Südtiroler Akademie für Allgemeinmedizin Seminar 17.01.2017 Diagnostische Entscheidungsfindung in der Allgemeinmedizin Andreas Sönnichsen Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Universität Witten/Herdecke Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Maxime für alle Entscheidungen Krankheit verhindern Heilung unterstützen Mensch Leiden lindern Schaden abwehren Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Entscheidungsfindung in der Diagnostik klinische Expertise des Arztes Studienevidenz Sensitivität, Spezifität Patient bereit Konsequenzen zu tragen Entscheidung für diagnostische Maßnahme Prävalenz der gesuchten Erkrankung Ökonomie Konsequenzen aus dem Ergebnis Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Die Vierfeldertafel Krank Test positiv Gesund Richtig positiv Falsch positiv Fehler 2. Art Test Negativ Falsch negativ Fehler 1. Art Alle Kranken Alle Testpositiven Richtig negativ Alle Testnegativen Alle Gesunden Alle Untersuchten Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Diagnostische Szenarien • • • AIDS könnte eingedämmt werden, wenn alle HIV- positiven identifiziert und gekennzeichnet würden. Die gesamte Bevölkerung soll daher gescreent werden (möglichst weder falsch positive noch falsch negative). Streptokokkentonsillitis kann zur Abkürzung der Erkrankung antibiotisch behandelt werden. Antibiotische Übertherapie soll aber wegen Resistenzbildung unbedingt vermieden werden. Der diagnostische Test soll Erkrankte mit hoher Sicherheit anzeigen (möglichst keine falsch positiven) Streptokokkentonsillitis ist wegen Komplikationen gefährlich. Wenn der Test negativ ist, soll sicher ausgeschlossen sein, dass der Patient eine Streptokokkeninfektion hat (möglichst keine falsch negativen). Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Typen diagnostischer Tests • Entdeckungstest (ScreeningTest) • Bestätigungstest (klinischer Verdacht) • Ausschlusstest (Differentialdia gnose) • Hohe Sensitivität und Spezifität • Hohe Spezifität • Hohe Sensitivität Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Ziel eines diagnostischen Tests • Verbesserung des Outcomes • Ermöglichen einer Entscheidung Darum • Kein Test ohne Konsequenz • Abwägen des Test-Risikos gegen möglichen Nutzen • Folgerisiken eines Tests im Blick haben Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Beispiel Tiefe Beinvenenthrombose Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Wells-Score 0 Lähmung oder Immobilisation des betroffenen Beins 0 Bettlägerigkeit seit mehr als drei Tagen oder große Operation in den letzten 12 0 Wochen lokaler Druckschmerz (Wade, Oberschenkelinnenseite) 1 Schwellung der gesamten Gliedmaße 1 Umfangsdifferenz > 3 cm zwischen beiden Beinen (Mitte der Wade) 1 einseitiges eindrückbares Ödem 1 Erweiterte und gestaute oberflächliche Venen 0 frühere dokumentierte tiefe Venenthrombose 0 andere Erklärung für Beschwerden wahrscheinlich (-2) Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke 0 bösartige Erkrankung Wells-Score: diagnostische Aussagekraft Tiefe Venenthrombose (krank) Keine tiefe Venenthrombose (gesund) pV Test positiv (Score ≥ 2) 51 22 70% Test negativ (Score < 2) 75 296 80% 126 318 444 Sensitivität 40,5%, Spezifität 93,1% Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke D-Dimer: diagnostische Aussagekraft Tiefe Venenthrombose (krank) Keine tiefe Venenthrombose (gesund) pV Test positiv (Score ≥ 2) 66 83 44% Test negativ (Score < 2) 9 213 96% 75 296 371 Sensitivität 88%, Spezifität 72% Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Beispiel Streptokokken-Tonsillitis Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Streptokokken-Schnelltest Sensitivität 86,8%, Spezifität 96,6%, LR 25,5 Streptokokken Streptokokken Prädiktiver Wert + – Schnelltest + 46 4 92,0 % Schnelltest – 7 112 94,1 % 53 116 169 N Engl J Med 333 (1995):1301-1307 Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Streptokokken: klinische Einschätzung Sensitivität 35,8%, Spezifität 96,6%, LR 10,5 Streptokokken Streptokokken Prädiktiver Wert + – Hausarzt + 19 4 82,6 % Hausarzt – 34 112 76,7 % 53 116 169 N Engl J Med 333 (1995):1301-1307 Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Beispiel Akute Bronchitis Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Sensitivität und Spezifität des CRP zur Detektion der Pneumonie Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Sensitivität und Spezifität des CRP zur Differenzierung zwischen viral und bakteriell Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Akute Bronchitis: weitere Diagnostik - CRP Bakterielle Infektion Accuracy = Prozentsatz der korrekt Nicht-bakterielle klassifizierten: a+d/a+b+c+d = 60% Infektion CRP > 50 mg/l a: 250 b: 150 CRP < 50 mg/l c: 250 d: 350 a+c: 500 b+d: 500 BMJ 2005; pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: a/a+b = 62,5% neg. prädikt. Wert: d/c+d = 58,3% Sensitivität: a/a+c Spezifität: d/b+d = 50% = 70% a+b+c+d = 1000 Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: a+c/a+b+c+d = 50% Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Akute Bronchitis: weitere Diagnostik - CRP Pneumonie Accuracy = Prozentsatz der korrekt Keine Pneumonie klassifizierten: a+d/a+b+c+d = 72,4% CRP > 20 mg/l a: 40 b: 266 CRP < 20 mg/l c: 10 d: 684 a+c: 50 b+d: 950 BMJ 2005; pos. prädikt. Wert = Posttestwahrscheinlichkeit: a/a+b = 13,1% neg. prädikt. Wert: d/c+d = 98,6% Sensitivität: a/a+c Spezifität: d/b+d = 80% = 72% a+b+c+d = 1000 Prävalenz = Prätestwahrscheinlichkeit: a+c/a+b+c+d = 5% Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke Testqualität in Abhängigkeit von der Prävalenz Unabhängig von der Prävalenz • Sensitivität • Spezifität • Likelyhood-Ratio Abhängig von der Prävalenz • Positiver prädiktiver Wert • Negativer prädiktiver Wert • Accuracy Allgemeinmedizin – Universität Witten/Herdecke