Anja Wolde Väter im Aufbruch? Geschlecht & Gesellschaft Band 39 Herausgegeben von Ilse Lenz Michiko Mae Sigrid Metz-Göckel Ursula Müller Mechtild Oechsle Mitbegründet von Marlene Stein-Hilbers (†) Anja Wolde Väter im Aufbruch? Deutungsmuster von Väterlichkeit und Männlichkeit im Kontext von Väterinitiativen Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . . 1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Marianne Schultheis Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15341-4 Es lohnt sich doch Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein, Und alles auf das Einfachste zu schrauben. Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihen, Daß manche ganz anders als wir glauben. Und stimmte es, daß Leidenschaft Natur Bedeutete im guten und im bösen, Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen. Ringelnatz Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................................11 1 Geschlecht, Männlichkeit und Vaterschaft .................................23 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2 Väterinitiativen: ein neues soziales Phänomen ...........................53 2.1 2.2 3 ‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’.........................................................................24 Die Konstitution sozialer Ordnung und Prozesse der Differenzierung und Hierarchisierung von Geschlecht .........27 Konzeptualisierung von Männlichkeit(en) ............................33 Kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit.......................40 ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’...........................................45 Wechselseitige Ausblendungen in der Männer- und Vaterforschung.......................................................................47 Kollektive Zusammenschlüsse von Vätern............................54 Untersuchungsperspektive und Fragestellungen ...................59 Method(olog)ische Überlegungen und methodische Umsetzung.......................................................................................67 3.1 3.2 3.3 Das Deutungsmusterkonzept .................................................67 Grundannahmen und Vorgehensweise der Grounded Theory ....................................................................................76 3.2.1 Offenheit mit Methode: Bezugnahme auf die Grounded Theory .......................................................80 3.2.2 Methodische Umsetzung der Arbeit mit der Grounded Theory .......................................................81 Gründe für die Wahl eines sequenzanalytischen Verfahrens ..............................................................................84 3.3.1 Spielarten der Sequenzanalyse: Grundannahmen und Vorgehensweisen ................................................88 3.4 4 ‚Geschlechterkampf’ und ‚männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen’....................................................... 117 4.1 8 3.3.2 Bezugnahme auf sequenzanalytische Ansätze .......... 98 3.3.3 Methodische Umsetzung der Arbeit mit sequenzanalytischen Ansätzen ................................ 102 Die Datenbasis..................................................................... 105 3.4.1 PAPS. Zeitschrift für Väter ..................................... 107 3.4.2 Das ausgewählte Textkorpus................................... 112 3.4.3 Darstellungsweise.................................................... 115 Kampf zwischen den Geschlechtern ................................... 118 4.1.1 Väter heute: Überflüssig, ausgeschlossen und entwertet .................................................................. 119 4.1.1.1 Der entsorgte Vater ................................. 120 4.1.1.2 Kränkung, Wut und ‚Konfliktlösung’ durch Polarisierung ................................. 130 4.1.2 Neue Differenzierungen? Von allmächtigen Müttern und ohnmächtigen Vätern ......................... 135 4.1.2.1 Die Allmacht der Mütter ......................... 136 4.1.2.2 Differenzierungen zwischen Frauen: Feministinnen, Klammermütter und Supermütter ............................................. 143 4.1.2.3 Väter als Opfer im Geschlechterkampf... 152 4.1.2.3.1 Die Distanzierung vom Opfer.................................... 159 4.1.2.3.2 Archaische Vaterliebe ......... 163 4.1.2.3.3 ‚Auch der abwesende Vater ist ein guter Vater’..... 166 4.1.2.4 Ausdeutungen, Umschrift und Reinszenierung der Geschlechterdifferenz ..... 168 4.1.3 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehung und Elternschaft......................................... 176 4.1.3.1 Widersprüche und Ambivalenzen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen....................... 176 4.1.3.2 Das Auseinanderfallen von Paarbeziehung und Eltern-Kind-Beziehung....... 184 4.1.3.3 Kinder als Garanten für eine lebenslange Bindung ......................................... 187 4.1.4 4.2 Väter: Modernisierungsverlierer und Akteure der Modernisierung ........................................................191 4.1.4.1 Die Politisierung intimer Beziehungen....192 4.1.4.2 Partnerschaft oder romantische Liebe – Gleichheit oder Differenz ........................194 Männliche Autonomie in Geschlechterkooperationen ........200 4.2.1 Bewegungen in Widersprüchen ...............................202 4.2.2 Das ‚Väterproblem’: zwischen alten Gewissheiten und neuen Unsicherheiten .............................202 4.2.2.1 Fremdheit, Unsicherheit und Funktionsverlust: ambige Verortungen in Zeiten des Wandels..............................203 4.2.2.2 Abhängigkeitsszenarien und Autonomiewünsche: Suchbewegungen nach neuen Entwürfen von Vaterschaft und Väterlichkeit.............................................207 4.2.3 Divergente Orientierungen.......................................211 4.2.3.1 Neuorientierungen zwischen Zwang und Wunsch .............................................212 4.2.3.2 Konkurrenz und Kooperation ..................214 4.2.3.3 ‚Allein unter Müttern’: Familie als fremdes Terrain........................................218 4.2.3.4 Ambivalente Bezugnahme auf die Familie .....................................................220 4.2.4 Differenz und Gleichheit..........................................228 4.2.4.1 Frauenwelten – Männerwelten.................229 4.2.4.2 Die Konstitution männlicher und weiblicher Identitäten durch gleichgeschlechtliche Identifikation......................231 4.2.4.3 Naturalisierung von Differenz versus Angleichung der Geschlechter.................235 4.2.4.4 Gleichheit, Differenz und Hierarchie.......241 4.2.4.5 Geschlechterpolitisches Ziel: Angleichung ohne Gleichheit ..................243 4.2.5 Neue Väter, neue Mütter? Von Autonomie- und Machtkonflikten in- und außerhalb der Familie ......245 4.2.5.1 Mächtige ‚Strukturen’ und ohnmächtige Liebe.........................................245 4.2.5.2 Neue Väter – traditionelle Mütter? ..........250 9 4.2.5.3 4.2.6 5 Schwache Väter und mächtige Mütter: Über die Verfügbarkeit von Machtchancen in familialen Beziehungen ........ 255 4.2.5.4 Exkurs: Konstellationen der Macht......... 258 4.2.5.5 Kampf um Hausarbeit ............................. 263 Konzeptualisierungen von Familie, Paarbeziehungen und Elternschaft ..................................... 268 4.2.6.1 Familie und Partnerschaft: nachholende Individualisierung’ von Vätern? ............. 269 4.2.6.2 Ambivalente Akteure der Modernisierung .................................................. 