KUATSU FÜR ALLE

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AUSBILDUNG
KUATSU FÜR ALLE
Ganz kurz zusammengefasst ist
Kuatsu 1. Hilfe auf der Matte.
Kuatsu entstand im 17. Jahrhundert
und entwickelte sich parallel zum JuJitsu. ‚Kua‘ bedeutet Leben, ‚tsu‘ heisst
Kunst, Technik. Kuatsu-Techniken
benötigen keine Hilfsmittel, es wird
mit den Händen (und Füssen) gearbeitet. Das Ziel dabei ist, die gestörte
Körperfunktion durch einen gezielten
Reiz wieder zur normalen Funktion
zurück zu führen.
Kuatsu interessiert die meisten von uns
erst relativ spät in unserer Judo- oder
Ju-Jitsu-Laufbahn, nämlich beim
Zusammenstellen der für die DanPrüfungen verlangten Kurse. Der
Besuch eines Kuatsu-Kurses wird sogar
erst für den 3. Dan (Formel IV) obligatorisch.
Erste Hilfe durch den Laien ist aus ärztlicher Sicht aber – nicht nur auf der
Matte - sehr wichtig und sollte daher
wo immer möglich Verbreitung finden.
Je mehr Menschen die Grundlagen der
1. Hilfe und der Reanimation kennen,
um so besser stehen die Chancen der
Betroffenen, in einer bedrohlichen
Situation rechtzeitig Hilfe zu bekommen.
Wir möchten Ihnen Kuatsu mit dieser
Artikelreihe vorstellen und in loser
Folge Situationen und dazu mögliche
Kuatsu-Methoden beschreiben.
Situation:
Bewusstlosigkeit durch Würger
Zum Einstieg gehen wir von folgender
Situation aus:
Ein Kämpfer wird infolge eines
Würgers bewusstlos, der Kampfrichter bricht den Kampf ab, sobald
er bemerkt, dass sich der Gewürgte nicht mehr bewegt.
Was läuft im Körper ab?
Bei den Würgern unterscheidet man
zwischen Blut- und Luftwürgern. Beim
Blutwürger (z.B. Morote-shime, Ryote-shime) erfolgt der Druck direkt auf
die beiden Halsschlagadern, die das
Gehirn mit Sauerstoff versorgen. Die
Blutzufuhr wird sofort unterbrochen.
Das Gehirn reagiert auf den akuten
Sauerstoffmangel mit dem Ausfall seiner differenziertesten und kompliziertesten Ebene: dem Bewusstsein. Das
Gehirn muss sich jetzt auf seine BasisFunktionen, die das Überleben
sichern, konzentrieren. Hält der Sauerstoffmangel länger an, fallen nacheinander auch die anderen Ebenen aus,
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bis schliesslich auch die Atemregulation, der Kreislauf und die Funktion
der anderen lebenswichtigen Organe
eingestellt wird und der Tod eintritt.
Bei den Blutwürgern kommt es öfter
vor, dass der Gewürgte nicht mehr
Zeit findet, abzuklopfen, weil die
Bewusstlosigkeit sehr rasch eintritt!
Bei den Luftwürgern (z.B. Okuri-erishime) wirkt der Druck primär auf den
Kehlkopf und verengt die Luftzufuhr.
Dadurch wird die Sauerstoffzufuhr ins
Blut vermindert, es kommt aber
immer noch Sauerstoff zum Gehirn,
weil die Blutbahn nicht unterbrochen
ist. Erst allmählich macht sich die
Mangeldurchblutung bemerkbar und
führt daher langsamer zu einer
Bewusstlosigkeit. Es bleibt genug Zeit,
abzuklopfen; die drohende Bewusstlosigkeit kündigt sich an (man spürt,
dass es einem bald schwarz werden
wird). Ehrgeizige Kämpfer missachten
diese Signale aber und versuchen
durchzuhalten, was mitunter dann
doch zum Eintritt der Bewusstlosigkeit
führt.
Was muss ich tun?
