Der Quasar im virtuellen Himmel - Thüringer Landessternwarte

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SE IT E N 2 · M I T T WO C H , 9 . JU N I 2 0 1 0 · N R . 1 3 0
Natur und Wissenschaft
Paradiesisches All
Die Bürde am Bein
Acetylen als
Leckerbissen
n einem Universum, in dem es um die
hundert Milliarden Galaxien gibt, von
denen jede um die hundert Milliarden Sterne umfasst, ist manches denkbar. Auch Leben auf der Grundlage von Methan, das
Wasserstoff „atmet“ und Acetylen verzehrt. Christopher McKay, der als Astrobiologe am Ames Research Center der Nasa einen Hang zu exotischen Lebensformen
hat, kann sich solche Organismen sogar in
unserm Sonnensystem vorstellen, nämlich
auf dem von Methan und andern Kohlenwasserstoffen dominierten Saturnmond Titan. McKay glaubt, sich in dieser Welt der
Methan-Seen und des Methan-Nieselregens gut auszukennen. Zusammen mit andern Forschern habe er herausgefunden,
dass der Jahresniederschlag an Methan auf
dem Titan fünf Zentimeter betrage – vergleichbar der Regenmenge im Death Valley in Kalifornien. Dieser Nieselregen reiche aber aus, die Oberfläche zu durchnässen, was wahrscheinlich den feuchten,
schlammigen Boden erkläre. Jetzt scheinen neue Forschungsergebnisse darauf hinzudeuten, dass gerade die reaktionsarmen
Wasserstoffmoleküle und das Acetylen auf
dem Weg von der Atmosphäre des Titans
zum Boden des Mondes verschwinden
könnten. Durch Verzehr? Jedenfalls sei unwahrscheinlich, dass sich der Wasserstoff
in Höhlen dem Blick entzöge, und ob das
Acetylen mit andern Molekülen reagiere
und sich jetzt in Form komplexer Verbindungen verberge, sei zweifelhaft. Der nüchterne Einwand von Kritikern, vielleicht
fänden auf dem Titan chemische Reaktionen mit von der Erde unbekannten anorganischen Katalysatoren statt, die die Verluste ebenfalls und wahrscheinlich sogar besser erklären könnten, verhallt ungehört.
Wer wollte sich auch seinen Hamburger
madig machen lassen?
G.P.
Diagnosen bei chronischen Wunden entscheidend
I
Wie Impfstoffe gegen Krebs funktionie-
ren, ist nicht einfach zu beschreiben, weshalb wir uns in unserer vorigen Wissenschaftsbeilage (siehe F.A.Z. vom 2. Juni)
einer grafischen Illustration bedienten.
Leider hat sich darin ein Fehler eingeschlichen. Nicht Nervenzellen sind für die Präsentation von Antigenen und die Immunaktivierung verantwortlich, sondern Antigen-präsentierende Zellen. Diese „Dendritischen Zellen“ sind zwar morphologisch
ähnlich zu bestimmten Nervenzellen, haben aber als reine Immunzellen nichts mit
Nervenzellen zu tun.
F.A.Z.
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Verhaltensänderung
Was die Psychotherapie ausmacht
Der bekannte Heidelberger Psychotherapeut Peter Fiedler hat schon viele Lehrbücher verfasst. Seine Forschungen decken ein breites Themenspektrum ab:
Persönlichkeitsstörungen und Depression gehören dazu, aber auch über Schizophrenie, Stottern und Traumabehandlung hat Fiedler publiziert. Vor kurzem
nun erschien ein neues Werk, dessen
Titel schon andeutet, dass er diesmal,
kurz vor seiner Emeritierung, den
Lesern einen besonders persönlichen
Zugang zu seinem Lebensthema gewährt. „Verhaltenstherapie mon amour“
heißt der kompakte Band, in dem es um
eine Leidenschaft geht: Der Autor liebt
seine Disziplin so sehr, dass er in jedem
Kapitel neue Formen findet, den Leser für
sie zu interessieren. Sein Buch enthält
autobiographische Skizzen, Fallbeispiele,
Szenen aus der Supervisionssitzung mit
anderen Therapeuten, historische Zeittafeln und Interviews mit dem Autor
selbst, in denen ein Gesprächspartner
nachhakt, um Fiedlers Sichtweise auf sein
Sujet noch zu vertiefen. So entsteht ein
anschauliches Bild von der Entwicklung
der Psychotherapie im zwanzigsten
Jahrhundert. Fiedler, der 1973 in Münster
sein Studium abschloss, schildert dafür
unter anderem die Diskussionen unter
den Psychologie-Studenten der sechziger
und siebziger Jahre und steuert Beispiele
aus seiner späteren beruflichen Laufbahn
bei.
