Glossar Grundlegende Begriffe der Suchtprävention und Gesundheitsförderung Herausgeberin Stadt Zürich Suchtpräventionsstelle Röntgenstrasse 44 8005 Zürich www.stadt-zuerich.ch/suchtpraevention Verfasserinnen: Christa Berger, Mareike Grünbeck Zürich, 06. Oktober 2009 Eine Fachstelle des Schul- und Sportdepartements Seite 2 Inhalt Grundlegende Begriffe der Suchtprävention Drogen - Psychoaktive Substanzen Drogenmündigkeit Evaluation Evidenzbasierte Prävention Früherkennung und Frühintervention Gender Mainstreaming Intervention – Massnahme Inzidenz – Prävalenz Komorbidität Krisenintervention Multiplikatoren Peer-Gruppe Prävention Rausch Risikofaktoren Risikogruppen Risikokompetenz Schutzfaktoren Stigmatisierung Sucht - Abhängigkeit Suchtprävention Transkulturelle Suchtprävention Verhaltensprävention - Verhältnisprävention Verhaltenssucht – Stoffungebundene Sucht Zielgruppen 4 4 6 6 6 7 7 7 8 8 8 8 9 9 9 10 10 10 11 11 11 12 12 13 13 13 Grundlegende Begriffe der Gesundheitsförderung Bedarf – Bedürfnis Chancengleichheit (gesundheitliche) Empowerment Gesundheit Gesundheitsdeterminanten Gesundheitsförderung Gesundheitskompetenz (Health Literacy) Kohärenzgefühl Lebenskompetenzen (Life skills) Nachhaltigkeit Niedrigschwelligkeit Ottawa-Charta 15 15 15 15 15 16 16 17 17 17 17 18 18 Seite 3 Partizipation Public Health Qualitätsentwicklung Resilienz - Vulnerabilität Ressourcen Salutogenese Setting – Lebenswelt Setting-Ansatz 18 18 19 19 19 19 20 20 Quellen 21 Seite 4 Grundlegende Begriffe der Suchtprävention Drogen - Psychoaktive Substanzen Der Begriff „Droge“ als Bezeichnung für pharmazeutisch wirksame Substanzen stammt etymologisch von dem niederländischen droog (deutsch: trocken) ab. Mit Droog waren zu den Zeiten der niederländischen Kolonialherrschaft getrocknete Pflanzen oder Pflanzenteile und -produkte gemeint. Heute nennt man alle Substanzen so, die in die natürlichen Abläufe des Körpers eingreifen und insbesondere Bewusstsein, Denken, Wahrnehmung und Gefühle verändern. Drogen nennt man deswegen auch „psychoaktive“ oder „psychotrope“ (auf die Psyche wirkende) Substanzen. Klassifikation Man unterscheidet vier Klassen psychoaktiver Substanzen: I) Die beruhigenden (sedativen) Substanzen oder Psycholeptika wie zum Beispiel Alkohol, Beruhigungsmittel (z.B. Benzodiazepine), Opiate und Opiatderivate (Kodein, Morphium, Heroin, synthetische Opiate), Barbiturate und andere Hypnotika sowie Substanzen wie GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure); II) die anregenden (stimulierenden) Substanzen oder Psychotonika: Zu ihnen gehören Koffein, Nikotin, Amphetamin, Amphetaminderivate und Kokain; III) die halluzinogenen Substanzen oder Psycholytika: Zu ihnen gehören zum Beispiel Cannabis, LSD, magische Pilze oder Mesaklin; IV) die entaktogenen Substanzen, die die Introspektion fördern. Sie steigern das Selbstbewusstsein, enthemmen emotional und erleichtern die Kommunikation. Im Unterschied zu den Stimulantien und Halluzinogenen wirken sie weniger aktivierend und weniger realitätsverzerrend. Eine weit verbreitet entaktogene Substanz ist MDMA, die als Ecstasy gehandelt wird. Es wird zudem zwischen legalen und illegalen Substanzen unterschieden. Zu den legalen Substanzen zählen Genussmittel wie zum Beispiel Koffein, Tabak oder Alkohol. Illegale Substanzen fallen unter das Betäubungsmittelgesetz (BetmG). Dazu zählen die Halluzinogene, Opiate und Designerdrogen (z.B. Ecstasy). Risikopotenzial Um das Risikopotenzial von einzelnen psychoaktiven Substanzen einschätzen zu können, müssen folgende Kriterien berücksichtigt werden: Lebensgefahr (z.B. durch Überdosierung), Gefahr von Organschäden, Gefahr der Abhängigkeit (Suchtpotenz), Gefahr von anderen psychischen Wirkungen (z.B. Freisetzung von Seite 5 Aggressivität, Psychosen etc.) sowie Gefahr für Dritte (z.B. Alkohol im Strassenverkehr, Rauchen während der Schwangerschaft etc.) Dosis und pharmakologische Beschaffenheit sind nur zwei Faktoren, die die Wirkung einer Substanz auf den Körper und die Psyche bestimmen. Daneben haben Körpergewicht, Geschlecht, momentane Gefühlsverfassung, Ort der Einnahme oder die Personen, mit denen man die Substanz konsumiert, Einfluss auf das Empfinden. Diese Einflussfaktoren werden als Trias zusammengefasst: Droge, Set und Setting. Droge verweist in diesem Zusammenhang auf die Qualität und Quantität einer Substanz, auf ihren Wirkstoff und die jeweilige Dosierung. Bei Set geht es um die individuellen Eigenschaften des/r Konsumenten/in, seine/ihre innere Einstellung und Erwartung zum Substanzkonsum und die Stimmung zum Zeitpunkt des Substanzkonsums. Mit Setting wird auf die Umstände des Substanzkonsums, den physischen, sozialen und kulturellen Kontext, verwiesen. Konsummuster Risikoarmer Konsum meint den gelegentlichen und/oder tief dosierten Konsum, den das Individuum gut unter Kontrolle hat. Risikoarmer