~ 1 ~ FACHHOCHSCHULE POTSDAM FACHBEREICH SOZIALWESEN BILDUNG UND ERZIEHUNG IN DER KINDHEIT BACHELORARBEIT Das Kind als Sexualobjekt von Frauen. Auswirkungen auf das Kind und Interventions‐ möglichkeiten Lydia Schwarz Matrikelnummer 7868 Abgabedatum: 28.07.2009 Gutachter/in: 1. Dipl. Med. Päd. Wally Geisler 2. Prof. Dr. Anette Dreier Lydia Schwarz Am Alten Markt 10/ 304 14467 Potsdam 0331/9793179 0172/3017812 Schwarz‐[email protected] ~ 2 ~ Inhaltsverzeichnis Einleitung ____________________________________________________________ 3 1. Begriffsklärung und Formen von sexuellem Missbrauch ____________________ 5 1.1 Missbrauch im Wandel der Geschichte __________________________________ 5 1.2 Begriffsklärung _____________________________________________________ 7 1.3 Missbrauch im Straf‐ und Zivilrecht_____________________________________ 8 1.4 Formen des Missbrauchs ____________________________________________ 12 2. Frauen als Täterinnen _______________________________________________ 15 2.1 Das Bild der Frau in der Gesellschaft und das Tabu des weiblichen Missbrauchs 15 2.2 Frauen, die Kinder missbrauchen _____________________________________ 18 2.3 Ursachen und Formen von weiblichem Missbrauch _______________________ 21 3. Das Kind als Sexualobjekt ____________________________________________ 25 3.1 Die Betroffenen ___________________________________________________ 25 3.2 Symptome _______________________________________________________ 27 3.3 Die Betroffenen schweigen __________________________________________ 30 3.4 Missbrauchsfolgen _________________________________________________ 38 4. Möglichkeiten und Grenzen der Intervention ____________________________ 43 4.1 Handlungsanleitung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch ________________ 44 4.2 Ausgewählte Interventionsmöglichkeiten _______________________________ 48 4.3 Grenzen der Intervention ___________________________________________ 55 Literaturverzeichnis___________________________________________________ 57 Anhang_____________________________________________________________ 62 ~ 3 ~ Einleitung Sexueller Missbrauch an Kindern ist als Thema, ein Teil des Studiums. Doch wie auch in der Öffentlichkeit, wird es nur am Rande erwähnt. Ich habe mich aus Interesse im Selbststudium weiterführend mit dem Thema beschäftigt und bin dann darauf gestoßen, dass es nicht nur männliche Täter sind, die den Kindern diese schlimmen Misshandlungen antun. Sexueller Missbrauch durch Frauen ist ein unterrepräsentiertes Thema in der Öffentlichkeit, aber auch in der Fachliteratur. Besonders mich als Frau, hat das Thema sehr beschäftigt. Als ich mich an andere Personen gewandt habe, um mich auszutauschen, waren die meisten Reaktionen Erstaunen und Ungläubigkeit. Die Tatsache, dass und wie Frauen missbrauchen, geht über unsere Vorstellungskraft hinaus. Selbst Personen, die in sozialen Einrichtungen arbeiten, ist das Thema neu oder unangenehm. Und das war für mich der Grund, eine Arbeit darüber zu schreiben. Ich möchte mit meiner Arbeit Professionelle in sozialen Einrichtungen, Eltern und Betroffene aufklären, sensibilisieren und ermutigen, sich mit Thema aktiv auseinanderzusetzen. Denn Missbrauch ist kein rein männliches Phänomen. Auch Frauen missbrauchen Kinder und daher ist es nötig, darauf Aufmerksam zu machen. Zu Beginn habe ich mir, rund um den weiblichen Missbrauch, viele Fragen gestellt. Wie viele und aussagekräftige Untersuchungen gibt es bereits, welche Frauen missbrauchen, wen und warum? Ich habe mich für eine Literaturarbeit entschieden, da es ein sehr sensibles Thema ist und die Zeit und meine Qualifikation nicht für eine empirische Forschungsarbeit ausreichten. Außerdem habe ich bei meinen Recherchen zwar eine, relativ große, Lobby für Opfer von weiblichem Missbrauch im Internet gefunden, aber wissenschaftlich fundierte Kenntnisse sind dagegen selten. Und diese Veröffentlichungen möchte ich untersuchen und daraus eine Grundlage erarbeiten, mit der man sich dem Thema nähern kann, um somit den Missbrauch durch Frauen in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. Im ersten Kapitel werde ich, nach einem kurzen geschichtlichen Überblick, versuchen Missbrauch zu definieren und juristisch darzustellen, sowie die verschieden Ausprägungsformen zusammenzustellen. Im nächsten Kapitel widme ich mich der Frau als Täterin. Ich untersuche das Bild und die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft und warum weiblicher Missbrauch so ein großes Tabu darstellt. Dann folgt der Versuch, die ~ 4 ~ Charakteristik von Täterinnen zu skizzieren. Den Abschluss bildet die Untersuchung von Ursachen und Formen des weiblichen Missbrauchs. Den größten Teil meiner Arbeit, nimmt das Kapitel 3, mit dem Thema das Kind als Sexualobjekt von Frauen, ein. Ich werde mich mit den betroffenen Kindern, den Symptomen und Folgen des Missbrauchs beschäftigen. Mein besonderes Augenmerk liegt dabei, auf dem Problem des Schweigens. Warum fällt es den Betroffenen so schwer, den Missbrauch zu benennen, wenn das doch in den meisten Fällen, die Beendigung desselben bedeutet? Das letzte Kapitel soll eher eine praktische Anleitung für Betroffene und Bezugspersonen sein. Was ist zu tun, wenn ein Missbrauchsverdacht auftritt, welche Möglichkeiten gibt es und warum ist es manchmal dennoch unmöglich zu intervenieren. Missbrauch ist ein so umfassendes Thema, dass ich geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Betroffenen, sowie Tätertherapie und Prävention von Missbrauch nicht bearbeitet habe. Ich werde auch nicht auf die Sexualentwicklung und Sexualerziehung eingehen. Das sind Themen, die vom Umfang und der Wichtigkeit, eine eigene Arbeit benötigen würden. Im Verlauf der Arbeit werde ich die Begriffe Opfer, Betroffene und Überlebende benutzen, wenn ich von missbrauchten Personen spreche. Dies sind die Begrifflichkeiten, die von den Personen selbst benutzt werden. Es liegt keinerlei Bewertung oder Unterscheidung in der Verwendung der Begriffe vor. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es ist nicht mein Ziel ist, den männlichen Missbrauch in jeder Hinsicht zu negieren, denn er stellt noch immer den größten Anteil an sexueller Kindesmisshandlung dar. Mein Anliegen ist es, auch den weiblichen Anteil zu verdeutlichen und somit das Gesichtsfeld zu erweitern und nicht in eine einseitige Richtung zu lenken. Wir müssen den Betroffenen Gehör verschaffen und uns für ihre Belange stark machen. ~ 5 ~ 1 Begriffsklärung und Formen von sexuellem Missbrauch Um über das Thema überhaupt schreiben zu können, muss zuerst geklärt sein was sexueller Missbrauch ist, welche Formen er annehmen kann und seit wann es überhaupt ein Bewusstsein dafür gibt, dass sexuelle Kontakte mit Kindern nicht Gesund und Altersangemessen und daher auch verboten worden sind. Dazu werde ich einen kurzen geschichtlichen Überblick geben, dann eine Begriffsklärung, die wichtigsten Gesetze und Formen bilden den Abschluss. 1.1 Missbrauch im Wandel der Geschichte Sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit kleinen Kindern hat es immer schon gegeben, dies belegen die Schriften der alten Völker wie Sumerer, Babylonier, Israeliten sowie die Überlieferungen der Griechen und Römer. Im Unterschied zu heute war die gesellschaftliche Akzeptanz der sexuellen Beziehungen von Männern mit Kindern weitaus größer, da sie mit religiösen Argumenten und alten Mythen gerechtfertigt wurden. Das Kind galt vor allem in der jüdischen, später auch in der christlichen Tradition als Eigentum der Eltern und die Eltern hatten damit uneingeschränkte Macht über das Kind. In Rom gab es Knabenbordelle und in Athen konnte man sogar per Vertrag einen Knaben mieten. Wo homosexueller Verkehr mit freien Knaben gesetzlich verboten war, hielten sich die Männer Sklavenjungen. Kinder, sowohl Knaben als auch Mädchen, wurden zur Prostitution verkauft. In der damaligen Rechtssprechung war Vergewaltigung kein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern eine Eigentumsdelikt zugunsten des Mannes. Weder seelische, noch körperliche Verletzungen des Opfers waren ausschlaggebend für die Strafverfolgung. So galt die Vergewaltigung einer verheirateten Frau, wie Ehebruch und wurde mit dem Tod Beider bestraft. Im 5.8. Jahrhundert war die Jungfräulichkeit und „ Unbescholtenheit“ Kriterien Strafbarkeit von Vergewaltigungen. Im Mittelalter war nach Ansicht der Kirchenfürsten, ein Kind ~ 6 ~ durch die vaginale Penetration reif für die Ehe. Das Kind musste allerdings mindestens sieben Jahre alt sein, da dies das Übergangsalter von der Kindheit zum Erwachsensein war. Erst mit der Ausbreitung des Christentums entwickelte sich die Ansicht von der „Unschuld des Kindes“. In diesem Zusammenhang galten die kindliche Sexualität und sexuelle Handlungen mit ihnen als unmoralisch und verwerflich. Seit der Renaissance werden Kinder nicht mehr als „Kleine Erwachsene“ gesehen. Dieses Bild entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter. Daher wurden die Lebensphasen der Kindheit als schützenswert betrachtet und die Eltern- Kind- Beziehung musste entsexualisiert werden, um die Strukturen von bürgerlichen Familien nicht zu gefährden. Missbrauch fand aber dennoch im großen Ausmaß statt. Oft wurde er nur daran erkannt, wenn sich die Betroffenen wegen Geschlechtskrankheiten behandeln ließen. In den letzten hundert Jahren ist die Geschichte des Missbrauchs eng mit der Geschichte der Psychoanalyse verbunden. Freuds Ödipustheorie spielte eine große Rolle in der Verleugnung und Anerkennung des sexuellen Missbrauchs. Nachdem er 1896 hysterische Symptome von Patienten auf Missbrauch zurückführte, nahm er diese Theorie bereits ein Jahr später zugunsten der Ödipustheorie wieder zurück. Dabei wurden die Erinnerungen an den Missbrauch als Phantasievorstellungen deklariert. Daher ist es nicht verwunderlich, dass bis in die siebziger Jahre hinein, Inzest ein gut gehütetes Geheimnis war. In den darauffolgenden Jahren kam es in diesem Gebiet zu erheblichen Fortschritten. Es wurden Gesetze zum Schutz des Kindes erlassen, Einrichtungen wie Jugendamt und Beratungsstellen arbeiten mit den Betroffenen und gewährleisten den Schutz. Auch die Öffentlichkeit nimmt Anteil. Nachdem nicht nur der Missbrauch durch Fremde, sondern auch Missbrauch durch männliche Familienangehörige, thematisiert wurde, gab es langsam ein Bewusstsein dafür, dass nicht nur Mädchen betroffen sind, sondern auch Jungen. Das letzte Tabu in der Gesellschaft, ist der Missbrauch durch Frauen und auch in diesem Gebiet scheint sich langsam etwas zu entwickeln (vgl. Teegen 1993, Hentschel 1996, Deegener 1998). ~ 7 ~ 1.2 Begriffsklärung Sexueller Missbrauch ist sexuelle Misshandlung und zählt von der Definition her zur Kindesmisshandlung. Kindesmisshandlung ist ein Wohl und die Rechte des Kindes beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln beziehungsweise ein Unterlassen einer angemessenen Sorge durch die Eltern oder andere Personen, in Familien oder Institutionen, das zu nichtzufälligen, erheblichen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und/ oder Entwicklungsgefährdungen eines Kindes führt. Kindesmisshandlung macht die Hilfe und das eventuelle Eingreifen von JugendhilfeEinrichtungen, in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge, im Interesse der Sicherung der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig (vgl. KinderschutzZentrum-Berlin, 2000, S26). Dabei handelt es sich meist um eine Kombination von vielgestaltigen Handlungen. Es ist kein isolierter Akt. Man unterscheidet Kindesmisshandlung in Körperliche Misshandlung, Vernachlässigung, emotionale Misshandlung und sexuelle Misshandlung. Wobei keine der genannten Formen im Regelfall einzeln auftritt, sondern sie oft ineinander eingebettet sind (siehe auch Gärtner 1997, Kavemann & Kreyssing 2006). Sexueller Missbrauch ist jede Handlung die an einem Kind vollzogen wird und der sexuellen Erregung der Täter dient (vgl. Friedrich, 1998,S.12). Missbrauch liegt vor, wenn das Kind zu einem „Objekt“ gemacht wird, da es sich aufgrund von seiner geistigen, emotionalen, körperlichen und sozialen Entwicklung nicht gegen Übergriffe von Erwachsenen wehren kann und auch nicht in der Lage ist, die Tragweite von Handlungen zu erfassen oder ihnen voll bewusst zu zustimmen. Es gibt in manchen Quellen noch die Unterscheidung zwischen sexuellen Missbrauch und sexueller Misshandlung. Hierbei bedeutet Missbrauch, das benutzen und ausbeuten von Kindern durch Erwachsene auf sexueller Ebene. Die Steigerung dazu ist dann die sexuelle Misshandlung, da bei ihr es auch zu körperlichen Verletzungen, Grausamkeiten und Tötungen kommt. Aber eigentlich ist das nicht voneinander zu trennen. Und so werde ich das auch weiterhin handhaben. ~ 8 ~ Ich werde also im weiteren Verlauf des Textes die Begriffe sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt und sexuelle Misshandlung verwenden, ohne dabei eine Unterscheidung in der Intensität oder Schädlichkeit zu meinen. 1.3 Missbrauch im Straf- und Zivilrecht Als Beginn möchte ich die Regelungen im deutschen Gesetz wiedergeben, die sich mit Kindesmisshandlung und den Rechten des Kindes befassen. In der UN- Kinderrechts-Konvention gibt es insgesamt 54 Artikel, die das Kinderecht festlegen. Einige werde ich folgend kurz beschreiben. Artikel 3: Bei jeder Entscheidung hinsichtlich des Kindes ist das Wohle des Kindes als ein vorrangiger Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Der Staat hat den notwendigen Schutz und die notwendige Fürsorge für das Wohlergehen des Kindes sicherzustellen, falls seine Eltern oder andere verantwortliche Personen diese Pflichten nicht nachkommen. Artikel 5: Der Staat hat die Verpflichtung, die Rechte und die Verantwortung der Eltern und weiteren Familienmitglieder zu achten, das Kind gemäß der Entwicklung seiner Fähigkeiten zu leiten und zu führen. Artikel 19: Der Staat hat die Pflicht, das Kind gegen jede Form der Misshandlung durch seine Eltern oder andere Betreuungspersonen zu schützen sowie entsprechende Vorbeugungs- und Behandlungsprogramme anzubieten. Artikel 34: Das Kind hat ein Recht darauf, vor Gewalt und allen Formen der sexuellen Ausbeutung einschließlich der Prostitution und Beteiligung an pornographischen Darbietungen geschützt zu werden. Auch im Grundgesetzt sind Rechte verankert, die das Kind schützen und unterstützen und ihm dabei helfen sollen ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Artikel 2 GG: ~ 9 ~ (1) Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Artikel 6GG: (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung des Kindes sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Im Strafgesetzbuch sind die Regelungen für folgende Fälle festgelegt. Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind in den Paragraphen 174 bis 178 aufgeführt. Diese Taten sind Offizialdelikte, was bedeutet, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft dazu verpflichtet sind, solche Delikte zu verfolgen, sobald sie davon Kenntnis erhalten. Dies gilt nicht für Exhibitionismus (§183) und Verführung(§182). Die Paragraphen §§174 und 176 gelten für Minderjährige. §170 StGB: Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. §173 StGB: (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dieses gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden die leiblichen Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. ~ 10 ~ (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren. §174 StGB: (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 18Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist an einer Person unter 18 Jahren, die ihm zur Erziehung, Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienstoder Arbeitsverhältnis verbundene Abhängigkeit oder an seinem noch nicht achtzehn Jahren alten leiblichen oder an sich von den Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. §176 StGB: (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren(Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs bis zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten vornehmen lässt. (3) In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder 2. das Kind bei der Tat körperlich schwer misshandelt. (4) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Im Bürgerlichen Gesetzbuch sind die Rechte und Pflichte der Eltern gegenüber dem Kind festgelegt. §1626 f. BGB behandelt die elterliche Sorge, §1631 BGB beschreibt die Inhalte der Personensorge. Wichtig ist der Paragraph §1666BGB: Wird das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Vormundschaftsgericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage ~ 11 ~ sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das Gericht kann auch Maßnahmen mit Wirkung gegen Dritte treffen. §1666 a BGB: (1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Maßnahmen begegnet werden kann. Obwohl es rechtlich viele Gesetze gibt, die Kinder schützen sollen, wird in meiner Aufzählung deutlich, dass Missbrauch oder sexuelle Gewalt rechtlich nicht eindeutig definiert sind, was es sehr erschwert strafrechtlich mit einzelnen Fällen umzugehen. Im Gesetz finden sich nur Regelungen die den Beischlaf betreffen, aber „Hand-off“Kontakte sind genauso missbräuchlich, wie als Pflege getarnter Missbrauch oder Zuführung des Opfers an Dritte. Ich habe weiter oben erwähnt, dass es sich dabei um Offizialdelikte handelt, die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft verfolgt werden müssen, aber nur wenn sie ihnen bekannt sind. Da liegt das Problem mit der Verfolgung solcher Straftaten. Es kommt selten zu einer Anzeige der Täter durch das Opfer oder Familienangehörige. Denn durch zahlreiche Untersuchungen ist heute bekannt, dass Missbrauch am häufigsten innerhalb von Familien und ihrem sozialen Umfeld stattfindet und es nicht der „schwarze Mann“ ist, vor dem sich Kinder in Acht nehmen sollten. Auch wenn ein Verdacht in einer Einrichtung besteht, ist nicht der direkte Weg eine Anzeige gegen Familie oder Unbekannt zu machen üblich und angebracht. Es folgen Untersuchungen, Beobachtungen und eventuell die Erstellung eines Hilfeplans nach dem KJHG. Es ist also zwar sinnvoll die Gesetze zum Schutz von Kindern zu kennen, aber sie können nie alleine betrachtet und angewendet werden. Missbrauch ist ein komplexes Geschehen, welches viele Dimensionen umfasst. ~ 12 ~ 1.4 Formen des Missbrauchs Es ist nicht leicht verschiedene Studien miteinander zu vergleichen, da jede(r) (Autor)engruppe, unterschiedliche Definitionen und Kategorien von Missbrauch benutzen und unterschiedliche Zielgruppen befragt worden sind. Es gibt natürlich Unterschiede, ob Frauen und Mädchen oder Jungen und Männer befragt worden sind. Der Akt des Missbrauchs ist bei einigen zum Beispiel sehr eng gefasst, so dass nur Penetration oder Berührungen mit eindeutig sexuellem Charakter als Missbrauch definiert werden. Bei anderen gibt es nur Unterscheidungen anhand von Anwesenheit von Zwang und Gewalt oder nicht. Es gibt Untersuchen, in denen wird nur der Missbrauch durch einen männlichen Täter als Missbrauch aufgenommen. Oder die Unterteilungen beziehen sich nur auf eine Opfergruppe (entweder Jungen oder Mädchen). Einige Autoren haben versucht, die sexuellen Misshandlungen nach dem Grad ihrer Schwere zu unterteilen. Dies sollte aber nicht als Bagatellisierung der sexuellen Gewalt verstanden werden. Unabhängig von der Schwere, hat jeder Sexueller Missbrauch eine Traumatisierung der Überlebenden zur Folge. Russel( 1986) befragte nur Frauen in seiner Studie und bezieht sich auf Inzesterlebnisse mit Körperkontakt. Er unterschied die Erfahrungen in drei Schweregrade. Weniger Schwere Formen, schwere Formen und sehr schwere Formen. Wobei sexuelle Küsse und Berührungen im bekleideten Zustand, die leichteste Form darstellt, gefolgt von Petting im unbekleideten Zustand und als schwerste Form Vaginal-, Oral- oder Analverkehr. Eine andere Einteilung gibt Eberhard Motzkau, der in seiner Arbeit auf die Unterscheidung von Hobbs et. Al. 1991 zurückgreift. Dabei wird unterschieden nach (1991; zit. nach Motzkau, 2000, S.65): • Kein körperlicher Kontakt: Exhibitionismus, Fotografieren der kindlichen Genitalien, Zeigen von Pornographie( Bild und TV), sexualisierte Ansprache • Nicht-penetrativer Körperkontakt: Berühren, Streicheln (genital, anal, Brüste), Zungenkuss, Masturbation, Berührungen mit Penis oder Vulva, Schenkelverkehr, Ejakulation auf den Körper (dies alles kann auch vom Kind verlangt werden) ~ 13 ~ • Penetrativer Kontakt: genitale, anale, orale Penetration, teilweise oder ganz, mit dem Penis, Finger oder Gegenständen • Weitere Penetrationsformen: Kinder zu gegenseitigen sexuellen Handlungen auffordern, pornographische Fotos oder Videos von sexuellen Handlungen mit Kindern aufnehmen, körperliche Verletzungen, die im Zusammenhang mit dem Missbrauch zur Steigerung der Erregung zugefügt werden, zur oralen Aufnahme von Kot oder Urin Zwingen • Missbrauch in Sexringen und ritualischer Missbrauch. Günther Deegener (1998) hat in seinem Buch, eine Einordnung der Intensität des Missbrauchs, für die er die jeweiligen Häufigkeiten für beide Geschlechter angibt. Er unterscheidet in 4 Kategorien. In sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt mit 15% Anteil am Missbrauch. Dazu zählt Exhibitionismus, die Opfer mussten sich Pornos anschauen und der Täter beobachtete das Kind beim Baden. Zum weniger intensiven sexuellen Missbrauch gehören Zungenküsse, sexualisierte Küsse, der Täter versuchte Genitalien des Opfers anzufassen und Täter fasste Brust des Opfers an. Diese Art des Missbrauchs nimmt circa 35% ein. Beim intensiven sexuellen Missbrauch mit 35% musste das Opfer vor dem Täter masturbieren, masturbierte der Täter vor dem Opfer, fasste der Täter dem Opfer an die Genitalien, musste das Opfer den Täter an den Genitalien anfassen und das Opfer musste dem Täter seine Genitalien zeigen. Die restlichen 15% mussten den sehr intensiven sexuellen Missbrauch erleben. Dabei handelt es sich um versuchte oder vollendete vaginale, anale oder orale Vergewaltigung, das Opfer musste den Täter oral befriedigen oder anal penetrieren. Teegen (1993) versucht in ihrer Untersuchung eine Einteilung des erlebten Missbrauchs, die es den Untersucherinnen erleichtern soll, den erlebten Missbrauch einzuordnen und auch daran Aussagen über die Folgen in Abhängigkeit des Missbrauchs treffen zu können. Da Teegen mit Überlebenden von weiblichen Tätern arbeitet, bezieht sich ihre Unterteilung nur auf Missbrauchsformen, die von Frauen ausgeführt worden sind. Sie unterscheidet nach weniger schwerwiegenden sexuellen Misshandlungen, schweren sexuellen Misshandlungen und nach sehr schweren sexuellen Misshandlungen. ~ 14 ~ Zu den weniger schwerwiegenden Misshandlungen gehören demnach: Unangenehme Blicke, anzügliche Bemerkungen, Entblößen und Zeigen der Geschlechtssteile durch Täterin, Berühren- Müssen dieser Geschlechtsteile, versuchtes und/oder vollendetes Berühren von Gesäß, Schenkeln, Beinen oder anderen Körperteilen, der bekleideten Brust oder Genitals des Kindes. Zu den schweren sexuellen Misshandlungen zählt Teegen: Versuchtes und/oder vollendetes Berühren des Genitals, simulierter Geschlechtsverkehr, Eindringen mit dem Finger und ständige Einläufe. Die sehr schweren sexuellen Misshandlungen umfassen dann: Versuchtes und/oder vollendetes Eindringen in Scheide, Mund oder After, der Cunnilingus und Anilingus (Teegen 1993 S.334- 336). Das Bundesministerium für Familie und Senioren hat anhand ihrer Untersuchung eine Auflistung der Arten von sexueller Misshandlung angefertigt. In dieser Arbeit wird nicht nach Schweregrad unterschieden, sondern nach der jeweiligen Häufigkeit der jeweiligen Handlung. 