Wir sind alle Sternenstaub Die Entstehung der Elemente Dr. B. Pfeiffer GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung • Einführung: Was verstehen wir unter Elemente • Vom antiken Begriff und seiner Aktualität • Außerirdische Materie und Energiequellen der Sterne • Nukleosynthese • im Big Bang • in Sternen • Fusionsreaktionen geladener Teilchen • Neutroneneinfangsreaktionen • Galaktische chemische Entwicklung • Verteilung der Elemente • Außerirdisches Leben? Keplers Supernova 1604 Praesolares SiC-Staubkorn 6th Russbach Workshop on Nuclear Astrophysics Russbach, 2. März 2009, 20:15 1 Was ist Nukleare Astrophysik? Die Astronomie ist vielleicht die älteste Wissenschaft. Seit jeher werden Tageszeit und Kalender von den Himmelskörpern abgeleitet. Lange war die Berechnung der Positionen der Wandelsterne für Horoskope ihr Hauptanliegen. Die Natur der himmlischen Körper galt als unerforschbar. Astrometrie Seit den Arbeiten von Kirchhoff und Bunsen gestattet die Spektralanalyse des Lichtes der Sterne ihre physikalische Natur zu ergründen: Astrophysik Seiten 161 - 189 Spätestens seit der Kenntnis des Erhaltungssatzes der Energie (um 1845) stellte sich die Frage nach den Energiequellen der Sterne. Atomare Verbrennungsprozesse und Energie aus der Kontraktion von Sternen erwiesen sich als unzureichend. Erst Einsteins berühmte Formel wies den Weg: Umwandlung von Masse in Energie bei Kernreaktionen. Nukleare Astrophysik Keplers Supernova 1604 Es fällt zwar nicht der Himmel auf unsere Köpfe, doch hin und wieder fallen Meteorite zur Erde. Sie enthalten Informationen über die chemische und isotopische Zusammensetzung der außerirdischen Materie. Kosmochemie Kohliger Chondrit Murchison 2 Russbach09 Weshalb kein Vortrag über das Teleskop? Das Internationale Astronomiejahr 2009 soll an die (erste) Anwendung des Teleskops in der Astronomie 1609 durch Galilei erinnern. s Die Astronomische Gesellschaft und die Deutsche Physikalische Gesellschaft erinnern daran, dass Kepler 1609 nicht nur die Natur der Planetenbahnen erkannte, sondern auch nach einer physikalischen Erklärung suchte und damit die ASTROPHYSIK einleitete. Diese Arbeit stellt den Abschluss der um 1570 begonnenen Präzisionsmessungen dar, die mit den ersten Teleskopen nicht möglich gewesen wären. 3 http://www.staff.uni-mainz.de/bpfeiffe/vds-08.pdf Russbach09 Woher wissen wir, dass die Elemente eine Geschichte haben? Metallarme Sterne Teleskope gestatten es, die chemische Zusammensetzung von Sternen zu untersuchen. Mit kleinen Amateurgeräten kann man einige der interessanten Sterne sehen, doch zur Analyse müssen die größten Geräte benützt werden. Damit können Sterne beobachtet werden, die fast 10 Milliarden Jahre vor unserer Sonne entstanden sind als auch solche, die jetzt entstehen wie in der Orion-Wolke. Die ältesten Sterne bestehen fast nur aus Wasserstoff und Helium. Der Anteil der anderen 90 Elemente nimmt über 12 Milliarden Jahre stetig zu. Das zeigt, dass die Elemente entstehen und dass die Prozesse noch immer ablaufen. Im folgenden werde ich Ihnen einen Abriss dieses Geschehens vermitteln. 4 Russbach09 Der Einfluss der Gestirne Astrologische Vorträge finden erfahrungsgemäß ein größeres Publikum. Diese Erkenntnis hatte auch schon William Shakespeare, der öfter Andeutungen in seine Stücke aufnahm. In “Hamlet” erwähnt er sogar ein astronomisches Ereignis: Tychos Supernova von 1572. B2FH zitieren Shakespeare, doch geben sie dem alten Motto der Tabula Smaragdina Hermetis “Wie im Himmel so auf Erden” eine neue Bedeutung: “Wir sind gemacht aus Sternenstaub” EXPERIMENTAL AND THEORETICAL NUCLEAR ASTROPHYSICS; THE QUEST FOR THE ORIGIN OF THE ELEMENTS Nobel lecture, 8 December, 1983 by WILLIAM A. FOWLER W. K. Kellogg Radiation Laboratory California Institute of Technology, Pasadena, California 91125 Ad astra per aspera et per ludum Thus it is possible to say that you and your neighbor and I, each one of us and all of us, are truly and literally a little bit of stardust. 5 Russbach09 Tabula Smaragdina Hermetis Trismegisti Unbewusst habe ich statt den Worten der Smaragdtafel das Vaterunser eingesetzt: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Matthäus 6, 10 VERUM SINE MENDACIO, CERTUM ET VERISSIMUM: QUOD EST INFERIUS, EST SICUT QUOD EST SUPERIUS, ET QUOD EST SUPERIUS, EST SICUT QUOD EST INFERIUS, AD PERPETRANDA MIRACULA REI UNIUS. Es ist wahr ohne Lüge, es ist gewiss auf's Allerwahrhaftigste! Das Untere ist gleich demjenigen, das Oben ist. Und was Oben ist, ist gleich demjenigen das Unten ist, um das Wunder eines Einzigartigen Dinges zu Stande zu bringen. Es ist zwar (vordergründig) ein alchemistischer Text, doch wird er von Astrologen oft zitiert. Hermes Trismegistos Die älteste Quelle ist das arabische Buch “Kitab Sirr al-Asrar”, ein pseudo-aristotelischer Ratgeber für Herrscher, den Abd al-Qadir al-Jilani um 800 AD verfasste. Johannes Hispaniensis (≈1140) und Philip von Tripoli (≈1243) übersetzten es als “Secretum Secretorum”. 