273 4.2.6.3 Konzeptualisierungen der Vater-KindBeziehung................................................ 276 Widersprüchliche Veränderungen in den Geschlechterarrangements und Geschlechterbeziehungen – Konflikte in den Selbstdeutungen von Vätern: Ein Resümee .................. 279 5.1 5.2 Sozialer Wandel als Machtkampf oder Identitätskonflikt... 283 Differente Deutungen von Gleichheit, Differenz und Hierarchie ............................................................................ 289 Literatur ................................................................................................. 295 10 Einleitung In den vergangenen Jahrzehnten hat ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, der direkt und indirekt auch die überkommene Geschlechterordnung erfasst. Ausdruck dieses Prozesses sind unter anderem die erhöhte Bildungspartizipation und der Anstieg der Erwerbsarbeit von Frauen, insbesondere von Müttern. Damit verbunden sind Veränderungen in den ‚privaten’ Arrangements der Geschlechter: Der Rückgang der Eheschließungszahlen und -quoten, die Zunahme von Scheidungen, die sinkende Geburtenrate, der Anstieg der Zahl alleinerziehender Mütter (und überproportional auch der Zahl alleinerziehender Väter) und die Herausbildung neuer Formen von Paar- und Familienbeziehungen. Zwar ist die Ehe nach wie vor das dominante Familienmodell. Sie beginnt aber ihre regulative Bedeutung einzubüßen (vgl. Krüger 1997). Die hier skizzierten Entwicklungen wurden vielfach auch von Frauen initiiert und haben zu grundlegenden Veränderungen ihrer Lebenssituationen geführt. Aber auch an Männern sind sie nicht spurlos vorübergegangen. Vielmehr haben sie Verunsicherungen und Komplexitätssteigerungen in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern hervorgerufen, die mit neuen Konfliktlagen einhergehen. Diese neuen Problem- und Konfliktlagen auf sozialstruktureller Ebene, auf der Ebene intersubjektiver Deutungs- und Legitimationsmuster, von Handlungspraxen und auf Seiten der Individuen auszuleuchten, ist ein zentrales Anliegen sozialwissenschaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung. In diesem Zusammenhang wurden jedoch Männer, kulturelle Vorstellungen von Männlichkeiten und das Selbstverständnis von Männern bislang nur selten explizit zum Gegenstand empirischer Forschung gemacht. Dies gilt besonders im Hinblick auf die private Seite des MannSeins. Hier sind noch viele Fragen offen: Wie reagieren Männer auf Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen? Inwieweit sind sie selbst Akteure eines Wandels, sowohl in Richtung der Auflösung als auch der Verfestigung von Hierarchien und Machtbeziehungen? Was sind die Bedingungen und in welchen sozialen Kontexten zeigen sich Tendenzen der Veränderung von Männlichkeiten? Lässt sich gar von einer ‚Krise von Männlichkeit’ sprechen und – darauf zielt zumindest die popu- lärwissenschaftliche Verwendung der Krisenmetapher ab1 – drückt sich darin eine grundlegende Verunsicherung des Selbstverständnisses von Männern aus? Um diese und ähnliche Fragen wird es auch in der hier vorliegenden Untersuchung gehen. Als ein Indiz dafür, dass auch auf Seiten von Männern etwas in Bewegung geraten ist, wird die seit den 80er Jahren erfolgende Diskursivierung von Männlichkeit gesehen (vgl. Meuser 1998a; Knijn 1995). In den öffentlichen Auseinandersetzungen in den Medien, in Kirchen, Parteien, in der Literatur – vor allem der sog. ‚Männerverständigungsliteratur’ – aber auch in der Wissenschaft, werden neue kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit bereitgestellt, in denen Stereotype von Männlichkeit (und Weiblichkeit) tradiert, aber auch gebrochen werden. ‚Vaterschaft’ und ‚Väterlichkeit’ nehmen in diesen Diskursen einen großen Raum ein (vgl. Stein-Hilbers 1999, 273). Dies wundert nicht, sind Vaterschaft und Väterlichkeit doch zentrale Aspekte des Mann-Seins bzw. von Männlichkeit. Gleichzeitig wird in den Diskursen über Vaterschaft nicht nur Geschlecht, sondern auch die Ausgestaltung der biologischen, rechtlichen und sozialen Eltern-Kind-Beziehung verhandelt. Im Schnittpunkt von ‚Geschlecht’ und ‚Elternschaft’ geht es auch um Fragen der Kontrolle und Regulation von Generativität (Ott 1998; vgl. auch Holtrust 1987). Die öffentlichen Diskurse von Vätern und über Väter sind für Trude Knijn (1995) Ausdruck eines Macht- und Kontrollverlustes und zugleich Anzeichen dafür, dass neue Machtbalancen ausgehandelt werden (vgl. Knijn 1995, 174; Stein-Hilbers 1999, 273). Sie konstatiert eine ‚Krise der Vaterschaft’, für die sie im Wesentlichen zwei Gründe angibt: Der „ (…) erste Grund besteht darin, daß heute alle bisherigen Bedeutungen der Vaterschaft zur Diskussion stehen. Die Fundamente der Vaterschaft – der Status und die Position des Vaters, beide eng verbunden mit der männlichen Geschlechtsidentität – sind nicht länger unumstritten. Der zweite Grund, von einer Krise der Vaterschaft zu sprechen, besteht darin, daß gerade wegen der Änderung der Fundamente von Vaterschaft viele individuelle Väter den Blick dafür verlieren, was Vaterschaft bedeuten könnte und was von ihnen als Vater erwartet wird.“ (Knijn 1995, 173) 1 Zur kritischen Diskussion des Krisenbegriffs vgl. Meuser 1998a, 305; Connell 1987, 158ff, 1999, 105ff. 12 Es sei dahingestellt, ob wir es wirklich mit eine Krise der Vaterschaft zu tun haben oder ob krisenhafte Erscheinungen nur einzelne Gruppen von Männern bzw. Vätern betreffen (vgl. Meuser 1998a), jedoch verweist die starke Resonanz auf die Krisenmetapher darauf, dass der überlieferte Zusammenhang von Väterlichkeit und Männlichkeit an Selbstverständlichkeit verloren hat. Empirische Untersuchungen, deren Gegenstand Einstellungs- und Verhaltensweisen von Männern und Vätern waren2 oder die die häusliche Arbeitsteilung3 bzw. die Ausgestaltung von Paarbeziehungen4 in den Blick genommen haben, weisen darauf hin, dass seit den 80er Jahren ein Wandel in den normativen Orientierungen von Männern bzw. Vätern der jüngeren Generation stattgefunden hat. Dieser betrifft im Wesentlichen die Akzeptanz der Erwerbsarbeit von Ehefrauen bzw. Lebenspartnerinnen sowie die Betonung des Engagements von Vätern gegenüber ihren Kindern. Die Orientierung von heute 30- bis 40jährigen Männern an Vorstellungen der Gleichheit und Partnerschaftlichkeit der Geschlechter spricht nach Krüger (1997) sogar für einen grundlegenden ‚normativen Wandel’ gegenüber ihrer eigenen Vätergeneration. Auf der Ebene des faktischen Verhaltens setzen sich ihr zufolge jedoch in dem Moment, in dem Kinder hinzukommen, nach wie vor eher traditionelle Formen der Arbeitsteilung durch. Zwar kann die Frau weiterhin einer Erwerbsarbeit nachgehen, die Last der Vereinbarkeit liegt aber wesentlich auf ihren Schultern. Nur sehr wenige Männer – die so genannten ‚Neuen Väter’ – reduzieren von sich aus ihre Erwerbstätigkeit bzw. nehmen Erziehungsurlaub in Anspruch (vgl. z. B. Strümpel u. a. 1989). Und die Beteiligung von Vätern an der Hausarbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten nur geringfügig gestiegen. Allein im Bereich der Kinderbetreuung zeigen Männer heute ein etwas stärkeres Engagement (vgl. Matzner 1998, 45ff). Wenn auch durchaus umstritten ist, ob wir es hier mit einem grundlegenden oder nur tendenziellen normativen Wandel (z. B. Nave-Herz 1994, 1997) zu tun haben, so wird zur Erklärung der Diskrepanz zwischen normativer Orientierung und faktischem Verhalten von Männern zumeist auf die unveränderten bzw. einem nur geringen Wandel unterliegenden institutionellen Rahmenbedingungen verwiesen. So haben Claudia Born, 2 Vgl. Pross 1978; Metz-Göckel/Müller 1986; Zulehner/Volz 1998. 