Konsum wirkt sich nicht negativ auf die psychische und physische Gesundheit eines Menschen aus. Der Genuss einer Substanz zur Freude und zur Steigerung des Wohlbefindens entspricht dem risikoarmen Konsum. Unter problematischem Substanzkonsum versteht man zum einen den riskanten Substanzkonsum, bei dem die Probleme nicht offen in Erscheinung treten, sondern eher latent vorhanden sind. Zum anderen ist damit der regelmässige oder chronische Konsum, der zu physischen Schäden oder psychischen Beeinträchtigung führt und/oder andere Personen gefährdet (z.B. Fahren unter Alkoholeinfluss), gemeint. Das Diagnostical and Statistical Manual for Mental Disorders DSM IV verwendet dafür den Begriff “Missbrauch”. In Bezug auf Alkohol kann sowohl der regelmässige Konsum geringer Alkoholmengen als auch der episodische Konsum einer grossen Menge (z.B. Binge Drinking 1 bzw. Rauschtrinken) riskant bzw. gesundheitsschädlich sein. Ein abhängiges Konsummuster ist durch die typischen Merkmale übermässiges Verlangen, Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und anhaltendem Substanzkonsum trotz negativer Begleiterscheinungen und Folgen gekennzeichnet. 1 Binge drinking: Konsum von mindestens 5 Einheiten Alkohol (insgesamt ca. 60g reiner Alkohol) ohne zeitliche Begrenzung. Seite 6 Drogenmündigkeit Drogenmündigkeit ist ein Präventionskonzept, das unter anderem von Prof. Gundula Barsch entwickelt wurde. Drogenmündigkeit verweist auf eine komplexe Handlungsfähigkeit, die es Menschen ermöglicht, in den vielfältigsten Alltagssituationen in Bezug auf Substanzen autonom und kundig handeln. Das Ziel besteht darin, Menschen zu befähigen, zu einer variantenreichen Praxis mit höchst flexiblen Konsummustern zu finden, die sich nach Ort, Zeit, Person und Situation unterscheiden und sowohl Substanzkonsum als auch Abstinenz beinhalten. Das Konzept der „Drogenmündigkeit“ lässt sich angesichts der realen (gesetzlichen) Rahmenbedingungen und konzeptuellen Mängeln allenfalls nur ansatzweise umsetzen. Die Zielsetzung „verantwortungsbewusster Substanzkonsum“ scheint als Begriff geeigneter. Gemeint ist die Förderung eines risikoarmen, gemässigten und kontrollierten Konsums, der auf Eigenverantwortung und Risikokompetenz beruht. Verantwortungsbewusster Substanzkonsum umfasst das Wissen um die Wirkungsweisen von Substanzen, die kritische Einstellung gegenüber psychoaktiven Substanzen, den Verzicht auf Konsum bestimmter Substanzen in bestimmten Situationen (Arbeit, Schule, Sport etc.) sowie einen mässigen, angepassten Konsum in tolerierten Situationen ohne negativen Konsequenzen für die öffentliche Ordnung sowie für die altersspezifische psychosoziale Entwicklung. Evaluation Evaluation ist die systematische und zielgerichtete Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten, um die Wirksamkeit eines Projektes, einer Aktivität, einer Intervention oder einer Massnahme zu ermitteln. Beurteilt werden insbesondere die Aspekte von Qualität, Funktionalität, Wirkungen, Effizienz und Nutzen. Evaluationen sind nicht nur auf die Ergebnisse fokussiert (summative Evaluation), sondern schliessen auch Rahmenbedingungen und Prozesse mit ein (formative Evaluation). Evidenzbasierte Prävention Evidenzbasierte Prävention beruht auf dem Grundsatz, dass die Wirksamkeit von Prävention durch empirische Forschung überprüft werden kann und dass durch den Zusammenzug der Forschungsergebnisse zuverlässige Kenntnisse darüber gewonnen werden können, welche Präventionsmassnahmen wirksam sind, und wie Massnahmen erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden können. Evidenzbasierte Prävention meint also das Anliegen, Prävention möglichst auf gesichertes, empirisches Wissen abzustützen. Damit wird eine begründete Grundlage für die Auswahl geeigneter Präventionsmassnahmen geschaffen. Seite 7 Früherkennung und Frühintervention Früherkennung ist das frühzeitige Wahrnehmen von Auffälligkeiten und problematischen Verhaltensweisen sowie deren richtige Deutung. Zur Früherkennung gehört eine gute Kenntnis von Risikofaktoren für das zu verhütende Problem. Frühintervention umfasst adäquate unterstützende Massnahmen für die als gefährdet erkannten Jugendlichen, ihre Eltern und Bezugspersonen. Früherkennung und Frühintervention sind ein inhaltlich zusammengehöriges Begriffpaar. Sie beziehen sich immer auf ein näher zu umschreibendes Problemverhalten oder eine Gefährdung (z.B. Früherkennung von Substanzproblemen, von Gewalt etc). Gender Mainstreaming Gender Mainstreaming ist eine Praxisstrategie zur Förderung des gendersensiblen und gleichstellungsorientierten Handelns und Denkens, die den systematischen Einbezugs der Geschlechterperspektive bei allen Planungs- und Entscheidungsprozessen fordert. Der englische Begriff „Gender“ bezeichnet im Unterschied zum biologischen Geschlecht „sex“ die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Frauen