aus BGHStE 42, 235 ff.: Sachverhalt: Nach den

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aus BGHStE 42, 235 ff.:
Sachverhalt: Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte, ein dänischer
Staatsangehöriger, der bereits mehrfach – in Deutschland und Dänemark – wegen
Trunkenheitsfahrten verurteilt worden war und keine gültige Fahrerlaubnis hatte, am
Tattag mit einem Lieferwagen von seinem Wohnort in Dänemark durch das
Bundesgebiet in die Niederlande, um dort Kunden aufzusuchen. Unmittelbar nach
der Einreise in die Niederlande, wo er für die Nacht ein Hotel suchen wollte, kaufte
der bis dahin nüchterne Angeklagte kurz nach 18 Uhr alkoholische Getränke. In der
Folgezeit trank er etwa fünf Liter Bier sowie Schnaps in nicht feststellbarer Menge.
Zwischen 21.15 und 21.30 Uhr fuhr der zu dieser Zeit erheblich alkoholisierte
Angeklagte in deutlichen Schlangenlinien auf der niederländischen Autobahn A 1 in
Richtung der deutschen Grenze. Gegen 21.30 Uhr erreichte er den Grenzübergang
Bad Bentheim. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h auf die
Kontrollstelle zu. Dabei überfuhr er zunächst einige Leitkegel, mit denen die rechte
Fahrspur abgesperrt war. Sodann stieß er – mit unverminderter Geschwindigkeit –
mit der rechten vorderen Seite seines Fahrzeugs gegen die hintere linke Seite eines
auf der rechten Spur stehenden Personenkraftwagens. Dabei erfaßte er zwei
Grenzschutzbeamte, die dieses Fahrzeug kontrollierten. Die Beamten erlitten
tödliche Verletzungen und starben an der Unfallstelle. Eine dem Angeklagten um
23.30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,95 ‰.
aus den Gründen: Bei diesem Sachverhalt weist die Verurteilung des Angeklagten
wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB keinen Rechtsfehler zu seinem
Nachteil auf
Dem Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung steht nicht entgegen, daß der
Angeklagte bei der Tötungshandlung selbst – also bei dem Unfallgeschehen, als er
sich der Grenze näherte – nach der nicht zu beanstandenden Annahme der
sachverständig beratenen Strafkammer aufgrund seiner Alkoholisierung (nicht
ausschließbar) schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war. Insofern bedarf es –
entgegen der Ansicht der Strafkammer – allerdings nicht des Rückgriffs auf die
Rechtsfigur der actio libera in causa (vgl. BGHSt 40,341, 343…). Gegenstand des
strafrechtlichen Vorwurfs ist bei § 222 StGB – wie auch bei anderen fahrlässigen
Erfolgsdelikten – jedes in bezug auf den tatbestandsmäßigen »Erfolg«
sorgfaltswidrige Verhalten des Täters, das diesen ursächlich herbeiführt. Aus diesem
Grunde bestehen, wenn mehrere Handlungen als
sorgfaltswidrige in Betracht kommen (wie hier das Sich-Betrinken trotz erkennbarer
Gefahr einer anschließenden Trunkenheitsfahrt einerseits und diese Fahrt selbst
andererseits), keine Bedenken, den Fahrlässigkeitsvorwurf an das zeitlich
frühere Verhalten anzuknüpfen, das dem Täter – anders als das spätere – auch
als schuldhaft vorgeworfen werden kann (…).
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des
Straßenverkehrs (§ 315 c Abs. 1 StGB) und vorsätzlichen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 StVG) kann keinen Bestand haben….
Zum Zeitpunkt dieser Fahrt – nur sie, nicht auch die vorausgegangene Fahrt durch
das Bundesgebiet in Richtung der Niederlande ist Gegenstand der Anklage, beide
Fahrten können entgegen den Urteilsausführungen auch nicht als eine Handlung
angesehen werden – war indes die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
aufgehoben, so daß er gemäß § 20 StGB, der die Unrechtseinsicht und
Steuerungsfähigkeit des Täters »bei Begehung der Tat« verlangt, ohne Schuld
handelte.
(1) Mit der Erwägung, daß, wenn der Alkoholkonsum zur Schuldunfähigkeit führt,
bereits das Sichbetrinken die eigentliche Tatbestandshandlung darstellt (vgl. BGHSt
17,333, 335 ; BayObLG bei Janiszewski NStZ 1988, 264), kann die Anwendung der
actio libera in causa auf die Straßenverkehrsgefährdung und das Fahren ohne
Fahrerlaubnis nicht begründet werden. Diese sogenannte »Tatbestandslösung«
(…), der die Vorstellung zugrunde liegt, daß bereits das Trinken ein Anfang der
Ausführung der geplanten Tat ist (…), mag, was hier keiner Entscheidung bedarf,
trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen ihren Ansatz (vgl. Jähnke aaO Rdn. 77),
bei anderen Delikten eine tragfähige Grundlage für die Rechtsfigur der actio libera in
causa darstellen. Bei Tatbeständen aber, die wie die §§ 315 c, 316 StGB und § 21
StVG ein Verhalten verbieten, das nicht auch als die Herbeiführung eines dadurch
verursachten, von ihm trennbaren Erfolges begriffen werden kann, kann sie die
Annahme schuldhafter Taten trotz schuldausschließenden Vollrausches bei der
eigentlichen Tathandlung nicht rechtfertigen (…). Das gilt nicht nur für den von der
Strafkammer angenommenen Fall eines vorsätzlichen Verstoßes gegen diese
Vorschriften, sondern auch für fahrlässige Zuwiderhandlungen (Salger/Mutzbauer
aaO S. 563).
Die Verkehrsstraftaten nach den §§ 315 c StGB, 21 StVG setzen voraus, daß der
Täter das Fahrzeug »führt«. Führen eines Fahrzeugs ist aber nicht gleichbedeutend
mit Verursachen der Bewegung.
