Cro-Magnon - Die Onleihe

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Ein paar Bemerkungen vorab
Für die geografischen Namen wählte ich die gebräuchlichste Schreibweise,
und die Namen der archäologischen Fundstätten schrieb ich so, wie sie üblicherweise in den für dieses Buch verwendeten Quellen aufgeführt sind. Einige
kaum bekannte Orte tauchen aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht in den
Karten auf. Interessierte Leser bitte ich, die entsprechende Fachliteratur zu
konsultieren.
Bei der Quellenauswahl für die Anmerkungen legte ich Wert darauf, Werke
mit ausführlichen Bibliografien aufzunehmen, damit Sie bei Bedarf auf weiterführende Literatur zugreifen können. Da ich einen erzählenden Stil wählte, um
die Geschichte der Cro-Magnon-Menschen zu schildern, liefern Themenkästen
in jedem Kapitel weitere Informationen zu technischen Aspekten wie der
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C-Datierung, Kontroversen unter Experten und Steintechnologien. Dabei
wurden sämtliche 14C-Datierungen unter Verwendung der jüngsten, ständig
überarbeiteten Kalibrierungskurve aktualisiert. Diese können Sie im Internet
unter http://www.calpal.de/ einsehen.
Eine Anmerkung zu dem Begriff „Cro-Magnon“: Ich benutze ihn auf diesen
Seiten als allgemeinen Oberbegriff, da er griffig und leicht zu merken ist. Er ist
austauschbar mit Homo sapiens, moderner Mensch und anatomisch moderner
Mensch (engl. Kürzel AMH für Anatomically Modern Human). Es handelt sich
um einen Kompromiss aus Gründen des Leseflusses, denn die wissenschaftliche Wahrheit ist selbstverständlich wesentlich komplexer und wird umfassend
in der Fachliteratur beleuchtet. Die Cro-Magnon-Menschen selbst dürften
kaum eine entsprechende Bezeichnung für sich besessen haben. Vom Beginn
ihrer Geschichte an bildeten sie einen Flickenteppich aus Gruppen, Sippen und
manchmal größeren Verbänden, deren Namen uns nicht überliefert sind. Damit möchte ich betonen, dass wir diesen Menschen ihren Namen gaben, der auf
einem willkürlich gewählten Punkt in ihrer außergewöhnlichen Geschichte basiert.
Kulturelle Begriffe sind stets ein heikles Thema, insbesondere im Zusammenhang mit den Cro-Magnon-Menschen, deren Archäologie ausgesprochen
komplex ist. Gesellschaften der Neandertaler hatten ihre Blütezeit in der mittleren Altsteinzeit (Mittelpaläolithikum), die Cro-Magnon-Menschen während
der jüngeren Altsteinzeit (Jungpaläolithikum). Diese für die mittlere und jüngere (bzw. späte) Altsteinzeit üblichen Bezeichnungen habe ich in diesem Buch
nicht verwendet, wenngleich Sie Ihnen in der Fachliteratur begegnen werden.
Auch habe ich auf den Begriff „Mesolithikum“ (Mittelsteinzeit) verzichtet, der
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E i n pa a r B E m E r k u n g E n V o r a B
sich auf die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften von vor etwa 10 000 Jahren bezieht. Des Weiteren habe ich mich bemüht, die Verwendung oft rätselhaft anmutender kultureller Begriffe auf ein Minimum zu reduzieren.
Um den Lesefluss nicht zu stören, verzichte ich auch auf zahlreiche Untergliederungen verschiedener Kulturen, die auf den nachfolgenden Seiten erwähnt werden. Viele von ihnen beziehen sich auf stratigrafische Untersuchungen von Siedlungsschichten archäologischer Fundorte oder auf Unterschiede
zwischen Steinwerkzeugen und anderen Artefakten. Wenngleich sie für Experten äußerst bedeutsam sind, denke ich nicht, dass sie für diese Erzählung relevant sind.