und Männern. Mit Gender sind somit Vorstellungen von Geschlecht gemeint, die sich ändern lassen. Daher ist es wichtig, Geschlechterdifferenzen wahrzunehmen, sie aber nicht als tradierte Rollenzuweisungen unhinterfragt zu verfestigen. Aus einer Genderperspektive zu handeln heisst zum einen geschlechtsspezifische Präventionsangebote zu entwickeln (z.B. nur für Frauen), zum anderen versteht man damit geschlechtssensible bzw. geschlechtsbewusste Angebote, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen bzw. Jungen und Mädchen berücksichtigen. Intervention – Massnahme Interventionen sind fachlich begründete, systematische Eingriffe in die Lebenswelten von Menschen mit dem Ziel, Verhalten und/oder Verhältnisse nachhaltig zu verändern. Massnahme meint eine von einer Strategie abgeleitete Aktivität mit festgelegten Terminen und Verantwortlichkeiten zur Erreichung bestimmter Ziele oder Zwischenziele. Seite 8 Inzidenz – Prävalenz Inzidenz bezeichnet die Anzahl neu auftretender Fälle (z.B. erstmaliger Substanzkonsum) in einer gegebenen Population während einer bestimmten Zeit (meist 1 Jahr). Prävalenz bezeichnet dagegen die gesamte Anzahl Fälle (z.B. Anzahl Alkoholkranke, Substanzkonsumenten/innen) in einer definierten Population zu einem Zeitpunkt oder während einer definierten Zeitdauer, zum Beispiel einem Jahr. Substanzkonsum sowie anderes Risikoverhalten sind je nach Altersgruppe, Region, sozialer Schicht etc. in einer Population unterschiedlich verteilt. Es macht deshalb Sinn, differenzierte Inzidenzen und Prävalenzen von Subpopulationen zu kennen. Diese Kenngrössen sind wichtige Hinweise für den Bedarf an Prävention und Behandlung. Komorbidität Unter Komorbidität versteht man das gleichzeitige Auftreten von mehr als einer Störung bei einer Person. Die Komorbidität von Alkohol- und Drogenabhängigkeit ist in der Forschung und in der Praxis bestens bekannt. Die am meisten verbreiteten psychischen Befunde bei süchtigen Menschen sind Angststörungen und Depressionen. Die Verläufe der Suchterkrankung und der sie begleitenden psychischen Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig. Aus vielen Jugendstudien wissen wir, dass Kinder und Jugendliche mit Problemverhalten oft auch psychische Beeinträchtigungen aufweisen. Früher und ausgeprägter Substanzkonsum, Gewalt und Delinquenz gehen oft einher mit erhöhter Ängstlichkeit, Depression und allgemein schlechter Befindlichkeit. Krisenintervention Krisenintervention ist eine kurzfristige Einflussnahme von aussen auf eine akut bedrohliche Situation. Diese Einflussnahme soll eine kritische Entwicklung anhalten, helfend begleiten bzw. stabilisierend wirken, ehe sie dem individuellen und sozialen System dauerhaft Schaden zufügt oder zu einer weiteren Eskalation führt. Multiplikatoren In Werbung, Marketing und Bildung sind Multiplikatoren Personen oder Institutionen, die empfangene Informationen an mehrere Personen und Institutionen weiterleiten und dadurch vervielfältigen bzw. multiplizieren. Multiplikatoren der Gesundheitsförderung und Prävention haben eine entsprechend wichtige Rolle als Unterstützer und Verstärker von Absichten und Zielen der Gesundheitsförderung und Prävention. Sie können in ihrem Wirkungsbereich eine wesentliche Übersetzungsfunktion ausüben, indem sie die Botschaften zielgruppengerecht, d.h. lebenswelt- und alltagsnah weitergeben. Multiplikatoren der Gesundheitsförderung Seite 9 und Prävention können Berufsgruppen und Institutionen des Gesundheitswesens, der Sozialarbeit, Pädagogik sowie Massenmedien sein. Peer-Gruppe Peergruppe (englisch peer group) bedeutet "Gruppe von Gleichaltrigen" oder "Gruppe von Gleichgestellten". Als Peergroup gelten Gruppen mit Mitgliedern ähnlichen Alters, meist auch ähnlicher sozialer Herkunft und gleichen Geschlechts. Prävention Unter „Prävention“ versteht man Strategien und Massnahmen, die ergriffen werden, um das Auftreten, die Verbreitung und die negativen Auswirkungen von unerwünschten Ereignissen zu verhindern oder zu vermindern. Ursprünglich unterschied man zwischen präventiven Massnahmen vor bzw. nach Krankheitsmanifestation. Caplan (1964) differenzierte drei Arten von Prävention: die primäre Prävention (Ausbruch einer Krankheit verhindern), die sekundäre Prävention (langfristige Schäden bzw. die Dauer einer Krankheit verringern) sowie die tertiäre Prävention (Auswirkungen einer Krankheit verhindern). Heute orientieren sich die Fachleute an der Zielgruppen-Klassifikation nach Gordon (1983): Universelle Prävention richtet sich an die Gesamtbevölkerung bzw. an grosse Teilpopulationen. Selektive Prävention richtet sich an Gruppen oder Kontexte mit erhöhten Risiken (z.B. Kinder von Alkoholikern). Indizierte Prävention richtet sich an Individuen, die erste Symptome oder auffälliges Problemverhalten zeigen, aber noch nicht erkennbar von Krankheit betroffen sind. Rausch