raum - kunst- liturgie sind altäre kunst? ein bekenntnis

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R A U M - K U N ST- L I T U R G I E
A LT A R R Ä U M E I M E R Z B I S T U M M Ü N C H E N U N D F R E I S I N G 19 9 7 - 2 0 0 7
S I N D A LT Ä R E K U N S T ? E I N B E K E N N T N I S
NOR B E RT JOCH E R
Altarbau berührt wesentlich das christliche Selbstverständnis. Wir leben – immer noch – in der Tradition,
der gefühlten, erlebten, emotionalen Tradition des Hochaltars: große Retabel, üppige Gestaltungen, die
das Mysterium des Altares bebildern, bereichern, erklären. In der Mitte der Tabernakel, reich,
Anbetungsengel, beladen mit Symbolen, die Realpräsenz. Das Heilige ist spürbar, erlebbar geradezu. Dies
ist Maßstab, immer noch. Denn immer noch geht es um das Heilige, die Erhabenheit, das Erleben von
Sakralem, Göttlichem.
Altarbau . Wir treffen in unserer Erzdiözese auf Kirchen, historische Kirchen, in denen ganze Raumgefüge,
Raum- und Kunstprinzipien ausgerichtet sind auf den Kulminationspunkt Tabernakel-Hochaltar. Dies bleibt
– sinnlich erfahrbar. Rott am Inn, Schwindkirchen, Tegernsee sind immer noch so gestaltet, dass ihr
Höhepunkt, ihr Gipfel, ihr Ziel erlebbar der Hochaltar ist. Das Zweite Vatikanische Konzil bringt den für
unsere Aufgaben radikalen Einschnitt. Es wird nicht mehr die Mysterienliturgie am Hochaltar gefeiert, sondern Gemeindeliturgie, Liturgie versus populum. Neue Altäre müssen gebaut werden. Der Begriff
Volksaltar entsteht, falsch wie kaum anderes. Denn es ist nun der Altar, Hauptaltar, der einzige Altar, der
Hochaltar verliert alle seine alten Funktionen und bleibt doch raumkünstlerisch das logische Zentrum und
gestalterische Höhepunkt einer Kirche, er wirkt weiter, ebenso wie das Laterankonzil für die Geschichte der
Liturgie und Theologie weiterwirkt. Altar ist nun völlig neu, nicht Ergebnis langer Entwicklungsprozesse, der
Einschnitt ist formal radikal. Alle Klarheit, alle Parameter – Stipes, Mensa, Tabernakel, Leuchterbank,
Retabel, Auszug… – sind verloren. Kein Aufbau, kein Tabernakel im Zentrum des Altares, keine Bilder am
Altar. Und dennoch, die Aufgabe für Kunst, Raumkunst, Architektur bleibt, einen Altar zu bauen, der das
Heilige sinnlich erfahrbar macht, der erhaben ist, Mittelpunkt, Zentrum:
_ Weil die Bedeutung des Altares gleich geblieben ist, Ort, an dem das zentrale Geheimnis des
Glaubens erlebbar, real gefeiert wird.
_ Weil der Ambo die Kanzel ersetzt, und deren Bedeutung weit intensiver und gewichtiger ausfüllt –,
hier spricht Christus selbst zu uns, hier wird der Weg zur Erlösung verkündet. Die Kirche ist nicht
mehr die ecclesia triumphans, sondern die Kirche auf dem Weg.
_ Weil der Tabernakel immer noch die Realpräsenz birgt. Die Erhabenheit und das Heilige müssen in
der formalen Qualität sichtbar werden, weil ein Tabernakel nicht willkürlich berührt werden darf,
noch viel weniger als ein Gemälde im Museum.