3 Vgl. hier die Forschungsübersicht Matzner 1998. 4 Z. B. Hochschild 1989; Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1986; Krüger 1987; Koppetsch/Burkart 1999. 13 Helga Krüger und Dagmar Lorenz-Meyer (1996) aufgezeigt, dass die sich auflösenden Normen vom Mann als Familienernährer und der Frau als Hausfrau zwischenzeitlich tief in die Anliegerinstitutionen der Familie – z. B. Bildungseinrichtungen, sozialstaatliche Regelungen – selbst eingelassen sind (Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1996, 294). Ähnlich argumentiert auch Francois de Singly (1995), bezogen auf ein Argument von Knijn5. Sie relativiert Knijns These einer ‚Krise der Vaterschaft’ und geht davon aus, dass wir es hinsichtlich der Vaterschaft mit einer Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität zu tun haben. So sei zwar das Ideal der väterlichen Autorität nicht mehr maßgeblich für Vorstellungen von Vaterschaft. Väter würden stattdessen immer stärker auch eine emotional und körperlich nahe Beziehung zum Kind suchen. Die Funktion des Vaters als Familienernährer existiere aber faktisch nach wie vor, wie ein Blick auf die Strukturen der Arbeitsteilung in der Familie und in der Erwerbssphäre zeige (vgl. de Singly 1995, 22/23). De Singly kommt zu dem Schluss: „The definition of the new role of the father is not blurred, it is more the question of making this role compatible with the function of the breadwinner.” (de Singly 1995, 25) Beziehen wir in die bisherigen Überlegungen Ergebnisse der Untersuchung ein, die Cornelia Koppetsch und Günter Burkart (1999) über Paarbeziehungen in differenten Milieus vorgenommen haben, wird das dargestellte Bild von Kontinuität und Wandel in den Geschlechterarrangements und -beziehungen noch komplexer. Koppetsch und Burkart blicken bei ihrer Frage nach Kontinuität und Veränderung weniger auf widersprüchliche institutionelle Rahmenbedingungen, sondern werfen einen vertieften Blick darauf, an welchen Normen sich die Individuen in ihren sozialen Praxen orientieren. Dabei haben sie festgestellt, dass entgegen der öffentlich dominant erscheinenden Diskurse der Geschlechtergleichheit nach wie vor latente Geschlechtsnormen die sozialen Praxen der Individuen leiten und sich darüber traditionelle Muster der Verteilung von Arbeit und Anerkennung zwischen den Geschlechtern reproduzieren.6 Die 5 Den Vortrag hielt Knijn im Mai 1994 auf einer internationalen Tagung an der Tilburg University, Niederlande. Er ist im Original veröffentlicht in: van Dongen/Frinking/Jacobs 1995. 6 Mit dem Begriff ‚traditionell’ rekurriere ich auf Vorstellungen und Ausformungen der Geschlechterverhältnisse und -beziehungen, die sich seit 1800 in der bürgerlichen Gesellschaft zunächst für das Bürgertum herausgebildet und dann verallgemeinert haben. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts lassen sich vielleicht als der Zeitraum betrachten, in dem Vorstellungen komplementärer, hierarchischer ‚Geschlechtscharaktere’ (Hausen) die Strukturen der 14 gilt auch für die Paare im als fortschrittlich geltenden ‚individualisierten Milieu’. Obgleich sich dort Frauen wie Männer bewusst an egalitären Normen orientieren, wird ihr Alltagshandeln von latenten, traditionellen Geschlechtsnormen bestimmt: „Ein Grundkonflikt, der sich durch das individualisierte Milieu zieht, ist die Diskrepanz zwischen diskursiven und praktischen Normen: Während auf der diskursiven Ebene beide Partner glauben, die Regeln des Zusammenlebens selbst zu bestimmen und eine Gleichverteilung der Hausarbeit vorzunehmen, verläuft die Praxis der Paarbeziehung in den bewährten Bahnen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung: eine Gleichverteilung der häuslichen Pflichten wird nicht einmal ansatzweise erreicht. Die Nachhaltigkeit, mit der sich traditionelle Muster reproduzieren, beruht auf der latenten Wirksamkeit von Geschlechtsnormen und geschlechtsspezifischen Gewohnheiten, die sich unabhängig von den verbalen Formen partnerschaftlichen Aushandelns entwickelt haben, und durch rationale Entscheidungen kaum zu beeinflussen sind.“ (Koppetsch/Burkart 1999, 197) Es ergibt sich also folgendes Bild: Im Bewusstsein vieler jüngerer Männer und Frauen steht – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Frauenbewegung –heute das Postulat der (formalen) Gleichheit der Geschlechter im Vordergrund7. Vor allem hierin drückt sich auch der ‚normative Wandel’ von einer Männergeneration zur anderen aus. Gleichzeitig sind jedoch alltagspraktisch nach wie vor polari-sierende Grundannahmen über die Geschlechterdifferenz und damit verbundene Arbeits- und Aufgabenteilungen wirksam. Neben der Spannung zwischen strukturellen bzw. institutionellen Rahmenbedingungen einerseits und den diskursiven Normen von Geschlechtergleichheit und Gerechtigkeit andererseits lässt sich somit auch eine spezifische Spannung feststellen zwischen einem nun auch von Männern vertretenen Anspruch auf gleiche Chancen und Geltungen der Geschlechter und zugleich nach wie vor im Alltagswissen verankerten, hierarchisierenden Vorstellungen der Geschlechterdifferenz. Letztere sind eng mit Selbstbildern und Identitätskonstruktionen von Männern und Frauen verwoben und gewinnen daraus ihre besondere Beharrlichkeit. Diese Spannung kann – kontextabhängig – zu Transformationen über- Arbeits- und Aufgabenteilung und der Über- und Unterordnung zwischen den sozialen Geschlechtsgruppen schichtübergreifend am stärksten geprägt haben. 7 Koppetsch/Burkart (1999) haben gezeigt, dass dies durchaus nicht durchgehend so ist, sondern vor allem für Angehörige des individualisierten Milieus zutrifft. 15 kommener Deutungsgehalte der Geschlechterdifferenz ebenso führen, wie zu neuen Festschreibungen von Unterschieden. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die sozialen Prozesse der Veränderung in den Geschlechterverhältnissen und -beziehungen auf unterschiedlichen Ebenen und zwischen diesen Ebenen durch Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche geprägt sind. Diese Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche, davon gehe ich in meiner Arbeit aus, erleben die Individuen als konflikthaft und ambivalent. Dabei ist es unterschiedlich, wie die Individuen mit Konflikten und Ambivalenzen umgehen; dies gilt auch für soziale Gruppen. Davon und vom sozialen Umgang mit den skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen hängt es ab, inwieweit sie zu egalitäreren Geschlechterarrangements und -beziehungen oder aber zu einer Verfestigung bestehender Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern beitragen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Dynamiken gesellschaftlichen Wandels wird in der folgenden Studie ein bisher kaum untersuchter Ausschnitt in den Blick genommen: Die kollektiven Orientierungen von Vätern, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben. Väterinitiativen: Kollektive Deutungsmuster von Vaterschaft und Väterlichkeit und übergreifende Diskurse In meiner Arbeit nehme ich eine Analyse von Publikationen vor, die im Kontext von Väterinitiativen in der Bundesrepublik entstanden sind. Mit ‚Väterinitiativen’ meine ich die Vereine und Verbände, in denen sich Väter zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ihr Interesse an einer Umgestaltung des Sorge- und Umgangsrechts zum Ausdruck zu bringen und in denen sie generell um mehr Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung und Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung nach