6 Russbach09 Sternenstaub in der Musik “Wir sind Sternenstaub” wird nicht nur von Astrophysikern gerne zitiert, sondern findet sich auch in der Musik, wobei “Vom selben Stern” von “Ich + Ich” ein aktuelles Beispiel ist. Das Liebeslied “Stardust” von Hoagy Carmichael/Mitchell Parish (1927/9) wurde in der BigBand-Adaptation eines der erfolgreichsten Songs mit 1800 Einspielungen. Es wird z.B. in Orson Welles berühmten Hörspiel “Krieg der Welten” vom 30.10.1938 (Vorabend von Halloween) als Kontrast zu den Schreckensmeldungen gespielt. We are stardust, we are golden, We are 2 billion year old carbon. Der Refrain aus Joni Mitchells Loblied auf das Woodstock-Festival soll zur Namensgebung der Sonde STARDUST angeregt haben, der wir noch begegnen werden. 7 Russbach09 “Zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält” Wie schon Faust suchen die Physiker nach den kleinsten Teilchen und den Kräften, die die Materie zusammenhält. Die Elementarteilchen und ihre Bildung im Big Bang sind zwar nicht direkt das Thema der nuklearen Astrophysik, doch befasst sie sich durchaus mit “existenziellen Fragen” für das Leben: a) Leben erfordert das Vorhandensein von chemischen Elementen schwerer als Helium. Volksbuch von 1587 b) Leben erfordert Selbstorganisation von Systemen, die durch Energiezufuhr in einem Nichtgleichgewichtszustand am Übergang zum Chaos sind. Die nukleare Astrophysik untersucht gerade diese miteinander verflochtenen Gebiete: • Die Energieerzeugung in Sternen und • die Nukleosynthese der chemischen Elemente schwerer als He in Sternen. Christopher Marlowe: “The tragical history of Dr. Faustus” Edition 1616 8 Russbach09 Begriffsbestimmung vorweg Das Wort Element(e) hat in der Umgangssprache eine Vielzahl von Bedeutungen. Heute soll daraus nur ein kleiner Ausschnitt behandelt werden. Man spricht z.B. vom "Wüten der Elemente" bei Naturkatastrophen, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Dies ist nicht das heutige Thema, doch reichen diese Begriffe weit in die Vergangenheit zurück, und sind im Alltag allgegenwärtig. Element/elementar steht für die Zurückführung komplexer Gegebenheiten auf Grundbegriffe, wie etwa Euklids Elemente, in denen die Mathematik aus Grundbegriffen (Axiomen) aufgebaut wird. Inhaltlich näher zum heutigen Vortrag ist folgende Definition: Als Elemente sollen die Körper bezeichnet werden, in die die anderen Körper zerlegt werden, und die in ihnen der Möglickeit nach oder der Wirklickeit nach vorliegen. Selbst ist aber ein Element in anderes der Art nach nicht zu zerlegen. Aristoteles: Über den Himmel Vol. III, Kap. 3 Heute werden wir uns mit den etwa 120 chemischen Elementen befassen, aus denen sich alle Stoffe unserer Umwelt (inklusive uns Menschen) zusammensetzen. Allerdings werde ich nicht über die chemischen Eigenschaften der Elemente sprechen, sondern über die Prozesse, die zur Entstehung der Elemente führten und noch führen. 9 Russbach09 Vier-Elemente-Lehre Schon immer versuchen die Menschen, die komplexe Umwelt verständlich zu machen, indem sie die vielfältigen Erscheinungen auf möglichst wenige Grundbegriffe zurückführen. Im 5. Jahrhundert v.Chr. stellte Empedokles von Agrigent eine Theorie über die Zusammensetzung der Materie auf, die bis heute nachwirkt: Danach besteht alles aus der Mischung von lediglich vier Urstoffen/-kräften: Feuer, Feuer Erde Wasser, Luft Luft, Wasser Erde Aristoteles führte noch Quintessenz ein. Weltall Plato (427-347) war davon überzeugt, dass alles einer Ordnung und einem höheren Gesetz unterliegt. Nachdem sein Freund Theaitetos (416-369) bewiesen hatte, dass es nur 5 regelmäßige Körper gibt, verknüpfte Plato im Timaios die Vier-Elemente-Lehre des Empedokles (490-430) mit Demokritos (460-370) Atomlehre. Im Gegensatz zu Demokritos sah er in den Atomen nicht kleine materielle Körper, sondern geometrische Figuren/Prinzipien. 10 Russbach09 Die Entwicklung des modernen Elementbegriffs Beginn der modernen Atomlehre Ag Die Vier-Elemente-Lehre bildete auch die Grundlage der Alchimie. Bei dem Bemühen um den "Stein der Weisen" entwickelten die Alchemisten viele der noch heute gebräuchlichen chemischen Analyse- und Syntheseverfahren. Dabei mussten sie feststellen, dass es mehr Grundstoffe gibt. Bis Ende des 17. Jahrhunderts hatten sie deren 15 gefunden. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts vollzog sich die Loslösung der (Labor-)Chemie von der Alchemie, wobei auch der Elementbegriff herausgearbeitet wurde. Als Beginn der modernen Chemie gilt R. Boyles The Sceptical Chymist (1661). Er fand keinen experimentellen Beweis für die Vier-Elemente-Lehre. Hg ☿ Cu ♀ Au ☼ Fe ♂ Sn ♃ Pb ♄ 7 Metalle 7 Planeten Bemerkenswert ist, dass sich die Elemente nur in bestimmten Verhältnissen, die ganzen Zahlen entsprechen, miteinander zu Molekülen verbinden [J.L. Proust (1794), J. Dalton (1804)]. Dies erklärte John Dalton damit, dass die Elemente aus nicht mehr teilbaren, kleinsten Einheiten bestehen, die er nach Demokrit Atome nannte. [A New System of Chemical Philosophy (1808)]. 