Qualität! Qualität, die sich bedingt durch die inhaltliche Bedeutung der Orte, die in unseren historischen
Kirchen alle schon da sind und die nochmals in diesen perfekten Räumen neu gebaut, gestaltet, geformt
werden müssen. Und wir haben es fast nur mit historischen Räumen zu tun. Fast alle Beispiele unserer
Ausstellung dokumentieren Arbeiten in historischen Räumen. Orte, die alle schon da sind, und die trotzdem neu gemacht werden müssen, weil die Feier der Liturgie in Form und Inhalt zurückgeführt ist auf ihre
Quellen. Orte mit tiefster, für Kirche, Christentum sinnstiftender Bedeutung, die historisch alle vorhanden
sind, ihre historische Bedeutung verloren haben und deshalb mit derselben Kernbedeutung neu gemacht
werden müssen. Wir haben in unserem Erzbistum seit 1960 mehr Altäre errichtet als zwischen der
Gründung des Bistums durch den hl. Korbinian bis 1960. Anfänglich hat man Holzschachteln gebaut und
barock verkleidet oder überhaupt den vorderen Teil des Hochaltares, das Antependium, abgeschnitten,
nach vorne geschoben, damit man zwischen Hochaltar und abgeschnittenem Rudiment oder barockisier-
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KUNSTREFERAT DER ERZIÖZESE MÜNCHEN UND FREISING, Leitung Ordinariatsrat Dr. Norbert Jocher
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ter Kiste zu stehen kam, wenn man Liturgie feierte. Denn die neue Liturgie irritierte. Die Gewohnheit war
eine andere. Wenn schon neuer Altar, dann durfte er nicht stören, nichts kosten – es entsteht die provisorische „Konzilskiste“. Es ging an das Eingemachte des christlichen Selbstverständnisses. Billig, beweglich, man braucht den Platz für ein Konzert, der Altar darf nicht stören, nicht modern sein, wenn man
schon einen neuen Altar braucht.
Moderne Kunst hat sich längst von den naturalistisch-barocken Sehgewohnheiten, die immer noch dominieren und die immer noch bedient werden wollen, wegbewegt, und so flüchtet man sich in die billige
Imitation, die immer wieder zu erringende formal-künstlerische Einzigartigkeit, die ein Altar schon per se
haben muss, ist ein kaum verstandenes Anliegen. „Die Qualität des Raumes hat Auswirkungen auf die
Qualität der Versammlung“ (Leitlinien). Wenn man abwandelt: „Die Qualität eines Altares hat Auswirkung
auf das Verständnis, Selbstverständnis seines Inhaltes, letztlich auf das christliche Selbstverständnis“,
dann wird aus dem praktischen Erleben alltäglicher Arbeit heraus diese Ausstellung zentral. Weil sie anregen will, das Thema in den Mittelpunkt des Interesses rücken will, aufmerksam machen möchte auf die
Spannungen, die sich aus dem Thema ergeben, auf Unsicherheiten in Funktion und Form; weil sie Liturgie
und Kunst in lebendigen Dialog treiben, um Qualität ringen, für sie streiten möchte.
Altar berührt christliches Selbstverständnis. Ist der Altar billig? Beweglich? Darf er stören? Irritieren?
Altarbau berührt nicht nur christliches Selbstverständnis, er ist auch Kernaufgabe, zentrale Kernaufgabe
von Bau- und Kunstreferat.
Altar – Ambo – Tabernakel:
Altar: „Der Altar selbst ist das Symbol für Christus“ (Liturgie und Bild), er ist der „Tisch des Herrn“ (Leitlinien). Ambo: „Gott selbst spricht an diesem Ort“ (Institutio Generalis Missalis Romani). Tabernakel: sichtbarer Ort der Realpräsenz Gottes im Kirchenraum. Im Tabernakel ist Christus real gegenwärtig, so wie in
der Liturgie feiernden Gemeinde. Es gibt im Kirchenraum nichts Wichtigeres. Es gibt keine wichtigere
Aufgabe im Bereich Kunst-Architektur. Höchste formale Qualität muss der Maßstab sein, weil die inhaltliche Qualität zentral ist. Wie offen dies ist, wie unterschiedlich dies sein kann, wie unsicher das Feld für
Künstler, Architekten, Kunstsachverständige ist – und hier geht es um formale Qualitäten – zeigt nicht nur
die immense Anzahl der Altäre, die seit dem Konzil errichtet wurden, sondern auch diese Ausstellung mit
20 ausgewählten Beispielen der letzten 10 Jahre. Heterogene Beispiele. Diskutierte Beispiele. Kontrovers
eingeschätzte Beispiele. Darf es bei Altären die Kontroverse geben? Beispiele in historischen Kirchen v.a.
in Kirchen, die „fertig“, perfekt, sensibelst aufeinander abgestimmte Gesamtkunstwerke sind. Beispiele, in
denen Neues stört, irritiert, vielleicht gar manchmal verletzt. Beispiele aber, die, wie wir meinen, immer
die Ernsthaftigkeit dieser großen Aufgabe dokumentieren, die notwendig ist im Ringen, im Einsatz, in der
Gestaltung, wenn nichts weniger als „Symbol Christi“, Ort, an dem „Gott selbst zu uns spricht“, Mitte
unserer Kirche(n) entstehen soll. Beispiele aber auch in neuen Kirchenbauten, wo dies nicht weniger problematisch und schwer ist.
