederzeit unter Kontrolle haben – ich knnte sonst mglicherweise
Dinge von mir preisgeben oder Seiten an mir entdecken, die mir ußerst peinlich sind, die andere verachten oder gegen mich ausspielen knnten. Wenn
mich mein Mann so unkontrolliert erlebt, mag er mich vielleicht nicht mehr.
Wer weiß, was passiert, wenn ich die Dinge um mich herum nicht mehr unter
Kontrolle habe oder womglich merkwrdige Tne von mir gebe. Es ist mir
unheimlich …“
Ihre Angstreaktion und ihr Verkrampfen als physiologische Begleitsymptomatik werden jetzt nachvollziehbar. Das weitere therapeutische Vorgehen wird
sich mit diesen Normen und Befrchtungen von Frau Kontrolletti befassen.
3.3 Typische Fragen und Einwnde
„Warum fhren denn Bewertungen wie entsetzlich, furchtbar, katastrophal
oder unertrglich in der Regel zu unntigen Gefhlsstrmen?“
Die meisten Patienten, die zum Katastrophendenken neigen, werden diese Unterscheidungen fr Wortklauberei halten, aber sehen wir doch einmal ganz genau
hin: Worte wie schrecklich, unertrglich, katastrophal oder furchtbar bedeuten
weitaus mehr als sehr, sehr schade oder schlimm, hchst unerwnscht oder ußerst
lstig. Es gibt sehr wenig auf der Welt, was man nicht ertragen kann: Dazu gehren ausschließlich fatale, tdliche Situationen, Krankheiten oder Ereignisse. In
solchen Fllen wre Katastrophendenken noch verstndlich. Aber zum Glck
handelt es sich meist nicht um derart Lebensbedrohliches, wenn jemand „katastrophisiert“.
Egal wie unerwnscht oder schlimm eine Situation auch fr jemanden sein
mag: Sie ist oder wre lediglich genau das. Auch wenn man sie extrem schlimm
und unerwnscht fnde, wird sie deswegen nicht unertrglich, katastrophal,
furchtbar oder entsetzlich.
3.3 Typische Fragen und Einwnde
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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Letzteres fhrt zu Panik oder Deprimiertheit und meint inhaltlich weit mehr
als sehr unerwnscht oder schlimm. Es hat eine darber hinausgehende, fast magische, lhmende Bedeutung, die – realistisch betrachtet – selten gerechtfertigt
ist.
„Ja, geht denn das? Darf man das alles, jede Moral und jedes Gesetz in Frage
stellen?“
Bei Patienten, die das Konzept des absoluten Forderns und Muss-Denkens anwenden, droht vehementer Widerstand. Es verwundert nicht, dass der Therapeut
bei diesen Patienten leicht auf Gegenwehr, auf mehr oder weniger offenes aggressives Verhalten und vehemente Emprung stßt, wenn seine Antwort anders ausfllt, als sie sich das vorstellen, und er ihre rigiden Normen in Frage stellt. Da
diese Patienten bereits eine klare Vorstellung von richtig und falsch besitzen,
wird das ziemlich hufig der Fall sein. Zudem neigen diese Patienten dazu, die
Verantwortlichkeit fr das eigene Leiden nach außen zu verlagern: Der, die oder
das ist schuld, dass sie so leiden, und deswegen sollte der, die oder das sich ndern oder gendert werden. Beim ersten Versuch, eigene Anteile oder Eigenverantwortlichkeit der Patienten fr ihr emotionales Leid herauszuarbeiten, wird
dem Therapeuten daher in der Regel Widerstand in Form verhaltener Entrstung
bis aggressiver Emprung entgegenschlagen.
Gerade bei dieser Klientel hat sich die sokratische Gesprchsfhrung (siehe:
S. 145ff.; ausfhrlicher: Stavemann, 2002) als besonders hilfreich erwiesen: Der
Therapeut sollte seine Patienten selbst ihre eigenen rigiden, irrationalen oder
dysfunktionalen Kognitionen entlarven und ad absurdum fhren lassen. Er sollte
sie auch selbst ein neues, funktionales Konzept erarbeiten lassen und sich dabei
mglichst jeder Form von Statements, Belehrungen und sophistischer Wissensvermittlung enthalten. Dabei bleibt er in der Rolle des interessiert, naiv Fragenden und vermeidet den Eindruck, er htten die richtige Lsung.