11 Russbach09 Die Entwicklung des modernen Elementbegriffs Periodisches System der Elemente Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Elemente auf etwa 60 angewachsen und ein Ordnungsprinzip war erforderlich: Es wurde 1868/9 unabhängig von D.I. Mendeleev und L. Meyer (aufbauend auf Prousts und Daltons Abeiten) vorgeschlagen. Mendeleevs Gesetz der Periodizität: "Die Eigenschaften der Elemente sind eine periodische Funktion ihrer Atomgewichte." Die erfolgreiche Vorhersage der Eigenschaften fehlender Elemente führte zur Anerkennung dieses Systems. Kein Platz fand sich darin für das von Astronomen auf der Sonne postulierte neue Element Helium. 12 Russbach09 Die Entwicklung des modernen Elementbegriffs Quantenphysikalische Basis Die Mendeleev-Karte beruht auf den quantenmechanischen Eigenschaften der Atomhüllen. Erst die Quantentheorie erklärt “Besonderheiten" wie die Anordnung der Seltenen Erden (und der Aktiniden). Die Gruppe der Edelgase (rechte Spalte) konnte nicht auf Grund ihrer Verbindungen mit anderen Elementen eingeordnet werden, sie gehen praktisch keine ein! Die Quantentheorie stellt auch sicher, dass dieses Schema "vollständig" ist. Man kann z.B. keine Elemente in Die "Lücke" zwischen H und He in der ersten Reihe einfügen, wie einst Astronomen nach Messungen von Spektrallinien im Orion-Nebel vorschlugen: Nebulium. Nachdem die Chemiker/Physiker vor etwa 60 Jahren die letzten Lücken geschlossen hatten (Tc 1937 und Pm 1945), erzeugten sie künstlich neue, oft sehr kurzlebige Elemente. [Sie kommen auch in der Natur vor, sie entstehen bei Sternexplosionen. Im Sonnensystem sind sie jedoch schon zerfallen.] 13 Russbach09 Die Entstehung des modernen Elementbegriffs Die Zusammensetzung des Atomkerns Atomkerne setzen sich aus Protonen und Neutronen zusammen. Die Anzahl der Protonen Z entspricht der Stellung des Elementes im Periodischen System der Elemente. Eine gleiche Zahl negativer Elektronen umkreist diesen Kern, sodass das Atom als Ganzes elektrisch neutral ist. Die Anzahl N der Neutronen im Kern kann variieren und führt zu den Isotopen eines Elementes, die gleiche chemische Eigenschaften haben. Neben den etwa 250 “stabilen” Isotopen gibt es noch etwa 8000 radioaktive Isotope, deren Lebensdauern von Weltaltern bis Bruchteilen von Sekunden reichen. Bei den Kernreaktionen, die zur Bildung der Elemente führen, entstehen zumeist diese instabilen Isotope, die dann in die stabilen übergehen. 14 Russbach09 Woraus bestehen die Himmelskörper? Aristoteles lehrte, dass die Erde aus den 4 Elementen besteht, die Himmelskörper jedoch aus Quintessenz. Er beherrschte die Wissenschaft bis ins 19. Jahrhundert. Die chemische Zusammensetzung einer irdischen Probe lässt sich im Labor bestimmen. Doch aus welchem Material bestehen die Himmelskörper? Tatsächlich hatten Menschen schon immer außerirdisches Material in den Händen: Meteorite Z.B. Skarabäus aus "Himmelsstein" (Lybisches Wüstenglas) und ein Dolch aus Meteoreisen im Grab Tut anch Amuns, "Schwarzer Stein" in der Kaaba in Mekka. Die Wissenschaft leugnete jedoch die außerirdische Herkunft, selbst in Fällen, in denen Meteoritenfälle von “vertrauungswürdigen Bürgern” beobachtet wurden. 15 Russbach09 Woraus bestehen die Himmelskörper? Seiten 161 - 189 Der Chemiker Bunsen und der Physiker Kirchhoff hatten 1860 in Heidelberg die schon lange bekannte Beobachtung, dass verschiedene Kirchhoff und Bunsen Stoffe in einer heißen Flamme farbig aufleuchten, durch Einsatz eines Spektralapparates zu einer empfindlichen Analysemethode entwickelt. Bei diesen Arbeiten erkannten sie 1859 anhand der Natrium D-Linien den Ursprung der Fraunhoferschen Linien im Sonnenspektrum: Absorption in Sonnenatmosphäre Mit Hilfe der Spektralanalyse kann die Zusammensetzung der Materie im ganzen Universum ermittelt werden. Alle Himmelskörper bestehen aus denselben Elementen! Fraunhofer-Linien 16 Russbach09 Energiequelle von Sternen Sonne (und Sterne) strahlen Energie ab. Da Energie nicht "aus dem Nichts" entsteht sondern sich nur zwischen verschiedenen Formen umwandelt (J.R. Mayer, 1842), stellt sich die Frage: Woher stammt die Energie der Sterne? • Verbrennen von Kohle Einige tausend Jahre (J.R. Mayer 1842) • Kontraktion, Gravitationsenergie Helmholtz (1854): 50 Meter/Jahr ==> 22 Millionen Jahre • Atomare Energie: E = m c2 (Einstein, 1905) 1896 entdeckt H. Becquerel Radioaktivität: Atome müssen innere Struktur (und Energiequelle) haben. In den Folgejahren: Atome schleudern Heliumkerne, Elektronen, Quanten aus und wandeln sich dabei in andere Elemente um [Transmutation der Alchimisten]. • Sir Arthur Eddington schlägt Kernverschmelzung vor (1919/20); Beginn der "Nuklearen Astrophysik" • Atkinson und Houtermans (1929/1931): Protonenfusion zu Helium und schwereren Elementen • Hans Bethe und C.F. von Weizsäcker (unabhängig 1938/9): katalytischer CNO-Zyklus (Bethe-Weizsäcker-Zyklus) aufbauend auf Massenformel 17 • Heliumfusion (1952-54) [siehe später Salpeter-Reaktion] Russbach09 Künstliche Kernumwandlungen 1919 beobachtete E. Rutherford die erste künstliche Kernumwandlung als er Stickstoff mit α-Teilchen beschoss: oder kurz Die Ordnungszahl des Kerns ist nach der Reaktion um 1 gewachsen: aus dem Stickstoffkern (Z=7) ist ein Sauerstoffkern (Z=8) geworden. Auf der (späteren) Nebelkammer-Aufnahme erfolgt die Umwandlung am Ort des Pfeiles. Die kurze, dicke Spur nach rechts-oben wird durch den Sauerstoff hervorgerufen, während die lange, dünne Spur nach links-unten den Weg des Protons, das aus dem sich zunächst bildenden, instabilen Zwischenkern 18F (Z=9) herausgestoßen wird, sichtbar macht. 