Erweiterte Saturationsbiopsie bei persistierendem klinischen

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Universitätsklinikum Ulm
Klinik für Urologie und Kinderurologie
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. M. Schrader
Erweiterte Saturationsbiopsie bei
persistierendem klinischen Verdacht auf ein
Prostatakarzinom nach vorhergehenden
negativen Stanzbiopsien
Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin
Medizinische Fakultät der Universität Ulm
vorgelegt von
Matthias Fricke
geboren in Bremen
2013
Amtierender Dekan : Prof. Dr. Thomas Wirth
1. Berichterstatter : PD Dr. Jörg Simon
2. Berichterstatter : PD Dr. Roland Schmidt
Tag der Promotion : 17.01.2014
meinen Eltern
Bärbel und Berthold Fricke
in Dankbarkeit
gewidmet
I
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
III
1.
EINLEITUNG
1
1.1
Epidemiologie des Prostatakarzinoms
1
1.2
Ätiologie
2
1.3
Vorsorgeuntersuchungen zum Prostatakarzinom
2
1.4
Stellenwert des Prostatakarzinom Screenings
5
1.5
Insignifikantes Prostatakarzinom
7
1.6
Übersehene Prostatakarzinome bei negativer Stanzbiopsie
8
1.7
Fragestellung
10
2.
MATERIAL UND METHODEN
11
2.1
Patienten
11
2.2.
Vorbereitung und periinterventionelles Management
11
2.3
Durchführung der Erweiterten Saturationsbiopsie der Prostata
12
2.4
Schema der Erweiterten Saturationsbiopsie
13
2.5
Klinische Signifikanz der Tumore
14
2.6.
Nachsorge
14
2.7
Statistik
15
3.
ERGEBNISSE
16
3.1
Patientenkollektiv
16
3.2
Präinterventionelle Daten
16
3.3
Periinterventionelle Daten
17
II
3.4
Ergebnisse der Erweiterten Saturationsbiopsie
17
3.5
Patienten mit Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie
21
3.6
Patienten ohne Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie
23
4.
DISKUSSION
28
4.1
Karzinomdetektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im
Vergleich zu Schemata mit geringerer Zylinderanzahl im Rahmen
einer Wiederholungsbiospie
29
4.1.1
Vergleich mit Sextantenbiopsie
29
4.1.2
Vergleich mit Sättigungsbiopsien
29
4.2
Detektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im Zusammenhang mit den unauffälligen vorhergehenden Biopsien
31
4.3
Upgrading nach OP im Vergleich zur Biopsie
32
4.4
Erweiterte Saturationsbiopsie Detektion insignifikanter Tumore
34
4.4.1
Definition des insignifikanten Karzinoms an den pathologischen Präparaten
34
4.4.2
Signifikanz des Prostatakarzinoms, welches bei der ESB gefunden wurde
36
4.4.3
Ist die Rate an insignifikanten Karzinomen erhöht, wenn schon mehrere unauffällige
Prostatastanzbiopsien vorlagen?
38
4.5
Nachsorge
39
5.
ZUSAMMENFASSUNG
43
6.
LITERATUR
45
7.
DANKSAGUNG
50
8.
LEBENSLAUF
51
III
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AMACR
Alpha-methyl-CoA-Racemase
BPH
benigne Prostatahyperplasie
BPH-Zone
zentrale paraurethrale Organzone (auch: Übergangszone)
Charr
Charrier : Maß für den Außendurchmesser von Kanülen und Katheter.
CT
Computertomographie
DRU
digital-rektale Untersuchung
EAU
European Association of Urology
ERSPC1
Screening and Prostate -Cancer Mortality in a Randomized European
Study
ESB
erweiterte Saturationsbiopsie
NU
Nachuntersuchung
OP
Operation
p
statistisches Signifikanzniveau
PCA
Prostatakarzinom
PET
Positronen-Emissions-Tomographie
PIN
prostatische intraepitheliale Neoplasie
PLCO2
The Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial
PSA
Prostataspezifisches Antigen
PSA-ratio
Verhältnis des freien PSA zum gesamt PSA (auch: PSA-Quotient)
pT-Stadium pathologische Klassifikation / Stadiummodell zur Näherung an die
Tumorgröße
RPX
radikale Prostatovesikolektomie
SEER
Surveillance, Epidemiology and End Results Program
(A premier source for cancer statistics in the United States)
SPSS
Statistik- und Analysesoftware der Firma IBM (USA)
TUR
Transurethrale Resektion
TUR-P
Transurethrale Resektion der Prostata
TRUS
transurethraler Ultraschall
Upgrading
Heraufstufung (hier: in der patholhistologischen Nachbearbeitung von
gewonnenem Gewebe
1+2
zwei großangelegten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit von Screening
Untersuchungen auf die Todesrate spezieller Karzinomerkrankungen
1
1.
Einleitung
1.1
Epidemiologie des Prostatakarzinoms
Das Prostatakarzinom ist weltweit eines der dominierenden Malignome des
Mannes und hat sich zu einem der vorrangigen medizinischen Probleme der
männlichen Population entwickelt. In Europa ist es mit einer Inzidenz von 214
pro 100.000 Männern der häufigste solide Tumor vor dem Lungenkarzinom und
kolorektalen Malignomen [8]. Darüber hinaus ist das Prostatakarzinom die
zweithäufigste, krebsbedingte Todesursache [47].
Sowohl die Inzidenz als auch die Mortalitätsrate sind in den industrialisierten
Ländern höher als in Entwicklungsländern. 15% der Tumorerkrankungen in
erstgenannten Regionen, aber nur 4% in unterentwickelten Ländern sind ein
Prostatakarzinom. In den USA war die Mortalität bis 1991 steigend, danach
kam es zu einer stetigen Abnahme von jährlich 1,9%. Im Gegensatz dazu war
in Europa keine Veränderung der Mortalitätsrate zu beobachten, die gleichbleibend 34,1/100.000 Männer beträgt [64] .
Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen der ethnischen Herkunft und
dem Risiko, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Detaillierte Daten hierzu
liegen aus den USA vor (SEER Programm des National Cancer Institutes der
USA) [72]. Hiernach weist die schwarze US-Bevölkerung die mit Abstand
höchste Inzidenz und krebsbedingte Mortalität auf, während die Bewohner der
Inselgruppe Hawaii, die indianische Bevölkerung und vor allem die chinesisch
stämmigen Amerikaner das geringste Risiko haben, an einem Prostatakarzinom zu erkranken.
Beim Prostatakarzinom ist ein „stage shift“ und ein „age shift“ zu beobachten:
Es besteht eine deutliche Tendenz, günstigere pathologische Stadien, im Sinne
von mehr lokalisierten Prostatakarzinomen, zu entdecken. Weiterhin werden
interessanterweise immer mehr jüngere Männer mit einem bösartigen
Prostatatumor diagnostiziert.
2
1.2
Ätiologie
Als wesentliche Ursache für die Unterschiede in der beobachteten Inzidenz des
Prostatakarzinoms werden genetische Faktoren und Umwelteinflüsse gesehen.
Vergleichbar mit dem Kolon- und dem Mammakarzinom findet sich auch beim
Prostatakarzinom eine familiäre Disposition [61]. Das Risiko, mit einem
Prostatakarzinom diagnostiziert zu werden, verdoppelt sich schon bei
Erkrankung eines einzigen erstgradig Verwandten und ist sogar 5- bis 11-fach
erhöht, wenn zwei oder mehr Verwandte betroffen sind. 5-10% der Patienten
weisen ein sogenanntes hereditäres Prostatakarzinom auf. Definitionsgemäß
liegt dieses dann vor, wenn mehr als zwei erstgradig Verwandte betroffen sind
oder mindestens zwei Verwandte ein Prostatakarzinom im jüngeren Alter (vor
dem 55.Lebensjahr) entwickelten („Early onset“). Bei dieser Gruppe liegt eine
Erhöhung des relativen Risikos um den Faktor 5,1 im Vergleich zur
Normalpopulation vor [12, 13].
Ein deutlicher Anstieg der Prostatakarzinominzidenz in Personengruppen, die
von Ländern mit niedriger Inzidenz in Länder mit hoher Inzidenz emigrierten,
legt einen signifikanten Einfluss von Umwelt- und Ernährungsfaktoren nahe
[91].
Vielfach wurde früher die Vermutung geäußert, dass eine Vasektomie mit
einem erhöhten Risiko vergesellschaftet ist, an einem Prostatakarzinom zu
erkranken. Dies konnte durch entsprechende Studien mittlerweile widerlegt
werden [43]. Ein mutmaßlicher Einfluss von Körpergröße und Körpergewicht,
Nikotin- und Alkoholkonsum oder sexueller Aktivität konnte ebenfalls
ausgeschlossen werden.
1.3
Vorsorgeuntersuchungen zum Prostatakarzinom
Die klinische Etablierung der PSA-Wert Bestimmung Ende der 1980er Jahre
hat die Früherkennung in der Prostatakarzinomdiagnostik verändert [81]. Das
PSA ist eine Protease, die fast ausschließlich in den Epithelialzellen der
Prostata produziert wird. Dieser Wert ist dadurch ein organ- und nicht
3
tumorspezifischer Marker. Außer durch ein Karzinom kann eine Veränderung
des PSA-Wertes durch viele andere Faktoren hervorgerufen werden:
Pharmakologische
Einflüsse
(Alpha-1-Reduktase
Hemmer),
andere
Erkrankungen der Prostata (akute/chronische Prostatitis, benigne Prostatahyperplasie (BPH), Harnverhalt) und urologische Manipulationen (Biopsie,
digital rektale Untersuchung) [68].
In der Interpretation des PSA-Wertes in der Diagnostik des Prostatakarzinoms
ist zu beachten, dass kein Schwellenwert existiert, ab dem ein Karzinom sicher
vorliegt, bzw. unterhalb von dem ein Karzinom ausgeschlossen werden kann.
Die Festlegung eines PSA-Schwellenwertes stellt somit einen Kompromiss
zwischen einer optimalen Sensitivität und Spezifität dar. Senkt man zum
Beispiel den PSA-Grenzwert von 4 auf 2 ng/ml, ab dem eine Prostatastanzbiopsie durchgeführt werden sollte, so steigt zwar die Rate an
diagnostizierten Karzinomen, andererseits werden jedoch vermehrt Patienten
dieser Intervention unterzogen, die schlussendlich kein Karzinom haben [73].
Im Bemühen um eine Verbesserung der Spezifität des PSA-Screenings sind
inzwischen vielfältige Modifikationen des Serum PSA-Wertes beschrieben
worden. Zu diesen gehören die PSA-Dichte, die PSA-Dichte der Übergangszone, altersspezifische Grenzwerttabellen und molekulare Formen des PSA.