(2) Im wesentlichen aus denselben Erwägungen kommt die Heranziehung der
Grundsätze der actio libera in causa auf die Trunkenheitsfahrt und die
Straßenverkehrsgefährdung auch dann nicht in Betracht, wenn man die Rechtsfigur
als einen Sonderfall der mittelbaren Täterschaft begreift, bei dem der Täter sich
zur Ausführung der Tat seiner eigenen Person als Werkzeug bedient (RGSt 22, 413,
415; ebenso: Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. 17. Abschn. Rdn. 64). Sieht man von den
grundsätzlichen Bedenken gegen dieses Begründungsmodell ab (vgl. Jähnke aaO
Rdn. 77), so ist auch nach ihm die tatbestandsmäßige Handlung letztlich das SichBerauschen.
(3) Eine Ausdehnung des Begriffs der »Begehung der Tat« im Sinne des § 20
StGB in der Weise, daß das »vortatbestandliche, auf die Tatbestandsverwirklichung
bezogene Vorverhalten«, auch soweit es sich nicht als Versuchshandlung, sondern
als bloße Vorbereitung darstellt, im Schuldtatbestand erfaßt wird (so Streng JZ 1994,
709, 711), ist nicht möglich (…). Es spricht nichts dafür, daß das Strafgesetzbuch
den in § 16 Abs. 1, § 16 Abs. 2, § 17 Satz 1 und in § 20 unterschiedslos verwendeten
Begriff in § 20 in einem weiteren Sinn verstanden wissen will als in jenen anderen
Vorschriften. ….
(4) Die Annahme schuldhaft begangener Vergehen nach § 315 c StGB und § 21
StVG kann schließlich auch nicht mit dem sogenannten Ausnahmemodell
begründet werden, nach dem – im Präventionsinteresse und aus
Gerechtigkeitserwägungen – in Ausnahme von dem § 20 StGB zugrundeliegenden
Koinzidenzprinzip der Schuldvorwurf vorverlagert und dem Täter das schuldhafte
Vorverhalten des Sichberauschens als schuldhafte Tatbegehung angelastet wird
(…). Das Ausnahmemodell ist mit dem eindeutigen Wortlaut des § 20 StGB,
nach dem die Schuldfähigkeit »bei Begehung der Tat« vorliegen muß, nicht in
Einklang zu bringen. Aus diesem Grunde kann die actio libera in causa auch nicht
als richterrechtliche Ausnahme von dem Koinzidenzprinzip (…) oder als
Gewohnheitsrecht (…) anerkannt werden. Beide Erklärungsversuche sind mit Art.
103 Abs. 2 GG, der strafbarkeitsbegründendes Gewohnheitsrecht verbietet
(BVerfGE 25, 269, 285; 26, 41, 42; 64, 389, 393; 71, 108, 115; 75, 329, 340;
Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 Rdn. 222), nicht
vereinbar (…). Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht nur dann, wenn es um die Auslegung
einzelner Straftatbestände geht, sondern in gleicher Weise bei der Auslegung von
Bestimmungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (BGHSt 42,158;…). Ob
der Gesetzgeber die Rechtsfigur der actio libera in causa als richterrechtliche
Ausnahme von § 20 StGB akzeptiert hat, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes
des § 20 StGB ohne Bedeutung, solange er dies nicht im Gesetzestext zum
Ausdruck bringt (aA Rüping in Bonner Kommentar zum GG Art. 103 Abs. 2 Rdn. 53).
4. Der Angeklagte hat sich aber wegen vorsätzlichen Vollrausches gemäß § 323 a
StGB strafbar gemacht.
aus BGH NStZ 2000 584:
Bei dieser Sachlage musste die StrK davon ausgehen, dass die möglicherweise zur
Tatzeit gegebene Einschränkung der Steuerungsfähigkeit [= § 21 StGB} nach den
Grundsätzen der actio libera in cause ohne Bedeutung war (vgl. dazu BGHSt 34,
29, 33). Die Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH (BGHSt 42, 235ff.) betrifft nur
Vergehen der Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
[also sog. verhaltensgebunden Delikte: „führen“]. Jedenfalls eine weitergehende
Einschränkung des Anwendungsbereichs der Grundsätze der actio libera in
causa ist nicht anzuerkennen (vgl. BGHR StGB § 20 actio libera in causa 2; BGH
NStZ 1999, 448, 449).
------------------------------------------aus BGHStE 2, 194, 200 {vor Einfügung des § 17 StGB}:
Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der
Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er
sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für
das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt
darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt
und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden,
sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das
rechtlich Verbotene zu vermeiden, so bald er die sittliche Reife erlangt hat und
solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 [= §
20] (s. 201) StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf
Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich in freier,
verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht
entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht. Wer weiß, daß das, wozu er
sich in Freiheit entschließt, Unrecht ist, handelt schuldhaft, wenn er es gleichwohl tut.
Die Kenntnis kann fehlen, weil der Täter infolge der in § 51 Abs. 1 StGB aufgezählten
krankhaften Vorgänge unfähig ist, das Unrechtmäßige seines Tuns einzusehen. Hier
ist die Unkenntnis des Täters Folge eines unabwendbaren Schicksals. Sie kann ihm
nicht zum Vorwurf gemacht und nicht zur Schuld zugerechnet werden. Er ist deshalb
strafrechtlich unzurechnungsfähig. Das Bewußtsein, Unrecht zu tun, kann im
einzelnen Falle auch beim zurechnungsfähigen Menschen fehlen, weil er die
Verbotsnorm nicht kennt oder verkennt. Auch in diesem Falle des Verbotsirrtums ist
der Täter nicht in der Lage, sich gegen das Unrecht zu entscheiden. Aber nicht jeder
Verbotsirrtum schließt den Vorwurf der Schuld aus. Mängel im Wissen sind bis
zu einem gewissen Grad behebbar. Der Mensch ist, weil er auf freie, sittliche
Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung
gerufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten und das
Unrecht zu vermeiden. Dieser Pflicht genügt er nicht, wenn er nur das nicht tut, was
ihm als Unrecht klar vor Augen steht. Vielmehr hat er bei allem, was er zu tun im
Begriff steht, sich bewußt zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen
Sollens in Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung
zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens, ihr Maß
richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und
Berufskreis des Einzelnen. Wenn er trotz der ihm danach zuzumutenden
Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Tuns nicht
zu gewinnen vermochte, war der Irrtum unüberwindlich, die Tat für ihn nicht
vermeidbar. In diesem Falle kann ein Schuldvorwurf gegen ihn nicht erhoben
werden. Wenn dagegen bei gehöriger Anspannung des Gewissens der Täter das
Unrechtmäßige seines Tuns hätte erkennen können, schließt der Verbotsirrtum die
Schuld nicht aus. Je nach dem Maß, in dem (S. 202) es der Täter an der gehörigen
Gewissensanspannung hat fehlen lassen, wird der Schuldvorwurf aber gemindert.
Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bedeutet überall weder die Kenntnis der
Strafbarkeit, noch die Kenntnis der das Verbot enthaltenden gesetzlichen
Vorschrift. Andererseits genügt es auch nicht, daß der Täter sich bewußt ist, sein
Tun sei sittlich verwerflich. Vielmehr muß er, zwar nicht in rechtstechnischer
Beurteilung, aber doch in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen
Wertung das Unrechtmäßige der Tat erkennen oder bei gehöriger
Gewissensanspannung erkennen können…..
(S. 205): Die erste Lösung, für die sich im Schrifttum die Bezeichnung »Vorsatztheorie«
eingebürgert hat, weil sie das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Bestandteil des
Vorsatzes erhebt, …
(S. 208) Die zweite Lösung, für die sich im Schrifttum die Bezeichnung
»Schuldtheorie« eingebürgert hat, weil sie den Vorsatz als Tatvorsatz und das
Bewußtsein der Rechtswidrigkeit als ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges
Schuldelement begreift,…
aus BGHStE 4, 1, 4:
Daß eine »positive Bestimmung« wegen ihrer »formalen Ordnungsmäßigkeit« die
»Vermutung der Rechtmäßigkeit« für sich habe, wie das Oberlandesgericht meint,
mag im allgemeinen zutreffen. Das schließt aber nicht aus, daß sie im Einzelfalle sich
als rechtsunwirksam erweist. Solange aber diese Möglichkeit besteht, muß der
unvermeidbare Irrtum des Täters beachtlich sein. Allerdings wird in solchen Fällen
der Täter im allgemeinen damit rechnen, sein Verhalten könne verboten sein und
diese Möglichkeit in seinen Willen aufnehmen, wenn er der Bestimmung
zuwiderhandelt. Damit wäre auch das Unrechtsbewußtsein gegeben, BGH Urt vom
20. Mai 1952 – 1 StR 490/
FSxbghstx4x5
aus BGHStE 4, 236, 242:
Die bei den fahrlässigen Delikten für die Beurteilung des Verschuldens entwickelten
Grundsätze können jedoch nicht ohne weiteres für die Beantwortung der Frage
verwendet werden, ob ein Verbotsirrtum verschuldet ist. Wie der Bundesgerichtshof
(S. 243) in dem angezogenen Beschluß ausgeführt hat, hat der Mensch bei allem,
was er zu tun im Begriff steht, sich bewußt zu machen, ob es mit den Sätzen des
rechtlichen Sollens im Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken und
Erkundigung zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens. Ihr
Maß richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und
Berufskreis des Einzelnen, insoweit also nach Gesichtspunkten, die auch bei der
Frage, ob jemand ein fahrlässiges Delikt begangen hat, von Bedeutung sind.
Anspannung des Gewissens ist aber etwas anderes als die Beobachtung der
Sorgfalt, die vom Einzelnen verlangt wird, damit er Gefährdungen oder Verletzungen
von Rechtsgütern vermeide. Hinsichtlich der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit eines
straftatbestandsmäßigen Sachverhalts werden höhere Anforderungen gestellt als
hinsichtlich der Erkenntnis der Tatumstände selbst, weil mit der
Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens seine Rechtswidrigkeit in der Regel gegeben
und dies allgemein bekannt ist.
aus BGHStE 35, 347, 349:
Der Angeklagte R. kann sich nicht auf Notwehr oder Nothilfe (§ 32 StGB) berufen, da
weder er noch andere,…, einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff durch das
Opfer ausgesetzt waren. Rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB liegt schon
deshalb nicht vor, weil es an einer tatsächlichen gegenwärtigen Gefahr fehlte.
Allerdings glaubte der Angeklagte an eine solche Gefahr. Dieser Irrtum über die
tatsächlichen Voraussetzungen des § 34 StGB kommt dem Angeklagten aber
nicht als Tatbestandsirrtum zugute, weil das in § 34 StGB außerdem vorausgesetzte
Überwiegen der Gewichtigkeit des zu schützenden Interesses vor dem zu opfernden
eine Abwägung »Leben gegen Leben« nicht gestattet (…) Daß der Angeklagte
diesen Interessenkonflikt fehlerhaft abgewogen hat, führt als Bewertungsirrtum auch
nicht zum Vorsatzausschluß, sondern zu einem – nach den Feststellungen
vermeidbaren – Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB (…). Danach hätte er als
Polizeibeamter unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten und auch
seiner Wahnideen bei gebührender Gewissensanspannung und der ihm zumutbaren
Befragung einer Vertrauensperson, zum Beispiel eines Geistlichen, die rechtliche
Unzulässigkeit einer quantitativen Abschätzung menschlichen Lebens als des
absoluten Höchstwertes erkennen können.
(s. 350)
BGH, NStZ 2000, 307, 308 f.:
Den Erwägungen der StrK zur Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen
des § 131 I Nr. 1 StGB als auch zur Unvermeidbarkeit des den Angeklagten
zugebilligten Verbotsirrtums begegnen durchgreifende rechtliche Bedenken. …….