Rausch bezeichnet einen Zustand veränderter Wahrnehmung und Empfindung, die als angenehm oder als unangenehm erlebt werden können. Das Phänomen des Rauschempfindens kann zum einen durch die verstärkte Ausschüttung körpereigener Hormone (Adrenalin, Endorphine) infolge von Aktivitäten wie zum Beispiel Tanzen, Musikerleben, sportliche Betätigung oder Meditation ausgelöst werden. Zum anderen werden Räusche durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen hervorgerufen. In unserer Gesellschaft ist das Verhältnis zu Rausch sehr ambivalent. In einigen Religionen gehören Rauschzustände zu Zeremonien, verbunden mit dem Wunsch, Einheit und Kontakt mit dem Göttlichen zu erlangen. In diesen Zusammenhängen spricht man von integrierten Formen von Rausch. Sozial nicht akzeptiertes Rauschverhalten hängt zum Teil mit den Nebenwirkungen von psychoaktiven Substanzen oder mit dem als fremdartig empfundenen Verhalten zusammen. Das gesellschaftlich nicht integrierte Rauschverhalten, insbesondere Seite 10 das gesetzlich verbotene, wird oft als Rebellion oder Provokation empfunden, die die bestehende Ordnung in Frage stellt. Risikofaktoren Unter „Risikofaktoren“ werden Faktoren verstanden, die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Störungen oder Krankheiten erhöhen. Diese Faktoren können sowohl in der Person als auch in deren sozialem Umfeld liegen. Ein Faktor stellt jedoch in der Regel nicht die alleinige Ursache für eine Störung/Erkrankung dar. Die Kenntnis der Risikofaktoren kann zuverlässige Hinweise geben für die Auswahl besonders betroffener „Risikogruppen“ wie zum Beispiel Kinder suchtkranker Eltern. Die meisten identifizierten Risikofaktoren sind allerdings unspezifisch, das heisst, sie begünstigen die Entwicklung einer Substanzabhängigkeit und/oder einer Verhaltensstörung wie zum Beispiel Gewalttätigkeit. Risikogruppen Risikogruppen können als Zielgruppen beschrieben werden, die über das Vorhandensein bestimmter Risikofaktoren definiert werden. Dabei kann es sich sowohl um Personen handeln, die bereits problematische Verhaltensweisen aufweisen, wie auch um Personen, die aufgrund ihrer persönlichen und kontextuellen Situation besonders gefährdet sind, ein auffälliges oder problematisches Verhalten zu entwickeln. Beispiele von Risikogruppen: Kinder suchtkranker Eltern, Schulversager/innen, delinquente Jugendliche, schlecht integrierte Migranten/innen, Familien in prekären sozialen Verhältnissen. Risikokompetenz Risikokompetenz meint die Fertigkeiten, die es einer Person erlauben, Gefahren einzuschätzen und sich angemessen zu verhalten. Risikokompetenz umfasst eine Vielzahl von kognitiven Prozessen, Emotionen und Handlungskomponenten. Risikokompetenz ist zudem nicht stabil, da sie innerhalb einer Person von Situation zu Situation und von Altersstufe zu Altersstufe, aber auch von Substanz zu Substanz stark variieren kann. Seite 11 Schutzfaktoren Schutzfaktoren sind Faktoren, die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Störungen/Krankheiten vermindern, indem sie zur Entwicklung von Ressourcen beitragen bzw. eine solche Entwicklung erleichtern. Schutzfaktoren sind aber nicht einfach als das Gegenteil von Risikofaktoren zu verstehen. Schutzfaktoren moderieren aber die schädliche Wirkung eines Risikofaktors im Sinne einer puffernden Wirkung. Stigmatisierung Stigma steht gemäss Duden-Fremdwörterbuch für „Mal“, „Zeichen“. Stigmatisierung bezeichnet die zu Diskriminierung führende Charakterisierung einer Person oder Gruppe durch die Zuschreibung gesellschaftlich oder gruppenspezifisch negativ bewerteter Merkmale. Das soziale Stigma als Brandmal kennzeichnet ein Auffälligkeitsmerkmal, das als Ausdruck der Abwertung Einzelner oder von Gruppen Ursache und Folge sozialer Randständigkeit sein kann. Bei Substanzabhängigen überlagern sich häufig zwei oder mehr Stigmata und schaffen so ein nahezu unüberwindbares Hindernis für soziale Akzeptanz. Substanzabhängige tragen das Stigma der Sucht bzw. der fehlenden Selbstkontrolle. Sucht - Abhängigkeit Sucht ist eine in Phasen entstehende, multifaktoriell bedingte, chronische und von Rückfällen geprägte Erkrankung, vor allem des Gehirns, die in schweren Fällen wesensverändernd ist und meistens auch den Körper in Mitleidenschaft zieht. „Sucht“ geht auf „siechen“ (ahd. siechen) zurück, „das Leiden an einer Krankheit“. Im offiziellen Sprachgebrauch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) existierte der Begriff „Sucht“ von 1957-1964 in der Bedeutung des unabweisbaren Verlangens nach einem bestimmten Erlebniszustand. 