huch
Peter Fiedler: „Verhaltenstherapie mon amour.
Mythos – Fiktion – Wirklichkeit“. Schattauer
Verlag, Stuttgart 2010. 484 S. 24,95 Euro.
F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Die Lofar-Station von Tautenburg vor der Kuppel des 2-Meter-Teleskops der Thüringer Landessternwarte
Foto TLS Tautenburg/Michael Pluto
Der Quasar im virtuellen Himmel
Schlichte Dipolantennen holen jetzt quer
über Europa hinweg
die Sterne und Molekülwolken der Radioastronomen auf die Erde.
Die Hauptlast tragen dabei die Computer.
Die Radioastronomie hat in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich zum Verständnis des Universums beigetragen.
Zum Beispiel erschloss sich den Wissenschaftlern mit der Entdeckung des ersten
Pulsars – eines pulsierenden Neutronensterns, der bei der Explosion eines massereichen Sterns entstanden war – im Jahr
1967 ein ganz neuer Forschungsbereich.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist
dabei allerdings der langwellige, niederfrequente Radiobereich ausgeklammert
worden, der besonders große Teleskope
erfordert hätte, wollte man ebenso effektiv arbeiten wie in andern Spektralbereichen. Für Bilder mit hoher Auflösung von
kosmischen Objekten bei langer Wellenlänge benötigte man Radioteleskope mit
Hunderten oder Tausenden von Kilometern Durchmesser. Dank einer Initiative
des Niederländischen Instituts für Radioastronomie („Astron“) und der frühen Beteiligung einiger deutscher Astronomen
ist die Lücke in jüngerer Zeit weitgehend
geschlossen worden. Am kommenden
Samstag wird den Astronomen bei Exloo
in den Niederlanden ein europäisches,
quer über den Kontinent reichendes „Radioteleskop der anderen Art“ – Lofar
(„Low Frequency Arrays“) – formal zur
Nutzung übergeben. Zwar hat es seine
endgültige Ausdehnung noch nicht erreicht, seine Bewährung aber schon bestanden. Es hat gerade das erste hochaufgelöste Bild eines mehrere Milliarden
Lichtjahre von uns entfernten Quasars
(3C 196) bei Radiowellen im Meterbereich geliefert.
Mit Lofar wollen die Astronomen unter anderem erforschen, wann und wie
schnell die ersten Sterne und Galaxien im
Kosmos entstanden sind. Damals ionisierten diese Objekte den vorher neutralen
Wasserstoff und schufen dabei charakteristische Muster. Der Wasserstoff, der aus
der Urzeit des Universums stammt, ist
das häufigste chemische Element im Weltall und im gesamten Kosmos verteilt.
Neutraler Wasserstoff sendet bei einer
Frequenz von 1420 Megahertz entsprechend einer Wellenlänge von 21 Zentimetern Strahlung aus, die große Staubwolken praktisch ohne Absorption durchdringt. Mit der 21-Zentimeter-Astronomie konnte deshalb der Aufbau unserer
Milchstraße samt der Lage ihrer Spiralarme genau erkundet werden. Bei Galaxien
aus der Frühzeit des Kosmos, die Milliarden von Lichtjahren von der Erde entfernt sind, ist die Wellenlänge der Strahlung wegen der sogenannten Galaxienflucht in den niederfrequenten Meter-Be-
Mittel gegen Psychosen
lässt Gehirn schrumpfen
Antipsychotika können in kurzer Zeit
eine für die Motorik wichtige Hirnregion
vorübergehend schrumpfen lassen. Wie
Untersuchungen am Zentralinstitut für
Seelische Gesundheit in Mannheim gezeigt haben, besteht offenbar ein Zusammenhang mit den Bewegungsstörungen,
die als Nebenwirkung solcher auf Dopaminrezeptoren zielender Medikamente
oft auftreten. Bei gesunden Probanden,
reich verschoben, der jetzt erschlossen
werden soll.
