INTERVIEW Diabetisches Makulaödem: Ist die Laserkoagulation obsolet? NACHGEFRAGT BEI PROF. DR. MED. HANSJÜRGEN AGOSTINI, FREIBURG ZPA: Herr Professor Agostini, wie kommt es zu einem diabetischen Makula­ödem? Prof. Dr. med. Hansjürgen Agostini ist Leitender Oberarzt und stellvertretender Ärztlicher Direktor an der Universitätsaugenklinik Freiburg. Zudem leitet er dort die Sektion „Retinologie“. Klinisch und wissenschaftlich beschäftigt sich H. Agostini dementsprechend schwerpunktmäßig mit den vitreoretinalen Erkrankungen. PROF. AGOSTINI: Dem diabetischen Makulaödem liegen eine Störung der Blut-Retina-Schranke und /oder Kapillarokklusionen der perimakulären Gefäße zugrunde. Auch sind im Zentrum von umschriebenen, fokalen Netzhautverdickungen häufig kleine Aussackungen der Gefäße (Mikro­ aneurysmen) zu finden. Zusätzliche Zeichen der Schrankenstörung sind harte Exsudate und Blutungen am hinteren Augenpol. „DEM DIABETISCHEN MAKULA­ ÖDEM LIEGEN EINE STÖRUNG DER BLUT-RETINA-SCHRANKE UND / ODER KAPILLAROKKLUSIONEN DER PERI­ MAKULÄREN GEFÄSSE ZUGRUNDE.“ ZPA: Weshalb ist die Makula und nicht zum Beispiel die mittlere Peripherie betroffen? PROF. AGOSTINI: Prinzipiell handelt es sich bei der diabetischen Retinopathie um eine Ausprägung der Mikrovaskulopathie bei Menschen mit Diabetes mellitus. Deswegen findet man gleichzeitig zu den Netzhautveränderungen Z. prakt. Augenheilkd. 38: 467 – 469 (2017) häufig auch eine Nephropathie. Auch das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen ist bei den Patienten mit bestehender diabetischer Retinopathie signifikant erhöht. In der Makula zeigt sich aufgrund ihrer speziellen anatomischen Struktur mit reduziertem perifovealem Kapillarnetz, einer geringeren Anzahl perivaskulärer Astrozyten und reduzierten Diffusionsbarrieren im Bereich der Membrana limitans interna und der plexiformen Schichten eher ein ausgeprägtes Ödem. Zusätzlich weisen die Müller-Zellen in der Makula eine reduzierte Dichte interzellulärer Verbindungen auf, die das Entstehen von zystoiden Flüssigkeitsräumen in der Netzhaut erleichtern. Angiografisch lassen sich Schrankenstörungen auch in der Peripherie nachweisen. ZPA: Muss jeder Diabetiker damit rechnen? Wie viele Patienten sind von einem diabetischen Makulaödem betroffen? PROF. AGOSTINI: Nein, nicht jeder Diabetiker entwickelt ein diabetisches Makula­ödem. Nach 10 Jahren Diabetes­dauer entwickeln etwas weniger als 1% der Menschen mit Dia­ betes ein signifikantes Makulaödem. In Deutschland sind das derzeit etwa 467 INTERVIEW: DIABETISCHES MAKULAÖDEM – IST DIE LASERKOAGULATION OBSOLET? 56 000 Patienten bei 7 Millionen Menschen mit Diabetes. Das diabetische Makulaödem ist die häufigste Ursache für eine signifikante Sehverschlechterung im Rahmen der diabetischen Retinopathie. „ETWAS WENIGER ALS 1% DER MENSCHEN MIT DIABETES ENTWICKELN EIN SIGNIFIKANTES MAKULAÖDEM.“ ZPA: Beim diabetischen Makulaödem wird ein klinisch signifikantes von einem klinisch nicht signifikanten unterschieden. Was macht den Unterschied aus? PROF. AGOSTINI: Die Definition des klinisch signifikanten Makulaödem beruht auf dem Nachweis von Ödem und exsudativen Veränderungen, deren Fläche und Entfernung zur Fovea. ZPA: Was spricht für ein klinisch signifikantes Makulaödem? „KRITERIEN FÜR EIN KLINISCH SIGNIFIKANTES MAKULAÖDEM SIND NETZHAUTVERDICKUNGEN, DIE GANZ ODER TEILWEISE INNER­ HALB EINES PAPILLENDURCHMES­ SERS VON DER FOVEA ENTFERNT LIEGEN, KOMBINIERT MIT MIKRO­ ANEURYSMEN, INTRARETINALEN BLUTUNGEN UND/ODER HARTEN EXSUDATEN.“ PROF. AGOSTINI: Kriterien für ein klinisch signifikantes Makulaödem sind Netzhautverdickungen, die ganz oder teilweise innerhalb eines Papillendurchmessers von der Fovea entfernt 468 liegen, kombiniert mit Mikroaneurysmen, intraretinalen Blutungen und/oder harten Exsudaten. Für die Indikationsstellung der intravitrealen operativen Medikamentengabe (IVOM) ist zusätzlich entscheidend, ob im Rahmen eines klinisch signifikanten Makulaödems die Fovea beteiligt ist oder nicht. ZPA: Wie unterscheiden sich die beiden Formen hinsichtlich des Visus, der Beschwerden des Patienten? PROF. AGOSTINI: Die Sehschärfe fließt nicht in die Definition des klinisch signifikanten Makulaödems