Die meisten Derivate und Isoformen des PSA (cPSA, proPSA, BPSA, iPSA)
sind allerdings für den klinischen Gebrauch noch ungeeignet. International
anerkannt und weit verbreitet sind allerdings die PSA-Ratio (freies-/GesamtPSA), die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit sowie die PSA-Verdopplungszeit. Die
PSA-Ratio ist das am besten untersuchte und am weitesten in der Praxis
verbreitete Konzept zur Diskriminierung von BPH und Prostatakarzinom bei
Männern mit einem PSA-Wert zwischen 4 und 10 ng/ml und einem negativen
Tastbefund: Studien zeigen ein Prostatakarzinom in der Biopsie bei 56% der
Männer mit einer PSA-Ratio von <0,1, aber von nur 8% bei einer Ratio von
0,25 [15]. Dennoch muss auch dieses Konzept mit Vorsicht angewandt werden,
da verschiedene präanalytische und klinische Faktoren die PSA-Ratio
beeinflussen können [85]. Darüber hinaus ist die PSA-Ratio ab einem PSAWert von >10 ng/ml nicht mehr sinnvoll anwendbar.
4
Die
digital-rektale
Untersuchung
(DRU)
ist
ein
grundlegendes
und
kostengünstiges Untersuchungsverfahren, das seit der Einführung der
gesetzlichen Früherkennung in Deutschland 1971 empfohlen wird. Allerdings
muss die Leistungsfähigkeit der DRU nach jüngeren Studienergebnissen
kritisch hinterfragt werden. So ist die Interobserver-Variabilität selbst in
ausschließlich urologischer Hand maximal ausreichend [80] und es werden nur
10-15% der Prostatakarzinome mit einem PSA-Wert unter 4ng/ml durch die
DRU entdeckt [55]. Trotz der geringen Detektionsrate ist jedoch gerade für
PSA- Werte unter 4ng/ml der positiv-prädiktive Wert einer suspekten DRU
ausreichend hoch (5-30%), da diese Karzinome zum größten Teil die Kriterien
eines signifikanten Tumors erfüllen und ohne die digital rektale Untersuchung
übersehen worden wären [14]. Eine suspekte DRU ist eine absolute Indikation
zur Biopsie der Prostata, um ein eventuell vorhandenes Karzinom zu
entdecken.
Die Untersuchung der Prostata mittels des transrektalen Ultraschall (TRUS) ist
aufwendig, kostenintensiver und nicht flächendeckend verfügbar. Darüber
hinaus konnten mehrere Studien belegen, dass der transrektale Ultraschall
lokalisierte Prostatakarzinome nicht identifizieren kann [24, 32, 53]. Dennoch
besteht Konsens, dass zusätzliche Gewebeproben im Rahmen einer
randomisierten Prostatastanzbiopsie aus sonographisch suspekten Arealen
nützlich sein können [38].
Ergibt sich in den laborchemischen und/oder klinischen Untersuchungen der
Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms, so kann dies nur durch
eine Prostatastanzbiopsie verifiziert werden. Diese kann entweder gezielt oder
systematisch durchgeführt werden. Bei letzterer werden aus der Prostata die
Gewebeproben nach einem standardisierten Muster entnommen. Bisher galt
die Prostatastanzbiopsie nach Hodge et al. [41] mit der transrektalen
ultraschallgesteuerten Entnahme von sechs Zylindern als Standardtechnik.
Zunehmend wird diese aber von Schemata mit 10- oder 12-fach Biopsien
abgelöst,
da
sich
in
Studien
eine
entscheidende
Verbesserung
der
Tumordetektionsrate ergab [20, 36]. Es herrscht inzwischen Konsens, dass bei
einer Drüsengröße von 30-40 ml mindestens 8 Prostatazylinder entnommen
werden sollten [30, 38, 54, 67].
5
Besteht
der
Verdacht
auf
ein
Prostatakarzinom
nach
unauffälliger
Prostatastanzbiopsie weiter, so wird in einigen Instituten eine sogenannte
Sättigungsbiopsie der Prostata durchgeführt. Diese beinhaltet eine erhöhte,
teilweise dem Volumen der Prostata angepasste Anzahl von Stanzproben
(mindestens 20). Dabei sollten Gewebeproben möglichst aus allen Organbereichen entnommen werden. Eine einheitliche Entnahmesystematik besteht
dabei bislang nicht. Die Prostata wird laut Raja et al. [71] möglichst
„durchgesamplet“, um ein eventuell vorhandenes Prostatakarzinom zu finden.
Noch fehlt es bislang jedoch an ausreichenden Studien, die einen zusätzlichen
Gewinn dieser Methode belegen würden, wie auch an geeigneten EntnahmeSchemata.
1.4
Stellenwert des Prostatakarzinom Screenings
Der Stellenwert des Screenings im Sinne einer regelhaften Untersuchung von
Risikogruppen ohne Symptome ist derzeit beim Prostatakarzinom, im
Gegensatz zu anderen Tumorentitäten, nicht abschließend geklärt. Zu den
Faktoren, die ein Screening effektiv gestalten, gehört einerseits das genaue
Wissen über die Tumoridentität, deren Frühstadium, Verlauf und prognostische
Faktoren. Andererseits ist das Vorliegen eines einfachen, sicheren, validierten
und präzisen Tests mit hoher Sensitivität und hoher Spezifität und damit einem
hohen prädiktiven Wert notwendig. Es besteht Übereinstimmung, dass die
Effektivität eines Screenings nur dann bewiesen ist, wenn ein Zusammenhang
zwischen Frühdetektion und Verminderung der Sterblichkeit bei akzeptabler
Lebensqualität und Kosteneffektivität festgestellt werden kann [19].
Der bislang fehlende Nachweis der Auswirkung des Prostatakarzinom
Screenings mittels PSA-Wert und digital rektaler Untersuchung auf die
prostatakarzinomspezifische
Todesrate
bedingte
zwei
großangelegte
Screening-Studien: In den USA „The Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian
Cancer Screening Trial“ (PLCO) und in Europa die „European Randomized
Study for Prostata Cancer“ (ERSPC), deren erste Ergebnisse im Jahr 2009
veröffentlicht wurden [2, 78].
6
In der PLCO-Studie ergab sich kein signifikanter Überlebensvorteil für Männer,
die regelmäßig an PSA-Tests teilnahmen (Screeninggruppe). Im Gegensatz
dazu kam es in der europäischen Studie zu einem Überlebensvorteil durch ein
regelmäßiges PSA-Screening von 20% gegenüber der Kontrollgruppe. Diese
widersprüchlichen Aussagen können durch das unterschiedliche Studiendesign
und methodische Mängel erklärt werden. Kritikpunkte an der amerikanischen
Studie sind ein zu kurzes Follow-up von im Mittel 7 Jahren, sowie eine
Kontamination der beiden Studiengruppen. Einerseits erhielten nur 85% der
Patienten der Screeninggruppe wirklich eine PSA-Wert Bestimmung und eine
digital rektale Untersuchung, andererseits ließ die Hälfte der Patienten in der
Kontrollgruppe außerhalb des Studienprotokolls ihren PSA-Wert bestimmen. In
der europäischen Studie wurden die Screeningintervalle z.T. so groß gewählt,
dass einige Patienten sogar nur ein einziges Mal untersucht wurden. Trotz
dieser qualitativen Mängel
konnte in der europäischen Studie nach einem
Follow-up von nur 9 Jahren ein Unterschied von 20% in der prostatakarzinomspezifischen Mortalität beider Gruppen festgestellt werden. Weiterhin lag die
Rate der Patienten, die mit ossären Filiae eines Prostatakarzinoms
diagnostiziert wurden, in der Screeninggruppe sogar um 41% unter der der
Kontrollgruppe.
Beide Studien zeigen dennoch, dass trotz der Kritikpunkte an dem
Studiendesign, ein PSA-Screening eine effektive und darüber hinaus auch
wenig invasive Screeningmaßnahme darstellt. Ein längeres Follow-up der
Studien sollte weitere dringende Fragen klären: Welches ist der PSAGrenzwert, ab dem eine Prostatastanzbiopsie durchgeführt werden sollte? Wie
ist der Nutzen des Screenings für bestimmte Altersgruppen und wie groß ist die
Gefahr der Entdeckung klinisch insignifikanter Tumore?
7
1.5
Insignifikantes Prostatakarzinom
Eine Besonderheit des Prostatakarzinoms ist seine mögliche Erscheinungsform
als insignifikanter Tumor, der den Patienten zu Lebzeiten nicht beeinträchtigt,
indolent zu verlaufen. Autopsiestudien zufolge liegt die Prävalenz des
Prostatakarzinoms mit 42% der Männer in der 5.Lebensdekade und sogar 64%
in der 7.Lebensdekade weit über der Inzidenz [34, 74]. Diese sogenannten
„Autopsiekarzinome“ werden auch als „insignifikante Tumore“ bezeichnet [19].
Demnach liegt das Risiko eines Mannes, an einem Prostatakarzinom zu
erkranken bei 1:6, wobei das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu sterben,
bei 1:30 liegt [46, 89]. In PSA-Screening Untersuchungen wird die Zahl der
diagnostizierten, aber klinisch insignifikanten Tumore mit 18% bis 85%
angegeben [57].
Aufgrund dieser Besonderheit des biologischen Verhaltens ist es in der
Therapie der Patienten unabdingbar, zwischen Prostatakarzinomen zu
unterscheiden, die keiner weiteren Therapie bedürfen und „high risk“ Tumoren,
die ein signifikantes Potential für eine Progression und somit eine absolute
Behandlungsnotwendigkeit haben. Im Bemühen um solche Kriterien definierten
Epstein et al. [28] einen „klinisch nicht signifikanten Tumor“ als begrenzt auf die
Prostata, Tumorvolumen <0,2 ml und Gleason Summe <7 (histologisches
Grading). Alle anderen Karzinome wurden als minimal (begrenzt auf die
Prostata, 0,2-0,5 ml, Gleason Summe <7), moderat (Kapseleinbruch und
Gleason Summe <7 oder Volumen >0,5 ml und begrenzt auf die Prostata) oder
fortgeschritten
Schnittränder,
(Kapseleinbruch
Samenblasen-
und
oder
Gleason
Summe
Lymphknotenbeteiligung)
≥7,
positive
bezeichnet.
Kürzlich veröffentlichte dieselbe Arbeitsgruppe eine leicht abgewandelte
Definition des klinisch nicht signifikanten Tumors: Das Karzinom muss
organbegrenzt und <0,5 ml im Volumen sein und es darf kein Gleason Grad 4
oder 5 vorliegen [29]. Das entspricht der einstigen Definition des minimalen
Tumors.
8
In der klinischen Anwendung bleibt das Problem der Signifikanzeinschätzung
trotz dieser Kriterien bestehen, da die präoperative Volumetrie des Tumors
unter anderem wegen des meist multifokalen Auftretens des Prostatakarzinoms
unzureichend ist. Die histologische Einschätzung nach Gleason wird außerdem
in mindestens 30% der Fälle in den Biopsiepräparaten als zu „gutartig“
eingeschätzt, wie Studien im Vergleich der Biopsie und den postoperativen
Präparaten zeigen [16, 76, 84].
