Praxis-Management Marketing für niedergelassene Ärzte Patienten identifizieren, gewinnen und binden Eine hohe Professionalität in Bezug auf Marketing ist in der Ärzteschaft noch relativ wenig verbreitet. Dabei bietet ein aktives und bedürfnisorientiertes Vorgehen in diesem Bereich ein beträchtliches Gewinnsteigerungspotenzial. arketing wird häufig mit den Begriffen Praxisschild, Printwerbung und Flyern gleichgesetzt. Diese Werbeinstrumente sind jedoch lediglich kleine Mosaiksteine einer Marketingstrategie. Marketing ist eine ganzheitliche unternehmerische Denkweise, die eine Organisation, zum Beispiel die Arztpraxis, konsequent am Patienten ausrichtet. Nur mit ganzheitlichem Marketing kann ein niedergelassener Arzt gezielt die Patienten für seine Praxis gewinnen, die er wirklich möchte. Von vielen Ärzten wird dieser obligate Bestandteil der Unternehmensführung nicht konsequent, sondern höchstens punktuell betrieben. Jeder niedergelassene Arzt ist Unternehmer und verfolgt eine Gewinnerzielungsabsicht. Die oberste Unternehmenspriorität ist immer die Behandlung des Patienten, also seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine Probleme zu lösen. Alle Aktivitäten in der Arztpraxis müssen daher konsequent an den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet werden, nur so ist nachhaltig wirt- M 20 PRAXiS 3/2011 Deutsches Ärzteblatt schaftlicher Erfolg gesichert. Die Patienten können in der Regel nicht die fachlichen Qualitäten eines Arztes beurteilen, die Wahl des Arztes erfolgt daher anhand anderer Kriterien. Diese (Auswahl-)Kriterien können von jedem Arzt gezielt mit Marketing beeinflusst und gesteuert werden. Unter Beibehaltung der ethischen Verantwortung und Unabhängigkeit des Arztes bestehen im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen Besonderheiten und Einschränkungen. So kann ein Arzt nur die „Kunden“-Wünsche und „Kunden“-Vorstellungen berücksichtigen, die der ärztlichen Integrität entsprechen. Chancen und Grenzen Übergeordnete Ziele des Marketing sind: Patienten identifizieren, Patienten gewinnen und Patienten an das Unternehmen Arztpraxis binden. In den letzten Jahren haben sich im Gesundheitsmarkt die politischen, wirtschaftlichen und bürokratischen Rahmenbedingungen mit hoher Ge- schwindigkeit verändert. Budgetrestriktionen, Gesundheitspolitik, neue Strukturen (Praxisformen), Wettbewerb und neue Produkte und Leistungen sind nur einige Beispiele. Patienten sind (häufig mit Halbwissen) informierter, kritischer und qualitätsbewusster, die Wechselbereitschaft zu einem anderen Arzt ist gestiegen. Gleichzeitig hat das Unternehmen Arztpraxis enorme wirtschaftliche Verbindlichkeiten, zum Beispiel Miete, Gehälter, Verbrauchsmaterial, Gebühren, Raumkosten oder Privatentnahmen, die nur bis zu einem kritischen Punkt gesenkt werden können. Der Weg zum wirtschaftlichen Erfolg führt unweigerlich über eine Gewinnerhöhung. Eine Arztpraxis muss zwingender denn je nach unternehmerischen Grundsätzen geführt werden, um weiterhin erfolgreich zu sein und die Rentabilität angemessen auszubauen. Die konsequente Ausrichtung der Arztpraxis am Patienten ist gleichzeitig die Chance, die Praxis und Prozesse qualitativ aufzuwerten. Durch Kategorisierung und Klassifizierung der Foto: Fotolia Praxis-Management genauen Zielgruppen können die „richtigen“ Patienten gewonnen werden, die zur jeweiligen Arztpraxis am besten passen. Mögliche Kriterien sind etwa Altersgruppen, Einkommensklassen, Versicherungsstatus und einschlägige Krankengeschichte. Am Ende steht der wirtschaftliche Erfolg, der mit Marketingmaßnahmen gezielt beeinflusst werden kann. Neben rechtlichen Einschränkungen der Werbemaßnahmen und Kommunikation muss der Arzt zu jedem Zeitpunkt seine Eigenständigkeit und moralische Integrität behalten. Praxisziele stellen den angestrebten künftigen Zustand der Realität dar, den die Praxis unter Berücksichtigung