Zuweisungsentscheidung, Asylverfahren, Ablauf der

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VG München, Gerichtsbescheid v. 17.06.2015 – M 6a K 14.50470
Titel:
Zuweisungsentscheidung, Asylverfahren, Ablauf der Überstellungsfrist,
Abschiebungsanordnung, Italien
Normenketten:
AsylVfG §§ 27a, 34a
VO (EU) 604/2013 Art. 29 II 1
Schlagworte:
Zuweisungsentscheidung, Asylverfahren, Ablauf der Überstellungsfrist, Abschiebungsanordnung, Italien
Entscheidungsgründe
Bayerisches Verwaltungsgericht München
Aktenzeichen: M 6a K 14.50470
Im Namen des Volkes
Gerichtsbescheid
17. Juni 2015
M 6a K 14.50507
6a. Kammer
Sachgebiets-Nr. 710
Hauptpunkte: Asylrecht; Dublin-III-Verfahren; Ablauf der Überstellungsfrist; Frage der angeblichen
Minderjährigkeit kann dahinstehen
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
...
- Klägerin bevollmächtigt: ...
gegen
Bundesrepublik Deutschland
vertreten durch: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle München, Boschetsrieder Str. 41,
81379 München
- Beklagte beteiligt: Regierung von Oberbayern, Vertreter des öffentlichen Interesses, Bayerstr. 30, 80335 München
wegen Vollzugs des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG)
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 6a. Kammer, durch die Vorsitzende Richterin am
Verwaltungsgericht ... als Einzelrichterin am 17. Juni 2015 folgenden
Gerichtsbescheid:
I.
Die Verfahren ... und ... werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... August 2014 wird aufgehoben.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Mai 2014 ist gegenstandslos geworden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die nach ihren ursprünglichen Angaben am ... November 1984 geborene Klägerin, eine nigerianische
Staatsangehörige, wendet sich gegen die mit Bescheiden der Beklagten vom ... Mai 2014 bzw. ... August
2014 angeordnete Abschiebung nach Italien gemäß Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen
Parlaments und des Rates (Dublin III-VO).
Die Anwesenheit der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland wurde am ... Dezember 2013 in A.
festgestellt. Die Klägerin, die keine Ausweisdokumente mit sich führte, war wegen Hungers auf der Straße
kollabiert. Gegenüber der Polizei erklärte sie, in Begleitung eines Mannes mit dem Zug in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Kurz darauf erklärte sie, mit einem Mann namens A., der
sie habe heiraten wollen, mit dem Auto nach Deutschland gefahren zu sein. Die Klägerin wurde am ...
Dezember 2013 in B. als Asylsuchende registriert. Im Rahmen der EASY-Verteilung wurde sie der
Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in C. zugeordnet. Dort stellte sie am ... Januar 2014 einen
Asylantrag.
Bei ihrer Befragung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens
vor dem Bundesamt am ... Januar 2014 führte die Klägerin u. a. aus, sie sei im Juli 2013 mit einem Boot
nach Libyen und von dort auch mit einem Boot nach Italien geflohen. Ein Mann namens A., der sie habe
heiraten wollen, habe sie mit dem Auto nach Deutschland mitgenommen und dort nachts irgendwo
abgesetzt. Sie habe ihn nicht mehr gesehen. Sie wolle nicht zurück nach Italien. In Italien sei zwar alles in
Ordnung gewesen. Sie würde es aber bevorzugen, in Deutschland zu bleiben.
Eine EURODAC-Abfrage der Beklagten ergab am ... Februar 2014, dass die Klägerin in Italien (EURODACNr. ...) als illegal Eingereiste erfasst ist.
Die Klägerin wurde laut Zuweisungsentscheidung der Regierung von Schwaben vom ... Februar 2014 ab
dem ... Februar 2014 dem Landkreis D. (Unterkunft ... in D.) zugewiesen.
Italien äußerte sich nicht zu dem unter Bezugnahme auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013
gestellten Übernahmeersuchen des Bundesamts vom ... Februar 2014.