1964 ersetzte die WHO den Suchtbegriff durch den Begriff der „Abhängigkeit“. Man wollte damit die Stigmatisierung Erkrankter vermeiden. In der Gesellschaft hat sich die Neuformulierung bisher allerdings kaum durchgesetzt. Der Begriff „Sucht“ ist weiterhin weit verbreitet und wird auch durch die Medien sehr häufig benutzt. Das Abhängigkeitssyndrom umfasst eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven, emotionalen und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Gemäss ICD-10 (internationale Klassifikation der Krankheiten) liegt eine Abhängigkeit vor, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien über einen Zeitraum von einem Jahr erfüllt sind: zwanghaftes Verlangen, verminderte Kontrollfähigkeit, Entzugserscheinungen, Toleranzerhöhung (Dosissteigerung), Vernachlässigung anderer Aktivitäten, anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweis eindeutig schädlicher Folgen. Seite 12 Seit Mitte der 80er Jahren wird die Entwicklung einer Substanzabhängigkeit als multifaktoriell bedingter Prozess verstanden. Individuelle Faktoren (genetische, biochemische, Persönlichkeit, Lebensstil etc.) und Milieu- bzw. gesellschaftliche Bedingungen (soziales und berufliches Umfeld, Werbung, kulturelle Akzeptanz etc.) sind ebenso daran beteiligt wie die Eigenschaften der jeweiligen Substanz (Wirkung, Verfügbarkeit, Dosis, Häufigkeit etc.). Suchtprävention Suchtprävention als Fachdisziplin ist die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Sucht“ bzw. „Abhängigkeit“ sowie den Auswirkungen von riskantem Substanzkonsum und exzessiven Verhaltensweisen. Suchtprävention ist Bestandteil der Viersäulenpolitik 2 des Bundes. Für die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen EKDF umfasst Suchtprävention Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und Früherkennung. Sie verhindert das Auftreten von Gesundheitsproblemen oder wirkt darauf hin, dass solche Probleme frühzeitig erkannt und behandelt werden. Zudem stärkt sie Ressourcen, die das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden von Gruppen und Individuen begünstigen. Zu den vorrangigen Zielen suchtpräventiven Handelns gehören a) die Vermeidung und/oder Hinauszögerung des Einstiegs in den Konsum psychoaktiver Substanzen, b) die Früherkennung und Frühintervention bei riskantem Konsumverhalten sowie c) die Verringerung von riskantem Substanzkonsum und Sucht. Diese Zielsetzungen stehen auch in Bezug auf die Verhaltenssüchte im Vordergrund. Suchtpräventive Massnahmen setzen sowohl bei der Person bzw. bei deren Verhalten als auch bei der umgebenden Umwelt an. Transkulturelle Suchtprävention Transkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, anderen Menschen in ihrer individuellen Lebens- und Gesundheitssituation vorurteilsfrei begegnen zu können. Transkulturelle Kompetenzen umfassen Fähigkeiten, die helfen, sich in einem soziokulturell heterogenen Umfeld zu orientieren sowie adäquat kommunizieren und handeln zu können. 2 Diese sieht zur Verringerung der Schäden und Probleme im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch und Suchtverhalten repressive, therapeutische, schadensmindernde und vorbeugende Massnahmen vor. Seite 13 Die transkulturelle Suchtprävention bezweckt unter anderem, die professionelle Arbeit so zu gestalten, dass sie auch auf die Bedürfnisse von Personen mit Migrationshintergrund angepasst und situationsgerecht ist. Verhaltensprävention - Verhältnisprävention Die Verhaltensprävention, auch personenorientierte Prävention genannt, umfasst Massnahmen zur Beeinflussung des Verhaltens der Menschen, zur Befähigung zu einem bestimmten Umgang mit Gesundheitsrisiken und zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz. Es handelt sich dabei insbesondere um Informationsund Aufklärungsmassnahmen sowie Beratung. Die Verhältnisprävention, auch strukturelle oder umgebungsorientierte Prävention genannt, umfasst Massnahmen zur Beeinflussung der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen. Dies können sowohl regulative Massnahmen (z.B. Steuern, Verbote) wie auch Massnahmen zur Förderung eines gesundheitsförderlichen Verhaltens (z.B. Bau von Radwegen) sein. Verhaltenssucht – Stoffungebundene Sucht Verhaltenssucht ist eine relativ neue Bezeichnung für exzessive Verhaltensweisen, die ebenfalls die Gesundheit schädigen oder schwer wiegende soziale Folgen haben können. Sie weisen Merkmale einer psychischen Abhängigkeit auf und können von Betroffenen willentlich nicht mehr vollständig kontrolliert werden. Beispiele sind Arbeitssucht, Kaufsucht, Pathologisches Spielen (Glücksspielsucht), Sexsucht sowie Medienabhängigkeiten (Onlinesucht, Computerspielsucht, Fernsehsucht etc.). Bei der stoffungebundenen Sucht werden keine psychotropen Substanzen von aussen zugeführt bzw. eingenommen; der psychotrope Effekt stellt sich durch körpereigene biochemische Veränderungen ein, die durch exzessive, belohnende Verhaltenweisen ausgelöst werden. Das exzessive Verhalten kann dabei die Funktion bekommen, das Leben für den Betroffenen erträglich zu gestalten und Stress oder negative bzw. erregende Gefühle inadäquat zu bewältigen. Neurowissenschaftliche Befunde