In der Literatur wurde immer wieder die Vermutung geäußert, dass eine hohe
Anzahl der im Screening aufgefallenen Patienten mit einem Prostatakarzinom
übertherapiert werden. Bestätigt werden diese Bedenken durch eine Studie an
Männern mit einem “low risk“ Prostatakarzinom, das im Rahmen einer
Screeninguntersuchung detektiert wurde. Die Hälfte der Patienten, die für ein
abwartendes Management in Frage gekommen wären, wurden in den USA
aktiv behandelt [83].
1.6
Übersehene Prostatakarzinome bei negativer Stanzbiopsie
Bei 75-80% der
Männer mit PSA-Werten zwischen 4,5 und 10 ng/ml und
normaler DRU findet sich bei der TRUS gesteuerten Sextantenbiopsien kein
Karzinom [62]. Häufig werden benigne Befunde, wie eine benigne Prostatahyperplasie oder Prostatitis, für erhöhte PSA-Werte verantwortlich gemacht [6].
Allerdings wird eine signifikante Anzahl an Prostatakarzinomen durch die
Stanzbiopsie nicht entdeckt, wie Ellis et al., Keetch et al. und Stroumbakies et
al. zeigen konnten [25, 49, 87]. Nach einer negativen Sextantenbiopsie fanden
Ellis et al. [25] und Keetch et al. [49] bei Patienten mit persistierend erhöhtem
PSA-Wert oder auffälliger digital rektaler Untersuchung in einer zweiten
Sextantenbiopsie ein Prostatakarzinom in 20% bzw. 19% der Fälle. In
letztgenannter Arbeit wurde durch eine dritte oder vierte Sextantenbiopsie in
8% bzw. 7% der Patienten ein Karzinom entdeckt [49]. Zur Erhöhung der
Karzinomdetektionsrate bei Rebiopsien wurde in verschiedenen Studien die
Anzahl der Stanzzylinder erhöht, sowie die Regionen aus denen die Biopsien
genommen wurden verändert [4, 33, 69, 70, 86] (Tabelle 1).
9
Tab. 1:Prostatakarzinom Detektionsraten in Studien mit Sättigungsbiopsien der
Prostata nach vorhergehenden unauffälligen Biopsien (Pat.: Anzahl der
Patienten, PSA: Prostataspezifisches Antigen, PCA: Prostatakarzinom)
Literatur
Pat.
Anzahl
PSA
Anzahl
PCA
(n)
Vorbiopsien
(ng/ml)
Stanzzylinder
Detektions-
(n)
rate
(n)
(%)
Barboroglu et al.[4]
Stewart et al. [86]
57
224
mean 2,1 (1-4)
mean 1,8 (1-7)
mean
mean 22,5
8,6±5,4
(15-31)
median 8,7
mean 23
30%
34%
(14-45)
Rabets et al.[70]
116
1 biopsy: 70 pts.
mean 9,2
2 biopsies: 28 pts.
(1,7-48,6)
20-24
1 biopsy: 33%
2 biopsies: 25%
≥3 biopsies: 18
≥3 biopsies: 22%
pts.
Fleshner et al.[33]
5
37
3 biopsies: 11 pts.
median 22,4
4 biopsies: 12 pts.
(7,8-73,8)
30-36
13,5%
median 21
31,7%
5 biopsies: 8 pts.
6 biopsies: 6 pts.
Pryor et al.[69]
35
2 biopsies: 29 pts.
4,5-46
3 biopsies: 5 pts.
(14-28)
5 biopsies: 3 pts.
+TUR in 17pts.
Trotz der Intensivierung der Stanzschemata muss aber dennoch davon
ausgegangen werden, dass einige Karzinome unentdeckt bleiben: Pryor et al.
[69] führten eine „Sättigungsbiopsie“ mit 14-28 Proben (Median: 21) bei
persistierendem
Verdacht
auf
ein
Prostatakarzinom
durch.
Bei
einer
Detektionsrate von 20% bei 35 Patienten wurde ein Karzinom bei mindestens 6
Patienten nicht detektiert . Bei diesen Patienten wurde mittels einer parallelen
TUR-Biopsie oder einer weiteren TRUS gesteuerten Biopsien nach einem
Median
von
24
Monaten
Prostatakarzinom diagnostiziert.
nach
der
ersten
Sättigungsbiopsie
ein
10
1.7
Fragestellung
Aufgrund der oben genannten Ausführungen muss davon ausgegangen
werden,
dass
herkömmliche
Sättigungsbiopsien
nach
vorhergehenden
negativen Prostatastanzbiopsien bei persistierendem Verdacht auf das
Vorliegen eines Prostatakarzinoms, einen wesentlichen Anteil an Karzinomen
nicht entdecken. Ziel der vorliegenden prospektiven Untersuchung war es zu
untersuchen, ob es bei Patienten nach negativen Vorbiopsien und weiterhin
erhöhtem oder steigendem PSA-Wert, sowie klinischen oder histologischen
Hinweisen auf das Vorliegen eines PCA durch eine weitere Erhöhung der
Stanzzylinderzahl (Erweiterte Saturationsbiopsie) eine signifikant höhere
Anzahl an Karzinomen diagnostiziert werden kann.
11
2.
Material und Methoden
2.1
Patienten
Von Februar 1999 bis Oktober 2004 wurden 82 Männer im Alter von 48-88
Jahren (Median: 64 Jahre) in diese prospektiv angelegte Untersuchung
eingeschlossen. Die Patienten hatten aufgrund des klinischen Verdachts auf
ein Prostatakarzinom mindestens eine randomisierte TRUS gesteuerte
Stanzbiopsie der Prostata erhalten, die jedoch nicht den Nachweis eines
Malignoms erbrachte. Dennoch bestand aufgrund der klinischen Befunde
weiterhin die Mutmaßung, dass ein eventuell vorhandenes Karzinom durch die
Stanzbiopsie nicht entdeckt wurde. Alle Patienten des Studienkollektivs wurden
von den betreuenden niedergelassenen Urologen an die Klinik für Urologie und
Kinderurologie der Universität Ulm zur Festlegung des weiteren diagnostischen
Vorgehens überwiesen.
Den Patienten wurde eine Erweiterte Saturationsbiopsie (ESB) angeboten,
wenn die Anamnese oder die klinische Untersuchung mindestens eines der
folgenden Einschlusskriterien ergab:
-
PSA-Wert > 4 ng/ml,
-
PSA-Ratio (freies/Gesamt PSA) < 25%,
-
PSA-Anstiegsgeschwindigkeit (PSA – Velocity) >0,75 ng/ml pro Jahr,
-
vorhergehender histologischer Befund mit verdächtigem Ergebnis auf
das Vorliegen eines Karzinoms,
-
auffälliger Tastbefund der Prostata,
-
auffälliger sonographischer Befund.
2.2.
Vorbereitung und periinterventionelles Management
Die Vorbereitung zur ESB der Prostata lehnte sich an das Protokoll der
Urologischen Klinik der Universität Ulm zur Durchführung der „normalen“
randomisierten Stanzbiopsie der Prostata an. Identisch war die Gabe eines
12
oralen Fluoroquinolon (Tarivid® 200mg p.o. oder Tavanic® 250mg p.o.) am
Abend vor dem Eingriff, sowie am Morgen und am Abend des Eingriffs. Zur
Vermeidung
von
infektiösen
Komplikationen
aufgrund
der
wesentlich
gesteigerten Anzahl von Stanzzylindern, erhielten die Patienten diese Antibiose
zusätzlich für weitere 5 Tage. Weiterhin erhielten die Patienten ein BisacodylSuppositorium am Vorabend zur Vorbereitung des Enddarms. Im Unterschied
zu dem Standardvorgehen bei der Stanzbiopsie der Prostata wurde allen
Patienten ein transurethraler Harnblasenspülkatheter mit einer Größe von 18
oder 20 Charr. eingelegt. Ziel war die Vermeidung eines postinterventionellen
Harnverhalts, sowie die Möglichkeit, bei eventuell stärkerer Blutung aus der
Prostata eine Harnblasentamponade durch das Anlegen einer Dauerspülung
zu vermeiden. Der Katheter wurde so lange belassen, bis nach subjektiver
Einschätzung durch den betreuenden Stationsarzt nicht mehr die Gefahr einer
Blutungskomplikation bei einem weitgehend klaren Urin bestand. In der
Annahme, dass die ESB der Prostata einen deutlich höheren Schmerzreiz als
die Standardbiopsie darstellt und der Eingriff auch wesentlich länger dauerte,
wurde nach ausführlicher Aufklärung zur Verbesserung des Patientenkomforts
die Intervention in Vollnarkose oder Spinalanästhesie durchgeführt.
2.3
Durchführung der Erweiterten Saturationsbiopsie der Prostata
Der Eingriff wurde im Operationstrakt der Urologischen Klinik der Universität
Ulm durchgeführt. Nach Einleitung des gewählten Anästhesieverfahrens wurde
der Patient für die Biopsie mit Hilfe von Beinschienen in eine modifizierte
Lithotomie-Position gebracht. Das Skrotum wurde mit Hilfe von Pflastern nach
kranial fixiert, um einen ungestörten Zugang zum Rektum zu erlauben. Der
Enddarm wurde mit einem Gleitgel (Instillagel®, Firma Farco Pharma, Köln)
vorbereitet. Die TRUS gesteuerte Stanzbiopsie der Prostata erfolgte mit einem
handelsüblichen dreidimensionalen 7,5 Mhz Prostata-Schallkopf (Combison
530D, General Electric, Milwaukee, USA). Zur Verkürzung der Interventionszeit
wurden jeweils zwei Biopsiegeräte mit einer 18 G Biopsienadel verwendet. In
der Zeit, in der der Operateur eine Stanzbiopsie durchführte, gab die
Operationsschwester/-pfleger den Stanzzylinder aus der zuvor verwendeten
13
Biopsiepistole in den gekennzeichneten Aufbewahrungsbehälter und bereitete
das Instrument für die nächste Gewebeentnahme vor. Im Anschluss an die
Intervention wurde der Harnblasenspülkatheter (siehe oben) eingebracht und
eine Rektumtamponade mit Kompressen durchgeführt, die mit einem
Desinfektionsmittel getränkt waren. Nach Maßgabe des Operateurs erfolgte am
selben Tag die Entfernungen der Tamponade auf Station. Es wurde
angestrebt, die Patienten mindestens einen Tag in der Klinik zu überwachen,
um mögliche Komplikationen behandeln zu können.
2.4
Schema der Erweiterten Saturationsbiopsie
Das Standardschema zur Durchführung einer randomisierten Stanzbiopsie der
Prostata an der Urologischen Klinik der Universität Ulm lehnte sich
den
Empfehlungen von Barbaroglou et al. [4] an. Es wurde eine 10-fach
Stanzbiopsie der Prostata mit je einem Stanzzylinder aus folgenden Arealen
durchgeführt: Vorderhorn, Apex, Mitte, Basis und Übergangszone (jeweils
rechts und links) (siehe Abbildung 1). Bei der ESB entnahm der Operateur aus
jedem dieser Areale die Stanzzylinder. Zusätzliche Biopsien wurden aus
sonographisch suspekten Arealen entnommen. Es wurden keine Vorgaben zur
Gesamtzahl der Gewebeproben gemacht.
