Counseling Probleme des ärztlichen Gesprächs R. Felder-Puig LBI-HTA 1 Paradigmenwechsel in der ArztPatienten-Beziehung Weg von der traditionellen ärztlichen Konsultation, in der der ärztliche Monolog und die ärztliche Anweisung überwiegt hin zu einer aktiveren Rolle der PatientInnen im Konsultations-prozess mit einer stärkeren Berücksichtigung von Patientenwünschen bzw. einer stärkeren Einbindung der PatientInnen in den medizinischen Entscheidungsprozess 2 Ergebnisse aus großen Patientenbefragungen* PatientInnen wünschen sich von ihren ÄrztInnen gute Beratung ausführliche Informationen genug Zeit/Raum für ihre Anliegen * - Grol et al. Patients' priorities with respect to general practice care 1999. - Picker-Institute: The European Patient of the Future 2005. - Schoen et al. International Health Policy Survey of Sicker Adults in Six Countries 2005. 3 Counseling als eine Säule der klinischen Prävention 3 Themenkreise: Einnahme von präventiven Medikamente (Blutdruck-, Lipidsenker, etc.) Vorsorgeuntersuchungen (Gesundenuntersuchung, Mammografie, etc.) Lebensstiländerung (betrifft z.B.: Rauchen, Ernährung, Bewegung, Stress, etc.) 4 Sinnhaftigkeit von präventiven Maßnahmen aber umstritten Es gibt in der Zwischenzeit für einige präventive Maßnahmen den Nachweis, dass sie mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben Für viele präventive Maßnahmen fehlen nach wie vor valide Nachweise der Nützlichkeit Selbst wirksame Maßnahmen gehen einher mit einer beachtlichen Zahl von Falschdiagnosen, psychischen Belastungen und Nebenwirkungen "Ratlosigkeit des Beraters" 5 Problem der Non-Compliance Gemäß älterer Studien tritt Non-Compliance, je nach Situation und Definition, in 30%-60% der PatientInnen auf* Gründe für Non-Compliance*: Zweifel an Wirksamkeit von Medikament Nebenwirkungen unzureichende oder unverständliche ärztliche Informationen mangelndes Vertrauen in Arzt/Ärztin Positiv auf Compliance kann wirken*: Zufriedenheit von PatientIn Erfüllung von Patientenerwartungen Arzt/Ärztin macht bemühten Eindruck und nimmt sich ausreichend Zeit Spezielle Schulung von ÄrztInnen * Review von Miller NH, Am J Med 1997 6 Compliance – Cochrane Review Umfasste 33 RCTs, Endpunkte: Compliance und klinischer Outcome Von den 36 Interventionen bei längeren Behandlungen, die in 30 RCTs evaluiert wurden, zeigten 18 einen Effekt auf die Compliance 16 einen Effekt auf das klinische Outcome Fast alle erfolgreichen Interventionen bestanden aus komplexen Maßnahmen (Information, Erinnerung, Self-Monitoring, Bestärkung, Beratung, persönliche Betreuung) Aber selbst die effektivsten Interventionen führten nur zu geringen Steigerungen der Compliance * Haynes et al. Interventions to enhance medication adherence. Cochrane Systematic Review, 2005 7 Compliance und Adhärenz FAZIT: Steigerung von Compliance durch ärztl. Beratung aufwändig bzw. Erfolgsraten bescheiden COMPLIANCE: die Bereitschaft des/der PatientIn, eine medizinische Empfehlung zu befolgen ADHÄRENZ ("adherence"): die Einhaltung der gemeinsam von PatientIn und Arzt/Ärztin gesetzten Ziele. Adhärenz setzt im Unterschied zur Compliance voraus, dass PatientIn die vereinbarten Ziele versteht und mit ihnen auch einverstanden ist Im Sinne einer partnerschaftlichen Vorstellung der ArztPatienten-Beziehung und wegen höherer Aussicht auf Erfolg ist Adhärenz, nicht Compliance anzustreben 8 Teilnahme an Screening- / Vorsorgeprogrammen Maßnahmen richten sich an gesunde Menschen; negative Folgen (Fehldiagnosen, psychische Belastung, Nebenwirkungen) können auftreten Deshalb ist eine umfassende, evidenzbasierte und täuschungsfreie Information der PatientInnen nötig Freiheit von PatientInnen, das Angebot anzunehmen oder nicht, muss garantiert bleiben 9 Bessere Information von Patienten kann Teilnahmebereitschaft senken Am Beispiel PSA-Test*: Systematischer Review von kontrollierten Studien mit insgesamt 6.000 Patienten und ihren ÄrztInnen, ärztliche Beratung unter Zuhilfenahme von sog. "decision aids" Bessere Information bewirkte Besseres Wissen, mehr Verhaltenssicherheit und weniger Entscheidungskonflikte Weniger Bereitschaft, sich dem PSA-Test zu unterziehen Keine Entscheidungsänderung bei Patienten, die sich bereits entschlossen hatten, sich dem Test zu unterziehen * Volk RJ et al. Trials of decision aids for prostate cancer screening. A systematic review. Am J Prev Med, 2007 10 Entscheidungshilfen in der ärztlichen Beratung Können Arzt/Ärztin Zeit sparen helfen Müssen von unabhängigen Stellen bereit gestellt werden 11 Lebensstiländerung Lebensstiländerung meist in längeren Arzt-Patienten-Gesprächen thematisiert* RCT: ärztliche Beratung zu mehr Bewegung und Sport vs. keine Beratung. Nach 1 Jahr waren die Patienten in Interventionsgruppe um durchschnittlich 34 Min./Woche länger sportlich aktiv als in Kontrollgruppe** * Arborelius E et al. Prevention in practice. Patient Educ Couns, 1994 ** Elley C et al. Effectiveness of counselling patients on physical activity in general practice. BMJ, 2003 12 Lebensstiländerung Meta-Analyse zur Effektivität von Patientenschulung und Patientenberatung auf gesundheitsförderndes Verhalten* 39 Studien zu Rauchen oder Alkoholabusus 17 Studien zu Ernährungsumstellung und/oder Gewichtsreduktion 18 Studien zu anderen Themen In allen Themenbereichen gab es in den Versuchsgruppen ca. 40% mehr "erfolgreiche" PatientInnen als in den Kontrollgruppen Besonders effektiv: verhaltenstherapeutische Maßnahmen in der ärztlichen Konsultation mit Zuhilfenahme von schriftlichem oder audiovisuellem Material * Mullen PD et al. a meta-analysis of trials evaluating patient education and counseling for three groups of preventive health behaviors. Patient Educ Couns, 1997 13 Lebensstiländerung Lebensstilberatung für ÄrztInnen in der Praxis aber oft schwierig* Fehlende Motivation der PatientInnen PatientInnen kommen nicht regelmäßig, sondern nur anlassbezogen in die Praxis Hoher Aufwand, Effekte oft gering, Rückfallsquote hoch * Hudon E et al. Integration of the recommendations of the Canadian Task Force on Preventive Health Care: Obstacles perceived by a group of family physicians. Fam Pract, 2004 14 Ist Prävention überhaupt eine medizinische Aufgabe? Verbesserungen der sozialen, wirtschaftlichen und räumlichen Lebensbedingungen wahrscheinlich mehr geeignet, um Krankheiten zu verhindern und Lebensqualität zu verbessern Prävention ist also eher eine gesellschaftliche als eine medizinische Aufgabe Ärztliche Beratung im Sinne von gesundheitlichem Verbraucherschutz aber wichtig! 15