Kunst zählt – in all ihren Gattungen – zu einem wesentlichen Kontinuum des Christentums, öffentlich
sichtbar spätestens seit der offiziellen Anerkennung unter Kaiser Konstantin. Auch wenn der Streit, die
Auseinandersetzung über Inhalte und Themen – was darf und kann Gegenstand eines künstlerischen
Bildes sein – und ihre rechte, „wahre“, angemessene Form so alt ist wie die Geschichte der Kirche. Nicht
zuletzt hat es über diese Fragen mehrmals ernsthafte Zerwürfnisse gegeben und die Auffassungen darüber differieren bis heute und bis hinein in unsere tägliche Arbeit, z.T. diametral.
Das katholische Christentum, die katholische Kirche ist dabei seit je bilderfreundlich, diese
Bilderfreundlichkeit, – neutraler Darstellungsfreundlichkeit – hat sie über all die großen und kleinen
Spaltungen der Kirchengeschichte bewahrt. Immer wieder, bis in die jüngste Vergangenheit und
Gegenwart, betont sie die Bedeutung der Kunst und damit des Bildes, der Darstellung.
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ERZBISCHOF FRIEDRICH KARDINAL
WETTER BEI DER ALTARWEIHE
IN BEYHARTING
Dabei sind erste Darstellungen, bildhafte Zeichen christlichen Inhaltes schon historisch keinesfalls unter
dem Anspruch entstanden, „Kunst zu schaffen“, sondern Zeichen, Symbole zu entwickeln und zu setzen,
dass sich eine Person, eine Gruppe zur Lehre Christi bekennt, dass Räume für christliche Riten bestimmt
sind. Der Bekenntnischarakter ist der Ursprung des christlichen Bildes, letztlich der christlichen Kunst,
nicht der Kunstbegriff, der Jahrhunderte später überhaupt erst Gegenstand philosophischer, politischer,
sozialer Reflexion und Diskussion wird. Zeichen stehen am Anfang, Fisch, später das Kreuz. Das Bild im
engeren Sinn, das darstellende, erzählende, interpretierende Bild, kommt viel später, mit den Fragen, ob
man Gott, Christus, den Hl. Geist, darstellen, abbilden darf, was aus den Evangelien, den Botschaften und
Geschichten, nicht zuletzt den sprachlichen Bildern des Alten und Neuen Testaments, was aus dem Leben
derer, die diese Botschaften, Inhalte beispielhaft gelebt haben – und wie. Der künstlerische Anspruch
wächst erst im Lauf der Zeit, bewusst reflektiert mit der „Erfindung“ des Kunstbegriffes in der
Renaissance. Der darstellende, im wörtlichen Sinn abbildende Anspruch ist immer problematisch, v.a. in
der Gegenwart, wo das Bedürfnis enorm ausgeprägt ist, Maria in einem realen Bildwerk zu erkennen, die
Darstellung der Auferstehung, des Kreuzweges, der Himmelfahrt Christi wie in einem erlebten Bild sehen
zu wollen, also all die Dinge real abgebildet erkennen zu wollen, die noch nie real abgebildet werden
konnten. Das wird relevant beim Altar!