1932 konnten dann Cockroft/Walton Kernreaktionen mit beschleunigten Protonen auslösen. Aus dem handtellergroßen Zyklotron gingen alle “Atom Smasher” hervor. Mit diesen Anlagen können die in Sternen ablaufenden Reaktionen im irdischen Labor untersucht werden. J.D. Cockroft and T.S. Walton First cyclotron: 18 4.5‘‘ Lawrence and Livingston Russbach09 Theorie des heißen Urknalls Wenn man die “Galaxienflucht” in die Vergangenheit zurück verfolgt, so muss das Universum aus einem Zustand extrem hoher Materie-/ Energiedichte und Temperatur hervorgegangen sein: Urknall “Primæval Atom” (1927) Lemaître, Einstein Pasadena, 1933 G. Gamow et al. entwickelten um 1948-50 darauf aufbauend eine (inkorrekte) Theorie über die Entstehung der Elemente: In dieser Anfangsphase entstanden zuerst Protonen und Neutronen. Dann Aufbau aller Elemente durch rasche Folge von Neutroneneinfängen und BetaZerfällen im schnell expandierenden Universum innnerhalb etwa der ersten Stunde (da man die Lebensdauer des Neutrons zu einer Stunde vermutete). Jedoch können sie die beobachteten Strukturen in der "kosmischen" Häufigkeitsverteilung nicht erklären. 19 Russbach09 Theorie des heißen Urknalls Die Achillesferse dieser Theorie ist jedoch: Es existieren keine stabilen Isobare bei den Massen A = 5 und 8! Diese Theorie wäre heute vergessen, wenn die Autoren nicht Abschätzungen der heutigen Temperatur der aus diesem Urknall hervorgegangenen Strahlung gemacht hätten, die dann 1965 durch Penzias und Wilsons rein zufälliger Entdeckung der "kosmischen Hintergrundstrahlung" bestätigt wurden. Anmerkung: Schon 1941 hatte Andrew McKellar die Temperatur des interstellaren Gases mit T = 2.3 K viel genauer bestimmt. Doch erkannte niemand die Bedeutung dieser Messung, die auch nie in einer Fachzeitschrift publiziert wurde. 20 Russbach09 Wie/Wo entstanden/entstehen Elemente? Häufigkeitsverteilung der Elemente Während dieser Druide eher die Zeit der Alchemisten repräsentiert, vermutete Abbé N.L. de Lacaille den richtigen Ort: die Sterne. Hinweise auf den Ablauf der Elemententstehung lassen sich aus der Häufigkeitsverteilung gewinnen. Dabei wird immer die “solare" Verteilung herangezogen, d.h. die Verteilung in der praesolaren Staub- und Gaswolke, aus der vor 4,6 Milliarden Jahren das Sonnensystem entstand. Diese Daten werden zum einen durch optische Spektrometrie der Sonne (Fraunhofersche Linien für Elemente) und zum andern aus der Analyse von Meteoriten (kohlige Chondriten für Isotope) gewonnen. Auffallend sind die großen Unterschiede (11 Größenordnungen entsprechend einem Faktor 100 Milliarden) und die starke Strukturierung. Letztere Beobachtung legt nahe, dass wir auf eine Vielzahl von Kernreaktionen stoßen werden, die bei "relativ" niedrigen Temperaturen ablaufen. 21 Russbach09 Wie/Wo entstanden/entstehen Elemente? Nukleosynthese-Prozesse Big Bang Dieses Schema zeigt einen Überblick über die verschiedenen Prozesse, die vom Wasserstoff zum Uran führen. Im folgenden werde ich einen Überblick über all diese Prozesse geben, angefangen vom Urknall über die Reaktionen geladener Teilchen (H- und He-Burning), die beiden Prozesse mit Neutronen (r- und s-Prozesse) und kurz die Synthese von Li-Be-B durch kosmische Strahlung sowie den p-Prozess. Nach Tabelle in Suess and Urey, “Abundances of the Elements” Rev. Mod. Phys. 28, 53 (1956) 22 Russbach09 Big-Bang Nukleosynthese I Aus dem schnell expandierenden und abkühlenden "Feuerball" des Urknalls materialisierten Elementarteilchen (mit verschwindend kleinem Überschuss von Materie über Antimaterie: 1 in 100 Millionen). Experimentell zugänglich ist die Zeit ab etwa 1 Millionstel Sekunde nach dem Urknall, als sich die Up- und Down-Quarks zu den Protonen und Neutronen vereinigten. [Zusätzlich entstand noch die "Dunkle Materie", die die uns bekannte weit überwiegt. Ihre Natur und Geschichte bleibt noch zu erforschen.] 23 Russbach09 Big-Bang Nukleosynthese II Bis etwa 2-3 min nach dem Urknall waren die Temperaturen noch so hoch, dass das zerbrechliche Deuterium schnell wieder zerlegt wurde. Erst danach konnten die weiteren Fusionsreaktionen zum 3He, 4He und 7Li ablaufen, die etwa 4 min nach dem Urknall abgeschlossen waren (Steven Weinberg ging von 3 min aus.). Anmerkung: Diese Reaktion soll in den zukünftigen Fusionsreaktoren Energie liefern. 