1 Aber auch in dieser Untersuchung sind der weniger intensive und der intensive sexuelle Missbrauch am häufigsten. Resümierend lässt sich feststellen, dass es unterschiedliche Klassifizierungen für die Schwere des Missbrauchs gibt, aber dass es relative Übereinstimmungen im Bereich des schweren Missbrauchs gibt. Manche Studien werten Handlungen ohne Körperkontakt gar nicht erst als Missbrauch. Eine Vergleichbarkeit ist fast unmöglich. Betrachtet man die Schwere dieses Tatbestandes erscheint es im ersten Moment äußerst sinnlos, eine Einteilung machen zu wollen. Für jede Person ist das Erlebte schlimm und eine Unterscheidung kann einer Untertreibung und Herabsetzung des Erlebten gleichkommen. Wichtig wird eine Kategorisierung dann, wenn man herausfinden möchte, wie die Opferzahlen aussehen. Also, wenn man das Ausmaß der sexuellen Misshandlungen an Kindern und Jugendlichen untersuchen möchte und natürlich bei der Berechnung des Strafmaßes nach der Verurteilung. 1 Übersicht der Handlungen nach (BMFuS 1994 S.56). Befindet sich im Anhang. ~ 15 ~ 2. Frauen als Täterinnen Aus Sicht der radikal- feministischen Bewegung ist Missbrauch ein rein männliches Phänomen, das durch patriarchalische Machtverhältnisse der Gesellschaft bestimmt wird. So gehen einige Autorinnen davon aus, dass Männer sexuelle als Mittel der Machtbefriedigung wählen, da es zu ihrer Geschlechtsrollensozialisation gehört (vgl. Steinhage 1990). Im Gegenzug wird angenommen, dass weiblicher Missbrauch eigentlich nicht stattfinden kann, da Frauen, insbesondere Mütter, nicht sexuelle Macht ausüben. Sie seien dazu nicht in der Lage, da sie a-sexuell, liebevoll und fürsorglich sind. Missbrauch durch Frauen widerspricht ihren Rollen als Opfer von sozialen Strukturen und der Abhängigkeit von der Männlichkeit als Beschützer und Versorger. Sollte dennoch Missbrauch stattfinden, so sei er grundsätzlich anders als der männliche Missbrauch und es gehe Frauen dabei nicht um die Ausübung von Macht und Kontrolle. Inwieweit diese Sicht nach neueren Untersuchungen noch zu halten ist, möchte ich im folgenden Kapitel versuchen zu untersuchen. Der Grundgedanke ist das Bild der Frau in der Gesellschaft und darauf stützend, das Tabu des weiblichen Missbrauchs. Ich werde eine Übersicht über die verschiedenen Typisierungen von Täterinnen geben und darauf eingehen warum Frauen überhaupt missbrauchen. Und abschließend werde ich der Frage nachgehen, ob Frauen wirklich anders als Männer, in welcher Art und Weise und vor allem gewaltfrei missbrauchen. 2.1 Das Bild der Frau in der Gesellschaft und das Tabu des weiblichen Missbrauchs Frauen gelten in der traditionellen Rolle noch immer als fürsorglich, beschützend und liebevoll. Sie bilden den Kern der Familie, sie sind Dreh- und Angelpunkt und für die Befriedung der kindlichen Bedürfnisse zuständig. ~ 16 ~ Mütterlichkeit wird mit „Marienhaftigkeit“ verglichen, dazu zählen gehemmte Sexualität, Sexualverzicht und Sexualitätslosigkeit. Frauen sind immer noch in der Rolle des Opfers von patriarchalischen Gesellschaftstrukturen festgelegt. Frauen haben ebenso noch immer die traditionellen Rollen im Berufsleben inne. Sie sind Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Krankenschwestern. Auch wird ihnen sexuelle Aggression abgesprochen und der Hang Machtverhältnisse auszunutzen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es für die Gesellschaft unvorstellbar ist, Missbrauch mit der fürsorglichen Mutterrolle in Verbindung zu bringen. Es erschüttert unser Weltbild und hinterfragt auf extreme Weise die Rollenbilder und Werte unserer Gesellschaft. Weiblicher Missbrauch betrifft immer Weiblichkeits- und Mütterlichkeitsmythologien. Missbrauch durch Frauen ist für die meisten Menschen unvorstellbar und widerspricht den eigenen moralischen Werten. „ Das Verhalten wird als derart inakzeptabel empfunden und steht in so krassen Widerspruch zu tief verinnerlichten Wertvorstellungen, dass eine Art Denk- und Wahrnehmungsverbot dafür zu sorgen scheint, uns vor unliebsamen Erkenntnissen wirkungsvoll zu schützen.“ ( Heyne 1993, S.274) Wer sich mit Täterinnen beschäftigt, wird unmittelbar mit der eigenen Mutter, eventuell mit der eigenen Mutterschaft und den sich darin befindlichen dunklen Momenten konfrontiert. Hinzu kommt, dass die Menschen Schwierigkeiten haben sich vorzustellen, wie eine Frau ein Kind missbrauchen soll, da sie keinen Penis hat, um das Kind zu penetrieren. Und wenn, dann kann das nur unter Zwang einer männlichen Person geschehen. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass sexueller Missbrauch auch durch Frauen stattfindet. Und wenn wir uns mit dem Thema beschäftigen, dann müssen wir uns bewusst machen, welche Mythen und Überzeugungen noch in den Köpfen der Menschen zu finden sind. Michelle Elliot (1995, S. 99f.) hat einige aufgezeigt, die sich um den Missbrauch durch Frauen ranken. 1. Frauen begehen keinen sexuellen Missbrauch. 2. Frauen begehen Missbrauch nur dann, wenn sie von einem Mann dazu gezwungen oder aufgefordert werden. ~ 17 ~ 3. Wenn Frauen sexuellen Missbrauch verüben, dann gehen sie sanft und liebevoll vor oder handeln aus fehlgeleiteter "Mutterliebe". 4. Frauen missbrauchen nur Jungen. 5. Frauen, die von einer Frau missbraucht worden sind, werden später lesbisch. Männer werden schwul oder frauenfeindlich. 6. Wer als Kind sexuell missbraucht wurde, wird als Erwachsene/r selbst zum Täter/zur Täterin. 7. Menschen, die erzählen, sie wären von einer Frau missbraucht worden, bilden sich das ein oder lügen. Bei Angehörigen des männlichen Geschlechts handelt es sich um sexuelle Phantasien; wenn die Täterin die Mutter war, um Inzestwünsche. Ist das Opfer sexuellen Missbrauchs weiblichen Geschlechts, redet sie verworrenen Zeugs und ist in Wirklichkeit von einem Mann missbraucht worden. 8. Frauen missbrauchen nur Jugendliche. 9. Verführt eine 30jährige Frau einen 14jährigen Jungen, so ist das kein sexueller Missbrauch. Verführt jedoch ein 30jähriger Mann ein 14jähriges Mädchen, ist das auf jeden Fall Missbrauch. 10. Hat eine Mutter eine inzestuöse Beziehung mit ihrem volljährigen Sohn, so handelt es sich um Sex zwischen zwei Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis und nicht um sexuellen Missbrauch. 11. Es ist schlimmer, von einer Frau sexuell missbraucht zu werden als von einem Mann. Diese Zusammenstellung von Vorurteilen ist eine Spiegelung der Gesellschaft, die erst langsam ein Bewusstsein für das Thema entwickelt, nach dem sie sich „ erst“ mit dem Missbrauch durch Männer auseinander setzen musste. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein Missbrauch durch eine Frau in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema ist. Es hat viele Jahre gedauert bis sexueller Missbrauch an Kindern überhaupt öffentlich gemacht werden konnte. Und dieser war angesiedelt im Zusammenhang mit männlicher Macht und Aggression. Und selbst wenn man den Gedanken an Missbrauch langsam akzeptiert, so wird der Frau die Anwendung von Gewalt und Misshandlung abgesprochen. Der Missbrauch sei liebevoll, zärtlich und gänzlich unaggressiv. Doch leider ist das nicht wahr. Frauen sind Täterinnen! Und sie missbrauchen auch unter Anwendung schwerster Misshandlungen und Gewalt! ~ 18 ~ Untersuchungen zeigen, dass zwischen 10 und 20% der Taten von Frauen begangen werden (vgl. Trocme 1994, Finkelhor und Hotaling 1984, Faller 1987, Sattler und Flitner 1994, Kavemann 1996, Wetzels 1997, zit. nach Homes 2004). Geht man davon aus, dass es auch beim weiblichen Missbrauch ein Dunkelfeld gibt, dann, scheint die tatsächliche Zahl von missbrauchenden Frauen wesentlich höher zu sein. Ob sie sich aber Zahl männlicher Täter annähern würde, ist fraglich. Hanks und Saradjian (1994, S.204) haben dagegen Untersuchungen zusammengestellt, die einen wesentlich höheren Anteil an weiblicher Täterschaft belegen. 2 Um aber mehr aussagekräftige Zahlen zu erhalten, sind weitere Untersuchungen und Forschungen in diesem Bereich dringend erforderlich! 2.2 Frauen, die Kinder missbrauchen Die Missbraucherinnen sind(Stief-) Mütter, Schwestern, Nachbarinnen, Großmütter, Tanten, Babysitterinnen, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und andere Frauen in sozialen Einrichtungen, die Kinder betreuen. Die Zahlen über die Häufigkeit der jeweiligen Tätergruppe variieren stark. Doch stellen die Mütter die größte Gruppe dar, da sie besonders viel Zugang und Gelegenheiten haben und es am einfachsten haben, den Missbrauch als Fürsorge und Pflege zu tarnen, sowie eine Abhängigkeit schon von Geburt an gegeben ist. Es gibt aber kein einheitliches Täterprofil, nachdem nur eine ganz bestimmte Sorte von Frau den Missbrauch vollzieht. Sie kommen aus allen sozialen Schichten mit verschieden Bildungshintergrund, aus jeder Altersgruppe und zeigen oft keine Auffälligkeiten. Sie sind alleinerziehend, leben mit einem Partner oder mit Gruppen von Frauen und Männern zusammen. 2 Das liegt sicher an der Auswahl der Population, die befragt worden ist. Bestimmte Gruppen sind prädestiniert Opfer vom weiblichen Missbrauch gewesen zu sein. Die Übersicht befindet sich im Anhang. Stellt man den Anteil der Gesamtpopulation gegenüber, würde sich die Zahl wieder relativieren. ~ 19 ~ Eine Untersuchung aus Großbritannien kam zu dem Ergebnis, dass die Missbraucherinnen ein sehr niedriges Selbstbewusstsein haben. Sie empfanden ihr Leben als sehr schwierig und stressbelastet, wobei sie keinerlei Unterstützung erfahren haben. Viele beschreiben sich als sozial isoliert und nur in sehr geringem Maße in der Lage, ihr Leben selbst zu regeln (vgl. Braun 2008, S.16). Und dennoch haben verschiedene Autoren versucht die Frauen zu kategorisieren. Michele Elliot hat die von ihr untersuchten Frauen in drei Kategorien aufgeteilt. Dabei gingen sie und ihre KollegInnen von ihrer Einschätzung des Verantwortungsgrades der Täterinnen aus. 100 Prozent der Verantwortung für den Missbrauch bekam die Kategorie der Teacher/Lover. Dann gibt es noch die Kategorie der Prädisponierten Täterin und die dritte Kategorie ist die, der von Männern gezwungenen Täterin. Die Typologie der „Teacher/Lover“- Täterin, sagt aus, dass diese Frauen den Missbrauch in Form einer „ausbeuterischen Verführung“ initiiert haben. Die Täterinnen sind erwachsen und nutzen ihre Machtposition aus. Das meint, sie macht sich das Ungleichgewicht einer Beziehung zunutze. Das kann zum Beispiel das Verhältnis Lehrerin zu SchülerIn oder Chefin zu Angestellte/r sein. Diese Form des Missbrauchs ist schwer einzugrenzen und wird oft als Liebesverhältnis fehlinterpretiert. Typologie der prädisponierten Täterin. Diese Gruppe der Täterinnen initiiert auch den Missbrauch, doch die eigene Vergangenheit als Missbrauchsopfer wird als mildernder Umstand verstanden. Typologie der von Männern gezwungenen Täterin. Wie die Kategorisierung bereits aussagt, handelt es sich um hierbei um Täterinnen, die unter dem Einfluss oder der Gewalt eines Mannes stehen, während sie den Missbrauch ausführen (Elliot 1995, S.116-134). In anderen Quellen werden auch Kategorisierungen gemacht, doch tragen sie dort andere Namen. So wird der Begriff Teacher/Lover- Täterin durch den Begriff der Liebhaberin ersetzt. Auch hier sucht sich die Täterin bevorzugt jugendliche Jungs oder Mädchen und definiert den Missbrauch als Liebesbeziehung. Körperliche Gewalt spielt bei dieser Form meist keine Rolle. ~ 20 ~ Die prädisponierte Täterin wird als vorbelastete Täterin definiert. Auch hier steht der eigene Missbrauch in der Vergangenheit im Vordergrund. Durch die eigenen Erfahrungen steht die Frau unter dem Zwang selbst eine Machtposition zu erleben, um sich innerlich zu entspannen und wählt daher den Missbrauch meist an ihren eigenen Kindern. Der Missbrauch beginnt meist schon sehr früh. Die Mittäterin wird, zumindest am Anfang, von männlichen Partnern oder Missbrauchern gezwungen sich entweder am Missbrauch zu beteiligen oder ihn sogar selbst auszuführen. Der Zwang findet oft unter Gewaltanwendung und Misshandlung statt. Die Täterinnen befinden sich in einer Zwangslage, da mit Gewalt gegen die Frau, aber auch gegen das Kind gedroht wird, sollte sich die Frau weigern, den Missbrauch auszuführen. Einige der Frauen beenden den Missbrauch, wenn sie vom männlichen Täter getrennt sind. Andere führen den Missbrauch aber auch alleine weiter. Als weitere Kategorie kommt noch die atypische Täterin hinzu. Diese Gruppe der Täterinnen stellen Ausnahmefälle da. Es sind Frauen, die gleichberechtigt mit Männern missbrauchen, sich solche bewusst aussuchen oder den Mann zum Missbrauch zwingen. Sie töten ihre Opfer oder versuchen dies zumindest. Diese Frauen gehören einer ausschließlich weiblichen Pädosexuellen Gruppierung an. Oft sind sie schizophren oder psychotisch und begehen ihre Taten in einem Zustand der Dissoziation. Oder sie begehen die Tat, als Grenzverletzung infolge übergroßer oder panischer Angst vor sexuellen Missbrauch am Kind (damit ist die Kontrolle jeden Kontaktes des Kindes, die ständige Untersuchung der Genitalien des Kindes um mögliche Spuren eines Missbrauchs festzustellen, gemeint) (Vgl. Braun 2001, S.11-13). „ Der traditionellen gesellschaftlichen Rolle von Frauen, insbesondere Müttern, widerspricht sexueller Missbrauch von Kindern derart, dass wir ihn uns gewöhnlich nur vorstellen können, wenn die betroffene Frau entweder psychotisch ist… oder unter Alkohol oder Drogen gestanden hat“ (Hanks/Saradjian 1994, S.202 zit. nach Braun 2008 S.4). Leider trifft das nicht zu und somit müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass es keine einheitlichen Profile gibt, die es uns erlauben, die Rolle der Mutter und Frau in der Gesellschaft weiterhin so unkritisch zu definieren. Warum also bestimmte Frauen missbrauchen und andere wiederum nicht, kann verschiedene Ursachen haben. ~ 21 ~ 2.2 Ursachen und Formen von weiblichem Missbrauch Warum missbrauchen Frauen Kinder und bevorzugt die eigenen? Wie kommt es dazu und ist er weniger schädlich und gewalttätig als männlicher Missbrauch? Das möchte ich im folgenden Kapitel versuchen darzustellen. Frauen missbrauchen Kinder emotional, sowie sexuell und sie wissen, im Gegensatz zu Vätern, wie sie es tun müssen: Der Missbrauch ist in der Regel subtiler, latenter, zärtlicher, verführerischer, weniger spektakulär und für die Opfer schwer zu deuten (vgl. Amendt 1993). Der Aussage liegt die Annahme zugrunde, dass Frauen nicht gewalttätig missbrauchen können, da sie keinen Penis besitzen und Frauen aus anderen Motiven wie Männer missbrauchen. Doch das ist falsch. Frauen haben die gleichen Motive wie Männer. Es geht beim Missbrauch in erster Linie nicht darum, sexuelle und emotionale Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um die Ausübung von Macht und Kontrolle. Die Täterinnen selbst nennen verschiedene Gründe. Einige wollten aus dem Sohn einen zärtlichen Liebhaber machen oder ihn auf das Leben vorbereiten. Andere fühlten sich vom Partner zurückgewiesen und nutzten den Missbrauch, um Aufmerksamkeit, Nähe, emotionale Zuwendung und sexuelle Befriedigung zu erhalten. Auch aus Wut und Rache am Partner wurden Kinder missbraucht. Für einige ist der Missbrauch Ausdruck von übergroßer Liebe zum Kind. Ein weiterer Grund kann die „ReInszenierung“ des eigenen Missbrauchs sein. Dabei geht es den früheren Opfern darum, das eigene traumatische Erlebnis in der Rolle der Täterin zu wiederholen und zu durchleben. So sollen die Gefühle wie Macht, Dominanz, Überlegenheit, Kontrolle, Unterwerfung und Erniedrigung, durch Übertragung auf das Kind, die eigenen Spannungen und Gefühle abbauen und umkehren. So wird aus dem Versuch das Ursprungstrauma zu wiederholen, aus dem Opfer eine Täterin. Homes zitiert Mathews (1989; zit. nach Homes 2004, S.207), der Täterinnen über die Gründe des sexuellen Kindesmissbrauchs befragte: • Sie seien genötigt, gezwungen, selbst missbraucht worden; • Sie hätten Angst, wären in schlechter Verfassung gewesen; • Sie wären bedürftig und einsam gewesen; ~ 22 ~ • Sie hätten Nähe, Aufmerksamkeit, Bestätigung bei den kindlichen Opfern gesucht, zumal sie einsam gewesen wären; • Neun Frauen gaben darüber hinaus ein niedriges Selbstwertgefühl an; • Sieben Frauen fühlten sich vom Partner abgelehnt und versicherten, sie hätten dem Partner oder anderen Personen gegenüber Gefühle von Wut, Rache, Eifersucht; • Drei Frauen immerhin bekannten frei und ganz offen: Sie hätten sich bei den Kindern die sexuelle Befriedigung geholt, die sie von ihren Lebenspartnern beziehungsweise Ehemann nicht in befriedigender oder ausreichender Form bekommen hätten.“ Das sind im Allgemeinen auch Argumente, die männliche Täter angeben. Das Gleiche gilt für die Einflussvariablen auf eine Täterschaft. Dazu zählen Strukturen in der Herkunftsfamilie, Abwesenheit eines Partners, Alkohol- und Drogenkonsum, berufliche und finanzielle Probleme, ein negatives Selbstbild, emotionale oder finanzielle Abhängigkeit vom Partner, mangelnde Fähigkeit Grenzen und Individuation wahrzunehmen und die Demonstration von Macht, sowie das Suchen von Nähe, als Motivation. Aber abgesehen aus welchen Gründen Täterinnen missbrauchen, so ist ihnen doch eins gemeinsam. Sie erkennen nicht das Recht des Kindes auf Eigenständigkeit, sexuelle Selbstbestimmung, Persönlichkeit, Gefühle, Wünsche und die Würde an. Das Kind ist ein Teil von ihnen und hat somit keine eigenen Bedürfnisse, sondern die gleichen wie die Mutter. Oft fühlen sich solche Mütter ohne das Kind nicht vollständig, sie brauchen es als zu ihnen gehörend. So werden Töchter manchmal als Verlängerung des eigenen Körpers betrachtet, über den man somit uneingeschränkte Befugnisse hat. Es geht der Frau auch darum, dass Kind möglichst lange emotional und körperlich an sich zu binden. Sie hält das Kind in einer emotionalen und sexualisierten Abhängigkeit, so dass kindliche Entwicklungs- und Heranreifungsprozesse blockiert werden. Eine Überlebende des Missbrauchs beschreibt in Elliot (1995), wie die Mutter durch das Abrasieren der Schamhaare, versuchte, das Heranwachsen der Tochter zu kontrollieren. 3 Wie kommt es aber nun zum Missbrauch. Es ist kein Ereignis dass plötzlich eintritt. Finkelohr entwickelte 1984 ein Vier- Faktoren –Modell. Es stellt ein Begründungsmodell dar, welches an der Verantwortung des Täters orientiert ist. Es müssen demnach vier Vorbedingungen erfüllt sein, dass es wirklich zum Missbrauch kommt. Die Moti3 In Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.183. Bericht im Anhang. ~ 23 ~ vation zu sexuellen Missbrauch an Mädchen oder Jungen muss vorhanden sein, die inneren Hemmungen müssen überwunden werden, die äußeren Hindernisse müssen ebenfalls überwunden werden und der Widerstand des Kindes muss überwunden werden. Diese Faktoren lassen sich auch auf die weibliche Täterschaft übertragen. Frauen haben es sogar einfacher, die letzten beiden Faktoren zu erfüllen, denn die Kinder befinden sich meist in der Obhut der Täterin und der Missbrauch beginnt meist schleichend, oft getarnt als pflegerische oder fürsorgliche Handlungen. Zudem kennen sie die Gefühle und Vorlieben des Kindes und haben Strategien entwickelt, mit denen sie an ihr Ziel, die eigene Bedürfnissbefriedung, gelangen. Ein Missbrauch kann beginnen, wenn die missbräuchliche Handlung, als Fürsorge getarnt wird. Es ist unauffälliger, weil Frauen im Allgemeinen mehr schmusen mit dem Kind als der Mann, sie kontrollieren die Sauberkeitserziehung und haben dort den Raum für Handlungen (Waschen, Wickeln, Töpfen, Einläufe u.a.). Sie ergreifen die Initiative und signalisieren ihre Bereitschaft zu einer emotionalen, erotischen und sexuellen Beziehung. Sie verführen oder zwingen ihr Kind, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Frauen sind keine liebevollen und zärtlichen Täter, auch sie wenden Gewalt und Misshandlungen an. Viele Autoren sind in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Missbrauch gibt (vgl. Elliot 1995, Mandau 2000, Homes 2004, Braun 2008). Frauen stimulieren die Genitalien der Kinder, lassen sich von den Kindern ihre Genitalien stimulieren, sie üben Oralsex aus oder lassen ihn an sich ausüben, sie penetrieren die Kinder mit Fingern oder Gegenständen, simulieren Geschlechtsverkehr oder führen ihn mit den Söhnen aus. Manche beteiligen sich mit den Kindern an Gruppensex, sie bringen die Kinder dazu, sexuell aktiv miteinander zu sein, sie zwingen die Kinder, die Täterinnen beim Geschlechtsakt zu beobachten oder „vermieten“ sie sogar an andere Pädophile. Auch in Bezug zur Gewaltanwendung gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Gewalt wird zum einem als Druckmittel angewendet, damit die Opfer schweigen. Aber in vielen Fällen geht es um die Gewalthandlungen an sich. Sie dienen allein der Ausübung und Demonstration von Macht und Kontrolle. Es kommt zum einführen von Gegenständen wie Stöcke, Bürsten, Messer, Küchenutensilien und Kerzen. Es gibt Schläge mit der flachen Hand, Fäusten oder Gegenständen. Verbrühungen mit heißem Wasser oder heißen Gegenständen. Die Kinder werden gezwungen Erbrochenes, Kot und Menstruationsblut einzunehmen. Außerdem gehören das Einsperren und das An- ~ 24 ~ ketten auch zu den Gewalthandlungen. Häufig werden Mädchen besonders misshandelt. 