der Trennung oder Scheidung von ihren Partnerinnen ringen. Väterinitiativen verstehen sich einerseits als Selbsthilfegruppen, andererseits auch als politische Gruppierung. Die Motivation einzelner Männer, sich diesen Gruppen anzuschließen, gründet häufig darin, Hilfe in einer persönlichen Problemsituation zu finden, z. B. beim Ausschluss vom Sorge- und Umgangsrecht oder bei Rechtsstreitigkeiten mit der ehemaligen Partnerin. Damit ist davon auszugehen, dass die sich dort engagierenden Väter zu den ca. zehn 16 Prozent der hochstrittigen Fälle von Sorgerechts- und Umgangsregelungen gehören.8 Als ‚hochstrittig’ werden in der Regel die Fälle bezeichnet, in denen in einem oft jahrelangen Rechtsstreit das Jugendamt, psychologische Gutachter oder andere Institutionen hinzugezogen werden müssen, um den Scheidungskonflikt zu ‚lösen’. Nehmen wir exemplarisch die Zahl der Scheidungsverfahren mit Kindern im Jahr 2000, dann waren von den 87.630 Verfahren immerhin ca. 8.750 hochstrittig. Von daher wundert es nicht, dass Väterinitiativen, die Vätern in hochstrittigen Fällen Beratung und Deutungsmuster der Konflikte anbieten können, kontinuierlich Zulauf haben. Die öffentlichen Aktivitäten dieser Gruppen sind Bestandteil eines Diskurses, an dem neben den Medien, Vereinen, Verbänden und Parteien vor allem unterschiedliche Professionen bzw. Disziplinen – Rechtswissenschaften, Psychologie, Sozialpädagogik, Soziologie – sowie insbesondere der Staat als Gesetzgeber beteiligt sind. Die seit nahezu 20 Jahren geführten Diskussionen ranken sich um Fragen der Ausgestaltung der Geschlechter- und Generationenbeziehungen und deren rechtlicher Regulierung. Dreh- und Angelpunkt waren die Novellierungen des Kindschaftsrechts, dessen letzte Reform am 1. Juli 1998 in Kraft trat. Marlene SteinHilbers hat in ihrem 1994 erschienen Buch „Wem ‚gehört’ das Kind?" diese Debatten ausführlich beschrieben. Ein zentraler Themenschwerpunkt dieser Auseinandersetzungen betraf die Gestaltung von Sorge- und Umgangsrechten verheirateter und nicht verheirateter Eltern. Besonders umkämpft war hier die Einführung der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall nach einer Scheidung. Dabei spielte die Interpretation des Begriffs des ‚Kindeswohls’ eine entscheidende Rolle. Das ‚Kindeswohl’ ist ein grundsätzlich auslegungsbedürftiger Begriff, der die Verpflichtung enthält, bei allen rechtlichen Eingriffen in die Eltern-Kind-Beziehung kindzentriert zu denken (vgl. Coester 1983, 218; Stein-Hilbers 1999, 278). Somit ist dieser Begriff „offen gegenüber sich historisch, kulturell und situativ wandelnden Auffassungen über Rechte und Bedürfnisse des Kindes." (Stein-Hilbers 1999, 278) Durch die Verpflichtung, kindzentriert zu denken, wurden in den Diskussionen „(…) die Interessen von Vätern und Müttern nicht mehr öffentlich als solche benannt, sondern ausschließlich als dem Wohl des Kindes dienend präsentiert." (Stein-Hilbers 1999, 281) Mit der Verabschiedung des Kindschafts- 8 Diese Zahl findet sich in der gesamten Literatur zu Sorge- und Umgangsrechtsverfahren wieder. 17 rechtsreformgesetz 1998 wurde die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall eingeführt und dabei der Gedanke des Kindeswohls wesentlich als Recht des Kindes auf beide biologischen Eltern interpretiert. Damit wurde „die rechtliche und soziale Privilegierung der Mutter-Kind-Zuordnung zur Disposition gestellt" (Stein-Hilbers 1999, 281), die Relevanz des Vaters für das Kind wurde dagegen stark aufgewertet, ohne dass dies mit einer tatsächlich größeren Zunahme der konkreten Personensorge von Vätern für das Kind einhergeht. 9 Dass mit der Neuinterpretation des Kindeswohls auch eine Revision des bisherigen gesetzlichen Familienleitbildes erfolgte, hat Jutta EckertSchirmer (1996) herausgearbeitet: Durch die Berücksichtigung neuer psychologischer Konzepte, d. h. der Abkehr von der Orientierung des Gesetzgebers an bindungstheoretischen Ansätzen zugunsten systemischer Ansätze, hat sich ihr zufolge beim Gesetzgeber ein neues Familienbild durchgesetzt. Zur Grundlage sozialrechtlicher Normen wurde die „Entkoppelung“ von Ehe und Elternschaft (Tyrell/Herlth 1994) gemacht (vgl. Eckert-Schirmer 1996, 210). Eltern sollen heute ihre Partnerkonflikte so weit von ihren Beziehungen zu den Kindern trennen können, dass sie die gemeinsame Elternverantwortung fortführen können (vgl. 211). Anders als Stein-Hilbers geht sie damit davon aus, dass in dem neuen Kindschaftsrecht nicht allein die biologische Elternschaft zentral ist, sondern Elternschaft überhaupt: Beratungsangebote richten sich dem gemäß auch an Stiefeltern. Ein Blick darauf, bei welchem Elternteil die Kinder im Fall der gemeinsamen Sorge ihren Lebensmittelpunkt haben, zeigt allerdings, 9 Betrug die Zahl der Fälle, in denen die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam belassen wurde, im Erhebungszeitraum vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 im Bundesgebiet 17,07% (74,64% alleinige Sorge der Mutter, 8,26% alleinige Sorge des Vaters), wobei die Zahlen nach Bundesländern sehr stark variierten (vgl. Mühlens/Kirchmeier/Greßmann 1998), stieg nach der Kindschaftsrechtsreform der Anteil der Fälle der Entscheidung für die gemeinsame Sorge (ohne Antrag) im Jahr 2000 auf 69,35%, zu denen man noch die 6,19% der Fälle hinzurechen muss, die auf Antrag erteilt wurden. Nur auf die Mutter übertragen wurde die elterliche Sorge in 21,62% der Fälle, nur auf den Vater in 1,52% der Fälle (vgl. Proksch 2002, 51). Väter scheinen also nur in sehr seltenen Fällen Interesse an der alleinigen Sorge zu haben. Sie engagieren sich vor allem für die Beteiligung an der Sorge. Betrachtet man die Zahlen über den Lebensmittelpunkt der Kinder bei den Eltern mit gemeinsamer Sorge, die Roland Proksch aus seiner Elternbefragung gewonnen hat, zeigt sich, dass insgesamt nur 12,6% der ersten und 9,9% der zweiten Kinder bei den Vätern wohnen. Alter und Geschlecht der Kinder spielen dabei eine Rolle: Kinder, die älter sind als 12 Jahre, leben häufiger bei dem Vater als jüngere, Jungen mehr als Mädchen (vgl. Proksch 2002, 60/61). Vergleicht man die Zahlen mit denen von 1995, dann lässt sich vermuten, dass sich die Zahl der Kinder, die vorrangig beim Vater leben, insgesamt nicht stark geändert hat. 18 dass es nach wie vor Mütter sind, die vorrangig die konkrete Sorge für die Kinder tragen. In Richtung einer stärkeren Verantwortung von Vätern für die konkrete Personensorge hat das neue Kindschaftsrecht also kaum Erfolg gehabt. Frühere Untersuchungen zur Praxis des gemeinsamen Sorgerechts (vgl. Macoby/Mnookin 1995; Limbach 1989) haben dies bereits erwarten lassen. Sie haben gezeigt: Physical custody und legal custody fallen meist auseinander. Gleichwohl wird mit dem neuen Kindschaftsrecht die Erwartung an beide Elternteile gerichtet, auch nach der Trennung eine gemeinsame Elternverantwortung zu übernehmen. Dies erfordert von allen Beteiligten eine große Fähigkeit des Konfliktmanagements sowie einen sozialen Rahmen, der es ermöglicht, über auftretende Konflikte reflektieren zu können. Die vielgestaltigen Diskurse um das Kindschaftsrecht und die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung als Regelfall wurden in den vergangenen Jahren auch in geschlechtertheoretischer Perspektive untersucht. In Deutschland hat vor allem Stein-Hilbers (1991, 1993, 1994a, 1994b, 1999) ana-lysiert, wie Geschlechterbeziehungen und Elternschaft in den Diskursen um das Kindschaftsrecht verhandelt werden. Die meisten Untersuchungen sind aber in englischsprachigen