24 Russbach09 Theorie der Nukleosynthese in Sternen B2FH, die "Bibel" der Nuklearen Astrophysik Die Frage nach der Bildung der Elemente wurde lange nicht als Problem betrachtet: • in der Urknall-Theorie entstanden die Elemente in der ersten Stunde, • in den Steady-State-Theorien existieren sie für alle Zeiten 1952 wurde das radioaktive Element Tc in Sternspektren nachgewiesen. Dies zeigte, • die Elemententstehung ist ein noch immer ablaufender Prozess und • er spielt sich in Sternen ab. Zur Lösung dieser nun aktuellen Frage wurden gleichzeitig drei Studien durchgeführt: Aufbauend auf Suess und Ureys Elementhäufigkeiten und dem Kernschalenmodell entwickelten sie eine Theorie der Entstehung der Elemente: • E.M. Burbidge, G.R. Burbidge, W.A. Fowler, F. Hoyle, Synthesis of the elements in stars • Al Cameron, Nuclear reactions in stars and nucleosynthesis, 1957 • Charles Coryell, The chemistry of creation of the heavy elements, 1961 25 Russbach09 Die Salpeter- oder Tripel-Alpha Reaktion Die um 1950 vorgeschlagene Synthese aller Elemente im Urknall durch raschen Einfang von Neutronen scheiterte daran, dass es keine stabilen Isotope der Masse 5 und 8 gibt. Auch in der heutigen Standardversion werden nur Isotope bis zur Masse 7 gebildet. Wie kann man den A=8 Graben überspringen? Trotz intensiver Suche nach Alternativen scheint es nur einen gangbaren Weg zu geben, der schon um 1950 von Salpeter und Öpik vorgeschlagen wurde: In einem ersten Schritt fusionieren zwei α-Teilchen zu einem instabilen 8Be Kern, der in 10-16 Sekunden wieder in zwei α-Teilchen zerfällt. Diese unvorstellbar kurze Zeitspanne ist aber im Kern eines massiven Sterns, der allen Wasserstoff zu Helium fusioniert hat, lang genug, dass sich immer pro 1 Milliarde Heliumkernen ein 8Be Kern findet. In einem zweiten Reaktionsschritt können nun diese extrem raren 8Be mit einem weiteren α-Teilchen zu einem stabilen 12C Kern verschmelzen. Allerdings zeigte Fred Hoyle 1953, dass in einem Roten Riesen-Stern wesentlich weniger 12C produziert wird als im Weltall beobachtet wird. Er vermutete daher, dass es im 12C Kern einen besonderen Anregungszustand gibt, der zu einer erhöhten Reaktionsrate führt. Und tatsächlich konnte William Fowler diesen vorhergesagten Anregungszustand 26 experimentell bestätigen Russbach09 Das Anthropische Prinzip Ohne diesen speziellen Zustand gäbe es nicht genügend Kohlenstoff auf der Welt, weder um weitere Elemente zu synthetisieren noch um organisches Leben zu ermöglichen. Einige Wissenschaftler stellen sich die Frage, ob unsere Welt nur zufällig so beschaffen ist, dass sie uns hervorbringen konnte, oder ob sie auf diesen Endzweck hin gestaltet wurde. Mit diesem in Theologie/Philosophie hineinreichenden Fragenkomplex verlassen wir den für diesen Vortrag gewählten Themenkreis, so dass ich die Problematik nur vorstellen kann. Reinhard Breuer: Das anthropische Prinzip – Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze; Ullstein-Buch Nr. 34235 27 Russbach09 Das Wasserstoffbrennen I Erinnert an den Ouroboros der Alchemisten. Hertzsprung-Russel-Diagram Das Wasserstoffbrennen, sei es durch die p-p-Kette (wie in der Sonne) oder durch den CNOZyklus (bei schwereren, heißeren Sternen), ist für die Energieerzeugung während der längsten Zeit des Lebens der Sterne verantwortlich (Hauptreihe im HR-Diagramm). In beiden Fällen werden vier Protonen zu einem Heliumkern verschmolzen, d.h. es entstehen keine neuen schwereren Elemente. Der 12C-Kern am Beginn des CNO-Zyklus kommt am Ende wieder heraus. Er muss schon in einer früheren Sterngeneration mit der Salpeter-Reaktion gebildet werden. 28 Russbach09 Das Wasserstoffbrennen II Die Nebenzyklen werden nur selten durchlaufen, sie tragen zur Energieerzeugung nur wenig bei. Über die 19F(p,γ)20NeReaktion jedoch kann in sehr heißen Sternen Material den CNO-Zyklus verlassen und zwei weitere Zyklen bilden, die für die Nukleosynthese der Elemente Ne bis Al wichtig sind. Die γ-Linie des radioaktiven 26Al wird in den Sternentstehungsgebieten nachgewiesen als Zeuge der noch andauernden Bildung der chemischen Elemente. 29 Russbach09 Fortgeschrittene Brennphasen Wenn die Protonen fusioniert sind, durchlaufen schwere Sterne im Roten Riesen-Stadium aufeinanderfolgende Brennphasen, in denen die Asche der vorhergehenden Phase als Brennstoff der nächsten dient: He-, C-, Ne-, O- und SiBrennen. Zur Überwindung der elektrischen Abstoßung der Kerne sind immer höhere Temperaturen bis einige Milliarden Grad erforderlich. Der verschmolzene Mg (Compound-)Kern hat eine hohe innere Energie, die durch das Abdampfen von γ-, n-, p-, α-Teilchen abgegeben wird. 30 Russbach09 Fortgeschrittene Brennphasen Bei den extrem hohen Temperaturen laufen eine Vielzahl von Kernreaktionen ab, die ein breites Spektrum (meist) radioaktiver Isotope erzeugen. Die Temperaturen sind so hoch, dass die "Wärmestrahlung" hochenergetische γ-Strahlen 56Ni T =6 d 1/2 sind, die einzelne Nukleonen wieder aus den Kernen herauslösen können. 56Co T1/2=77 d Die "höllischen" Bedingungen im finalen Si-Brennen überstehen nur die stabilsten Isotope, d.h. die Fe- und Ni-Isotope um die Masse 56. Im Laufe des letzten Tages eines sehr schweren Sterns bildet sich daher ein Fe-/Ni-Kern: “ 28Si + 28S ==> 56Ni “ Nach der Supernova-Explosion zerfallen die 56Ni über 56Co ins stabile 56Fe, dabei bestimmen die Halbwertszeiten dieser Zerfälle die Lichtkurve. 