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Auch spezifische Räume, Kirchen, in denen die sich zum Christentum bekennenden Menschen zu WortVerkündigung und Mahl-Eucharistie versammeln konnten, entwickeln sich erst im Lauf der Zeit. Räume,
die von Anfang an die Aufgabe bewältigen mussten, dass sie sowohl für die Funktion des Wortes, wie
des Mahles, geeignet sein mussten. Eine Aufgabe, die bis heute noch immer nicht endgültig und schlüssig gelöst ist. Die Frage nach den Orten des Mahles und des Wortes sind dabei von Anfang die zentralen Fragen. Aber jenseits dieser zentralen Fragen entstehen mit dem sich zunehmend weitenden christlichen Bildverständnis Räume, Kirchen, bei denen mehr und mehr der funktionale Charakter, der ja am
Beginn des Christentums ganz im Vordergrund stand, wo nur profane Bauten, Basiliken, für die Feier des
Mahles und des Wortes zur Verfügung standen, in den Hintergrund tritt. Wichtig wird zunehmend die
übertragene, allegorische Bedeutung des Kirchenbaus und seiner Ausstattung, seiner Bilder: Kirche wird
zum real erlebbaren „himmlischen Jerusalem“ zum Abbild des „Himmels auf Erden“, zur communio sanctorum allgemein, später, v.a. im 17. und 18. Jhd. konkret zum „Dießener Heiligenhimmel“, zum „Neuen
Rom“, zum „Neuen Michaelsheiligtum“ in Berg am Laim, usw. Dieser Himmel, dieser real erlebbare
Himmel auf Erden = Kirche wird dann heilsgeschichtlich in seinen Bildern von Heiligen, Erlösung,
Wundern, seiner in Bildern sichtbaren Geschichte zur real erlebbaren Heilsgeschichte, zum Vorgeschmack
auf den ewigen Himmel und die ewige Erlösung. Die Gattungen der Kunst gehen in diesen
Kirchenräumen perfekte Harmonien ein, es entstehen Gesamtkunstwerke, v.a. in der Spätgotik, in Barock
und Rokoko, jenen Epochen, die die Kirchenlandschaft in unserem Erzbistum wie keine anderen prägen.
Altäre! Kanzeln! Orte der Eucharistie und der Verkündigung. Welche Bilder erscheinen – gedanklich – bei
diesen Worten. Die großartigen Altäre der Spätgotik, Flügelaltäre mit überreichem Bildpro-gramm, reich
geschnitzt, golden, die monumentalen Altäre des Barock, die aufgelösten, bewegten, dynamischen,
beherrschenden Altäre des Rokoko. Michael Pacher, Meister von Rabenden, Cosmas Damian und Egid
Quirin Asam, Ignaz Günther, Johann Baptist Straub, Franz Xaver Schmädl. Was sind die Bilder von Kanzeln
– wenn wir noch welche haben? Vielleicht die rauschenden Kanzeln der Wies, von Steingaden, in denen
die Spektren des formbestimmenden Ornamentes Rocaille elementaren Bedeutungscharakter haben: das
Wasser des Hl. Geistes, das Feuer der Liebe im Wort Gottes. Oder die Tabernakel: die Orte der
Realpräsenz, die Orte, die katholische Kirchen wie nichts anderes auszeichnen. Vielleicht sehen wir die
Bilder der reichen Tabernakelbauten mit anbetenden Engeln, den allegorischen Aufsätzen oder die filigranen, hoch aufschießenden gotischen Sakramentshäuser.
Was ist dort Altar, „Christussymbol selbst“, Ort, wo „Christus selbst“ zu uns spricht. Das Gemälde „am
Altar“, die Figuren, die Ornamente, das Gold, die Putten, die filigran geschnitzten gotischen Fialen, die
mächtigen Säulen im Barock? Meinen wir nicht Retabel, wenn wir Altar sagen, denken, uns vorstellen?
Nicht der Aufbau, die Bilder, die Figuren sind der Altar. Dies ist „nur“ der „Schmuck“, mit dem der eigentliche Altar ausgezeichnet wird, hervorgehoben als der besondere Ort. Ein Ort, der durch die Kunst erklärt,
bildhaft geweitet, bildlich ausgelegt wird: in Allegorien, wie dem Pelikan auf dem Tabernakel, der mit seinem Blut seine Jungen nährt, so wie sich Christus für uns geopfert hat mit seinem Blut, damit wir leben;
wie den Figuren der Patrone, die den Schrein, das Retabel bewachen; wie mit den Bildern aus dem Leben
Jesu, Mariens oder der Heiligen, die in der gelebten Nachfolge Christi stehen, uns Vorbild sind, uns in
den Bildern zeigen, dass es real nachvollziehbare Menschen sind, die im Sakrament des Altares erlöst
sind; wie mit den Symbolen oder Figuren der Evangelisten an den Kanzeln, die zeigen, was der Prediger
zu verkünden und auszulegen hat. Aber der Altar ist formal nichts anderes als ein rechteckiger oder quadratischer Würfel, gemauert, mit Steinplatte und Reliquieneinsatz. Die Kanzel, Ort der Verkündigung ist
formal nichts anderes als ein erhöhtes, an der Wand klebendes Rednerpult und der Tabernakel ist formal
nichts anderes als ein Schrein, ein Gehäuse, das aufgrund des kostbaren Inhaltes, den er birgt, besonders stabil und sicher sein muss.