mit ein. Bei Beteiligung der Fovea erleben die Patienten jedoch häufig eine Sehverschlechterung oder verzerrte Seheindrücke. ZPA: Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Unterscheidung für die Therapie? Was ist beim klinisch nicht signifikanten diabetischen Makula­ ödem zu tun? PROF. AGOSTINI: Da reicht es aus, zunächst den Befund zu kontrollieren. Da in diesem Fall eine Retinopathie vorliegt, sollte der Patient über die Symptome aufgeklärt werden und es sollte eine Kontrolle innerhalb eines Jahres stattfinden. Dabei sollten internistische und ophthalmologische Risikofaktoren berücksichtigt werden, die eine Progression der Retinopathie begünstigen. „BEIM KLINISCH NICHT SIGNIFI­ KANTEN DIABETISCHEN MAKULA­ ÖDEM REICHT ES AUS, ZUNÄCHST DEN BEFUND ZU KONTROLLIEREN.“ ZPA: Welche Konsequenzen ergeben sich beim klinisch signifikanten Makula­ ödem? PROF. AGOSTINI: Da ist zunächst zu unterscheiden, ob die Fovea mitbeteiligt ist oder nicht und ob die Retinopathie proliferativ oder nicht-proliferativ ist. Bei einer proliferativen diabetischen Retinopathie mit klinisch signifikantem Makulaödem sollte das Ödem, wenn möglich, vor der panretinalen Laserkoagulation behandelt werden. Bei einer Beteiligung der Fovea ist die IVOM der fokalen oder Grid-Laserkoagulation überlegen. Bei einem fokalen Ödem kann die Laserkoagulation eine sinnvolle Unterstützung der Behandlung sein. Bei einer nicht-proliferativen Retinopathie kann ein klinisch signifikantes Makulaödem ohne Beteiligung der Fovea vorerst beobachtet werden. „BEI EINER BETEILIGUNG DER FOVEA IST DIE IVOM DER FOKALEN ODER GRID-LASER­ KOAGULATION ÜBERLEGEN.“ ZPA: Was ergibt sich konkret, wenn die Fovea nicht mitbeteiligt ist? PROF. AGOSTINI: Ist die Fovea nicht beteiligt, dann kann eine „focal-grid“-­ Laserkoagulation erfolgen, d. h. man lasert gezielt („focal“) im Bereich von Mikroaneurysmen und/oder gitterförmig („grid“) in Ödemzonen bis zur zarten Weißfärbung. Da das Risiko einer Sehverschlechterung geringer ist, wenn die Fovea nicht beteiligt ist, kann mit einer fokalen Lasertherapie laut der „Preferred Practice Pattern“ der „American Z. prakt. Augenheilkd. 38: 467 – 469 (2017) INTERVIEW: DIABETISCHES MAKULAÖDEM Academy of Ophthalmology“ von 2014 auch abgewartet werden, wenn die Sehschärfe noch sehr gut ist. ZPA: Gibt es für „sehr gut“ einen Maßstab? PROF. AGOSTINI: Eine klare Definition gibt es hierfür nicht. Hat ein Patient keine Symptome bei voller Sehschärfe würde ich dies als „sehr gut“ bezeichnen – Ziel einer Behandlungsstrategie sollte es sein, diesen Zustand in Abstimmung mit dem Patienten zu erhalten. ZPA: Gilt dies kategorisch oder gibt es hier auch Einschränkungen? PROF. AGOSTINI: Der Patient sollte darüber aufgeklärt werden, dass die IVOM eine symptomatische Therapie ist und bei Menschen mit Diabetes in der Regel häufig angewandt werden muss. Ein ablehnende Haltung des Patienten sollte bei einem Therapiekonzept mit berücksichtigt werden. Auch müssen unerwünschte Wirkungen wie der Anstieg des Augeninnendrucks bei Steroiden oder die Bildung einer Linsentrübung diskutiert werden. „IST DIE FOVEA NICHT BETEILIGT, KANN EINE „FOCAL-GRID“-LASER­ KOAGULATION ERFOLGEN ODER BEI GUTEM VISUS ABGEWARTET WERDEN.“ ZPA: Bedeutet das, dass die Laserko­ agulation bei der Therapie des klinisch signifikanten Makulaödems mit Betei­ ligung der Fovea jetzt „außen vor“ – um es krass zu sagen – „obsolet“ ist? ZPA: Was ergibt sich daraus, dass die Fovea mitbeteiligt ist? „IVOM UND ZENTRALE LASER­ KOAGULATION SIND ALS SICH ERGÄNZENDE THERAPIE­ VERFAHREN ZU VERSTEHEN.“ PROF. AGOSTINI: Bei Beteiligung der Fovea wird die IVOM empfohlen. Als Substanzgruppen stehen uns hier die Biologika oder Steroide in Depotform zur Verfügung. Erstere binden vor allem den Gefäßwachstums- und Permeabilitätsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor). „BEI BETEILIGUNG DER FOVEA WIRD DIE IVOM EMPFOHLEN.“ Z. prakt. Augenheilkd. 38: 467 – 469 (2017) PROF. AGOSTINI: Nein, keineswegs! IVOM und die zentrale Laserkoagulation sind eher als sich ergänzende Therapieverfahren zu verstehen. ZPA: Vielen Dank für die interessanten Informationen! Die Fragen stellte Dr. med. Reinhard Kaden. 469