4 Zum Missbrauch zählt aber auch, die Überbehütung bis zur totalen Abhängigkeit. Das geschieht meist eher auf der seelischen Ebene. Auch wenn das Kind zum Partnersatz gemacht, oder eine starke emotionale Bindung aufgebaut wird, mit deren Hilfe an moralische Verpflichtungen gegenüber der Mutter plädiert werden, ist Missbrauch. Frauen beginnen Missbrauch früher als Männer, so gibt es auch Säuglinge, die missbraucht werden. Das geschieht, indem sie sich an deren Körper reiben. Oder sie berühren die Genitalien des Babys, um es zu entspannen. Positive Reaktionen der Kinder können kein Maßstab sein, da sie jede Form der Zuwendung positiv aufnehmen können, selbst wenn sie schädlich ist. Es gibt keine wesentlichen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tätern. Sie missbrauchen Kinder auf die unterschiedlichsten Arten und wenden dabei häufig Gewalt an. Der Missbrauch dient allein der Machtausübung und Befriedigung von emotionalen, sexuellen Bedürfnissen. Oft wenden Frauen sogar Misshandlungen an. Und sie beginnen den Missbrauch früher, oft schon im Säuglingsalter, als Männer. 4 Vergleich hierzu Erfahrungsbericht einer Überlebenden in Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.237‐240. Der Bericht befindet sich im Anhang. ~ 25 ~ 3. Das Kind als Sexualobjekt Jährlich werden, vorsichtigen Schätzungen zufolge, bis zu 300.000 Kinder Opfer sexueller Gewalt jeglicher Art. Fast jedes 3.-4. Mädchen und jeder 5.-6. Junge sind davon betroffen. Ein Teil dieser Gewalt wird außerhalb der Familie verübt, 90% innerhalb der Familie. Also in der Gemeinschaft, die einem Kind größte Sicherheit und Geborgenheit gewährleisten müsste. Das bedeutet, dass hauptsächlich jene Menschen Täter sind, denen ein Kind das größte Vertrauen schenkt. In diesem Kapitel möchte ich mich dem Kind als Sexualobjekt und somit als Opfer von sexuellem Missbrauch zuwenden. Wichtig ist dabei, zuerst zu schauen, wer ist davon betroffen, dann werde ich mich ausführlicher mit den Symptomen beschäftigen, die nach sexuellem Missbrauch auftreten können. Mit dem Missbrauch verknüpft sind die Folgen, die die Kinder erleben und manchmal ihr Leben lang nicht verarbeiten können. Um die Problematik des weiblichen Missbrauchsgeschehen verstehen zu können, ist es wichtig zu hinterfragen, weshalb die Betroffenen schweigen, welche Gründe und Faktoren es ermöglichen, dass dieses Thema noch immer in unsere Gesellschaft tabuisiert ist und es somit Grenzen für die Betroffenen gibt, die sie nur schwer oder gar nicht überwinden können. 3.1 Die Betroffenen Die Opfer weiblichen Missbrauchs sprechen selten über das Erlebte. Häufig sind es die Missbraucherinnen selbst, die sich „enttarnen“. Es gibt also wenig gesicherte Studien über die Opferzahlen und die Verteilung der Geschlechter. Und die bisherigen Studien zeigen ein sehr unterschiedliches Bild. Auch hier liegt es an den unterschiedlichen Untersuchungsfaktoren. Ich kann also keine gesicherten Ergebnisse und genauen Zahlen präsentieren, sondern nur verschiedene Studienergebnisse darstellen, um wenigstens eine Ahnung des Ausmaßes zu geben. ~ 26 ~ In der bundesdeutschen repräsentativen Studie von Wetzels (1997) liegen die Ergebnisse bei 3,9% weiblicher Missbrauchsopfer, im Gegensatz zu 7,3% männlicher Opfer. Finkelohr und Russel(1984) kommen in einem Vergleich von Studien auf 5% Mädchen und 20% Jungen die von Frauen missbraucht worden sind. Rudin et al. (1995) verglichen in einer Studie die Opfer von 87 weiblichen Täterinnen, 31 Co-Täterinnen und 93 männlichen Tätern und kamen zu den folgenden Ergebnissen: Frauen und Männer missbrauchen mehr Mädchen, allerdings missbrauchen Frauen in Relation zu Männern mehr Jungen. Frauen missbrauchen eher jüngere Kinder. Gründe dafür könnten sein, dass dann der Machtunterschied größer ist, der sonst von Frau zu Kind nicht so groß wäre, wie der von Mann zu Kind, und dass jüngere Kinder eher zu überreden sind und den Missbrauch nicht so leicht offenlegen. Auch Elliot (1995) kommt in ihrer Untersuchung auf eine höhere Opferzahl bei den Jungen. Frauen missbrauchen sowohl Jungen wie auch Mädchen, oft sind die Kinder noch sehr jung und der Missbrauch zieht sich über Jahre hinweg (latenter Missbrauch). Die Opfer stammen überwiegend aus dem Familien- und Verwandtschaftsbereich der Täterinnen. Mathews u.a. (1989) zeichnet folgendes Bild: 79,6% der Opfer entstammen der Familie, wobei 61,4% der Opfer von der eigenen Mutter missbraucht wurden. Bei 15,9% handelt es sich um Verwandte wie Nichten, Neffen und Cousinen und 20,4 % entfallen auf Nachbarskinder, Freunde der eigenen Kinder und „Babysitter-Kinder“. Ähnliche Daten erhebt auch Allen (1991). Hier entstammen 70% der Opfer der eigenen Familie, wobei es sich in 59% der Fälle um die eigenen Kinder handelt, dazu zählen auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder. In 22% handelt es sich um Kinder von Freunden, Freunde der Geschwister, Nachbarskinder und Freunde der eigenen Kinder. 5 Man kann also feststellen, dass vor allem Kinder der eigenen Familie gefährdet sind, Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden. Da die Täterinnen meist über Jahre hin5 Das Bundesministerium für Familie und Senioren hat anhand seiner Untersuchungen Tabellen zusammenge‐ stellt, die darstellen wie die Beziehungen zwischen und Opfer und Täter gelagert und wer die Täter sind. Zwei der Tabellen befinden sich in Anhang. ~ 27 ~ weg, die Opfer missbrauchen und meist nicht nur ein Kind, sind auch Geschwisterkinder, Kinder von Bekannten oder andere ihnen anvertraute Kinder, wie in Kitas, Schulen oder Heimen, betroffen. Täterinnen suchen sich ihre Opfer unter meist sehr jungen Kindern, Missbrauch kann schon im Säuglingsalter beginnen. 6 Und Jungen scheinen eher gefährdet zu sein als Mädchen. Welcher sozialen Schicht die Opfer entstammen, kann auf die Mutter, wenn sie die Täterin ist, zurückgeführt werden. 3.2 Symptome Kinder die sexuell missbraucht werden oder wurden, durchleben schlimme Ängste und Gefühle. Der Missbrauch hinterlässt Spuren, die mal mehr oder weniger sichtbar sind. Es lässt sich keine Regel aufstellen, nach welcher Form von Missbrauch, bestimmte Symptome und Folgen zwingend aufzutreten haben. Viele Faktoren beeinflussen das Verhalten des Kindes. Es ist also nicht davon auszugehen, dass kein Missbrauch stattgefunden hat, wenn keine Verhaltensauffälligkeiten auftreten und genauso bedeutet das Auftreten nicht immer Missbrauch. Es ist daher schwierig eine Checkliste, in dem Sinn, aufzustellen, dass man anhand von Ankreuzfragen eindeutig einen Missbrauch feststellen kann. Aber dennoch gibt es Symptome die vermehrt bei betroffenen Kindern auftreten und daher als Indikatoren für Missbrauch gelten. Man kann die Symptome nach Alter, Geschlecht, Gefühls- und Verhaltensebene, nach körperlich und nicht- körperlich unterscheiden. Woltereck (1994, S.83) gibt eine Symptomübersicht, die sich nach dem Alter der Betroffenen richtet und dabei jeweils die Gefühlsebene von der Verhaltensebene unterscheidet. May (1997, S.325ff.) dagegen gibt eine umfassende Übersicht über 6 Auch wenn es meist keine konkreten Erinnerungen gibt, können sich manche Missbrauchsopfer an unange‐ nehme Situationen erinnern, die wahrscheinlich auf frühen Missbrauch hindeuten. Vergleich hierzu Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.180,. Bericht im Anhang. ~ 28 ~ körperliche, psychosomatische, psychisch /emotionale Symptome und Änderungen im Sozialverhalten, wobei hier nach Geschlecht nochmals unterschieden wird. Und in einer Symptomaufstellung, einer Hilfeorganisation (www.regensburg.de 2009), wird unterteilt in Verletzungen am Körper, Psychosomatischen Störungen, Sexualisiertes Verhalten und Psychische Symptome. Eine „Überlebende“ berichtet von ihren persönlichen Symptomen und Folgen, die sie nach dem Missbrauch entwickelt hatte und diese stimmen weitestgehend mit den Symptomen der Literatur überein. Die Betroffene weist aber auch ausdrücklich daraufhin, dass es sich bei der Aufzählung nur um die Symptome handelt, die sie hatte und es daher keine Allgemeingültigkeit gibt, beziehungsweise, Symptome nicht genannt werden, die andere Betroffene erleben 7 . Fasst man die verschiedenen Ausführungen zusammen, ohne dabei auf die unterschiedlichen Unterteilungen einzugehen, so findet man im Wesentlichen die folgenden Anzeichen. Zu den Verletzungen gehören: - Blutungen und Risse, Abschürfungen, Rötungen an der Vulva, am Vaginaleingang, in Vagina, After, Penis, und Hoden - Gegenstände in der Vagina und After - Bisswunden , Hämatome und Striemen im Genitalbereich, an Innenseiten der Oberschenkel und in den erogenen Zonen Körperliche und psychosomatische Symptome sind: - Schlaf- , Sprach-, Konzentrations- und Essstörungen - Bettnässen, Einkoten, Geschlechtskrankheiten, Pilzinfektionen - Ohnmachts- , Erstickungs-, Krampfanfälle - Bauch- und Kopfschmerzen - Vernachlässigtes oder übertriebenes Hygieneverhalten Psychische Symptome: - Berührungsängste - Regression und Aggression - Vereinsamung, Isolation und Rückzug - Autoaggressives Verhalten, Angststörungen/-Zustände vor bestimmten Personen, Situationen und Plätzen 7 Im Anhang befinden sich die 4 Aufzählungen von Symptomen, auf die ich mich in meinen weiteren Ausfüh‐ rungen beziehen werde. Woltereck (1994, S.83), May (1997, S.325ff.), www.regensburg.de und www.angela‐ moonlight.de. ~ 29 ~ - Zwanghaftes Verhalten (Waschzwang) - Übertriebenes Anpassungsverhalten - Traurigkeit und Depression Sexualisiertes Verhalten kennzeichnet sich durch: - Sexuell aggressives Verhalten - Altersunangemessenes sexuelles Verhalten - Öffentliches und andauerndes Masturbieren - Sexuell provozierendes Verhalten( Nachstellen von Geschlechtsverkehr, Bloßstellen der Genitalien) aus. Bei einem gewissen Teil der Kinder, etwa einem Drittel, sind keine Symptome erkennbar, was aber keinen Einfluss darauf hat, ob das Kind durch die erfolgten Handlungen Schaden genommen hat. Gründe dafür können Verdrängungsprozesse, positive psychosoziale Unterstützung, unzureichende Messinstrumente, die die speziellen Folgen des Missbrauchs nicht angemessen erfassen können und Resilienz des Kindes sein. Auch durch die sogenannten „Schläfer-Effekte“ können Symptome erst nach verschiedenen Intervallen auftreten (vgl.; Mannrino, Smith, Moore- Motily, 1991 ; Cicchetti & Toth 1995). Das sind nur die häufigsten beobachteten Reaktionen. Aber so individuell wie die Menschen sind, sind auch ihre Reaktionen auf bestimmte Erlebnisse. Es besteht also immer die Möglichkeit, dass Sie in ihrer Einrichtung ganz andere Verhaltensweisen bei einem Kind beobachten und dennoch können sie ein Indikator für einen erfolgten Missbrauch sein. Treten solche Symptome bei einem Kind auf, muss natürlich sehr umsichtig vorgegangen werden. Man sollte sich nicht dazu hinreißen lassen, sofort sexuelle Gewalt zu vermuten, wenn ein Kind plötzlich wieder einnässt. Dieses Verhalten kann auch andere Ursachen haben. Tod, Trennung oder die Vergrößerung der Familie durch Geschwister können Symptome, wie sie zum Teil oben beschrieben wurden, auslösen. Nicht ein Symptom allein, kann Gewissheit geben, die Umstände sollten genauso einer Untersuchung unterzogen werde, wie das Kind selbst (Beobachtungen, Spiele und andere Aktivitäten, siehe Kapitel 4.1). Trotzdem ist eine gewisse Wachsamkeit von enormer Bedeutung, um im Falle eines Missbrauchs auch adäquat reagieren zu können. ~ 30 ~ Die meisten wissenschaftlichen Studien belegen, dass Missbrauch Auswirkungen auf das Erleben und das Verhalten der betroffenen Kinder hat, auch wenn es Ausnahmen gibt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass sexuell missbrauchte Kinder mehr Symptome aufweisen, als nicht missbrauchte, dass es keine spezifischen Symptome gibt, sondern eine große Vielfalt und Spannweite der möglichen Folgen und dass bei etwa einem Drittel der missbrauchten Kinder, keine Symptome zu finden sind. 3.3 Die Betroffenen schweigen Der sexuelle Missbrauch, oft verbunden mit körperlichen Misshandlungen, löst bei Kindern vielfältige Konflikte aus. Erfolgt der Missbrauch innerhalb der Familie kollidieren Konflikte, Belastungen und Gefühle miteinander und die Folge ist meist, dass die Kinder verstummen, sie haben keine Möglichkeiten den Missbrauch zu erkennen, zu verbalisieren oder ihn gar öffentlich zu machen. Für die Überlebenden gibt es eine Vielzahl von Ängsten und Konflikten die es ihnen unmöglich macht, darüber zu sprechen und die einzige Möglichkeit, den Missbrauch zu überleben, besteht für sie darin, ihn zu verdrängen oder zu verschweigen. Deegener (1998, S.81- 87) führt folgende Ängste auf, die das Verstummen herbeiführen können: • Die Kinder haben Angst moralisch verurteilt und bestraft zu werden. Sie haben Angst davor, selbst Schuld und Verantwortlich zu sein am Missbrauch, oder zumindest dafür beschuldigt zu werden. • Da der Missbrauch meist mit Gewalt- oder Gewaltandrohung vollzogen wird, haben die Kinder Angst, dass diese Drohungen nach ihrer Aussage wahr gemacht werden oder es zur Bestrafung durch andere Personen kommt. • Ist der Täter ein Familienmitglied, erleben die Kinder oft Schuldgefühle, weil sie der Grund dafür sind, dass diese Personen bestraft werden. Denn trotz allem lieben sie häufig die missbrauchende Person dennoch. ~ 31 ~ • Sie fühlen sich schuldig ein Geheimnis verraten und die missbrauchende Person enttäuscht zu haben. Es kommt oft zu „Loyalitätskonflikten“, dabei stehen sich zum Beispiel die eigene Unversehrtheit und die intakte Familie gegenüber, oder aber die eigene, finanzielle, emotionale, soziale und rechtliche, Abhängigkeit gegenüber dem Verlust zur Bezugsperson. • Sexuell missbrauchte Kinder haben oft Angst ihre Kernfamilie zu verlieren und in Pflegeeinrichtungen zu müssen, dies wird als Strafe und nicht als Hilfe empfunden. • Kinder die sexuellen Missbrauch erlebt haben, haben auch oft Angst davor im sozialen Umfeld, nach bekannt werden des Missbrauchs, abgelehnt zu werden. • Es kann auch vorkommen, dass die Kinder in innere Konflikte geraten, da sie während des Missbrauchs auch angenehme Empfindungen erlebten. Dies führt zu Scham und Verwirrung. Es gibt außer den oben aufgeführten Gründen noch viele weitere Faktoren, die dazu führen, dass über den Missbrauch nicht gesprochen werden kann und wird. Die aufgeführten Gründe treffen sowohl für männlichen, wie auch weiblichen Missbrauch zu. Jeder Täter und jede Täterin sind meist darauf bedacht, das Geschehen zu verheimlichen. Nicht nur die Angst vor den Konsequenzen und der Ächtung, sondern auch die Sicherung des Weiterbestehens der Beziehung zum Kind sind die Gründe, weswegen sie das Kind durch verschiedene Methoden zum Schweigen bringen. Und dabei wenden beide Geschlechter im Allgemeinen dieselben Methoden an. Opfer von weiblichem Missbrauch berichten von Geschenke und Vergünstigungen im Haushalt oder Geschwisterkindern gegenüber. Aber auch Androhung und Ausführung körperlicher Gewalt und Züchtigungen, sowie Schuldzuweisungen: „ Du Schlampe. Du hast das doch gewollt. Hättest du gehört, müsste ich dich jetzt nicht baden und einpudern.“. Die Täterinnen üben einen enormen Druck auf die Opfer aus, indem sie sie mit Liebesentzug bestrafen oder mit Trennung von der Familie drohen. Manche gehen dabei soweit mit Selbstmord oder Mord des Opfers zu drohen. Diese Drohungen berühren sehr stark die existenziellen Ängste von Kindern. So wird der Verlust der Ursprungsfamilie oder der Verlust von emotionaler Zuwendung, als bedeutend schlimmer empfunden, als der Missbrauch selbst. Viele Betroffene können nicht die zusätzliche Belastung des „Alleine-Gelassenes-Werdens“ verarbeiten und fügen ~ 32 ~ sich stattdessen den Wünschen und Forderungen der Erwachsenen (vgl. Teegen 1993, Elliot 1995, Braun 2008). Zu dem äußeren Druck erleben die Kinder noch innerpsychische Konflikte und Belastungen. Erfolgt der Missbrauch durch eine Frau, ergeben sich für Jungen Konflikte, da von außen betrachtet, der Missbrauch durch eine Frau oft als „Einführung in die Liebe“ missverstanden wird. Dem Jungen wird suggeriert, er könne stolz und froh sein, dass er unangenehme Empfindungen und Gefühle dabei hat, traut er sich nicht zuzugeben. Er hat Angst um seinen Ruf und seine Position im sozialen Umfeld. Hinzu kommt die irrige These, die leider immer noch verbreitet ist, dass man einen Mann nicht gegen seinen Willen sexuell stimulieren und missbrauchen kann. Dies führt zwangsläufig oft dazu, dass Jungen den Missbrauch nicht öffentlich machen wollen. Wenn Mädchen durch eine Frau missbraucht werden, kommt es nicht zu einer Penetration mit dem Penis, sondern der Missbrauch findet meist auf andere Art und Weise statt. Sie schämen sich dafür und können sich oft der mütterlichen Zuneigung nicht entziehen. Sie entwickeln oft die Angst, genauso so zu werden, wie die eigene Mutter. Es ist für alle Betroffenen unheimlich schwer, den Missbrauch zu benennen. Oft sind die Grenzen zwischen mütterlicher Fürsorge und Missbrauch fließend, es fällt ihnen schwer die Grenzen zu erkennen. Mittlerweile ist bekannt, dass auch weibliche Täter mit Gewalt missbrauchen, oft sind sie sadistisch und übermächtig, auch das ist ein Grund warum die Kinder schweigen. Manche ertragen den Missbrauch, um Geschwisterkinder und Freunde zu schützen, oder den abwesenden Vater zu ersetzen. Frauen bedrängen die Kinder auch emotional, sie machen sie zu Verbündeten oder demonstrieren die Abhängigkeit des Opfers. Ich denke als ganz klaren Grund kann man die Beziehung zur Täterin sehen. Es handelt sich in den meisten Fällen um die Mutter oder andere enge Bezugspersonen. Wie soll ein Kind verstehen, dass ausgerechnet, die Person, die ihm Schutz und Sicherheit geben soll, es missbraucht. Also genau diese Schutzbedürftigkeit und Abhängigkeit ausnutzt. Hinzu kommt noch, dass das Kind ja weiterhin die mütterliche Fürsorge und Zuneigung genießen möchte. Dies ist aber oft nur möglich, wenn das Kind vorher die Bedürfnisse der Mutter befriedigt. Es steckt also in einer Zwickmühle, denn oft erkennt das Kind sehr wohl, dass die geforderten oder ausgeführten Handlungen nicht ~ 33 ~ „OK“ sind, es möchte aber dennoch Zuneigung erhalten und sieht sich so gezwungen, es entweder über sich ergehen zu lassen, oder sich gar aktiv daran zu beteiligen. „ Viele Überlebende sagen, dass sie, obwohl sie ihre Mütter für das, was sie getan haben, hassen, immer noch von ihnen geliebt werden wollen und sie niemals konfrontieren würden, „nicht mit Blumen und schon gar nicht mit dem Missbrauch, den sie an mir verübt hat“, wie es eine Frau ausdrückte“ (Elliot, 1995, S.48). Wenn eine Frau die Täterin ist, hat das Kind meist keine Chance sich jemanden anzuvertrauen, denn zum einem verstößt es gegen die Regeln der Gesellschaft. Eine Frau die missbraucht gibt, es nicht und wenn dann schon gar nicht die eigenen Kinder. Die wichtigste Bezugsperson im Leben eines Kindes ist meist die Mutter, ihr vertraut man alles an, in der Hoffnung, dass sie es wieder regelt und einrenken werde. Aber im Falle eines Missbrauchs hat das Kind keine Möglichkeit, sich an vertrauensvolle Personen zu wenden, sein Weltbild ist erschüttert und sein Urvertrauen meist sehr zerbrechlich und labil. Das Frauen missbrauchen ist ein Tabu in der Gesellschaft und schafft damit Grenzen und Hürden, die die Kinder nicht überwinden können, für sie selbst ist das Erlittene schon unvorstellbar und unerträglich. Und wenn sich ein Kind dazu überwindet, sich an jemanden zu wenden, um den Missbrauch zu benennen, kann es passieren, dass ihm nicht geglaubt wird. 8 Und wie soll die Gesellschaft, also das Umfeld damit umgehen. Oft denken die Opfer nur ihnen wäre das passiert, da das Geschehene so unvorstellbar ist. Es gibt nur wenige Beratungsstellen, die sich auf Missbrauch durch Frauen spezialisiert haben und daher bleiben die Opfer auf der Strecke. Ihnen fehlen einfach geeignete Ansprechpartner. Ich denke, die Betroffenen sind sich der schwierigen Lage, in der sie stecken, sehr bewusst. Und daher ist wahrscheinlich für sie die einzige Möglichkeit zu überleben, das Erlebte zu verschweigen und zu verdrängen. Anmerken möchte ich an dieser Stelle noch, dass sich nicht alle Betroffenen als Opfer fühlen. Es gibt Aussagen von Betroffenen, die die Beziehung zur Täterin als sehr 8 Die Überlebende wandte sich an eine Nonne, von der sie unterrichtet wurde. Diese glaubte ihr jedoch nicht und bestrafte sie mit einer Ohrfeige. In Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.183. Bericht im Anhang ~ 34 ~ lustvoll und auch gewollt erleben. Für sie ist es eine Art der Zuneigung, obwohl sie sehr genau wissen, dass es gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Hierzu möchte ich einen Bericht wiedergeben, den ein amerikanischer Mann im Rentenalter Elliot geschickt hat, um an ihrer Studie teilzunehmen (Elliot 1995, S.237-240). „George Woods. George ist Rentner und lebt in Schottland. Es scheint fast, als interessierte die Forschung sich nur für diejenigen, die das Pech hatten, sexuellen Gewalttaten zum Opfer zu fallen. Zweifellos liegt das an den traumatischen emotionalen Folgeschäden. Aber Missbrauch hat nicht immer dramatische Konsequenzen. Ich bin sicher, dass es auch Leute wie mich gibt, die eigentlich das genaue Gegenteil erfahren haben. Die zwar angeblich “missbraucht“ wurden, aber nur Liebe, Zuwendung, Freundlichkeit und, ja, ziemliches Vergnügen erfahren haben. Nach all dem Aufsehen in den vergangenen Jahren, finde ich, sollte einmal unterstrichen werden, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Und ich bin sicher, dass meine persönlichen Erfahrungen nicht einmalig sind. Zunächst einmal besteht die Beziehung, die vor mehr als 50 Jahren zwischen meiner Schwester und mir begann, auch heute noch, selbst wenn wir uns aufgrund der Entfernung nur sehr sporadisch sehen. Ich nehme an, der „Missbrauch“- falls das in diesen Fall das korrekte Wort dafür ist- begann als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war. Wir wohnten in einem kleinen Dorf. Mein Vater machte Nachtschicht und wenn er zur Arbeit gegangen war, schlüpfte ich wie die meisten Kinder in das Bett meiner Mutter, um ein bisschen mit ihr zu schmusen. Es liegt jetzt weit zurück, als da? Ich mich erinnern könnte, aber ich weiß noch, dass meine Mutter es gern hatte, wenn ich ihre Brüste streichelte und daran sog. Ich kann mich genau daran erinnern, wie sie meine Hand nahm und sie zwischen ihre Schenkel presste, während sie mit meinem Penis spielte. All dies geschah mit vielen Küssen und auf sehr liebevolle Weise. Auf die eine oder andere Weise wurde es allmählich immer mehr, bis ich regelmäßig unter der Bettdecke zwischen ihren Beinen verschwand, um sie oral zu befriedigen, was mir nach einer gewissen Zeit, dass muss ich zugeben recht gut gefiel. