Neutrinooszillationen M.Sc. Seminar 1

Werbung
Neutrinooszillationen
M.Sc. Seminar 1 – Sommersemester 2015
Robin Baumeister∗
Betreuer: Prof. Spiesberger
9. Juli 2015
1
Neutrinos im Standardmodell
In der Beschreibung des Standardmodells [1] tauchen Neutrinos als masselose Fermionen auf. Demnach tragen sie, wie die restlichen Materieteilchen im Standardmodell (Quarks), den Spin 1/2. Sie gehören zur Familie der Leptonen und sind,
genau wie Quarks und geladene Leptonen, in drei Generationen unterteilt.
Durch das Phänomen der Neutrinooszillationen wurde gezeigt, dass mindestens
zwei der drei Neutrinoarten in der Realität eine Masse besitzen. Diese ist allerdings
so klein, dass sie noch nicht genau bestimmt werden konnte, sondern nur Obergrenzen für die Massen der einzelnen Generationen bekannt sind (z.B. Elektronneutrino
mνe < 2, 2 eV/c2 ).
Neutrinos wechselwirken nur sehr schwach über die Gravitation und über die schwache Wechselwirkung mit Materie. Deshalb gelang der Nachweis ihrer Existenz erst
1956, obwohl sie bereits 1930 postuliert worden waren.
2
Experimentelle Hinweise auf Neutrinooszillationen
Erste experimentelle Hinweise [2] darauf, dass die Theorie der Neutrinooszillationen zutreffend ist, finden sich in der Beobachtung der solaren Neutrinos.
Im Kernfusionsprozess der Sonne entstehen ausschließlich Elektronneutrinos. Mithilfe des gängigen Sonnenmodells und der Kenntnis über die Leuchtkraft der Sonne
lässt sich der erwartete Neutrinofluss auf die Erde berechnen.
Im Homestake-Experiment1 zeigte sich, dass die Zahl der auf der Erde ankommenden Elektronneutrinos nur etwa einem Drittel der erwarteten Zahl entspricht. Dies
lässt sich durch die Theorie der Neutrinooszillationen erklären.
Einen weiteren Hinweis auf das Phänomen der Neutrinooszillationen bietet die Betrachtung der atmosphärischen Neutrinos:
Beim Zerfall von Myonen,
(1)
µ− → e− + νe + νµ ,
∗
1
mail to: [email protected]
Im Betrieb von 1970 - 1994
1
in der Atmosphäre entstehen Elektron- und Myonneutrinos im gleichen Maß. Bei
der Messung auf der Erde ergeben sich aber Abweichungen von diesem Verhältnis.
Dies ist ein weiterer Hinweis auf Neutrinooszillationen.
3
Theorie der Neutrinooszillationen
Die Theorie der Neutrinooszillation lässt sich ähnlich der der Mesonoszillation [3]
herleiten. Bei der Mesonoszillationen oszillieren ungeladene Mesonen zwischen
Teilchen und Antiteilchen. Bei der Neutrinooszillation oszillieren Neutrinos zwischen ihren Flavoureigenzuständen.
3.1
Herleitung der Oszillationswahrscheinlichkeit
Um die Neutrinooszillation zu verstehen, eignet es sich, eine vereinfachte Herleitung der Oszillationswahrscheinlichkeit zu betrachten [4]. Diese Herleitung soll im
Folgenden kurz nachvollzogen werden. Hierbei werden natürliche Einheiten verwendet, also insbesondere c = ~ = 1.
Hierzu benötigt man zunächst zwei grundlegende Definitionen:
• Flavoureigenzustand |να i:
Definiert über Lepton lα± (lα± = e± , µ± , τ± ), das beim Zerfall durch schwache
Wechselwirkung entsteht:
PI → PF + lα± + να
• Masseneigenzustand |νk i:
Definiert als Eigenzustand des Hamiltonoperatoranteils H0 der Ruheenergie
mit den Eigenwerten mk .
Man gehe nun davon aus, dass sich ein Flavoureigenzustand |να i (α = e, µ, τ) als
Überlagerung der Masseneigenzustände schreiben lässt:
X
∗
|να i =
Uαk
|νk i
(2)
k
Hierbei ist U die unitäre Mischungsmatrix. Über die Schrödingergleichung lässt
sich die Zeitentwicklung der |νk i bestimmen, deren Lösung die ebene Welle darstellt:
∂
(3)
i |νk (t)i = Ek |νk (t)i ⇒ |νk (t)i = e−iEk t |νk i.
∂t
Hierbei ist |νk i = |νk (t = 0)i. Mithilfe der Gleichungen (2) und (3) ergibt sich