belegen die Aktivierung derselben Hirnareale bzw. des Belohungssystems im Gehirn, sowohl nach Einnahme einer psychoaktiven Substanz als auch durch Ausübung eines exzessiven Verhaltens. Die Einordnung von Verhaltensweisen als Sucht ist in der Wissenschaft indes umstritten, bisher gibt es keine offiziell anerkannten Diagnosekriterien (Ausnahme: Glücksspielsucht). Zielgruppen Der Begriff Zielgruppe stammt ursprünglich aus dem Marketing. Zielgruppen bilden sich aus Personen mit gleichen sozialen, ökonomischen oder motivatorischen Merkmalen, die mit Kommunikationsmassnahmen erreichbar sind. Seite 14 Im Rahmen der Gesundheitsförderung und Prävention versteht man unter Zielgruppen Empfänger/innen gesundheitsfördernder und präventiver Massnahmen. Als Zielgruppe bezeichnet man eine Menge von Menschen, an die sich ein Angebot, eine Aktion oder eine Botschaft richtet. Die Definition einer Zielgruppe erfolgt über Merkmale wie das Alter, das Geschlecht, die Interessen, den kulturellen Kontext, den Wohnort, die Lebens- und Verhaltensweisen. Wenn man die Zielgruppe und ihre Bedürfnisse kennt und versteht, kann man sie mit den entsprechenden Kommunikationsmitteln gezielter ansprechen. Seite 15 Grundlegende Begriffe der Gesundheitsförderung Bedarf – Bedürfnis Bedarf meint der begründete, in der Regel wissenschaftlich festgestellte Mangel bei bestimmten Bevölkerungsgruppen (Aussenperspektive), der eine präventive oder therapeutische Intervention rechtfertigt. Im Gegensatz zum Bedarf meint ein Bedürfnis einen subjektive Wünsche und Ansprüche bei Mitgliedern bestimmter Bevölkerungsgruppen (Innenperspektive). Ein Bedarf kann auch bei Fehlen eines Bedürfnisses vorliegen. Chancengleichheit (gesundheitliche) Chancengleichheit meint das Recht auf eine gerechte Verteilung von Zugangsund Lebenschancen. Dazu gehört insbesondere das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Ethnie, der Religion, des Alters oder der sozialen Herkunft, das in den Menschenrechten aufgeführt ist. Gemäss der Ottawa-Charta von 1986 hat gesundheitliche Chancengleichheit zum Ziel, dass alle Menschen die Möglichkeit erhalten, unabhängig von sozialen, ökonomischen, ethnischen und Geschlechterunterschieden ihre Gesundheit zu entwickeln, zu gestalten und zu erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass sie einen fairen und gerechten Zugang zu Gesundheitsressourcen haben. Empowerment Der Begriff Empowerment entstammt der amerikanischen Gemeindepsychologie. Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet Empowerment „Ermächtigung“ oder „Bevollmächtigung“. Empowerment bildet einen Arbeitsansatz ressourcenorientierter Intervention. Empowerment umfasst Strategien und Massnahmen, die geeignet sind, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften zu erhöhen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten. Dabei geht es um die individuelle Befähigung und um Prozesse von Gruppen hin zu gemeinsamer Handlungsfähigkeit. Gesundheit Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte kurz nach Ende des 2. Weltkrieges Gesundheit als Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Bestmögliche Gesundheit ist gemäss WHO ein Grundrecht jedes Menschen. Seite 16 Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Ein guter Gesundheitszustand ist eine wesentliche Bedingung für soziale, ökonomische und persönliche Entwicklung und ein entscheidender Bestandteil der Lebensqualität. Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, ein stabiles Ökosystem, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit sowie der Zugang zur ausreichenden medizinischen Versorgung. Gesundheitsdeterminanten Gesundheitsdeterminanten wirken auf die Gesundheit von Individuen, Gruppen und der Bevölkerung. Es werden vier Bereiche von Gesundheitsdeterminanten unterschieden: 1. 2. 3. 4. Biologische und genetische Faktoren Lebensstil und Gesundheitsverhalten Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedingungen Verfügbarkeit von sozialen, kulturellen und medizinischen Einrichtungen und Dienstleistungen. Für die Prävention sind in erster Linie der Lebensstil und das Gesundheitsverhalten von Bedeutung. Um eine möglichst gute Gewähr für die Wirkung der Prävention zu haben, sind vertiefte Kenntnisse über die Risiko- und Schutzfaktoren des Verhaltens, das man verändern bzw. verhüten möchte, notwendig. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensbedingungen haben einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit. Sie sind auch weitgehend für die soziale Ungleichheit in der Gesundheit verantwortlich. Gesundheitsförderung Laut Ottawa-Charta der WHO zielt Gesundheitsförderung auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Gesundheitsförderung umfasst alle Massnahmen zur Stärkung der individuellen und kollektiven Ressourcen, die für den Erhalt und die Förderung der Gesundheit relevant sind, ohne Fokussierung auf eine bestimmte Krankheit. Im Suchtbereich beinhaltet Gesundheitsförderung eine ressourcenorientierte Optik auf die Stärkung der Gesundheit von Substanzen konsumierenden Menschen. Dabei steht ein möglichst eigenverantwortlicher Umgang mit dem eigenen Konsumverhalten und den damit verbundenen Risiken im Vordergrund. Die Begriffe „Gesundheitsförderung“ und „Prävention“ können insofern synonym verwendet werden, als man darunter Massnahmen versteht, die je nach Perspek- Seite 17 tive die Verhinderung von Problemen und die Förderung der Gesundheit von Individuen zum Ziel haben. Gesundheitskompetenz (Health Literacy) Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit, Kenntnisse über die Erhaltung und Wiedererlangung des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens so in persönliche und kollektive Entscheide und Handlungen umzusetzen, dass sie sich positiv auf die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer sowie auf die Lebens- und Umweltbedingungen auswirkt. Kohärenzgefühl Im Mittelpunkt des Salutogenese-Modells von Aaron Antonovsky (1923-1994) steht das Kohärenzgefühl (sense of coherence). Er meint damit eine globale Orientierung, die zum Ausdruck bringt, in welchem Umfang man ein generalisiertes, überdauerndes und dynamisches Gefühl des Vertrauens besitzt, dass die eigene innere und äussere Umwelt vorhersagbar ist und dass mit grosser Wahrscheinlichkeit die Dinge sich so entwickeln werden, wie man es vernünftigerweise erwarten kann. Das Kohärenzgefühl stellt eine wichtige Ressource zur Bewältigung von Anforderungen und Belastungen und somit zur Erhaltung von Gesundheit dar. Es setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Verstehbarkeit (comprehensibility), wonach Ereignisse als geordnet und kontrollierbar wahrgenommen werden, Handhabbarkeit (manageability) bzw. ein optimistisches Vertrauen darauf, Lebensaufgaben bewältigen zu können, sowie Sinnhaftigkeit (meaningfulness), also der Überzeugung, dass das Leben einen Sinn hat. Lebenskompetenzen (Life skills) Lebenskompetenzen (Life skills) verweisen auf Fähigkeiten, die es Menschen ermöglichen, ihr Leben zu gestalten und zu meistern. Die Gesundheitsförderung unterstützt Menschen bei der Entwicklung von Lebenskompetenzen, die für die Gesundheit relevant sind. Beispiele für Lebenskompetenzen sind etwa die Fähigkeit, Probleme zu lösen, die Kommunikationsfähigkeit, die Beziehungsfähigkeit oder die Fähigkeit, mit Stress umzugehen und ihn positiv zu bewältigen. Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist ein Kriterium für die Wirkungsdauer von Gesundheitsförderungs- und Präventionsmassnahmen. Nachhaltigkeit besteht dann, wenn die beabsichtigten Wirkungen nach Ablauf einer Massnahme weiterhin Bestand haben, wenn entstandene Prozesse weiter nachwirken oder wenn neu aufgebaute Strukturen fortgesetzt werden. Eine besondere Bedeutung für die Nachhaltigkeit hat die Kontinuität eines Angebots oder einer Massnahme, also wenn eine dauerhafte Fortführung gesichert und selbsttragende Strukturen entwickelt werden. Seite 18 Niedrigschwelligkeit Eine Einrichtung oder ein Angebot ist niedrigschwellig, wenn sie bzw. es ohne grosse Hemmschwelle zu besuchen oder in Anspruch zu nehmen ist. Anbieter niedrigschwelliger Projekte warten nicht darauf, dass die Zielgruppen Kontakt zu ihnen aufnehmen, sondern gehen auf sie zu („die Menschen da abholen, wo sie sich befinden“). Das beinhaltet zum Beispiel ein Aufsuchen der Zielgruppe in ihrer Lebenswelt (z.B. alleinerziehende Mütter im Stadtteil, Jugendliche in Freizeiteinrichtungen) oder Zielgruppenorientierte Öffnungszeiten von Einrichtungen. Ottawa-Charta Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung ist ein Dokument, das am 21. November 1986 im kanadischen Ottawa zum Abschluss der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht wurde. Die Charta ruft dazu auf, Strategien und Programme zur Gesundheitsförderung zu realisieren. Die Teilnehmer der Konferenz haben sich unter anderem dazu verpflichtet, an einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik mitzuwirken, gesundheitliche Unterschiede innerhalb der Gesellschaft abzubauen und die Gesundheitsdienste und ihre Mittel in Richtung Gesundheitsförderung umzuorientieren. Partizipation Partizipation meint die Mitsprache, Mitentscheidung und Mitgestaltung einer Person oder einer Gruppe an Entscheidungsprozessen. Es handelt sich um eine gemeinsame, gestalterische Arbeit im Sinne partnerschaftlicher Verhandlungen. Partizipation ist zudem eine wesentliche Voraussetzung für Empowerment. Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention sind umso wirksamer in Bezug auf bestimmte Zielgruppen als sich die betroffenen Personen angesprochen fühlen und sich aktiv mit einbringen können. Public Health Public Health (Öffentliche Gesundheit) ist ein soziales und politisches Konzept, das durch Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und andere gesundheitsbezogene Interventionen auf Verbesserung von Gesundheit, Lebensverlängerung und Erhöhung der Lebensqualität von ganzen Bevölkerungen abzielt. Seite 19 Qualitätsentwicklung Unter Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention versteht man die wiederkehrende systematische Reflexion und Verbesserung der Strukturen, Prozesse und Ergebnisse einer Organisation, einer Massnahme oder eines Projektes. Orientierung dafür bieten Qualitätsstandards in Form von überprüfbaren (Minimal)anforderungen an gesundheitsfördernde Leistungen und Produkte. Die Einbindung der Qualitätsstandards in die Projektentwicklung soll sicherstellen, dass die Prinzipien und Qualitätskriterien der Gesundheitsförderung von Beginn an reflektiert und berücksichtigt werden. Auch im Projektverlauf und in der Abschlussphase gilt es immer wieder anhand der Qualitätsstandards zu überprüfen, worauf es bei Gesundheitsförderungsprojekten ankommt. Resilienz - Vulnerabilität Resilienz meint Widerstandsfähigkeit oder Anpassungsfähigkeit gegenüber Belastungen oder Risiken. Resilienz ist vor allem ein Ergebnis wiederholter Bewältigungserfolge. Resiliente Personen haben erlernt, dass sie es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen. Sie vertrauen nicht auf Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie ergreifen Möglichkeiten, wenn sie sich bieten. Sie haben ein realistisches Bild von ihren Fähigkeiten. Die Resilienzforschung beschäftigt sich mit der Suche nach Schutzfaktoren, die dazu beitragen, Kindern und Jugendlichen auch unter ungünstigen Umständen eine positive Entwicklung zu ermöglichen. Das Gegenteil von Resilienz ist die Vulnerabilität (Verwundbarkeit, Verletzbarkeit). Vulnerable Kinder und Jugendliche sind anfällig für äussere Einflüsse und in ihrer gesunden Entwicklung gefährdet. Ressourcen Ressourcen umfassen soziale und persönliche Mittel und Möglichkeiten, die bei der Bewältigung von Lebenssituationen und Problemen helfen. Die Gesundheitsförderung stärkt und fördert die personalen (z.B. positives Selbstwertgefühl, Lebenskompetenzen) und sozialen Ressourcen (z.B. soziale Netzwerke, sichere Arbeits- und Lebensbedingungen, Zugang zu einer gesundheitlichen Grundversorgung). Salutogenese Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky entwickelte in den 70er Jahren das Konzept der Salutogenese (Lehre der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit). In Abgrenzung zur Pathogenese, die sich mit der Entstehung und Entwicklung einer Krankheit mit allen daran beteiligten Faktoren befasst und den Fokus auf die Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten legt, widmet sich die Salutogenese in erster Linie den Faktoren, die Gesundheit bedingen, fördern und schützen können. Seite 20 Setting – Lebenswelt Setting bzw. Lebenswelten sind Orte oder soziale Zusammenhänge, in denen sich der Alltag der Menschen abspielt und die einen wichtigen Einfluss auf ihre Gesundheit haben. Dazu gehören zum Beispiel Arbeitsplatz, Wohnsiedlung, Schule oder Freizeiteinrichtungen. Moderne Gesundheitsförderung berücksichtigt immer auch die Settings, in denen sich Zielgruppen bewegen und legt Interventionen und Massnahmen für bestimmte Settings fest. Setting-Ansatz Der Setting-Ansatz ist eine anwendungsorientierte, von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützte Strategie der Verhältnisprävention. Er baut auf der Definition von Gesundheit und dem Verständnis der Gesundheitsförderung in der Ottawa-Charta auf und folgt dem Grundsatz, dass Gesundheit von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt wird: dort wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Der Setting-Ansatz zielt auf die Veränderung des Alltags, durch niederschwellige Interventionen in konkreten Lebenswelten wie Schule, Betrieb oder Stadtteil unter Einbezug der jeweils Beteiligten. Grundlegende Philosophie der SettingIntervention ist, dass die Zielgruppen als aktiv Handelnde Kompetenzen zur Wahrnehmung ihrer eigenen gesundheitsbezogenen Interessen erwerben. Grundlegende Elemente des Setting-Ansatzes sind die Entwicklung von Lebenskompetenzen, Partizipation und Strukturentwicklung. Seite 21 Quellen Organisationen Bundesamt für Gesundheit BAG Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA Caritas Schweiz Eidgenössische Kommission für Drogenfragen EKDF Fonds Gesundes Österreich Glossar Gesundheitsförderung Uri Glossar quint-essenz Infodrog Schweizer Kompetenzzentrum für Gesundheitsförderung und Prävention RADIX Schweizerisches Medizinisches Forum SMF Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme SFA Weltgesundheitsorganisation WHO www.transpraev.ch Autoren/innen Gundula Barsch Manuel Eisner Carlo Fabian und Lisa Guggenbühl Sabine Grüsser und Ralf Thalemann Martin Hafen Margret Rihs