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter auch nur ein einziges Mal irgendeine Form von Druck oder Zwang benutz hätte, um mich zu überreden. Alles geschah mit viel Liebe und Wärme. Wenn ich so zurückblicke, war unser erster gemeinsamer Geschlechtsverkehr keine große Sache. Es schien etwas ganz Natürliches zu sein. Ich nehme an, dass meine Mutter es wohl initiiert hat, aber ehrlich gesagt brauchte ich nicht erst lange überredet zu werden. Auch wenn ich damals erst etwa acht Jahre alt gewesen sein kann, scheine ich kaum Anweisungen und noch weniger Ermutigung ~ 35 ~ gebraucht zu haben. Ich bin schon immer der Meinung gewesen, dass für die meisten von uns Sex, unter den richtigen Bedingungen, so natürlich wie atmen ist. Als ich das letzte Mal sexuellen Verkehr mit meiner Mutter hatte, war ich Mitte Zwanzig. Der sexuelle Kontakt mit meiner Schwester begann, als ich etwa zehn war und sie zwölf. Falls sie je den Verdacht hatte, zwischen meiner Mutter und mir sei etwas gewesen, so hat sie es bis zum heutigen Tag nie erwähnt. Und wenn, hätte ich es unter Garantie abgestritten ich bin sicher, dass meine Mutter über die sexuelle Beziehung zwischen meiner Schwester und mir Bescheid wusste, aber sie verlor ebenfalls nie ein Wort darüber. Es ist schwer zu sagen, wer von uns damals, als die Beziehung meiner Schwester und mir begann, die Initiative ergriff. Es fing an, als meine Eltern es sich zur Gewohnheit machten, sonntags abends zusammen auszugehen. Meine Schwester sollte mich baden, weil ich am nächsten Tag zur Schule musste, und ins Bett stecken. Wenn sie weg waren und meine Schwester das Badewasser hatte einlaufen lassen, zogen wir uns beide aus und stiegen zusammen in die Wanne. Wir lachen heute noch darüber, wie sie damals dastand, einen Fuß auf dem Badewannenrand, und die Lippen ihrer Vagina auseinanderzog, um mir zu zeigen, „wo Jungs ihr Schwänzchen reinstecken“; dann war ich dran, stellte mich hin und ließ sie mit meiner Erektion spielen. Bald verlagerte sich die Szene ins Schlafzimmer, wo wir „Doktor“ spielten und später „Mutter und Vater“- mit großer Begeisterung und sehr viel Realitätsnähe. Naive Erwachsene hätten zweifelslos meine Schwester verantwortlich gemacht, da sie die ältere war und ihr vorgeworfen, den sogenannten “Missbrauch“ initiiert zu haben, tatsächlich war es von Anfang an Jacke wie Hose. Und doch haben anscheinend weder meiner Schwester noch ich - aller anerkannten Weisheit zum Trotz- irgendeine der gefürchteten psychischen oder emotionalen Folgeschäden erlitten- zumindest keinen, der offensichtlich wäre. Sowohl meine Schwester als auch ich gingen anschließend zur Oberschule. […] Meine Schwester und ich haben beide geheiratet und unsere Ehen sind glücklich verlaufen. Ich habe drei Kinder und sie hat fünf. Meine Frau und ich sind nach mehr als 30 Jahren immer noch zusammen; meine Schwester und ihr Mann auch. Weder meine Schwester noch ich, haben unseren Ehepartnern gegenüber irgendetwas über unsere sexuelle Beziehung verlauten lassen. Im Laufe der Jahre haben wir immer wieder einmal, wenn die Gelegenheit sich bot, den leidenschaftlichsten Geschlechtsverkehr genossen. Einmal, als unsere beiden Familien vor einigen Jahren ein paar Tage zusammen verbrachten, nutzen wir jede Gelegenheit und schlichen uns jeden Tag einmal und manchmal zweimal weg, um heimlich unsere verbotenen Liebesbeziehung zu ~ 36 ~ frönen. Jetzt sind unsere Kinder erwachsen und verheiratet- ohne jene Probleme und Traumata, über die es so viel zu lesen gibt und mit denen anscheinend so viele Leute geschlagen sind. Meine Schwester und ich schlafen immer noch miteinander und unser Vergnügen am Körper des anderen und die sexuelle Befriedigung, die wir einander geben, sind immer noch beträchtlich und frisch wie eh und je. Ich bin sicher, wenn die Wahrheit jemals herauskäme, wären wir lange nicht die einzigen. Ich hatte jedoch nie irgendeine sexuelle Beziehung zu meinen eigenen Töchtern. Mit meiner ältesten Tochter bin ich einer Wiederholung der Beziehung zwischen meiner Mutter und mir vielleicht am nächsten gekommen. Es passierte als sie 15 war. Meine Frau war weggefahren, um Verwandte zu besuchen. An jenem Abend kam ich gegen zehn Uhr von einem Essen nach Hause. Als ich ins Wohnzimmer kam, lag meine Tochter im Nachthemd ausgestreckt auf dem Sofa, als ob sie schlafen würde. Die anderen Kinder waren im Bett. Es war offensichtlich, dass sie nur so tat, als würde sie schlafen; bezeichnend war die Art und Weise, wie sie dalag: Sie hatte ein Knie angehoben und zeigt ihre nackten Genitalien. Ich rüttelte sie an der Schulter, um sie zu „wecken“ und ihr zu sagen, sie solle ins Bett gehen. Was danach passierte, hätte gut anders ausgehen können, wenn ich ein bisschen betrunken gewesen wäre. Sie kochte uns beiden einen Kaffee und fragte, ob sie in meinem Bett schlafen könne. So taktvoll ich konnte, erklärte ich ihr, dass ich das nicht für klug hielte. Sie sei jetzt fast eine junge Frau und wenn ich sie in der Nacht im Halbschlaf für ihre Mum hielte, könnte alles Mögliche passieren. Ihre Antwort war aufschlussreich. Sie sagte, das würde ihr nichts ausmachen. Wenn ich das wollte, wäre es in Ordnung- sie würde es niemanden erzählen. einige ihrer Schulfreundinnen würden mit ihren Dads schlafen und hätten ihr erzählt, es sei ganz toll. […]Sicherlich, weder meine Frau noch ich hätten solche Beziehungen zwischen unseren Kindern aktiv ermutigt. Obwohl ich mir manchmal Gedanken über meine Tochter und ihren jüngeren Bruder mache. Wir haben nie konkret etwas mitgekriegt, aber wir vernuten stark, dass zwischen den Beiden „etwas war“. Weder meine Frau noch ich hielten es (und nicht aus Feigheit oder so) für dringend notwendig, uns in etwas einzumischen, was wir beide als Teil einer natürlichen sexuellen Entwicklung und des Erwachsenwerdens akzeptieren. Ich habe den Verdacht, dass die meisten Paare diese Sicht nicht teilen, aber ich bin sicher, es gibt viele andere die es tun- unabhängig von den sexuellen Erfahrungen in ihrer Kindheit. Meine persönlichen Erfahrungen haben mich von einer Sache überzeugt: sexuelle Beziehungen, die in gegenseitigem Einver- ~ 37 ~ nehmen innerhalb der Familien stattfinden- vor allem zwischen Geschwistern- sind viel, viel häufiger, als es die Berufsmoralisten glauben wollen. […].“ Hier zeigt sich, dass der Missbrauch nicht als solcher (an-)erkannt wird. Es ist aber bezeichnend, dass der Mann sowohl zur Mutter wie auch zur Schwester eine sexuelle Beziehung aufgebaut hat. Und sich auch nicht als Opfer sondern als Initiator sieht( er krabbelte ins Bett). Für sich kann er keine Folgeschäden oder dergleichen feststellen. Aber ob in der sexuelle Entwicklung eines Kindes Geschlechtsverkehr mit 8 Jahren normal und altersangemessen ist, wage ich zu bezweifeln. Es scheint auch pathologisch zu sein, dass er immer wieder die Beziehung zur Schwester erwähnt, den Missbrauch durch die Mutter aber nur am Rande erwähnt. Er gibt sogar zu, dass er die Beziehung zu seiner Mutter abgestritten hätte, obwohl die Beziehung zur Schwester ja schon ein Tabu darstellt. Selbst ihm erscheinen sexuelle Kontakte zur Mutter nicht so natürlich zu sein, wie unter Geschwister, was er ja auch im weitern Verlauf bestätigt. Die Schwester zeigt sexualisiertes Verhalten, als sie auf dem Badewannenrand ihre Vagina dem Jungen präsentiert und indirekt zum Geschlechtsverkehr auffordert. Beide gehen anscheinend bereitwillig den nächsten Schritt, bei dem es dann zum Geschlechtsverkehr kommt. Das lässt vermuten, dass auch die Schwester bereits sexuelle Erfahrungen, eventuell durch Missbrauch erlebt hat. Ein weiterer Indikator für doch entstandene Folgen, ist das aufgeschlossene und sexuelle auffällige Verhalten den eigenen Kindern gegenüber. Auch dass der Mann sogar Geschlechtsverkehr mit seiner Schwester ausübt, wenn sich beide Familien zu bestimmten Anlässen treffen (wir schleichen uns heimlich raus, um unserer verbotenen Liebe zu frönen), zeigt für mich ein gestörtes Sexualverhalten. Auch spricht er davon seine eigene Tochter fast „ missbraucht“ zu haben, aber sie hätte es gewollt und er findet sich sehr tapfer, der Aufforderung zumindest in diesem Moment widerstanden zu haben. Dieser Mann hat wahrscheinlich nie die sexuelle Beziehung öffentlich gemacht und dennoch ist er ein Opfer des sexuellen Missbrauchs durch seine Mutter. Inwieweit die Rollen in der Beziehung zu Schwester vergeben sind, ist das so schwer zu sagen. In diesem Fall könnte das Opfer zum Täter geworden sein, auch wenn es beide Beteiligten nicht als solches empfinden. Auch könnte der Bericht als Beispiel der Zyklizität von sexuellem Missbrauch dienen. Es kommt vor, dass sich Missbrauch über Generationen hinweg wiederholt. ~ 38 ~ 3.4 Missbrauchsfolgen Der sexuelle Missbrauch durch eine Täterin hat für das betroffene Kind schwerwiegende Folgen. Man geht sogar davon aus, dass er mehr Schaden anrichtet, als der Missbrauch durch eine Fremde Person oder einen männlichen Täter. Es gibt keine einheitlichen Folgen oder Symptome, die nach einer Liste abgehakt werden können, sie sind vielfältig und unspezifisch. Jeder Missbrauch hat kurz- und langfristige Folgen für die Überlebenden. Da der Missbrauch nur in den seltensten Fällen noch im Kindesalter aufgedeckt oder von den Kindern benannt wird, gibt es nur wenige Untersuchungen zu den kurzfristigen Folgen (bei weiblichen Missbrauch). Aber dennoch lassen sich einige körperliche Folgen benennen. Bei Jungen kann man Rötungen und Schwellungen des Penis, Hämatome und Abschürfungen, Schnürmarken, Biss-Spuren und Hämaturien finden. Bei den Mädchen ergibt die genitale Untersuchung selten einen eindeutigen Befund, aber dennoch sind hier genitale Traumata zu finden (Egle, Hoffmann, Joraschky S.67). Bei vielen Untersuchungen konnten zwar keine allgemeingültigen Folgen für den Missbrauch definiert werden, doch eine der häufigsten Störungen war eine PostTraumatische-Belastungsstörung, welche jedoch nicht nur Missbrauch als Ursache haben kann. Denn meist kommt es nicht nur zum Missbrauch, sondern auch häufig zu psychischen, physischen Misshandlungen und Verwahrlosung. Ein dysfunktionales Familienklima ist also häufig der auslösende Faktor und nicht allein der Missbrauch. Rensen (1992, S.130) führt zehn Faktoren an, von denen die Folgen des Missbrauchs stark abhängen: 1) Alter des Kindes: je kleiner das Kind, umso schädlicher der Missbrauch. 2) Altersunterschied: je größer der Altersunterschied zwischen Täter und Kind, umso schädlicher die Tat. 3) Verwandtschaft: je näher man miteinander verwandt ist, umso schwerwiegender ist die Tat. ~ 39 ~ 4) Geschlecht des Täters: Männer, die Mädchen missbrauchen, sind für ernstere Folgen verantwortlich als Frauen, die Jungen missbrauchen. 5) Art der Handlung: Penetration ist wesentlich schädlicher, als ein einmaliger Körperkontakt mit ein wenig Gefummel. 6) Häufigkeit der Handlungen und Dauer der Beziehung: Missbrauch zieht sich häufig über Jahre hin, kann aber auch die Handlung eines Gelegenheitstäters sein( meist pubertierende Jugendliche) und ist in diesem Fall weniger schädlich. 7) Ausmaß von Zwang und Gewalt: je größer der Zwang, umso ernsthafter die Folgen. 8) „Passive Zustimmung“ des Kindes: Wenn ein Kind nicht will und dies auch deutlich macht oder sich effektiv dagegen wehrt, sind die Folgen weniger schlimm. Bei einem eher schüchternen oder vernachlässigtem Kind- mit schlecht entwickeltem Selbstwertgefühl- ist der Schaden wesentlich größer. Das Kind fühlt sich hilflos, schämt sich und hält sich für mitverantwortlich. 9) Sozialer Kontakt, innerhalb dessen es zum Missbrauch kommt: Bei einer Familie mit einer stark unterdrückten Sexualmoral ist der Druck zu Geheimhaltung und Schamund Schuldgefühle beim Kind wesentlich größer als bei einer familiären Subkultur, in der Sex und Aggressionen nun mal dazugehören. 10) Druck zur Geheimhaltung, Drohung, mit der das Schweigen erzwungen wird, moralische Erpressung, mit der dies geschieht und Verantwortung, die dem Kind aufgebürdet wird, verursachen großen Schaden. Diese Aufzählung spiegelt den bisherigen Diskurs wieder, bei dem meist nur Männer als Täter in Frage kommen. Es herrscht doch eine große Übereinstimmung darüber, dass sowohl weibliche, wie auch männliche Kinder den Missbrauch sowohl durch Mann oder Frau als sehr traumatisch erleben. Vergleichend hierzu, zum Beispiel Keller- Husemann (1983), Krug(1989), Wolfers(1990) Koonin(1995), van de Broek(1996) und Eldrige(1999). Auch das ein Missbrauch durch einen Mann schlimmer ist, als durch eine Frau ist mittlerweile widerlegt. Im Gegenteil, der Missbrauch durch Frauen und besonders durch Mütter ist sogar meist noch traumatischer und bedrohlicher. Die Überlebenden leiden meist ein Leben lang an den Folgeschäden. Auch der Punkt, dass ein intensiver Missbrauch schädigender ist, als ein weniger intensiver, ist nach heutigem Wissensstand so nicht zu halten. ~ 40 ~ Auch Frauke Teegen weist darauf hin, dass die Schwere des Traumas von mehreren Faktoren abhängig ist. Sie nennt Alter und Entwicklungsstand eines Kindes, Dauer und Schwere der erlebten Misshandlungen und die Art und das Ausmaß an sozialer Unterstützung als wesentlich. Wobei auch sie darauf hinweist, dass sogar harmlos wirkende Handlungen das Kind stark irritieren und ihm das Gefühl geben, benutzt und ausgeliefert zu sein. Als wesentliche Folge nennt sie die Störung der Autonomie- und Identitätsentwicklung (vgl. Teegen 1993 S.334). Erfolgt der Missbrauch unter Anwendung von Gewalt und Misshandlung werden die Körpergrenze und das Körperbild schwer verletzt und die Kinder erleiden meist einen psychischen Schock: wie Angst, Depression, Alpträume und Schlafstörungen. Diese Folgen können sie das ganze weitere Leben begleiten und somit ein gesundes Heranwachsen verhindern. Van de Broek sagt, unter Hinweis auf Lew (1993, zit. nach Van de Broek 1996, S.43) dass das das Kind durch den sexuellen Missbrauch die Kindheit und die Erinnerung daran verliert. Auch Teegen (1993, S.331) hat in ihren Untersuchungen festgestellt, dass die Erlebnisse verdrängt und abgespalten werden und somit für die Überlebenden und ihre Therapeuten nicht zugänglich sind. Nur selten wird ein Krankheitsbild deshalb direkt mit dem erlebten Missbrauch in Verbindung gebracht und die Aufarbeitung von traumatischen Erfahrungen ist oft sehr schwierig. Erst in langen Therapien oder mit großem zeitlichem Abstand zum Geschehenen können die Überlebenden den Missbrauch als zentrale Ursache ihrer Störungen erkennen und dementsprechend auch behandeln. Die häufigsten diagnostizierten und genannten Spätfolgen sind folgende Krankheitsbilder: Psychische und psychosomatische Erkrankungen, Angsterkrankungen, Depression, Zwangserkrankungen, Konversionsstörungen, somatoforme Schmerzstörungen, Pelipathie, Dissoziative Störungen, Borderline- Persönlichkeitsstörungen, offene und heimliche Selbstbeschädigung, Essstörungen, Suchterkrankungen, Sexuelle Störungen und Verhaltensauffälligkeiten. Diese Langzeitfolgen sind stark belastend und beeinträchtigen das Leben der Betroffenen. Welche Konsequenzen diese Probleme nach sich ziehen, beschreibt eindrucksvoll die Überlebende in Elliot (1995). 9 9 in Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.237‐240. Bericht im Anhang. ~ 41 ~ Hans Joachim Schneider (1999) hat Studien zum sexuellen Missbrauch miteinander verglichen, um so einen Überblick zu erhalten in welcher Form, Häufigkeit der Missbrauch stattfindet, welche Folgen er hat, wer die Opfer und Täter sind und wie hoch eine Wahrscheinlichkeit der Re-Inszenierung durch die Opfer ist. Anhand der von ihn untersuchten Studien hat er die sozialen und psychischen Opferschäden in Vier Dimensionen eingeteilt. Er führt an, dass ein Großteil der betroffenen Kinder an einem posttraumatischen Stress-Syndrom leiden, dass heißt sie haben Angst, Depressionen, Schlafstörungen, Zwangsgedanken an ihr Opferwerden, Schuldgefühle und Scham. Die zweite Dimension beinhaltet, dass die Betroffenen im vermehrten Umfang Verhaltensprobleme, sexuelle Störungen als Folge entwickeln. Hinzu kann noch ein regressives Betragen, wie Einnässen und Einkoten, oder selbstschädigendes Verhalten kommen. In der dritten Dimension werden dysfunktionale Attributionen, kognitive Verzerrungen und irrationale Glaubenssätze auf die Verinnerlichung von Stigmatisierung durch den Täter oder Personen des sozialen Umfeldes zurückgeführt. Diese verinnerlich drückt sich seiner Meinung nach durch Schuldgefühle; Selbstbeschuldigungen, Gefühlen des Andersseins und negativer Selbstevaluation aus. Zusätzlich fühlt sich das Kind sozial isoliert und versucht durch Neutralisierungstechniken sich selbst davon zu überzeugen, dass der erlittene Missbrauch nicht schädlich war. In der letzten Dimension wird angeführt, dass Missbrauch in den Entwicklungsprozess des Selbst- Konzepts eingreift. Was zur Folge hat, dass die Selbst- Definition, die Selbst-Integration und der Selbst-Regulierungsprozess beeinträchtigt sind. durch diese Schädigungen werden Spannungen hervorgerufen, die zu Selbstverstümmelungen führen können. Denn diese Selbstschädigungen stellen meist den Versuch des Opfers dar, seine psychischen Konflikte zu lösen, die Leiden zu lindern und das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Es kann passieren, dass es nach dem Aufdecken des Missbrauchs, zu einer sekundär Viktimisierung kommt. 10 Dazu zählen auch das Befragen der betroffenen Kinder, die das bei unsensibler Ausführung als erneute Misshandlung empfinden, sowie das 10 Definition sekundär Viktimisierung nach Schneider 1999 und Schneider 2001. ~ 42 ~ Nicht- Glauben – Wollen und die Reduzierung des Kindes auf die Rolle des Missbrauchsopfers. Ein besonderer Fall liegt vor, wenn es sich bei dem misshandelten Kind um einen Säugling handelt. Oft werden keine Symptome wahrgenommen und oft gibt es keine Folgen, die so sichtbar wären, dass sie einem Außenstehenden auffallen würden. Und wer möchte einer überfürsorglichen Mutter unterstellen, dass ihre Pflege Missbrauch am Kind sei. Auch wenn es wenig statistisch gesicherte Zahlen gibt gehen einige Autoren davon aus, das Neugeborene häufiger missbraucht werden, als bisher bekannt ist. Und in diesem Zusammenhang ist es besonders schwierig für die Opfer sich daran zu erinnern, da die Erlebnisse möglicherweise der infantilen Amnesie zum Opfer fallen. Davon unbeeinträchtigt funktioniert aber, so wird vermutet, bereits das mit der Amygdala assoziierte (unbewusste) emotionale Gedächtnissystem, welches für das Furchtlernen verantwortlich ist. Für sehr frühe Traumata wäre so explizites Erinnern nicht gegeben, aber emotionale Erinnerungen und Folgen sind möglich. Diese später zu behandeln unterliegt einigen Schwierigkeiten, da nicht erinnerbare Geschehnisse nicht bearbeitet werden können. Es kommt zu Überschneidungen und Wiederholungen im Bezug zu den Symptomen. Das ist aber unvermeidlich und ich möchte das auch so belassen, da Symptome nur da auftreten, wo etwas auch Folgen und Spuren hinterlassen hat. Eine kurze Erläuterung soll nochmal den Unterschied deutlich machen. Als Symptom wird bezeichnet: „1. Allgemein: Erscheinungen (Verhaltensweisen, Ausdrucksvorgänge), von denen aus auf etwas anderes geschlossen werden kann, etwa auf psychische Merkmale, Vorgänge 2. Erleben und/oder Verhalten, das in Verbindung mit einer Krankheit oder einem anormalen psychischen Zustand (Neurose, Psychose) steht.“ (Reinhardt 1980, S. 209). 11 Folge dagegen steht für die Wirkung einer Handlung oder eines Geschehens und kann als Konsequenz im logischen Sinn verstanden werden. 12 11 Im Anhang befindet sich eine Liste mit verschiedenen Definitionen von dem Begriff Symptom. Ich habe mich für eine gekürzte und vereinfachte Version entschieden, da ich nicht näher auf die Schwierigkeiten der Definitionen eingehen möchte, sondern nur einen kurzen Vergleich bringen wollte. 12 Vergleich mit Wikipedia, aber nur als Orientierung, das es sich dabei nicht um eine wissenschaftliche Quelle handelt. ~ 43 ~ Ich denke, dass bestimmte Verhaltensveränderungen die Folge des erlebten Missbrauchs sind, aber gleichzeitig als sichtbare Veränderung den Außenstehenden als Anzeichen dienen und somit als Symptom eines Missbrauchs bezeichnet werden können. 