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Kapitel 1
Entscheidende Begegnungen
Sie nennen ihn den Löwenmenschen. Die Figur aus Elfenbein steht aufrecht,
nur ganz leicht nach vorne geneigt, die Arme seitlich angelegt. Ihr Kopf ist der
eines Löwen mit leicht geöffnetem Maul und gespitzten Ohren. Eine Mähne
bedeckt ihren Rücken, doch ihre Arme sind die eines Menschen. Sie sind entspannt und man erkennt ein Streifenmuster darauf (siehe Tafel I). Der Stand ist
ein wenig breitbeinig, und zwischen den Beinen sind männliche Genitalien angedeutet. Der Löwenmensch steht gelassen da; sein Blick schweift ruhig in die
Ferne. Er betrachtet eine unendlich weite Landschaft – ein Reich, das sich weit
über die Grenzen der realen Welt hinaus erstreckt. Er wurde vor mehr als
34 000 Jahren geschaffen, geschnitzt aus dem wassergetränkten Mammutstoßzahn von einem unserer entfernten Vorfahren, einem Cro-Magnon-Menschen1.
Der Künstler, der den Löwenmenschen erschuf, war ein Mensch wie wir. Er
lachte und weinte, liebte und hasste, er war berechnend und manchmal hinterhältig. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von Jägern und war einer von ein
paar Tausend Menschen, die in einer Region des heutigen Süddeutschlands
lebten, in einer von Nadelwäldern und offener Tundra geprägten Landschaft,
die Rentierherden auf ihren saisonalen Wanderungen in Richtung Norden und
Süden durchquerten. Riesige Mammuts grasten an den Ufern eisiger Flüsse;
Schwärme arktischer Schneehühner krächzten am Rande des Wassers. Dies
war kein eiszeitliches Paradies. Der Schöpfer des Löwenmenschen lebte in einer Welt, zu deren hartem Alltag regelmäßige Hungerzeiten und harte Winter
gehörten. Doch auch die geistige Welt hatte hier Platz, war doch die Landschaft
bevölkert von inspirierenden Tieren und erfüllt von mächtigen übernatürlichen Kräften, die symbolische Partnerschaften zwischen Mensch und Tier entstehen ließen. Der Löwenmensch schlug eine Brücke zwischen der Welt der
Lebenden und dem Reich des Übernatürlichen. Sein Schöpfer bediente sich
derselben kognitiven Fähigkeiten, die auch wir besitzen. Behände und hoch
gewachsen, glichen die Cro-Magnon-Menschen anatomisch und intellektuell
modernen Menschen. Wir wissen, dass ihre Gehirne ähnlich strukturiert waren wie unsere und dass sie sich ebenso klar artikulieren konnten wie wir.
Die Vorfahren des unbekannten Schöpfers des Löwenmenschen waren vor
etwa 40 000 Jahren in ihren harten Lebensraum eingewandert. Sie kamen aus
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kapitEl 1
wärmeren und trockeneren, weit südöstlich liegenden Regionen im Südwesten
Asiens. Neuere 14C-Datierungen verraten uns, dass sich die Cro-Magnon-Menschen innerhalb von nur 5000 Jahren in Europa ausbreiteten. Sie zogen ständig umher, um Kontakte zu pflegen, Jagdwild nachzuspüren und Lagerplätze
sowie Wasserstellen aufzusuchen.
Die Entfernung zwischen Südwestasien und dem europäischen Raum erscheint gewaltig, aber innerhalb weniger Generationen legten die Gruppen von
Cro-Magnon-Menschen überraschende Strecken zurück, besonders in dünn
besiedelten, oft bitterkalten Umgebungen mit häufig wechselnden Witterungsverhältnissen zeitweise über mehrere Jahre, gar mehrere Menschenleben oder
scheinbare Ewigkeiten lang. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Wanderungen einzelner Populationen über 400 Kilometer in etwa innerhalb einer Generation stattfanden. Wo immer sie sich niederließen, begegneten die Cro-Magnon-Menschen kleinen Gruppen von Neandertalern, den europäischen
Ureinwohnern, deren biologische und kulturelle Wurzeln Hunderttausende
von Jahren in die ferne Vergangenheit zurückreichen.2 Ungefähr 15 000 Jahre
später, vor etwa 30 000 Jahren, waren die Neandertaler ausgestorben – zweifelsohne eine der überraschendsten Entwicklungen der Menschheitsgeschichte.
