EurUP_4/2004#06 170 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 170 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik Christoph Palme, Matthias Schlee und Jochen Schumacher* Das neue Recht der Grünen Gentechnik: Europarechtliche Vorgaben und fachliche Praxis On march 12th 2001 the EC adopted the directive 2001/18 EC on the deliberate release of GMOs into the environment, to be implemented ultimately on october 17th 2002 into national law. Having still failed to legislate the ECJ ruled in july 2004, that Germany has infringed its obligations under the EC treaty. The following article gives a brief outline on the pivotal issues to be faced in the upcoming legislation process, which now has begun by the adoption of the amended „Gentechnikgesetz“ by the German Bundestag on june 18th 2004. As the EC Commission recently gave notice to Germany, that some provisions of the new law may not comply with EC law, the follow- I. Vorbemerkung Am 12.3.2001 beschloss der EU Ministerrat – gestützt auf Art. 95 EG-Vertrag – mit der neuen Freisetzungsrichtlinie RL 2001/18/EG1 den europäischen Rechtsrahmen für den breiten Einsatz der Grünen Gentechnik, also deren Einsatz in Land- und Lebensmittelwirtschaft2 , sei es zur Ertragssteigerung, Schädlingsbekämpfung oder sonstigen Optimierung von Nahrungsmitteln. Damit wurde das seit 1999 bestehende Moratorium für den großflächigen Einsatz Grüner Gentechnik in der EU, welches im Hinblick auf die bisher wissenschaftlich ungeklärten Folgewirkungen dieser Risikotechnologie zu einem de facto-Verbot für den breiten Einsatz Grüner Gentechnik führte3 , beendet. Nach Art. 34 Abs. 1 RL 2001/18 war die Richtlinie bis spätestens 17.10.2002 in nationales Recht umzusetzen. Deutschland ist also massiv im Verzug, weil bislang noch keine Umsetzung erfolgt ist. Aber auch internationaler Druck, vor allem von Seiten der USA und des dort ansässigen Gentechnik- * Dr. iur. Christoph Palme und Ass. iur. Jochen Schumacher arbeiten am Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, Dipl.-Biol. Matthias Schlee arbeitet am Zentrum für Molekular Biologie der Pflanzen (ZMBP) – Allgemeine Genetik der Universität Tübingen. 1 ABl. Nr. L 106/1 ff. v. 17.4.2001, abgedruckt in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht/Biomedizinrecht, Bd. 3 II, oder unter www.naturschutzrecht.net. 2 Das den Endverbraucher i.d.R. allein interessierende Inverkehrbringen als Lebensmittel richtet sich hingegen nach Europäischem Lebensmittelrecht, insb. der VO 1829/2003/EG, ABl. Nr. L 268/1ff. v. 18.10.2003. 3 Vgl. das Protokoll der 2194. EU Umweltratssitzung vom 24./25. Juni 1999 sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo im Fall Maissaatgut, EuGH v. 21.3.2000 – Rs. C-6/99 = Slg. 2000 I-1651 ff. ing article emphasizes the painstaking scrutiny of the legal leeway the EU has granted to Germany in this respect. For facilitating the ongoing discussion in the German legislation process, possible provisions in a new German „Gentechnikgesetz“ are presented in a (from the european perspective) mandatory and an optional part. As ecpecially the liability rules of farmers using GMOs, the rules safeguarding biodiversity in protected zones and the good professional practice rules are both politically and legally fiercly controversial, those topics are covered not only by a legal but also a scienitific approach, delivered by a molecular biologist. konzerns Monsanto, die in dem Moratorium ein unzulässiges Handelshemmnis der EU für den Absatz ihrer Produkte in Europa sahen und gegen die europäische Haltung in Sachen Gentechnik sogar im Rahmen der WTO klagten4 , dürfte zu einer zügigen Novelle des deutschen Gentechnikgesetz führen. Auch wenn eine vorsichtige Haltung in Sachen Gentechnik sowohl durch europäisches (Art. 174 EG-Vertrag) als auch nationales (Art. 20a GG) Umweltverfassungsrecht in Gestalt des Vorsorgeprinzips5 geboten ist, darf dies jedoch nicht zu einem dauerhaften de facto-Verbot für die Grüne Gentechnik führen. Dies wäre jedenfalls beim gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand mit national wie europäisch garantierten Unternehmerfreiheiten nicht zu vereinbaren. Aus all diesen Gründen beschloss die Bundesregierung, das Gesetzgebungsverfahren für das neue Gentechnikgesetz (GenTG), den deutschen Rahmen für die Grüne Gentechnik6 , noch in diesem Jahr abzuschließen7 . Ziel des folgenden Beitrags ist es, in einem interdisziplinären Ansatz sowohl den europarecht- 4 Vgl. zu den handelsrechtlichen Fragen etwa Burchardi, Labelling of Genetically Modified Organisms, ZLR 2001, 83 ff.) Cottier/Tuerk/Panizzon, Handel und Umwelt in Recht der WTO: Auf dem Weg zur praktischen Konkordanz, ZUR 2003, 155 ff. Vgl. auch die umfassende Dokumentation zu den GMO-Verfahren auf der homepage der WTO: http://www. wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_subjects_index_e.htm#gmos. 5 Hierzu Winter, Die umweltrechtlichen Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, ZUR 2003, 137 ff. 6 Eine umfassende, gut geordnete Vorschriftensammlung von deutschem und europäischem Gentechnikrecht inkl. Verordnungen und Anhänge findet sich in der Loseblattsammlung Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht/Biomedizinrecht. 7 Der Gesetzgebungsprozeß begann am 18.6.2004 mit dem Beschluß des Bundestages zum neuen GenTG, einzusehen unter www.naturschutzrecht.net. Die Zustimmung des Bundesrats steht aber noch aus. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 171 EurUP 4 | 2004 lichen Handlungsspielraum als auch die biologisch/naturschutzfachlichen Praxisprobleme in der praktischen Umsetzung zu skizzieren. II. Europarechtliche Vorgaben Für den aktuellen Diskussionsprozess ist es hilfreich, europarechtlich zwingend vorgegebene8 und damit im Gesetzgebungsverfahren indisponible Regelungen von solchen Vorschriften zu unterscheiden, deren Einführung im politischen Ermessen des Gesetzgebers stehen. Dementsprechend unterscheidet die folgende Darstellung zwischen (aus EU-Sicht) zwingendem Recht und dispositivem Recht bei der Neufassung des GenTG. Da sich der Beitrag auch als Hilfestellung für die aktuelle Reformdiskussion versteht, beschränken sich die Ausführungen auf die zur Zeit konkret diskutierten und umstrittenen Reformvorschläge für den Dritten Teil des GenTG, insbesondere um Fragen der Risikobewertung, des Genehmigungsverfahrens und der Überwachungs-, Kennzeichnungs- und Mitteilungspflichten, Biodiversität/ Schutz ökologisch sensibler Gebiete sowie eine Umsetzung des Koexistenzkonzepts. Die notwendigen redaktionellen oder in sonstiger Weise geringfügigen Anpassungen an die neue Freisetzungsrichtlinie sowie die weitgehend unumstrittenen Neuregelungen im Zweiten Teil (Geschlossene Systeme) werden nicht angesprochen. 8 Zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 615 ff. 9 Zu den Rechtsquellen der EU Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 389 ff. 10 Zu den europäischen Grundrechten Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 411 ff. 11 Zur Entwicklung des Europäischen Umweltverfassungsrechts als Auslegungsmaxime Palme, Nationale Umweltpolitik in der EU, 1992, 23 ff., 128 ff., 147 ff., vgl. auch Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993. 12 Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV, einfachgesetzlich für die Gentechnik noch einmal ausdrücklich konkretisiert in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/18. Hierzu Callies, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU/EG Vertrag, Art. 174 Rn. 25 ff. 13 Siehe hierzu das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, ABl. EG Nr. L 309/1 ff. v. 13.12.1993. 14 Allgemein für den Warenverkehr EuGH, Urt. v. 11.7.1974, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn.5 sowie Urt. v. 20.2.1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg 1979, 949; Oppermann, Europarecht, 1999 Rn. 1289 ff. Speziell zu umweltpolitisch motivierten Beschränkungen des Warenverkehrs Palme, Nationale Umweltpolitik in der EU, 1992. 15 Hierzu Lemke, Gentechnik – Naturschutz – Ökolandbau, 2003, 241; vgl. zur Auslegung von Schutzklauseln im Lichte der Warenverkehrsfreiheit auch Palme, Nationale Umweltpolitik in der EG a.a.O., S.156 ff. 16 Hierzu etwa Tappeser, Von Restrisiken, Risikoresten und Risikobereitschaft, in: Spök/Hartmann/Loining (Hrsg.), GENug gestritten?! Gentechnik zwischen Risikodiskussion und gesellschaftlicher Herausforderung, Graz, 2000, 17 ff. Vgl. aber auch Dederer, Gentechnikrecht im Wettbewerb der Systeme, 1997 S. 56 ff., der eher die Chancen der Grünen Gentechnik hervorhebt. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 171 1. Europäisches Ius Cogens der Grünen Gentechnik Gemeint sind damit diejenigen Vorschriften, zu deren Umsetzung Deutschland europarechtlich verpflichtet ist. Kommt es zu einer fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie, so kann zum einen die EU-Freisetzungsrichtlinie unmittelbar gelten, zum anderen droht als Sanktion ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland. a. Allgemeines/Rechtsquellen Das EU-Recht gibt dem nationalen Gesetzgeber für jeden Sachbereich teils zwingendes teils disponibles Recht vor. Der Gestaltungsspielraum hängt von der Regelungsdichte ab. Existiert noch keine EU-Gesetzgebung, sei es in Form von Richtlinien oder Rechtsverordnungen (sekundäres Gemeinschaftsrecht), setzt dem nationalen Gesetzgeber „nur“ Europäisches Verfassungsrecht (Primäres Gemeinschaftsrecht) Schranken9. Im Bereich Grüner Gentechnik sind dies auf der einen Seite der in Art. 28 EGV garantierte freie Warenverkehr für gentechnisch veränderte Produkte sowie die europäischen Unternehmergrundrechte, insbesondere das Eigentumsgrundrecht, welches vor ungerechtfertigten Eingriffen in unternehmerische Entscheidungen im Geschäftsfeld gentechnisch veränderter Organismen (GVO) schützt10. Auf der anderen Seite steht, gewissermaßen als Europäisches Umweltverfassungsrecht11, das Vorsorgeprinzip12 zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, der Schutz der Biodiversität13 sowie die Eigentumsrechte der gentechnikfrei wirtschaftenden Landwirte. Beachtet der nationale Gesetzgeber diese Grundsatzentscheidungen, ist er bei der Ausgestaltung des jeweiligen Sachbereiches frei14. Hat die EU aber für eine Materie bereits sekundäres Gemeinschaftsrecht erlassen, wie im Bereich Grüne Gentechnik durch die RL 2001/18, muss der nationale Gesetzgeber diesen Vorgaben en detail folgen und darf nur noch die in der Richtlinie gewährten Spielräume nutzen15 . Europäisches Verfassungsrecht findet dann nur noch in zwei Fällen Anwendung: Als Maßstab für eine eventuelle Nichtigkeit eines sekundären Rechtsakts (Stichwort EUVerfassungswidrigkeit) sowie als Interpretationshilfe