4. Möglichkeiten und Grenzen der Intervention Bei Missbrauch durch eine Frau schweigen die Opfer meist ihr Leben lang. Erst in langwierigen Therapien wird ein Missbrauch festgestellt, aber es ist meist nicht das vordergründige Ziel dieser Therapien dieses Erlebnis zu verarbeiten. Ist der Missbrauch erst mal erkannt, benannt und eventuell sogar öffentlich geworden, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen. Es gibt Angebote für die Überlebenden, es gibt Angebote für die Täter und Täterinnen und Angebote für die Familie. Was ist zu tun, wenn der Verdacht auf Missbrauch besteht. Grundsätzlich gilt bei sexuellem Missbrauch und der Misshandlung von Mädchen und Jungen: Ruhe bewahren und nicht in blinden Aktionismus verfallen. Wie dann vorzugehen ist werde ich anhand einer Handlungsanleitung exemplarisch darstellen. Im Punkt 4.2 möchte ich Interventionsmöglichkeiten skizzieren, die sich auf Hilfe für die Betroffenen beziehen. Im Zusammenhang mit weiblichem Missbrauch werde ich auch auf die Grenzen eingehen, die der Intervention in manchen Fällen gesetzt werden. ~ 44 ~ 4.1 Handlungsanleitung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch Ziel jeglicher Intervention sollte sein, den Schutz des Betroffenen vor weiteren sexuellen Übergriffen sicher zu stellen. Dabei muss immer bedacht werden, dass Missbrauch sehr schwer aufzudecken und zu beenden ist. Und das die damit einhergehenden Konsequenzen sowohl die Familie, wie auch das Kind selbst betreffen. Intervention beginnt dort, wo der Missbrauch erkannt worden ist oder ein Verdacht besteht.13 Jede Einrichtung hat oder sollte zumindest eine Handlungsanleitung erstellen, für den Fall, dass Missbrauch in ihrer Einrichtung auftritt. Es gibt verschiedene Konzepte wie im Verdachtsfall mit der Situation umgegangen werden sollte. Entweder man bezieht sich auf die Anleitungen, die das Jugendamt als Grundsatz hat oder man entwirft ein eigenes Modell, oder aber man nutzt Anleitungen, die andere Einrichtungen bereits für sich erarbeitet haben. 14 Die folgende Handlungsanleitung bezieht sich auf den Fall, dass bei einem Kind in einer Einrichtung, wie Schule oder Kita, der Verdacht auf sexuellen Missbrauch in der Familie besteht. Sollte also der Verdacht bestehen, ist es ratsam erst mal Ruhe zu bewahren. Das ist wichtig, auch wenn dieser Rat sich für viele Falsch anhören mag. Blinder Aktionismus bringt weder dem Kind noch den Erwachsenen etwas. Denn wenn es auch ein großer Schock ist und er sicherlich Bestürzung hervorruft, sollte man sich aber im Klaren dar13 Vergleich Braecker und Wirtz‐Weinrich, 1994, S.158. Ich beziehe mich dabei auf zwei Handlungsanleitungen. Einmal eine Anleitung vom Jugendamt der Stadt Stuttgart: Handlungsanleitung im Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen für Träger von stationären / teilstationären Einrichtungen, die nach § 45 Abs. 1 SGB VIII einer Be‐ triebserlaubnis bedürfen. Prävention‐ Umgang mit Verdacht‐ Intervention in „Leitlinien und Verfahren für den Hilfeplanungsprozess bei sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche“, erarbeitet 1998 vom Jugend‐ amt der Stadt Stuttgart. Die zweite stammt vom Verein Selbstlaut: Leitfaden für Pädagoginnen und Pädagogen zum präventiven Handeln gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen mit neuen Präventionsmateria‐ lien. Erstellt vom Verein SELBSTLAUT im Auftrag des BMUKK, Wien 2007. Beide befinden sich im Anhang. Sie dienten mir als Orientierungshilfe. Daher ist es möglich, dass Punkte sich überschneiden oder nicht erwähnt werden. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich nur eine Skizze erstelle, wie vorgegangen werden kann. Sollte ein Verdachtsfall in einer Einrichtung auftreten, in der sie arbeiten, wenden sie sich an die Leitung und fragen sie nach eventuell vorhanden Richtlinien oder Konzepten. 14 ~ 45 ~ über sein, dass das Kind den Missbrauch wahrscheinlich schon länger erlebt und eine sofortige Reaktion eher die Antwort auf die eigenen Gefühle ist. Dem Kind nütz das wenig, es ist viel wichtiger in Ruhe und mit sehr viel Verantwortungsgefühl die besten Möglichkeiten zu finden, wie dem Kind langfristig und dauerhaft geholfen werden kann, um eine sekundär Viktimisierung zu vermeiden. Der erste Schritt ist, dass man sich mit dem Verdacht an die Leitung wendet und dann mit den Kollegen in den Austausch geht. Auf die Art und Weise können Beobachtungen und Wahrnehmungen miteinander verglichen werden. Auch die persönliche Betroffenheit kann im Teamgespräch erläutert und bearbeitet werden. Wie bereits öfter schon erwähnt worden ist, stammt der Täter oder die Täterin meist aus dem familiären Umfeld des Kindes. Deshalb ist es nicht sinnvoll, die Eltern mit dem Verdacht zu konfrontieren. Im schlimmsten Fall wird das Kind dann aus der Einrichtung genommen und es besteht dann keine Möglichkeit mehr zu intervenieren. Meistens ist es dann nicht mal mehr möglich den weiteren Verlauf des Geschehens zu verfolgen. Es ist also eher angebracht eine Beratungsstelle oder, wenn man sich dazu entschließt, das Jugendamt hinzuzuziehen. Mit Hilfe von qualifiziertem Personal werden dann Verhaltensabweichungen, die beobachtet worden sind, durchgesprochen. Dazu zählen auch verbale Äußerungen und die im Kapitel 3.2 aufgeführten Symptome. Verhärtet sich der Verdacht, sollte der nächste Schritt sein, eine Helferkonferenz einzuleiten. Die Idee einer Helferkonferenz, ist ein Mittel, dass in vielen Handlungsempfehlungen angeregt wird. Daran sollten die Bezugs-Personen des Kindes wie Erzieherinnen, Lehrerinnen oder andere Vertrauenspersonen, sowie Mitarbeiter der Beratungsstellen oder des Sozialen Dienstes teilnehmen. Ziel der Konferenz ist es, eine gemeinsame Handlungsstrategie zu entwickeln, falls sich der Verdacht bestätigen sollte. Außerdem wird in dieser Konferenz besprochen wie die Situation von allen eingeschätzt wird, wer für die weitere Vorgehensweise die Verantwortung übernimmt, welche Infos noch benötigt werden, welche Interventionsmaßnahmen nötig sind, wer dem Kind als Vertrauensperson zur Seite steht und wer die Gespräche führt. Ist es möglich, sollte ein Abklärungsgespräch durch eine qualifizierte Person geführt werden, wenn das Kind sich bereits einer Vertrauensperson anvertraut hat. Das ist wichtig, um zum einen die Vertrauensperson des Kindes zu entlasten und zum ande- ~ 46 ~ ren, sich durch eine öffentliche Institution abzusichern, da das für weitere Interventions-schritte wichtig sein kann. Nur in Ausnahmefällen sollte das Gespräch ohne das Wissen der Sorgeberechtigten stattfinden. Um eine Handhabe für das Gespräch zu haben, sollte vorher schriftlich festgehalten werden, auf welcher Grundlage der Verdacht entstanden ist. Mehrfachbefragungen sind auf jeden Fall zu vermeiden, dafür ist eine funktionierende Kooperation der verschiedenen Berufsgruppen dringende Voraussetzung. Das Gespräch an sich sollte behutsam und einfühlsam geführt werden. Zu Beginn sollte die Person, die die Befragung durchführt sich dem Kind vorstellen, erklären warum sie hier ist und was ihre Aufgabe sein wird. Um das Gespräch zu erleichtern kann eine angenehme Atmosphäre geschaffen werden und es ist darauf zu achten, dass eine Sprache verwendet wird, die das Kind auch versteht. Inhaltlich sollten nicht nur Beweise für einen möglichen Missbrauch gesammelt und gesucht werden, sondern es muss auch auf die Gefühle, Erlebnisse und Bedürfnisse des Kindes geachtet und eingegangen werden. Diese Vorgehensweise hilft Vertrauen auf und Ängste und Widerstände auf Seiten des Kindes abzubauen. Wenn man dann von der Beziehungsaufnahme zum eigentlichen Teil des Gesprächs gelangt, sollte der Durchführende dringend darauf achten, seine eventuell auftretenden Gefühle wie Scham, Wut, Ekel und Aufregung nicht auf das Kind zu übertragen. Wenn man ruhig und aufmerksam bleibt, vermittelt man dem Kind das Gefühl von Sicherheit. Kinder sind sehr sensibel und merken sehr schnell, wenn ihr Gegenüber das erzählte nicht aushalten kann und ziehen sich wieder zurück. Das Übertragen der eigenen Gefühle auf das Kind kann es erschrecken und das aufgebaute Vertrauensverhältnis zerstören. Man kann selbst Wut und Hass empfinden, aber das bedeutet nicht, dass das Kind dieselben Empfindungen für den Missbrauchenden hat. Das muss man aushalten können und sollte nicht mit Unverständnis reagieren 15 . Während des gesamten Gesprächs ist es wichtig dem Kind zu vermitteln, dass man ihm glaubt, dass alles Gesagt vertraulich behandelt wird, dass seine Gefühle in Ordnung sind und das es keine Schuld am Missbrauch trägt. Hilfreich ist es immer wieder das Kind darauf aufmerksam zu machen, das es nicht für das Geschehene Verantwortlich ist, sondern die Verantwortlichkeit alleine bei dem Täter liegt. 15 Bei den Betroffenen und den Vertrauenspersonen, ruft Missbrauch immer, viele und ambivalente Gefühle, hervor. Eine Übersicht geben Braecker und Wirt‐Weinrich 1994,S. 159. ~ 47 ~ Das Gespräch ist kein Verhör. Das Kind entscheidet was und wie viel, es von dem was geschehen ist, preisgeben möchte. Es kann aber durch Fragen ermutigt werden, über das Vorgefallene zu sprechen. Dazu können verschieden Fragen dienlich sein. Gab es im Vorfeld er Untersuchung konkrete Äußerungen des Kindes, kann man darauf zurückgreifen: „ Deine Erzieherin hat mir erzählt, dass du es nicht magst, wenn die Bettmonster abends in dein Zimmer kommen.“ Beruht der Verdacht auf veränderten Verhaltensweisen können Fragen wie „Hast du schon mal woanders solche Spiele gespielt?“ oder „ Wo genau spürst du deine Bauchschmerzen?“ sinnvoll sein. Reagiert das Kind auf die Fragen, dann kann man es durch offene Fragen ermutigen weiter zu sprechen. W- Fragen erleichtern den Redefluss: „ Was geschah dann? Wie hat es sich angefühlt?“. Warum–Fragen sind allerdings zu vermeiden, denn sie rufen eine Verteidigungshaltung beim Kind hervor und das Kind sieht sich gezwungen sich zu rechtfertigen. Außerdem unzulässig sind Suggestivfragen, vorgreifen auf Personen und Geschehnisse, die das Kind selbst noch gar nicht genannt hat. Als Hilfsmittel während des Gesprächs können Zeichnungen, Stofftiere und Handpuppen eingesetzt werden. Das bietet sich an, wenn die Kinder noch sehr klein sind und wenn es ihnen leichter fällt, in der dritten Person über sich zu sprechen. Sie also so einen Abstand zwischen sich und das Erlebte bringen können. Zum Abschluss des Gesprächs sollte dem Kind für sein Vertrauen, seine Offenheit und Mitarbeit gedankt werden. Die befragende Person sollte nochmals zusammenfassen, was sie gehört und verstanden hat und die nächsten Schritte mitteilen. Auch das der Erwachsene jetzt die Verantwortung für alles weitere übernimmt und die genannte Person mit den Aussagen konfrontiert wird, sollte nochmals deutlich und offen dem Kind mitgeteilt werden (vgl. Braecker & Wirtz- Weinrich 1994, S. 157) Als Hilfe für den gesamten Prozess dienen Gedächtnisprotokolle. In ihnen werden Aussagen und Verhaltensweisen des Kindes, Absprachen und zeitliche Reihenfolgen festgehalten. Hat sich der Verdacht erhärtet, hat der Träger der Einrichtung in der Zusammenarbeit mit dem zuständigen Jugendamt die Aufgabe, den oder die Tätverdächtige(n) mit dem Vorwurf zu konfrontieren. Handelt es sich um einen Mitarbeiter, so ist er vom Dienst zu suspendieren. Findet der Missbrauch innerhalb der Familie statt, so sind im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII Festlegungen zu treffen, die die Beendigung des Missbrauchs und den Schutz des Kindes gewährleisten sollen. Entscheidend für die Hilfe- ~ 48 ~ planung sind die Gefährdung und Schädigung des Kindes, seine Entwicklungsprognose und seine Ressourcen, die Veränderungsbereitschaft und Motivation der Eltern zur Annahme von Hilfe in einem angemessenen Zeitraum sowie zur Verfügung stehende Unterstützung des Kindes durch andere Familienmitglieder. Da die Familie der primäre Entwicklungs- und Erfahrungsort für Kinder ist, muss geklärt werden, ob und mit welchen Möglichkeiten die Eltern ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen können. Soweit es der Schutz des Kindes im Einzelfall zulässt, ist die Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen sehr wichtig für das Kind. Sollte es nötig sein, muss das Jugendamt in seiner Funktion als Wächteramt das Familiengericht einschalten. Wenn es dem Wohle des Kindes dient muss, in diesem Rahmen, über eine Inobhutnahme entschieden werden. Erst wenn die Aufdeckung abgeschlossen und das Kind in Sicherheit ist, sollte an eine Therapie gedacht werden. 4.2 Ausgewählte Interventionsmöglichkeiten „Im Aufgabenbereich der Intervention sind so hohe fachliche und persönliche Anforderungen an die jeweiligen Fachkräfte zu stellen, dass Intervention nur in einem Team von Fachkräften verantwortlich geleistet werden kann, in dem sozialarbeiterische, psychologische, pädagogisch-therapeutische und bei Bedarf auch medizinische und juristische Kompetenzen zusammenwirken“ (Bundesministerium für Familie und Soziales 1993, S.129). Intervention umfasst mehrere Bereiche, die bestimmte Kriterien erfüllen sollten, um fachlich kompetent mit der Situation umgehen zu können. Die Beratungsangebote sollten offen, niedrigschwellig und altersgemäß gestaltet werden. Außerdem umfassen sie Beratung für betroffene Kinder, Bezugspersonen, nicht .missbrauchende Familienangehörige und außenstehende Kontaktpersonen. Auch juristische Beratung und Prozessbegleitung gehören zum Beratungsumfang. Die Diagnostik sollte fundiert, psychosozial und bei Bedarf auch medizinisch sein. Bei der Aufdeckung des Missbrauchs ist eine Planung und Koordinierung von geeigneten Maßnahmen, im Rahmen einer Helferkon- ~ 49 ~ ferenz wie in 4.1 erläutert, notwendig. Hier kann sich das Jugendamt als Schaltstelle anbieten, wobei dann eine Verfolgungspflicht besteht. Auch das Einleiten von vorübergehenden oder dauerhaften Außerfamiliaren Unterbringungen, mit juristischen Schritten gehört zur Aufdeckung. Zur nachgehenden Betreuung gehören Therapie für Kinder und Jugendliche, pädagogische Fördermaßnahmen bei Schulschwierigkeiten, offene und beratende Unterstützung bei Therapieverweigerung. Auch Therapie und Unterstützungsangebote für Familienangehörige, sowie Beratung von Eltern zur Unterstützung ihres missbrauchten Kindes, aber auch Therapeutische Angebote für Täter und Täterinnen kennzeichnen eine kompetente Intervention. Sollte es zu Inobhutnahme, nach §42 und § 43 KJHG, kommen, müssen Zufluchtsstätten, Heime, Pflegefamilien und Wohngruppen bereitgestellt werden (vgl. BMFuS 1993). Zur nachgehenden Betreuung gehört es, dem Kind oder Jugendlichen eine Therapie zu ermöglichen. In diesem Rahmen werden Einzeltherapien, Gruppentherapien und Familientherapien angeboten und durchgeführt. Es gibt bestimmte Therapieformen, die sich in der Arbeit mit Missbrauchsopfern bewährt haben. Dazu zählen die Trauma-, die Gesprächs-, die Gestalt- und die Einzeltherapie. Auf die Traumatherapie werde ich etwas genauer eingehen. Die ICD-10 beschreibt drei psychische Störungen als Traumafolge: die akute Belastungsreaktion, die Posttraumatische Belastungsstörung und die andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung. Um die Folgen des Missbrauchs besser in diese Kategorien einordnen zu können hat Hermann (1993) versucht eine Neudefinition zu geben. Demnach handelt es sich um eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit Symptomen, wie Störungen der Affektregualtion, Bewusstseinsveränderungen, gestörte Selbstwahrnehmung, gestörte Wahrnehmung der Täter, Beziehungsprobleme sowie eine Veränderung des Wertesystems (Schubbe 1996, S.125). Eine Therapie eines Traumas ist wichtig, da sich die traumatischen Erfahrungen wesentlich von den gewohnten Erinnerungen unterscheiden können. Es ist nicht möglich, diese Erinnerungen willkürlich zugänglich zu machen, aber es genügen bestimmte Schlüsselreize, um sie meist ungewollt hervorzuholen 16 . 16 Erinnerungsblitze nennt die Überlebende es. Es handelt sich um einen Erfahrungsbericht aus Elliot, Miche‐ le(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 ~ 50 ~ Diese Affekte sollen in der Traumatherapie be- und verarbeitet werden. Diese Form nutzen meist Erwachsene, bei denen der Missbrauch meist in ihrer Kindheit stattfand und der Tatbestand nicht mehr erinnert wird, oder die Folgen so gravierend sind, dass eine Therapie notwendig ist. Der Therapie liegen folgende Ansätze zu Grunde. • Normalität vermitteln, dass Reaktionen nicht unnormal, sondern typische Symptome eines Traumas sind. • Individualität der Reaktionen nach einem Trauma. Dabei ist es wichtig auf die Besonderheiten der Symptomatik zu achten und darauf auch im Behandlungsplan einzugehen. • Selbstbestimmung als Ziel, um aus der Opferrolle herauszukommen und Zugang zu den eigenen Stärken und Bewältigungsstrategien zu bekommen. • Zusammenarbeit von Psychotherapeuten, Sozialarbeitern und Ärzten verschiedener Fachrichtungen. • Tiefung, da Erinnerungen fragmenthaft auf verschiedenen Sinnesebenen liegen. Sie sollen möglichst alle angesprochen werden, mit der Fokussierung auf die Körperempfindungen. Durch dieses Verfahren sollen Klienten emotionale Zustände und intrusive Erinnerungen unter Kontrolle halten können. • Verwendung von Symbolen wie Gesten, Metaphern, Bilder, Spiele und Rituale, wenn Worte und Gespräche nicht mehr ausreichen oder versagen. Symbole ermöglichen eine Fülle an verschiedenen Assoziationen. • Zurückführen in einen entspannten Zustand nach jeder Sitzung (Schubbe 1997, S. 127ff.). Erfolgt die Arbeit nach diesen Grundsätzen, spricht man von einer „bifokalen Traumatherapie“. Hierbei fokussiert die KlientIn gleichzeitigt belastende Erinnerungen und einen aktuellen dargebotenen äußeren Reiz in ihrer Aufmerksamkeit. Die Therapie durchläuft mehrere Phasen. Zu Beginn erfolgt die Anamnese und Behandlungsplanung. Diese ist individuell verschieden und richtet sich nach den Wünschen, Bedürfnissen und Beschwerden der Klienten. Denn manche Klienten wollen gleich zu Beginn alles loswerden, manche finden überhaupt keine Worte für das was ihnen fehlt und andere klagen über Schmerzen und andere körperliche Beschwerden. Dass ein Missbrauch in ihrer Vergangenheit vorliegt, haben die Meisten verdrängt und die Erinnerung daran abgespalten. Nach dem Beginn folgt die biographische Anamnese, dabei wird genau auf die Problemgeschichte geschaut. Dabei werden körperliche und psychi- ~ 51 ~ sche Stabilität, das soziale Netz, Selbst- und Fremdgefährdung, die Funktionalität von Bewältigungs-mechanismen, aktuelle äußere Anforderungen an den Klienten, sowie eine mögliche dissoziative Symptomatik eingeschätzt. Danach wird der weitere Verlauf der Behandlung abgesprochen. Zur Vorbereitung der Hauptphase, in der die traumatischen Erinnerungen bearbeitet werden, sollen die Klienten, falls noch nicht vorhanden Entspannungsmethoden kennenlernen. Mit deren Hilfe sollen sie innere Anspannungen abbauen und somit überwältigende Erinnerungen beeinflussen können. In der Hauptphase haben die Sitzungen einen bestimmten Ablauf. Zu Beginn der Sitzung werden die „ Hausaufgaben“, wie zum Beispiel Tagebuchaufzeichnungen, als Einstieg genutzt. Damit haben die Therapeuten die Möglichkeit die zwischenzeitlich stattfindenden Entwicklungen zu verfolgen. Aus den aktuellen Themen wird dann die belastende Erinnerung ausgewählt, die dann bearbeitet werden soll. In dieser Phase werden die Klienten angeleitet ein Geruch, ein Bild oder eine Stimme zu dieser Erinnerung zu finden. Über diese Assoziation erfragt der Therapeut negative Selbsteinschätzungen und gemeinsam wird dann daraus eine positive Selbstkognition entwickelt, mit dem Ziel, dass die positive eines Tages die negative ersetzen soll. Anhand einer Skala sollen die Klienten einschätzen, wie real die ideale Selbsteinschätzung im Zusammenhang mit der Erinnerung ist. Mit einer zweiten Skala wird dann der Grad der subjektiven Beunruhigung aufgrund der Erinnerung erfragt. Der nächste Schritt besteht darin, dass die Klienten mit oder ohne Hilfe ihren Körper innerlich nach, um mit dem Thema, der Erinnerung zusammenhängende Körperreaktionen zu lokalisieren. Dann folgt „ Die Konzentration auf die belastende Erinnerung wird nun durch einen von außen gegebenen Reiz unterstützt, dem die KlientIn mit ihrer Aufmerksamkeit folgen soll: Waagerecht mit den Fingern geführte Augenbewegungen.[…] Die KlientIn folgt dabei den Veränderungen ihrer inneren Bilder, ihren- manchmal schmerzhaften- Körperempfindungen, den begleitenden Gedanken und Gefühlen. […] auf diese Weise ergibt sich nicht nur eine Kette von Assoziationen verschiedener Sinnesmodalitäten, Gefühle und Gedanken, sondern ein innerer Prozess, der die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten gleicht und zur Integration von Erfahrungen führt. Die gezielte Konfrontation mit belastenden Erinnerungen auf allen Ebenen der Wahrnehmung desensibilisiert die KlientIn gleichzeitig für Reize im Alltag, die traumatische Erinnerungen auslösen.