Mit Bescheid vom ... Mai 2014 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden:
Bundesamt) den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Nummer 1) und ordnete die Abschiebung nach
Italien an (Nummer 2).
Durch den Abgleich der Fingerabdrücke lägen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates
vor. Da die italienischen Behörden auf das Übernahmeersuchen nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von
zwei Monaten geantwortet hätten, sei davon auszugehen, dass Italien die Wiederaufnahme gemäß Art. 22
Abs. 7 Dublin-III-VO akzeptiere.
Auf die Begründung des Bescheids wird im Übrigen verwiesen.
Der Bescheid, adressiert an die Klägerin unter der Adresse der ihr zugewiesenen Unterkunft „... in D.“,
wurde laut Postzustellungsurkunde am ... Mai 2014 an den zum Empfang ermächtigten Vertreter (Herrn B.)
übergeben, da der Zusteller die Adressatin in der Unterkunft nicht erreicht hatte.
Am ... August 2014 erhob die Klägerin Klage zur Niederschrift gegen den Bescheid des Bundesamts vom ...
Mai 2014 (Az.: ...). Sie beantragte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den
Bescheid des Bundesamtes aufzuheben.
Den ebenfalls am ... August 2014 gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Gericht mit
Beschluss vom ... September 2014 als unzulässig ab (...), da die Antragsfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1
AsylVfG versäumt und Wiedereinsetzungsgründe nicht gegeben waren. Auf die Gründe des Beschlusses im
Übrigen wird Bezug genommen.
Die Klägerin stellte am ... Juli 2014 beim Bundesamt einen erneuten Asylantrag, den das Bundesamt als
Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG behandelte. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass sie in
Nigeria wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werde. Sie fürchte um ihr Leben. Sie befürchte, von ihrer
Familie umgebracht zu werden, falls sie nach Hause zurückkehre. Die Klägerin wolle nicht in der
Prostitution arbeiten, sondern eine richtige Arbeit finden.
Das Bundesamt lehnte den Asylfolgeantrag mit Bescheid vom ... August 2014 als unzulässig ab. Aufgrund
der stillschweigenden Zustimmung, die in diesem Folgeverfahren noch gültig sei, sei Italien für die
Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik
Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 VO Dublin-III auszuüben, seinen
nicht ersichtlich. Der Asylantrag werde in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
Gegen den am ... August 2014 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am ... August 2014 zur Niederschrift
Klage erhoben (Az. ...) und Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen im Klageverfahren ... und im Eilverfahren ... Da
Asylbewerber in Italien sehr schlecht behandelt würden, befürchte sie, in die Prostitution abzurutschen.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom ... September 2014, eingegangen bei Gericht am ... September
2014, die Behördenakte vor.
Den ebenfalls am ... August 2014 gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Gericht mit
Beschluss vom ... September 2014 als unbegründet ab (...). Das italienische Asylwesen leide nicht an
systemischen Mängeln. Auch seien keine besonderen Umstände des Einzelfalls erkennen, die befürchten
ließen, dass der Klägerin in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht zu vereinbarende Behandlung
drohen würde.
Auf die Gründe des Beschlusses im Übrigen wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom ... Oktober 2014 bestellte sich die Bevollmächtigte der Klägerin und teilte mit, dass die
Klägerin nicht - wie ursprünglich angegeben - 1984 geboren wurde, sondern am ... November 1999. Sie
habe beim Landratsamt D. (Jugendamt) die Inobhutnahme beantragt.
Laut Mitteilung des Landratsamts D. (Ausländerbehörde) vom ... Oktober 2014 stehe die Klägerin aktuell
nicht mehr zur Abschiebung nach Italien an. Laut Auskunft eines Vertreters des Bundesamts vom ...
Oktober 2014 sei die Überstellungsfrist von sechs Monaten am ... Oktober 2015 abgelaufen. Das
Asylverfahren werde nun von der Bundesrepublik Deutschland übernommen.