zur Sicherstellung des Europäischen Verfassungsrechts im Rahmen der sekundären Rechtsakte – im konkreten Fall also der RL 2001/18 (Stichwort EU-verfassungskonforme Auslegung). Nach diesen Grundsätzen werden im Folgenden die zwingenden Vorgaben des EU-Rechts für die Reform des deutschen GenTG dargestellt. b. Risikobewertung Im Verhältnis zur alten Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG wurde wegen zwischenzeitlich auftretender wissenschaftlicher Unsicherheiten über die schädlichen Auswirkungen gentechnisch veränderter Produkte auf Mensch und Umwelt16 das Sicherheitsniveau der neuen RL 2001/18 erheblich verschärft. Daher sehen die Art. 1 und 4 RL 2001/18 eine umfassende Pflicht der zuständigen Behörden zur Risikobewertung hinsichtlich des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor. In diese EurUP_4/2004#06 172 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 172 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik Risikobewertung haben stets die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse einzufließen17 . Besonderen Wert legt die Richtlinie dabei auf unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand (Erwägungsgrund 20 und 21). Von Bedeutung ist dies für die Besetzung der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS)18 , auf deren Fachwissen die Behörden ihre Risikobewertungen regelmäßig stützt19 . Eine Dominanz der Industrieinteressen in diesem Gremium wäre mit EU-Recht unvereinbar. Inhaltlich darf sich diese Risikobewertung nicht auf die direkten und sofortigen Risiken beschränken, sondern hat auch die langfristigen Folgen für den Menschen, das ökologische Wirkungsgefüge und die Biodiversität zu betrachten20 . Ausdrücklich wird dieser Aspekt bei der Verwendung von Genen, die Resistenzen gegen eine ärztliche oder tierärztliche Antibiotikabehandlung vermitteln und damit das Leben von Menschen und Tieren gefährden können, in Art. 4 Abs. 2 S. 3 RL 2001/18 angesprochen. Da die EU langfristig ohnehin das Verbot von Antibiotikaresistenzmarkern plant (Art. 4 Abs. 2 S. 4 RL 2001/18), dürfte die Abwägung zugunsten solcher GVOs nur in Ausnahmefällen mit EU-Recht vereinbar sein. Auch die Berücksichtigung der schädlichen Auswirkungen möglicher Gentransfers von GVO auf andere Organismen ist gem. Art. 4 Abs. 3 RL 2001/18 unabdingbarer Bestandteil einer jeden Prüfung. Das EU-Recht schreibt diese umfassende Risikobewertung bei jeder Zulassungsentscheidung mit Gentechnikbezug vor, unabhängig davon, ob sie formell im Rahmen der Freisetzungsrichtlinie oder in sektoriellen Sondervorschriften, etwa der von Zulassungsentscheidungen für neuartige Lebensmittel nach der sog. VO 1829/2003/EG ergeht, vgl. Art. 12 Abs. 1 RL 2001/18. Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet dies, dass lediglich eine solche Risikobewertung überhaupt stattfinden muss. Ob dies, wie vor allem bei Pflanzen und Saatgut, im Rahmen der Zulassungsentscheidungen des GenTG oder sektorieller Sondervorschriften wie des Arzneimittel-, Lebensmittel- Futtermittel- oder etwa das Düngemittelgesetz stattfindet, ist dann eine Frage der gesetzgeberischen Zweckmäßigkeit, solange diese Spezialvorschriften eine dem GenTG gleichwertige Risikobewertung vorsehen. c. Genehmigung und Überwachung Die Freisetzungsrichtlinie sieht für GVO zwei Genehmigungstypen vor: zum einen die in Teil B geregelte „absichtliche Freisetzung21 außerhalb von geschlossenen Systemen, typischerweise durchgeführt auf Versuchsfeldern zu experimentellen Zwecken, sowie in Teil C das Inverkehrbringen. Das Inverkehrbringen wird in Art. 2 Nr. 4 Freisetzungsrichtlinie22 als die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von GVO für Dritte definiert. Üblicherweise geht die Freisetzung zeitlich und sachlich dem Inverkehrbringen voraus, soll sie doch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen des später für die Vermarktung (durch Inverkehrbringen) bestimmten GVO auf Mensch und Umwelt liefern23 . Da ein wesentlicher Anstoß für die Novellierung des europäischen Gentechnikrechts der von Seiten der Industrie geäußerte Wunsch nach einer breiten Markteinführung von GVO-Produkten war, steht naturgemäß Teil C (also die Regelungen über das Inverkehrbringen) im Zentrum der Reformdiskussion. Anpassungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber besteht dabei vor allem in zwei Richtungen: Deregulierung und Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens sowie (in gewisser Weise gegenläufig) effiziente Gewährleistung der europäischen Sicherheitsstandards. Diese zwei Kernanliegen des Europäischen Gentechnikrechts in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, ist eine der Hauptaufgaben der Gentechniknovelle. aa. Beschleunigung/Deregulierung24 Die Freisetzungsrichtlinie sieht für das Verfahren der Inverkehrbringens-Genehmigung kurze Entscheidungsfristen vor25 . Der deutsche Gesetzgeber muss Buchstaben und Geist dieses Beschleunigungsanliegens umsetzen. Dies bedeutet zuerst einmal eine genaue Übernahme der genannten Tagesfristen für die jeweiligen Verfahrensabschnitte. Darüber hinaus sind bei im Zulassungs-Stadium befindlichen GVO für eine Übergangszeit von drei Jahren Futtermittel und Lebensmittel mit einem GVO-Anteil von nicht höher als 0,5% generell von der Genehmigungspflicht auszunehmen, sofern diese Verunreinigungen zufällig oder technisch nicht zu vermeiden sind und der Antragsteller nachweisen kann, dass er die geeigneten Schritte unternommen hat, um Kontaminationen zu vermeiden. Die Einzelheiten dieses Befreiungsverfahrens (u.a. Zustimmung der wissenschaftlichen Ausschüsse der EU bzw. der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit) sind in Art. 12a Freisetzungsrichtlinie sowie in Art. 47 der VO 1829/2003/EG26 geregelt und lassen für die Umsetzung keinen nationalen Spielraum. Verfahrensvereinfachungen werden durch Art. 6 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 4 Freisetzungsrichtlinie dadurch ermöglicht, indem die Antragsteller auf Daten und Ergebnisse anderer Anmelder Bezug nehmen können. Dies erfolgt mit der Einschränkung, dass es sich hierbei nicht um vertrauliche Daten handelt, deren Offenlegung der andere Anmelder nicht zugestimmt hat. Das deutsche Recht ist insoweit 17 (vgl. zu hierzu etwa Anhang II zur RL 2001/18, Teil B (Allgemeine Prinzipien), Spiegelstrich 4). 18 §§ 4 ff. des Gesetzesentwurfs. 19 Hierzu umfassend Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004 mit umfangreichen Nachweisen. 20 Art. 2 Nr. 8 (Definition der Risikobewertung) sowie Anhang II (Grundprinzipien der Risikobewertung). 21 Vgl. die Def. in Art. 2 Nr. 3 sowie § 3 Nr. 7 GenTG. 22 Vgl. auch § 3 Nr. 8 GenTG. 23 Auch § 3 Nr. 7 GenTG geht ersichtlich von diesem Verhältnis von Freisetzung und Inverkehrbringen aus. 24 Zur Kritik an der Überregulierung des Gentechnikrecht Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992. 25 Vgl. Art. 13 Abs. 1 UA 3; 14 Abs. 2; 15 Abs. 1, 3; 16 Abs. 3; 17 Abs. 1, 4-8; 18. 26 ABl. L 268/1 ff. v. 18.10.2003. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 173 EurUP 4 | 2004 damit nicht vereinbar, als nach § 17 Abs. 1 S. 4 GenTG die Bezugnahmen auf Daten Dritter nur bei deren Zustimmung ermöglicht. Hier ist also eine Erweiterung der Bezugnahmemöglichkeit auch auf Fälle ohne Zustimmung Dritter vorzunehmen, soweit die Daten nicht vertraulich sind. Art. 8 Freisetzungsrichtlinie schafft eine Verfahrenserleichterung für Freisetzungen, indem nicht jede Änderung der ursprünglich genehmigten Freisetzung einer neuen Genehmigung bedarf, sondern nur dann, wenn diese Auswirkung auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben. Das aktuelle deutsche Recht ist insoweit unklar. Die Frage der Notwendigkeit einer neuen Genehmigung lässt sich nur unter Rückgriff auf das in § 43 Abs. 2 VwVfG normierte Institut der Erledigung lösen: Neue genehmigungspflichtige Änderungen gibt es immer dann, wenn die Änderung zu einer Erledigung der gültigen Freisetzungsgenehmigung geführt hat27 . Es wäre zwar auch denkbar, den § 43 Abs. 2 VwVfG im Rahmen von Freisetzungsgenehmigungen im Sinne des Art. 8 Freisetzungsrichtlinie auszulegen. Da der EuGH aber regelmäßig nur eine klare gesetzliche Regelung und nicht etwa bloße Verwaltungspraktiken oder die Chance auf entsprechende Auslegung durch die Gerichte als Umsetzung von EU-Recht akzeptiert28 , sollte eine gesetzliche Klarstellung in § 14 GenTG dahingehend erfolgen, dass nur solche Änderungen genehmigungspflichtig sind, die Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nach sich ziehen können. Im Spannungsfeld von Deregulierung einerseits und verschärften Sicherheitsstandards andererseits befindet sich die durch Art. 15 Abs. 4 eingeführte Maximaldauer von 10 Jahren einer Inverkehrbringens-Genehmigung. Damit soll eine regelmäßige Überprüfung der Genehmigungen sichergestellt werden. Gewissermaßen als Ausgleich dafür, dass es jetzt eine unbefristete Genehmigung nicht mehr gibt, stellt Art. 17 Freisetzungsrichtlinie ein vereinfachtes Verfahren bei Verlängerungsanträgen zur Verfügung, welches der Bundesgesetzgeber übernehmen muss. Dem Beschleunigungsgedanken wird durch die Ausgestaltung der Freisetzungs- und vor allem der Inverkehrbringens-Genehmigung Rechnung getragen. Mit der Zusammenfassung der Akte29 soll die vielfältige Beteiligung von EU-Behörden und Behörden anderer Mitgliedstaaten im Rahmen der Genehmigungsverfahren (vgl. etwa 27 Herdegen/Dederer, in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht/Biomedizinrecht, Band 1, B § 14 GenTG Rn. 43. 28 St. Rspr, zu entsprechenden Vertragsverletzungsverfahren etwa EuGH DVBl. 1991, 863; 1993, 167; NVwZ 1999, 1216. 29 Art. 6 Abs. 2 vii; 13 Abs. 2h Freisetzungsrichtlinie. 30 Allgemein zur Problematik der Nationalen Sonderwege Palme, Nationale Umweltpolitik in der EG, Art. 100a Abs. IV im Rahmen einer Europäischen Umweltgemeinschaft, 1992. 31 Hierzu Lemke, Gentechnik – Naturschutz – Ökolandbau, 2003, 119 m.w.N. 32 Vgl. hierzu Kamann/Tegel, Nationale Handlungsspielräume im Gentechnik-Genehmigungsverfahren NVwZ 2001, 44 ff. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 173 Art. 13 Abs. 1 S. 2; 15; 18 Freisetzungsrichtlinie) praktikabler und damit schneller gemacht werden. § 15 GenTG ist also entsprechend zu ergänzen. Die Freisetzungsrichtlinie sieht die InverkehrbringensGenehmigung als transnationalen, EU-weit gültigen Verwaltungsakt an. Die Genehmigung wird also in einem Mitgliedsstaat erteilt und ist dann grundsätzlich von allen anderen Mitgliedstaaten zu akzeptieren, da nur so das Ziel eines Binnenmarktes ohne Handelsschranken erreicht werden kann. Geregelt ist dieses Konzept in den Art. 13 Abs. 1 S.1 und 19 Abs. 1 Freisetzungsrichtlinie. Damit unvereinbar ist die in § 14 Abs. 5 GenTG vorgeschriebene Gleichwertigkeitsprüfung, welche den deutschen Zulassungsbehörden bisher eine Art Nachprüfung der Genehmigung anderer Mitgliedsstaaten ermöglicht und somit zu einer Entwertung dieser anderen EU-Genehmigungen führen kann. Da aber die Schaffung eines Binnenmarktes ohne Handelshemmnisse eines der zentralen Ziele der Rechtsangleichungsmaßnahmen des Art. 95 EGV ist und die Freisetzungsrichtlinie auf diese Norm gestützt wurde, sind solche Nachprüfungen der Genehmigung anderer Mitgliedstaaten unzulässig und daher gem. Art. 22 Freisetzungsrichtlinie ausdrücklich verboten. Der Passus „nach gleichwertigen Vorschriften“ in § 14 Abs. 5 GenTG ist daher ersatzlos zu streichen oder durch einen Verweis auf das reformierte Schutzklauselverfahren nach Art. 23 zu ersetzen. Nationale Alleingänge30 gegen Genehmigungsentscheidungen anderer EU-Behörden, wie das im Jahre 2000 verfügte Anordnen des Ruhens der Genehmigung seitens des Bundesgesundheitsministeriums gegenüber der Firma Aventis, die über eine rechtskräftige Genehmigung französischer Behörden in Sachen Gen-Mais verfügte31 , sind seit dem 2001 novellierten EU Freisetzungsrecht nicht mehr in dem breiten Ausmaß des früheren Art. 16 RL 90/220/EWG (der Vorgängerrichtlinie zum aktuellen EU-Freisetzungsrecht) möglich. Sie beschränken sich auf Ausnahmesituationen und das Vorliegen neuer Erkenntnisse und schließen jede wie auch immer geartete Routinenachprüfung der Behördenentscheidungen anderer Mitgliedstaaten aus. Das an erheblich schärfere Bedingungen geknüpfte neue Schutzklauselverfahren erfordert auch eine entsprechende Anpassung von § 20 Abs. 2 GenTG: die deutschen Behörden dürfen in Zukunft nur noch unter den Bedingungen des neuen Art. 23 Freisetzungsrichtlinie (insb. nur bei neuen Erkenntnissen) das vorübergehende Ruhen von eigenen oder fremden Inverkehrbringens-Genehmigungen anordnen32 . bb. Verschärfte Sicherheitsstandards Wie sich aus nahezu allen Begründungserwägungen der Freisetzungsrichtlinie ergibt, ist deren zentrales Anliegen ein gegenüber der alten Richtlinie verschärftes Sicherheitsniveau. Dies erfordert in vielfältiger Weise eine Anpassung des deutschen Genehmigungsverfahrens in formeller und materieller Hinsicht. So ist der aktuelle Katalog genehmigungspflichtiger Vorgänge des § 14 GenTG nicht mit Art. 6 Abs. 9 Freisetzungsrichtlinie vereinbar. Denn das neue EU-Recht verbie- EurUP_4/2004#06 174 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 174 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik tet ausdrücklich das Inverkehrbringen von GVO aus Versuchsfeldern mit der Begründung, für die experimentell freigesetzten GVO existiere schon eine (Freisetzungs)genehmigung33 sodass eine weitere (Inverkehrbringens)Genehmigung34 nicht mehr nötig sei. Das geltende GenTG lässt dies über die Definition des Inverkehrbringens in § 3 Nr. 6, der bei bereits vorliegender Freisetzungsgenehmigung begrifflich ein Inverkehrbringen ausschließt, zu35 . Dies ist deshalb problematisch, weil die Inverkehrbringens-Genehmigung, welche ja im Gegensatz zu der auf eine ganz bestimmte Fläche begrenzten Versuchsfreisetzung die GVO für den prinzipiell unbegrenzten Einsatz unter den verschiedensten Bedingungen freigibt, einer ganz anderen Risikoermittlung bedarf. § 14 GenTG ist also dahingehend klarzustellen, dass das Vorliegen einer Freisetzungsgenehmigung nicht zum Inverkehrbringen der versuchsweise angebauten Kulturen berechtigt. Umzusetzen ist auch Art. 15 Abs. 4 Freisetzungsrichtlinie, wonach eine Inverkehrbringens-Genehmigung in Zukunft nur noch für einen Zeitraum von maximal 10 Jahren erteilt wird. Verlängerungen bedürfen einer neuen, wenn auch vereinfachten Sicherheitsüberprüfung, Art. 17 Freisetzungsrichtlinie. Mit EU-Recht unvereinbar war die bisherige Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 3 HS 1 GenTG, wonach dem Zulassungsantrag einer Freisetzung nur die Beschreibung der sicherheitsrelevanten Eigenschaften des GVO beizufügen waren36 . Da Art. 6 Abs. 2 a ii RL 2001/18 eine Beschreibung aller Eigenschaften des GVO verlangt und die Beurteilung der Frage, ob diese sicherheitsrelevant sind oder nicht, alleine der Genehmigungsbehörde überlassen will, ist das Wort „sicherheitsrelevanten“ ersatzlos zu streichen. Da echte Kontrolle aber auch Vertrauen in die Gentechnik ein Höchstmaß an Transparenz erfordert, schreibt Art. 9 Freisetzungsrichtlinie eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung bei Freisetzungsgenehmigungen aller Art vor. Ausnahmen davon in Fällen von Organismen „mit begrenzter Ausbreitung“, wie es § 18 Abs. 2 S. 1 GenTG vorsieht, sind damit nicht vereinbar. Lediglich im Rahmen der Regelungen über die differenzierten Verfahren nach Art. 7 Freisetzungsrichtlinie ist eine Beschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung möglich. In die gleiche Richtung geht auch die Neufassung der Vertraulichkeitsregelungen insbesondere durch Art. 25 Abs. 4 Spiegelstrich 1 Freisetzungsrichtlinie, wonach die beabsichtigten Verwendungszwecke der GVO nicht mehr dem Geheimnisschutz unterliegen. Denn eine am Vorsorgegrundsatz orientierte öffentliche Diskussion der gentechnischen Projekte erfordert die frühzeitige Kenntnis der beabsichtigten Einsatzfelder. § 17a Abs. 2 GenTG ist daher entsprechend zu ergänzen. Nach Art. 19 Abs. 3 Freisetzungsrichtlinie hat die Inverkehrbringens-Genehmigung folgende inhaltliche Anforderungen: die genaue Beschreibung des jeweiligen GVO inklusive Anwendungsbereich und Verwendungszweck, eine (höchstens 10-jährige) Befristung, die Bedingungen für das Inverkehrbringen einschließlich Handhabung, Ver- packung und für den Schutz besonderer Ökosysteme, Umweltgegebenheiten oder geographischer Gebiete, Vorlagepflicht von Kontrollproben, Kennzeichnungspflichten und einen Beobachtungsplan. Dieser zwingende Inhalt von Inverkehrbringens-Genehmigungen muss eins zu eins in deutsches Recht umgesetzt werden. Effektive Überwachung, zu der die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 5 Freisetzungsrichtlinie verpflichtet sind, setzt konkrete Ansprechpartner in der EU voraus. Anhang IV A Nr. 2 der Freisetzungsrichtlinie verlangt daher Name und Anschrift einer in der Gemeinschaft niedergelassenen Person, die für das Inverkehrbringen verantwortlich ist. Das kann der Hersteller, Einführer und Vertreiber sein. Diese Gewährleistung eines Ansprechpartners in der EU und ggf. das Erlöschen der Genehmigung bei Verlassen der EU ist daher im neuen GenTG sicherzustellen. Ebenfalls von der Überwachungspflicht in Art. 4 Abs. 5 Freisetzungsrichtlinie umfasst ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihren Aufsichtsbehörden die Befugnis zu verschaffen, auch nach Genehmigung ggf. auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Für die Umsetzung im deutschen Recht bietet sich hierfür eine Übernahme der Figur der nachträglichen Anordnung aus dem Immissionsschutzrecht an37 . d. Kennzeichnungspflicht Ein zentrales Anliegen der Freisetzungsrichtlinie ist die durchgängige Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Produkten mit den Worten: „Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen“ (Art. 19 Abs. 3e Freisetzungsrichtlinie). Denn nur wenn Landwirte und Lebensmittelwirtschaft wissen, welches Material sie benutzen, wird die Wahlfreiheit des Verbrauchers in der Praxis gewährleistet38 . Für die Mitgliedstaaten ergibt sich daraus die oben schon angesprochene Verpflichtung, Inverkehrbringens-Genehmigungen zwingend mit einer solchen Kennzeichnungspflicht zu versehen. Darüberhinaus verpflichtet Art. 21 Freisetzungsrichtlinie die Mitgliedstaaten, dass die Einhaltung der Kennzeichnungspflichten auch praktisch gewährleistet ist. Dies ist deshalb ein Problem, weil nur der Inverkehrbringer Adressat der Genehmigungsentscheidung ist, genetisch veränderte Produkte dann aber auf ihrem Weg bis zum Endverbraucher durch viele Hände gehen: Hersteller, Saatguthändler, Großhändler, Zwischenhändler, Landwirte, Lebensmittelfirmen etc. Die Freisetzungsrichtlinie schreibt deshalb in Art. 21 zwingend vor, dass die Kennzeichnung „auf allen Stufen“ des 33 Art. 6 Freisetzungsrichtlinie. 34 Art. 13 Freisetzungsrichtlinie. 35 Vgl. hierzu Herdegen/Dederer a.a.O., § 14 Rn. 53. 36 Zur alten Rechtslage Herdegen/Dederer a.a.O., § 15 Rn. 76. 37 Hierzu Feldhaus, Bundes Immissionsschutzrecht, Kommentar, Stand 118 EL 2004; § 17. 38 Die Kennzeichnung genetisch veränderter Lebensmittel richtet sich nach Art. 12 ff. VO 1829/2003/EG. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 175 EurUP 4 | 2004 Inverkehrbringens durch ein Etikett oder Begleitdokument gewährleistet ist. Zwar gibt es auch bisher schon im deutschen Recht Regeln über die Kennzeichnung, aber über eine Vielzahl von Vorschriften zersplittert39 . Das große Gewicht, welches die EU der Kennzeichnung beimisst, erfordert aber eine ausdrückliche Regelung im GenTG selbst. Auf der anderen Seite ist der deutsche Gesetzgeber aber auch verpflichtet zur Umsetzung der von der EU jeweils beschlossenen Schwellenwerte im Rahmen der Ausnahmeregelungen der Art. 21 Abs. 2, 3. So existiert bei Produkten, die unmittelbar für die Verarbeitung vorgesehen sind, zur Zeit ein Schwellenwert von 0,9%. Unternehmer und Landwirte haben ein europäisch garantiertes Recht darauf, unterhalb dieser Schwellenwerte nicht mit Kennzeichnungspflichten belastet zu werden. e. Beobachtungs- und Mitteilungspflichten Wegen der oft unvorhersehbaren und ihren Einzelheiten noch nicht geklärten Entwicklungsmöglichkeiten und Wirkungspfade genetisch veränderter Organismen verlangt das EU-Recht gem. Art. 4 Abs. 5, Art. 13 Abs. 2, 19 Abs. 3, 20 sowie Annex VII Freisetzungsrichtlinie eine umfassende Überwachung des in Verkehr gebrachten GVO, durchzuführen teils von den Aufsichtsbehörden, teils nach den Vorgaben der Inverkehrbringens-Genehmigung von den Anmeldern selbst. Dieses Überwachungssystem ist vom deutschen Gesetzgeber zu übernehmen. Wegen des Grundsatzes der institutionellen Eigenständigkeit der EUMitgliedstaaten40 besteht zwar ein gewisser Spielraum bei der Organisation dieses Systems, da aber im Endeffekt eine lückenlose Beobachtung genetisch veränderter Organismen zu gewährleisten ist, dürfte dieser in der Praxis nicht allzu groß sein. Es bietet sich daher folgendes zweigeteilte System an: Eine fallspezifische Beobachtung des Anmelders zur laufenden Überprüfung der im Rahmen der Genehmigung vorgenommenen Risikobewertung sowie eine von den Behörden wahrgenommene allgemeine Umweltbeobachtung zur frühzeitigen Erkennung von in der Genehmigung noch gar nicht erkannten Risiken. Letzteres gebietet auch Europäisches Umweltverfassungsrecht in Form des Vorsorgeprinzips, da bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Grundlagen über die langfristigen Wirkungen von GVO bestehen. Inwieweit diese allgemeine Umweltbeobachtung komplett im Rahmen des jetzt schon durch § 12 BNatSchG vorgeschriebenen naturschutzrechtlichen Beobachtungssystems angesiedelt41 oder in einer speziellen Vorschrift des GenTG aufgenommen werden soll, steht im Ermessen des Gesetzgebers. Allerdings legt das hierfür erforderliche hochspezifische natur- 39 § 15 Abs. 3 Nr. 6, 6 Abs. 1 Nr. 5 GenTVfO iVm Anlage 3. 