“ (Schubbe 1996, S.131). ~ 52 ~ Zum Abschluss werden die ideale Selbsteinschätzung und die verarbeiteten, desensibilisierten Wahrnehmungen des Traumas zueinander in Beziehung gesetzt. Die Selbstkognition und der Grad der Belastung werden dann nochmals anhand einer Skala eingeschätzt. Am Ende jeder Sitzung ist das Ziel, dass sich die Klienten, in einem entspannten Gleichgewichtszustand befinden (vgl. Schubbe 1996, S.123-131). Aber nicht immer ist eine Therapie die erste Wahl und auch nicht das einzige Mittel, mit der Erfahrung des Missbrauchs umzugehen. Opfer von weiblichem Missbrauch haben bei Teegen (1993) verschiedene Bewältigungsstrategien angegeben, die ihnen geholfen haben, den Missbrauch zu verarbeiten. Viele haben sich psychologische Literatur, Artikel und Bücher zum Thema Missbrauch gesucht. Das Lesen dieser Sachen hat bei ihnen das Verständnis für Zusammenhänge erleichtert und damit auch eigene Verhaltensweisen „ normalisiert“. Sie haben gelernt, dass sie nicht verrückt sind, dass es anderen genauso geht und das es auch jemanden gibt, der sich mit dem Thema beschäftigt und sie somit Ansprechpartner finden können. Einige berichten, dass ihnen Tagebuchschreiben sehr geholfen habe. Das Tagebuch als stummer Freund, den man alles anvertrauend kann. Es hilft Gefühle auszudrücken, das Schweigen für sich selbst zu überwinden und die Sprache wiederzufinden. Die Aufzeichnungen helfen auch, Ereignisse bewusst zu ordnen. Tagebuchaufzeichnungen können ein wichtiger Bestandteil, wie in der Traumatherapie, sein. Auch Gespräche mit nahestehenden Menschen wurde als hilfreich empfunden. Wenn das Gegenüber stark genug ist, das Erzählte auszuhalten, führt das Gespräch zur Entlastung und kann Impulse geben, das Selbstwertgefühl und Vertrauen stärken. Auch die Hinwendung zu Religion und Glaube hilft zu überleben. Die Beichte wird als Entlastung von empfundener Schuld erlebt. Der Glaube gibt Kraft sich mit dem Schicksal, den traumatischen Erfahrungen auseinanderzusetzen und sich neu zu orientieren. Wer sich mit Religion und Glaube beschäftigt, der beschäftigt sich mit den existenziellen Grundfragen der Menschheit und das gibt den Betroffenen das Gefühl wieder Kontrolle über sich zu haben. Es gibt Beratungsstellen, an die sich Betroffene wenden können. Sie sind kompetente Ansprechpartner mit Verweisungswissen. Dort kann man sich „ erste Hilfe“ holen. Sie kennen meist die geeigneten Therapeuten und Ärzte, können ihnen Adressen von Selbsthilfegruppen und Familienberatungsstellen geben. Beratungsstellen sind auch ~ 53 ~ geeignete Ansprechpartner für Einrichtungen, die Unterstützung brauchen, wenn in ihrer Einrichtung ein Fall von Missbrauchsverdacht auftritt. Und natürlich Selbsthilfegruppen als Orte, wo sich „ Betroffene“ miteinander austauschen können. Diese Gruppen nehmen das Gefühl allein zu sein, es ist äußerst hilfreich zu erfahren, das es anderen genauso geht, dass man nicht unnormal ist und es auch Hilfe gibt. Viele Selbsthilfegruppen wurden gegründet, um missbrauchten Frauen einen Raum zu geben, in dem sie über das Erlebte sprechen können und Hilfe bekommen. Mittlerweile haben sie auch einige Männer- Selbsthilfegruppen gebildet, die den Mann als Opfer und nicht als Täter wahrnehmen. Auf der Suche nach Gruppen für Opfer von weiblichem Missbrauch gibt es nur wenige Adressen. Das Thema ist immer noch so „neu“, dass sich noch nicht eine große Lobby bilden konnte. Die Gruppen, die darauf ausgerichtet sind, haben meist nur Erfahrung mit männlichen Opfern von Missbrauch. In einigen Selbsthilfegruppen wird ein ZWÖLF-SCHRITTE- PROGRAMM durchgeführt. Es lehnt sich an das Konzept der Anonymen Alkoholiker an. Es bietet einen klaren und gut dokumentierten Plan, der auch für Betroffene gedacht ist, die im Zuge von Selbsthilfe sich mit dem Missbrauch auseinandersetzen wollen. Zu den Schritten gehört, dass man akzeptiert, dem Missbrauch gegenüber machtlos gewesen zu sein und man jetzt Probleme hat. Auch dass man sich selbst kennenlernen soll und sich realistisch einschätzen kann, mit all seinen persönlichen Grenzen. Man soll erkennen, ob und wie man sich selbst Schaden zufügt und Wege finden damit aufzuhören. Die Selbstvergebung der eigenen Schuld am Missbrauch, sowie der Liebe zur Täterin sind wichtig. Ein weiterer Punkt ist, dass man auf seinen Körper mehr achten und mit ihm Freundschaft schließen soll. Und zum Abschluss soll der Betroffene erkennen, dass er die Verantwortung für seine Heilung trägt, aber keine Verantwortung für den Missbrauch. Das soll nur ein kleiner Auszug aus dem Programm sein, das man auch für sich modifizieren kann (Elliot, 1995 S.287f.). Und zu Letzt befinden sich viele der erwachsenen Missbrauchsopfer in therapeutischer Behandlung, wobei auch hier die Psychotherapie am häufigsten gewählt wird. Gieseke und Jonsson (1996) vergleichen internationale Interventionsmodelle aus den Niederlanden und Großbritannien, die sich bewährt haben. In den Niederlanden gibt es flächendeckend Büros für Vertrauensärzte BVA. Sie sind eine nationale Organisation, die ursprünglich für Ärzte gegründet wurde, in deren Praxis Missbrauchsfälle auffielen, damit sie Meldungen geben konnten, die sich mit der Schweigepflicht vereinbaren ließen. Mittlerweile nutzen viele Berufsgruppen und Privatpersonen diese Büros. Ne- ~ 54 ~ ben Beratungsarbeit, werden auch Statistiken über die Häufigkeit von Anzeigen erstellt und die Aktivitäten in Jahresberichten veröffentlicht. Der Arbeit liegen verschiedene Prinzipien und Ziele zu Grunde. Es gibt zwei wesentliche Ziele. Zum einem die Überprüfung und Bestätigung eines Missbrauchsverdachts und zum anderen Hilfe für betroffene vermitteln. Das oberste Prinzip der Arbeit ist, den Kindern immer zu glauben. Bei der Arbeit gehr es hauptsächlich darum Hilfen zu vermitteln, daher werden auch anonyme Anzeigen und Meldungen verfolgt. Liegt eine Meldung vor, dann ist der nächste Schritt zu klären, ob die Signale richtig gedeutet wurden, welche Hilfen das BVA anbieten kann, was die anzeigende Person veranlasst haben möchte und welchem Verhältnis sie zur Familie steht. Ohne das Wissen der Betroffenen wird zunächst das Umfeld erkundet, in Fallkonferenzen werden Strategien für die weitere Vorgehensweise erarbeitet. Diese „heimlichen“ Ermittlungen sind rechtlich aber nicht abgesichert. Dann wird in den meisten Fällen Kontakt zur Bezugsperson des Kindes aufgenommen, damit im Gespräch das Kind, zum Beispiel der Mutter, alles berichten soll. Parallel setzen sich die Vertrauensärzte mit der Polizei in Verbindung. Über das Gespräch wird werden dann die Eltern und das Kind informiert. Kommt es zur Anzeige, ziehen sich die Ärzte zurück. Entscheiden sie sich gegen eine Anzeige, führt der Vertrauensarzt, gemeinsam mit einem Sozialarbeiter, ein Konfrontationsgespräch mit den Tätern. Es wird zu jeden Fall eine Akte angelegt, die streng vertraulich behandelt wird. Diese Akte kann auch als Beweis in einem Gerichtsverfahren verwendet werden (Gieseke und Jönsson, 1996, S.95-97). Beim Case Management sollen alle Beteiligten der Intervention miteinander ins Gespräch kommen. Ziel dieser Büros ist es, die Hilfen verschiedener Stellen zu koordinieren und miteinander abzustimmen. die Federführung übernimmt der Case ManagerIn, der aber selbst nicht mit den Betroffenen arbeiten soll. Die Einwilligung der Betroffenen in das Case Management gehört zu den Arbeitsprinzipien. Im Konkreten Fall sieht die Arbeit wie folgt aus. Nachdem ein Fall durch die SozialarbeiterInnen angemeldet wurde, werden alle beteiligten Parteien, zu einer Fallkonferenz, eingeladen. Die einzelnen Parteien sind fallabhängig. Aber meist gehören die Polizei und die Staatsanwaltschaft dazu. Jede Partei stellt ihr Ziel und die damit verbundene Vorgehensweise vor. Im weitern Verlauf wird versucht, die Schritte miteinander zu abzustimmen. Wichtig ist, die getroffenen Vereinbarungen schriftlich in einem Protokoll festzuhalten. Das Case Management ist dann beendet, wenn alle Ziele klar formuliert sind und ~ 55 ~ die Arbeit gut läuft. Es ist aber möglich, die Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Meist sind zehn bis zwölf Sitzungen üblich, um zu einem erfolgreichen Abschluss zu gelangen (Gieseke und Jönsson, 1996, S.97f.). Das letzte Modell kommt aus Großbritannien und nennt sich Area Child Protection Committees- ACPCs. Diese setzen sich aus Vertretern der örtlichen sozialen Dienste, des „National Society fort he Prevention of Cruelty to children“, der Polizei, der Gesundheitsdienste, der Bewährungshilfe und manchmal sogar aus der „armed services“ zusammen. Die Aufgaben der ACPCs sind im Wesentlichen, die Überprüfung der örtlichen Strukturen (um angemessene Hilfen , Beratung und Zusammenarbeit sicher stellen zu können), Erstellung von Jahresberichten, Durchführung von „case reviews“, sowie die Erstellung von Richtlinien zur Intervention und deren Einhaltung. Die Richtlinien sind: • Meldung und Erkennen des Missbrauchs • Sofortiger Schutz und Planung der Untersuchung • Untersuchung und erste Bewertung • Kinderschutz- Konferenz und Entscheidungsfindung • Umfassende Bewertung und konkrete Hilfeplanung • Durchführung, Überprüfung und De-Registrierung • Besondere Hinweise für den Umgang mit Fällen, in denen Kinder nicht bei ihren Eltern leben (Gieseke und Jönsson 1996, S.98-102). 4.3 Grenzen der Intervention Intervention bedeutet den Missbrauch zu beenden und den Schutz des Kindes zu gewährleisten. Intervention bedeutet auch, die Nachversorgung des Opfers zu stellen. In meiner Literurrecherche habe ich so gut wie keine Fälle gefunden, in denen der Missbrauch durch eine Frau schon während des Tatbestandes aufgedeckt worden wäre Die Opfer schweigen und das über Jahre hinweg. Sollte er einmal doch öffentlich werden, dann war der Missbrauch ein „Zusatz“ des Missbrauchs durch einen Mann oder pornografische Kinderringe. Und damit zeigt sich schon ganz deutlich die Grenze, die der Intervention gesetzt wird. Es gibt keine Meldungen oder Anzeigen von ~ 56 ~ weiblichen Missbrauch. Sollte dennoch ein Verdacht bestehen, verhindert das Denken der Gesellschaft und damit auch vieler Erzieherinnen, die Aufdeckung. Frauen und ihre Rolle im System der Gesellschaft sind nun mal verankert. Diesen Sachverhalt habe ich bereits im Kapitel 2.1 versucht darzustellen. Missbrauch kann auch in Einrichtungen stattfinden, aber auch da, wird auf die männlichen Mitarbeiter geschaut und dabei die Frau als Täterin völlig ausgeblendet. Eine weiterer Schwierigkeit besteht in der Schweigepflicht des Arztes, sie sind nicht verpflichtet, Verdächtiges zu melden. Sexueller Missbrauch durch Frauen, hinterlässt nicht immer eindeutige Spuren im körperlichen Bereich, da Frauen auf sehr vielfältige Weise missbrauchen. Die therapeutischen Angebote beziehen sich auf Kinder und Familinangehörige, es gibt aber nur wenig oder gar keine Hilfen für Frauen, die missbrauchen. Die meisten Angebote gehen von männlichem Missbrauch und nicht-missbrauchender Mutter aus. Hier muss noch einiges getan werden. Wer unterstütz das Kind, wenn die Bezugspersdon missbraucht, oft sind die Mütter alleinstehend. Das gleiche gilt für Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und sozialen Dienste. Es fehlt an qualifizierten Stellen, die sich mit dem Thema auskennen und ihre Konzeption dementsprechend modifiziert haben. Betroffene können sich in Gruppen, die sich mit weiblichem Missbrauch nicht auskennen, unwohl und „Fehl am Platz“ fühlen. 17 Für die Betroffenen ist es schwer, Hilfe zu finden, wenn sich keiner mit der Problematik auskennt. Auch Therapeuten sind in der Mehrzahl immer noch auf männlichen Missbrauch spezialisiert. Es fehlt an einer Lobby, in deren Rahmen sich Interventionen für Opfer von weiblichen Missbrauch bilden und erweitern können. Einige Beratungsstellen haben sich auf das neue „Klientel“ bereits eingestellt und Männer haben Selbsthilfegruppen für männliche Opfer von Missbrauch gegründet. Aber es fehlt noch an Anlaufstellen für weibliche Opfer und daran sollte in Zukunft gearbeitet werden. Denn so viel ist gesichert, es gibt Missbrauch durch Frauen und für die Betroffenen, egal ob Junge oder Mädchen, Mann oder Frau, müssen noch geeignete Interventionsmöglichkeiten geschaffen werden. Der erste Schritt ist, den Opfern eine Stimme zu geben, um über das Erlebte überhaupt sprechen zu können. Das erleichtert schon viel und gibt Selbstvertrauen, sich damit auseinander setzen zu können. Und dann erst kann daran gedacht werden mit Hilfe von Therapie oder anderen Maßnahmen den Missbrauch zu verarbeiten 17 Vergleich dazu in Elliot 1995, S.183. Bericht befindet sich Anhang. ~ 57 ~ Literaturverzeichnis Allen, C.M.: Women and men who sexually abuse children: A comparative study. Safer Society Program, Orwell VT 1991 Braecker, Solveig & Wirtz-Weinrich, Wilma: Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Handbuch für Interventions- und Präventionsmöglichkeiten. 4.Auflage Beltz Verlag, Einheim und Basel 1991 Braun, Gisela: An eine Frau hätte ich nie gedacht...! Frauen als Täterinnen bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen. AJS Landeststelle Nordrhein-Westfalen e.V., Köln 2001 Bundesministerium für Familie und Senioren: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Intervention und Prävention, Schriftenreihe Band 19. Kohlhammer, Stuttgart 1993 Cicchetti, Dante & Toth, Sheree L.: A Developmental Psychopathology Perspective on Child Abuse and Neglect. 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Die Ziffern 1- 17 orientieren sich an den Fußnoten. Der Bericht zur Fußnote 3, gehört auch zu den Fußnoten 4, 6, 8, 9, 16, 17. ~ 63 ~ 1 Art der sexuellen Misshandlungen an Mädchen und Jungen Ergebnis einer Studie des Bundesministeriums für Familie und Senioren (BMFuS 1994, S.56), wobei hier nicht nach männlichen und weiblichen Tätern unterschieden wird. Art der sexuellen Misshandlungen Exhibitionismus Nennungen Mädchen 118 % % 3,5 Nennungen Jungen 38 % 7,2 Nennungen Gesamt 156 Vorführen von Pornographie 144 4,3 54 10,2 198 5,1 Anfertigen pornographischer Foto- und Filmaufnahmen Sexuelle Berührungen an den Kinder/ Jugendlichen 30 0,9 10 1,9 40 1,0 1061 31,5 160 30,3 1221 31,3 Ausführen sexueller Berührungen, die Kinder/Jugendliche vornehmen müssen Selbstbefriedigung im Beisein der Betroffenen Anales/ vaginales Eindringen 654 19,4 92 17,4 746 19,1 425 12,6 62 11,7 487 12,5 251 7,4 12 2,3 263 6,7 Oralverkehr 191 5,7 42 7,9 233 6,0 Analverkehr 90 2,7 42 7,9 132 3,4 Vaginalverkehr 376 11,1 9 1,7 385 9,9 Anbieten zu sexuellen Zwecken 13 0,4 1 0,2 14 0,4 Sonstiges 18 0,5 9 1,3 25 0,6 Gesamtzahl der Nennungen 3371 100,00 529 100,00 3900 100,00 4,0 ~ 64 ~ 2 Häufigkeit von weiblichen Tätern in verschiedenen Studien Sieben Untersuchungen, die einen hohen Anteil weiblicher Mißbraucher festgestellt haben ( Hanks, Saradjian 1994,S.204) Quelle Population Groth Verurteilte Sexualstraftäter 1983 Mac Farlane 1982 Burgess et al. 1987 Risin und Koss 1987 Fritz, Stroller und Wagner 1981 Johnson und Shrier 1987 Petrovich und Templar 1984 Sexuell missbraucht 51% Männlicher Täter 75% Weibliche Täter 25% Inzesttäter 51% 66% 33% 41 Mehrfache Vergewaltiger 2972 männliche 56% 48,8% 32,2% 17,3% 52,9% 47,1% 4,8% 40% 60% 2,5% 56% 44% ---- 41% 59% Studenten zwischen 18 und24 412 männliche Studenten 1000 Jugendliche männliche Patienten 83 Inhaftierte Vergewaltiger von Frauen ab 17 ~ 65 ~ 3 Erfahrungsbericht einer weiblichen Überlebenden in Elliot, Michele(Hrsg.): Frauen als Täterinnen, Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Donna Vita, Ruhnmark 1995 S.180- 188. Der Bericht kann auch als eigenständiges Schriftstück gelesen werden, da er eine gute Zusammenfassung der gesamten Arbeit darstellt, dabei aber nur die persönliche Erfahrung einer Überlebenden wiedergibt. Dieser Bericht wird in folgenden Fußnoten zitiert: 3, 4, 6, 8, 9, 16, 17 „ Lynne Marie ist 40 Jahre alt, verheiratet und hat ein Kind. Sie stammt aus dem Mittleren Westen der USA. Ich bin im Mittleren Westen der USA aufgewachsen, in verschiedenen Kleinstädten. Ich wurde von meiner Mutter sexuell missbraucht und verbal, körperlich und seelisch misshandelt; ich weiß, dass sie von ihrem Vater zumindest körperlich misshandelt wurde. All das hat bis heute verheerende Folgen für sämtliche Bereiche meines Lebens. Meine Eltern heirateten, als sie in den Dreißigern waren. Es war für beide die erste Ehe. Ich glaube sie haben geheiratet, um endlich von den Verpflichtungen und schlimmen Situationen wegzukommen, die sie zu Hause erlebten. Mein Vater hatte eine Hörbehinderung und war sehr auf meine Mutter angewiesen. Sie war mehr als bereit, ihn zu dominieren, so wie das später auch mit mir gemacht hat. Ich wurde ein knappes Jahr nach der Hochzeit geboren. Mutter sagte, sie habe mich bekommen, um jemanden zu haben, der sie liebt. Danach kamen keine Kinder mehr. Ich war von Anfang an eine Enttäuschung. Mutter hatte eine schwere Geburt mit diversen ernsten Komplikationen. Meine beiden Eltern wollten gern einen gesunden Jungen haben. Ich war kränklich und ein Mädchen. Wenn Mutter schon ein Mädchen haben musste, dann wollte sie wenigstens eine zierliche junge Dame. Ich war durchschnittlich groß und ein Wildfang. Mein Vater war wegen seiner Arbeit die meiste Zeit nicht da. Seit ich mich erinnern kann, schlief Mutter fast jede Nacht bei mir. Meine ersten Missbrauchserinnerungen handeln davon, wie ich gestreichelt werde, vermutlich begann das schon im Säuglingsalter. Als ich drei Jahre alt war, musste ich Mutter auch selbst anfassen. Später brachte sie mir oralen Sex bei. Das lief fast jede Nacht so, bis ich zwölf war. Das alles war an ~ 66 ~ sich schon schlimm genug, aber als ich in die Schule kam, begann Mutter auch noch mich sexuell zu foltern. Das erste Mal, an das ich mich erinnere, fand im Wald statt. Mutter streichelte mich, hatte oralen Sex mit mir und führte ihre Finger in meine Vagina ein. Ich weinte und schrie, weil es so weh tat. Das ärgerte Mutter; um mich zum Schweigen zu bringen, nahm sie einen großen Stock und rammte ihn mir in die Vagina. Dieser Vorfall lehrte mich ruhig zu sein und meine Schmerzen auszublenden. Als ich fünf war, wollte ich einmal Mutters Aufmerksamkeit gewinnen, aber sie war zu sehr mit Bügeln beschäftigt. Aus Versehen kippte ich die alte gläserne Sprühflasche um und sie zerbrach. Mutter war wütend. Sie zerrte mich ins Schlafzimmer und kettete mich mit ausgebreiteten Armen und weit gespreizten Beinen ans Bett. Dann nahm sie eine Glasscherbe und zerschnitt damit meine Vagina. Ein anderes Mal war Mutter wütend auf mich, weil ich irgendein Verbot übertreten hatte. Bei dieser Gelegenheit bestand meine Strafe aus einem Eispickel in meinem Anus. Ich erlitt eine Mastdarm- Perforation. Einmal wollten Mutter und ich im Dezember auf einem Klappbett im Wohnzimmer schlafen, weil es oben in den ungeheizten Schlafzimmern zu kalt war. Mutter begann. Meine Geschlechtsteile zu streicheln. Dann steckte sie ihre Finger in mich rein. Ich wusste, wenn ich mich wehrte oder irgendwelche Geräusche machte, würde das die Sache nur verschlimmern. Es war Weihnachtszeit und der Weihnachtsbaum stand neben uns. Ich konzentrierte mich auf den Baum und die flackernden Lichter. Ich blendete alles andere aus, auch meine Gefühle. Das ist jetzt schon so lange her, aber ich schaffe es immer noch jedes Jahr, unseren Weihnachtsbaum wenigstens einmal umzukippen oder ihn auf andere Art und Weise zu lädieren. Ein andermal steckte Mutter mir eine Kerze in die Vagina. Ich muss etwas getan haben, um das auszulösen, aber ich habe keine Ahnung was. Alles Mögliche konnte sie provozieren, von meiner Anwesenheit bis hin zum Wetter. Einmal pflückte ich ohne Erlaubnis im nachbarlichen Garten einen Blumenstrauß für meine Mutter. Sie kochte vor Wut. Sie drückte mich auf den Lehmboden in unserem Schuppen. Sie setzte sich auf mich drauf, um mich unten zu halten, während sie meine Beine auseinanderdrückte und die dornigen Rosenstiele in meinen Körper stieß. Seit der Zeit kann ich keine Blumen mehr pflücken. Ich habe sogar Probleme, wenn ich welche geschenkt bekomme. ~ 67 ~ Ich weiß noch, wie ich einmal nachts im Bett an der Wand lag. Mutter hatte eine Entzündung an de4n Fingern. Der Arzt hatte ihr etwas gegeben, das sie auf die Wunden auftragen sollte. Es färbte ihre Hände rot. Mutter kam in mein Zimmer und belästigte mich. Ich weiß noch, wie ich mich in der Falle fühlte zwischen der Wand und diesen roten Händen, die mich verfolgten und mich anfassten. Ich habe noch heute Angst vor der Farbe Rot und ich schlafe nie an der Wand. Eines Nachmittags strickte meine Mutter, als ich aus der Schule kam. Schlechtes Timing. anscheinend fühlte Mutter sich durch meine Anwesenheit irritiert und sie wurde sehr wütend. Sie fesselte mich auf den Kaffeetisch und steckte mir eine Stricknadel in den Anus. Sie hat mich auch mit der Schere gefoltert. Ich schnitt auf meinem Bett Papierpuppen aus und machte aus Versehen ein winziges Loch in die Bettdecke. Zur Strafe fesselte Mutter mich wieder ans Bett und beschnitt meine Schamlippen. Mir wird jedesmal übel, wenn ich eine Schere benutzen muss. Eine Zeitlang rammte mir Mutter mir den Stiel eines Holzlöffels in die Vagina. Sie stocherte mit einem Kleiderbügel in mir herum. Sie untersuchte meine Körperöffnungen mit Stiften. Und sie steckte brennende Zigaretten in mich hinein. Missbrauch fand auch statt, wenn wir zusammen badeten. Als Achtjährige musste ich immer noch mit Mutter baden. Sie streichelt mich und zwang mich, ihre Brüste und Genitalien anzufassen. Ich weiß noch, wie ich mich einmal weigerte. Mutter nahm eine Badebürste und steckte sie in mich rein. Als ich versuchte Widerstand zu leisten, drückte Mutter mich unter Wasser, um mich gefügig zu machen. Ich verschluckte mich und bekam keine Luft. Bis heute kann ich nur duschen, ich bade nie. Mutter hat mich nie geschlagen oder irgendwelche für andere sichtbare Zeichen des Missbrauchs bei mir hinterlassen. Sie predigte mir ständig, ich müsse lernen, mich zu beherrschen, so wie sie. Diese Botschaft war ein Widerspruch in sich, aber Mutter dachte, solange ich keine Schläge bekäme, würde sie mich auch nicht missbrauchen oder misshandeln. Wenn sie nicht die Energie hatte, mich zu foltern, sperrte sie mich einfach in einen Schrank, auf den Dachboden oder in den Keller, bis sie sich wieder beruhigt hatte oder mich für irgendwas brauchte. Zeitweise war ich tagelang eingeschlossen, ohne auf die Toilette gehen zu können, ohne etwas zu essen oder zu trinken. Mutter sagte, dieser Arrest wäre nur zu meinem Besten. Sie sperrte mich ein, weil sie sich beherrschen wollte, falls das Bedürfnis sie überkommen würde, mich zu schlagen. Sie wusste, wenn ich eingeschlossen war, käme sie nicht in Versuchung, mir Schläge ~ 68 ~ zu verabreichen. Mir wären Schläge lieber gewesen als sexueller Missbrauch und Folter, aber manchmal war selbst die Folter immer noch besser, als völlig vernachlässigt zu werden. Einmal war ich im Keller eingeschlossen, als wir unten einen lebendigen Truthahn hatten. Meine Eltern hatten ihn zu Thanksgiving gewonnen. Ich wusste nicht, dass er geschlachtet und gegessen werden sollte. Während wir zusammen eingesperrt waren, schloss ich Freundschaft mit ihm. Dann brachte Dad ihn zum Schlachten. Als Thanksgiving kam, konnte ich nichts davon essen. Mutter stopfte mich mit Tabasco und Sardellenpaste voll. Als ich mich übergab, fesselte sie mich auf den Küchentisch und steckte einen alten Kartoffelstampfer in mich hinein. Ich kann heute noch keinen Truthahn essen; mir wird sofort übel. Ich bekomme sogar Ausschlag an den Händen, wenn ich Truthahnfleisch