Das Bundesamt teilte dem Gericht mit Schreiben vom ... November 2014 mit, dass die Frist für die
Überstellung der Klägerin nach Italien am ... März 2015 ende.
Mehrere Sachstandsanfragen des Gerichts an die Beklagte blieben unbeantwortet.
Die Parteien wurden mit Schreiben vom ... März 2015 zur in Frage kommenden Entscheidung durch
Gerichtsbescheid angehört.
Der Beklagte verzichtete mit Schreiben vom ... März 2015 auf die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung.
Die Bevollmächtigte der Klägerin erklärte mit Schreiben vom ... März 2015, dass sie nicht auf eine
mündliche Verhandlung verzichte, da die Ausländerbehörde bzw. das Jugendamt beim Landratsamt D.
bislang nicht bereit sei, eine Änderung des Geburtsdatums der Klägerin vorzunehmen. Derzeit sei beim
Amtsgericht D. ein Sorgerechtsverfahren anhängig. Am ... März 2015 sei ein Beweisbeschluss zur
Altersfeststellung der Klägerin durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ergangen.
Das Gericht wies die Beklagte mit Schreiben vom ... April 2015 darauf hin, dass unabhängig von der Frage,
ob die Klägerin am ... November 1984 oder am ... November 1999 geboren sei, zwischenzeitlich die
Überstellungsfrist abgelaufen und deshalb die Zuständigkeit auf die Beklagte übergegangen sei.
Eine Reaktion erfolgte nicht.
Mit Beschlüssen vom ... Juni 2015 wurden die Entscheidungen in beiden Verfahren auf die Einzelrichterin
übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Verfahren (auch in den Verfahren
...) sowie die bei gezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die beiden Klagen konnten gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden.
Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch
Gerichtsbescheid.
Die auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom ... August 2014 gerichtete Klage (...) ist zulässig
(hierzu unter 1.) und begründet (hierzu unter 2.).
Nicht zulässig ist die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom ... Mai 2014 (...). Da Italien jedoch
aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nicht mehr zuständiger Staat ist, hat dieser Bescheid durch
fruchtlosen Fristablauf seine Rechtswirkungen verloren (hierzu unter 3).
1. Die Klage auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom ... August 2014 (...) ist zulässig,
insbesondere fristgerecht gemäß § 74 Abs. 1 AsylVfG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung erhoben
worden.
Die Klage ist als (isolierte) Anfechtungsklage statthaft. Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung
über die Unzulässigkeit des Asylantrags ist § 27a AsylVfG, wonach ein in Deutschland gestellter Asylantrag
als unzulässig abzulehnen ist, wenn die Zuständigkeit eines anderen Staates aufgrund von
Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung
des Asylverfahrens vorliegt. Die mit diesem Ausspruch regelmäßig verbundene Abschiebungsanordnung
findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidungen nach §§ 27a, 34a Abs. 1 AsylVfG stellen
belastende Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG dar, deren isolierte Aufhebung - anders als in
sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegehrens - ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung
grundsätzlich zur formellen und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrags führt. Denn das Bundesamt
ist nach Aufhebung des Bescheids bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen (§§ 31,
24 AsylVfG). Das Bundesamt hat sich wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 27a AsylVfG
bisher lediglich mit der - einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorrangigen - Frage befasst, welcher
Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens der Klägerin
zuständig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des
Bescheids wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt. Das
Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
2. Die Klage auf Aufhebung des Bescheids vom ... August 2014 ist auch begründet. Der
streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt dieser
Entscheidung war die Überstellungsfrist bereits abgelaufen.
Der Bescheid ist mit dem Ablauf der Überstellungsfrist rechtswidrig geworden.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob bezüglich des Fristbeginns auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Frist
von zwei Monaten nach Erlass des Übernahmeersuchens an Italien vom ... Februar 2014 oder auf den
Zeitpunkt der Zustellung der ablehnenden Eilentscheidungen am ... September 2014 und ... September
2014 abzustellen ist, da die sechsmonatige Überstellungsfrist auch im letztgenannten Fall abgelaufen ist.