40 Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 547 ff. 41 Vgl. hierzu Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2003, § 12. 42 Vgl. hierzu im insoweit ähnlich gelagerten Bodenschutzrecht Ziegler, Datenschutz und Informationsinteresse am Beispiel der Bodendaten, NVwZ 1993, 347 ff. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 175 wissenschaftliche Fachwissen eine in welcher Weise auch immer gestaltete Sonderabteilung für die Beobachtung von GVO nahe. Ebenfalls von Vorsorgeprinzip gefordert ist die Mitteilungspflicht des Inhabers einer Freisetzungsgenehmigung an die Behörde nach Art. 8 Freisetzungsrichtlinie, wonach dieser absichtliche oder unbeabsichtigte Änderungen bei den Freisetzungsparametern mitzuteilen hat. Eine weitere Mitteilungspflicht stellt Art. 10 Freisetzungsrichtlinie auf, wonach der Antragsteller einer Freisetzungs-Genehmigung auch nach Abschluss der Freisetzung in gewissen Abständen den Überwachungsbehörden die Ergebnisse der Freisetzung in Bezug auf die Gefahren für Mensch und Umwelt mitzuteilen hat. Der deutsche Gesetzgeber ist also zu einer entsprechenden Ergänzung der in § 21 GenTG geregelten Mitteilungspflichten aufgefordert. Die Freisetzungsrichtlinie sieht aber auch in Art. 4 Abs. 5, 8 Abs. 2, 20 Abs. 4 sowie 23 Abs. 1 eine umfassende Unterrichtungspflicht der Öffentlichkeit durch die Behörden vor, um so zum einen die Transparenz dieser Risikotechnologie zu erhöhen und zum andern eine frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit bei drohenden Gefahren sicherzustellen. Diese Unterrichtungspflichten hat der deutsche Gesetzgeber unter gebührender Berücksichtigung von Datenschutz, Geschäftsgeheimnis und Amtsgeheimnis umzusetzen42 . In diesen Zusammenhang gehört auch die Einrichtung des von Art. 31 Abs. 3 Freisetzungsrichtlinie vorgeschriebenen Standortregisters für Flächen mit genetisch veränderten Organismen. Sinn dieser Register ist zum einen die Erhöhung von Transparenz und Sicherheit bei dieser Risikotechnologie. Zum andern sind sie aber auch ein unverzichtbarer Bestandteil des vom EU-Recht vorgeschriebenen Koexistenzkonzepts (hierzu ausführlich unten f.). Wie und von welchen staatlichen Stellen solche Register geführt werden, steht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Aus Praktikabilitätgründen bietet sich eine Ansiedlung bei den Kommunen und Landkreisen sowie eine bundes-/landesweite Zusammenfassung per Internet an. EU-rechtlich gebotene Mindestinhalte solcher Register wären die Bezeichnung des GVO, seine gentechnisch veränderten Eigenschaften sowie Angaben zu den Grundstücken und den Personen, die sie bewirtschaften. Aus Gründen von Datenschutz und Betriebsgeheimnis ist die Unterteilung des Registers in einen freien und einen nur unter dem Nachweis eines berechtigten Interesses zugänglichen Teil sinnvoll. f. Biodiversität/Schutz ökologisch sensibler Gebiete Die EU traf zwar durch die neue Freisetzungsrichtlinie eine Grundsatzentscheidung zugunsten der Nutzung Grüner Gentechnik, ist aber andererseits auch seit 1993 Vertragspartner der Biodiversitätskonvention und hat sich in Art. 32 Freisetzungsrichtlinie zur Umsetzung des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit verpflichtet. Nimmt man hinzu, dass Europäisches Umweltverfassungsrecht in Art. 6 EGV Schutz und Vorsorge für die Umwelt auch in anderen Politikbereichen wie der Rechts- EurUP_4/2004#06 176 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 176 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik angleichung im Rahmen des Art. 95 EGV, auf dem die Freisetzungsrichtlinie beruht, vorschreibt43 , wird klar, dass auch im Rahmen Grüner Gentechnik der Schutz der Ökosysteme einen hohen Stellenwert hat. Auch wenn all diese Rechtsvorschriften den nationalen Gesetzgebern einen großen Handlungsspielraum bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Gentechnik und Ökologie lassen, so lässt sich doch ein Minimalstandard feststellen, der von allen Mitgliedstaaten und damit auch dem deutschen Gesetzgeber zu gewährleisten ist. Positivrechtlich lässt sich dies vor allem an den Regelungen über das Europäische Netz „Natura 2000“ und Art. 8g der Biodiversitätskonvention festmachen. Das Europäische Netz „Natura 2000“ ist ein europaweit eingerichtetes, von der EU-Kommission überwachtes Netz ökologisch wichtiger Gebiete44 . Rechtsgrundlagen hierfür sind FFH-Richtlinie und Vogelschutzrichtlinie45 . Beide Rechtsakte schaffen ein umfassendes Sicherungssystem für die ausgewählten europäischen Schutzgebieten, geregelt in Art. 6 FFH-Richtlinie und Art. 4. Vogelschutzrichtlinie (vgl. auch Art. 8a Biodiversitätskonvention), das sich auch auf Beeinträchtigungen durch die Gefahren der Nutzung Grüner Gentechnik für das ökologische Gleichgewicht bezieht. Für den Mitgliedsstaaten folgt daraus die Pflicht, einen besonderen Überwachungsmechanismus für die neuartigen Risiken, die von GVO auf solche Gebiete ausgehen, einzurichten. Hierfür bietet sich die Einfügung eines neuen Paragraphen in das GenTG an, der zum einen eine Anzeigepflicht für den Anbau von GVO in und neben solchen Gebieten bei der jeweiligen Naturschutzbehörde und für den Notfall eine Untersagungsbefugnis bei erheblichen Beeinträchtigungen vorsieht, die sich – da es um europäische Schutzgebiete geht – an § 34 BNatSchG orientieren könnte46 . Art. 8 g der Biodiversitätskonvention schließlich verpflichtet die EU und ihre Mitgliedstaaten, Mittel zur Regelung, Bewältigung und Kontrolle der Risiken der Grünen Gentechnik für die biologische Vielfalt und das ökologische Gleichgewicht einzuführen. Da das Hauptrisiko die unkontrollierte Kontamination der Natur durch GVO darstellt, hat der deutsche Gesetzgeber Verhaltenssregeln im Zusammenhang mit Anbau, Haltung Lagerung und Transport von GVO zu schaffen und diese staatlich zu kontrollieren. Auch hierfür böte sich ein separater Paragraph im GenTG an. Grundsätze einer guten fachlichen Praxis sind im Pflanzenschutz- Düngemittel- und Bodenschutzrecht seit langem anerkannt und inzwischen durch den neuen § 5 Abs. 4 BNatSchG für die Landwirtschaft bundesweit geregelt47; sie könnten insoweit als auf die Belange der Gentechnik weiterzuentwickelndes Vorbild dienen. Gesetzgebungstechnisch sinnvoll wäre dabei eine rasche gesetzliche Einführung allgemeiner Pflichten, die dann im Laufe der Zeit durch Rechtsverordnungen genauer ausgeführt werden könnten. Sowohl die Biodiversitätskonvention, als auch die Regelungen zu Natura 2000 lassen zwar einen gewissen Spielraum, der aber nicht unter die Anforderungen des europäischen Umweltverfassungsrechts, insbesondere das Vorsorgeprinzip48 gehen darf. g. Koexistenz Unter dem Koexistenzkonzept versteht die EU einen Kompromiss zwischen den Grundentscheidungen einerseits für die grüne Gentechnik und andererseits für eine Stärkung des ökologischen Landbaus49 . Gentechnik und Biolandbau können sich auf Gewährleistungen sowohl auf EU-Verfassungsebene als auch im Sekundärrecht berufen. So streiten neben der in der Freisetzungsrichtlinie getroffenen Grundsatzentscheidung auch die Europäische Wirtschaftsund Investitionsgrundrechte für eine Nutzung der Grünen Gentechnik. Andererseits erfordert das in Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV statuierte Vorsorgeprinzip die Etablierung und Sicherung einer starken Ökolandwirtschaft allein schon deshalb, um im Falle des Auftretens unvorhergesehener Gefährdungen der mit immer massiveren Eingriffen in das natürliche Gleichgewicht arbeitenden industriellen Landwirtschaft sich evtl. nötige Ausstiegsoptionen nicht zu verbauen. Daneben streitet auch der EU-verfassungsrechtlich garantierte Verbraucherschutz des Art. 3 Abs. 1 lit. t EGV für die Sicherstellung der Wahlfreiheit zwischen gentechnisch veränderten und GVO-freien Lebensmitteln für den EU Bürger. Auf einfachgesetzlicher Ebene fanden viele dieser Anliegen in der Ökolandbau-Verordnung Nr. 2092/91/EWG50 noch einmal ihren Niederschlag im Sekundärrecht. Ähnlich wie im nationalen (Verfassungs)recht muss auch im EU-Recht zwischen diesen beiden gegenläufigen Wertentscheidungen ein Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz gefunden werden. Dieser kann nur darin liegen, beiden Anliegen das ihnen EUrechtlich zugemessene Gewicht zu geben und in Konfliktfällen nach Kompromissen zu suchen. Aus diesen Überlegungen entstand die Empfehlung der EU-Kommission zum Koexistenzkonzept51 sowie der neu eingefügte Art. 26a Freisetzungsrichtlinie52 (wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen gegen das „unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO in anderen Produkten“ – vor allem also Bioprodukte – treffen können). Versteht man den Art. 26a im 43 Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997, S. 15. 44 Vgl. hierzu umfassend die Kommentierung bei Schumacher/FischerHüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 32 ff. 45 Abgedruckt etwa bei Schumacher/Fischer-Hüftle, 2003, a.a.O., im Anhang. 46 Zur Projektprüfung bei Natura 2000 Gebieten Schumacher/FischerHüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 34. 47 Vgl. hierzu Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, § 5 Rn. 23 ff. 48 Zu den sich hieraus ergebenden einzelnen Anforderungen Winter, ZUR 2003, 137 ff. 49 Umfassend hierzu auch Hermanowski/Tappeser, Öko Institut Freiburg/Darmstadt, Forschungsinstitut für biologischen Landbau Berlin, Grüne Gentechnik und ökologische Landwirtschaft, Gutachten im Auftrag des Umweltbundesamts, 2002. 50 ABl. Nr. L 198/1 ff. v. 22.7.1991, zuletzt geändert ABl. Nr. L 243/3 v. 13.9.2001. 51 ABl. Nr. L 189/36 ff. v. 29.7. 2003). 52 Art. 43 Nr. 2 der VO 1829/2003, ABl. Nr. ABl. Nr. L 268/21 v. 18.10.2003. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 177 EurUP 4 | 2004 Kontext der eben genannten Wertungen, so lässt sich das den Mitgliedstaaten insoweit überlassene Ermessen („können“) in zwei Bereiche aufteilen: eine durch EU-Recht vorgegebenen Pflicht-Umsetzung sowie eine darüberhinaus gehende nationale Kann-Umsetzung. Die Pflicht-Umsetzung wird durch die oben angesprochenen Normen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts53 inklusive der Empfehlung der EU-Kommission vorgegeben. Konkret bedeutet dies, dass sowohl GVO-Kulturen als auch der Ökolandbau eine Existenzberechtigung haben54 . Dem Recht gentechnisch wirtschaftender Unternehmen auf Ausübung ihres Gewerbes wurde durch die Gesamtheit der Vorschriften der Freisetzungsrichtlinie genüge getan. Ließe man aber GVO unbeschränkt zu, wären Kontaminationen von Biokulturen durch Auskreuzung und Pollenflug nicht mehr zu verhindern und damit der vom EU-Recht garantierte Ökolandbau, dessen geradezu konstitutives Element der Verzicht auf Gentechnik ist (Art. 5 Abs. 3 lit. h Ökolandbauverordnung), zerstört. Die EU ist also zu einem Mindestmaß an Schutz für den Ökolandbau verpflichtet und delegierte die Ausführung dieses Rechtsauftrages nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 EGV niedergelegten Subsidiaritätsprinzips in Art. 26a auf die Mitgliedstaaten55 . Dieses Mindestmaß ist dann erreicht, wenn die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen dafür Sorge tragen, 53 Regelungsvorgaben für die Haftung im Rahmen des Koexistenzkonzepts sind aus der neuen EU Haftungsrichtlinie RL 2004/35 v. 21.4.2004 (ABl Nr. L 143/56 ff. vom 30.4.2004) nicht abzuleiten, da diese RL gem. Art. 3 Abs. 3 Privatpersonen von deren Anwendungsbereich ausnimmt und daher nur der Allgemeinheit entstehende ökologischen Schäden betrifft, vgl. Stökl, Die Gentechnik und die Koexistenzfrage: Zivilrechtliche Haftungsregelungen, ZUR 2003, 274ff, 275. 54 So auch die EU Kommission in Erwägung 1 ihrer Koexistenzempfehlung (ABl. Nr. L 189/36 ff. v. 29.07. 2003). 55 So ausdrücklich auch die EU Kommission in den Erwägungen 4 und 7 sowie unter Punkt 1.4. der Koexistenzempfehlung. 56 Vgl. Art. 12 Abs. 2 VO 1829/2003/EG. 57 Diesen wichtigen Aspekt hebt die EU-Kommission unter 1.1 der Koexistenzempfehlung ausdrücklich hervor. 58 Vgl. hierzu Loosen, Zur Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel, ZLR 2000, 434 ff. 59 So auch die EU Kommission in ihrer Koexistenzempfehlung unter 2.1.2. 60 Bisher ergingen vor allem zwei wichtige Zivilurteile zu diesem Problemkomplex, abgedruckt bei Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht/Biomedizinrecht, Bd. 5: Nr. 1 zu § 23 GenTG (LG Stuttgart v. 9.5.1997 – 2 O 15/97) sowie die Berufungsentscheidung Nr. 2 zu § 23 GenTG (OLG Stuttgart v. 24.8.1999 – 14 U 57/97). 61 Hierzu Schlacke, Rechtsprechungsübersicht Gentechnik, ZUR 2001, 393ff, 397f. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 177 dass Bioprodukte jedenfalls nicht so stark durch GVO verunreinigt werden können, dass sie nur noch als gentechnisch veränderte Lebensmittel verkauft werden könnten56 , da gentechnisch veränderte Lebensmittel als Bioprodukte unverkäuflich sind57 . Praktisch bedeutet dies, dass die nationalen Rechtsordnungen Maßnahmen treffen müssen, damit sich Biobauern gegen eine Verunreinigung mit GVO über den kennzeichnungspflichtigen Schwellenwerten von derzeit 0,9%58 wehren können59 . Da im deutschen Recht dieser Konflikt bereits in Nachbarrecht der §§ 1004/906 BGB in den Grundzügen jedenfalls durch Unterlassungsund Ausgleichsansprüche für die Ökobauern geregelt ist60 , bieten sich für die Umsetzung in Deutschland prinzipiell zwei Lösungswege an: eine EU-rechtskonforme Koexistenzrechtsprechung der Zivilgerichte61 oder die von der EU-Kommission angeregte62 Klarstellung und Ergänzung des Nachbarrechts im Rahmen der anstehenden GenTGNovelle. Betrachtet man allerdings die Komplexität gentechnischer Sachverhalte, die neu auftauchenden Rechtsfragen, die Ungewissheit einer entsprechenden Umsetzung durch die Gerichte63 sowie auch finanzielle Folgewirkungen des Koexistenzkonzepts, scheint eine ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber zwingend geboten. Inhalt einer solchen Ergänzung des Nachbarrechts müsste sein: 1. Die Klarstellung, dass Übertragung von GVO direkt auf Pflanzen der Nachbargrundstücke64 als „wesentliche Beeinträchtigungen“ grundsätzlich vom Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Systems der §§ 1004/90665 umfasst sind. 2. Die Klarstellung, dass eine solche wesentliche Beeinträchtigung dann vorliegt, wenn Bioprodukte als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen. 3. Eine Definition der „wirtschaftlichen Zumutbarkeit“ von Sicherungsmaßnahmen durch gentechnisch wirtschaftende Landwirte zum Schutz ihrer biologisch wirtschaftenden Nachbarn. 4. Die Anordnung gesamtschuldnerischer Haftung bei mehreren gentechnisch wirtschaftenden Landwirten in der Nachbarschaft eines Biobauern. 5. Die Aufnahme der Koexistenz in den Katalog der Gesetzeszwecke, um eine Berücksichtigung des EU-rechtlich gebotenen Ziels bei der Interpretation und Anwendung des gesamten GenTG zu gewährleisten. 6. Eine Regelung über die Kostentragung bei Vermeidung und Schutz vor Auskreuzungen sowie Analytik zur Feststellung der Schadensverursacher unter angemessener Berücksichtigung des EU-verfassungsrechtlich in Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV vorgeschriebenen Verursacherprinzips. 62 2.1.9 der Koexistenzempfehlung der EU Kommission a.a.O. 63 Eine Prognose hierzu bei Stökl, Die Gentechnik und die Koexistenzfrage: Zivilrechtliche Haftungsregelungen, ZUR 2003, 274ff, 276. 2. Optionale Regelungen 64 Die genannten beiden Entscheidungen aus Stuttgart hatten sich nur mit der Frage einer Einkreuzung in die Bodenbakterien zu befassen. Eine direkte Auskreuzung von Pflanze zu Pflanze auf die Nachbarkulturen war gar nicht Thema dieses Rechtsstreits, vgl. auch Hermanowski/Tappeser a.a.O. S. 63 ff. Über diesen Pflichtbestand hinaus hat der nationale Gesetzgeber unter zwei Bedingungen aber auch noch die Möglichkeit zur Schaffung weiterer Regeln: Die Freisetzungsrichtlinie muss hierfür Spielraum lassen, und die Regelungen dürfen nicht gegen sonstiges Primär- und Sekundärrecht der EU verstoßen. Da der nationale Gesetz- 65 § 907 BGB findet keine Anwendung, da transgene Kulturen als „Pflanzen“ i.S.d. § 907 Abs. 2 privilegiert sind, vgl. BGH NJW RR 2001, 1208. EurUP_4/2004#06 178 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 178 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik geber bei Einhaltung dieser allerdings recht engen Grenzen frei nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten agieren kann, sind die folgenden denkbaren Regelungen als reine Anregungen zu verstehen. Eine EU-seitige Verpflichtung zur Einführung besteht indessen nicht. a. Beschleunigung/Deregulierung – Da bei allen Arten von Arbeiten mit GVO eine umfassende Eröffnungskontrolle durch die Genehmigungsbehörden vorhanden ist, kann die in § 6 Abs. 1 GenTG rigide vorgeschriebene Pflicht zur regelmäßigen Überarbeitung von Risikobewertung und Sicherheitsmaßnahmen gelockert werden. Denkbar sind hier zwei Wege: entweder eine zeitlich sehr weitmaschige Überarbeitungspflicht oder die Einführung einer Überarbeitungspflicht nur noch bei bestimmten Anlässen. – Art. 6 Abs. 4 Freisetzungsrichtlinie erhält eine weitere fakultative Deregulierungsmöglichkeit. Danach kann eine Freisetzungsgenehmigung für GVO oder GVOKombinationen am selben Ort oder an verschiedenen Orten erteilt werden. Nach bisherigem Recht erfordert jede Freisetzung der gleichen GVO an einem anderen Ort oder verschiedener GVO an einem Ort eine separate Genehmigung. Allerdings dürfen solche Vereinfachungen nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. – Ein probates Mittel zur Beschleunigung der zu erwartenden Antragsflut wäre eine Spezialisierung der „Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit“ (ZKBS66 ). So böte sich an, Spezialausschüsse einzurichten einerseits für gentechnische Arbeiten in geschlossenen Systemen und andererseits für Freisetzungs- und Inverkehrbringens-Genehmigungen. Die Besetzung der beiden Ausschüsse mit unabhängigen Spezialisten würde zudem noch einen positiven Sicherheitsmehrwert sowie eine Optimierung der Genehmigungsentscheidungen bedeuten. b. Verbesserter Sicherheitsstandart – Zur Präzisierung der Mitwirkungspflichten und Aufgabenverteilung zwischen Behörde und Antragssteller sollte die Behörde ausdrücklich ermächtigt werden, während des Zulassungsverfahrens über die Antragsunterlagen hinaus die Vorlage weiterer Angaben, Unterlagen und Proben verlangen zu können, denn nur so kann sie dem auch im Gentechnikrecht geltenden Untersuchungsgrundsatz67 gerecht werden. – Angesichts des EU-rechtlich eingeführten Koexistenzkonzepts, dem Beitritt zur Biodiversitätskonvention und des Europäischen Naturschutzrechts „Natura 2000“ liegt die Einführung einer zusätzlichen Genehmigungsvoraussetzung, Auskreuzungen auf das unvermeidbare Maß zu minimieren, nahe. – Da der Adressatenkreis einer Inverkehrbringens-Genehmigung weit über den eigentlichen Antragsteller hinaus geht, wäre es sinnvoll, die Bestimmungen der Genehmigung für alle am Inverkehrbringen und Umgang mit diesem Produkt Beteiligten verbindlich zu machen, insbesondere soweit es um seine Anwendung, Beförderung und Lagerung geht. Damit könnte auf allen Produktions- und Vertriebsstufen eine optimale Sicherheit gewährleistet werden. Da es sich dabei um eine Allgemeinverfügung handeln würde, die sich an einen größeren Personenkreis richtet (§ 35 S. 2 1. Alt VwVfG), sollte eine Inverkehrbringens-Genehmigung in Zukunft nach § 41 Abs. 3 VwVfG öffentlich bekannt gemacht werden68 . c. Verstärkter Gebietsschutz Hier stellt sich die Frage, inwieweit über den europarechtlich zwingend gebotenen Schutz der „Natura 2000“-Gebiete hinaus weitere Gebiete vor Beeinträchtigungen durch GVO geschützt werden können. Kann und darf Deutschland über diesen Mindeststandard hinaus etwa Naturschutzgebiete, Biosphärenresevervate, Biotope und Naturparke69 vor Gentechnik schützen? Ist die Einrichtung von gentechnikfreien Zonen, wie sie zur Zeit in vielen Regionen diskutiert wird, zulässig? Diese Fragen sind bisher weitgehend ungeklärt, sodass hier nur grobe Linien vorgegeben werden können. Aus europarechtlicher Sicht sind solche Projekte im Spannungsfeld von Freiem Warenverkehr und Vorsorgeprinzip, beides Rechtsgüter vom Range Europäischen Verfassungsrechts, angesiedelt. Je mehr Schutzgebiete ausgewiesen werden, desto größer werden die Beschränkungen für die in Art. 28 EGV und Art. 22 Freisetzungsrichtlinie garantierte Warenverkehrsfreiheit. Werden aber schutzwürdige Gebiete nicht gesichert und so fahrlässig das ökologische Gleichgewicht gefährdet, verstößt man gegen die Art. 174 ff. EGV. Ein Ansatzpunkt könnte die neue Rechtsprechung des EuGH zum Freien Warenverkehr sein70 . Nach dem sog. Keck-Urteil71 sind nämlich bloße Verkaufsmodalitäten jedenfalls dann nicht mehr als Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit anzusehen, wenn sie den Absatz inländischer und ausländischer Ware gleichermaßen betreffen. Dieser Linie folgend könnten gentechnikfreien Zonen jedenfalls dann als EU-rechtskonform angesehen werden, wenn sie jeweils begründbare Einzelfälle bleiben und nicht zu einer Konterkarierung der europäischen Grundsatzentscheidung für die Nutzung der Grünen Gentechnik führen. Ein deutschlandweit flächendeckendes Netz kommunaler gentechnikfreier Zonen wäre also unzulässig. 