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Dies hat alles zunächst nichts mit Kunst zu tun. Die Rolle der Kunst an diesen Orten beginnt da, wo sie
zur Erklärung, Erläuterung, ja Bildexegese wird, da im Würfel, Rednerpult oder Gehäuse allein die
Bedeutung des Ortes nicht ahnbar, verstehbar, ablesbar ist. Oder wo durch die besonders kostbare, ungewöhnliche, formale Gestaltung und Erscheinung das besonders Kostbare, Erhabene, Geheimnis – Sakrale
sinnlich erfahrbar wird. Es geht also doch um Kunst beim Altar, beim Ambo, den Orten der Eucharistie,
des Mahles und der Verkündigung, des Wortes.
Es geht aber natürlich um Liturgie! Also um Funktion, gleichsam göttliche Funktion, aber um Funktion. Und
es geht nicht zuletzt um den Raum, in dem Altar und Ambo, Tabernakel stehen. Dabei sind es meist
Räume, die schon definierte Orte für Verkündigung und Eucharistie haben, historisch gewachsene, perfekte Orte. Historische Orte, in denen die neue Theologie, neue Liturgie neue Orte braucht, ohne auf die
alten Orte der alten Theologie, Liturgie verzichten zu können, weil sich durch sie das ganze Raumgefüge
der historischen Kirchen bedingt. Neue Orte, die klar sein müssen, definiert, fest, unverrückbar, weil ihre
Inhaltlichkeit zentral, unverrückbar ist. Neue Orte in alten Räumen, die bereits „fertig“, perfekt sind, für eine
andere Theologie errichtet, neue Orte, die sich räumlich einbinden, den Strukturen des Raumes nicht
widerstreben und die doch eigenständig sind in ihrer formalen und räumlichen und inhaltlichen Qualität.
Qualität von Raum und Form! Denn „die Qualität des Raumes hat Auswirkung auf die Qualität der
Versammlung“ (Leitlinien). Also es geht um Qualität. Qualität der Feier und der Form, sich gegenseitig
bedingend.
Rolle der Kunst, der Raumkunst! Hier ist nun nicht der Raum, um generell und theoretisch über Kunst an
sich zu reden, geschweige denn eine Definition von Kunst zu wagen. Dennoch aber sei auf einige
Eckpunkte verwiesen. Kunst jedenfalls meint nicht nur Können. Kunst meint wesentlich Sichtbarmachen
geistiger Lebensbereiche des Menschen, Sichtbarmachen wichtiger Themen menschlichen Daseins –
Gefühle, Sinne, Farben, Formen. In Werken der Kunst spiegelt sich die jeweilige Zeit, aber auch die jeweilige Person wider. Kunst hat damit auch von vornherein historische Dimension. Kunst entspringt aus subjektiver Zeit, an subjektiven Orten, erlebt von subjektiv geprägten Menschen. Und doch erreicht ein Werk
der Kunst aus diesen Subjektivitäten heraus, in der Summe von Zeit, Schöpfer und Rezipient eine über
den Augenblick hinausreichende, in das Ewige sich wagende Objektivität. Kunst hat so auch mit
Schöpfung zu tun und ist im allerweitesten dem christlichen Schöpfungsgedanken zumindest verwandt.
Kunst geht in der Sichtbarmachung von Dingen jenseits der wirklichen Wahrnehmung weit über ProfanErlebbares hinaus. Kunst verändert Wahrnehmbarkeiten, ist sinnesverändernd, erregend. Kunst ist immer
Medium einer Botschaft. Für uns der Botschaft des Glaubens, der Erlösung, des Evangeliums, Medium
also der frohen Botschaft. Dies muss immer lebendig bleiben und lebendig erhalten werden. So wie es
in der historischen Kunst um das lebendige Sichtbarmachen dieser Botschaft geht – eine Kirche kann
nicht dreckig sein, weil die Botschaft eines verrußten Himmels nicht Botschaft des christlichen Glaubens
ist – so muss es auch jetzt, in Werken zeitgenössischer Kunst um die lebendige Erneuerung der im Kern
gleich wahren Glaubensinhalte gehen.