Abbildung 1: Entnahmezonen Prostata (nach Barbaroglou et al. [4])
14
2.5
Klinische Signifikanz der Tumore
Ein wesentlicher Faktor in der Beurteilung der Ergebnisse der Erweiterten
Saturationsbiopsie ist die Einschätzung, ob ein entdecktes Prostatakarzinom
eine klinische Signifikanz aufweist. In der vorliegenden Studie wurden die
Kriterien von Epstein et al. (2005) [29] angewandt. Entsprechend deren
Definition ist ein Prostatakarzinom nicht klinisch signifikant, wenn a) die
Gleason Summe 6 oder kleiner und b) das Tumorvolumen unter 0,5 ml liegt.
Problematisch in der vorliegenden Studie war die genaue Bestimmung der
Tumorgröße. Die Aufarbeitung der Prostatapräparate erfolgte entsprechend
dem Protokoll der Pathologischen Klinik der Universität Ulm, die eine exakte
Bestimmung der Tumorgröße, wie sie nur an Serienschnitten möglich ist, nicht
zulässt. Deswegen wurde zur Näherung an die Tumorgröße das T-Stadium des
Prostatektomiepräparates verwandt: Wir nahmen an, dass alle pT2a Tumoren
ein Volumen <0,5 ml haben und deswegen klinisch insignifikant sein könnten
(unter Berücksichtigung der Gleason Summe) und alle pT2c Tumoren ein
Volumen >0,5 ml haben und damit immer klinisch signifikant sind. Bei den
pT2b Tumoren müssen wir davon ausgehen, dass deren Volumen entweder
<0,5 ml oder >0,5 ml ist und wir deswegen nur eine Spannbreite angeben
können, wie viele Prostatakarzinome unter Berücksichtigung der Gleason
Summe klinisch signifikant oder insignifikant sind.
2.6.
Nachsorge
Die Patienten, bei denen in der ESB kein Karzinom war, wurden nach im
Median 79 Monate (Range 55-123) telefonisch nachbefragt. Von insgesamt 46
Patienten konnten 44 Patienten im Verlauf kontaktiert werden, was einem
Anteil von 95,7% entspricht. 1 Patient (2,2%) war unbekannt verzogen und
trotz intensiver Recherche nicht auffindbar. Ein Patient ist wenige Jahre nach
der ESB an den Folgen einer schweren internistischen Erkrankung verstorben.
Die Nachbefragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens.
15
Abgefragt wurden:
- aktueller PSA-Wert
- weitere urologische Interventionen im Nachbeobachtungszeitraum:
- Stanzbiopsie der Prostata
- operative Therapie (TUR, Adenomenukleation, RPX)
- Diagnose eines PCA
- urologische Medikation
2.7
Statistik
Für den Vergleich klinischer Parameter in Hinblick auf Unterschiede zwischen
Patienten mit und ohne Karzinom wurde der Mann-Whitney-U-Test verwendet.
Alle statistischen Analysen wurden mittels der Statistiksoftware SPSS (SPSS,
Chicago, Illinois, USA) durchgeführt, wobei p<0,05 als signifikant gewertet
wurde.
16
3.
Ergebnisse
3.1
Patientenkollektiv
Von Februar 1999 bis Oktober 2004 wurden 82 Männer im Alter von 48-88
Jahren (Median: 64 Jahre) in diese prospektiv angelegte Untersuchung
eingeschlossen. Alle diese Patienten erfüllten die in Material und Methoden
beschriebenen Einschlusskriterien der Studie. Aufgrund des klinischen
Verdachts auf ein Prostatakarzinom hatten diese mindestens eine TRUS
gesteuerte 6-fach Stanzbiopsie der Prostata erhalten, die jedoch nicht den
Nachweis eines Malignoms erbrachte. Dennoch bestand aufgrund der
klinischen Befunde weiterhin die Mutmaßung, dass ein eventuell vorhandenes
Karzinom durch die vorhergehende(n) Stanzbiopsie(n) nicht entdeckt worden
war. Alle Patienten des Studienkollektivs wurden von den betreuenden
niedergelassenen Urologen an die Klinik für Urologie und Kinderurologie der
Universität Ulm zur Festlegung des weiteren diagnostischen Vorgehens
überwiesen.
3.2
Präinterventionelle Daten
Die Anzahl der unauffälligen Vorbiopsien lag im Median bei 2,05 (Range 1-8).
Zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Urologischen Klinik lag der PSA- Wert der
Patienten bei Median 16,1 ng/ml (Range 2,9-68,8), die PSA-Ratio wurde mit
Median 16% (Range 7-30) bestimmt. In den auswärtigen, vorhergehenden
Stanzbiopsien hatte sich bei 11 Patienten eine prostatische intraepitheliale
Neoplasie (PIN) gezeigt. Die mittels transrektalem Ultraschall vermessene
Größe der Prostata betrug im Median 63 ml (Range 18-140), bei 54 Patienten
wurde zusätzlich die Größe der BPH Zone bestimmt, die bei Median 39 ml
(Range 5-116) lag.
17
3.3
Zur
Periinterventionelle Daten
Durchführung
der
ESB
wurde
bei
34
Patienten
(42%)
eine
Spinalanästhesie und bei 48 Patienten (58%) eine Intubationsnarkose
angewendet. Insgesamt wurden bei den Patienten des Kollektivs im Median 57
Stanzzylinder (Range 35-139) entnommen. Der transurethrale Katheter, der zur
Prävention einer Harnblasentamponade bei Blutungskomplikationen eingelegt
wurde, wurde nach einem Tag entfernt. Vereinzelt kam es jedoch zu einer
persistierenden Makrohämaturie, sodass der Dauerkatheter in seltenen Fällen
bis zu 4 Tage belassen wurde. Lediglich ein 61-jähriger Patient musste wegen
einer postinterventionellen erneuten Marcumareinstellung insgesamt 15 Tage
stationär behandelt werden. Eine ambulante Umstellung war aufgrund einer
schwerwiegenden internistischen Grunderkrankung nicht möglich. Insgesamt
betrug der stationäre Aufenthalt im Median 1,8 Tage (Range 1-15). Nachdem
der Dauerkatheter entfernt wurde, gab es keinen Harnverhalt und nach der
prophylaktischen
6-tägigen
Antibiose
hatte
keiner
der
Patienten
symptomatische Infektionen des Harntraktes.
3.4
Ergebnisse der Erweiterten Saturationsbiopsie
Bei 36 der 82 Patienten (44%) konnte in mindestens einem der Stanzzylinder
ein Karzinom der Prostata nachgewiesen werden. Die Basisdaten der
Patienten (Alter, Anzahl der vorhergehenden Stanzbiopsien, PSA-Wert, PSARatio, Prostatavolumen, BPH-Volumen, Anzahl der Stanzzylinder, Quotient
Volumen Prostata/Stanzzylinder, stationärer Aufenthalt) mit und ohne Karzinom
und ein eventueller statistisch signifikanter Unterschied in den Gruppen sind in
Tabelle 2 aufgeführt.
22
Tabelle 5: pTNM-Klassifikation der Patienten aus der untersuchten Patientengruppe, die vom Februar 1999 bis Oktober 2004 an der Universität
Ulm eine radikale Prostatektomie erhielten (n=32).
pT Kategorie
Gleason Summe
Patienten (n)
pT2a
3
1
7
5
4
1
5
3
6
2
7
2
5
1
6
7
7
5
8
1
pT3a
7
3
pT3b
7
1
pT2b
pT2c
pN-Kategorie
Patienten (n)
pN0
30
pN1
2
Wie in Material und Methoden ausgeführt, ist aufgrund der Aufarbeitung der
Präparate eine exakte Größenangabe des Tumors und somit eine genaue
Festlegung der Anzahl an entdeckten insignifikanten Karzinomen nicht möglich.
Näherungsweise kann entsprechend der Kriterien von Epstein et al. [29] ein
Minimum an insignifikanten Karzinomen angegeben werden, welches bei 1/32
Patienten (3,1%) lag (pT2a Tumor mit Gleason Summe von 3). Das Maximum
an insignifikanten Karzinomen liegt dementsprechend bei 7/32 (22%) Patienten
(1 Patient wie oben beschrieben und weiteren 6 Patienten mit einem pT2b
Prostatakarzinom, aber einem Gleason Score von unter 7). Alle anderen
Patienten haben nach der angewandten Näherung ein signifikantes Karzinom,
welches mittels einer radikalen Prostatovesikulektomie therapiert wurde.
23
Bei den 4 Patienten (11,1%), die keine RPX erhielten, wurde bei 2 (5,5%) eine
externe Bestrahlung der Prostata durchgeführt. Ein Patient (2,8%) erhielt eine
Brachytherapie und ein Patient (2,8%) eine Hormontherapie.
3.6
Patienten ohne Karzinom in der Erweiterten Saturationsbiopsie
Bei 46/82 Patienten (56%) zeigte sich trotz persistierendem Verdacht auf ein
Prostatakarzinom eine unauffällige Stanzbiopsie der Prostata im Rahmen der
ESB. Von diesen 46 Patienten konnten 44 Patienten im Verlauf nachbefragt
werden, was einem Anteil von 95,7% entspricht. Ein Patient (2,2%) war
unbekannt verzogen und trotz intensiver Recherche nicht auffindbar. Ein
Patient ist wenige Jahre nach der ESB an den Folgen einer schweren
internistischen Erkrankung verstorben.
Im Median 79 Monate (Range 55-123) nach erfolgter ESB wurden die
Patienten nachbefragt.
Dabei
wurde
bei
Prostatastanzbiopsie
19/44
noch
Patienten
eine
(43,2%)
operative
weder
Therapie
an
eine
erneute
der
Prostata
durchgeführt, bei 16/44 (36,4%) Patienten wurde aufgrund persistent erhöhter
PSA-Werte eine nochmalige Stanzbiopsie durchgeführt (Tabelle 7).
Zwei Patienten, entsprechend 4,5% (2/44) der Nachbeobachtungsgruppe,
hatten im Follow-up die Diagnose eines Prostatakarzinoms (Tabelle 6).
Ein Patient erhielt 5,5 Jahre nach der ESB eine radikale Prostatovesikulektomie. Histologisch zeigte sich ein pT2c pN0 Mo Gleason Summe 7 (3+4)
Adenokarzinom der Prostata. Der andere Patient hatte in einer Prostatastanze,
die gesteuert nach einem PET-CT Befund durchgeführt wurde, ein Gleason
Summe 6 (3+3) Adenokarzinom in einem der entnommenen Stanzzylinder.