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter trotz der ihm nach den
Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und
Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das
Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte. Das setzt voraus,
dass er alle geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel
durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat
(BGHSt 21, 18, 20). Wird die Rechtsauffassung des Täters durch eine gerichtliche
oder behördliche Entscheidung oder durch die Rechtsauskunft einer
sachkundigen, unvoreingenommenen und mit der Erteilung der Auskunft
keinerlei Eigeninteresse verfolgenden Person (BGHSt 40, 257, 264) bestätigt,
begründet dies die Unvermeidlichkeit eines Irrtums, wenn der Täter auf die
Richtigkeit der Entscheidung oder Auskunft vertraut hat und nach den für ihn
erkennbaren Umständen auch vertrauen durfte. Dabei ist der Rat eines
Rechtsanwalts nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig, weil er von
einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist (….).
Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen
Sachkenntnis getragen ist. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und
mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine
„Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen (vgl. S/S-Cramer 25. Aufl., § 17 Rn 18),
können den Täter demgegenüber nicht entlasten.
OLG Bremen, NStZ 1981, 265 f.
Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Rechtsberatung
OWiG § 11; StGB § 17
Wird der Betroffene von seinem für vertrauenswürdig und kompetent
gehaltenen ständigen Rechtsberater nach Prüfung der Rechtslage in einer
eindeutigen, jeden Vorbehalt ausschließenden Weise dahin beraten, daß der
von ihm eingenommene Rechtsstandpunkt richtig sei, so ist ein Verbotsirrtum
unvermeidbar.
OLG Bremen, Beschluß vom 02.03.1981 - Ss (B) 120/80
Zum Sachverhalt:
Der Betroffene ist Geschäftsführer der „F-GmbH“, die persönlich haftende
Gesellschafterin der Firma „W“ - der Nebenbeteiligten - ist.
Im Frühjahr 1976 schrieb das Universitätsbauamt Bremen für ein Bauvorhaben die
Lieferung und Montage der Klima- und Lüftungsanlage öffentlich aus. Bei den
Verdingungsverhandlungen trat auch die Nebenbeteiligte auf. Mit Schreiben vom 18.
5. 1976 teilte die Preisbehörde der Nebenbeteiligten mit, sie habe hinsichtlich des
ausgeschriebenen Auftrages ein Preisprüfungsverfahren eingeleitet und verlange bis
zum 25. 5. 1976 den Nachweis des Zustandekommens des Angebotspreises durch
Vorlage sämtlicher Unterlagen. Die daraufhin übersandten Unterlagen hielt sie für
unzureichend. Sie verlangte bis zum 9. 6. 1976 eine lückenlose Darstellung aller
Positionen.
Mit Schreiben vom 4. 6. 1976 erhielt die Nebenbeteiligte den Zuschlag. Der
Betroffene vertrat nunmehr die Auffassung, daß der Preisbehörde nach Erteilung des
Zuschlages ein Preisprüfungsrecht nicht mehr zustehe. Die Preisbehörde
widersprach dieser Ansicht, worauf der Betroffene den für ihn laufend als anwaltlicher
Berater tätigen Zeugen Dr. H in Bremen aufsuchte, der dem Betroffenen nach einer
zunächst nur vorläufigen Prüfung bestätigte, daß er nach Zuschlagserteilung nicht
verpflichtet sei, den Angebotspreis der Preisbehörde nachzuweisen. Diesen
Standpunkt teilte er der Preisbehörde mit. Später fand ein weiteres, eingehendes
Gespräch zwischen dem Betroffenen und dem Zeugen statt, nachdem letzterer sich
anhand eines Aufsatzes von Döser (Bauwirtschaft 1975, 1889 ff.) und des
Kommentars zur Baupreisverordnung von Altmann (3. Aufl. [1974]) seiner Meinung
nochmals versichert hatte.
Nachdem die verlangten Nachweise von der Nebenbeteiligten nicht vorgelegt worden
waren, leitete die Preisbehörde das Bußgeldverfahren ein, das - nach Einspruch - zur
Verurteilung zu einer Geldbuße in Höhe von 5000 DM gegen den Betroffenen und
von 10000 DM gegen die Nebenbeteiligte führte. Die Rechtsbeschwerde war
erfolgreich.
Aus den Gründen:
... Von der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist nach der Rechtsprechung des
BGH (…) dann auszugehen, wenn der Täter nach den Umständen und nach der
seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung des Gewissens die
Einsicht in das Unrechtmäßige seines Tuns nicht zu gewinnen vermag (…). Der ihm
persönlich obliegenden verantwortlichen Entscheidung über Recht und Unrecht des
beabsichtigten Tuns (bzw. der Unterlassung) kann der Täter sich zwar nicht
schlechthin dadurch entziehen, daß er die Meinung eines Rechtskundigen einholt.
Dem Rat eines Rechtsanwalts - auch seines Hausjuristen (…) - darf der nicht
rechtskundige Täter aber regelmäßig dann vertrauen, wenn der Sachverhalt von
diesem umfassend geprüft worden ist (vgl. BayObLG NJW 1965, 1963; OLG Köln,
NJW 1973, 437) und keine der Auffassung des Rechtsanwalts entgegenstehende
Gerichtsentscheidungen bekannt sind (vgl. OLG Köln, MDR 1954, 374; OLG
Bremen, aaO). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der erteilte Rat nicht bestimmt
und eindeutig, sondern nur unter Vorbehalten erteilt wird, dem Betroffenen danach
also die Zweifelhaftigkeit der Frage bewußt werden muß oder wenn er den Rat bei
einem erkennbar nicht als Experte einzustufenden Informanten einholt oder dieser
den Rat gewissermaßen zwischen „Tür und Angel“, d. h. ohne gründliche
Überprüfung, erteilt und der Betroffene dies erkennen muß .
OLG Düsseldorf: Überholen eines Kraftwagens durch
einen Kradfahrer im Überholverbot
NJW 1981 Heft 45 2478
Überholen eines Kraftwagens durch einen Kradfahrer im Überholverbot
GG Art. 3 I; StVO §§ 5 III Nr. 2, 41 II Nr. 7 (Zeichen 276); OWiG § 11
1. Zeichen 276 StVO ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 I GG nichtig,
soweit es dem Kradfahrer das Überholen eines Kraftwagens verbietet.
2. Zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums.
OLG Düsseldorf, NJW 1981, 2478 (zu § 11 OWiG = § 17 StGB):
Der Senat teilt die Ansicht des AG, daß der Betroffene einem vermeidbaren
Verbotsirrtum unterlag. Zwar soll sich der Bürger grundsätzlich auf gerichtliche
Entscheidungen verlassen dürfen (…). Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. Hier
lag keine gefestigte Rechtsprechung, sondern nur eine, zudem nicht
höchstrichterliche Entscheidung vor, auf die der Betroffene seine Auffassung stützen
konnte. Bei gehöriger Anspannung seiner Erkenntniskräfte hätte ihm bewußt sein
müssen, daß die Entscheidung des AG [= Amtsgericht als unterste Instanz] Düren noch
keinen ausreichend sicheren Schluß darauf zuließ, daß er das Überholverbot
mißachten durfte.
aus BGH, NJW 2006, 522, 528 f. („Mannesmann“): - in BGHStE 50, 331nicht
abgedruckt Das LG ist der Meinung, die Angekl. Dr. Ackermann und Zwickel hätten sich auch in
diesem Fall nicht wegen Untreue strafbar gemacht. Zwar hätten sie vorsätzlich ihre
gegenüber der Mannesmann AG bestehende Vermögensbetreuungspflicht
gravierend verletzt und die Gesellschaft geschädigt, weil sie die nicht im
Unternehmensinteresse liegende Anerkennungsprämie aus einer sachwidrigen
Motivation heraus willkürlich zuerkannt hätten. Den Präsidiumsmitgliedern habe
jedoch auf Grund einer fehlerhaften aktienrechtlichen Gesamtbetrachtung das
Unrechtsbewusstsein gefehlt. Ihr Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen. Wenn sie
Rechtsrat eingeholt hätten, wäre die Zahlung einer freiwilligen Anerkennungsprämie,
deren aktienrechtliche Zulässigkeit zum damaligen Zeitpunkt weder in der
Rechtsprechung noch im Schrifttum als problematisch behandelt worden sei, als
rechtlich unbedenklich bezeichnet worden. Die Angekl. Dr. Esser und Dr. D, die
lediglich innerhalb ihres beruflichen Aufgabenbereichs die Tat gefördert hätten,
hätten sich nicht wegen Beihilfe zur Untreue strafbar gemacht. Es fehle an den
besonderen Voraussetzungen, die bei einem berufstypischen Verhalten an den
Gehilfenvorsatz zu stellen seien.
[56]III. Dieser rechtlichen Würdigung ist zuzustimmen, soweit das LG annimmt, dass
die Angekl. Dr. Ackermann und Zwickel den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllt
haben. Wie sich aus den Ausführungen zu den Anerkennungsprämien für den
Vorstandsvorsitzenden Dr. Esser und die vier weiteren Vorstandsmitglieder (vgl. A III
1) ergibt, stand es den Präsidiumsmitgliedern nicht frei, die in der Vergangenheit
erbrachte, durch die dienstvertraglichen Bezüge bereits abgegoltene Leistung durch
eine Sonderzahlung zusätzlich zu honorieren. Denn die Prämie war für die
Mannesmann AG ohne Nutzen. Hinzu kommt, dass die Zuwendung auf Grund
sachwidriger Motivation und damit willkürlich beschlossen wurde. Dies folgt auch
daraus, dass das Präsidium beim Ausscheiden des Prof. Dr. Funk als
Vorstandsvorsitzender für eine Anerkennungsprämie keinen Anlass gesehen und
diese nicht zeitnah zuerkannt hatte.
[57]IV. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, die Angekl. Dr. Ackermann und
Zwickel hätten sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
[58]Unter den gegebenen Umständen, vor allem angesichts der offensichtlichen
Pflichtwidrigkeit einer willkürlichen Zuwendung, hätten die Angekl. Dr.
Ackermann und Zwickel bei Anlegung der an die Unvermeidbarkeit eines
Verbotsirrtums zu stellenden Anforderungen (vgl. BGHSt 3, 357 [366] = NJW 1953,
351; BGHSt 4, 1 [5] = NJW 1953, 431 und BGHSt 4, 237 [242 f.] = NJW 1953, 1151)
nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen einen eventuell gegebenen Irrtum
vermeiden können. Dazu hätte es nicht einmal eines Rechtsrats bedurft. Bei
Einholung von Rechtsrat durch eine sachkundige, neutrale Person hätte
richtigerweise die Frage gestellt werden müssen, ob eine ausschließlich durch den
Wunsch des Begünstigten motivierte, dem Unternehmen keinen Vorteil bringende
Prämiengewährung rechtlich zulässig ist. Dies wäre mit Sicherheit verneint worden
aus KG, NStZ 1990, 185, 186:
Die Angeschuldigten haben jedoch aufgrund ihrer nicht zu widerlegenden
Einlassung, sie hielten ihr Verhalten, das einer gängigen Übung in den meisten
Berliner Krankenhäusern entspreche, nicht für strafbar, in einem unvermeidbaren
Verbotsirrtum (in Form eines Subsumtionsirrtums; vgl. Dreher/Tröndle, aaO, § 16
Rn 11) gehandelt, der nach § 17 S. 1 StGB ihre Schuld ausschließt. Selbst wenn sie
alle Erkenntniskräfte angespannt sowie etwa Rechtsrat bei Anwälten und der
Ärztekammer eingeholt hätten, wären sie in ihrem fehlenden strafrechtlichen
Unrechtsbewußtsein nur bestärkt worden [da diese - nicht konsultierten - Personen zur Tatzeit
von der Erlaubtheit von Sektionen auch ohne Zustimmung ausgingen].