Der Altar war und ist Christussymbol selbst. Es war, ist ein Kontinuum in der Geschichte unserer Kirche,
dass es immer wieder gerade sie war, die im Bereich der Kunst Maßstäbe gesetzt hat. Dabei ging es
immer um Modernität – nicht Modernismus –, immer um das Ringen um neue Formen, nicht nur um zeitgemäße Formen, sondern um die zeitgenössische Erneuerung des Inhaltes durch Innovation. Immer ging
es um höchste Qualität und immer auch um inhaltliche Gebundenheit. Genialer, zumindest aber guter
Künstler, bahnbrechender, zumindest aber versierter Theologe, kraftvoller, zumindest aber willensstarker
Auftraggeber: das waren die Voraussetzungen für all die Werke historischer Kunst, die wir, in welcher
Form auch immer, bis heute bewundern – und das können und müssen auch heute noch die
Voraussetzungen sein, sofern sich alle in ihrem Bereich frei entfalten können, und sich auch die Rollen
nicht vermischen, der Auftraggeber oder Theologe nicht zum Künstler mutiert und umgekehrt.
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Wesentliche Einschnitte prägen Kirche und Kunst seit 1800 und prägen so auch unser Thema. Die
Säkularisation und damit nicht nur der Verlust einer jahrhundertealten politischen Ordnung, sondern der
mit ihr einsetzende Verlust des gesellschaftlichen Primats der Kirche; die Entwicklung von Demokratien,
die verheerenden Erschütterungen der Kriege und ihrer politisch-gesellschaftlichen Wurzeln und damit der
beginnende Verlust der politischen Verankerung der Kirche in der Gesellschaft. Das ist die eine Seite. In
der Kunst spiegelt sich das in ihrer Befreiung an die bindende und einschränkende Form, in der
Abstraktion und ihren unendlichen formalen Möglichkeiten und der nachfolgend einsetzenden Weitung
ihrer technischen Möglichkeiten. Längst beschränkt sich Kunst nicht mehr auf die Gattungen Skulptur–
Architektur–Malerei–Ornament …
Die Möglichkeiten, die sich für Kunst im kirchlichen Kontext ergeben, sind enorm und schwierig bis
gefährlich gleichermaßen. Immer noch wird der Gewinn der Abstraktion in der Kunst als Verlust der Form,
der Mitte, des verstehbaren Bildes angesehen. Aber was anderes als Abstraktion ist die Aussage „der Altar
selbst ist Christussymbol“. Es wird übersehen, dass es der Kunst ja nie um die exakte naturalistische
Wiedergabe eines Kopfes ging, sondern um das Sichtbarmachen des Charakters des Porträtierten, also
um die Darstellung von Unsichtbarem, im streng Realen Nicht-Darstellbaren. Auferstehung, Himmelfahrt,
Heiligenvita ist eigentlich nicht darstellbar, weil niemand dabei gefilmt oder fotografiert hat. Es geht auch
nicht darum, zu zeigen, wie ein Mann in den Himmel fährt, sondern darum, dass durch die Überwindung
des Todes allen Menschen Erlösung verheißen ist. Erlösung durch die Erlösungstat Jesu Christi am Kreuz.