Laborchemisch wurde vor der Gewebeentnahme der PSA-Wert mit 10 ng/ml
bei einem Quotienten PSA frei/gesamt von 20% bestimmt. Daraufhin wurde
ebenfalls eine radikale Prostatovesikulektomie durchgeführt, die trotz intensiver
Aufarbeitung kein Karzinomnachweis im endgültigen Präparat erbrachte.
26
Über die Häufigkeit urologisch bedingter Medikamenteneinnahme konnten nur
27 (61,36%) der 44 Patienten verlässlich Auskunft geben. 17 Patienten
benötigten keinerlei Medikamente. 10 Patienten erhielten eine medikamentöse
Therapie einer benignen Prostatahyperplasie.
Der durchschnittliche PSA-Wert aller Patienten mit einer karzinomfreien ESB
lag in der Nachuntersuchung bei 9,6 ng/ml (0,05-74,7) und war damit im
Vergleich zum Zeitpunkt der ESB (15,60 ng/ml, Range: 4,9-68,8) niedriger. Ein
verlässlicher Vergleich ist jedoch nur bei den Patienten ohne weitere
Interventionen möglich. Nach der ESB war bei 29 Patienten keine weitere
Therapie einer subvesikalen Obstruktion notwendig. In dieser Subgruppe lässt
sich eine moderatere Reduktion des PSA-Wertes in der Nachuntersuchung
erkennen. Der PSA lag
im Mittel bei 11,5 ng/ml (0,9-74,7) und war damit
erwartungsgemäß etwas höher als im Gesamtkollektiv der Patienten mit
Karzinomfreiheit in der ESB.
In der Gruppe der Patienten, die eine volumenreduzierende operative
Maßnahme wie eine TUR oder eine Adenomenukleation erhielten, war der
PSA-Abfall von im Mittel 18,3 (5,4-47,4) bei ESB auf 4,2 (0,05-11,8) bei der
Nachuntersuchung deutlich zu erkennen. Dies basiert auf dem Umstand, dass
die
Verkleinerung
des
Prostatavolumens
gleichzeitig
auch
das
PSA
produzierende Gewebe reduziert.
Die beiden Patienten, die sich im Verlauf einer RPX unterziehen mussten,
hatten
zum
Zeitpunkt
der
Nachbefragung
einen
PSA-Wert
im
nicht
nachweisbaren Bereich.
Ein wesentlicher Unterschied im mittleren Alter der verschiedenen Subgruppe
bestand nicht (Tabelle 8).
28
4.
Diskussion
Seit der wegweisenden Publikation von Hodge et al. [42] ist die randomisierte
TRUS-gesteuerte Sextantenbiopsie der Prostata der anerkannte Standard im
Nachweis eines eventuell vorhandenen Prostatakarzinoms [38]. Diese Probengewinnung ist nach den aktuellen Leitlinien der EAU (European Association of
Urology) aus dem Jahre 2011 bei auffälliger DRU und/oder einer unklaren
PSA-Erhöhung > 4 ng /ml indiziert [38]. In diesem Zusammenhang ist es
jedoch entscheidend, zwei Fakten zu erwähnen: Einerseits ist bekannt, dass
nicht
jeder
Patient
mit
auffälligen
klinischen
und
laborchemischen
Untersuchungen ein Prostatakarzinom hat. So zeigte sich in der Studie von
Morote et al. [62] tatsächlich nur bei 20-25% der Männer ein Prostatakarzinom,
die einen PSA-Wert zwischen 4,5 und 10 ng/ml und eine unauffällige DRU
hatten. Histologische Befunde wie eine BPH oder Prostatitis wurden für die
erhöhten PSA-Werte verantwortlich gemacht. Andererseits wird durch die
klassische Sextantenbiopsie eine signifikante Anzahl an Karzinomen nicht
entdeckt. Stroumbakis et al. [87] führten bei Patienten mit nachgewiesenem
Prostatakarzinom
vor
der
radikalen
Prostatektomie
eine
erneute
Sextantenbiopsie durch und fanden hierbei eine falsch negative Rate von 20%.
Insofern sind Patienten, bei denen trotz vorhergehender unauffälliger
Stanzbiopsie der Prostata weiterhin der Verdacht auf das Vorliegen eines
Prostatakarzinoms aufgrund eines auffälligen Tastbefundes, verdächtigem
TRUS oder weiterhin erhöhtem bzw. ansteigendem PSA-Wert besteht, eine
medizinische Herausforderung für den klinisch tätigen Urologen. Derzeit
existieren zwei Möglichkeiten, in einem solchen Fall diagnostisch weiter
vorzugehen: Einerseits die Wiederholung des gleichen Biopsieverfahrens,
andererseits
die
Anwendung
eines
extensiveren
Stanzverfahrens
(Sättigungsbiopsie) mit der Intention, die Wahrscheinlichkeit der Detektion
eines bisher übersehenen Karzinoms zu erhöhen.
In der vorliegenden Studie wurde bei Patienten mit dem persistierenden
Verdacht auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms ein wesentlich erweitertes
29
Biopsieverfahren angewandt, um die Detektionsrate gegenüber den oben
genannten Vorgehen noch einmal zu erhöhen: Die von uns so bezeichnete
„Erweiterte Saturationsbiopsie“ (ESB). Im Rahmen derselben wurden im
Median 57 Gewebezylinder (35-139) entnommen, welches eine deutliche
Steigerung gegenüber bisherigen Sättigungsbiopsien mit 14 bis 24 Zylindern
darstellte [71].
4.1
Karzinomdetektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im
Vergleich zu Schemata mit geringerer Zylinderanzahl im Rahmen
einer Wiederholungsbiospie
In der vorliegen Studie zur ESB konnte bei 36 von 82 Patienten mit einer oder
mehreren vorhergehenden negativen Biopsien, aber weiterhin bestehenden
Karzinomverdacht, ein Karzinom entdeckt werden, was einer Detektionsrate
von 44 % entspricht. Dieser Wert ist deutlich höher als der entsprechende von
Sextanten - und Sättigungsbiopsie in derselben Fragestellung.
4.1.1 Vergleich mit Sextantenbiopsie
Nach einer negativen Sextantenbiopsie hatten Ellis et al. [25] und Keetch et al.
[49] bei Patienten mit konstant erhöhten PSA-Werten oder auffälliger DRU in
einer weiteren, zweiten Sextantenbiopsie eine Karzinomdetektionsrate von
20% bzw. 19%. In einer der Studien zeigten sich interessanterweise allerdings
Prostatakarzinome in der dritten bzw. vierten Sextantenbiopsie in 8% und 7%
der Fälle, was dafür spricht, dass diese Karzinome in der ersten Kontrollbiopsie
nicht entdeckt worden waren [49]. Die Sextantenbiopsie als Wiederholungsbiopsie hat also erneut eine relativ hohe falsch negative Rate, wie die
Nachuntersuchungen zeigten.
4.1.2 Vergleich mit Sättigungsbiopsien
Aufgrund der schlechten Ergebnisse der Sextantenbiopsie propagierten andere
Autoren
ein
erweitertes
Biopsieverfahren
für
Wiederholungsbiopsien,
hauptsächlich verändert in der erhöhten Anzahl an Stanzproben und
veränderten Regionen der Prostata, aus denen Zylinder entnommen wurden
30
[4, 33, 69, 70, 86]. Mit diesen Sättigungsbiopsien zeigten sich Karzinomdetektionsraten zwischen 20-34% bei Patienten mit negativen Vorbiopsien.
Borboruglu et al. [4] erreichten mit ihrem erweiterten Biopsieverfahren eine
Karzinomdetektionsrate von 30%. Sie wandten ein Verfahren an, das
verglichen mit der ESB ebenfalls den lateralen Anteil und die Transitionalzone
der Prostata mit einbezog, allerdings mit durchschnittlich 22,5 Zylinder deutlich
unter der Probenzahl der ESB (Median 57 Stanzzylinder) lag. Die Gruppen um
Rabets et al. [70], Stewart et al. [86] und Pryor et al. [69] konnten mit ähnlichen
Schemata (mittlere Anzahl der Stanzzylinder 24, 23, 21) in entsprechend 29%,
34% und 20% der Patienten mit negativen Vorbiopsien ein PCA diagnostizieren
[69, 70, 86].
Aber selbst mit diesen Verfahren muss davon ausgegangen werden, dass
einige Karzinome unentdeckt bleiben. Hinweise darauf finden sich in der Studie
von Pryor et al. [69], die eine Sättigungsbiopsie mit 14-28 Proben (Median 21)
anwendeten. Obgleich die Detektionsrate bei 20% lag, wurde bei 6 von 35
Patienten ein Prostatakarzinom nicht diagnostiziert. Dieses zeigte sich in dieser
Studie entweder nur in einer parallelen TURP-Biopsie oder im Verlauf durch
zusätzliche TRUS gesteuerten Biopsien nach einem Median von 24 Monaten
nach der ersten Sättigungsbiopsie [69].
Lediglich eine Studie zeigte durch eine Sättigungsbiopsie (Median 24 Zylinder)
mit 41% eine Karzinomdetektionsrate, die deutlich höher lag als in den oben
genannten Studien zur Sättigungsbiopsie [90]. Im Vergleich zu diesen Studien
zeigte sich kein Unterschied im Hinblick auf die Anzahl der vorangegangenen
Biopsien, dem mittleren PSA oder dem Patientenalter. Weitere Patientencharakteristika, die die deutliche Differenz zu den anderen Sättigungsbiopsiestudien aus Unterschieden im Patientenkollektiv erklären könnten, wurden nicht
dargestellt. Insofern bleibt der Grund für die 10-15% höhere Detektionsrate bei
Walz et al. ungeklärt.
31
4.2
Detektionsrate der Erweiterten Saturationsbiopsie im
Zusammenhang mit den unauffälligen vorhergehenden Biopsien
Man könnte argumentieren, dass die erhöhte Karzinomdetektionsrate darauf
zurückzuführen ist, dass in der vorliegenden Studie im Vergleich zu anderen
schon frühzeitig - nach eventuell nur einer unauffälligen Vorbiopsie - eine ESB
durchgeführt wurde und dadurch eine Selektion des Patientengutes erfolgte.
Tatsächlich besteht im direkten Vergleich zu den meisten oben erwähnten
Studien kein nennenswerter Unterschied in der Anzahl vorhergehender
Biopsien, die keinen Karzinomnachweis erbrachten. Im Median hatten die
Patienten in der vorliegenden Arbeit zwei vorhergehende negative Biopsien.
Diese Zahl ist vergleichbar zu den Studien von Borboroglu et al. (Median 2,1
(Range 1-4) Vorbiopsien bei 57 Patienten)[4], Stewart et al. (Median 1,8
(Range 1-7) Vorbiopsien bei 227 Patienten) [86], Rabets et al. (Median 1,6
(Range 1-5) Vorbiopsien bei 116 Patienten) [70], Walz et al. (Median 2,6
(Range 2-6) Vorbiopsien bei 161 Patienten) [90] und Pryor et al. (Median 2,4
(Range 2-5) Vorbiopsien bei 35 Patienten) [69]. Einzig die Arbeitsgruppe um
Fleshner et al. [33] untersuchte 37 Patienten, die mit im Median 4,2
Vorbiopsien (Range 3-6) deutlich mehr Vorbiopsien aufwiesen (Tabelle 10).