Ländern und den Niederlanden vorgenommen worden, in denen die politischrechtliche Entwicklung hin zu einer neuen Auslegung des Kindeswohlgedankens, welche mit größeren Rechten von Vätern verbunden wird, bereits früher eingesetzt hat (vgl. z. B. Sevenhuijsen 1986, 1992; Verheyen 1987; Bönnekamp 1987; Fineman 1991).10 In den meisten der vorliegenden englischsprachigen Untersuchungen geht es um die rechtlichen und politischen Konsequenzen, welche die Diskurse, die sich um Scheidung, Kindeswohl bzw. Sorge- und Umgangsrechte ranken, mit sich bringen. In geschlechtertheoretischer Sicht fokussiert wurde insbesondere die Diskrepanz einer Rhetorik der Gleichheit von Vätern und Müttern als Eltern und empirisch nach wie vor vorhandenen sozialen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, Vätern und Müttern (z. B. Fineman 1991). Eine Diskrepanz, die auch in meiner Untersuchung Bedeutung haben wird. 10 Auch wenn es nationale Besonderheiten in der Verrechtlichung der elterlichen Sorge und des Umgangs bei Trennung und Scheidung gibt, zeigen sich in den Diskursen der westlichen Industrienationen große Ähnlichkeiten. Dies betrifft auch die Argumentationen der Väter, die sich in Väterinitiativen zusammengeschlossen haben und die international vernetzt sind. 19 Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf die öffentlichen Auseinandersetzungen bundesrepublikanischer Vätergruppen, die sich im Kontext der skizzierten rechtspolitischen Auseinandersetzungen abspielen. Die Debatten um Sorge- und Umgangsrechte bei Trennung und Scheidung bilden allerdings nur den Hintergrund meiner Untersuchung. Vielmehr fokussiere ich Vätergruppen als diskursiven Raum, in dem Vorstellungen über Vaterschaft, Väterlichkeit und Männlichkeit neu interpretiert oder reinterpretiert werden. Durch die Trennung oder Scheidung von ihrer Partnerin und den damit zumeist einhergehenden Verlust des selbstverständlichen Umgangs mit ihren Kindern scheinen diese Männer in eine Verunsicherung geraten zu sein, die einen zentralen Aspekt ihres MannSeins betrifft: ihre Vaterschaft. Der Versuch, Öffentlichkeit für ihr Anliegen herzustellen, zwingt sie zugleich, sich öffentlich als Väter darzustellen. Ob sie nun neue Vorstellungen von Vaterschaft und Väterlichkeit konstruieren oder alte Deutungsmuster fortschreiben, in jedem Fall handelt es sich bei ihren Äußerungen um Resultate von Selbstreflexion und Formen der Selbst-Legitimierung, an denen sich Facetten der Sinngebung von Vaterschaft, Väterlichkeit und Männlichkeit unter Bedingungen eines Konflikts studieren lassen. Ich gehe davon aus, dass wir in den Argumentationen der Vaterrechtsgruppen eine spezifischen Verzahnung historisch neuer mit überkommenen Vorstellungen und Interpretationen von Vaterschaft, der Geschlechterbeziehungen und der Geschlechterdifferenz vorfinden werden, die auch über diese Gruppen hinaus gesellschaftliche Relevanz hat. Meine hermeneutische Untersuchung von Publikationen, die im Kontext von Väterinitiativen entstanden sind, zielt auf die Analyse solcher neuen und alten Ausdeutungen von Vaterschaft, Väterlichkeit, Männlichkeit, der Geschlechterarrangements und -beziehungen. Dabei ermöglicht mir die hermeneutische Interpretation einzelner Texte, nicht nur den manifesten, sondern auch den latenten Sinngehalt der Texte auszuloten. Damit lassen sich auch eventuelle Widersprüche und Unstimmigkeiten zwischen manifesten und latenten Sinngehalten der betrachteten Teste erkennen. Durch diese Perspektive unterscheidet sich die vorliegende Arbeit auch von der einzigen mir bekannten Untersuchung, welche sich ebenfalls auf Väterinitiativen konzentriert. Carl E. Bertoia und Janice Drakich (1993, 1995) haben sowohl öffentliche Verlautbarungen kanadischer Väterrechtgruppen untersucht, als auch Mitglieder dieser Gruppen interviewt. Ziel ihrer Untersuchung war es, Widersprüchen zwischen der kollektiven, öffentlichen Rhetorik der Väterinitiativen und den privaten Artikulationen einzelner Mitglieder aufzudecken. Die Frage nach Widersprüchen zwi20 schen dem manifesten und dem latenten Sinngehalt ihres jeweiligen Materials, die nur durch einen hermeneutischen Ansatz zu erfassen ist, war aber sowohl vom methodischen Zugriff her als auch inhaltlich bei ihnen nicht angelegt. So blieb die sehr interessante Arbeit bei der Analyse der manifest geäußerten Vorstellungen der Väter und der auf dieser Ebene erkennbaren Widersprüche stehen.11 Ich gehe davon aus, dass unter dem systematischen Einbezug des latenten Sinngehaltes des Materials Deutungsmuster in einer tieferen Schicht analysiert werden können und damit auch ein schärferer Blick auf die Konflikte der Väter möglich wird, die sich in Väterinitiativen engagieren. Ich denke, dass die oben angesprochene Spannung zwischen der manifesten Orientierung an einem Gleichheitsanspruch und der (latenten) Bezugnahme auf Unterschiede und Hierarchien zwischen den Geschlechtern in den Argumentationen von Väterinitiativen in besonderer Weise zum Ausdruck kommen. Als politische Gruppierung stellen sie die Forderung nach Gleichberechtigung mit Frauen in Bezug auf die Umgangs- und Sorgerechte mit bzw. für ihre(n) Kinder(n). Inhaltlich, so ist anzunehmen, werden von ihnen dabei Gleichheit und Differenzen zwischen den Geschlechtern in unterschiedlicher Weise ins Spiel gebracht. In welcher Weise, mit welchen Inhalten dies geschieht, ist eine Frage, die ich untersuchen möchte. Dabei interessiert mich, ob und wie in den Selbstkonstruktionen von Vätern als Vätern bürgerlich-traditionelle Deutungsmuster von Männlichkeit und Väterlichkeit bzw. Weiblichkeit und Mütterlichkeit in Frage gestellt und aufgebrochen bzw. verstärkt und befestigt werden. Wie weit reflektieren die Väter dabei Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und Geschlechterarrangements? Wie deuten sie diese aus? Welche Normalitätsvorstellungen von den Arrangements und Beziehungen zwischen den Geschlechtern werden entworfen? In einem ersten Kapitel diskutiere ich Konzeptualisierungen von Geschlecht und Männlichkeit und nehme auf dieser Basis einige für die Ar- 11 Die AutorInnen machen im Wesentlichen zwei Widersprüche aus: Der erste liege in der Rhetorik der Väterinitiativen, hinsichtlich der Möglichkeit der alleinigen Sorge auf Gleichheit zwischen Vätern und Müttern zu pochen. In den Interviews kam aber zum Ausdruck, dass viele der Väter gar nicht das alleinige Sorgerecht wollten, sondern vorrangig die Möglichkeit nach einem freien Zugang zu den Kindern anstrebten. Der zweite Widerspruch bestehe zwischen der von den Väterinitiativen öffentlich proklamierten Beteiligung an der Fürsorge für die Kinder und an der Hausarbeit und den in den Interviews verwandten Vorstellungen von ‚Helfen’ im Haushalt. Die grundlegende Kinderbetreuung werde so weiter an die Mutter delegiert (vgl. Bertoia/Drakich 1995). 21 beit relevante begriffliche Klärungen vor. Im zweiten Kapitel gehe ich genauer auf Väterinitiativen als ein neues soziales Phänomen ein und spezifiziere meine Forschungsperspektive und meine Fragestellungen. Im dritten Kapitel stelle ich methodologische und methodische Überlegungen und ihre Umsetzung in meiner Studie dar. Das große vierte Kapitel ist ganz der Darstellung der Analyse und ihrer Ergebnisse gewidmet, die in den Betrachtungen zum Schluss noch einmal gebündelt werden. 