Und nichts anderes wird am Altar in der Eucharistie gefeiert. Das ist die Mitte unseres Glaubens, die Mitte
eines Kirchenraumes, einer Gemeinde, der Kirche. Und nichts anderes wird am Ambo verkündet und
erläutert, als das, was Christus, der Erlöser selbst gesagt hat. Das ist abstrakt wie nichts anderes. Und das
ist wahr wie nichts anderes, aber wahr eben nicht im Sinne von realer Wahrheit, sondern von geglaubter
Wahrheit. Das ist aber schwer zu verstehen. Über und auf unseren Altären wurde deshalb sehr früh damit
begonnen, Bilder, Figuren, Architekturen aufzustellen, die eben zum erklärenden, veranschaulichenden,
bildlichen, abbildhaften Medium dieser Botschaft wurden.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Liturgiereform die Bewegung der Liturgie verändert. Das ist in
unserem Kontext, dem künstlerisch-raumkünstlerischen Kontext der wesentliche Einschnitt. Über die
Aufbauten, Retabel, Figuren kann der Liturge nicht hinwegschauen, wenn er nun versus populum zelebriert. Also verschwinden die Aufbauten. Oder man braucht neue Altäre, die den alten Altar, den
„Hochaltar“ und alle Nebenaltäre, inhaltlich ersetzen – und sie trotzdem formal zu erhalten. Es gibt den
einen Altar versus populum, den Hauptaltar. Dieser Altar ist die Mitte, der Tisch des Herrn, Christussymbol,
Tisch des Opfers wie Tisch des österlichen Mahles (Leitlinien). In Handreichungen werden auch formale
Hinweise gegeben: die Grundform ist der Tisch, wenigstens die Altarplatte soll aus Stein und aus einem
Stück, unverletzt sein, oder aus einem anderen würdigen Material oder „bei aller wünschenswerten
Vielfalt der Formen sollte die Grundgestalt nicht durch sekundäre Deutungen überlagert werden“
(Leitlinien). Aber wie schaut ein Tisch aus, der ein Tisch des Opfers und des Mahles ist, wie schaut die
Grundform aus, was ist ein würdiges Material? Der Ambo rückt in der Bedeutung gegenüber der Kanzel
auf. Er wird zum Tisch des Wortes, der gleichermaßen – fast – Bedeutung hat wie der Tisch des Mahles.
Gleichzeitig aber mit der neuen herausgehobenen Bedeutung wird der Ort der Verkündigung vom herausgehobenen Ort in der Kirche, oben, an der Wand, heruntergeholt und in die Nähe des Altares gestellt,
weil er in der – auch symbolischen – Bedeutung dem Altar – fast – gleichkommt. Nur: wie schaut der
Tisch des Wortes aus? Wie geht das gestalterisch, zwei beinahe gleich bedeutende, wichtige Orte, wenn
der Altar doch wichtiger ist, damit zentral sein muss, ohne dass dann der zweite Ort abfällt, zur Seite
geschoben ist, formal ausgehöhlt.
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Und welche Rolle bleibt der Kunst? Immer noch ist ja der Altar, der Ambo nicht nur Ort, sondern Symbol.
Zeichen. Zeichen für Christus, Verkündigung, Erlösung. Das Konzil hat gleichsam den Altar wieder freigelegt, von allen Zutaten befreit, die den Kern verstellt haben. Die Kunst kann zu ihrer eigentlichen Rolle
kommen. Nämlich entsprechend ihrem ureigensten Wesen, nicht gebunden an spezifische, klassische
Gattungen und Formen, aufruhend auf den Traditionen der Form und ihrer Überwindung in der Abstraktion
dem freigestellten Würfel, Quader, dem Lesepult, dem Gehäuse des Tabernakels formale Qualitäten zu
geben, in den unendlichen Möglichkeiten der Variationen der Grundformen von Tisch und Opferstein,
Tisch und Pult, Gehäuse und Schatztruhe.
Es müssen unverwechselbare Lösungen entstehen. Immer einzigartig. Immer neu. In jedem Raum, historisch, wie neu, immer wieder neu errungen und erdacht. Lösungen, die die Erhabenheit und Würde, die
Bedeutung und eben Einzigartigkeit der Aufgabe und des Inhaltes zeigen. Lösungen, bei denen höchste
Qualität, formal und räumlich erfordert ist, weil in ihrem Inhalt und ihrer Funktion das Herz des
Christentums pocht. Lösungen deshalb, die nicht billig und retrospektiv sind. Lösungen, in denen
Heilsordnung erfahrbar wird. Lösungen, die definiert sind, auch wenn es keine formale Sicherheit geben
mag – auch keine theologische. Lösungen, die nicht in die Vergangenheit zielen. Noch nie wurde so viel
über Vergangenheit gewusst wie heute, wir diskutieren uns über die Gegenwart zu Tode, es fehlen die
Zukunftsvisionen. Wo, wenn nicht beim Altarbau, bei den liturgischen Orten, kann Zukunftsvision Gestalt
werden, aufruhend, über alle Veränderungen und Unsicherheiten hinweg, auf 2000 Jahre Kontinuität der
Botschaft. Zukunftsvisionen, die mit Mitteln der Kunst zentrales Bekenntnis, zentrale Botschaft sichtbar,
ahnbar, fühlbar machen.
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