nur anfasse. Einmal ist ein ganzes Thanksgiving dadurch ruiniert worden, seitdem gibt es bei uns zu Thanksgiving keinen Truthahn mehr. Bei der einzigen Geburtstagsfeier, an die ich mich erinnern kann, sagte meine Mutter mir, wie hübsch ich aussähe. Dann rief sie mich ins Haus, weg von meinen Gästen. Ich wusste, was sie wollte und weigerte mich hineinzugehen. Mutter schickte meine Spielkameradinnen nach Hause. Als sie weg waren, schmierte sie mich überall mit Hundekot voll und sagte mir, ich wäre ein Stück Scheiße und habe kein Bedürfnis, jemals wieder hübsch auszusehen. Als ich älter wurde, begann mein Körper sich zu entwickeln. Haare wuchsen an Stellen, an denen ich vorher nie welche gehabt hatte. Mutter sagte, mit zwölf Jahren wäre ich zu jung dafür. Dann setzte sie mich auf die Toilette und rasierte die Haare alle ab. Ich hatte das Gefühl, ich könnte nicht einmal richtig heranwachsen. Ich empfand Peinlichkeit, Demütigung und Scham. Das war der letze körperliche und sexuelle Übergriff, an den ich mich erinnern kann, aber geschlafen hat Mutter immer weiter bei mir, bis ich mit 18 von zu Hause weg und zum College ging. Ich habe keine Ahnung, warum der ganze Missbrauch und die Folter damals so plötzlich aufhörten. Ich bin bloß heilfroh, dass es so war. Mutter misshandelt mich heute immer noch emotional und verbal. Sie weckt in anderen gern Schuldgefühle, um sie zu manipulieren. Sie schärfte mir ein, niemanden etwas zu erzählen, was bei uns zu Hause vorging; aber mit zehn versuchte ich, es der None zu erzählen, bei der ich Katechumenunterricht hatte. Sie gab mir eine schallende Ohrfeige und sagte, ich dürfe nicht lügen und solle meine Eltern ehren. Ich fand jahrelang nicht den Mut, noch einmal mit jemanden dar- ~ 69 ~ über zu sprechen, bis ich vor kurzem eine Therapie anfing, bei einer ganz besonderen, warmherzigen und verständnisvollen Frau. Einmal war ich einer Selbsthilfegruppe für Inzestüberlebende. Da in der Öffentlichkeit nicht oft von Missbrauch durch Frauen die Rede ist, fühlte ich mich in dieser Gruppe, in der es nur männliche Täter gegeben hatte, extrem fehl am Platze. Dann fand ich eine andere Gruppe, bei der es sowohl Täter, als auch Täterinnen gegeben hatte und schloss mich ihr an. Hier hatte ich eher das Gefühl dazuzugehören, aber meine Angst vor Menschen hinderte mich daran durchzuhalten. Ich leider unter einer Multiplen Persönlichkeitsstörung (MPS). Mit Hilfe meiner Therapeutin arbeite ich an einer Integration meiner Persönlichkeiten. Es wird aber vermutlich lange dauern, bis es soweit ist. Ich habe auch Angst, allein aus dem Haus zu gehen. Meistens brauche ich jemanden, die oder der mich begleitet und dann kann ich nicht lange wegbleiben. Ich komme nur ein paar Stunden lang gut klar. Meistens bin ich sehr schüchtern und zurückhaltend. Eine Essstörung habe ich auch. Erst habe ich zu viel gegessen, um zu vermeiden, dass mich jemand sexuell attraktiv findet. Durch das Übergewicht hielt ich die Leute auf Distanz und fühlte mich irgendwie beschützt. Jetzt esse ich fast gar nichts mehr. Ich habe in 15 Monaten mehr als 90 Kilo abgenommen. Ich will bloß verschwinden, damit mich alle in Ruhe lassen. Wer mich nicht sieht, kann mir auch nicht weh tun. Das Nichtessen ist vielleicht unbewusst auch eine Art Todeswunsch. Zeitweilig leide ich unter schwersten Depressionen. Ich habe schon mehrfach ernsthaft versucht, Selbstmord zu begehen. Ich war viermal wegen psychischer Probleme in stationärer Behandlung. Ich habe diverse Medikamente verschrieben bekommen, aber keines hat viel geholfen. Ich habe ein Problem mit selbstverletzendem Verhalten. Das ist kein Selbstmordversuch! Das Schnippeln verschafft mir Erleichterung. Ich fühle den körperlichen Schmerz erst hinterher, wenn das Schnippeln vorbei ist. Ich leide und bin unglücklich, aber niemand sieht meinen Schmerz. Die Schnitte machen ihn sichtbar. Sie machen ihn wirklich und rechtfertigen ihn für mich. Ich fühle mich oft so unwirklich. Wenn ich das Blut sehe, weiß ich, dass es mich wirklich gibt. Ich lasse ein bisschen Blut aus meinem Körper raus und habe das Gefühl, ich werde damit auch ein bisschen von dem Leid und dem Schmerz los. Ich bin seit fast zwanzig Jahren verheiratet. Ich habe ein Kind, ein Mädchen. Sie ist mein ganz persönliches Wunder, weil die Ärzte gesagt haben, wegen meiner inneren Schäden würde ich wahrscheinlich nie Kinder bekommen können. Mein Misstrauen ~ 70 ~ belastet mein Familienleben. Ich habe Probleme mit meinem Mann intim zu werden. Ich habe kein sexuelles Verlangen und fühle keine Erregung. Diesen Teil von mir habe ich komplett weggeschlossen. Ich habe nur bei ganz seltenen Gelegenheiten einen Orgasmus und dann weine ich immer. […] Es macht mir nichts aus, wenn mich Menschen, denen ich vertraue, auf nicht-sexuelle Weise anfassen, aber ich hasse es. Andere zu berühren. Mutter hat mir beigebracht, auf sinnliche Weise zu berühren und ich habe Angst, jemanden auf die falsche Art anzufassen. Natürlich hatte ich dadurch Probleme, körperliche Nähe zu meiner Tochter herzustellen und eine echte Bezugsperson für sie zu sein. Ich weiß, dass Erwachsene, die als Kinder missbraucht wurden, den Missbrauch manchmal bei ihren eigenen Kindern fortsetzen. Ich habe immer Angst gehabt, ich könnte meiner Tochter Schaden zufügen. Diese Erinnerungen sind für mich sehr neu und ich habe im Moment Probleme mit Erinnerungsblitzen. Ich weiß, da werden noch mehr Erinnerungen kommen. Ich fühle nichts dabei. Ich habe gelernt, meine Gefühle wegzupacken. Ich bin nicht einmal empört, dass das jedem Kind passieren kann und dass es überall Kinder gibt, die missbraucht werden. Ich muss wieder neu lernen zu fühlen. Ich bin auch nicht böse auf meine Mutter. Ich glaube das hat mit der MPS zu tun. Der Missbrauch ist nicht mir widerfahren, sondern einer der anderen Persönlichkeiten. Emotional bekomme ich zum Missbrauch keine Verbindung, obwohl mein Leben durch ihn so schwer geschädigt wurde. Vor kurzem ist mein Vater gestorben. Da bin ich wirklich durchgedreht. Mein Vater hat meine Erwartungen nie erfüllt. Ich glaube, ich habe immer gehofft, er würde mich vor meiner Mutter retten. Als er dann starb, wusste ich, dass ich allein mit ihr zurechtkommen muss, bis eine von uns stirbt. […] wir zogen ständig um. Wir konnten nie lange an einem Ort bleiben. Ich glaube, meine Mutter hatte Angst, sie würde erwischt werden; sie muss gewusst haben, dass es falsch war, was sie tat. Wegen der zahlreichen Umzüge hatte ich in meinem Leben weder Beständigkeit noch Stabilität und nicht viele Gelegenheiten, Freundschaften zu schließen. Heute weigere ich mich, überhaupt noch umzuziehen, noch einmal in ein neues Haus in derselben Stadt. Mutter hielt mich extrem isoliert. Ich war ihr Besitz und gehörte nur ihr. Sie gestattete es niemanden, mir nahe zu kommen. […] Angstzustände und Sorgen, was alles geschehen könnte, hindern mich daran, Freude am Leben zu empfinden. Ich versuche immer vorauszusehen und zu planen, was kommen wird und fühle mich dadurch Unerwartetem gegenüber besser gewappnet. Ich versuche vorauszusagen, was geschehen wird, weil in meinem ~ 71 ~ Leben nie etwas vorhersehbar war. Regeln, Gebote und Strafen richteten sich nach Mutters Stimmungen und Launen. Morgens machte ich etwas und es war in Ordnung; tat ich das gleiche nachmittags, dann wieder, wurde ich bestraft. Das machte es schwierig, meinem eigenen Kind Regeln und Grenzen zu setzen und für deren Einhaltung zu sorgen. Ich traue meinem Instinkt nicht. Ich kann nicht spontan sein. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich bin Perfektionistin. Das gibt mir das Gefühl, alles im Griff zu haben, nachdem ich während meiner Kindheit kein bisschen Kontrolle über mein Leben hatte. Egal, wie perfekt ich etwas mache, es ist mir nie gut genug. Mein Selbstwertgefühl ist so gering, es ist praktisch gar nicht vorhanden. Ich schaffe es nie, die Ansprüche zu erfüllen, die ich an mich stelle. Und doch versuche ich es immer wieder. Wenn ich das Gefühl habe, ich habe alles im Griff, dann glaube ich auch, dass ich ein paar Stärken habe und ein bisschen Macht. Teilweise entspringt mein Perfektionismus, wohl auch dem Wunsch, Mutter zu gefallen und die Erwartungen zu erfüllen, die sie an mich hatte. Für das meiste, was passiert ist, habe ich mir immer selbst die Schuld gegeben, aber langsam lasse ich diese Phase hinter mir. Mutter habe ich nie verantwortlich gemacht. Deswegen hatte ich auch keinen Grund, ihr zu vergeben. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, überwachsam auf Mutters Stimmungen und Bedürfnisse zu achten. Das hat sich immer mehr ausgeweitet und schließt heut alle ein, mit denen ich zu tun habe, ich habe viel Energie darauf verwendet, Mutter zu gefallen, mich um sie zu kümmern und zu beschützen. Jetzt, wo sie älter und allein ist, habe ich immer noch das Gefühl, dafür zuständig zu sein, zumal ich ihr einziges Kind bin. Wir haben hier in der Gegend sonst keine Familie. Ich werde Mutter nicht zur Rede stellen. Ich habe kein Bedürfnis danach. Das fragile Gleichgewicht, das Mutter und ich in unserer Beziehung haben, nur erschüttern. Es fällt mir schwer, mit ihr zusammen zu sein, aber ich will meiner alten Mutter gegenüber meine Pflicht erfüllen. Sie wird immer meine Mutter bleiben, egal was sie getan hat. Ich glaube, ich suche immer noch nach der Mutter, die ich nie gehabt habe. Es ist schon eine merkwürdige Beziehung, um es gelinde auszudrücken. Seit dem Tod meines Vaters hat Mutter sich verändert, aber ich glaube, im Grunde weiß ich, dass ich von ihr nie die Zuwendung bekommen werde, die ich immer wollte. Ich muss lernen, mir das, was ich brauche, woanders zu holen. Ich muss auch lernen, mir selbst Gutes zu tun. Im Moment habe ich nicht viel Hoffnung. Die hat meine Therapeutin für mich. Ich habe genug damit zu tun, meine drei Therapietermine pro Woche einzuhalten und mich langsam voranzutasten. Ich tue soviel ich kann und nur für diesen Augenblick. ~ 72 ~ 5 Beziehungen zwischen Opfer und Täter Beziehungen der Missbraucherinnen zu den Opfern (BMFuS 1994 S.60) Beziehungen der Missbraucherinnen Biologische Mutter Stief-, Pflege-, Adoptivmutter, Partnerin des Vaters (Stief)Schwester, Großmutter, Tante Frauen aus dem sozialen Nahbereich ( Freunde, Nachbarn, Babysitter) Frauen aus Erziehungsinstitutionen (Lehrerin, Erzieherin) Frauen aus Beratung und Therapie Entfernte Bekannte Fremde Unbekannte Gesamtzahl der Nennungen Zu den Mädchen In Prozent Zu den Jungen In Prozent Nennungen Nennungen 21 63,7 60 1 3,0 2 82,3 3 9,1 6 8,2 4 12,1 2 2,7 1 3,0 3 4,1 2 6,1 0 0,0 0 0,0 0 0,0 1 3,0 0 0,0 33 100,00 73 100,00 ~ 73 ~ Häufigkeit der Beziehungen zwischen Tätern und Opfern, nach Geschlecht des Opfers (BMFuS 1994 S.60f) Täter Opfer männlich Nennungen Prozent Prozent 2,9 Opfer Weiblich Nennungen 655 Biologischer Vater 64 Biologische Mütter 60 2,7 21 1,0 Ersatzväter 51 2,3 536 24,4 1 0,1 Ersatzmütter 29,8 Männer aus dem sozialen Nahbereich 68 3,1 229 10,4 Frauen aus dem sozialen Nahbereich 2 0,1 4 0,2 Brüder, Großväter, Onkel 29 1,3 225 10,2 Schwestern, Großmütter und Tanten 6 0,3 3 0,1 Männliche Unbekannte 34 1,5 102 4,6 1 0,1 Unbekannte Frauen Männliche entfernte 11 Bekannte Männer aus Erzie11 hungsinstitutionen Frauen aus Erziehungs- 3 institutionen 0,5 32 1,4 0,5 30 1,4 0,1 1 0,1 Männer aus Beratung und Therapie 0,5 5 0,2 2 0,1 1847 84,1 Frauen aus Beratung und Therapie Gesamt 10 349 15,9 ~ 74 ~ ~ 75 ~ 7 Symptom Listen Übersicht für Symptome und emotionale Reaktionen bei Opfern von sexuellem Missbrauch nach (nach Woltereck, 1994, S.83) GEFÜHLSEBENE frühe Kindheit (bis 3 Jahre) Verhaltensebene angenehme und unangenehme Empfindun- Schlaf-, Essstörungen, Tendenz zu Verhalgen tensextremen Angst Angst vor Fremden, Rückzug Verwirrung altersunangemessenes sexuelles Spielen Vorschulalter (3 bis 6 Jahre) Verhaltensebene regressives Verhalten: Babysprache, Bettangenehme und unangenehme Empfindunnässen gen Verwirrung Angst Scham Schuldgefühle Gefühl der Schutz- und Hilflosigkeit Wut Angst, beschädigt und verdorben zu sein Schulalter (6 bis 9 Jahre) ambivalente Gefühle Erwachsenen gegenüber Daumenlutschen, Festklammern Rückzug Schlafstörungen (Alpträume) aggressives Verhalten willfähriges Verhalten häufiges und ausdauerndes sexuelles Spielen öffentliches und andauerndes Masturbieren Verhaltensebene sozialer Rückzug Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, SchlafVerwirrung über die Geschlechtsrollenver- und Essstörungen teilung, Rollenverteilung innerhalb der Familie aggressives Verhalten, plötzliches, unerklärliches Schulversagen Angst, Scham Probleme, Grenzen einzuhalten Schuldgefühle Willfährigkeit Unruhe und Unsicherheit Zwangshandlungen wie exzessives Baden, Wut Waschen ~ 76 ~ Angst, beschmutzt und beschädigt zu sein sexuelles Ausagieren mit Gleichaltrigen und jüngeren Kindern Misstrauen sexuell provozierendes Verhalten keine adäquaten sozialen Beziehungen Schulalter (9 bis13 Jahre) Verhaltensebene ambivalente Gefühle gegenüber Erwachsenen sozialer Rückzug, Wut, Angst, Scham Schuldgefühle keine adäquaten sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen Depressionen Schule schwänzen Angst, beschädigt zu sein manipulatives Verhalten anderen gegenüber Gefühl der Inkompetenz sexueller Missbrauch von jüngeren Kindern Misstrauen promiskuitives Verhalten Selbstmordgedanken Körperliche Symptome von Mädchen und Jungen nach (May 1997, S. 325 ff) Verletzungen • Bisswunden, Hämatome und Striemen im Genitalbereich, an den Innenseiten der Oberschenkel und in den erogenen Zonen Blutungen, Risse, Abschürfungen, Rötungen und Wund sein an der Vulva, am Vaginaleingang, in Vagina, After, Penis, Hoden, Gegenstände in der Vagina, im After, ungewöhnliche Dehnungen der Vagina, des Afters Körperliche und psychosomatische Symptome • länger anhaltende Schlafstörungen • plötzlich auftretende Sprachstörungen • erhöhte Schmerzgrenze • unübliches, wiederholtes Bettnässen • andauernde Verdauungsstörungen • Einkoten • vernachlässigtes oder übertriebenes • Hygieneverhalten ~ 77 ~ • Verspannungen, Haltungsschäden • plötzlich auftretende Legasthenie • Hauterkrankungen (z. B. Sonnenallergie, Neurodermitis, anhaltender Juckreiz, Ausschläge) • Asthma • Ohnmachtsanfälle/Kreislaufbeschwerden • Epilepsie, Migräne/Kopfschmerzen • Autismus, Rückzug aus sozialen Zusammenhängen • psychosomatische Blutungen (z. B. Nasenbluten) • physische und psychische Lähmungserscheinungen (vor allem in Armen und Beinen) • Geschlechtskrankheiten, Aids • plötzlich auftretende Bauchschmerzen ohne erkennbare Ursache • Schmerzen ungeklärter Ursache im Genitalbereich • Schmerzen ungeklärter Ursache beim Stuhlgang Speziell bei Mädchen: • Esssucht: sich unattraktiv machen, Speck zwischen sich und den Täter bringen • Magersucht: Negieren der Frauenrolle, sich ,unsichtbar', dünn machen; Bulimie; Körperkontrolle (Essen und Erbrechen nach eigenem Maß) • Schwangerschaften • Hormonstörungen (vorzeitiges Wachstum der Schambehaarung bei kleinen Mädchen) • Genitalbeschwerden (Ausfluss, Pilzinfektionen, Schmerzen, Menstruationsstörungen) Speziell bei Jungen: • Pilzinfektionen im Bereich von After, Penis, Mund und Rachenraum • Wund sein und Jucken an Penis und After Psychische/emotionale Symptome bei Mädchen und Jungen • diffuse Ängste, z. T. verbunden mit Panikanfällen (z. B. Panik vor Autoritätspersonen, engen Räumen) • regressives Verhalten (Entwicklungsrückfall) • scheinbar unbegründete Angst vor Aids • Konzentrationsstörungen über einen längeren Zeitraum, aggressives Verhalten • Vereinsamung durch Rückzug von Freundinnen und Familie • zwanghaftes Verhalten (z. B. Waschzwang) • Phobien, Psychosen ~ 78 ~ • Beziehungsschwierigkeiten, Kontaktstörungen • Multiple Persönlichkeitsstörung • Sprachstörungen (Stottern, Schweigsamkeit) • Scham- und Schuldgefühle (Probleme mit dem Aus-, Um- und Anziehen) • Hilflosigkeit, Unselbständigkeit • geringes Selbstwertgefühl • Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle • Depressionen und depressive Verstimmungen • Zweifel an der eigenen Wahrnehmung • Berührungsängste • übertriebenes Anpassungsverhalten • Überreaktionen, "hysterisches" Verhalten • Autoaggressionen (z. B, Suizidversuche, Nägelkauen, Drogen-, Tabletten-, Alkoholabhängigkeit, Haare ausreißen, Arbeits- und Spielsucht, Schnippeln, Selbstverletzungen) • Suizidversuche, Selbstmordphantasien • scheinbar grundloses Weinen • wiederholtes Stehlen • ansteigende Unfallhäufigkeit (z. B. durch Ungeschicklichkeit, unkoordiniertes Verhalfen) • Unfähigkeit zur Selbst- und Fremdeinschätzung (Freundschaften) • Angst, sich fallen zu lassen (z. B. im Sport: Trampolinspringen, Wasserspringen) • Unfähigkeit, sich und anderen Grenzen zu setzen (nicht nein sagen können) • Annahme einer Opferrolle • Entfremdungsgefühle, Isolation • Abspaltung von Gefühlen, Aufspaltung in mehrere Persönlichkeiten • Gefühl "verrückt zu werden" • Angst vor Stigmatisierung (jeder sieht es mir an) • Flashbacks (plötzliche bildliche Erinnerungen an die traumatische Situation), • für Außenstehende unverständliche Reaktionen wie Angst, Zittern, Weinen • Würge- und Erstickungsgefühle, "Kloß im Hals", Schluckbeschwerden, Weigerung, den Mund weit zu öffnen (z. B. bei Zahnärztin, HNO-Ärztin, beim Eis essen) • In Kleidern/Schlafsack schlafen, sich fest einwickeln im Schlaf • sich wiederholende Alpträume ~ 79 ~ • starke Abwehrmechanismen, Verleugnen, Verdrängen, Bagatellisieren • Angst vor Schmerzen im Genitalbereich • Ekel vor Körperlichkeit, Körpergerüchen, Körperausscheidungen • Mutismus • psychogene Amnesien, auch Teilamnesien Speziell bei Mädchen: • den Körper in weiten Kleidungsstücken verstecken • plötzliche Isolation • Vertrauensverlust gegenüber Bezugspersonen Speziell bei Jungen: • sexuell aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern • plötzlich auftretendes aggressives Verhalten allgemein • plötzliche Isolation • Brandstiftung, Zündeln • Vertrauensverlust gegenüber Bezugspersonen • Tierquälerei Änderungen im Sozialverhalten von Mädchen und Jungen • Rückzug und Passivität • extremes Anklammern an Bezugspersonen, ständig auf der Suche nach Liebe • übertriebene Furcht vor Fremden • Verschlossenheit, Misstrauen • distanzloses Verhalten • Einzelgängertum • Delinquenz • frühreifes Verhalten • Beziehungssucht • plötzliche Leistungsverweigerung • extreme Leistungsmotivation (Ziel: Ich-Stärke entwickeln, schnelle Ablösung aus dem Elternhaus) • extrem ohnmächtiges Verhalten, Opferrolle • extremes Machtstreben, Kontrolle ausüben • Weglaufen aus dem Elternhaus • auffälliges Verhalten gegenüber bestimmten Männer- oder Frauentypen ~ 80 ~ • sicheres Auftreten in Gruppen bei gleichzeitig ängstlichem Verhalten im Einzelkontakt Speziell bei Jungen: • extremes Leistungsverhalten, Pedanterie Veränderungen im Sexualverhalten von Mädchen und Jungen • Sexualisieren von sozialen Beziehungen (z. B. in der Klassengemeinschaft) • exzessive sexuelle Neugierde • offene Masturbation • Bloßstellen/Zurschaustellung der Genitalien • zwanghaft promiskuitives Verhalten • altersunangemessenes Sexualverhalten/ sexuelles Spiel • Verweigerung/Negierung sexueller Bedürfnisse • Prostitution, sexuell aggressives Verhalten • sadomasochistisches Sexualverhalten • Promiskuität, Regression, Pseudoreife Speziell bei Mädchen: • auffälliges Verhalten während der Menstruation (Zurschaustellung von Binden etc. oder besonders beschämtes Verhalten) • zwanghaftes Sexualisieren von Intimität und körperlicher Nähe Speziell bei Jungen: • sexueller Identitätsverlust (Angst vorm "Schwul sein") • distanziertes und abwertendes Verhalten gegenüber Schwulen • ablehnende Einstellung zur Masturbation • Integration Gewalterfahrung in eigene Sexualität • häufiges, öffentliches Masturbieren • zwanghaftes Sexualisieren von Intimität und körperlicher Nähe, sexuelle Dysfunktion ~ 81 ~ Bei folgenden Symptomen ist die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs in Erwägung zu ziehen nach http://www.regensburg.de/jugend/07_probleme_hilfe/gewalt_sexueller_missbrauc h.shtml Verletzungen am Körper • Rötungen und Wund sein im Genitalbereich, • Wunden, Blutergüsse an Brust, Hals, Genitalbereich, an den Oberschenkelinnenseiten, am Po • Dehnungen, Erweiterungen an Scheide oder After • Geschlechtskrankheiten • Pilzerkrankungen, Blutungen Psychosomatische Störungen • Schlaf-, Sprach-, Essstörungen • Kopf-, Bauchschmerzen • Lern- und Konzentrationsstörungen • Ohnmachts- Erstickungs-, Krampfanfälle • Bettnässen Sexualisiertes Verhalten • Plötzliches sexuell aggressives Verhalten • Exzessives Anfassen der Genitalien • Altersunangemessenes Detailwissen über Sexualität • Bloßstellen der Genitalien • Nachstellen von Geschlechtsverkehr • Sexualisierung von Beziehungen • Verweigerung/Negierung sexueller Bedürfnisse Psychische Symptome • Berührungsängste, Scham- und Schuldgefühl • Geringes Selbstwertgefühl • Regression, Aggression • Extrem angepasstes Verhalten • Depressive Verstimmungen • Mangelnde Körperpflege, sich hässlich machen • Zwanghaftes Verhalten, (z.B. Waschzwang) ~ 82 ~ • Vereinsamung • Angstzustände vor bestimmten Situationen, Personen • Autoaggressives Verhalten • Weglaufen von Zuhause • Suchtverhalten Symptome einer Betroffenen nach http://www.angela-moonlight.de/13.html In meinem Buch "Rette mich! Manche Kinder werden ohne Schutzengel geboren" gehe ich näher auf die einzelnen Begleiterscheinungen, wie ich sie erlebte ein. Ich will darauf hinweisen, dass die folgenden Symptome jene sind, die ich hatte. Es ist möglich, dass sich dies bei einem Patienten/in mit der gleichen Vorgeschichte völlig anders verhält und das einige der Symptome nicht auftreten. Es ist auch möglich, das zusätzliche Symptome erscheinen, die hier nicht aufgeführt sind. • Angst und Panikzustände, Mistrauen, motorische Unruhe • Kontrollzwang, Putzzwang, Drang zum Perfektionismus • Schlafstörungen/ Alpträume • Essstörungen /Magen-Darm-Beschwerden /Übelkeit • körperliche Schwäche, starke Gewichtsschwankungen • Minderwertigkeitskomplexe, mangelndes Selbstvertrauen • Hilflosigkeit /Aggression • Ohnmacht- und Schwindelanfälle • Nervenzusammenbrüche/ Heul- und Weinkrämpfe/ Depression • paradoxe Emotionen, Verdrängung der Erlebnisse • hoher Energie- und Kraftaufwand, um "normal" zu wirken • Beziehungsprobleme, extreme Verschlossenheit • Probleme mit dem anderen Geschlecht/ Probleme mit der Sexualität • Scham, Schuldgefühle • Probleme mit dem Körper und dem Frau- sein • Arbeitsunfähigkeit, hohe Anpassungsfähigkeit • Herzrasen /Schweißausbrüche/ Zittern/ Frieren/ • Hautausschläge /Rötungen im Gesicht/ Allergien/ ~ 83 ~ • Ungeduld /Nägelkauen • Ansätze zur Selbstbestrafung und/oder Selbstzerstörung • Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen • das Gefühl, neben sich zu stehen. Konzentrationsschwierigkeiten • verschwommenes Sehen, Schreckhaftigkeit /Geräuschempfindlichkeit • Abspaltung, Psychosen • schizophrene Psychosen mit/ ohne Verfolgungswahn/ Stimmen hören. • Reintegrierung der inneren Kinder Folgeerscheinungen, die ich als Kind- im Alter von etwa 8 Jahren- nach dem ersten, mir bewussten Missbrauch hatte: • Angst vor dem alleine sein, Angst im Dunkeln • Verweigerung des Tragens bestimmter Kleidungsstücke • Aggressionen, Weinkrämpfe • Konzentrationsschwierigkeiten • Angepasstheit • Alpträume/ extreme Schlafstörungen • Angst vor anderen Menschen, Traurigkeit/ Depressionen • Bauchschmerzen, innerlicher und äußerlicher Rückzug • Angst vor älteren Männern ~ 84 ~ 10 Definition Sekundär Viktimisierung „Unter sekundärer Viktimisierung versteht man das erneute Opferwerden aufgrund verfehlten Verhaltens auf die primäre Viktimisierung, […]: - Übertriebene emotionale Reaktionen der Familienmitglieder des Opfers und negative Stigmatisierungen durch Personen seines sozialen Nahraums können die psychische Fehlverarbeitung durch das kindliche Opfer begünstigen. Dramatisierende Reaktionen der Instanzen der Sozialkontrolle, z.B. der Polizei und der Gerichte, sowie der Massenmedien können den psychischen und sozialen Opferschaden verschlimmern. - Nicht selten wird das kindliche Opfer durch die formalistische Routine und Gleichgültigkeit großer Bürokratien, z.B. durch Polizei und Krankenhaus, erneut entpersonalisiert […]. Die kindlichen Opfer und ihre Mitopfer fühlen sich verloren und vernachlässigt. Ärzte und Polizisten stellen verletzende Fragen von zweifelhafter Bedeutsamkeit. Skepsis und Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit sind für das Opfer und seine Mitopfer schwer zu ertragen. In der Gerichtsverhandlung werden Opfer und Mitopfer als bloße Beweismittel ein zweites Mal zu Objekten gemacht; sie wollen indessen als Rechtsobjekte vom Gericht mit Respekt behandelt werden.