22 1 Geschlecht, Männlichkeit und Vaterschaft Unter der Leitfrage, wie eine bestimmte Gruppe von Männern gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere Veränderungen der Geschlechterarrangements- und -beziehungen, interpretiert und wie sie darauf reagiert, untersuche ich also Deutungsmuster und kollektive Orientierungen von Vätern, die sich im Kontext von Väterinitiativen engagieren. Mit dieser Fragestellung sieht sich die Arbeit im ‚interpretativen Paradigma’12 einer soziologischen Geschlechterforschung verortet, die einen Beitrag leisten möchte zu einer ‚Soziologie der Männlichkeit’, wie Meuser sie benennt: „Einer Soziologie der Männlichkeit stellt sich die Aufgabe, vor dem Hintergrund der skizzierten Veränderungen im ‚Arrangement der Geschlechter’ (Goffman 1994a) in herrschaftskritischer Perspektive sowohl die Strukturen männlicher Hegemonie zu entschlüsseln als auch Möglichkeiten einer nicht hegemonialen Männlichkeit zu erkunden.“ (Meuser 2000, 49) Zwei Aspekte möchte ich von diesen von Meuser benannten Aufgaben einer ‚Soziologie der Männlichkeit’ herausgreifen: Zum einen sieht er eine Soziologie der Männlichkeit eingebettet in eine Theorie sich wandelnder Geschlechterarrangements und Geschlechterverhältnisse (vgl. Meuser 1995). ‚Geschlecht’ wird damit als eine soziale Kategorie ver- 12 Das interpretative Paradigma lässt sich mit Matthes „als grundlagentheoretische Position bezeichnen, die davon ausgeht, daß alle Interaktion ein interpretativer Prozeß ist, in dem die Handelnden sich aufeinander beziehen durch sinngebende Deutungen dessen, was der andere tut oder tun könnte“ (Matthes 1973, 201; zit. n. Lamnek 1988, 43). Soziale Realität wird also als durch Interaktionshandlungen konstituiert begriffen. Die methodologische Konsequenz, die das interpretative Paradigma aus diesem Verständnis sozialer Wirklichkeit zieht, ist nach Siegfried Lamnek folgende: „Wenn Deutungen konstitutiv sind für die ‚gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit’ (vgl. Berger/Luckmann 1966), dann muss auch die Theoriebildung über diesen Gegenstandsbereich als interpretativer Prozess angelegt sein.“ (Lamnek 1988, 43) Oder konkreter mit Matthes: Die „(…)Prozesse der Interpretation, die in den jeweils untersuchten Interaktionen ablaufen, müssen interpretierend rekonstruiert werden“ (Matthes 1973, 202; zit. n. Lamnek 1988, 43). standen, entlang der sich soziale Grenzziehungen formieren und Strukturen ausbilden. Ich teile diese Perspektive. Wie bereits in der Einleitung deutlich wurde, bieten Vorstellungen von sich verändernden Arrangements und sozialen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern die Folie, von der aus ich die Publikationen analysiere, die im Kontext von Väterinitiativen entstanden sind. In einem ersten Abschnitt möchte ich daher mein Verständnis der Begriffe ‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’ darlegen. Danach wende ich mich der von Meuser eingeforderten ‚(herrschafts)kritischen Perspektive’ zu. Sie zielt auf eine Analyse der Herausbildung und Reproduktion der mit den sozialen Grenzziehungen zwischen den Geschlechtern verbundenen Machtgefällen zwischen Frauen und Männern. Während es aus einem gesellschaftstheoretischen Blickwinkel heraus relativ klar erscheint, wie nach Phänomenen der Macht, Herrschaft und Gewalt gefragt werden kann, liegt dies bei den Arbeiten, an denen ich mich orientiere, nicht unmittelbar auf der Hand. Gemeint sind eher interaktionstheoretische und wissenssoziologische Ansätze, die vor allem Prozesse der (Re-)Konstruktion von ‚Geschlecht’ fokussieren. Im zweiten Abschnitt werde ich daher diskutieren, ob und inwieweit in dieser Perspektive kritisch nach Dimensionen von Herrschaft und Macht, nach Hierarchien gefragt werden kann, und dabei zugleich den theoretischen Hintergrund meiner Untersuchung konturieren. Im dritten Abschnitt stelle ich ein Konzept von Männlichkeit vor, an dem ich mich in der Studie orientiere: das von Robert W. Connell in die Diskussion gebrachten Konzept „hegemonialer Männlichkeit“ (Connell 1987, 1995, 1999). Im Anschluss werde ich Ergebnisse von Meusers empirischer Untersuchung kultureller Deutungsmustern von Männlichkeit darstellen und wende mich darüber dem Verhältnis von Männerforschung und Vaterforschung zu. 1.1 ‚Geschlechterverhältnisse’ und ‚Geschlechterarrangements’ Die in den von mir analysierten Publikationen vorgenommenen Ausdeutungen der sozialen Beziehungen zwischen Männern und Frauen verweisen auf Veränderungen, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Geschlechterverhältnissen und den Arrangements zwischen den Geschlechtern erfolgt sind. Unter ‚Geschlechterverhältnissen’ verstehe ich in Anlehnung an Regina Becker-Schmidt, Gudrun-Axeli Knapp, Irene Dölling u. a. die Art und Weise, wie in einer Gesellschaft Frauen und Männer als soziale 24 Gruppen, als Genus-Gruppen, kulturell und strukturell zueinander ins Verhältnis gesetzt sind (vgl. Becker-Schmidt/Knapp 1995, 7; Dölling 2003, 76). Von Genus-Gruppen zu sprechen bedeutet dabei nicht, dass es sich um sozial homogene Einheiten handele (vgl. Becker-Schmidt 2000, 37). Die Relationen zwischen den Geschlechtern stehen in Wechselbeziehungen mit anderen Kategorien sozialer Strukturierung. Wichtige Felder der Analyse von Geschlechterverhältnissen sind die Vergesellschaftungsformen von Arbeit, Generativität und Sexualität (vgl. Knapp 1992, 295) und damit verbundene Strukturen der Exklusion und Inklusion, der Überund Unterordnung. Ich verwende diesen Begriff, wenn ich auf einer eher abstrakten Ebene über Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse spreche und damit z. B. Veränderungen von Strukturen der Arbeitsteilung, der Institution Familie, der Regulation von Generativität fokussiere. Der in dieser Arbeit zentrale Begriff ist allerdings der des ‚Geschlechterarrangements’. Durch ihn rückt das Verhältnis zwischen kulturellen Deutungsmustern und Verhaltensmustern individueller und kollektiver Akteure in den Vordergrund (vgl. Gottschall 2000, 222). Karin Gottschall geht in Anlehnung an Arbeiten von Birgit Pfau-Effinger von einem Begriff des Geschlechterarrangements aus, der auf die „(…) komplexen und raum-zeitlich variierenden Wechselbeziehungen zwischen den kulturellen Werten und Leitbildern, den Institutionen und dem Handeln sozialer Akteure“ (Gottschall 2000, 222) abhebt. „Diese Wechselbeziehungen markieren den Rahmen, in dem sich Geschlechterarrangements konstituieren. Dabei können Geschlechterarrangements je nach sozialhistorischer Konstellation mehr oder weniger konflikthaft, durch Kohärenz oder aber durch Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet sein. Sozialer Wandel ergibt sich demnach daraus, dass sich innerhalb von bestehenden Geschlechterarrangements, auf der Ebene von Institutionen oder kulturellen Werten, oder aber in den Beziehungen der sozialen Gruppen Spannungen herausbilden, die unter bestimmten Bedingungen dazu führen, dass soziale Akteure das überkommene Arrangement in Frage stellen und neue Aushandlungsprozesse herausfordern.“ (Gottschall 2000, 222 Hervorh. d. Verf.; vgl. Dölling 2003, 75/76)13 13 Nach Dölling entfaltet der Begriff des ‚Geschlechterarrangements’ seine analytische Kraft nur, wenn er in einen theoretischen Erklärungsrahmen eingebettet ist, „(…) der die Strukturiertheit von Geschlechterarrangements durch das Geschlechterverhältnis gesellschaftstheoretisch bestimmt.