aus BGHStE 3, 105, 106 f. {zum - damals! - bestehenen Züchtigungsrecht}:
a) In den Fällen, in denen mangels einer Verfehlung des Zöglings überhaupt kein
Grund für die Ausübung des Züchtigungsrechts bestand, die Angeklagten oder einer
von ihnen eine solche Verfehlung in tatsächlicher Beziehung aber irrig angenommen
haben, wären sie einem Irrtum über den Sachverhalt erlegen und hätten daraus
ein nur vermeintliches Züchtigungsrecht entnommen. Insoweit wären sie wegen
eines für ihre Vorstellung und ihr Verhalten grundlegenden Tatirrtums zu einem
unrichtigen rechtlichen Schluß über ihre Züchtigungsbefugnis gelangt. Daß ein
solcher Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund auf der Grundlage eines
Tatirrtums entsprechend § 59 StGB { = § 16 I} als Tatirrtum und nicht als
Verbotsirrtum zu behandeln ist, hat der Beschluß des Großen Senats zwar nicht
ausdrücklich ausgesprochen; er hat aber die Gründe dargelegt, die für dieses
Ergebnis sprechen. Zwar ist der Täterwille auch beim Tatirrtum auf die Zufügung
körperlicher Schmerzen gerichtet; aber dieser Wille, im Sinne von Vorsatz, beruht bei
aller fallweise möglichen Abstufung im wesentlichen nicht auf Verkennung rechtlicher
Grund- sätze oder gar auf einem mehr oder weniger bewußten Hinwegsetzen über
Rechtsschranken. Der im Irrtum über den wahren Sachverhalt handelnde Täter
ist vielmehr an sich rechtstreu; er will die Rechtsgebote befolgen und verfehlt
dieses Ziel nur wegen seines Irrtums über die Sachlage, aus der sein Handeln
erwächst. Dieser Irrtum hindert ihn in der Regel, die Gefahr eines Rechtsverstoßes
überhaupt zu erkennen. Deshalb trifft auf ihn der Gedanke des § 59 StGB zu, ihm
nicht die wirkliche, sondern zu seinen Gunsten nur die irrig angenommene
Sachlage zuzurechnen. Zwar ist auf dem Gebiet der Rechtfertigungsgründe die
Unterscheidung zwischen dem nur Tatsächlichen und einem rechtlichen Schluß aus
Tatsachen mitunter schwierig, aber doch nicht in der Weise, daß es sich rechtfertigen
ließe, diese Fälle, die dem Tatirrtum regelmäßig weit näher stehen als dem
bloßen Verbotsirrtum, nicht auch als Tatirrtum zu behandeln. ….Folge, daß
insoweit vorsätzliche Körperverletzung ausschiede, aber bei Vermeidbarkeit des
Tatirrtums fahrlässige Begehung anzunehmen wäre.
(S. 107)
aus BGHStE 49, 34, 44:
cc) Jedoch erweisen sich auf dieser Grundlage die Darlegungen des Landgerichts zu
dem Irrtum des Angeklagten über »die Wirksamkeit der Einwilligung« als rechtlich
nicht tragfähig. Die Sitten- und damit Rechtswidrigkeit der Körperverletzung trotz der
Einwilligung des Opfers folgt hier aus der konkreten Lebensgefahr, die durch die
Heroininjektion für M. entstand. Erkannte der Angeklagte diese Gefahr nicht, etwa
weil er die Schwere der gesundheitlichen Vorschädigung und das Maß der – den
Todeseintritt »begünstigenden« – Alkoholisierung unzutreffend einschätzte und
davon ausging, das Heroin könne – wie zuvor bei ihm selbst – lediglich zu einem
leichten Rauschzustand führen, irrte er nicht über die sittliche und damit rechtliche
Bewertung der Tat nach § 228 StGB, sondern über die tatsächlichen
Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds. Ein derartiger
Erlaubnistatbestandsirrtum ist nicht als Verbotsirrtum (§ 17 StGB), sondern
entsprechend den Regeln des Tatbestandsirrtums nach § 16 Abs. 1 StGB zu
behandeln (…)
aus BGHSt 45, 378, 384 = NJW 2000, 1348:
Die Rechtfertigung des Würgegriffs entfiel jedoch objektiv, als D. in der zweiten
Minute der Strangulation bewußtlos wurde und mit Erstickungskrämpfen reagierte.
…. Im Verkennen dieses Sachverhalts läge für ihn ein Erlaubnistatbestandsirrtum
(…). Er hätte nämlich nicht mehr getan, als er bei einer wirklich fortbestehenden
Notwehrlage hätte tun dürfen (vgl. BGH NJW 1992, 516, 517 [ein drei bis fünf
Minuten andauernder Würgegriff kann »in der angewandten Stärke und Dauer« die
erforderliche Verteidigung gegen einen tätlichen Angriff sein]; s. ferner BGH NStZ
1983, 500; 1997, 96, 97). Die irrige Annahme eines rechtfertigenden
Sachverhalts wäre wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über
Tatumstände nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu bewerten (st. Rspr.; vgl. nur
BGHSt 3,105, 106 f.; BGHSt 194, 196; 31, 264, 286 f.; BGH NStZ 1996, 34, 35), so
daß der Vorwurf (vorsätzlicher) Körperverletzung mit Todesfolge entfiele.
Der Irrtum des Angeklagten würde aber auf einer Außerachtlassung der gebotenen
und ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt beruhen, so daß er wegen fahrlässiger
Tötung zu bestrafen wäre (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH NJW 1992, 516, 517;
NStZ 1983, 453; 1987, 172; 1988, 269, 270).
aus BGHStE 45, 219, 224 f.:
Hält ein Arzt eine Operationserweiterung im Interesse des Patienten für geboten und nimmt er
dabei irrigerweise an, der Betroffene hätte bei vorheriger Befragung seine Zustimmung
gegeben, dann irrt er über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen des
Rechtfertigungsgrundes der mutmaßlichen Einwilligung. Ein solcher
Erlaubnistatbestandsirrtum schließt in Analogie zu § 16 StGB vorsätzliches Handeln aus
(BGHSt 11,111, 114; 35, 246, 250 ; BGH JZ 1964, 231). Dagegen liegt ein Verbotsirrtum
gemäß § 17 StGB vor, wenn der Arzt das fehlende Einverständnis des Patienten erkennt oder
doch zumindest für möglich hält (dolus eventualis), einen körperlichen Eingriff aber
gleichwohl für rechtlich zulässig erachtet, weil ihm dieser aus medizinischer Sicht sinnvoll
und geboten erscheint. In diesem Fall mißachtet er - wenn auch wohlmeinend - das dem
Patienten grundsätzlich zustehende Selbstbestimmungsrecht (BGHSt 11,111, 114) und irrt
damit lediglich über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes. Ein solcher Irrtum läßt den
Vorsatz unberührt. War er für den Arzt vermeidbar (was kaum je zweifelhaft sein dürfte), so
kann er lediglich strafmildernd wirken (…).