“ (Schneider 1999, S.220f.) „ Durch eine verfehlte Reaktion auf die Primär- Viktimisierung kann es zu weiteren Schädigungen des Opfers, zur sogenannten sekundär Viktimisierung kommen. Das Opfer kann ein weiteres Mal dadurch viktimisiert werden, dass sich die Personen seines sozialen Nahraums, seine Familie, seine Freunde, seine Nachbarschaft, ihm gegenüber verständnislos und gleichgültig verhalten und dass die Personen des Kriminaljustizsystems, die Polizei, das Gericht ihm gegenüber voreingenommen, befangen und feindselig sind.“ (Schneider 2001, S. 79) ~ 85 ~ 11 Symptom Definition 1. Definition Aus dem griechischen Wortstamm „symptoma“ ergeben sich folgende Ableitungen: „Hinweis“, „Begleiterscheinung“, „zusammen“, „fallen“ sowie „das Teil“. In der Medizin spricht man von einem Zeichen, das auf eine Erkrankung oder Verletzung hinweist. Es kann durch einen Arzt erfasst worden sein (Befund) oder auch vom Patienten selbst erfahren werden (Beschwerde). Die Gesamtheit der aus einem Krankheitsprozess resultierenden Symptome ergibt das klinische Bild, die Symptomatik. Symptome können in subjektive (durch den Betroffenen wahrnehmbare) und intersubjektive (von außen wahrnehmbare) Krankheitszeichen unterteilt werden. Letztere werden auch klinische Zeichen genannt (vgl. Wikipedia – die freie Enzyklopädie 2007). 2. Definition Im Lexikon der Psychologie spricht man auch von einem Verhalten, einem Gedanken oder einem Erlebnis das mehr oder anderes als nur sich selbst anzeigt. Im psychologischen Sinn werden durch Symptome unbewusste, aber nicht völlig verdrängte Wünsche und Motive angezeigt (Freud 1016/17), (vergl. Arnold & Eysenck & Meili 1971, S. 508 f). 3. Definition „Ein Symptom wir im allgemeinen Sprachgebrauch mit Anzeichen, Warnzeichen, Vorbote, Kennzeichen, Merkmal oder vorübergehender Eigentümlichkeit wiedergegeben. In psychologischer und medizinischer Sicht spricht man von Symptom, wenn es sich um abnorme Verhaltensweisen oder abnorme Organfunktionen bzw. Kennzeichen von Krankheiten handelt. So kann z. B. à Enuresis (Blasenentleerung ohne Kontrolle der Blasenschließmuskulatur) entweder ein Symptom für eine organische Blasenerkrankung sein oder bei Kinder in vielen Fällen ein Symptom für ein gestörtes MutterKind-Verhältnis (siehe auch Syndrom)“ (Ludwig Auer 1976, S. 396). 4. Definition Im Duden wird „Symptom“ (spätlat. Symptoma, griech. Symptoma) als vorübergehende Eigentümlichkeit bzw. zufallsbedingter Umstand bezeichnet und zeigt charakteristische Anzeichen einer bestimmten Krankheit und/oder eines bestimmten Krankheitsbildes auf. Als Beispiel werden die klinischen Symptome von Diphterie genannt: Die Krankheit geht mit Symptomen wie starkem Kopfschmerz und Erbrechen einher; ~ 86 ~ Symptome können auch allgemein als Anzeichen von (negativen) Entwicklungen genannt werden (vgl. Duden 1981, S. 2550). 5. Definition Symptom: Zeichen, Anzeichen, Kennzeichen. Brunner und Zeltner unterteilen in folgende Punkte: 1) Allgemein: Erscheinungen wie Verhaltensweisen und Ausdrucksvorgänge, von denen aus auf etwas anderes geschlossen werden kann, etwa auf psychische Merkmale oder Vorgänge. Und in 2) Erleben und/oder Verhalten, das in Verbindung mit einer Krankheit oder einem anormalen Zustand (Neurose, Psychose) steht. Bei mehreren Symptomen, die in charakteristischer Weise Symptombündel bilden, spricht man vom Syndrom. In der Verhaltenstherapie wird „Symptom“ häufig durch „Reaktion“ ersetzt, da das abweichende Verhalten umweltbedingt erklärt wird à sozialwissenschaftliches Modell. Lit.: Kuhlen 1974 (vgl. Ernst Reinhard Verlag 1990, S. 209) 6. Definition Das Wörterbuch der Psychologie geht vor allem auf die Lehre von den Symptomen ein, welche Symptomatologie bezeichnet wird. Diese befasst sich mit den Erlebensund Verhaltensweisen, den Leistungen oder den körperlichen Reaktionen, die auf gestörte psychische Vorgänge oder Eigenschaften hinweisen (vgl. Pahl-Rugenstein Verlag 1976) „Symptom im psychologischen Sinn ist ein Verhalten, ein Gedanke oder ein Erlebnis, das mehr oder anderes als nur sich selbst anzeigt. In der Regel werden durch S.e unbewusst, aber nicht völlig verdrängte Wünsche und Motive angezeigt. So können etwa plötzliche Angstzustände andeuten, dass der Betreffende sich in erhöhter Versuchungssituation in Bezug auf ein verbotenes Motive befindet oder dass er in der üblichen Vermeidung solcher Situationen oder in den zusätzlich notwendigen inneren Abwehrhandlungen bei solchen Situationen behindert wurde. Ein Waschzwang kann aggressive und Beschmutzungsimpulse, erhöhtes Stottern einen Machtkonflikt mit primären Bezugspersonen, eine hysterische Lähmung den (verbotenen) Wunsch, eine bestimmte Person zu berühren, anzeigen“ (Arnold, Eysenck & Meili 1972, S. 508). ~ 87 ~ 12 Folgen Definition Folge aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie „Folge steht für: Wirkung einer Handlung oder eines Geschehens, Konsequenz im logischen Sinne; Abfolge, eine Reihe von aufeinanderfolgenden Dingen oder Ereignissen; Teil einer Serie, oder Episode, in Kunst und Medien; siehe Handlung (Erzählkunst); Folge (Mathematik), eine Auflistung von endlich oder unendlich vielen fortlaufend nummerierten Objekten; einen Ortsteil der Gemeinde Leutersdorf im Landkreis Görlitz, Sachsen.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Folgen ~ 88 ~ 13 Interventionsstufen bei sexuellem Missbrauch (Braecker, Wirtz-Weinrich, 1994, S.158) 1. Verdacht A) Verdacht Vertrauensbeziehung Vertrauensbeziehung zum Kind verstärken zum Kind verstärken Verdacht erhärtet sich Verdacht erhärtet sich Persönlichen Kontakt zum Kind halten und alle Schritte absprechen 2. Soziales Umfeld prüfen Familie des Kindes Großeltern andere Verwandte ErzieherInnen Freunde und Freundinnen des Kindes Unterstützung aus dem sozialen Umfeld ist nicht oder nur eingeschränkt möglich Kontakt zum Kind halten und alle 3. informelle Kontaktaufnahme Spezielle Beratungsstellen Kinderschutzbund Jugendamt, Sozialer Dienst Unterbringungsmöglichkeiten prüfen Möglichkeiten der Strafanzeige prüfen 4 Einschalten von Institutionen Kontaktaufnahme zu Beratungsstellen Jugendamt Unter Umständen Strafanzeige Sich selber Hilfe holen Kollegen/ Kolleginnen Beratungsstellen Freunde ~ 89 ~ 14 Handlungsanleitungen aus der Praxis Umgang mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch nach „Leitlinien und Verfahren für den Hilfeplanungsprozess bei sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche“ Bei Auftreten eines Verdachtes auf sexuellen Missbrauch ist die Verunsicherung und Irritation bei der den Missbrauch vermutenden Person oft groß, so dass sie zu unbedachten Handlungsweisen oder Äußerungen neigt. Um zu einer professionellen Handlungsweise zurück zu finden, sollte zunächst die auf der letzten Seite abgedruckte „Persönliche Checkliste“ ausgefüllt werden. Sie dient der persönlichen Orientierung und stellt gleichzeitig den Beginn der Dokumentation des Falles in der Einrichtung dar. Bei Weiterbestehen des Verdachtes ist • die Leitung der Einrichtung zu informieren, • Information des Betreuungsteams. • Richtet sich der Verdacht gegen die Leitungskraft selbst, ist statt ihrer der Träger zu informieren. • Der Schutz aller Kinder bzw. Jugendlichen ist zu gewährleisten; eventuell sind erste Hilfeangebote zu prüfen bzw. zu erarbeiten. Bei Erhärtung des Verdachtes gilt: • Die Leitung bzw. der Träger der Einrichtung ist verpflichtet, unverzüglich den Leistungsträger (Jugendamt bei geleisteter Jugendhilfe, Sozialamt bei geleisteter Eingliederungs-Hilfe) zu informieren • Der Leistungsträger initiiert zeitnah eine Helferkonferenz aller beteiligten Fachkräfte • Der Träger muss der Meldepflicht eines „Besonderen Vorkommnisses“ (siehe Betriebserlaubnis „III. Sonstige Meldepflichten“) gegenüber dem Landesjugendamt nachkommen, die Beratung des Landesjugendamtes kann in Anspruch genommen werden • Die Eltern sind zu informieren, zu beteiligen • Im Einzelfall ist zu prüfen, ob Strafanzeige zu erstatten ist • Die Ermittlungen erfolgen durch Polizei und Staatsanwaltschaft • Eine Befragung von Beteiligten darf von Seiten der Einrichtung oder von ihr beauftragter Personen nur in Abstimmung mit o.g. Ermittlungsbehörde erfolgen ~ 90 ~ • Das Landesjugendamt führt keine Ermittlungen zur Strafverfolgung durch, sondern hat im Zusammenwirken mit dem Jugendamt / Sozialamt und dem Einrichtungsträger den Schutz der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sicher zu stellen. Dabei nimmt es, soweit Unklarheiten über die Gewährleistung des Kindeswohls besteht, eigene Überprüfungen vor, die mit den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden abzustimmen sind. • Das örtliche Jugendamt nimmt – ebenfalls nicht bezogen auf Strafverfolgung, sondern im Hinblick auf zukünftige Gefährdung des Kindeswohls – gegebenenfalls in Abstimmung mit den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden und der Handlungsweise des Landesjugendamtes Überprüfungen vor, wenn eine Herausnahme nach § 43 SGB VIII in Betracht kommt. Intervention nach Erhärtung des Verdachts Aufgabe des Trägers ist es, im Zusammenwirken mit dem Jugendamt / Sozialamt und dem Landesjugendamt den Schutz aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Einrichtung zu gewährleisten. Er • konfrontiert den Tatverdächtigen / die Tatverdächtige mit dem Vorwurf und suspendiert den Tatverdächtigen / die Tatverdächtige vom Dienst, wenn es sich um einen Mitarbeiter / eine Mitarbeiterin des Trägers handelt, • veranlasst evtl. in Absprache mit dem Jugendamt / Sozialamt den Umzug eines Kindes, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in eine andere Wohngruppe, einen anderen Wohnort, wenn eine wirksame Trennung von Täter bzw. Tatverdächtigen und Opfer nicht anders erreicht werden kann (z.B. wenn der sexuelle Übergriff durch einen Mitbewohner / eine Mitbewohnerin erfolgte). • Wird eine Person außerhalb der Einrichtung der Tat verdächtigt, ist in Absprache mit dem Jugendamt für eine Kontaktunterbindung zu sorgen, ggfs. muss dieses einen Beschluss des Familiengerichts erwirken. • Ereignete sich der sexuelle Missbrauch im Elternhaus, so sind im Rahmen der Hilfeplanung Festlegungen zu treffen, wie der Schutz des Kindes, des Jugendlichen oder des jungen Erwachsenen vor weiteren sexuellen Übergriffen gewährleistet werden kann. Wenn verbindliche Absprachen mit den Eltern nicht zu erreichen sind, ist es Aufgabe des Jugendamtes, in Wahrnehmung seines Wächteramtes zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen das Familiengericht einzuschalten. ~ 91 ~ Persönliche Checkliste bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach „Leitlinien und Verfahren für den Hilfeplanungsprozess bei sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche“ Diese Checkliste dient dazu, die erste Wahrnehmung und persönliche Reflexion schriftlich festzuhalten. Sie hilft, die bei diesem Thema üblicherweise stattfindenden Verdrängungsprozesse und Verunsicherungen in der Wahrnehmung soweit als möglich zu verhindern. Zudem dient sie der fachlichen Absicherung im Weiteren Verlauf des Hilfeprozesses. Sofern sie personenbezogene Daten aufweist, ist sie sicher aufzubewahren. • Persönliche Daten des betroffenen Mädchens oder Jungen (Name, Alter...),Name der verdächtigten Personen, soziales Umfeld. • Wer hat mir welche Beobachtungen (z. B. körperliche Symptome, verändertes Verhalten, Kind hat sich mit welchen Worten und in welchem Zusammenhang geäußert) wann und wie mitgeteilt (z. B. schriftlich, persönlich, anonym, über Dritte gehört)? • Was lösen diese Beobachtungen bei mir aus? • Mit wem habe ich meine Beobachtungen und Gefühle ausgetauscht? Hat sich dadurch etwas für mich verändert? Wenn ja, was? • Welche anderen Erklärungsmöglichkeiten für das Verhalten des Kindes sind noch möglich? • Was ist meine Vermutung oder Hypothese, wie sich das Kind weiterentwickelt, wenn alles so bleibt, wie es ist? • Welche Veränderungen wünsche ich mir für das Kind? • Wer im Umfeld des Kindes ist mir als unterstützend genannt worden oder aufgefallen? • Was ist mein nächster Schritt? Wann will ich wie weitergehen? (z. B. Einbringen ins Team, Fachberatung, Einbeziehen des ASD, Hilfekonferenz) Aus:„Leitlinien und Verfahren für den Hilfeplanungsprozess bei sexuellem Missbrauch gegen Kinder und Jugendliche“, erarbeitet 1998 vom Jugendamt der Stadt Stuttgart. . Haltung und konkrete Handlungsschritte nach ~ 92 ~ HANDLUNG SPIEL & RÄUME, Erstellt vom Verein SELBSTLAUT im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur Ruhe bewahren Suchen sie sich Verbündete, Menschen, denen sie vertrauen (z.B.: KollegInnen, DirektorInnen, FreundInnen, PartnerInnen,...); Personen, die Ihnen glauben und Sie ernst nehmen, vielleicht sogar den Verdacht teilen. Es tut gut und gibt Sicherheit, die eigene Vermutung mitzuteilen und das „Sorgenpaket“ nicht mehr alleine tragen zu müssen. Erkundigen Sie sich, ob und wem Sie meldepflichtig sind. Generell gilt nur für die Polizei Anzeigepflicht. Im nächsten Schritt holen Sie sich professionelle Hilfe in Beratungsstellen (siehe Kapitel Links und Literatur). Diese können Ihnen helfen, zu mehr Klarheit zu gelangen und die eigenen Möglichkeiten kennenzulernen. Es wird dabei geholfen, die eigene, dem Beruf zugeordnete Rolle wieder zu finden. Es ist wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass man die Vertrauensperson des Kindes, der/des Jugendlichen sein kann, aber nicht Kriminalbeamtin/er, nicht DetektivIn, nicht Mutter/Vater, nicht TherapeutIn, sondern Pädagogin oder Pädagoge. Bleiben Sie bei dem Kind. Festigen und stärken Sie die Beziehung zwischen Ihnen und dem Kind. Es ist erstaunlich, wie schnell in Gesprächen und Beratungen über anderes wie z.B. den Täter/die Täterin oder die Meldung beim Jugendamt etc. gesprochen wird und das Mädchen/der Bub immer mehr aus dem Blickfeld gerät. Vertrauen aufbauen – wie mache ich das? Was ist für ein Vertrauen wichtig? Zeigen Sie dem Mädchen/dem Buben, dass Sie es ehrlich mit ihr/ihm meinen, dass Sie ihr/ihm nichts vorspielen. Dazu gehört auch Echtheit und Authentizität: Zeigen Sie, wie es Ihnen wirklich geht; auch, wenn Sie betroffen, traurig oder wütend sind, bringen Sie es kindgemäß (dem Alter entsprechend) zum Ausdruck. Nehmen sie das Kind unbedingt ernst. Auch, wenn Sie vielleicht nicht alles glauben können – der Kern der Sache stimmt. Bestätigen Sie dem Kind seine Wahrnehmungen. Das ist wichtig, weil diese oft von TäterInnen vernebelt werden. TäterInnen verwirren Kinder, in dem sie ihre Handlungen zum Beispiel als ganz „normal“ darstellen Sagen Sie dem Mädchen/dem Buben, dass ihr/sein Gefühl richtig ist, und nicht das, was ihr/ihm eingeredet wurde. Wenn sich etwas komisch, eklig oder unangenehm angefühlt hat, so war es das auch. ~ 93 ~ Versuchen Sie möglichst behutsam mit Erzähltem und Gezeigtem umzugehen; das Timing bestimmt immer das Kind. „Einfach“ da sein, zuhören, gemeinsam etwas tun und im Moment nicht nach Lösungen suchen, ist oft über lange Zeit das Richtigste und Wichtigste für das betroffene Mädchen/den betroffenen Buben. Kinder (auch Erwachsene) brauchen Zeit, Mitgeteiltes zu verarbeiten. Machen Sie keine vorschnellen Versprechungen (z.B. absolute Geheimhaltung, sofortige Beendigung des Missbrauchs...), die können häufig nicht gehalten werden und es kann zu einem Vertrauensbruch kommen. Loben Sie das Kind für ihren/seinen Mut. Geben Sie dem Kind die Information, dass es vielen Kindern ähnlich geht und dass kein Erwachsener oder Jugendlicher Übergriffe setzen darf, und die Verantwortung für jede Art von Grenzverletzung ausschließlich beim Täter/bei der Täterin liegt. Konfrontieren Sie nicht vorschnell Eltern oder andere Bezugspersonen des Kindes mit Ihrem Verdacht, insbesondere wenn ein möglicher Täter im engeren Umfeld des Kindes zu vermuten ist oder die Reaktionen der Bezugspersonen auf den Verdacht nicht abzuschätzen sind. Besprechen Sie alle weiteren Schritte mit dem Kind. Erklären Sie, dass Sie Hilfe beiziehen müssen, weil Sie ihr/ihm alleine nicht so gut helfen können, oder, dass das auch für Sie ein so schwieriges Problem ist, dass auch Sie Hilfe brauchen. Verfassen Sie Gedächtnisprotokolle über Aussagen und Verhaltensweisen des Kindes und dessen Umfeld. Damit halten Sie fest, was Ihnen aufgefallen ist, was Sie mit dem Kind bereits besprochen haben und wann was war. Es ist später oft sehr schwer, die Ereignisse und Beobachtungen zu rekonstruieren und zeitlich zu ordnen. (Eine Vorlage für ein solches Gedächtnisprotokoll finden Sie auch auf der Website des Unterrichtsministeriums unter www.schulpsychologie.at in dem Dokument „Sexueller Missbrauch. Rechtliche Situation“) Normalität – Alltag leben. Sehen Sie nicht nur das „arme Opfer“ im Kind. Es ist auch ein ganz „normales“ Mädchen/ein ganz „normaler“ Bub, die/der Fehler bei Schulaufgaben macht, aggressiv zu anderen Kindern sein kann, sich an Regeln halten soll usw. – und genauso wie alle anderen behandelt werden will. Geben Sie dem betreffenden Kind keine Sonderstellung, indem Sie es schonen oder nicht adäquat auf unangemessenes Verhalten reagieren. Genau das hilft dem Kind nicht. Der Schulalltag ist möglicherweise der einzige Halt für das Mädchen/den Buben. „Normalität“ und Strukturen (Stundenpläne, Klassenregeln, Aufgaben, Tests) geben Halt und Sicherheit. Das Mäd- ~ 94 ~ chen/der Bub nimmt wahr, es gibt auch noch etwas anderes als diese „ver-rückte“ Welt in der sie/er sonst lebt. Dies führt zu einem Stück Stabilität. Vieles besprechbar machen: Gefühle, auch kleine Probleme, Konflikte, Kritik, Erlebnisse (schöne oder schwierige) – es ist alles wichtig, du (das Kind) bist wichtig und wirst als Gesamtperson wahrgenommen (nicht nur dein Körper). Das ist die Botschaft, die Sie damit vermitteln. Sie als PädagogIn sind dabei ein wichtiges Vorbild. Sprechen Sie über eigene Gefühle, gestehen Sie auch einmal einen Fehler ein oder entschuldigen Sie sich dafür. Reden Sie auch über „schwierige“ Themen. So wird es auch dem Mädchen/dem Buben möglich werden, über ihre/seine Erlebnisse zu erzählen. Aus: HANDLUNG SPIEL & RÄUME Erstellt vom Verein SELBSTLAUT im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur ~ 95 ~ 15 Was erleben HelferInnen in den einzelnen Interventionsstufen (Braecker, Wirtz-Weinrich 1994, S.159) Gegenüber dem Kind Im Handlungsfeld Wenn sie sich Hilfe holen 1. Verdacht A) Verdacht Vertrauensbeziehung zum Kind verstärken Angst, Unglauben, Wut Verdacht erhärtet sich AusAber: nur das Kind kann kunft geben Angst vor Vereinnahmung, aber das Kind nicht im Stich lassen wollen Unsicherheit Zweifel Bedürfnis nach Ruhe Unterstützung 2. Soziales Umfeld prüfen Ziel: primäres Sozialisationsfeld erhalten Angst Wut, Unsicherheit, Sprachlosigkeit, Zweifel, Ablehnung Anerkennung Mut Kompetenz Helfen wollen Eigene Grenzen beim Versuch zu helfen Verantwortungsdruck Gefühle Kontaktbeim zum Kind: Kind halten Schuld, und alleScham, Angst, Trauer, Wut, Hoffnung Erleichterung Sicherheit 3. informelle Kontaktaufnahme Ziel: Absicherung der Interventionsmaßnahme Angst, Zwang der Rechtfertigung Inkompetenz, Konkurrenz Handlungsunfähigkeit Handlungsdruck 4.Einschalten von Institutionen Angst vor Verantwortung Inkompetenz, Konkurrenz Angst vor Verleumdungsklage Zweifel, Hilflosigkeit, Wut Ohnmacht Unzufriedenheit mit endgültiger Lösung ~ 96 ~ Eidesstattliche Erklärung „Ich versichere, dass ich beiliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Diese Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen.“ Potsdam, den