Milch- und Honigland. Eine Kinderbibelwoche zu Dtn 8,7-16 Bibeltheologische Vorbemerkungen „Milch- und Honigland“ klingt verheißungsvoll, aber es ist kein Schlaraffenland, ist nicht das Paradies - auch wenn die Paradiesströme in der außerbiblischen frühjüdischen Literatur der Apokalyptik Milch und Honig, Öl und Wein führen (vgl. z.B. slawHen 8,5f). Es ist auch nicht das „Heilige Land“. Später wird es dem Gottesvolk heilig sein, Israel wird seinen Glauben an dieses Land binden. Noch aber ist es das Land der Verheißung, das Gott in Ex 3,8 in Aussicht stellt: „Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.“ Die Verheißung Die Israeliten sind Sklaven des mächtigen Ägypten, das auf Hebräisch mizraim heißt, ein Name, der mit Enge, Angst und Not assoziiert wird. Wie anders klingt ein „Land fließend von Milch und Honig“, erez sabat chalav we-debasch. Milch und Honig sind Früchte des Landes und der menschlichen Arbeit. Auch das Land der Verheißung will kultiviert sein. Die Milch gehörte im Alten Orient zu den Grundnahrungsmitteln und wird in der Bibel manchmal sogar dem Wein gleichgesetzt. Getrunken wurde Ziegen-, Schaf- und Kuhmilch. Da die Milch vermutlich in leicht säuerlichen Zustand getrunken wurde, eignete sie sich als Durstlöscher besser als Wasser. Aufbewahrt wurde sie in Schläuchen, getrunken aus Schalen. Da Milch nicht sehr lange haltbar ist, hat man sie auch zu Butter und Käse weiterverarbeitet. Der Honig wurde wahrscheinlich nicht aus dem in Bienenwaben eingelagerten Blütensirup gewonnen, sondern aus Datteln, die wegen ihrer Süße sehr geschätzt waren, und die man zu einem honigartigen Sirup verarbeitete. Zucker war zu biblischer Zeit noch nicht bekannt. Die Utopie Ein Land, das über ausreichend Niederschläge verfügt, um Milchwirtschaft betreiben und Fruchtbäume kultivieren zu können, ist natürlich längst besiedelt, worauf Gott in Ex 3,8 auch unumwunden hinweist: Es leben dort andere Völker. Das biblische Israel steht vor einer Perspektive, die, menschlich betrachtet, nur in Gewalt und Niederlage münden kann, wenn es das verheißene Land nicht als das annimmt, was es sein will: Gabe Gottes. Es geht nicht um Eroberung. Das Land ist nur um den Preis eines langen Weges zu haben, der vierzig Jahre währt. Das ist ein ganzes Leben, eine Generation. Es ist die Generation des Mose. Der Anführer Israels auf dem Weg vom Sklavendasein in die Freiheit wird selbst nicht in das Gelobte Land einziehen, es wird es nur aus nicht sehr weiter Ferne schauen dürfen. Und jetzt geh Mose ist der Erste, dem die Verheißung eines Landes „fließend von Milch und Honig“ vor Augen gestellt wird. Die Verheißung ist verbunden mit einem Auftrag: „Und jetzt geh. (…) Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ (Ex 3,10) Der Auftrag klingt einfach, aber der Beauftragte weiß, daß er es nicht ist. Mose fühlt sich der Aufgabe nicht gewachsen. Doch Gott besteht auf Mose, und so wird Mose zum Anführer des Gottesvolkes, zum Propheten und Mittler, zum Richter und Fürsprecher. Die Bücher Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium, die alle zum „Pentateuch“, zu den „Fünf Büchern Mose“ gehören, erzählen seine Geschichte. Es ist eine Geschichte, die Sigmund Freud „fromme Dichtung“ genannt hat, und die man auf jeden Fall nicht mit einer modernen Biographie verwechseln darf. Mose ist eine Art Grenzgänger. Bereits die Erzählung von seiner Geburt in Ex 2 zeigt die komplexe Identität dieser Gestalt: Seine Mutter setzt ihn im Nil aus, weil sie befürchtet, der Pharao würde ihren Sohn wie alle anderen männlichen Neugeborenen des hebräischen Volkes töten lassen, doch die Tochter des Pharao zieht ihn aus dem Wasser und adoptiert ihn. Mose gehört zum Volk Israel, und er gehört zum Hof des ägyptischen Königs. Auch sein Name, Moses, hat sowohl eine ägyptische Bedeutung („Sohn/geboren von“, ähnlich Ram-ses, Sohn des Ra), als auch eine hebräische, die in Ex 2,10 angegeben wird mit: „aus dem Wasser gezogen“. Bis an die Grenze Das Leben „zwischen den Welten“ birgt Risiken und Gefahren. Mose flüchtet sich in die scheinbar sichere Existenz mit Frau und Kind und als Hüter der Schafe seines Schwiegervaters, als Gott in sein Leben tritt und ihn mit dem Projekt der Befreiung seines Volkes konfrontiert. Mose verhandelt mit dem Pharao, und er verhandelt mit Gott. Gott schließt einen Bund mit dem Volk, doch das Volk erweist sich als unfähig, die Bundesvereinbarungen einzuhalten und setzt ein goldenes Stierbild an die Stelle Gottes (Ex 32). Und Mose bleibt ein Grenzgänger. Er verteidigt das Volk vor Gottes