Die Studien der Wiederholungsbiopsien zeigen mit steigender Anzahl der
vorhergehenden negativen Biopsien ein Abfall der Karzinomdetektionsrate. Die
Untersuchung von Keetch et al. [49] fand durch Sextantenbiopsien in der
ersten Biopsie bei 34% der Patienten ein Karzinom. Bei der Durchführung
weiterer Biopsien aufgrund konstant erhöhtem PSA-Wert, auffälliger rektaldigitaler Untersuchung oder Ultraschalluntersuchung, betrug die Detektionsrate
in jeweils der zweiten, dritten oder ≥ vierten Biopsie 19%, 8% und 7%. Ein
vergleichbarer Zusammenhang konnte durch Rabets et al. [70] auch für
Sättigungsbiopsien gefunden werden. Im Gegensatz zur Sextantenbiopsie
wurde die Anzahl der Stanzzylinder auf 24 erhöht. Sie diagnostizierten
Karzinome nach 1, 2 oder 3 vorhergehenden Biopsien in jeweils 33%, 25% und
22% der Patienten.
32
In der vorliegenden Untersuchung konnte dies nicht beobachtet werden.
Vielmehr zeigt sich folgender Zusammenhang zwischen der Detektionsrate des
Prostatakarzinoms und der Anzahl vorhergehender Negativbiopsien: a)
sinkende Detektionsrate von 50% auf 35 % bei entsprechend einer und zwei
vorhergehenden negativen Biopsien und b) ein Anstieg der Karzinomdetektion
auf 66,7% bei ≥ 3 vorhergehenden Biopsien. Dies könnte der Besonderheit des
vorliegenden Patientenkollektivs zugeschrieben werden. Bei einem Patienten,
der nach 2 unauffälligen Biopsien zur weiteren Beurteilung und Diagnostik
überwiesen wurde, müssen sehr klare Hinweise auf das Vorliegen eines
Prostatakarzinoms bestehen. Damit kann man von einer gewissen, nicht zu
beeinflussenden Selektion dieser speziellen Untergruppe ausgehen, welche
auch die Detektionsrate beeinflusst. Die Tatsache, dass die Technik der ESB
ihrerseits die gesamte Prostata – auch Regionen, die Standardverfahren oder
normale „Sättigungsbiopsien“ nicht erreichen – untersucht, führt dann in einem
höheren Maße auch zu einer Detektion des Karzinoms in diesem Patientenkollektiv. Zusätzlich könnte das höhere Detektionsergebnis auch statistisch
durch den Bias der niedrigen Patientenzahl in dieser Untergruppe entstehen.
4.3
Upgrading nach Opertion im Vergleich zur Biopsie
In der Abschätzung der möglichen Therapien für den individuellen Patienten
spielt die histologische Differenzierung des Prostatakarzinoms eine wesentliche
Rolle. Bekannt ist jedoch, dass die pathologische Untersuchung des
Prostatektomiepräparates im Vergleich zu der Untersuchung der Biopsien oft
zu einem „Upgrading“ führt. Das heißt, dass die histologische Untersuchung
der Biopsien zu einem hohen Prozentsatz eine zu positive Einschätzung des
Tumors ergibt. Im Vergleich zu der seltenen Notwendigkeit eines so genannten
„Downgradings“ kommt es in bis zu über 70% der Fälle zu einem
postoperativen „Upgrading“ [31, 65]. Die Ursache für die in allen Studien zu
beobachtende Unterschätzung des Gradings in der Biopsie liegt unter anderem
in der Multifokalität und Heterogenität des Prostatakarzinoms. Cheng et al.
stellten 2005 fest, dass die Mehrzahl der Karzinome multifokal und bilateral
wächst [16]. Zwangsläufig muss das führende Tumorgewebe in der Biopsie
nicht dem des Haupttumors im Prostatektomiepräparat entsprechen.
33
Außerdem kann sogar ein einzelner Tumorknoten niedrig- als auch
hochdifferenzierte Areale zeigen [26]. Da einerseits im Verhältnis zum
Drüsenvolumen durch die Proben nur wenig „Volumen“ entnommen wird und
andererseits die einzelnen Stanzzylinder sich nicht einem gemäß seinem
Volumen relevanten Tumorknoten zuordnen lässt, ist es nachvollziehbar, dass
letztlich das Karzinom in seiner Gesamtheit im postoperativen Präparat den
Wert des Gleason Scores bestimmt
und somit zu dem oben genannten
Prozentsatz vom Biopsieergebnis abweicht [76].
Für Standard-Sextantenbiopsien liegen die Angaben über den Prozentsatz der
„Upgrades“ in der Literatur bei 41-43% der Fälle [26, 50], in der Studie von
Fernandes et al. sogar bei 74,6% [31]. Die Erweiterung der Biopsieverfahren
auf Sättigungsbiopsien senkte in direkten Vergleichsstudien den Prozentsatz
des „Upgradings“ auf 35% und sogar 17% [50, 58]. Diese Daten geben einen
Hinweis
darauf,
dass
erweiterte
Biopsieverfahren
die
diagnostische
Unterschätzung der Karzinomaggressivität mindern können.
Betrachtet man in der vorliegenden Studie die 32 Patienten, bei denen in der
ESB ein Karzinom diagnostiziert wurde und die sich einer anschließenden
Operation unterzogen, kam es nur bei 3 Patienten (9,4%) zu einem Upgrade
der Histologie. Dieses Ergebnis legt den Schluss nahe, dass die deutliche
Erhöhung
der
Stanzzylinderzahl
in
der
ESB
die
Verbesserung
der
histologischen Einschätzung des vorliegenden Tumors weiter fortsetzt, wo
bereits Sättigungsbiopsien einen Fortschritt bedeuteten. Da die histologische
Einschätzung nach der Biopsie eine wichtige Grundlage in der Therapieentscheidung darstellt, bedingt eine Fehleinschätzung hin zu einem Tumor mit
weniger
aggressivem
Potential
unter
Umständen
eine
abwartende
therapeutische Haltung trotz Vorliegen eines therapiebedürftigen Karzinoms.
Der Einsatz erweiterter Biopsieschemata, insbesondere der ESB kann dieses
Risiko senken.
34
4.4
Erweiterte Saturationsbiopsie Detektion insignifikanter Tumore
Nach der Detektion des Prostatakarzinoms ist die richtige therapeutische
Strategie für die vorliegende Befundkonstellation zu wählen, was voraussetzt,
dass man die klinische Relevanz des entdeckten Karzinoms kennt. Kritiker
werfen
den
erweiterten
Biopsieschemata
vor,
grundsätzlich
vermehrt
insignifikante Tumore zu entdecken und damit zu einer Überbehandlung des
betroffenen Patienten zu führen [3, 9, 11, 60]. Dem halten andere Gruppen
entgegen, dass die Möglichkeit der „Overdetection“ gegen das Risiko
abgewogen werden muss, ein klinisch signifikantes Malignom durch eine
inadäquate Biopsiestrategie mit einer hohen falsch negativen Rate zu
übersehen [48, 49, 87].
4.4.1 Definition des insignifikanten Karzinoms an den pathologischen
Präparaten
Zur Einschätzung der klinischen Relevanz von Prostatakarzinomen haben
Stamey et al.[82] Prostatae von 139 Patienten untersucht, die aufgrund eines
Harnblasenkarzinoms eine Zystoprostatektomie erhielten. 40% hatten in der
pathologischen Untersuchung ein Prostatakarzinom, bei 7,9% aller Patienten
betrug
das
Volumen
des
Karzinoms
>0,5
ml.
Da
das
geschätzte
Lebenszeitrisiko für die Diagnose eines PCA in den USA bei ungefähr 8% liegt,
haben die Autoren geschlussfolgert, dass Tumore mit einer Größe >0,5 ml
klinisch relevant werden.
Epstein et al.[28] schlossen in der Folge das histologische Grading nach
Gleason in die Definition des insignifikanten Karzinoms mit ein. Grundlage
dieses
Gradings
sind
die
verschiedenen
Wachstumsmuster
des
Prostatakarzinoms. Da das Prostatakarzinom häufig multifokal wächst und in
den einzelnen Foci unterschiedliche Wachstumsmuster vorliegen, teilt dieses
System das Karzinom in ein primäres (vorherrschendes) und ein sekundäres
Muster ein. Die beiden vorherrschenden Muster werden einzeln als „Gleason
Grad“ bezeichnet und können einen Wert von 1-5 einnehmen; beide Grade
35
werden anschließend zum Gleason Score addiert. So lässt sich ein Gleason
Score von 1 plus 1= 2 für das Karzinom mit der besten histologischen
Differenzierung bis 5 plus 5= 10 für den Tumor mit der schlechtesten
Differenzierung festlegen. Epstein et al. [28] definierten 1994 entsprechend den
„klinisch insignifikanten Tumor“ als begrenzt auf die Prostata, Tumorvolumen <
0,2 ml und Gleason Score <7. Alle anderen Karzinome wurden als minimal
(begrenzt auf die Prostata, 0,2-0,5 ml, Gleason <7) , moderat (Kapseleinbruch
und Gleason < 7 oder Volumen >0,5 ml und begrenzt auf die Prostata) oder
fortgeschritten (Kapseleinbruch und Gleason ≥7, positive Schnittränder,
Samenblasen-
oder
Lymphknotenbeteiligung)
bezeichnet.
Kürzlich
ver-
öffentlichten Epstein et al. [29] eine leicht abgewandelte Definition des klinisch
nicht signifikanten Tumors: Insignifikant sei ein PCA dann, wenn das Karzinom
organbegrenzt ist, kein Gleason Pattern 4 oder 5 und ein Tumorvolumen <0,5
ml vorliegt. Das entspricht einer Erweiterung um den minimalen Tumor aus der
einstigen Definition.
Dugan et al. [22] entwickelten ein anderes Modell zur Definition des klinisch
insignifikanten Karzinoms mit folgenden Faktoren: Tumorvolumen, angenommene Verdopplungszeit des Tumorvolumens und Lebenserwartung des
Patienten. Demzufolge werden klinisch nicht signifikante Karzinome als solche
Karzinome definiert, die bis zum erwarteten Todeszeitpunkt des Patienten nicht
größer als 20 ml sein würden und deren Gleason Score kleiner als die Dekade
des Alters des Patienten ist. Die Grundlage des gewählten Grenzwertes für das
Prostatavolumen war die Studie von Bostwick et al. [7], die bei einem
Tumorvolumen von 20 ml eine Wahrscheinlichkeit von 87,4% für eine
Metastasierung fanden. Die Schwierigkeit einer Vorhersage der geschätzten
Tumorverdopplungszeit
entsteht
durch
weit
gestreute
Angaben
zur
Verdopplungszeit des Prostatakarzinoms von 1,2 Monaten [18] bis zu 4 Jahren
[77]. International anerkannt zur Einschätzung der Signifikanz eines Prostatakarzinoms ist im Moment allerdings alleinig das Tumorvolumen von 0,5 ml
gemäß den Guidelines der European Association of Urology [39].