„Aber natrlich lsst sich objektiv feststellen, was gerecht ist und was nicht!“
Wie bei Patienten mit anderen rigiden Denkkonzepten stßt der Therapeut bei
Patienten, die sich des Gerechtigkeitsdenkens bedienen, auf Widerstand und
mehr oder weniger offenes aggressives Verhalten, wenn er das vorhandene Konzept in Frage stellt. Auch bei diesem Thema ist die sokratische Gesprchsfhrung
daher das Mittel der Wahl, um die Patienten die Irrationalitt ihrer Denkmuster
selbst erkennen und danach eigene alternative Konzepte entwickeln zu lassen
(siehe: S. 145ff. ; ausfhrlicher: Stavemann, 2002, Kap. 7.3).
„Aber man muss doch zu einer gemeinsamen Lsung oder zu einem Kompromiss
kommen, wenn einem etwas an der anderen Person liegt!“
Der Therapeut kann Patienten, die zum „Meinungenverkaufen“ neigen, anhand
einfacher Beispiele erklren, dass man nicht einer Meinung sein muss, um miteinander auszukommen: Wenn man beispielsweise ber die Schnheit roter und
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3 Phase 2: Identifikation dysfunktionaler Konzepte
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
weißer Rosen stritte, wie sollte da ein „fairer“, sinnvoller Kompromiss aussehen?
Es wre ja wohl ebenso unntig wie unsinnig, wenn sich beide Seiten darauf einigten, knftig nur noch die rosafarbenen schn finden zu wollen. Oder wenn
sich der Regenfreund mit dem Sonnenanbeter auf Nebel einigte. Wem wre damit gedient?
Meinungen sind persnliche Werturteile, nicht mehr, nichts anderes.
Jeder darf eigene Ansichten darlegen und erlutern, warum er diese bevorzugt.
Jedem ist es freigestellt, die eigene Ansicht zu hinterfragen oder auch nicht. Jeder
darf seine alte Sichtweise ndern, sie ganz oder teilweise durch die anderer Leute
ersetzen, wenn ihm diese besser gefllt als die eigene, alte.
„Das meinen Sie doch wohl nicht wirklich, oder?!“
Aggressive Patienten sind nicht jedermanns Liebling. Hufig sind das Menschen,
die sich rigider Denkmuster bedienen, wie „Meinungsverkufer“ und „Tatsachenverdreher“. Sollte der Therapeut Schwierigkeiten damit haben, mit diesem
Patiententypus auszukommen, kann er das „Toreroverhalten“ ben: Sofern er im
Visier seines Patienten steht und dessen Unmut, rger oder Aggression erhlt,
sollte er diese, wie den Stier mit gesenkten Hrnern, an sich vorbeidonnern lassen. Der Patient leidet selbst unter den Auswirkungen dieses dysfunktionalen
Verhaltens und kommt genau deswegen zur Behandlung. Sobald der Therapeut
dessen Verhalten (wenn auch als lstig und unerwnscht) akzeptiert, wird er sich
nicht aufgrund eigener rigider Muster („Das darf der nicht mit mir machen!“) in
rger versetzen und sich womglich selbst wutschnaubend mit ebenfalls gesenkten Hrnern in den Weg des Aggressors stellen. So ein Zusammenprall wre,
nicht nur in therapeutischer Hinsicht, ein Fiasko.
„Aber es knnte doch auch Menschen geben, die sich meine Schwachstellen zunutze machen wollen!“
Der Therapeut sollte gegenber Patienten, die zum „Selbstschutzdenken“ neigen,
einrumen, dass dies durchaus mglich ist, und ihnen Folgendes erklren:
„Stellen Sie sich vor, Sie htten eine wunderschne, neu mblierte, renovierte
Wohnung. Zur Einweihung haben Sie etliche Leute eingeladen, darunter auch jemanden, den Sie noch nicht so gut kennen. Diese Person benimmt sich recht ungewhnlich: Sie ascht berall hin (nur nicht in den Aschenbecher), tritt die Zigaretten auf dem neuen Teppichboden aus und schreibt Witze auf das neue
Ledersofa. Ihre guten Glser werden natrlich nach dem Austrinken stilgerecht
an die Wand geworfen …
Ja, was macht man denn da?