“ (Dölling 2003, 76) In meiner Arbeit kann dieser gesellschaftstheoretische Erklärungsrahmen allerdings nur einen heuristischen Hintergrund meiner Über- 25 Die Gruppe der Väter, die sich in Väterinitiativen engagieren und in diesem Kontext publizieren, mischt sich ein in die komplexen Aushandlungsprozesse über die soziale Regulation von Generativität und damit verbundene Fragen der (Ver-)Teilung von Arbeit und Einkommen zwischen den Geschlechtern. Dabei ist noch offen, ob und in welcher Weise sie bestehende Arrangements zwischen den Geschlechtern in Frage stellen oder ob sie durch ihre Interpretation der sozialen Prozesse und der mit ihnen einhergehenden Konflikte eher zu ihrer Verfestigung beitragen. Wichtig für meine Überlegungen ist, dass ‚Geschlechterarrangements’ als in sich widersprüchlich und ungleichzeitig gedacht werden können und der Begriff eine Öffnung erlaubt, nach Konflikten der in diese Arrangements eingebundenen Individuen zu fragen. Im konzeptionellen Horizont des Begriffs des ‚Geschlechterarrangements’, der auf eine interaktions- bzw. im weiteren Sinne intersubjektivitätstheoretische Perspektive verweist, werden Konflikte als interindividuelle oder Intergruppenkonflikte erfassbar. Um meine Analysemöglichkeiten im Sinne einer Einbeziehung intraindividueller Konflikte erweitern zu können, werde ich auch auf (sozial)psychologische Ansätze zurückgreifen, die z. B. den Begriff der ‚Ambivalenz’ zur Verfügung stellen.14 Dabei gehe ich davon aus, dass die thematisierten Konflikte selbst Interpretationen der widersprüchlichen Anforderungen sind, denen sich die Individuen ausgesetzt fühlen. Ein weiterer Begriff, den ich häufig verwende, ist der Begriff der ‚Geschlechterbeziehungen’. Er hebt auf die ganz konkreten individuellen Beziehungen von Frauen und Männer ab. Dieser Begriff ermöglicht den Blick auf die Art und Weise, wie individuelle Aushandlungsprozesse in den Beziehungen verlaufen, und wie die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern sich dabei verändert oder auch nicht. legungen abgeben, aus meinem Material und durch meinen theoretischen und methodischen Zugriff kann ich keine Aussagen über die Verfasstheit der Geschlechterverhältnisse treffen. 14 Goffman, der den Begriff des ‚Geschlechterarrangements’ ins ‚Spiel’ gebracht hat (Goffman 1994a) und ein zentraler Vertreter interaktionstheoretischer Ansätze ist, hat zwar in seinen theoretischen Überlegungen deutlich gemacht, dass „(…) der eigentliche Gegenstand der Interaktion nicht das Individuum und seine Psychologie’ sei, sondern eher die syntaktischen Beziehungen zwischen den Handlungen verschiedener gleichzeitig anwesender Personen.“ (Goffman 1971, 8; zit. n. Knobloch 1994, 12). In seinen Arbeiten kommt allerdings auch immer wieder eine eingenommene subjektive Perspektive des Individuums zum Tragen, welches gesellschaftliche Probleme bewältigen muss (vgl. Knobloch 1994; Hitzler 1992). 26 1.2 Die Konstitution sozialer Ordnung und Prozesse der Differenzierung und Hierarchisierung von Geschlecht Kritische Geschlechterforschung richtet sich auf Phänomene sozialer Ungleichheit, auf Herrschaft, Hierarchien, Macht und Gewalt zwischen den Geschlechtern. Knapp, die in ihrer mit Regina Becker-Schmidt verfassten Einführung in feministische Theorien (2000) verschiedene ‚Facetten der Sex-Gender-Debatte’ diskutiert, macht deutlich, wie in einer eher gesellschaftstheoretisch ausgerichteten Perspektive nach diesen Phänomenen gefragt werden kann: „Wie kommt es zu ungleichen Verteilungen von materiellen, politischen und symbolisch-kulturellen Ressourcen zwischen den Geschlechtern? Wie sind Strukturen der Geschlechtersegregation zu erklären, warum kommt es zur Abwertung und Deklassierung von Frauen, in welchem Zusammenhang stehen Geschlechtertrennungen, hierarchische Verhältnisse zwischen den Genus-Gruppen und spezifische Vorstellungen von Geschlechterdifferenz?“ (Knapp 2000, 65) In diesen Fragen wird allerdings die Existenz von zwei Geschlechtern noch vorausgesetzt, wenn auch im Sinne eines historisch-kulturellen Konstitutions- bzw. Vermittlungszusammenhangs, zu dem letztlich auch die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit, die biologisch begründete Unterscheidung zweier Geschlechter zählt. Der Blickwinkel, in dem diese Fragen verfolgt werden, reicht – im Sinne der konventionellen soziologischen Unterscheidungen – von der Mikro- über die Meso- bis zur Makro-Ebene der Gesellschaft. Zumindest programmatisch setzt dabei die Untersuchung der Geschlechterverhältnisse den Blick auf deren Einbindung in den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang voraus. Lässt sich aber eine ‚herrschaftskritische Perspektive’ einnehmen in interaktionstheoretischen und wissenssoziologischen Ansätzen, die die Prozesse des ‚doing gender’, der sozialen Herstellung von Geschlecht, in einer stärker mikro- bis meso-analytischen Perspektive fokussieren? Kann man in diesem theoretischen Kontext überhaupt von einer ‚herrschaftskritischen Perspektive’ sprechen? Um diese Fragen zu beantworten, skizziere ich zunächst die Ausgangspunkte dieser Forschungsausrichtungen15: 15 Die Grundprämissen dieser Ansätze sind bereits in vielen Arbeiten zusammenfassend dargestellt worden. Da es mir hier darum geht, eine analytische Perspektive zu kennzeichnen, die ich in meiner Arbeit einnehme, und nicht darum, sie grundsätzlich zu diskutieren, 27 Ansätze, die seit Beginn der 90er Jahre16 unter dem Label des ‚Konstruktivismus’ Einzug auch in die bundesdeutsche Geschlechterforschung erhalten haben, stellen die selbstverständliche Annahme, dass es zwei Geschlechter (und nur zwei) Geschlechter ‚gibt’, in Frage. Den unter diesem Label erschienenen verschiedenen Untersuchungen, die sich immanent von der theoretischen Anlage her stark unterscheiden, ist gemeinsam, dass sie die Frage „(…) nach der Relationierung von Natur und Kultur in Bezug auf die Kategorie Geschlecht neu aufwerfen. In dem Maße, in dem ‚Geschlecht’ zu einem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analyse wird, wird die Aufmerksamkeit zudem systematisch darauf gelenkt, dass dieser Gegenstand in ganz grundsätzlichem Sinn sinnhaft strukturiert ist. Sie sind sich auch in dem Punkt einig, dass eine säuberliche Trennung von Natur und Kultur unmöglich ist und folgern daraus, dass das so genannte ‚biologische Geschlecht’ (‚sex’) der Analyse nicht vorgelagert werden kann.“ (Gildemeister 2001, 69; Hervorh. d. Verf.) Der Blick ethnomethodologisch-interaktionstheoretischer sowie wissenssoziologischer Ansätze in der Geschlechterforschung, richtet sich auf die soziale Konstruktion von Geschlecht, bzw. genauer, von Geschlechtsbedeutungen. In Anknüpfung an die Arbeiten von Harold Garfinkel (1967), Suzanne Kessler/Wendy McKenna (1978), Candance West/Don Zimmermann (1987) und anderer soll „(…) die Art und Weise erforscht werden, in der Gesellschaftsmitglieder auf soziokulturell institutionalisierte Wissensbestände, auf kulturelle Deutungs- verzichte ich in diesem Fall auf die Bezugnahme auf Primärliteratur und orientiere mich im Weiteren vor allem an den Darstellungen von Knapp (2000) und Gildemeister (2001). 16 Im deutschsprachigen Raum tauchten erste konstruktionstheoretische Ansätze in der Geschlechterforschung in den 80er Jahren auf (vgl. Carol Hagemann-White 1984; 1989). Regine Gildemeister und Angelika Wetterer, die Anfang der 90er Jahre mit ihrem Aufsatz „Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung“ interaktionstheoretisch-wissenssoziologische Ansätze in den Diskurs eingebracht haben, haben allerdings recht, wenn sie von einer bis zu dieser Zeit bestehenden „Rezeptionssperre“ gegenüber solchen Ansätzen sprechen (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992, 203). U. a. dieser Aufsatz hat nach 1992 einen wahren ‚Rezeptionsboom’ konstruktionstheoretischer Ansätze ausgelöst, so dass Gildemeister knapp zehn Jahre später eine „inflationäre Begriffsverwendung“ des Konstruktionsbegriffs (Gildemeister 2001, 67) konstatieren konnte. 