66 Vgl. zu diesem Gremium etwa Di Fabio, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Gentechnikrecht/Biomedizinrecht, Bd. 1, §§ 4,5; Schmieder, Risikoentscheidungen im Gentechnikrecht, 2004, 68 ff., 238 ff. 67 Hierzu Herdegen/Dederer a.a.O. § 15 Rn. 37 ff. 68 Zu dieser Sonderform einer Verwaltungsakts-Bekanntmachung Hennecke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 41 Rn. 21 ff. sowie Dürr, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 69 Rn. 10 ff. 69 Vgl. zu den Schutzgebietstypen im Einzelnen die Kommentierung bei Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2003, §§ 22 ff. 70 In diese Richtung geht auch Lemke, Gentechnik – Naturschutz – Ökolandbau, 2003, 244 ff. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 179 EurUP 4 | 2004 d. Weitere Regeln zum Koexistenzkonzept Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit über den europarechtlich gebotenen Koexistenz-Mindeststandard hinaus weitere nationale Regelungen sinnvoll und zulässig sind. Unproblematisch und sicher zweckmäßig wäre hier zum Beispiel eine gesetzgeberische Klarstellung zum Begriff der „Ortsüblichkeit“ im Rahmen des § 906 Abs. 2 BGB, konkret also zu der Frage, wann der Anbau gentechnisch veränderter Kulturen ortsüblich im Sinne des Nachbarrechts ist. Aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der europäischen Grundsatzentscheidung für die Nutzung der Grünen Gentechnik würde dies bedeuten, jeden Anbau von GVO, für den eine wirksame EU-Inverkehrbringens-Genehmigung vorliegt, als ortsüblich einzustufen. Es kann also nicht darauf ankommen, ob die Nutzung der Gentechnik in der jeweiligen Region tatsächlich auch praktiziert wird. Problematischer und bisher nicht geklärt ist die Frage, inwieweit der nationale Gesetzgeber eine Verschärfung des Koexistenzkonzepts zugunsten der gentechnikfrei produzierenden Landwirte dergestalt einführen kann, dass bereits Kontaminierungen unter den europäischen Schwellenwerten zur Kennzeichnungspflicht Unterlassungs- und Haftungsansprüche auslösen. Auch hier droht nämlich der oben bereits beschriebene Konflikt zwischen Europäischem Umweltschutzrecht einerseits und Warenverkehrsfreiheit andererseits. Für eine Verschärfung der Haftungsregeln in einen Bereich unter die Schwellenwerte spricht die in anderen Staaten bereits zu beobachtende schleichende Kontamination der gesamten Landwirtschaft durch GVO mit der Folge, dass langfristig kein 71 EuGH, Urt. v. 24.11.1993, Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I-6097; hierzu etwa Oppermann, Europarecht, 1999 Rn . 1292, Fezer, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, JZ 1994, 317ff, Epiney, Zu den Rückwirkungen der neuen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV im Bereich des Umweltrechts, ZUR 1995, 24 ff. 72 Vgl. u.a. Bartsch (2001), Umweltfolgewirkungen des großflächigen Anbaus transgener Pflanzen und deren Bewertung, in: Lemke & Winter (eds.): Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen, S. 145-163; Kleihauer (1998), Umweltfolgenabschätzung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen – Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen im internationalen Vergleich. 73 Lemke & Winter a.a.O. 74 Vgl. http://www.gsf.de/Aktuelles/Zeitschriften/Broschueren/Genforschung/pdf/24-28.pdf; vgl. auch Gibbs (2004): Proziosen im DNA-Schrott – Spektrum der Wissenschaft 27 (2), S. 68-75. 75 Einen breiteren Überblick geben Czarnetzki & Schlee (2004, in Vorbereitung), Vertikaler und horizontaler Gentransfer – zum Stand der Forschung und Relevanz für die Gentechnik. – Naturschutzrecht in Recht und Praxis – interdisziplinäre Online-Zeitschrift für Naturschutz und Naturschutzrecht, http://www.naturschutzrecht.net. 76 Breckling & Züghart (2001), Die Etablierung einer ökologischen Langzeitbeobachtung beim großflächigen Anbau transgener Nutzpflanzen, in: Lemke & Winter (eds.), Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen. Umweltbundesamt (ed.) (= Berichte / Umweltbundesamt; 2001,3), S. 319-343. 77 In: Lemke & Winter a.a.O. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 179 gentechnikfreier Anbau mehr möglich ist, ein Ergebnis, das mit dem Vorsorgegrundsatz des Art. 174 nicht zu vereinbaren wäre. Gegen eine Verschärfung spricht wiederum die Gefahr einer faktischen Aushebelung der europäischen Grundsatzentscheidung für die Gentechnik via nationalem Haftungsrecht. Ähnlich ist die Sachlage bei der Einrichtung gentechnikfreier Zonen zum Schutz gentechnikfrei arbeitender Landwirte, abgesehen vom Sonderfall geschlossener Anbaugebiete für gentechfreies Saatgut, die unproblematisch nach dem Vorbild des § 29 SaatgutVerkehrsG eingerichtet werden könnten. III. Naturschutzrechtlich-biologische Fragestellungen 1. Koexistenzproblematik Dem Koexistenzkonzept sind von naturwissenschaftlicher Seite Grenzen gesetzt. Eine Übertragung von Genkonstrukten auf Wildarten oder konventionell gezüchtete Kulturpflanzen ist – und darüber herrscht durchaus Konsens zwischen Befürwortern und Gegnern der Gentechnik – prinzipiell möglich, dies wurde sowohl unter Laborbedingungen als auch, freilich seltener, unter Freilandbedingungen längst nachgewiesen72 . Prinzipiell werden zwei Wege des Gentransfers unterschieden. Zum einen ist dies beim vertikalen Gentransfer die direkte Weitergabe des Erbmaterials an die Nachkommenschaft derselben Art oder doch zumindest an Vertreter einer nahverwandten Sippe. Letzterer dann als Hybridisierung aufzufassende Vorgang ist im Pflanzenreich weitaus häufiger verbreitet als bei tierischen Organismen. Zum anderen spielt aber auch ein erst seit ca. 30 Jahren in seiner Bedeutung erkannter horizontaler Gentransfer in der Evolution eine Rolle, bei der genetisches Material über Artgrenzen und sogar Organismenreiche hinweg weitergegeben werden kann. Dabei stelle sich seit längerem nicht mehr die Frage nach dem ob, sondern nach den genaueren Bedingungen, dem Ausmaß und den Folgen des horizontalen Gentransfers73 . Die Existenz von mindestens 8% Anteil von humanen endogenen Retroviren (HERVs) am menschlichen Genom74 , klassischerweise die Konjugation und der dabei stattfindende Austausch von Plasmiden bei Bakterien, die Aufnahme von Mikroorganismen durch Zellen beispielsweise in Insektendärmen oder auch die Aufnahme pilzlicher Zellen durch Pflanzenzellen mit jeweils der Möglichkeit des Einbaus von DNA-Abschnitten, zeugen von der enormen Wichtigkeit für die (Co-)Evolution der Lebewelt75 . Auch das Durchsequenzieren noch so vieler Gesamtgenome wird niemals nennenswerte Teile der Evolution nachzeichnen können, weil auch „die Evolution im strikten Sinne kein Experiment, also nicht abgeschlossen, nicht wiederholbar und nicht vergleichbar ist.“ 76 Genomabschnitte werden entfernt, neukombiniert und mutieren zudem in nicht vorhersehbarer Weise. Bezogen auf möglicherweise transferierte Abschnitte aus GVOs fragt v. Weizsäcker77 : „Kann jemand dafür haften, was die Evolution mit seinen Transgenen anfängt?“ oder, wie es EurUP_4/2004#06 180 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 180 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik Backhaus et. al.78 ausdrücken: „... any efforts to get a predictability on processes like the establishment of genes in natural populations is ambitious in so far as we try to forecast evolutionary processes.“ Gefordert79 wird daher der Schutz einer „evolutionären Integrität“. Gemeint ist damit die Ermöglichung des Schutzes der Selbstorganisation im Fortgang der evolutionären Dynamik und dem Erhalt der Wahrung der „Selbstveränderungsfähigkeit der Organismen innerhalb der Grenzen, die sich evolutionär herausgebildet haben.“ Der Hinweis auf diese langfristige Ausrichtung erscheint wichtig, zumal durch die Nichtrückholbarkeit der Ereignisse ein Gefahrenpotential gegeben ist. Dies ist möglicherweise räumlich und zeitlich durch die schnellere Etablierung der gentechnisch eingebrachten Konstrukte eher gegeben als beim moderateren Einsatz von Kulturpflanzen oder Neobiota, welche ihrerseits natürlich auch die genetische Variabilität und andere Selektionsbedingungen schaffen können und eine „evolutionäre Dynamik“ auslösen. „Der Mensch ‚beschleunigt’ in diesem Sinne natürliche Evolution im Wesentlichen über die Veränderung von Umweltbedingungen, vor allem durch die Ausweitung anthropogener Standorte und die Belastung und Ausbeutung natürlicher Ökosysteme“80 . Hybridpflanzen könnten als Kulturlandschaftsbestandteil in den Naturschutz durchaus eingebunden werden, die Grenzziehung wäre eben vielleicht gerade bei der Gentechnik zu legen, wo über „taxonomische Grenzen und historische Zeiträume hinweg“ agiert wird81 . Aus naturschützerischer Sicht wäre demnach ein Überdenken der Freisetzung von Organismen allgemein notwendig, die gebietsfremde Arten im Sinne von Schumacher/Fischer-Hüftle82 breiter fasst und dies auch stärker kontrolliert, gewissermaßen ein allgemeines Inverkehrbringensrecht von GVOs wäre dementsprechend ein Teil hiervon. Sie sind ohnehin dem „exotic species model“ nicht vollständig gleichzustellen83 . Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass jeglicher Gentransfer prinzipiell möglich erscheint84 . Ab wo die Gefahrenschwelle beginnt, müssen erst noch MonitoringVerfahren (siehe unter 3.) zeigen. Derzeit kann nicht gesagt werden, bei welcher Transfermöglichkeit ein größeres Gefahrenpotential liegen könnte, tendenziell wird aber der vertikale Gentransfer eher eine Rolle spielen und auch schneller und leichter nachzuweisen sein. Man kann Schwellenwerte zwar rechtsverbindlich vorschreiben. Sie einzuhalten fällt aber nicht zuletzt auch wegen methodischer Nachweisproblemen zunehmend schwer. Als gesichert gilt, dass ein Erreichen des 0%Schwellenwertes nicht mehr zu verwirklichen ist85 . 