aus BGHStE 45, 378, 383 f.
aus den Gründen:
Gegen einen solchen Angriff des D. war der Angeklagte nämlich zur - zunächst
unbeschränkten - Notwehr berechtigt. Er durfte in diesem Fall dasjenige
Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr
gewährleistete (vgl. BGH GA 1968, 182, 183). Er war nicht gehalten, auf die
Anwendung weniger gefährlicher Abwehrmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung
für die Abwehr zweifelhaft war; auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte
er sich nicht einzulassen (st.Rspr., vgl. BGHSt 24,356, 358; 25, 229, 230; 27, 336,
337 ; BGH NStZ 1998, 508, 509 m.w.N.).
Für einen objektiven Dritten in der Tatsituation des Angeklagten (vgl. BGH StV 1999,
143, 145) gab es hier zum - lediglich mit Körperverletzungswillen vorgenommenen Anlegen des Würgegriffs keine mildere Handlungsalternative: Auf die mehrfache
Aufforderung zu Beginn der auch vom Angeklagten gegenüber seinem größeren,
schwereren und gewaltbereiten Gegner mit bloßer Körperkraft ausgetragenen
Auseinandersetzung, sich durch Handzeichen zu ergeben, ist der zu diesem
Zeitpunkt noch nicht bewußtlose D. nämlich nicht eingegangen (vgl. hierzu BGH
NStZ 1996, 29). Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf die hinzugekommenen
Helfer R. und M., da es auch nach deren Eingreifen nicht gelang, D. zu beruhigen,
und sich die Beteiligten erst vom Anlegen der Handfesseln durch die zwischenzeitlich
eingetroffene Polizei Abhilfe versprachen.
Die Rechtfertigung des Würgegriffs entfiel jedoch objektiv, als D. in der zweiten
Minute der Strangulation bewußtlos wurde und mit Erstickungskrämpfen reagierte.
Der Angeklagte war jetzt, soweit Trutzwehr überhaupt erforderlich war, zur
größtmöglichen Schonung angehalten (vgl. zu Schuldunfähigen BGHSt 3,217, 218 ;
BayObLG NStZ 1991, 433, 434; StV 1999, 147 f.; Wessels/Beulke aaO Rdn. 344;
Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 32 Rdn. 19 m.w.N.). Im Verkennen dieses
Sachverhalts läge für ihn ein Erlaubnistatbestandsirrtum (BGH NStZ 1987, 20;
1996, 29, 30; NJW 1995, 973; BGH, Beschl. vom 20. Juli 1999 - 1 StR 313/99). Er
hätte nämlich nicht mehr getan, als er bei einer wirklich fortbestehenden Notwehrlage
hätte tun dürfen (vgl. BGH NJW 1992, 516, 517 [ein drei bis fünf Minuten
andauernder Würgegriff kann »in der angewandten Stärke und Dauer« die
erforderliche Verteidigung gegen einen tätlichen Angriff sein]; s. ferner BGH NStZ
1983, 500; 1997, 96, 97). Die irrige Annahme eines rechtfertigenden
Sachverhalts wäre wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über
Tatumstände nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu bewerten (st. Rspr.; vgl. nur
BGHSt 3,105, 106 f.; BGHSt 194, 196; 31, 264, 286 f.; BGH NStZ 1996, 34, 35), so
daß der Vorwurf (vorsätzlicher) Körperverletzung mit Todesfolge entfiele.
Der Irrtum des Angeklagten würde aber auf einer Außerachtlassung der gebotenen
und ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt beruhen, so daß er wegen fahrlässiger
Tötung zu bestrafen wäre (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH NJW 1992, 516, 517;
NStZ 1983, 453; 1987, 172; 1988, 269, 270).
aus BGHStE 3, 107,
Leitsätze:
Der Irrtum über Art und Umfang der Züchtigungsbefugnis [1952 noch als
Rechtfertigungsgrund anerkannt, sofern maßvolle Züchtigung nach gegebenem
Züchtigungsanlass erfolgte] ist ein Verbotsirrtum und führt bei Vermeidbarkeit zur
Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung.
Die irrige Annahme eines zur Züchtigung an sich berechtigenden Sachverhalts, aus
dem der Täter auf seine Züchtigungsbefugnis in diesem Falle schließt, ist als
Tatirrtum nach § 59 StGB zu behandeln; er führt bei Vermeidbarkeit zur Bestrafung
wegen fahrlässiger Körperverletzung (im Anschluß an BGHSt 2,194).
aus den Gründen:
In den Fällen, in denen mangels einer Verfehlung des Zöglings überhaupt kein
Grund für die Ausübung des Züchtigungsrechts bestand [also: obj. kein Voröliegen von
Umständen, die einen RFG begründen], die Angeklagten oder einer von ihnen eine
solche Verfehlung in tatsächlicher Beziehung aber irrig angenommen haben, wären
sie einem Irrtum über den Sachverhalt erlegen und hätten daraus ein nur
vermeintliches Züchtigungsrecht entnommen [genauer: hätten sie sich einen Sachverhalt
vorgestellt, bei dessem tatsächlichen Vorliegen ein Züchtigungsrecht bestanden hätte].