der bestehenden Umwelt definiert. Diese Ziele müssen möglichst konkret quantifiziert sein, damit gezielte Marketingstrategien entwickelt, umgesetzt und nachgehalten werden können. Einige Beispiele: Angebotsziele: Im Quartal 3/2011 bieten wir unseren Kunden zwei Schulungstermine „BlutdruckSelbstmessung für Hypertoniker“ an. Marketingziele: Bis zum Stichtag 31. Dezember 2011 haben wir 120 neue Kunden mit einem bestimmten Versicherungsstatus gewonnen. Ökonomische Ziele: Bis zum 31. Dezember 2011 haben wir die variablen Kosten der Praxis um acht Prozent gesenkt bei gleichzeitiger Reduktion der durchschnittlichen Wartezeit um vier Minuten. Organisationsziele: Bis zum ersten Quartal 2012 haben wir ein Personalmanagementsystem eingeführt, das auch variable Gehaltsbestandteile der Praxismitarbeiter ermöglicht. Um die definierten Praxisziele konsequent umzusetzen, bieten sich folgende Schritte an: auf die Wettbewerbsstrategie folgt die Marktbearbeitungsstrategie (nach Ansoff) und darauf das Marketing-Mix. zeiten am frühen Morgen und/oder späten Abend sowie am Samstag anbietet, werden entsprechende Kunden von den Leistungen angezogen – zum Beispiel berufstätige Kunden in einem bestimmten Alterssegment. Die Strategie der Konzentration ermöglicht ebenfalls eine „andersartige“ Positionierung, beispielsweise mit der Therapie sehr seltener oder spezieller Krankheitsbilder. Ein weiteres Beispiel: Wenn die Praxis eine umfassende Vorsorgeuntersuchung für bestimmte Alterssegmente anbietet (zum Beispiel männlich, zwischen 35 und 45 Jahren) – kombiniert mit IGeL – kann in Kombination mit den genannten Öffnungszeiten ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal im geografischen Raum entstehen. Wettbewerbsstrategie Nach der Wettbewerbsstrategie erfolgt im zweiten Schritt die Definition der Marktbearbeitungsstrategie. Dazu dient die Produkt/Markt-Matrix nach Ansoff. Ärzte können dabei zwischen folgenden Strategien wählen: Marktdurchdringungsstrategie strebt eine Vergrößerung von Umsatz- und Marktanteilen an – mit bestehenden Dienstleistungen auf bereits bestehenden Märkten. Die Kundenstruktur soll dabei nicht geändert werden. Mögliche Maßnahmen sind: Intensivierung der Marktbearbeitung, neue Kunden gewinnen, Bedürfnisse bestehender Kunden besser erfüllen, neue Kundenbedürfnisse schaffen, Effizienz erhöhen (= Kosten senken). Diese Strategie wird von sehr vielen niedergelassenen Ärzten häufig punktuell und intuitiv gelebt, meist jedoch ohne Strategie. Marktentwicklungsstrategie zielt auf die Erschließung neuer Märkte mit dem bestehenden Dienstleistungsportfolio ab. Mögliche Maßnahmen sind: neue Zielgruppen erschließen (vor allem demografische Kriterien), neue Anwendungsgebiete der bestehenden Dienstleistungen für andere Märkte erkennen. Bei der Wettbewerbsstrategie gibt es zwei Möglichkeiten: Strategie der Differenzierung. Positionierung, um die eigene Arztpraxis als einzigartig auf dem Markt zu positionieren und bei den Kunden einen herausragenden Stellenwert generieren. Vorteile: Exklusivität des Image, Verringerung der Preisempfindlichkeit, Kundenbindung; Nachteile: Kunden sind preissensibel, Differenzierungsmerkmale können leicht kopiert werden. Strategie der Konzentration. Fokussierung auf eine sehr spitze Zielgruppe, zum Beispiel mit einem bestimmten Dienstleistungsprogramm oder einem geografisch abgegrenzten Markt. Vorteile: Kundengewinnung; Nachteile: Zielgruppe muss ausreichendes Potenzial besitzen. In der richtigen Kombination können gezielt Leistungen der Praxis am Markt positioniert werden. Mit Mitteln der Differenzierung kann eine Praxis „anders“ auftreten, zum Beispiel Behandlungszeiten anbieten, die sich an der gewünschten Zielgruppe orientieren. Wenn eine Praxis Behandlungs- Die Marktbearbeitung Deutsches Ärzteblatt PRAXiS 3/2011 21 Praxis-Management Der klassische Marketing-Mix besteht aus den „4P“: „Product“, „Place“, „Promotion“ und „Price“. Die Marktentwicklungsstrategie bietet niedergelassenen Ärzten bei sinnvollem Einsatz schon kurzfristig sehr gute Potenziale, ist jedoch nicht weit verbreitet. Bei der Produktentwicklungsstrategie sollen neue Produkte für bisherige Märkte zum Einsatz kommen. Möglichkeiten: Erweiterung des Dienstleistungsportfolios, Dienstleistungen durch Mehrwert ergänzen. Für nachhaltigen Erfolg bietet die Produktentwicklungsstrategie mittelfristige Erfolgspotenziale. Mit der Diversifikationsstrategie sollen neue Kunden auf neuen Märkten erschlossen werden. Die horizontale Diversifikation ist sehr verbreitet, zum Beispiel benachbarte Arztpraxen unterschiedlicher Fachrichtungen, die ergänzende Leistungen anbieten. Vertikale Diversifikation findet man beispielsweise, wenn ein Ergotherapeut in eine Praxis mit traumatologischem Schwerpunkt aufgenommen wird. Marketing-Mix Es ist faktisch nicht möglich, jedes Marketinginstrument maximal einzusetzen, daher muss für die individuel- 22 PRAXiS 3/2011 Deutsches Ärzteblatt le Marketingstrategie ein möglichst optimaler Mix aus einzelnen Marketinginstrumenten angewendet werden. Der klassische Marketing-Mix besteht aus den „4P“: Product: Die ärztliche Dienstleistung ist das wichtigste Element des Marketing-Mix, mit dem die Probleme des Kunden/Patienten gelöst werden. Produktpolitik bedeutet die Anpassung, Verbesserung, Eliminierung, Optimierung und Neuentwicklung von Dienstleistungen an die Bedürfnisse der Kunden. Ärzten stehen hier viele Instrumente zur Verfügung: Angebotstiefe der Dienstleistungen, begleitende Dienstleistungen, Serviceleistungen, wahrgenommene Qualität der Dienstleistung und vieles mehr. Place: Der Weg einer Dienstleistung vom Arzt zum Patienten. Ärzte können die Leistungen in den eigenen Praxisräumen, beim Patienten oder an sonstigen Orten erbringen. Auch die telefonische oder schriftliche Erbringung von Leistungen gehört zu diesem Punkt. Promotion: Aufgabe der Kommunikationspolitik ist es, die Kunden/Patienten über das eigene Angebot zu informieren und deren Kauf- entscheidung zu beeinflussen. Dies erfolgt im Rahmen des sogenannten Kommunikations-Mix. Dieser ist so zu gestalten, dass die angestrebte Wirkung (Information und Überzeugung) mit möglichst geringen Kosten erzielt wird. Ärzte kommunizieren die Vorteile, Alleinstellungsmerkmale und andere positive Eigenschaften, Dienstleistungen und Produkte in persönlichen Gesprächen, mittels Werbeanzeigen, verkaufsfördernden Maßnahmen, dem Praxisteam oder Public-Relations-Maßnahmen. Price: Die Preise müssen so gestaltet sein, dass die Patienten diese als „fair“ und „marktgerecht“ wahrnehmen. Der Preis ist für Kunden eines der Mittel zum Vergleich zwischen mehreren Anbietern und daher ein Wettbewerbsinstrument. Bei der Preisgestaltung gibt es typische Ausprägungen, wie zum Beispiel Saisonrabatte, unterschiedliche Preise für Endkunden und Händler oder die Preisunterschiede zwischen Premium- und Standardprodukten. Dieses Instrumentes bedient sich der Arzt täglich in seiner Praxis: Bestimmte Versicherungsarten ermöglichen höhere Verrechnungssätze. Wer auch in Zukunft mit seiner Arztpraxis erfolgreich bestehen will, muss die Kundenorientierung wirklich leben. Eine hohe Professionalität in Bezug auf Marketing, das heißt konsequente Ausrichtung der Praxis auf den Patienten („Kunden“) – ist in der Ärzteschaft noch relativ wenig verbreitet. Aktives und bedürfnisorientiertes Vorgehen in diesem Bereich bietet ein enormes Gewinnsteigerungspotenzial. Die klare Ausrichtung der Praxis hat eine essenzielle Bedeutung für die Zufriedenheit aller Beteiligten: der Ärzte, des Praxisteams und natürlich der Patienten. Marketing ist die konsequente Ausrichtung der Praxis am Patienten und baut den wirtschaftlichen Erfolg zielgerichtet aus. Jochen Schwenk, Dr. med. Manuel Wolter Deutsches Institut für den Mittelstand, Ulm