X
X X
 U ∗ e−iEk t U  |ν i.
∗ −iEk t
|να (t)i =
Uαk
e
|νk i =
(4)
βk  β
αk

β
k
k
Die Wahrscheinlichkeit des Übergangs von να zu νβ nach einer festen Zeit T ergibt
sich hiermit zu
X
∗
Pνα →νβ = |hνβ |να (T )i|2 =
Uαk
Uβk Uα j Uβ∗ j e−i(Ek −E j )T .
(5)
k, j
2
Legt man die Annahme zugrunde, dass alle Neutrinos die gleichen Impulse ~p besitzen und ultrarelativistisch zu behandeln sind, ergibt sich für die Energiedifferenz
Ek =
q
∆m2k j
m2
,
|~p|2 + m2k ≈ E + k ⇒ Ek − E j =
2E
2E
(6)
wobei ∆m2k j = m2k −m2j und E = |~p|. Für ultrarelativistische Neutrinos gilt außerdem,
dass die Flugzeit T dem Abstand zwischen Quelle und Detektor entspricht. Mit
diesen Annahmen erhält man die Oszillationswahrscheinlichkeit


X
 ∆m2k j L 
∗
∗
 .
Pνα →νβ (L, E) =
Uαk Uβk Uα j Uβ j exp −i
(7)
2E
k, j
Man sieht eine Oszillation mit einer Frequenz“proportional zu L/E. In [4] wurde
”
gezeigt, dass alle Annahmen, die hier für die Herleitung gemacht wurden, hinreichend genaue Ergebnisse für die Messgenauigkeit von Experimenten liefert. Außerdem findet man in [4] eine Herleitung, die ohne die Annahme der Gleichheit
der Impulse auskommt. Dazu betrachtet man die Entwicklung der Flavoureigenzustände in Raum und Zeit.
3.2
Pontecorvo-Maki-Nakagawa-Sakata-Matrix
Die unitäre Matrix U in Formel 7 (PMNS-Matrix) lässt sich folgendermaßen parametrisieren:




1 0
0   c13
0 s13 e−iδ   c12 s12 0




1
0  −s12 c12 0 ,
U = 0 c23 s23   0
(8)





0 −s23 c23 −s13 eiδ 0
c13
0
0 1
hierbei ist ci j B cos θi j , si j B sin θi j mit θi j ∈ [0, π2 ]. Die Parametrisierung erfolgt
demnach über die drei Mischungswinkel θi j , die die Mischung der Flavoureigenzustände mit den Masseneigenzuständen bestimmen. Außerdem enthält die Matrix
die CP-verletzende Phase δ.
Experimentell ermittelte Werte [5] zur PMNS-Matrix finden sich in Tabelle 1.
Interessant für die CP-Verletzung bei der Neutrinooszillation ist der Parameter θ13 .
Erst 2012 wurde herausgefunden, dass dieser ungleich null ist, wodurch eine CPVerletzung erst möglich gemacht wird. Diese CP-Verletzung kann einen Ansatz zur
Erklärung der Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum liefern.
Parameter
∆m221 [10−5 eV2 ]
|∆m2 | [10−3 eV2 ]
sin2 θ12
sin2 θ23
sin2 θ13
Wert
7, 54+0,26
−0,22
2, 43 ± 0, 06
0, 038 ± 0, 017
0, 437+0,033
−0,023
0, 0234+0,0020
−0019
Tabelle 1: Aktuelle Werte der Parameter der PMNS-Matrix
3
Es ist immernoch unklar, ob die Massen der Neutrinos einer normalen Hierarchie
(m1 < m2 < m3 ), oder einer invertierten Hierarchie (m3 < m1 < m2 ) folgen. Die
Hierarchie hat einen Einfluss auf die Gestalt der PMNS-Matrix.
Außerdem lassen sich Neutrinos auch als Majorana-Fermionen betrachten (Teilchen=Antiteilchen). Dies führt zu dem weiteren Faktor
diag(1, eiα1 , eiα2 )
(9)
in (8), mit zwei weiteren CP-verletzenden Phasen α1 und α2 .
4
Fazit
Es wurde gezeigt, dass die Flavoureigenzustände mit der Frequenz L/E oszillieren
und über die PMNS-Matrix miteinander verknüpft sind. Mit der Neutrinooszillation
geht außerdem eine leptonische CP-Verletzung einher.
Abschließend lässt sich sagen, dass noch einige Fragen im Bereich der NeutrinoPhysik ungeklärt sind:
• Wie sind die Neutrinomassen mit dem Standardmodell vereinbar?
• Welche Werte haben die Neutrinomassen? Welcher Hierarchie folgen sie?
• Sind Neutrinos Majorana- oder Dirac-Teilchen?
Literatur
[1] B. Povh et al., Teilchen und Kerne, Springer (8. Auflage 2009)
[2] G. Bellini et al., Neutrino oscillations (2013) [arXiv:1310.7858v1]
[3] M. Zralek, FROM KAONS TO NEUTRINOS: QUANTUM MECHANICS OF
PARTICLE OSCILLATIONS (1998) [arXiv:hep-ph/9810543v1]
[4] C. Giunti, Neutrino Flavor States and the Quantum Theory of Neutrino Oscillations (2006) [arXiv:hep-ph/060807v2]
[5] K.A. Olive et al. (Particle Data Group), Chin. Phys. C, 38, 090001, 2014 Review
of Particle Physics (2014)
4
Herunterladen