Lofar ist als ein Radiointerferometer
konzipiert worden, also als eine Anlage,
die aus mehreren verhältnismäßig kleinen, über Hunderte von Kilometern verteilten Teleskopen zusammengeschaltet
ist. Die Astronomen haben dabei eine
überraschende und nebenbei preiswerte
Variante verwirklicht, bei der die herkömmlichen Radioteleskope mit Parabolschalen durch einfache, primitiv erscheinende Antennenfelder ersetzt worden
sind. An jedem Standort befindet sich je
ein Feld aus 96 einfachen, von Rundfunkgeräten bekannten Dipolantennen für
den Empfang von Strahlung zwischen 30
und 3,8 Meter Wellenlänge (10 bis 80 Megahertz Frequenz) und ein Feld aus 96
Zellen mit je vier mal vier Dipolen für 2,7
bis 1,2 Meter Wellenlänge (110 bis 240
Megahertz Frequenz). Der UKW-Bereich
dazwischen ist ausgespart, weil die astronomischen Messungen dort zu stark gestört wären.
Die Antennen eines jeden Feldes stehen auf ebener Erde. Ihr astronomisches
Arbeitsprinzip kann man sich anhand
von zwei Dipolantennen klarmachen.
Strahlung, die senkrecht von oben
kommt, erreicht beide zur selben Zeit –
Herkömmliches Radioteleskop
durch die Wahl des Phasenunterschiedes
jede beliebige Blickrichtung festlegen
und aus den gespeicherten Daten ein Bild
des entsprechenden Himmelsabschnitts
generieren – es ist, als schaute das Teleskop überall gleichzeitig hin. Deshalb
wird Lofar auch als virtuelles Teleskop bezeichnet, als digitales Teleskop oder als
Softwareteleskop. Der aufwendige Aufbau eines herkömmlichen Teleskops ist
durch ein komplexes Rechenprogramm ersetzt.
Die Signale der einzelnen Antennenfelder werden im Rechenzentrum der Universität Groningen in einem Großrechner
des Typs Blue Gene/P von IBM zusammengeführt, der eine Leistung von 37 Teraflops hat. Die Daten werden von den astronomischen Messstationen mit Raten
um drei Gigabit pro Sekunde über eigens
gelegte oder speziell reservierte Glasfaserkabel weitergeleitet, zum Beispiel von
Effelsberg zum Max-Planck-Institut für
Radioastronomie in Bonn. Von dort geht
es über das Deutsche Forschungsnetz
(DFN) zum Forschungszentrum Jülich
und dann über das niederländische „Surfnet“ nach Groningen. Die aus den Daten
berechneten Bilder und Himmelskarten
sowie die Zwischenprodukte werden in
ein spezielles Datenarchiv geleitet, zu
Digitales Radioteleskop
Empfänger
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Ebenes
Antennenfeld
Parabolspiegel
Computer
Laufzeitausgleich
F.A.Z.-Grafik Kaiser
die Grundlage für die Erzeugung eines
Bildes von dem gerade beobachteten Objekt. Fällt die Strahlung dagegen schräg
ein, erreicht die Wellenfront erst die eine
und einen winzigen Moment später die
zweite Antenne, wodurch die Phasen der
Wellen ein wenig gegeneinander verschoben sind. Das Verfahren, das darauf beruht, wird militärisch seit langem genutzt. Beim „Phased Array“ werden alle
Messdaten gespeichert. Im Computer
kann man die Signale der ersten Antenne
künstlich verzögern und damit den Phasenunterschied beseitigen, als habe es diesen gar nicht gegeben. Damit sind rechnerisch die Voraussetzungen geschaffen,
wie sie beim senkrechten Strahlungseinfall herrschen und für die Erzeugung eines astronomischen Bildes notwendig
sind.