36
Das Tumorvolumen selbst wird von verschiedenen Arbeitsgruppen als
geeignetes Kriterium für die Signifikanz eines Prostatakarzinoms in Frage
gestellt. Die These, dass kleine Karzinome (<0,5 ml), besonders wenn sie
zusätzlich gut differenziert sind, im Laufe des Patientenlebens vermutlich
keinen Progress zeigen werden [3], konnte in verschiedenen Studien nicht
bestätigt werden. El-Gabry et al. [23] präsentierten eine Studie, bei der 37%
aller Patienten, deren Tumor von „insignifikanter“ Größe (<0,5 ml) war, an
einem
nach
sonstigen
Gesichtspunkten
signifikanten
Tumor
(Organüberschreitung, Gleason Score >6, Infiltration Blasenhals) erkrankt
waren. Auch bei Anast et al. [1] zeigten 18% der Patienten mit einem
Tumorvolumen <0,5 ml eine extraprostatische Ausbreitung. Epstein et al. [28]
veröffentlichten 1994 Daten von 720 Patienten, bei der sich bei der
Untersuchung von Tumorvolumen und Gleason Score folgendes zeigte: Von
106 Tumoren mit einem Gleason Score von 8, 9 oder 10 zeigten 46% ein
Volumen von unter 1 ml [28]. Die Ergebnisse, dass auch relativ kleine
Karzinome ein aggressiveres Verhalten zeigen können, wurden durch eine
weitere Studie von Cheng et al. [16] bestätigt.
Trotz der eingeschränkten Aussagekraft wird das Tumorvolumen in den
meisten Studien und in den Guidelines als Stratifizierungsmerkmal eingesetzt.
In der vorliegenden Studie konnte dieser Parameter jedoch nicht bestimmt
werden, was den Vergleich mit anderen Studien erschwert, aber nicht
unmöglich macht. Eine Kenntnis des Tumorvolumens könnte die Auswertungen
nur zu Gunsten der signifikanten Tumore verschieben, so dass die Zahlen und
Prozentanteile für die maximale Anzahl an insignifikanten Tumoren stehen.
4.4.2 Signifikanz des Prostatakarzinoms, welches bei der ESB gefunden
wurde
Die Bestimmung des Tumorvolumens setzt eine Lamellierung der Prostata
sowie die zu Hilfenahme eines computergesteuerten Bildanalyseverfahrens
voraus [27, 28]. Die Aufarbeitung der Prostata erfolgt jedoch in den meisten
Pathologien - so auch an der Universitätsklinik Ulm - entsprechend einer
Konsensusempfehlung, die Serienschnitte nicht vorsieht [75]. Eine exakte
Bestimmung des Tumorvolumens anhand der Präparate der radikalen
Prostatektomie in der vorliegenden Studie war somit nicht möglich.
37
Aufgrund der fehlenden Tumorvolumenbestimmung wird in der Abschätzung
der Signifikanz der entdeckten Prostatakarzinome das pTNM-Tumorstadium neben dem postoperativen Gleason Score - herangezogen. Näherungsweise
wurde davon ausgegangen, dass alle Prostatakarzinome, die als pT2a
eingruppiert wurden, ein Tumorvolumen von <0,5 ml hatten und die
Tumorgröße bei allen pT2c Tumoren >0,5 ml lag. Bei den pT2b
Prostatakarzinomen liegt das Volumen dementsprechend entweder bei < oder
>0,5 ml. Diese Annahme führt dazu, dass sich mindestens ein insignifikantes
Karzinom (1/32, entsprechend 3.1%) nach den Kriterien von Epstein et al. [29]
in den Prostatektomiepräparaten fand (pT2a, Gleason Summe von 3). In der
Gruppe der Patienten mit einer Gleason Summe <7 und einem pT2b Tumor (6
Patienten) können maximal alle ein Tumorvolumen von <0,5ml haben und
somit ausschließlich insignifikante Karzinome vorliegen. Andererseits kann
theoretisch auch bei allen dieser Patienten ein Tumorvolumen von >0,5 ml mit
der dann daraus resultierender Signifikanz der Karzinome vorliegen.
Dementsprechend bewegt sich die Rate an insignifikanten Karzinomen
zwischen 3,1% und 21,8% (7/32 Patienten).
In den Studien mit Sättigungsbiopsien zeigten sich vergleichbare Raten an
insignifikanten Karzinomen. Barboroglu et al. [4] fanden ein Tumorvolumen von
>0,5 ml bei 12 von 13 Patienten nach radikaler Prostatektomie, was nach den
Kriterien von Stamey et al. einer Rate an insignifikanten Karzinomen von 8%
entsprach [4, 5]. Bei Rabets et al. [70] hatten alle Patienten, die sich für eine
radikale Prostatektomie entschieden, einen Gleason Score von 6 oder 7 sowie
ein Tumorvolumen >0,5 ml [70] und wiesen damit immer ein signifikantes
Prostatakarzinom auf. Unter Einbeziehung der Kriterien von Dugan et al. [22]
und einer angenommenen mittleren Tumorverdopplungszeit von 3 Jahren
hatten nur 14,3% der Patienten von Stewart et al. [86] ein klinisch
insignifikantes
Karzinom.
Die
anderen
zitierten
Studiengruppen
mit
Sättigungsbiopsien nach vorhergehenden unauffälligen Stanzbiopsien und
persistierendem klinischen Verdacht auf ein Prostatakarzinom äußerten sich
nicht zu der Rate insignifikanter Tumore in den Prostatektomiepräparaten.
Vor diesem Hintergrund kann eine vermehrte Detektion insignifikanter Tumore
durch erweiterte Biopsieschemata nicht angenommen werden.
38
4.4.3 Ist die Rate an insignifikanten Karzinomen erhöht, wenn schon
mehrere unauffällige Prostatastanzbiopsien vorlagen?
Eine Mutmaßung könnte sein, dass bei Patienten, bei denen schon mehrere
unauffällige Prostatastanzbiopsien vorliegen, die ESB vermehrt insignifikante
Karzinome entdeckt, da größere Tumore schon bei einer der vorhergehenden
Biopsien hätten entdeckt werden müssen.
Tatsächlich zeigte sich in der vorliegenden Studie, dass Patienten mit mehr als
3 negativen vorherigen Biopsien in 4 von 5 Fällen einen pT2a Tumor mit
potentiell kleinem Tumorvolumen hatten. Entsprechend den o.g. Ausführungen
gehen wir davon aus, dass alle pT2a Tumore <0.5 ml groß sind. Nur ein
Patient
wies
einen
pT2c
Tumor
in
der
Aufarbeitung
des
Prostatektomiepräparates auf. Der Gleason Score dieser Patienten lag im
Gegensatz zum niedrigen Tumorstadium
postoperativ in allen Fällen bei 7
(3+4). Bei konsequenter Anwendung der Insignifikanzkriterien von Epstein et
al. [29] mit einer Forderung von Gleason <7 für insignifikante Tumore sind alle
diese Karzinome als signifikant zu betrachten.
Das heißt, dass in der vorliegenden Studie nach >3 Vorbiopsien hauptsächlich
kleinere Tumore gefunden werden (pT2a), die allerdings eine relevante
Aggressivität (histologisches Grading) aufweisen. Die Annahme, dass durch
die ESB und andere erweiterte Verfahren nach vielen negativen Vorbiopsien
hauptsächlich insignifikante Tumore gefunden würden, ist damit entkräftet. Es
ist sogar davon auszugehen, dass es mit der ESB gelingt, eben kleinere, dafür
aber signifikante Tumore zu finden, wo andere Verfahren im Vorfeld nicht
„treffen“ konnten, aber klare klinische oder laborchemische Hinweise auf ein
Karzinom vorlagen.
Dass der Zusammenhang von Tumorvolumen und –aggressivität nicht immer
korreliert, konnten Miller et al. [59] nachweisen, die beides fanden:
Großvolumige Tumore mit einem niedrigen Gleason Score, aber eben auch
kleinvolumige Prostatakarzinome mit hoher Aggressivität
[59]. Genauso
konnten Epstein et al. [27] bei 37% der Karzinome <1 ml und bei noch 29% der
Karzinome <0,5 ml ein Gleason Grad von 4 oder 5 nachweisen.
39
Unsere Ergebnisse könnten als Hinweis dafür interpretiert
werden, dass
Patienten mit >3 Vorbiopsien besonders von der Anwendung der ESB
profitieren. Wegen der geringen Fallzahlen in unserer Studie ist eine generelle
Empfehlung für erweiterte Verfahren oder sogar die ESB gerade für die Gruppe
der mehrfach mittels Stanzbiopsien der Prostata voruntersuchten Patienten
nicht zulässig. Es scheint aber vielversprechend, für diese Untergruppe von
Patienten die ESB in größeren Studien zu untersuchen.
4.5
Nachsorge
Das Bewusstsein, dass trotz ESB Karzinome übersehen werden können,
macht eine Nachbetrachtung der Patienten im Follow up essentiell. Hier kann
insbesondere im Vergleich zu anderen Studien die Wertigkeit der ESB
überprüft werden.
In einer telefonischen Befragung konnten 95,6% der in der ESB karzinomfreien
Patienten der Studie nach im Median von 79 Monaten (>6,5 Jahren) kontaktiert
werden. Der PSA-Wert lag in der Verlaufsbeobachtung dieser Patienten im
Mittel bei 9,6 ng/ml (0,05-74,7 ng/ml) und damit im Vergleich zum Zeitpunkt der
ESB (15,6 ng/ml) niedriger. Der niedrigere Wert muss allerdings auch unter
dem Aspekt betrachtet werden, dass sich insgesamt 9 Patienten einer TUR-P
und 4 Patienten einer Adenomektomie bei benigner Hyperplasie unterziehen
mussten. Durch die TUR-P und die Adenomektomie wird das Prostatavolumen
deutlich reduziert, damit auch das PSA produzierende Gewebe. Damit könnte
argumentiert werden, dass die Volumenreduktion ursächlich für den niedrigen
mittleren PSA-Wert ist und die Detektion eines Prostatakarzinoms verschleiert.
Betrachtet man jedoch ausschließlich die Patienten, die im Follow-up keine
volumenreduzierende
Therapie
(TUR-Prostata
oder
Adenomenukleation)
erhalten haben, so ist der PSA-Wert mit 11,5 ng/ml immer noch deutlich
niedriger als zum Zeitpunkt der ESB.