Das Wichtigste bei jedem Bewusstlosen ist die Kontrolle der Vitalfunktionen, d.h. der Körperfunktionen,
die das Überleben sichern: der
Atmung und des Kreislaufs.
Zuerst versucht man, den Bewusstlosen anzusprechen. Dabei kann man
ihn mit der offenen Hand leicht auf die
Wangen tätscheln (stimuliert die
Weckreaktion). Reagiert der Gewürgte
nicht, wird sofort kontrolliert, ob er
atmet: hebt sich der Brustkorb (unter
dem Judo-Gi manchmal schwer zu
Handrücken-Atemkontrolle
sehen)? Höre ich ein Atemgeräusch
(auch das ist an einem Turnier kaum
hörbar)? Fühle ich die Ausatemluft?
Diese Methode scheint mir am sinnvollsten in der lärmigen Umgebung
eines Wettkampfes: man hält den
eigenen Handrücken dem Bewusstlosen nahe vor die Nase oder den
Mund. Atmet der Gewürgte, ist die
Wärme und der Luftstrom der ausgeatmeten Luft deutlich spürbar.
Atmet der Bewusstlose, ist höchstwahrscheinlich auch sein Puls vorhanden. Ein kurzer Griff an die Halsschlagader (nur auf 1 Seite!) zur
Kontrolle sollte trotzdem gemacht
werden.
Sind die Vitalfunktionen vorhanden,
genügt es, dem bewusstlosen Judoka
die Beine hoch zu halten, um den
Blutfluss zum Gehirn zu steigern.
Dabei werden die Vitalfunktionen
beobachtet (Gesicht dem Patienten
zuwenden).
Innert weniger Sekunden wird der
Bewusstlose erwachen (die wiederhergestellte Sauerstoffzufuhr reaktiviert
das Bewusstsein). Zunächst wird er
einige Sekunden lang etwas desorientiert und verwirrt sein. Bald jedoch ist
er wieder klar.
Helfer hält Beine (leicht angewinkelt in Knie) hoch
Wie weiter?
Wegen der Gefahr einer Hirnblutung
(selten, aber möglich!) darf der Patient
in den nächsten Stunden nicht alleine
gelassen werden. Ein in dieser Zeit
schläfrig und verlangsamt wirkender
Judoka sollte sofort zum Arzt gebracht
werden!
Von unmittelbaren weiteren Kämpfen
bzw. Fortsetzung des Trainings wird
abgeraten, sobald eine Phase der
Desorientierung nach dem Erwachen
feststellbar ist.
Was, wenn der
Bewusstlose nicht oder
schlecht atmet?
Griff an die Halsschlagader
Hat der Bewusstlose Atemprobleme
(schnappt er nach Luft?) oder ist keine
Atmung nachweisbar, kann es mehrere Gründe dafür geben: die Atemwege
können verlegt sein (Zunge im Rachen,
eingedrückter Kehlkopf oder ähnli-
ches) oder die Gehirnfunktion ist
schon so stark beeinträchtigt, dass die
Atem-regulation ausgefallen ist.
Doch darüber Näheres beim nächsten
Mal !
Tipp für Kampfrichter,
Trainer und Coach
Bewegt sich ein Kämpfer am Boden
mehr als 3 Sekunden nicht mehr –
Kampf unterbrechen bzw. Abbruch
fordern. Nicht immer sieht man einen
Arm herunterhängen (eingepackt in
Festhalter) oder ein Bein zur Seite kippen!
Zeit gewinnen! Je kürzer die Bewusstlosigkeit, desto kleiner der Schaden
(einige Hirnzellen müssen aber immer
dran glauben).