Das „Phased Array“ hat unter anderem
den Vorteil, dass man mit jedem Antennenfeld zu ein und derselben Zeit Strahlung vom gesamten Himmel erfasst. Auf
diese Weise ist innerhalb weniger Minuten eine vollständige Kartierung möglich,
die normalerweise Jahre erforderte. Mit
dem Computer kann man aber auch
dem das Forschungszentrum Jülich eine
Speicherkapazität von tausend Terabyte
beisteuert.
Die erste Station von Lofar ist 2006 bei
Exloo in Betrieb gegangen, der in den
Niederlanden weitere folgten. In Deutschland arbeitet die erste Station seit November 2007 in Effelsberg in der Eifel. Mittlerweile fertig sind auch die Stationen
von Tautenburg bei Jena und Unterweilenbach bei München, eine weitere (Bornim bei Potsdam) steht kurz vor der Vollendung. Eine fünfte deutsche Station ist
für Jülich vorgesehen. Insgesamt stehen
in Europa derzeit 22 von mindestens 36
geplanten Einzelstationen bereit mit Antennenfeldern in Großbritannien, Schweden, Frankreich, Polen, der Ukraine und
Italien. Die deutsche Beteiligung an Lofar ist im Glow-Konsortium („German
Long Wavelength“) vereinigt, dem elf Institute angehören, darunter das Astrophysikalische Institut Potsdam, die MaxPlanck-Institute für Radioastronomie,
für Astronomie und für Astrophysik sowie die Thüringer Landessternwarte in
GÜNTER PAUL
Tautenburg.
die einmalig das Mittel Haloperidol erhalten hatten, war eine als Putamen bezeichnete Hirnregion schon nach ein bis zwei
Stunden deutlich verkleinert. Das berichten Heike Tost und ihre Kollegen in der
Zeitschrift „Nature Neuroscience“. Der
Schweregrad der als „extrapyramidale
Symptome“ bezeichneten Nebenwirkungen steigerte sich mit dem Grad der Hirnschrumpfung. Der Prozess ist allerdings
reversibel. Nach vierundzwanzig Stunden, so zeigten die kernspintomographischen Bilder der Patienten, war wieder
der Normalzustand erreicht.
R.W.
Palliativ-Versorgung
wird national vernetzt
Schwerstkranke und Sterbende besser zu
versorgen ist das Ziel der Deutschen Palliativstiftung (www.palliativstiftung.de),
die soeben gegründet wurde. Sie versteht
sich als nationale Plattform für Menschen, die sich in der Palliativversorgung
engagieren. Die acht Gründer um Thomas Sitte vom Palliativnetz Osthessen
kommen aus der Pflege, Medizin, Physiotherapie, Seelsorge und Wirtschaft. R.W.
Zwei bis drei Millionen Menschen, so
schätzt man, leiden in Deutschland an
chronischen Wunden. Überwiegend
sind es Geschwüre am Unterschenkel.
Das sogenannte Ulcus cruris macht fast
zwei Drittel aller chronischen Wunden
aus. Als Behandlungskosten wurden für
das Jahr 2005 mehr als fünf Milliarden
Euro hochgerechnet. Der überwiegende
Teil der Patienten geht zunächst zu ihrem Hausarzt, der sie oft erst nach frustranen Therapieversuchen an einen
Facharzt überweist oder in eines der seltenen Wundzentren in Deutschland
schickt. Dort stellt sich dann heraus,
dass die Ursachen weit vielfältiger sind
als bisher angenommen. Eine Analyse
der dermatologischen Wundambulanz
an der Universitätshautklinik in Essen
hat unlängst gezeigt, dass allein dort 16
verschiedene Ursachen für ein Ulcus cruris gefunden wurden.
