SWR2 DIE BUCHKRITIK

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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Reinhard Blomert: Adam Smiths Reise nach Frankreich oder
die Entstehung der Nationalökonomie
Andere Bibliothek, Berlin 2012
312 Seiten
34,-- Euro
Rezension von Christoph Fleischmann
Dienstag, 05. März 2013 (14:55 – 15.00 Uhr)
SWR2 MANUSKRIPT
Von Christoph Fleischmann
Wer war Adam Smith? Sein Buch über den Wohlstand der Nationen wurde so einflussreich,
dass er weithin als „Vater der klassischen Nationalökonomie“ gilt. An solchen Übervätern
scheiden sich oftmals die Geister: Es gibt die Vatermörder, die ihn verdammen und es gibt
die, die ihn bejubeln. Und von den Jublern wird der große Vater mitunter für sehr
unterschiedliche Vorstellungen in Anspruch genommen. Der am Berliner
Wissenschaftszentrum arbeitende Sozialwissenschaftler Reinhard Blomert tritt nun an, Adam
Smith gegenüber seinen Epigonen und seinen Kritikern zu verteidigen:
Zitat
Es geht in dem folgenden Essay um nichts weniger, als um die Korrektur eines seit dem
neunzehnten Jahrhundert verzerrten Bildes von Adam Smith, als man den berühmten
schottischen Moralphilosophen zum Urvater eines radikal-darwinistischen
Marktverständnisses erklärte. Um diese Verengung in der Rezeptionsgeschichte aufzulösen,
müssen wir zurückgehen in seine Epoche.
Blomert stellt sich die anspruchs- und reizvolle Aufgabe, diese Korrektur erzählerisch
darzubieten: Er berichtet von der Reise, die Adam Smith in den Jahren 1764 bis 1766 in
Begleitung eines jungen Adligen nach Frankreich unternahm. In der Tat kam Smith in
Frankreich nicht nur mit den berühmten Aufklärern in Paris rund um die große Enzyklopädie
zusammen, sondern auch mit den fortschrittlichsten ökonomischen Denkern seiner Zeit, den
sogenannten Physiokraten.
Man erfährt in Blomerts Erzählung eine Menge über die Zeit, in der Smith lebte; man erfährt
Interessantes über die französische Wirtschaftspolitik, als man daran ging die Getreidepreise
freizugeben, also das letztlich vom Mittelalter herrührende System von Preisregulierungen zu
Gunsten des Freihandels aufzulösen. Aber auf seinem Weg durch Frankreich verliert Blomert
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung
und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
sein Ziel – die Entstehung der Nationalökonomie – etwas aus den Augen. Unklar bleibt,
warum er einen vierzigseitigen Exkurs über Voltaires Leben einfügt, nur um dann zu sagen,
dass man über die Begegnungen von Smith mit Voltaire leider nicht viel weiß. Er listet
akribisch auf, welche berühmten Geister in welchen Pariser Salons verkehrten, aber er lässt
interessante inhaltliche Beeinflussungen oder Kontroversen, die Smiths Lehre erhellen
könnten, sozusagen am Straßenrand liegen. Spannend wäre es gewesen, der Einschätzung
von Heinz Dieter Kittsteiner nachzugehen, der Liberalismus sei gegen Rousseau errichtet
worden: Smith hat sich mit Rousseaus Sozialkontrakt auseinandergesetzt und ein
grundlegend anderes Verständnis von Gerechtigkeit erkennen lassen. Er löst die
Gerechtigkeitsfrage, vereinfacht gesagt, mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Fortschritt auf:
Wenn es allen besser gehe, sei den Armen am Besten geholfen. Hier hätte man fragen
können, wieweit Smith von den Fortschrittsvisionen von Anne-Robert-Jacques Turgot
beeinflusst war, mit dem Smith in Paris zusammentraf.
So aber bleibt das Fazit von Blomert am Ende etwas mager:
Zitat
Wenn [Smith] die Arbeitsteilung […] aus dem „Hang zum Austauschen“ erklärt, so bedeutet
das nichts anderes, als dass er die Kooperativität der Menschen in den Mittelpunkt seiner
Gesellschaftsbeschreibung rückt.
Mit dem Hinweis auf die Kooperativität der Menschen glaubt Blomert das vermeintliche
Adam-Smith-Probelm gelöst zu haben, nämlich wie Smiths Moralphilosophie und seine
Wirtschaftstheorie zusammenpassen.
Natürlich war Smith kein Marktradikaler par excellence. Aber mit dem „Hang zum
Austauschen“ hat Smith die Fragen der Wirtschaft auch ontologisiert, also auf Naturgesetze
zurückgeführt, die immer und überall gleichermaßen wirkten. Ein verhängnisvolles Erbe für
die Wirtschaftswissenschaften. Auch wenn Smith eine ungleich anspruchsvollere
Anthropolgie vertrat als viele seiner Epigonen, so hat er nicht nur der Sozialität der
Menschen, sondern auch ihrem Selbsterhaltungsinteresse eine zentrale Rolle zugewiesen;
ein Selbsterhaltungsinteresse, das freilich durch eine weise Vorsehung zum Wohle aller
gelenkt werde. Auch hier hätte man nach französischen Einflüssen fragen können.
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Dann aber wäre Smith nicht zum etwas harmlosen Vater des rheinischen Kapitalismus
geworden, sondern zu einem interessanten Philosophen, dessen Einfluss auf das moderne
Denken enorm, aber hoch ambivalent ist.
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