Dr. med. Reta-Sandra Tschopp,
1. Dan Judo, Kuatsu-Instruktorin
02/06 D O J O
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AUSBILDUNG
KUATSU FÜR ALLE
mit Dr. med. Reta Sandra Tschopp
Erinnert Ihr Euch noch an unseren Fall vom letzten Mal (DOJO Nr. 03/06)? Wie angekündigt wollen wir heute diesen Faden
noch etwas weiter spinnen. Wir haben einen bewusst-losen Judoka vor uns, der abgewürgt worden ist. Bei der Kontrolle der
Vitalfunktionen (Atmung und Kreislauf) stellen wir eine Atemstörung fest. Die Gründe für eine Atemstörung sind sehr verschieden und reichen von einfach zu behebenden Störungen bis hin zum lebensbedrohlichen medizinischen Notfall. Die
Ausbildung möglichst vieler Laienhelfer ist ein wichtiges Ziel, um die Chancen von Verletzten zu verbessern. Deshalb wagen
wir uns hier über die Grenzen des traditionellen Kuatsu hinaus. Der Uebergang zu professioneller medizinischer Nothilfe ist fliessend.
Teil
2
Situation:
Bewusstlosigkeit durch Würger
1. Karchelnde,
dem Schnarchen
ähnliche Atemgeräusche
Was läuft im Körper ab?
Tritt in der oben beschriebenen
Situation eine Atemstörung ein, ist
dies die häufigste Form. Es handelt
sich hier um eine leicht zu behebende
Störung: bei einem bewusstlosen
Menschen erschlafft die Muskulatur
Bewusstlosenlagerung
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des Rachens und des Gaumens – in
Rückenlage fällt die Zunge nach hinten
und verlegt die Atemwege (meist nicht
vollständig). Der Hustenreflex, der normalerweise dazu führt, dass allfällige
Fremdkörper aus den Atemwegen heraus befördert werden, funktioniert je
nach Tiefe der Bewusstlosigkeit nur
ungenügend oder gar nicht.
Was muss ich tun?
Die Atemwege müssen in jedem Fall
freigelegt werden. Oft genügt es, den
Kopf auf die Seite zu drehen, die
Zunge folgt der Schwerkraft und gibt
die Atemwege frei. Allenfalls ist es
nötig, die Zunge von Hand nach vorne
zu ziehen. Aus diesem Grund legt man
Bewusstlose auf die Seite. Dauert die
Bewusstlosigkeit mehr als nur ein paar
Sekunden, muss der Judoka in Seitenlage gebracht werden. Damit wird
auch verhindert, dass Erbrochenes
(Erbrechen häufig durch Reizung des
vegetativen Nervensystems) in die
Luftwege gelangt. Die Lagerung der
Arme und Beine dient der Stabilisierung in Seitenlage. Der Kopf sollte
leicht überstreckt sein, dies erweitert
die Atemwege zusätzlich.
Ist der Kämpfer anschliessend wieder
bei Bewusstsein und klagt über
Brennen im Hals, hat Hustenreiz oder
Hustenanfälle, so ist das ein Hinweis
für das Eindringen von Magensäure
oder Erbrochenem in die Atemwege.
Die Säure des Magensaftes reizt die
Atemwege stark und kann zu einer
Entzündung der Bronchien oder einer
Lungenentzündung führen. In diesem
Fall den Judoka je nach Stärke der
Symptome rasch oder spätestens
innert 1-2 Tagen zum Arzt schicken
(zur Nachkontrolle).
2. Schnappende
Atmung, Einziehen,
Atemnot
( j e t z t w i r d ’s g e f ä h r l i c h ! )
Zuerst versuchen, den Verletzten zu
beruhigen, dadurch wird der Sauerstoffverbrauch reduziert. Panikreaktionen vermeiden. Ruhe ausstrahlen.
Patienten nicht hinlegen, im Sitzen ist
die Atmung leichter möglich.
Knorpelringen horizontal eröffnet, was
zum sofortigen Einströmen von Luft in
die Lungen führt (das Atemwegshindernis wird so umgangen). Zum
Offenhalten der Zustromöffnung kann
eine leere Kugelschreiberhülse dienen,
die in die Schnittöffnung gesteckt
wird.
Was läuft im Körper ab?