Die Arbeitsgruppe um Joachim Dissemond wertete die Befunde von 354 Patienten aus, die sich von 2002 bis 2007
in der Wundambulanz vorstellten und
deren Geschwüre bereits mehr als drei
Monate bestanden. Zwar zeigte sich
auch in diesem Kollektiv, dass meistens
äußere und innere Krampfadern, krankhaft gestaute Venen also, für die Geschwüre verantwortlich waren, nämlich
bei 57 Prozent der Kranken. Aber bei
fast einem Fünftel kam zu den nicht
funktionierenden Venen noch ein Teilverschluss der arteriellen Blutgefäße
hinzu oder war alleinige Ursache. Hier
sind vor allem Rauchen und Diabetes
der Grund dafür, dass die Gefäße durch
Arteriosklerose verengt sind und das
Bein nicht mehr genügend durchblutet
wird. Bei längst nicht jedem Patienten
weisen Schmerzen auf die richtige Diagnose hin („Der Hautarzt“, Bd. 6, S.
483). Dass die Betroffenen deswegen
beim Gehen öfter Pausen einlegen, hat
den Namen „Schaufensterkrankheit“ geprägt.
Immerhin litten 13 Prozent der Ulcuscruris-Patienten an einer Vaskulitis, einer oft durch Autoimmunvorgänge bedingten Entzündung der Blutgefäße.
Das ist zwar an sich ein seltenes Krankheitsbild, allerdings ist es offenbar häufiger für Beingeschwüre verantwortlich,
als man bisher glaubte, und es bedarf
auch einer anderen Behandlung. Beingeschwüre können zudem von Bestrahlungen herrühren, durch Medikamente
oder Kontaktallergene verursacht werden oder das erste Anzeichen für einen
bösartigen Hautkrebs sein. Je nachdem,
welches Zentrum die Ursachen untersucht, variieren die Anteile der zugrundeliegenden Krankheiten zwar.
Ohne eine ausführliche Diagnostik,
die einem Hausarzt in aller Regel nicht
zur Verfügung steht, lässt sich die Vielfalt der Ursachen nicht erkennen. Das
hat auch therapeutische Konsequenzen.
Wird beispielsweise übersehen, dass arteriosklerotische Gefäßverschlüsse das
Geschwür mitverschuldet haben, dann
müssen diese behandelt werden, sonst
heilt angesichts der mangelnden Blutversorgung das Gewebe nicht zu. Daher bedarf es dringend genauerer wissenschaftlicher Erhebungen über die offenbar
noch viel zu wenig bekannte Vielfalt
von Beingeschwüren.
mls
Wenn schwebende
Glaskügelchen zittern
Die Simulation der Brownschen Molekularbewegung
Blütenpollen, die in einer Flüssigkeit gelöst sind, bewegen sich völlig unregelmäßig, obwohl scheinbar keine Kräfte auf
sie wirken. Der schottische Botaniker Robert Brown, der dieses Phänomen im
Jahr 1827 erstmals unter dem Mikroskop
beobachtete, fand dafür noch keine Erklärung. Er hielt es aber für unwahrscheinlich, dass die Pollen sich aus eigenem Antrieb bewegten. Als Albert Einstein sich 1905 mit der Ursache der mysteriösen Zitterbewegung der Pollen beschäftigte, konnte er bereits auf Überlegungen des Wiener Physikers Ludwig
Boltzmann und des Engländers James
Clark Maxwell aufbauen. Die beiden Begründer der statistischen Mechanik hatten die messbaren Eigenschaften von Gasen wie Temperatur und Druck im Wesentlichen auf Stöße zwischen mikroskopischen Teilchen – Atomen und Molekülen – zurückgeführt. Einstein schloss
nun seinerseits, dass die Bewegung der
Pollen durch unzählige Stöße mit Wassermolekülen zustande kommt.
Im Jahr 1907 schlug Einstein ein Experiment vor, mit dem sich seiner Ansicht
nach die Geschwindigkeit der Blütenpollen zwischen zwei Stößen mit Wassermolekülen ermitteln lassen sollte. Allerdings glaubte er, dass es kaum zu verwirklichen sei, weil man den Aufenthaltsort
der Teilchen nicht mit der dafür nötigen
Präzision würde feststellen können. Ein
Jahrhundert später haben nun Forscher
von der University of Texas in Austin die
Idee von Einstein wiederaufgegriffen
und gezeigt, dass die Messung augenblicklicher Geschwindigkeiten doch
möglich ist. Allerdings untersuchten sie
nicht Pollen im Wasserglas, sondern ein
Schwebeteilchen in der Luft, was eine
Reihe von Vorteilen hat. Zum einen sind
Stöße mit den Luftmolekülen weitaus seltener als Kollisionen mit Wassermolekülen. Dadurch vergeht mehr Zeit zwischen den Richtungswechseln, wodurch
man die Momentangeschwindigkeit
leichter messen kann. Zum anderen lässt
sich die augenblickliche Position von
Schwebeteilchen dank ausgefeilter Lasertechniken recht genau feststellen.