40
Im Follow-up wurde lediglich bei 2 von 44 Patienten ein Prostatakarzinom
diagnostiziert, die sich beide einer radikalen Prostatektomie unterzogen. In
einem Fall fand sich bei dem Eingriff 5,5 Jahre nach ESB einen pT2c pN0 M0
Gleason 3+4 Prostatakarzinom. Beim zweiten Patienten wurde dieser Eingriff
bei einer positiven Rebiopsie (Karzinomnachweis in einer Stanzbiopsie,
Gleason Summe 3+3, PSA 10, Ratio 20%) durchgeführt. In der postoperativen
histologischen Untersuchung des Gewebematerials konnte interessanterweise
jedoch kein Karzinom nachgewiesen werden.
Das Fehlen des Nachweises eines Prostatakarzinoms nach der radikalen
Prostatektomie (pT0) wird in der Literatur mit einer Häufigkeit von 0,07%-4,2 %
beschrieben [56]. Das von Goldstein et al. [35] 1995 als „Phänomen des
verschwindenden Karzinoms“ („vanishing cancer phenomenon“) bezeichnete
Fehlen eines postoperativen Karzinomnachweises nach vorhergehender
positiver
Biopsie
könnte
den
Eindruck
vermitteln,
die
Prostata
sei
unnötigerweise entfernt worden. Die Analyse und Diskussion der Fälle von
pT0 in der Literatur zeigen allerdings vielfältige Gründe auf, warum die
postoperative pathologische Untersuchung karzinomfrei sein kann. Bereits
präoperativ können kleine Tumore durch das initiale Verfahren (TUR oder
Biopsie) in toto entfernt worden sein. Falls im postoperativen Präparat oder in
Schnitten desselben, Teile der peripheren Zone fehlen, die womöglich auch
denen der positiven Stanzzylinder entsprächen, ist es möglich, dass das
Karzinom im Patienten verblieben ist [56].
Eine grundsätzliche analytische, postoperative Fehlerquelle stellt die Menge
des histologisch untersuchten Materials dar. Man geht davon aus, dass im
Durchschnitt nur 1% der verfügbaren Oberflächen einer komplett in Paraffin
eingebetteten Prostata tatsächlich in Schnitten beurteilt werden, so dass
kleinere Tumoren ungesehen im Paraffinbett verbleiben könnten [17].
Humphrey et al. errechneten in diesem Zusammenhang, dass mindestens
2678 Schnitte analysiert werden müssten, wenn die gesamte Prostata in
seriellen Schnitten vom Pathologen gesehen werden sollte [45]. Darüber
hinaus könnten bei der technischen Aufarbeitung und Vorbereitung des
Präparates (z.B. Zuschneiden des Paraffinblockes mit dem Präparat) kleine
Tumoren sogar aus dem Präparat gelöst werden.
41
Bei fehlendem Karzinomnachweis gibt es bislang kein Standardvorgehen für
die Suche nach einem Karzinom, dennoch konnten durch anschließende
weitere Analysen des Präparates in einem hohen Prozentsatz doch noch
Karzinome festgestellt werden [10, 21, 56, 66]. Zu den möglichen Schritten
gehören heute: Erneute pathologische Untersuchung der Biopsie, erneute
Untersuchung des Prostatektomiepräparates durch einen zweiten Pathologen,
weiterführende Aufarbeitung des Präparates durch Erhöhung der Schnittzahlen
und neuerdings auch Immunfärbemethoden z.B. mit Alpha-methyl-CoARacemase (AMACR) oder anderen Markern.
Über eine höhere Inzidenz von pT0 in hormonvorbehandelten Patienten wird
von mehreren Arbeitsgruppen berichtet [37, 40, 51, 52, 63, 79, 88]. Köllermann
et al. analysierten eine Gruppe von 174 Patienten mit einer längeren
Androgenentzugstherapie und beobachteten eine pT0 Histologie der Prostata
bei 36 Patienten (21%) [52]. Es wird angenommen, dass die Hormontherapie
tatsächlich vereinzelt zum präoperativen Verschwinden eines Karzinomfokus
führen kann.
Letztendlich bleiben als Gründe für ein pT0 nach radikaler Protatektomie
natürlich
auch
Fehler
im
Prozess
des
Probentransportes
und
der
Dokumentation (fehlerhafte Etikettierung, Verwechslung von Probenbehältern
und Präparateschnitten oder fehlerhafte Dateneingabe in das Informationssystem oder in einen Bericht). Eine Studie, die diese Fehlerquellen
untersuchten, bedienten sich unter anderem der Genanalyse zur Sicherstellung
der Patienten/ Probenidentität und fanden Verwechslungen in 1 von 46 Fällen
von pT0 Prostatektomiepräparaten [10].
Im Falle des Patienten mit fehlendem Karzinomnachweis in der vorliegenden
Studie wurde im Vorfeld keine Hormontherapie durchgeführt, es wurde das
komplette Prostatektomiepräparat eingebettet und in Schnitten untersucht.
Marker wie AMACR befanden sich zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht
im klinischen Einsatz, so dass am ehesten von einer kompletten Entfernung
des kleinen Fokus durch die Biopsien ausgegangen werden kann.
42
Bei einer angenommenen Tumorverdopplungszeit von im Mittel 2 Jahren wäre
davon auszugehen, dass ein zum Zeitpunkt der Biopsie signifikanter Tumor bis
zum Nachbefragungszeitpunkt diagnostiziert worden wäre. Dieses Ergebnis
kann als weiterer Hinweis gewertet werden, dass die ESB eine hohe
Detektionsrate signifikanter Tumore aufweist. Im Nachbeobachtungszeitraum
von im Mittel 6,5 Jahren war die Rate der in der ESB unentdeckten, aber im
Verlauf signifikanten Tumore lediglich bei 1 von 44 Patienten (2,3%)
festzuhalten. Im Vergleich zur Sextantenbiopsie mit einer falsch negativen Rate
von 19-39% in den Studien von Keetch et al. [49], Ellis et al. [25] und Hong et
al. 2004 [44] und sogar im Vergleich zu erweiterten Biopsieverfahren mit ca.
17% bei Pryor et al. 2002 [69], ist die ESB in unserem Patientengut damit ein
wertvolles Diagnostikum mit der zuverlässigsten Entdeckung signifikanter
Tumore.
43
5.
Zusammenfassung
Die Stanzbiopsie der Prostata ist die einzige Methode zum Nachweis eines
Prostatakarzinoms bei Vorliegen klinischer oder laborchemischer Hinweise auf
ein Karzinom. Die seit 1989 als Standard eingeführte Sextantenbiopsie mit 6
Stanzzylindern detektiert als Erstbiopsie allerdings in bis zu 30% der Fälle ein
signifikantes Karzinom nicht. Bei negativer Stanzbiopsie und weiterhin
bestehenden Hinweisen auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms (Digitalrektale Untersuchung, Prostataspezifisches Antigen oder Histologie) sind im
Verlauf
zwei
Vorgehensweisen
möglich:
Wiederholung
des
gleichen
Biopsieschemas oder Anwendung einer so genannten Sättigungsbiopsie mit
deutlich
höheren
Stanzenzahlen.
Im
Falle
der
bisher
angewandten
Sättigungsbiopsien liegt die Streubreite der Zylinderzahlen pro Biopsie
zwischen
12
und
23.
Dennoch
bleiben
auch
mit
den
erwähnten
Sättigungsbiopsien Karzinome in bis zu 7-20% der Fälle unentdeckt.
In der vorliegenden Studie wurde nun eine Erweiterte Sättigungsbiopsie mit im
Median 57 Stanzen und zusätzlichen Entnahmeregionen entwickelt. Es sollte
die Frage geklärt werden, ob ein auf diese Art deutlich erweitertes Biopsieverfahren eine höhere Karzinomdetektionsrate signifikanter Tumore bei
Patienten mit vorhergehenden negativen Biopsien aber persistierendem
Karzinomverdacht aufweist.
Die
Erweiterte
Sättigungsbiopsie
findet
nach
einer
oder
mehreren
vorhergehenden negativen Biopsien eine signifikant höhere Gesamtzahl an
Karzinomen im Vergleich zu den vorliegenden Arbeiten zu Sextanten-, aber
auch zu herkömmlichen Sättigungsbiopsien. In der Untergruppe der Patienten,
die schon mehr als eine vorhergehende Biopsie hatten, ist dieser Unterschied
noch deutlicher. Einen besonderen Vorteil scheint die Erweiterte Sättigungsbiopsie bei Patienten zu bieten, bei denen man trotz mehr als 3
vorhergehenden Biopsien bisher kein Karzinom diagnostizieren konnte, die
aber dennoch klare Anzeichen für das Vorliegen eines Prostatakarzinoms
hatten. In dieser Gruppe detektiert die Erweiterte Sättigungsbiopsie vornehmlich kleine, aber histologisch durchgängig aggressive, signifikante
Tumoren.
44
Mit
der
Erweiterte
Sättigungsbiopsie
ist
es
außerdem
möglich,
das
histologische Grading des vorliegenden Tumors nach Gleason bereits in der
Biopsie genauer vorherzusagen, als es mit anderen Verfahren möglich ist.
Dieses Ergebnis ist deswegen von besonderer Relevanz, da die Histologie der
Biopsie über das weitere therapeutische Vorgehen mit entscheidet. In den
bisherigen Biopsieverfahren, besonders allerdings in der Sextantenbiopsie,
zeigte sich in höherer Zahl ein postoperatives „Upgrading“.
Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Nachbeobachtung der Patienten
mit einer karzinomfreien Erweiterte Sättigungsbiopsie nach im Mittel 6 Jahren
konnte die guten Detektionsraten von Prostatakarzinomen in der Erweiterte
Sättigungsbiopsie bestätigen: Nur bei 2,2% der Patienten wurde in der Folge
ein signifikantes Karzinom detektiert und behandelt.
45
6.
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50
7.
Danksagung
Ich möchte mich beim Ärztlichen Direktor der Urologischen Abteilung des
Universitätsklinikums Ulm Herrn Prof. Dr. Schrader bedanken, dass er mir die
Möglichkeit gab, diese Dissertation in seiner Abteilung veröffentlichen zu
können.
Einen besonderen Dank gilt Herrn PD. Dr. Simon, der mich mit viel Zeit und
fachlicher Aufmerksamkeit betreute und trotz eigener Zeitnot mit viel Tatkraft in
der Erstellung der Arbeit unterstützte.
Frau Dr. Schmelz und Herrn Prof. Dr. Schmelz danke ich sehr herzlich für ihre
moralische und freundschaftliche Unterstützung.
Auch möchte ich mich bei meiner Familie bedanken:
Meinen Eltern Bärbel und Berthold, dass sie mir mein ganzes Leben über mit
all ihrer Kraft zur Seite stehen, mich begleiten und unterstützen.
Bei meiner Frau Dr. Marlis Fricke und meinen beiden Jungs Julian und Daniel
möchte ich mich ebenfalls ganz herzlich bedanken, dass sie mit viel
Verständnis für meine Arbeit immer über die fehlende Anwesenheit
hinwegsahen und mich antrieben, diese Arbeit zu erstellen.
51
8.
Lebenslauf
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