28 muster von ‚Geschlecht“ zurückgreifen, sie situationsspezifisch anwenden und dabei reinterpretieren.“ (Knapp 200, 74) Gefragt wird danach, „(…) wie es zu der binären, wechselseitig exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern kommt und wie diese Klassifikation mit Bedeutungen aufgeladen wird“ (Gildemeister 2001, 71; vgl. Knapp 2000, 74). Analysiert werden soll der Prozess der Herstellung von ‚Geschlecht’, der Prozess der Geschlechterdifferenzierung: „Das ‚doing gender’, wie dieser Prozess genannt wurde, ist (...) eine permanente, andauernde Praxis von Zuschreibungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungsroutinen, die sich lebensgeschichtlich niederschlägt, verfestigt und identitätswirksam wird“. (Gildemeister 2001, 74) Der mikrologische Blick auf die Prozesse der Konstruktion von Geschlecht, so wird schnell deutlich, lässt sich mit gesellschaftstheoretischen, herrschaftskritischen Konzepten nicht unmittelbar verbinden. Insbesondere die im engeren Sinne ethnomethodologisch-interaktionstheoretische Sicht bringt das Problem mit sich, dass sie die Konstruktion von Geschlecht, das ‚doing gender’, als mehr oder weniger ‚lokale’ Angelegenheit begreift. Sie richtet ihren Blick auf den situativen Kontext des Handelns (vgl. Meuser 2000). Nach Meuser (2000, 52) muss sich der Blick aber auch auf die situationsübergreifenden Einbindungen des Handelns ausdehnen, da das ‚doing gender’ auch in transsituativen Kontexten stattfinde. Dabei, so betont er, „(…) muß dies in einer Weise geschehen, dass rekonstruiert wird, wie solche Einbindungen im Handeln bedeutsam werden.“ (Meuser 2000, 52; Hervorh. d. Verf.)17 Auch Gildemeister setzt an dem Problem der Begrenztheit der Analyse der unmittelbaren Interaktion an, da auf dieser Ebene nicht zu verstehen sei, warum sich die „(…) streng binäre Klassifikation und die darin eingelagerte Asymmetrie im Geschlechterverhältnis trotz des vielfach aufgedeckten brüchigen Charakters über lange Zeitreihen hinweg als stabil erwiesen hat und immer noch erweist“ (Gildemeister 2001, 74). 17 Auf die Vorstellungen Meusers, wie dies konzeptionell zu bewerkstelligen sei, gehe ich weiter unten ein. 29 Ihr zufolge ist es dazu notwendig, mit der Analyse von Institutionen eine andere Analyseebene zu beschreiten.18 Möglich sei dies unter Rückgriff auf eine im engeren Sinne wissenssoziologische Perspektive, die unter anderem in der Wissenssoziologie Berger/Luckmann begründet sei, aber auch Anregungen durch die Arbeiten Goffmans oder von der Institutionentheorie von Mary Douglas (1991) erhalte (vgl. Gildemeister 2001, 76). Anders als in der Ethnomethodologie liege bei Berger/Luckmann (1996) der Schwerpunkt der Arbeit nicht in der Frage, wie soziale Wirklichkeit methodisch erzeugt werde. Vielmehr gehe es darum, „(…) wie soziale Ordnung als kollektiv produzierte zustande kommt und wie sie Menschen als objektiv erfahrbare Ordnung gegenüber tritt“ (Gildemeister 2001, 76). Damit würden die Prozesse anvisiert, die zu einer Objektivierung sozialer Ordnung führen, dazu, dass eine widerständige Außenwelt empirisch erfahrbar wird. Diese Prozesse sind Prozesse der Institutionalisierung und der Legitimation (vgl. Gildemeister 2001, 76). Dies impliziert, dass jede Handlung in dieser objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit immer schon eine soziale Vorgabe findet. „Zugleich muß in jeder Handlung diese Vorgabe situationsangemessen und kontextsensibel ausgedeutet werden. Das dazu erforderliche ‚Wissen’ ist (...) kein Abdruck, keine Wiederspiegelung einer unabhängig existierenden äußerenWirklichkeit. Es ist selbst das Ergebnis eines spezifischen gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses.“ (Gildemeister 2001, 81) Um die hier dargestellten Prozesse der Institutionalisierung und Legitimation und ihrer Reproduktion zu analysieren, müsse allerdings wieder auf die Ebene der Interaktion zurückgegangen werden, da sich auf dieser Ebene soziale Wirklichkeit reproduziere.19 Der Ansatz von Berger/Luckmann, so Gildemeister zusammenfassend, ziele also „auf die Konstitution sozialer Ordnung als einem sinnhaften Handlungszusammenhang und seiner Reproduktion“ (Gildemeister 2001. 76). Darin eingeschlossen sei auch die Analyse sozialer Hierarchisierungen und sozialer Ungleichheit. Exemplarisch weist Gildemeister hier auf Untersuchungen, die den Zusammenhang der sozialen Konstruktion von Geschlecht mit Arbeitsteilungen fokussieren. Arbeitsteilungen 18 Vgl. dazu auch Wetterer (2002). 19 In dieser Auffassung liegt auch die wesentliche Differenz zu gesellschaftstheoretischen Ansätzen. Die Frage, die bestehen bleibt, lautet: Von wo aus ist ein Zugang zur gesellschaftlichen Realität möglich? (Vgl. Gildemeister 2001, 81/82) 30 zwischen den Geschlechtern, die ‚Vergeschlechtlichung’ von Arbeit, so zeigen diese Untersuchungen, sind eng mit der differenten Wertung von Geschlechtern verbunden und haben in der Regel die Benachteiligung von Frauen zur Folge. Die geschlechtsdifferenzierende Arbeitsteilung sei somit eine der zentralen Ressourcen der Herstellung von zwei Geschlechtern und ihrer ungleichen sozialen Lagen. Dieses Beispiel verweist auf einen wichtigen Streitpunkt, der für die Frage, inwieweit mit interaktionstheoretischen und wissenssoziologischen Ansätzen Prozesse der (Re)produktion sozialer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fokussiert werden können, zentral ist und deshalb hier zuletzt dargestellt werden soll: Es ist das Problem der Omnirelevanz und Omnipräsenz von ‚Geschlecht’. „Can we ever avoid doing gender?” haben West/Zimmermann (1987) gefragt, und dabei selbst das fortlaufende ‚doing gender’ als simultane Hervorbringung von Differenz und Hierarchie, von binärer Geschlechterklassifikation und männlicher Herrschaft konzeptualisiert (vgl. Eickelpasch 2001, 59; Knapp 2000, 78). Ausgangspunkt für diese Auffassung war die Vorstellung der Unhintergehbarkeit von Geschlecht in Face-to-Face-Interaktionen. In dem Augenblick jedoch, in dem das ‚doing gender’ nicht mehr nur als lokale Angelegenheit begriffen wird, sich der Blick auf die situationsübergreifenden Einbindungen des Handelns ausdehnt und Formen der Institutionalisierung und deren Rückwirkungen auf das Handeln der Individuen betrachtet werden, hätten wir es mit einem erweitertem Verständnis sozialer Interaktion zu tun und könnte auf die – erkenntnistheoretisch auch nicht zu begründende20 – Vorstellung einer Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie verzichtet werden. Die von Gildemeister und Wetterer getroffene Feststellung, dass „sich (...) in ein hierarchisches Verhältnis nur setzen lässt, was vorher unterschieden wurde“ (Gildemeister/Wetterer 1992, 228) verweist dann nur noch auf einen möglichen Zusammenhang von (binären) Klassifikationen und Prozessen der Hierarchisierung. Dieser Zusammenhang wird aber nicht als zwangsläufig gesehen. So sagt auch Gildemeister über die Ansätze von Kessler/McKenna und Goffman: 20 Die reine Logik des Unterscheidens, so Knapp, mache es ebenso möglich „in der Vielfalt zu differenzieren und zwei unterschiedene Kategorien gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen“ (Knapp 2000, 80; vgl. auch Eickelpasch 2001, 59/60). Die Geschichte rassistischer Klassifikationsmuster und Rangordnungen mache zudem deutlich, dass eine Vervielfältigung von Kategorien nicht vor Hierarchisierungen schütze. 31