Nach Ablauf der Frist geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf den ersuchenden
Mitgliedstaat, also die Beklagte, über (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung). Der Asylantrag ist
damit nicht mehr nach § 27a AsylVfG unzulässig. Eine Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich
zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a AsylVfG kommt nicht mehr in Betracht. Dass Italien nach Fristablauf
weiterhin zur Übernahme des Klägers bereit wäre, hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist auch nicht
ersichtlich. Folglich kommt nach den einschlägigen europarechtlichen Regularien eine Anordnung der
Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a AsylVfG ebenfalls nicht mehr in
Betracht (vgl. VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217 - juris Rn. 20, VG München, U.v.
28.1.2015 - M 12 K 14.30553).
Die Klägerin ist durch den streitgegenständlichen Bescheid vom ... August 2014 auch in ihren Rechten
verletzt. Zwar handelt es sich bei den Regelungen der Dublin III-VO um objektive
Zuständigkeitsvorschriften, die den Asylbewerbern grundsätzlich keine subjektiven Rechte verleihen (vgl.
Beck’scher OK AuslR/Günther, Stand 1.9.2014, § 27a Rn. 30). Wenn allerdings die Überstellungsfrist in den
ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat abgelaufen ist und alleine die Zuständigkeit der Beklagten bleibt,
kann der Asylbewerber dies als Ausfluss des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nunmehr zuständig
gewordenen Staat geltend machen (vgl. VG Regensburg U.v. 21.10.2014 a. a. O.; VG München U.v.
4.11.2014 a. a. O.).
Der streitgegenständliche Bescheid vom ... August 2014 kann auch nicht in eine ablehnende Entscheidung
nach § 71a Abs. 1 AsylVfG umgedeutet werden, da insoweit die Voraussetzungen gemäß § 47 VwVfG nicht
erfüllt sind (vgl. VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 - a. a. O. Rn. 22 ff.).
Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt
umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der
geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die
Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
Vorliegend hätte ein Bescheid nach § 71a AsylVfG nicht in der geschehenen Verfahrensweise erlassen
werden dürften, da die Klägerin ausweislich der vorgelegten Behördenakten nicht zu den im Rahmen des §
71a Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen (materielle Fluchtgründe) und Umständen (Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) angehört worden ist. Im Einklang mit § 24 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG wurde die
Klägerin ausschließlich zur Vorbereitung der Anhörung gem. § 25 AsylVfG befragt und lt. Niederschrift
darauf hingewiesen, dass zunächst die Frage überprüft werde, ob die Bundesrepublik Deutschland für eine
inhaltliche Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Ergebnis war die Einleitung eines Dublin-Verfahrens
und der Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides.
Auch eine Umdeutung der Ziffer 2 des Bescheides vom ... August 2014 (Anordnung der Abschiebung in den
ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat Italien) in eine Anordnung der Abschiebung in das Herkunftsland
Nigeria scheidet angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34a AsylVfG vorliegend aus. Eine
Umdeutung in eine Androhung des Abschiebung in das Herkunftsland nach § 34 AsylVfG würde dazu
führen, dass der umgedeutete Verwaltungsakt nicht mehr im Sinne von § 47 Abs. 1 VwVfG auf das gleiche
Ziel gerichtet wäre. Darüber hinaus würde eine solche Umdeutung für die Betroffene entgegen § 47 Abs. 2
VwVfG eine ungünstigere Rechtsfolge herbeiführen, da sie nach erfolgter Abschiebung in den
Herkunftsstaat Nigeria - anders als bei der Abschiebung nach Italien - keine Möglichkeit mehr hätte,
weiterhin um Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat nachzusuchen (vgl. VG Regensburg, U.v.
21.10.2014 - a. a. O. Rn. 26 ff; VG München, U.v. 4.11.2014 - M 10 K 13.30627).