Genau: Den werfen Sie raus. Den lassen Sie knftig nicht mehr rein, nicht an sich
heran. Nur: Jetzt wissen Sie, warum.“
Lernziel: Erst wenn man sich so zeigt, wie man wirklich denkt und fhlt, kann
man zwischen Freund und Feind unterscheiden, da andere erst jetzt eine Chance
haben, sich rcksichtsvoll zu verhalten. Zudem muss man dann nicht dauernd
3.3 Typische Fragen und Einwnde
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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befrchten, „entlarvt“ zu werden, dass andere die „Schwachstellen“ irgendwann
entdecken und einen daraufhin ablehnen und verlassen.
3.4 bungsaufgaben und vertiefende Literatur zu Phase 2
bungsaufgaben
(36) Bei welchen Themen und Konzepten ist eine Gesprchsfhrung in Form
Sokratischer Dialoge besonders indiziert? Weshalb?
(37) Bitte beschreiben und erklren Sie die larvierte Angst bei absolutem Fordern und Muss-Denken. Wieso ist sie larviert?
(38) Bitte nennen und beschreiben Sie 14 dysfunktionale Denkmuster.
(39) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Versicherungsdenken.
(40) Bei welchen Denkmustern mssen Sie am ehesten mit Widerstand rechnen? Wie kann man dieses Risiko vermindern?
(41) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Katastrophendenken.
(42) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn bei absolutem Fordern
und Muss-Denken.
(43) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Kindchenspielen.
(44) Weshalb ist es unsinnig, sich selbst oder andere pauschal zu bewerten?
(45) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Untertanendenken.
(46) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Punktesammeln.
(47) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Selbstschutzdenken.
(48) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn bei Applausfetischismus.
(49) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Meinungenverkaufen und Tatsachenverdrehen.
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3 Phase 2: Identifikation dysfunktionaler Konzepte
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
(50) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Verrenkungsdeuten.
(51) Bitte erklren Sie den Zusammenhang zwischen Magersucht und Kindchenspielen.
(52) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Gerechtigkeitsdenken.
(53) Bitte kreuzen Sie von den nachfolgenden Aussagen die an, bei denen es
sich um Tatsachenaussagen handelt:
(a) Man tut das nicht!
m
(b) Heute ist es zu warm.
m
(c) Menschen sind nie fehlerfrei.
m
(d) Die Sonne scheint gerade.
m
(e) Du bist sympathisch!
m
(f) Nach Montag kommt Mittwoch.
m
(g) Man darf nicht stehlen.
m
(h) Michael ist 32 Jahre alt.
m
(i) Kriege sind schlecht.
m
(j) Gesetze und Religionen sind Meinungen.
m
(k) Verbrecher gehren bestraft.
m
(l) Heute Mittag ist es wrmer als gestern.
m
(m) Lgen zahlen sich nicht aus.
m
(54) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Menschenwertbestimmen.
(55) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Schwarz-WeißMalen und Generalisieren.
(56) Nennen Sie die Konzepte, derer sich Menschen bedienen, um die bernahme von Verantwortung zu vermeiden.
(57) Bitte beschreiben Sie die kognitiven Kennzeichen, die psychodiagnostische
Einordnung und den typischen Symptomgewinn beim Null-VerzichtDenken.
(58) Bitte erklren Sie die Technik des Gedankenstopps auf der Vorstellungssowie auf der Verhaltensebene und geben Sie je ein Beispiel.
(59) Wann und mit welchem Ziel wendet man die Technik des Gedankenstopps an?
3.4 bungsaufgaben und vertiefende Literatur zu Phase 2
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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(60) Weshalb ist es so wichtig, vor Beginn der therapeutischen Vernderungsphase auch die unbewussten, verdeckten Bewertungen herauszuarbeiten
und in das Bewusstsein zurckzuholen?
Vertiefende Literatur
Ellis, A. & Harper, R.A. (1975). A New Guide to Rational Living. Hollywood:
Wilshire Book Company.
Maultsby, M.C. (1986). Coping Better … Anytime, Anywhere (2. Aufl.). Appleton: Rational Self-Help Books.
Scott, J., Mark, J., Williams, G. & Beck, A. (Hrsg.) (1991). Cognitive Therapy in
Clinical Practice. New York: Routledge.
Walen, S.R., Di Guiseppe, R. & Wessler, R.L. (1980). A Practitioners Guide to
Rational-Emotive Therapy. New York: Oxford University Press. Dt.: (1982).
RET-Training, Einfhrung in die Praxis der rational-emotiven Therapie.
Mnchen: Pfeiffer.
116
3 Phase 2: Identifikation dysfunktionaler Konzepte
Stavemann (2003). Therapie emotionaler Turbulenzen. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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