2. Grundzüge einer guten fachlichen Praxis beim Anbau Der Anbau von GVOs wird also auf absehbare Zeit zu Introgressionen des jeweiligen Konstrukts in Wildpflanzen oder andere Nichtzielorganismen führen. Dadurch wird die Frage der Schwellenwerte in den Vordergrund rücken, weil gänzlich unbeeinflusste Flächen schwinden werden. Dabei ist zu bedenken, dass eine Festlegung auf den Anbau von GVOs aufgrund der Überdauerung von Samen im Acker durchaus endgültig für den Landwirt sein kann, und dabei möglicherweise eben auch den benachbarten Landwirt trifft, der neben einem bereits etablierten Acker mit GVOs Ökolandbau betreiben will und keinen Mindestabstand mehr einhalten kann86 . Es stellt sich also die Frage, wie die Koexistenz fachlich zu leisten ist. Hierzu gibt es allerdings noch recht wenige Beobachtungen, geschweige denn handfeste Regelungen, allenfalls wenige Einzelfalluntersuchungen. Durch die Geheimhaltungspraxis wird sich an dieser Situation wohl auch wenig ändern87 . Hinzu kommt das Interesse der GVO einsetzenden Landwirte, einen gezielten Anbau konventionellen Saatgutes weiterhin zu unternehmen, um beispielsweise das alleinige Durchsetzen von resistenten Überlebenden unter den Schadorganismen nach einem selektionierenden Pestizideinsatz zu verhindern und stattdessen die bekämpfbaren Schadorganismen in Rückzugsgebieten als Kreuzungspartner für die resistent gewordenen zu erhalten88 . Einhaltung von Fruchtfolgen und Nachbearbeitungen des Bodens in Bezug auf durchwachsende Pflanzen und Pflanzenreste sind erhebliche Faktoren, die beitragen können, die Möglichkeit eines Gentransfers zu minimieren. Trotz des Einsatzes von Mantelsaaten können indes Gen- 78 Backhaus; Nickel; Fritsch; Huber; Wendt-Potthoff; Engelen; Felske; Nübel & Jehle (1996), From gene transfer to risk assessment: experiences with genetic variability in Baculoviruses and new approaches to analyse the reaction of microbial communities to stress factors, in: Schmidt & Hankeln (eds.), Transgenic organisms and biosafety: Horizontal gene transfer, stability of DNA, and expression of transgenes S. 43-66. 79 Breckling & Züghart a.a.O. 80 Van den Daele; Pühler & Sukopp (1996), Grüne Gentechnik im Widerstreit – Modell einer partizipativen Technikfolgenabschätzung zum Einsatz transgener herbizidresistenter Pflanzen, S. 115; vgl. auch Sukopp (2001): Entwicklung der Kulturlandschaften Mitteleuropas und ökologische Risikobewertung des Anbaus transgener Kulturpflanzen, in: Lemke & Winter (eds.): Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen. Umweltbundesamt (ed.). (= Berichte / Umweltbundesamt; 2001,3) S. 195-223. 81 Lemke & Winter a.a.O. 82 Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 2003 § 41 Rdnr. 15. 83 V. Schell (1992): Die Diskussion um die Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen als Beispiel einer interdisziplinären Urteilsbildung. Univ. Diss., Tübingen.; v. d. Daele et al. a.a.O. 84 Insbesondere wurde nach Jung in Blut und Organen von Tieren pflanzliche Plastiden-DNA nachgewiesen. 85 Jung a.a.O. 86 Förster & Diepenbrock (2002), Use of genetically modified plants – consequnces for crop production, in: Senatskommission zur Burteilung von Stoffen in der Landwirtschaft (ed.) / Deutsche Forschungsgemeinschaft: Schwellenwerte für Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Mitteilung 7. S. 50-57. 87 Vgl. dazu: Winter (2004), Verhasste Gen-Saat – Die Industrie nutzt eine Gesetzeslücke zum heimlichen Anbau von Gen-Mais. Nun protestieren Bauern und Umweltschützer gegen den Test, in: Der Spiegel 58 (21), 44. 88 Kempken & Kempken (2004), Gentechnik bei Pflanzen – Chancen und Risiken, 2. Aufl., S. 193. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 181 EurUP 4 | 2004 transfers kaum nennenswert eingedämmt werden89 . Die umfangreichen Einzelfalluntersuchungen90 zeigen schon erhebliche Differenzen innerhalb einer Art, in Bezug auf deren Sorten. Sehr starke Abhängigkeit besteht zudem für die Parameter Mantelsaat, Populationsgröße und Bestäubungsverhältnisse. Die Lebensfähigkeit der Pollen ist noch nicht hinlänglich erforscht. Transferraten würden häufig unterschätzt, weil bei Studien nicht weit genug gesucht werde. Nicht selten werden aber Isolierdistanzen von 1000 m für nötig gehalten. Erheblich mehr Potential zur Risikominimierung besteht aus naturschutzfachlicher Sicht durch einen Verzicht der Einschleusung von Fremdgenen auf Plasmiden, weil diese bei einem horizontalen Gentransfer sehr leicht weitergegeben werden können91 . Auch die Debatte um die Antibiotika-Resistenz fällt hier hinein. Das für 2005 geplante Verbot könnte aus naturschutzfachlicher Sicht noch schneller und auch rückwirkend umgesetzt werden, weil die Antibiotika-Resistenz in der Koppelung an das eigentliche Zielgen lediglich dem bequemeren Nachweis eines erfolgten Einbaus dient, der jedoch mittels PCRMethoden gleichfalls nachprüfbar ist (vgl. Teil IV). Auch der Einbau sogenannter Terminatorgene und die Anwen- 89 Vgl. Bartsch a.a.O.; Kempken & Kempken a.a.O. 90 Schmitz & Schütte (2001), Genübertragung zwischen verschiedenen Pflanzensorten und -arten, in: Schütte; Stirn & Beusmann (eds.), Transgene Nutzpflanzen – Sicherheitsforschung, Risikoabschätzung und Nachgenehmigungs-Monitoring S. 56-75. 91 SRU Gutachten 1998; Schütte & Oldendorf (2001), Horizontaler Gentransfer, in: Schütte; Stirn & Beusmann (eds.):,Transgene Nutzpflanzen – Sicherheitsforschung, Risikoabschätzung und NachgenehmigungsMonitoring S. 76-81. 92 Vgl. Kempken & Kempken a.a.O. 93 Vgl. v. d. Daele et al. a.a.O. 94 Wenzel (2002): LANA – Länderarbeitsgemeinschaft für Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung, in: Natur und Landschaft 77 (5), 200-201. 95 Bartsch a.a.O.; Stirn (2001), Stand der Diskussion um Begleitforschung und Nachgenehmigungs-Monitoring, in: Schütte; Stirn & Beusmann (eds.), Transgene Nutzpflanzen – Sicherheitsforschung, Risikoabschätzung und Nachgenehmigungs-Monitoring S. 229-239. 96 Stirn a.a.O. 97 Breckling & Züghart a.a.O.; Züghart & Breckling (2003), Konzeptionelle Entwicklung eines Monitoring von Umweltwirkungen transgener Kulturpflanzen (Band 1 + 2), UBA-Texte 50/03, Umweltbundesamt, Berlin; SRU 2004 Tz. 927 ff.; für Östereich Traxler; Heissenberger; Frank; Lethmayer & Gangitsch (2000), Ökologisches Monitoring von gentechnische veränderten organismen. Studie im Auftrag des Bundministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, Wien; für die Schweiz, die sich offenbar eng an die EU-Richtlinien anlehnen will: Sanvido; Bigler; Widmer & Winzeler (2003), Umweltmonitoring gentechnisch veränderter Pflanzen in der Schweiz: Erarbeitung konzeptioneller Grundlagen, Eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau (FAL) Reckenholz/Zürich. Ein Beispiel für großräumigere Untersuchungen zeigt die Versuchseinrichtung von Kuhlmann & Beismann (2004), Raumrepräsentativität technischer Pollensammler für ein Monitoring von transgenen Pollen auf regionaler Ebene. – Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft 64, 7-12. 98 Schell a.a.O. S. 388. 99 Breckling & Züghart a.a.O. 100 Kempken & Kempken a.a.O. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 181 dung des sogen. Cre/lox-Systems92 wären von Vorteil. Auskreuzung lässt sich zudem bei den meisten Pflanzen verhindern durch das Verankern des Zielgens in PlastidenDNA anstatt der Zellkern-DNA. Plastiden-DNA wird nämlich oft nur maternal weitergegeben und nicht über den Pollen. Das Ändern der Aussaattermine gegenüber Wildpflanzen, die Nutzung vor der Blüte, Etablierung männlicher Sterilität (welche aber das Einkreuzen von Wildpflanzen und damit die Bildung verwildernder Hybriden wahrscheinlicher macht), sowie das Fördern der Selbstbestäubung oder Apomixis bei Sorten93 wären ebenfalls risikominimierende Ansätze. 3. Vorliegen einer „erheblichen Beeinträchtigung“ von Natura 2000 Gebieten Soweit ersichtlich, sind die Arbeitsgruppen, die sich mit der Beeinträchtigung von Schutzgebieten (Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete und Natura 2000 Gebiete) beschäftigen, noch nicht zu klaren Maßnahme-Katalogen gekommen94 . Konsens ist, dass zunächst Monitoring-Projekte anlaufen sollen, um über bloße Absichtserklärungen verschiedenster Interessensgruppen zum Schutz spezieller Gebiete herauszukommen und vor allem für die Vielzahl an GVOs die unterschiedliche Relevanz herauszuarbeiten95 . Monitoring bedeutet das Beobachten und Dokumentieren von Auswirkungen in einem gewissermaßen nachgelagerten Verfahren, weil unter Laborbedingungen nicht alle Parameter und Eventualitäten, die GVOs beeinflussen können, getestet werden können. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Risikoabschätzung „auf die Ebene des Monitoring nach Inverkehrbringen verschoben“ wird96 . Vielmehr stellt dieses nur eine Ergänzung dar. Die Monitoring-Konzepte sind dabei durchaus schon weit gediehen97 . Lückenlos können sie aber nie sein, zumal diese Konzepte derzeit zumeist erst Zielgen-orientiert und nicht auf die Gesamtheit der Übertragung, der Neuzusammensetzung des Genoms oder der ökologischen Auswirkung hin zugeschnitten sind. Der Einbezug der Naturschutzpraxis ist somit erst sehr spät hinzugetreten. Es ist also eine Diskrepanz zwischen der finanziell gut unterstützten Forschung der Molekularbiologie und der vergleichsweise mit geringen Mitteln ausgestatteten Ökologie zu verzeichnen98 . Ökosystemische Variationen erschwerten zudem eine Vergleichbarkeit bisheriger Freisetzungsfälle, für welche die Untersuchungszeiträume zu kurz seien. Theoretisch müsste ein Monitoring so lange ausgedehnt werden, bis etwas neu eingebrachtes in diesem „neu eingebrachten Kontext persistiert und das kann im Prinzip die unpraktische Größenordnung von Millionen von Jahren erreichen“99 . Mit lediglich 1% (Deutschland 15%)100 , bezogen auf die noch geringe Zahl an Freisetzungen in Deutschland ist die Zahl umfangreicher ökologischer Begleitforschung noch sehr gering und wenig aussagekräftig. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist es ein großes Manko, dass de lege lata im GenTG weder Monitoringflächen noch Referenzflächen vorgesehen sind. In der Praxis wird nun naheliegenderweise der Focus auf Natura 2000-Gebie- EurUP_4/2004#06 182 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 182 EurUP 4 | 2004 Das neue Recht der Grünen Gentechnik te gelegt werden, weil hier die Basisinformationen noch am aktuellsten sind101 . Monitoring setzt jedoch voraus, dass Basisinformationen über den Istzustand vorliegen, was allerdings nicht der Fall ist102 . Eine zusätzliche Komplexität ergibt sich aus der Vielzahl an äußeren Faktoren wie Klima und Standortsverhältnissen, deren Einfluss über viele Jahre zu verfolgen wäre103 . Reaktionen der Ökosysteme auf Änderungen sind räumlich wie zeitlich schwer vorhersehbar, wenn überhaupt auch nur beobachtbar. Brüche sind üblich, denn: „Variabilität und nicht Konstanz ist ein Merkmal ökologischer Systeme für ihren Bestand und ihre Selbstregulierungskräfte“104 . Insbesondere bei den Böden mit seiner Vielzahl an z.T. noch unbekannten Mikroorganismen sind Vorhersagen schwerlich möglich105 . Erschwert wird ein Zustandsvergleich darüber hinaus durch die Problematik unterschiedlicher Auffassungen darüber, was denn ein ökologischer Schaden eigentlich ist106 . Der bloße Einbau eines Genkonstrukts in einen anderen Organismus stellt zunächst nach herrschender Meinung noch keinen Schaden dar – wohl aber einen Eingriff in die „evolutionäre Integrität“ der betroffenen Organismen107. In wieweit hier die Notwendigkeit und Möglichkeit besteht, einen Arten- oder Biotopschutz auf diese Integrität zu stützen, ist Kern laufender Diskussionen. Teilweise wird das absolute Veränderungsverbot als kennzeichnend für ein Naturschutzgebiet betrachtet108. Andererseits kennt das BNatSchG aber auch den Entwicklungs- und Prozessgedanken, der auch ein dynamischeres Schutzkonzept zuließe. Problematisch erscheint demnach die unterschiedliche Handhabung dessen, was ein Naturschutzgebiet in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft an Bedeutung haben kann. Letztendlich lassen sich hier auch nicht so unterschiedliche Ansätze wie Kulturpflanzenschutz, Arten- und Biotopschutz gleichermaßen subsumieren109. Was wirklich in einem Naturschutzgebiet ausgebracht werden darf, lässt sich über einfache Abwägungen mit der betreffenden Verordnung zum NSG festlegen110. Wo der Schutz von Wildarten (z.B. Kohlgewächsen) im Vordergrund steht, muss man eindeutig von einer erheblichen Beeinträchtigung durch GVOs dieser Familie rechnen, so dass dann der Schutzzweck in jedem Fall verletzt wäre. Neben den Naturschutzgebieten würden sich auch Biosphärenreservate eignen, weil hier die Steuerung von Wirtschaftsweisen wie dem Ökolandbau möglich ist. Aus naturschutzfachlicher Sicht ergibt sich ohnehin ein verstärktes Ausrichten hin zu einem Kulturlandschaftsschutz, im Zuge dessen eine Abgrenzung zum GenTG für den Einsatz von GVOs anzudenken wäre. satz der Realtime-PCR zur Quantifizierung), DNA-blotting Verfahren (DNA-Hybridisierungen) oder auch neuerdings dem Einsatz von Microarrays111 . Quantitativ verweisen letztere auf die Schwierigkeit der Messung von Schwellenwerten, weil es jeweils nur zum Messen des Prozentsatzes im Bezug auf die isolierte DNA kommen kann, ohne die Menge der Gesamt-DNA zu haben. Problematisch wird der Nachweis dann, wenn vom Genkonstrukt nichts bekannt ist, d.h. keine Genabschnitte bekannt sind, die das Andocken eines Primers (Starters) für die Vervielfältigungsprozedur der PCR erlaubt, welche die Zielsequenz erst sichtund damit nachweisbar macht. U.U. kann zumindest über den Nachweis von Resistenzgenen (klassischerweise Antibiotika-Resistenz, welches der Selektion für die Einschleusung diente oder Herbizidresistenzen) oder eines recht häufig zum Einsatz kommenden Promoters (der an das Zielgen gekoppelt ist, um dessen Wirkung auszulösen oder zu verstärken; klassischerweise CMV p-35S Promoter) ein genereller gentechnischer Ursprung der Pflanze prinzipiell nachgewiesen werden. Der Aufschrei, der allerdings durch die Fachwelt ging, als Quist & Chapela112 die Introgression transgener DNA in zahlreichen mexikanischen Landrassen von Mais mittels PCR für eben diesen Promoter berichten, während sie diesen in historischem Herbarmaterial eben nicht fanden, wirft einen Schatten auf die wissenschaftliche Publikationsmöglichkeit an sich113 . Es sei dahinge- 4. Vorliegen eines naturwissenschaftlich gesicherten Beweises der Auskreuzung in Nachbarfelder 112 Quist & Chapela (2001), Transgenic DNA introgressed into traditional maize landraces in Oaxaca, Mexico, Nature 414, 541-543; Quist & Chapela (2002), Reply [Transgenic DNA introgressed into traditional maize landraces in Oaxaca, Mexico; Nature 414, 541-543], Nature 416, 602. Der qualitative Nachweis eines bekannten (!) Konstruktes ist prinzipiell sehr leicht möglich über Standardmethoden der Molekularbiologie wie immunologischer Proteinnachweise, der PCR (Polymerase-Kettenreaktion, evtl. unter Ein- 113 Mann (2002), Has GM Corn ‚invaded’ Mexico?, Science 295: 16171619.; Rowell (2003), Don’t worry, it’s safe to eat: the true story of GM food, BSE, and foot and mouth. Earthscan; London, Sterling (VA), m.w.N.; Versagen der Unterstützung für den Artikel, Nature 416, 600; Nature 417, 898 101 Züghart & Breckling a.a.O.; Traxler et. al. a.a.O. 102 Stirn a.a.O. 103 Kjellsson & Strandberg (2001), Monitoring and surveillance of genetically modified higher plants: guidelines for procedures and analysis of environmental effects. 104 Schell a.a.O. S. 330. 105 Beispiele bei Schell a.a.O. S. 322 ff. 106 Breckling & Züghart a.a.O.; Schlee (2004), Probleme der Erhaltung biologischer Vielfalt in der Kulturlandschaft – Ökologische Schäden durch verfehlte Pflegekonzepte, in: Potthast (Hrsg.), Ökologische Schäden: Begriffliche, methodologische und operationale Aspekte. Jahrestagung AK Theorie und AK Gentechnik der GfÖ in Blaubeuren 2003 (= Theorie in der Ökologie). 107 Breckling & Züghart a.a.O. 108 Lemke & Winter (2001), Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen. (= Berichte / Umweltbundesamt; 2001,3), S. 104. 109 Vgl. Schlee a.a.O. 110 Lemke & Winter a.a.O. 111 Aarts; van Hoef & Kok (2002), The use of micro-array technology for the detection of GMOs, in: Senatskommission zur Burteilung von Stoffen in der Landwirtschaft (ed.) / Deutsche Forschungsgemeinschaft: Schwellenwerte für Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Mitteilung 7, S. 3-11; Jung a.a.O.; Breckling & Züghart a.a.O.; allgemeiner Überblick z.B. bei Kempken & Kempken a.a.O. EurUP_4/2004#06 16.09.2004 16:33 Uhr Seite 183 EurUP 4 | 2004 stellt, ob diese Autoren oder die zahlreichen Kritiker114 recht haben; eines hat es jedenfalls gezeigt: es muss mehr Forschungsaufwand in die genaue Analyse der schädlichen Folgen dieser Durchmischung fließen115 . Zu bemängeln sind in diesem Zusammenhang die starken finanziellen Einflüsse auf öffentliche Forschungseinrichtungen durch betroffene Konzerne116 . So lassen sich gesicherte Nachweise zur Zeit schwerlich einschätzen. Darüber hinaus führte die Blockade der Umsetzung der EU-RL durch den Bundesrat dazu, dass die Saatgutkonzerne bereits mit der geheimen Aussaat von GVOs in größerem Stil begonnen haben117 . Da die betroffenen Flächen und eingesetzten GVOs somit nicht genannt werden, ist eine Überprüfung de facto unmöglich. Selbst wenn es ein Kataster für alle möglichen Genkonstrukte gäbe, könnten auch gar nicht alle Flächen und bekannten Genkonstrukte durch einen noch so großen Stichprobenumfang gefunden werden, weil dies finanziell und personell nicht zu leisten wäre. Überhaupt ergibt sich die Frage nach den Kosten. Hier sind zwei Sichtweisen möglich: Zum einen könnte man diese Kosten der Allgemeinheit aufbürden, weil sich jedenfalls die gesetzgebenden Organe in Deutschland und der EU für die breite Nutzung der Grünen Gentechnik ausgesprochen haben und somit die Allgemeinheit auch die Kosten des Risikomanagements tragen muss118 . Andererseits 114 Kaplinsky, Braun, Lisch, Hay, Hake & Freeling (2002): Maize transgene results in Mexico are artefacts, Nature 416, 601; Metz & Fütterer (2002), Suspect evidence of tansgenic contamination, Nature 416, 600-601. 115 Butler (2002), Alleged flaws in gene-transfer paper spark row over genetically modified maize, Nature 415, 948-949. 116 Worthy, Strohman & Billings (2002), Correspondence [Conflicts around a study of Mexican crops], Nature 417: 897. 117 Winter (2004) a.a.O. 118 Winter (1998), Die Prüfung der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen: Recht und Genehmigungspraxis; Gutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes. ( = Berichte/Umweltbundesamt; 4/98; Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Gentechnik), S. 117 sieht die Allgemeinheit dabei in der Pflicht: „Wenn sich die Gesellschaft durch das Gesetz im Prinzip für die Gentechnik ausspricht, übernimmt sie auch einen Teil des Entwicklungsrisikos.“ Lemke 2001 denkt eher an aktivere Rollen der Betreiber. 119 Jung a.a.O. 120 Lemke (2001), Rechtliche Fragen der Verantwortungsverteilung zwischen Betreiber und öffentlicher Hand im Hinblick auf ein Langzeitmonitoring, in: Lemke & Winter (eds.): Bewertung von Umweltwirkungen von gentechnisch veränderten Organismen im Zusammenhang mit naturschutzbezogenen Fragestellungen. Umweltbundesamt (ed.) (= Berichte / Umweltbundesamt; 2001, 3).S. 344-357; Kempken & Kempken a.a.O. 121 Borchard-Tuch (2001), Lebendes Chiffriergerät – Kryptographie mit Hilfe von DNA, c’t – Magazin für Computer-Technik 19(3), 94-97. Das neue Recht der Grünen Gentechnik 183 legt aber das Verursacherprinzip eine Zuweisung der Kosten auf die Betreiber nahe. Prinzipiell müsste ein Standard entwickelt werden, wie oft die Versuche von mehreren unabhängigen Instituten durchzuführen sind, da das Verfahren der PCR in der Tat auch schon bei geringster Verunreinigung (im Labor!) ein falsch-positives Signal ergeben kann, während die Probe selbst sauber ist. Diese Gefahr der Verunreinigung gilt analog auch für alle Stadien, die dem Transport des Probenmaterials dienen, so dass sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen lässt, ob einzelne Pollenkörner etwa dem Material nur auflagen aber noch gar keine Veränderung in der Pflanze verursacht haben, wiewohl aber im Nahrungsmittel stecken können. Unsicherheiten bleiben zudem stets beim möglicherweise nicht genügend groß gewählten Stichprobenumfang. Fehlerschwankungen um den Faktor 20 sind bei nur geringen Anteilen nicht selten119 . Bei Microarrays ist die auf digitalisierte und insgesamt stark computergestützte Auswertung basierende Methodik stets stark interpretationsfähig und -bedürftig. Insgesamt machen diese Unsicherheiten in allen Methoden ein paralleles Anwenden möglichst vieler Techniken wünschenswert aber entsprechend teuer und aufwändig. Die Einhaltung auch der Schwellenwerte wird ansonsten zur Makulatur. Interessant für die Ermittlung eines Emittenten wäre natürlich der Nachweis einer speziellen Sequenz, die sich am Genkonstrukt befindet und die so zuordenbar ist, dass man genügend Daten über den Hersteller darin codiert. Günstig wäre „eine einheitliche Markierung durch kurze mittransformierte DNA-Stücke, die es erlauben, den Hersteller zu identifizieren“120 . Hierfür würde sich die DNA auch sehr gut eignen121 . Deshalb ist zu vermuten, dass dies längst heimlich geschieht – vice versa ließen sich allerdings diese auch missbräuchlich in Nicht-Zielorganismen einbauen, um einen Konzern entsprechend in Verruf zu bringen. IV. Zusammenfassung Mit der Freisetzungsrichtlinie hat die EU den Rahmen für die Umsetzung in nationales Recht vorgegeben. Der Nationale Gesetzgeber hat hierbei nur einen begrenzten Gestaltungsspielraum. Die sich aus der Freisetzungsrichtlinie ergebenden Anforderungen an die GenTG-Novelle wurden dargelegt. In der Praxis sind zahlreiche Problemfelder noch nicht gelöst. Dies betrifft z.B. die Koexistenz von GVOs und gentechnisch unveränderten Organismen, den Schutz der Biodiversität und Natura 2000-Gebieten, aber auch den Nachweis von horizontalem und vertikalem Gentransfer.