Der angefochtene Bescheid ist somit aufzuheben. Die Beklagte hat ein Asylverfahren durchzuführen und
mit gesondertem rechtsmittelfähigem Bescheid abzuschließen. Die Frage, ob die Klägerin am ... November
1984 oder am ... November 1999 geboren wurde (und möglicherweise noch minderjährig wäre), ist nicht im
vorliegenden Verfahren zu klären.
3. Soweit die Klägerin die Aufhebung des bereits zuvor ergangenen Bescheids der Beklagten vom ... Mai
2014 begehrt (...), ist die Klage erfolglos. Sie ist wegen Fristversäumnis unzulässig, § 113 Abs. 1 VwGO.
Nach § 74 Abs. 1 AsylVfG ist eine Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG innerhalb von zwei
Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu erheben.
Vorliegend ist die Klage erst mehr als zwei Monate später erhoben worden. Der streitgegenständliche
Bescheid, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung, insbesondere auch mit dem Hinweis
auf die zweiwöchige Klagefrist, versehen war, ist der Klägerin laut Postzustellungsurkunde am ... Mai 2014
ordnungsgemäß zugestellt worden, obwohl sie sich nach ihrer Klagebegründung zu diesem Zeitpunkt (und
offensichtlich auch in der Folgezeit bis ca. Anfang August 2014) nicht in der zugewiesenen Unterkunft
aufgehalten hat. Es ist insoweit ausreichend, dass der Bescheid gemäß § 10 Abs. 5 AsylVfG i. V. m. § 178
Abs. 1 Nr. 3 ZPO an den Leiter der Einrichtung bzw. einen dazu ermächtigten Vertreter ausgehändigt
worden ist. Gemäß § 58 Abs. 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 ff. BGB endete die Klagefrist
am ... Juni 2014.
Die Klägerin erhob die Klage zur Niederschrift am ... August 2014. Die Zwei-Wochenfrist war somit
versäumt.
Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren, da sie
die zweiwöchige Klagefrist nicht unverschuldet versäumt hat. Die ausschließliche Begründung, dass sie
zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids am ... Mai 2014 (bis zum ... August 2014) nicht in D. gewesen
sei, entschuldigt nicht das Versäumen der Klagefrist. Abgesehen von der Verpflichtung der Klägerin, in die
ihr zugewiesene Unterkunft einzuziehen (Zuweisungsbescheid vom ... 2014), sich dort aufzuhalten und für
die zuständigen Behörden und Gericht erreichbar zu sein, hätte sie sicherstellen müssen, dass ihr die für
sie bestimmten Postsendungen zeitnah hätten ausgehändigt werden können (§ 10 Abs. 4 AsylVfG). Die
Klägerin hat den verspäteten Erhalt des Bescheids zu vertreten.
Unabhängig von der Unzulässigkeit der Klage hat der Bescheid des Bundesamts vom ... Mai 2014
spätestens mit Ablauf des ... März 2015 seine Wirksamkeit verloren. Die Zuständigkeit für die Prüfung des
von der Klägerin gestellten Asylantrages ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte
übergegangen. Damit ist der bis zum Fristablauf zuständige Mitgliedstaat Italien nicht mehr zur Aufnahme
oder Wiederaufnahme der Klägerin verpflichtet.
Auch die Abschiebungsanordnung in Nr. 2. dieses Bescheids ist gegenstandslos geworden, da die
Abschiebungsanordnung hat gemäß § 34a AsylVfG zwingend zur Voraussetzung hat, dass die Klägerin in
den für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 27a AsylVfG zuständigen Staat abgeschoben
werden soll. Da Italien aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nicht mehr zuständiger Staat ist, hat die
Abschiebungsanordnung ebenfalls ihre Rechtswirkungen verloren.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylVfG, da die Klägerin nur zu
einem geringen Teil unterlegen ist. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylVfG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff.
ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb von zwei
Wochen nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Der Antrag muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus
denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im
Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für
Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.
Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO
genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in
§§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach
Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayerischen Verwaltungsgericht München
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten mündliche Verhandlung beantragen. Wird von beiden
Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt. Dem Antrag eines Beteiligten
sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
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