31 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse Synthese mit ungeladenen Projektilen Die Nukleosynthese mit geladenen Projektilen hört mit Erreichen der Fe-Gruppen-Elemente auf, da keine Energie mehr durch Fusion gewonnen werden kann. (Energiegewinn durch Spaltung sehr schwerer Kerne ist möglich: Kernkraftwerke.) Für die Synthese der schweren Elemente müssen wir uns des Modells von 1950 erinnern: Sukzessive Einfänge von Neutronen (ohne elektrische Ladung, also keine Abstoßung) und β-Zerfälle, die einen Teil der Neutronen in Protonen umwandeln und somit die Kernladungszahl um eins erhöhen. Das Modell scheiterte an den Stabilitätslücken bei A=5 und 8 (die durch die Triple-α-Reaktion überwunden werden). Das neue Modell geht davon aus, dass leichte Elemente durch vorhergehende Synthese in Sternen gebildet wurden. Die Synthese durch Neutroneneinfang wird ein sekundärer Prozess, der abläuft nachdem die bisher besprochenen Prozesse das Ausgangs(Saat-) Material gebildet haben. Jedoch gibt es ein Problem: Freie Neutronen haben eine Lebenserwartung von nur 15 Minuten Bei der Big-Bang-Synthese stellte das kein Problem dar, da eh alles nach 3-4 Minuten beendet war. Für das neue Modell müssen also Neutronenquellen gefunden werden. Zudem sind mehrere Neutroneneinfangprozesse erforderlich, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen an verschiedenen Orten und Zeiten ablaufen. 32 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse Notwendigkeit mehrerer Prozesse Im "klassischen" Bild fängt ein stabiles Isotop (beginnend mit 56Fe) ein Neutron ein und wartet dann auf den β-Zerfall, der ein Neutron in ein Proton umwandelt. Das Isotop des neuen Elementes wartet dann wiederum auf ein Neutron, um den Prozess zu wiederholen. Da β-Zerfälle sehr langsam ablaufen (im nuklearen Maßstab) erfordert dieses Verfahren einige hundert Jahre um ausgehend von Fe die schweren Elemente aufzubauen. Da zwischen den sukzessiven Einfängen viel Zeit vergeht (sogar länger als die β-Zerfälle), spricht man vom "slow-process" (slow, engl. langsam). Doch dieser s-Prozess allein kann nicht alle Elemente/Isotope synthetisieren. Den historisch ersten Grund werde ich auf einer separaten Folie erläutern, deshalb erst zwei weitere Fakten, die imperativ (mindestens) einen weiteren Prozess erfordern: 33 Russbach09 Notwendigkeit mehrerer Prozesse Es gibt neutronenreiche, stabile Isotope, die vom s-Prozess nicht erreicht werden wie z.B. 134,136Xe. 133Xe hat eine Lebensdauer von einigen Tagen und (fast alles) zerfällt bevor es ein weiteres Neutron absorbieren kann. Dies gilt erst recht für 135Xe mit einer Lebensdauer von einigen Stunden. Der s-Prozess endet mit dem letzten “stabilen” Isotop 209Bi. Neutroneneinfang führt zu 210Bi, das durch βZerfall in den α-instabilen Kern 210Po übergeht. Dessen α-Zerfall in das stabile Isotop 206Pb führt zurück in den s-Prozess-Pfad. Die natürlich vorkommenden (langlebigen) Elemente Th und U erfordern einen weiteren Prozess. Anmerkung: 2003 wurde der α-Zerfall des 209Bi mit der extrem langen Halbwertszeit von 1019 Jahren beobachtet. P. De Marcillac et al., Nature 422 (2003) 876 34 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse s- und r-Prozess an magischen Neutronenschalen Den ersten Hinweis auf zwei Prozesse gab die solare Häufigkeitsverteilung der schweren Elemente. Auffällig sind drei Doppelpeaks, jeweils ein breiter gefolgt von einem schmalen. Die Atomkerne in den schmalen Peaks haben Neutronenzahlen von 50, 82 bzw. 126. Diese Zahlen sind in der Kernphysik als "magische Zahlen" bekannt. Kerne mit magischer Anzahl von Protonen oder/und Neutronen haben eine hohe Stabilität (entsprechend den abgeschlossenen Elektronenschalen der Edelgase in der Chemie). Sie haben lange Halbwertszeiten und niedrige Neutroneneinfangraten. Dies führt quasi zu einem Verkehrsstau (“waiting-points”) und erklärt die großen Häufigkeiten. 35 Russbach09 s- und r-Prozess an magischen Neutronenschalen Die Doppelstrukturen erfordern allerdings zwei verschiedene Prozesswege: 1) Die schmalen Peaks entstammen dem s-Prozess entlang den stabilen Isotopen. 2) Die (stabilen) Isotope in den breiten Peaks haben etwa 6 Neutronen weniger als die magischen Zahlen. Dies wird dadurch erklärt, dass sie die β-Zerfallsprodukte sehr neutronenreicher kurzlebiger Isotope mit den entsprechenden magischen Zahlen sind. Dieser zweite Einfangsprozessweg verläuft also weit entfernt von den stabilen Isotopen. Im Gegensatz zum s-Prozess mit geringen Neutronenflüssen erfordert dieser Prozess extrem hohe Neutronenflüsse während extrem kurzer Zeiten. Dies erlaubt z.B. einem Saatkern sukzessive etwa 20 Neutronen einzufangen bevor der erste β-Zerfall erfolgt. Entsprechend wird er rapid-process (schneller Prozess) genannt. Der r-Prozess verläuft durch neutronenreiche β-instabile Kerne und vermeidet dadurch die α-instabilen Kerne am Ende des s-Prozesspfads. Dieser Prozess endet mit dem Einsatz der Kernspaltung bei etwa der Massenzahl 250. 36 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse Astrophysikalische Szenarien und irdische Experimente (I) Zwischen dem s- und dem r-Prozess gibt es bedeutende Unterschiede: Am wesentlichsten ist unser Kenntnisstand. Und das gilt gleichermaßen für die Astro- als auch die Kernphysik. Man glaubt heute den s-Prozess einigermaßen verstanden zu haben. Als Ort stellt man sich Rote Riesensterne in instabilen, pulsierenden Phasen vor. Und insbesondere lassen sich fast alle Eigenschaften der beteiligten Kernreaktionen im Labor experimentell bestimmen, da stabile, nicht radioaktive Isotope beteiligt sind. Neutronenquelle 22Ne(α,n) Durch Konvektion werden Protonen aus den äußeren, unverbrauchten Schichten in die Brennzone gemischt, in der 12C mit α-Teilchen zu 16O verschmilzt. Ein Teil der 12C-Kerne reagiert mit den Protonen zu 13C, das dann über (α,n)-Reaktionen Neutronen erzeugt. Die neutronenfreisetzenden Reaktionen 13C(α,n) und 22Ne(α,n) haben jedoch ein paradox anmutendes Handicap: man benötigt α-Strahlen geringer Energie, die man nicht von den modernen, sündhaft teuren Beschleunigern erhält. Und die alten, "billigen" Anlagen wurden meist verschrottet. 