Zorn, und er verteidigt Gottes Befreiungsprojekt gegen den Überdruss des Volkes. Es wird keine Rückkehr an die „Fleischtöpfe Ägyptens“ (Ex 16,3) geben. Hunger und Durst sind zu bestehen, und nachdem auch die kriegerischen Auseinandersetzungen im Land Moab (es wäre im heutigen Jordanien zu suchen) bestanden sind, stehen sie endlich an der Schwelle zum Gelobten Land. Hier hält Mose seine Abschiedsrede (Dtn 1-30). Er erinnert noch einmal an den Weg, den Israel in vierzig Jahren gegangen ist (Dtn 8,2), an Gottes Taten und Gottes Gebot. Dann steigt er auf einen Berg, um zu sterben. Vorher aber läßt Gott ihn das Land schauen, das er nicht betreten wird (Dtn 34). Es ist der Blick auf das Westjordanland, der bis heute Pilgern auf dem Berg Nebo gezeigt wird. Dann vergiß den Herrn, deinen Gott nicht An diesem Ort ist Dtn 8,7-16, der Text der Kinderbibelwoche, geographisch angesiedelt. Das Buch Deuteronomium besteht im Wesentlichen aus Reden Mose – daher die hebräische Bezeichnung debarim, „Worte“ – an seinem letzten Lebenstag. Die griechische Bezeichnung „Deuteronomium“, „zweites Gesetz“, versteht dieses Buch als Wiederholung des in den Büchern Exodus, Levitikus und Numeri verkündeten „ersten Gesetzes“, das Mose den Israeliten hier noch einmal ins Gedächtnis ruft. Israel bekommt ein Land geschenkt, das bereits kultiviert ist und geradezu paradiesisch gepriesen wird - wobei die natürlichen Qualitäten des Landes etwas übertrieben werden, zumindest was die Bodenschätze anbelangt, die man im Westjordanland vergeblich sucht. Mit dieser Übertreibung wird hingewiesen auf den Überfluß, in dem Israel leben darf, und es wird gewarnt, über der Sattheit Gott zu vergessen und im „praktischen Atheismus einer Konsumund Leistungsgesellschaft“ (Braulik) aufzugehen. Als Wohlstandsgesellschaft ist auch Israel in Gefahr, die Sozialordnung, die das Buch Deuteronomium aufzeigt, zu vergessen. Die neu gewonnene Zivilisation mit Wohnkultur und zunehmendem Reichtum wird zur Prüfung für Israels Gottesbeziehung. „Vergiß nicht“, ruft das Deuteronomium durch den Mund des Mose dem Volk zu: daß Gott es ist, dem ihr eure Freiheit und Souveränität, eure Zivilisation und euren Reichtum und vor allem eure Identität verdankt. Ihr seid sein Volk, hervorgegangen aus dem Exodus und gehalten von seiner Verheißung. Andrea Pichlmeier Literatur: G. Braulik, Deuteronomium 1-16,17, in: Die Neue Echter Bibel. Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg 1986 B. Leicht, Mose, in: WUB 3/2006, 3 U. Neumann-Gorsolke, Art. „Dattel“, in: WiBiLex (www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10707/) H. Pfeiffer, Art. „Paradies/Paradieserzählung“, in: WiBiLex (www.bibelwissenschaft.de/stichwort/29971/) T. Römer, Ein einzigartiger Vermittler. Die Biographie des Mose nach den biblischen Texten, in: WUB 3/2006, 4-9 M. Rösel, Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften, Neukirchen-Vluyn 32002 J. Wöhrle, Art. „Milch“, in: WiBiLex (www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19484/) Der Text (EÜ): Dtn 8,7Wenn der Herr, dein Gott, dich in ein prächtiges Land führt, ein Land mit Bächen, Quellen und Grundwasser, das im Tal und am Berg hervorquillt, 8ein Land mit Weizen und Gerste, mit Weinstock, Feigenbaum und Granatbaum, ein Land mit Ölbaum und Honig, 9ein Land, in dem du nicht armselig dein Brot essen musst, in dem es dir an nichts fehlt, ein Land, dessen Steine aus Eisen sind, aus dessen Bergen du Erz gewinnst; 10wenn du dort isst und satt wirst und den Herrn, deinen Gott, für das prächtige Land, das er dir gegeben hat, preist, 11dann nimm dich in acht und vergiss den Herrn, deinen Gott, nicht, missachte nicht seine Gebote, Rechtsvorschriften und Gesetze, auf die ich dich heute verpflichte. 12Und wenn du gegessen hast und satt geworden bist und prächtige Häuser gebaut hast und sie bewohnst, 13wenn deine Rinder, Schafe und Ziegen sich vermehren und Silber und Gold sich bei dir häuft und dein gesamter Besitz sich vermehrt, 14dann nimm dich in Acht, dass dein Herz nicht hochmütig wird und du den Herrn, deinen Gott, nicht vergisst, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus, geführt hat; 15der dich durch die große und Furcht erregende Wüste geführt hat, durch Feuernattern und Skorpione, durch ausgedörrtes Land, wo es kein Wasser gab; der für dich Wasser aus dem Felsen der Steilwand hervorsprudeln ließ; 16der dich in der Wüste mit dem Manna speiste, das deine Väter noch nicht kannten, (und der das alles tat,) um dich gefügig zu machen, dich zu prüfen und dir zuletzt Gutes zu tun.