Auf den nachfolgenden Seiten wird die Geschichte der Cro-Magnon-Menschen
erzählt, an deren Anfang die Begegnung mit den urtümlichen Neandertalern
steht. Wie schätzten sie einander ein? Vermischten sie sich oder brachten die
Neuankömmlinge die Neandertaler um, sobald sie sie erblickten? Waren altertümliche und neuzeitliche Menschen enge Nachbarn oder drängten die CroMagnon-Menschen die Eingeborenen einfach aus ihren uralten Jagdgebieten
in entlegene Regionen ab? Spielten die um Längen überlegenen intellektuellen
Fähigkeiten der modernen Menschen eine entscheidende Rolle beim Aussterben der Neandertaler oder waren Klimawandel und extreme Kälte in Wahrheit
die Schuldigen?
Worin liegt das Geheimnis des überragenden Erfolgs der Cro-Magnon-Menschen? Waren es ihre fortschrittlichere Technologie, ihre Fähigkeiten als Jäger
und Sammler oder ihr brillanter Erfindungsgeist, kombiniert mit Opportunismus? Oder waren ihr spiritueller Glaube und ihre komplexe Beziehung zu
übernatürlichen Kräften ausschlaggebend?
Wir müssen unsere Geschichte mit einer Beschreibung der Cro-Magnon-Menschen beginnen. Rein technisch gesehen handelt es sich um anatomisch mo-
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EntschEidEndE BEgEgnungEn
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derne Menschen, doch bietet sich der Begriff „Cro-Magnon“ insofern an, als er
weniger sperrig und weitaus treffender für die ersten Europäer ist, auch wenn
er nicht ganz korrekt ist.
Der Name geht auf das Jahr 1868 zurück, als die Eisenbahn das verschlafene
Dorf Les Eyzies im Südwesten Frankreichs erreichte. Arbeiter, die das Land für
den Bau einer neuen Bahnstation rodeten, legten ein kleines, bis dahin vollkommen verschüttetes Felsabri sowie einige Feuersteinwerkzeuge und Tierknochen in der Nähe eines Felsens frei, der den prophetischen Namen „CroMagnon“ („Große Höhle“) trägt.
Bald nach der Entdeckung ergrub der junge Geologe Louis Lartet die Rückseite des Abris.3 Dabei legte er fünf menschliche Skelette frei, darunter die
Überreste eines Fötus sowie die verschiedener Erwachsener, zu denen auch
eine Frau zählt, die möglicherweise durch einen Schlag auf den Kopf getötet
wurde. Die Bestatteten lagen inmitten verstreuter Muschelperlen und Anhängern aus Bein. Dies waren keine Neandertaler mit schlichten Artefakten und
ohne Körperverzierung. Die Cro-Magnon-Menschen besaßen runde Köpfe und
eine hohe Stirn, worin sie modernen Menschen entsprachen.
Les Eyzies liegt am Ufer der Vézère in einem Tal, in dem hohe Kalksteinwände mit Höhlen und großen Überhängen den eiszeitlichen Menschen ideale
Unterkünfte boten. Louis Lartets Vater Édouard hatte sich mit Henry Christy,
einem wohlhabenden englischen Bankier zusammengetan, um in den frühen
1860er Jahren Ausgrabungen in den riesigen Felsstationen von Les Eyzies vorzunehmen. Dabei fanden sie Gegenstände aus Feuerstein, schnitzverzierte
Harpunen und diverse Rentierknochen; menschliche Überreste allerdings fehlten.4 Der Cro-Magnon-Fund belegte nun, dass der Hersteller dieser Artefakte
Homo sapiens war, und zwar ein entfernter Vorfahr der modernen Europäer. Er
hatte in der Eiszeit in einer Periode gelebt, die gelegentlich etwas naiv auch als
„Rentierzeitalter“ bezeichnet wurde, da man zahlreiche Knochen dieser Tiere
in den Felsstationen fand.
Schon bald verglichen die Gelehrten die Eiszeitmenschen (fälschlicherweise) mit den Eskimos der Arktis, doch eine Tatsache stand außer Frage: Sie
waren die Nachfolger der Neandertaler. Bloß woher sie ursprünglich stammten, war weiterhin Gegenstand einer lebhaften akademischen Debatte.
Die Cro-Magnon-Menschen, zu denen auch der Schöpfer des Löwenmenschen
zählte, waren kaum mehr als winzige Flecken in einer gigantischen europäischen Landschaft, die von tiefen Flusstälern, Bergen und unendlichen offenen
Ebenen geprägt war. Ihnen war durchaus bewusst, dass sie nicht die einzigen
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