37 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse Astrophysikalische Szenarien und irdische Experimente (II) n_TOF Neutronenquelle Die für den s-Prozess wesentlichen Messgrößen sind Neutroneneinfangsraten in stabile Isotope zwischen Eisen und Wismut. Die Neutronen haben eine Energieverteilung um 30 keV, die sich durch 7Li(p,n)-Reaktionen gewinnen lassen. Dies sind relativ "einfache" Experimente, die z.B. am Forschungszentrum Karlsruhe und der “n_TOF” Neutronenquelle am CERN durchgeführt werden. Von der kernphysikalischen Seite ist der s-Prozess deshalb gut verstanden. 38 Russbach09 Die Neutroneneinfangprozesse Astrophysikalische Szenarien und irdische Experimente (III) Im Gegensatz dazu lässt sich über den r-Prozess nur sicher sagen, dass er unter extremen Bedingungen ablaufen muss: Das astronomische Szenarium muss für wenige Sekunden sehr hohe Neutronenflüsse zur Verfügung stellen, ein Vorgang, der die gleichzeitige Freisetzung ungeheurer Energiemengen bedeutet. Solche Bedingungen lassen sich nur in den extremsten Entwicklungsstadien von Sternen realisieren, z.B. einer Supernova-Explosion. IVY-MIKE-Test, 31.10.52, bis 255Fm Experimentell ist der r-Prozess eher unzugänglich. Die auftretenden Neutronenflüsse übertreffen irdische (Hochfluss-)Kernreaktoren um Faktoren über eine Milliarde. (Unterirdische) Tests mit Wasserstoffbomben erbrachten erste Hinweise auf das Ende des Prozesses durch Kernspaltung, doch weitere Experimente erforderten die Aufkündigung der Teststopverträge. Und da die Isotope extrem neutronenreich und kurzlebig sind, kann ihre Kernstruktur i.a. nur theoretisch abgeleitet werden. Wichtig sind Daten der Kernmassen und der β-Zerfallseigenschaften. Jedoch scheint die Hoffnung zu trügen, dass die Theorien fernab der experimentellen Basis unverändert anwendbar bleiben. Experimentelle Daten lassen sich meist nur für die Isotope mit magischen Zahlen 50 und 82 gewinnen, da nur an diesen Stellen der Prozesspfad näher an das Stabilitätstal herankommt. In den letzten Jahren konnten mit aufwendiger Technik einige Isotope im Labor erzeugt und vermessen werden. Benötigt werden eigentlich Daten von an die Tausend Isotopen. 39 Russbach09 rp-Prozess und Röntgenblitze Mit geringer Häufigkeit gibt es neutronenarme Isotope, die von den schwereren durch ein instabiles Isotop getrennt sind und daher in den bisher besprochenen Prozessen nicht gebildet werden. Man stellt sich vor, dass abwechselnd hochenergetische Protonen eingefangen werden und sich unter Aussendung eines Positrons in ein Neutron verwandeln. Dieser rp-Prozess erfordert für kurze Zeiten Protonen bei hoher Temperatur. Diese Bedingungen sind z.B. bei einer Nova-Explosion gegeben. In einem engen Doppelsystem aus einem Neutronenstern (oder Weißen Zwerg) und einem Hauptreihenstern strömt solange Wasserstoff (Protonen) auf den ultrakompakten Partner bis die Temperatur für den Einsatz explosiven Brennens erreicht wird. Nach 10 - 100 Sekunden ist der Wasserstoff verbrannt und das Spiel kann wieder beginnen. Die klassischen Nova wiederholen sich etwa alle 10.000 Jahre, UGem kataklysmische Veränderliche etwa alle 100 Jahre. 40 Russbach09 Nukleosynthese durch Kosmische Strahlung Wenn die extrem hochenergetische Galaktische Kosmische Strahlung auf Materie trifft, wird soviel Energie auf den Kern übertragen, dass seine Nukleonen schlicht verdampfen. Diese Reaktionen mit interstellarer/-galaktischer Materie (wie Molekül- und Staubwolken oder Kometen und Asteroiden) stellen die Hauptquelle für die Elemente Li, Be, B dar, die weder im Urknall noch in Sternen synthetisiert werden. Diese Reaktionen erzeugen auch langlebige Radionuklide, die es z.B. gestatten, zeitliche Variationen der Strahlungsintensität zu ermitteln und evtl. Einflüsse auf das Klima zu untersuchen. In der Hochatmosphäre der Erde entsteht so das Radiokarbon 14C, das Altersbestimmungen organischen Materials gestattet. Siehe auch Abendvortrag 2008: http://www.uni-mainz.de/Organisationen/vistars/talks_russbach2008/russbach2008_pfeiffer-pub.pdf 41 Russbach09 "Recycling" im All Häufigkeit und isotopische Zusammensetzung der chemischen Elemente an einem Ort zu einem Zeitpunkt hängen von den vorausgegangenen Sterngenerationen ab. Man nimmt z.B. an, dass zu unserem Sonnensystem etwa 50 bis 100 Sterne beigetragen haben. NGC2359, Wind des WR-Sterns HD56925 Shapley-1 in Norma 42 Russbach09 Sternenstaub • Kristallite hoher Schmelztemperatur in Meteoriten: Zeitzeugen vergangener Sterngenerationen • Interplanetare und interstellare Staubkörner: Detektoren auf Raumsonden Galileo, Ulysses, Cassini "Stardust"-Sonde hat Staubkörner in Aerogel eingefangen und Januar 2006 zur Erde zurückgebracht: - Januar 2004 Flug durch Koma von Komet 81P/Wild-2; - Im Flug zum Kometen interstellare Körner, die vermutlich von Supernova-Explosionen stammen, die vor einigen Millionen Jahren in Scorpius-Centaurus OB Assoziation stattfanden. Nucleus of 81P/Wild 2 43 Russbach09 Sternenstaub nicht nur im Weltall Die NASA sammelt Staubkörner in 20 km Höhe mit ER- 2 Flugzeugen (abgewandelten U2 Spionagefliegern). Die Körner fallen irgendwann auf die Erde, wo sie i.A. nicht auffallen, da sie von irdischem Staub überdeckt werden. Einige fallen auch auf den Schnee der Antarktis. Da diese Weltregion (noch) saubere Luft hat, lassen sich die kosmischen Staubkörner herausfischen, nachdem man den Schnee geschmolzen hat. Donnerstag um 17:15 wird Dr. Jean Duprat vom CSNSM, Orsay, über die Gewinnung der Körner in der Antarktis berichten und sie mit Kometenstaub der STARDUSTMission vergleichen. 44 Russbach09 Galaktische chemische Evolution Unsere “unmittelbare” Nachbarschaft In diesem 10 Lichtjahre Ausschnitt sieht man die Schale interstellaren Gases und Staubes, die gerade durch das Sonnensystem zieht und eine weitere, die schon durchgezogen ist. Sonden mit Ziel Jupiter und Saturn (GALILEO, ULYSSES, CASSINI) und die STARDUST-Mission sind alle mit einem am Max-Planck-Institut in Heidelberg entwickelten TOF-Staubdetektor ausgerüstet worden. Neben Staubkörnern aus dem Sonnensystem konnten auch interstellare Körner nachgewiesen werden. Die STARDUST-Sonde hatte zudem als primäre Aufgabe, Kometenund interplanetaren Staub in Aerogel-Catchern aufzufangen. Im Januar 2006 konnten diese geborgen werden. Ob auch interstellarer Staub eingefangen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. 45 CIDA – Cometary and Interplanetary Dust Analyser Russbach09 Unsere “fernere” Nachbarschaft Radioaktives 60Fe (T1/2=1.5 Mill. Jahre) konnte in Tiefseesedimenten nachgewiesen werden. In diesem 1500 Lj Ausschnitt sieht man 3 Schalen von der Scorpius-Centaurus OB Assoziation ausgehen. In diesen jungen Sternhaufen sind eine Reihe von Sternen als Supernova explodiert. Vor etwa 2 Mill. Jahren befand sich die Sonne in nur 130 Lj Entfernung. Man nimmt an, dass in Meeressedimenten gefundenes radioaktives 60Fe damals auf die Erde niederrieselte. Etwas spekulativer ist die Vermutung, dass ein Massensterben von Meeresplankton beim etwa gleichzeitigen Pliozän-Pleistozän Übergang ebenfalls durch diese Explosionen verursacht wurde, nachdem die Gamma- und Röntgenstrahlung die Ozonschicht zerstörte. Die Autoren stellen selbst die Frage, ob das etwa gleichzeitige Auftreten der ersten Hominiden, Homo Erectus, dadurch verursacht wurde Zur Beruhigung: die Kandidaten für die nächsten Supernovae sind alle weiter entfernt!46 Russbach09 Komplexe Moleküle im All Heute lag der Schwerpunkt auf der Entstehung der Elemente. Trotz extrem niedriger Temperatur und Dichte laufen chemische Reaktionen im interstellaren Medium ab, die zu überraschend komplexen Molekülen führen. Radio- und Infrarotastronomen haben schon etwa 145 Verbindungen in den Molekülwolken nachgewiesen. Die Wolken enthalten komplexe Verbindungen, teilweise praebiotische Moleküle (unten rechts Äthylenglykol). Diese Moleküle kondensieren in kühleren Regionen der protostellaren Wolken in die Eisund Gesteinsbrocken, die dann als Kometen und Meteorite untersucht werden können (links oben Murchison). In der in der Nähe des galaktischen Zentrums gelegenen Molekülwolke Saggitarius B konnte Vinylalkohol (neben gigantischen Mengen von Methanol und Äthanol) nachgewiesen werden, das als Ausgangssubstanz komplexerer organischer Verbindungen dient. Wie es entsteht, ist noch nicht geklärt. Wahrscheinlich erfordert die Synthese chemische Reaktionen auf der Oberfläche von Staubkörnern. Diese Problematik erfordert einen eigenen Vortrag; und einen Referenten, der mehr von Chemie und Biologie versteht! 47 Russbach09 Sind wir allein im All? † 17.2.1600 Unzählige Sonnen existieren, unzählige Erden umkreisen diese Sonnen, so wie die sieben Planeten unsere Sonne umkreisen. Lebendige Wesen bewohnen diese Welten. Dell' infinito universo e dei mondi, Giordano Bruno, 1584 Eine alte Menschheitsfrage! Chemische Elemente (sogar praebiotische Moleküle) sind überall vorhanden. Leben entstand schon sehr früh auf der jungen, extrem unwirtlichen Erde. Doch die Frage zielt eigentlich nicht auf Mikroben, sondern auf Intelligentes Leben. Dazu mussten nahezu 4 Milliarden Jahre lang relativ konstante, Leben ermöglichende Bedingungen auf der Erde vorliegen. Wie häufig sind diese Bedingungen anzutreffen? Zu jung für Leben • Fermi Paradox (1950): Galaxis kann innerhalb 10-100 Mill. Jahren kolonisiert werden. Wo sind die Außerirdischen? • Erste Planetensysteme konnten fotografiert werden: HR8799 b,c,d und Formalhaut b Wir sollten sorgsam mit der Erde umgehen! Wir finden sobald keinen passenden Ersatz. 48 Russbach09 Wir sind alle Sternenstaub Die Entstehung der Elemente Der Vortrag kann unter http://www.uni-mainz.de/Organisationen/vistars/talks_russbach2009/russb09_pfeiffer-pub.pdf eingesehen werden. 49 Russbach09