Bei einem unsachgemäss eingesetzten
Würger (vor allem bei einhändigen
Würgern mit Bodenkontakt wie z.B.
Tsukkomi-shime) kann es zu Verletzungen des Kehlkopfes kommen.
Der Kehlkopf kann nach hinten gegen
die Wirbelsäule gedrückt werden oder
im schlimmsten Fall kommt es zu
einem Bruch des Knorpels (bei älteren
Judokas häufiger, weil der Knorpel
nicht mehr so elastisch ist).
Solche Verletzungen beeinträchtigen
die Atemwege stark und können sie
sogar komplett verlegen. Ausserdem
kann es zu Blutungen kommen, die die
Atmung
zusätzlich
erschweren
(Flüssigkeit in den Luftwegen). Die
Folge sind eine Schnappatmung, beim
wachen Patienten Atemnot bis hin zu
Todesangst und massiver Stressreaktion (Adrenalinwirkungen wie Blutdruckanstieg und Herzrasen).
Kehlkopfverletzungen erkennt man an
einer Dellenbildung etwa in der Mitte
des Halses, an der Stelle des Adamsapfels; der wache Verletzte greift sich
an den Hals, angsterfüllte, weit aufgerissene Augen, kalter Schweiss.
Was muss ich tun?
Da es sich hier um einen echten Notfall
handelt (akute Erstickungsgefahr!),
unverzüglich Arzt ausrufen lassen bzw.
Sanitätsnotruf 144. Hier eilt es, denn
Sauerstoffmangel im Gehirn führt in
kurzer Zeit zu irreparablen Schädigungen der Hirnzellen!
Häufig ist ein Arzt anwesend an einem
Turnier. In Abwesenheit von medizinischem Personal ist dieser lebensrettende Eingriff aber auch schon von beherzten Laien erfolgreich angewendet
worden!! Die Nutzen-Risiko-Abwägung
in einem solchen Fall lässt keine andere Wahl. Ohne Hilfe wird der Patient
unweigerlich ersticken.
Klammergriff am Kehlkopf zur
Erweiterung der Atemwege
Durch seitlichen Druck auf den Kehlkopf kann versucht werden, die flach
gedrückten Luftwege zu erweitert
(Querschnitt wird grösser). Dieser Griff
funktioniert nur, wenn der Kehlkopf
noch einigermassen intakt ist.
Wie weiter?
Kann bis zum Eintreffen des Notarztes
die Situation so nicht stabilisiert werden und zeigt der Patient bereits
Erstickungszeichen (z. B. Blaufärbung
der Haut), ist der Patient in akuter
Lebensgefahr und es bleibt als letzte
Interventionsmöglichkeit noch der
Luftröhrenschnitt, um dem Patienten
das Leben zu retten. Eine Beatmung
durch Mund oder Nase würde nichts
bringen, denn das Atemhindernis liegt
zwischen Beatmungsort und Lunge!
Dieser Eingriff wird in der Regel vom
Notarzt durchgeführt. Ist dieser aber
nicht innert nützlicher Frist einsatzbereit, muss der Bestqualifizierte an Ort
diese sogenannte Coniotomie durchführen! Dabei wird die Luftröhre mit
einem kleinen Messer zwischen 2
Luftröhrenschnitt:
Schnitt quer zwischen zwei
Ringknorpeln, in der Vertikalen
zwischen Unterrand des Kehlkopf
und der Delle zwischen den
Schlüsselbein-Enden, in der
Horizontalen zwischen den
V-förmig verlaufenden schrägen
Halsmuskelansätzen – nach dem
Schnitt: leere Kugelschreiberhülse
einstecken
Mit diesem seltenen, aber bedrohlichen Notfall, der rasches und richtiges Handeln erfordert, verlassen wir
die Akutmedizin und werden uns
nächstes Mal wieder mit einer klassischen Kuatsu-Methode bei einer harmloseren Symptomatik beschäftigen
Dr. med. Reta-Sandra Tschopp,
2. Dan Judo, Kuatsu-Instruktorin
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