Insoweit wären sie wegen eines für ihre Vorstellung und ihr Verhalten grundlegenden
Tatirrtums zu einem unrichtigen rechtlichen Schluß über ihre Züchtigungsbefugnis
gelangt. Daß ein solcher Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund auf der
Grundlage eines Tatirrtums entsprechend § 59 StGB als Tatirrtum und nicht als
Verbotsirrtum zu behandeln ist, hat der Beschluß des Großen Senats zwar nicht
ausdrücklich ausgesprochen; er hat aber die Gründe dargelegt, die für dieses
Ergebnis sprechen. Zwar ist der Täterwille auch beim Tatirrtum auf die Zufügung
körperlicher Schmerzen gerichtet; aber dieser Wille, im Sinne von Vorsatz, beruht
bei aller fallweise möglichen Abstufung im wesentlichen nicht auf Verkennung
rechtlicher Grundsätze oder gar auf einem mehr oder weniger bewußten
Hinwegsetzen über Rechtsschranken. Der im Irrtum über den wahren
Sachverhalt handelnde Täter ist vielmehr an sich rechtstreu; er will die
Rechtsgebote befolgen und verfehlt dieses Ziel nur wegen seines Irrtums über
die Sachlage, aus der sein Handeln erwächst. Dieser Irrtum hindert ihn in der
Regel, die Gefahr eines Rechtsverstoßes überhaupt zu erkennen. Deshalb trifft auf
ihn der Gedanke des § 59 [a.F.; heute: § 16 I 1] StGB zu, ihm nicht die wirkliche,
sondern zu seinen Gunsten nur die irrig angenommene Sachlage zuzurechnen. Zwar
ist auf dem Gebiet der Rechtfertigungsgründe die Unterscheidung zwischen dem nur
Tatsächlichen und einem rechtlichen Schluß aus Tatsachen mitunter schwierig, aber
doch nicht in der Weise, daß es sich rechtfertigen ließe, diese Fälle, die dem
Tatirrtum regelmäßig weit näher stehen als dem bloßen Verbotsirrtum, nicht auch als
Tatirrtum zu behandeln.
Auch der im Verbotsirrtum Handelnde verfehlt zwar bei seinem Tun das Richtige,
aber durch einen Erkenntnisfehler auf dem Gebiet des rechtlichen Sollens. Die
Erkennbarkeit eines Rechtsverstoßes liegt hier im allgemeinen näher als beim Irrtum
über Tatsachen. Beide Irrtumsarten können im Einzelfall gleicherweise vermeidbar,
gleicherweise mehr oder weniger fahrlässig und beide auch mehr oder weniger
vorwerfbar sein. Gleichwohl wird der im Irrtum über den Sachverhalt Handelnde in
der Regel den geringeren Schuldvorwurf verdienen. Ein solcher Irrtum ist regelmäßig
stärker und unmittelbarer und ein stärkerer Anreiz zum Handeln. Er versetzt den
Täter nicht, wie meist der Verbotsirrtum, in einen tathemmenden Zwiespalt zwischen
Wollen und Dürfen, den er erst überwinden muß, sondern drängt ihn zum Handeln
oder läßt ihn jedenfalls ohne Rechtsbedenken und sittliche Hemmungen handeln. Ist
hiernach ein Irrtum über den Sachverhalt auch dann allgemein nach § 59 [a.F.;
heute: § 16 I 1] StGB zu behandeln, wenn er die Grundlage des Irrtums über
einen Rechtfertigungsgrund bildet, so ist für den gegebenen Fall nach § 59
StGB die Folge, daß insoweit vorsätzliche Körperverletzung ausschiede, aber
bei Vermeidbarkeit des Tatirrtums fahrlässige Begehung anzunehmen wäre.
b) [Erlaubnis-Irrtum →] Wo dagegen die Angeklagten die Sachlage richtig
erkannt hatten, daß die gesetzlich zulässige Züchtigung wegen einer Verfehlung
des Zöglings angebracht sei, aber wegen irriger Vorstellungen über Art und
Umfang ihres Züchtigungsrechts dieses überschritten haben, ist ihr Irrtum als
Verbotsirrtum zu behandeln. Hier ist zu prüfen, ob die Angeklagten erkannt haben
oder jedenfalls nach Vorbildung, Stellung, Berufserfahrung und den gesamten
Umständen hätten erkennen können, daß sie ihr Züchtigungsrecht überschritten
(BGHSt 2,194). Im einzelnen ist das Tatfrage. …
c) In gewissen Fällen könnte freilich zu einem Tatirrtum im erörterten Sinne ein
Verbotsirrtum mit der Folge irrigen oder unüberlegten Mißbrauchs des auf Grund des
Tatirrtums beanspruchten Züchtigungsrechts hinzu getreten sein. Der Angeklagte
hätte dann zweifach geirrt, einerseits in tatsächlicher Beziehung über die
vermeintliche Verfehlung des Zöglings [= über Erlaubnissachverhalt], andererseits
rechtlich darüber, wie weit er beim vermeintlich zulässigen Züchtigen nach Art und
Umfang gehen dürfe [=Erlaubnisirrtum]. Ein solcher doppelter Irrtum wäre nach den
dargelegten Grundsätzen nach beiden Richtungen auf seine strafrechtlichen Folgen
zu prüfen, zunächst hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung, und wenn er hier
nicht zur Straflosigkeit führt, hinsichtlich des Unrechtsbewußtseins [→ Konsequenz:
nur § 17 StGB! Hierzu vgl. Kühl§ 13 RN 80 f.; Sch/Sch-Cramer/Sternberg-Lieben § 17 RN
11]
aus BGHStE 3, 194, 196 (zur Putativ-Notwehr)
aus den Gründen:
Welche Verteidigung nach § 53 [a.F.; heute: § 32] notwendig ist, richtet sich nach den
äußeren Umständen [=obj. Lage]; überschreitet sie diesen Umfang, so ist sie
insoweit rechtswidrig, selbst wenn der Angegriffene sie noch für notwendig hält; auf
seine Vorstellung kommt es insoweit nicht an. Dagegen schließt ein solcher Irrtum,
wenn er auf einer Täuschung über die Nachhaltigkeit und Stärke des Angriffs beruht
und diese Täuschung unvermeidbar ist, die Strafbarkeit aus und führt bei
Vermeidbarkeit nur zu Fahrlässigkeitsstrafe. Er ist ein Irrtum über einen Tatumstand
im Sinne des § 59 StGB [a.F; heute: § 16 I], auch soweit er auf dieser Grundlage ein
Irrtum über einen Rechtfertigungsgrund ist.
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