Die Forscher um Mark Raizen nutzten
für ihre Untersuchung eine eigens entwickelte „optische Pinzette“, die im Wesentlichen aus zwei aufeinander gerichteten
Laserstrahlen bestand. An der Stelle, wo
die Strahlen zusammentrafen, bildete
sich aufgrund der unterschiedlichen Polarisation der Laserstrahlen eine Art Lichtkäfig. Dort hinein brachten die Forscher
ein drei Mikrometer großes Glaskügelchen, das von der Lichtpinzette in der
Schwebe gehalten wurde. Die Laserstrahlen nutzten die Forscher auch dazu, die
Zitterbewegung des Kügelchens, ausgelöst von den Stößen mit den Luftmolekülen, zu verfolgen. Wenn sich das Schwebeteilchen aus der Mitte des Käfigs entfernte, wurden beide Laserstrahlen
leicht abgelenkt. Auf diese Weise konnten die Forscher alle 0,5 Mikrosekunden
die augenblickliche Position des Teilchens messen und dessen Geschwindigkeit berechnen.
Die Versuche wurden bei unterschiedlichen Luftdrücken ausgeführt. Bei hohem Druck kam es – wie erwartet – häufiger zu Stößen und Richtungswechseln
als bei niedrigem Druck. Raizen und seine Kollegen interessierte es, ob mit stei-
Albert Einstein bezweifelte,
dass die Momentangeschwindigkeit jemals
gemessen werden könnte.
gendem Druck auch die Bewegungsenergie des Glaskügelchens zunehmen würde. Statistische Betrachtungen, bei denen viele Kollisionen betrachtet werden,
hatten vor rund hundert Jahren gezeigt,
dass die Bewegungsenergie auf alle drei
Raumrichtungen im Mittel gleich verteilt ist und ausschließlich von der Temperatur des Systems abhängt. Diesem
Gleichverteilungssatz zufolge sollte auch
die Bewegungsenergie des Glaskügelchens unverändert bleiben, wenn man
den Druck erhöht, die Temperatur aber
konstant hält. Und tatsächlich, der
„Grundpfeiler“ der statistischen Mechanik war auch für das schwebende Glaskügelchen und damit für alle Teilchen bestätigt, die der Brownschen Molekularbewegung unterliegen. Die ermittelte
mittlere Geschwindigkeit des Glaskügelchens betrug 0,4 Millimeter pro Sekunde
und stimmte recht gut mit dem theoretischen Wert überein, wie Raizen und
seine Kollegen in der Online-Ausgabe
der Zeitschrift „Science“ (doi: 10.1126/
science.1189403) berichten.
Die Bedeutung dieses ausgeklügelten
Experiments dürfte aber weniger in der
Bestätigung eines alten Lehrsatzes liegen als vielmehr in der Möglichkeit,
den Grenzbereich zum quantenmechanischen Verhalten von Partikeln mit
einigen Mikrometern Durchmesser zu
untersuchen. Zu diesem Zweck wollen
die Forscher mit der Lichtpinzette die
Bewegung von Glaspartikeln so weit
wie möglich einfrieren, um mögliche
Effekte der Quantentheorie auf die
Brownsche Molekularbewegung beobachten zu können.
ANNE HARDY
Foto Science
Ein nur wenige
Mikrometer großes
Glaskügelchen (heller Fleck) wird von
zwei aufeinander gerichteten Laserstrahlen in die Zange genommen. Die Zitterbewegung des Teilchens, ausgelöst von
Stößen mit den Luftmolekülen, führt zu
geringfügigen Ablenkungen der Laserstrahlen. Ein Computer ermittelt aus
den Fluktuationen
die Geschwindigkeit
des Kügelchens.
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