MITTELBADISCHE PRESSE www.bo.de Donnerstag, 26. September 2013 ORTENAU-REPORTAGE M ontagmittag, kühler Nieselregen – nicht unbedingt das beste Wanderwetter. Noch überlegt Jochen Basler von der Winzergenossenschaft Zell-Weierbach, ob er mit den Studierenden bei diesem Wetter überhaupt loslegen soll, hinauf in die Weinberge. Vielleicht doch im Haus bleiben und dabei die Weine probieren? Ein Kollege, der gerade Kunden bedient, bevorzugt die überdachte Lösung: »Das kann matschig werden in den Reben!« Franz Roser vom Senior-Service Offenburg zerstreut die Bedenken resolut: »Ach was! Das bisschen Regen. Klar gehen wir da rauf!« J ust klärt sich der trübe Himmel, als die ausländischen Studierenden im großen Pulk in Zell-Weierbach eintreffen. Mit den Offenburger Senioren wächst die Gruppe schnell auf mehr als 90 Leute an. Die Exkursion durch die Reben gehört schon fest zum Repertoire des Senior-Service. Weinwanderungen sind in der Ortenau ja eigentlich nichts Besonderes. Studierende aus allen Ecken der Welt verleihen diesem Ausflug jedoch globalen Charakter. Die Idee hinter dem feuchtfröhlichen Marsch: Ältere Ortsansässige mit Studenten aus Brasilien, Mexiko, Russland und China – alle Anfang bis Mitte 20 – zusammenzubringen. Die Jungen bringen Abwechslung in den Alltag der Senioren. Auf der anderen Seite baut das Miteinander etwaige Berührungsängste der Studierenden ab – und ermöglicht einen unbefangenen Blick auf die Welt außerhalb der Hochschule. Der 70-jährige Erich Wagener ist quasi schon Experte im Weinwandern: »Ich freue mich jedes Mal auf neue Gesichter.« Der große Altersabstand störe ihn keineswegs. »Manche könnten ja meine Enkel sein.« Der Kommunikation Lebensart Hier prallen Kulturen aufeinander, um die Ortenauer Lebensart kennenzulernen: Der sogenannte »Clash of Cultures« in Offenburg ist etwas Besonderes – hier zeigen Senioren Studierenden aus aller Welt »ihre« Ortenau. Von N i kol as S oh n (T ext) förderlich sei der Konsum diverser lokaler Weinsorten: Der Rebensaft bringt die Befindlichkeiten auf ein gemeinsames Niveau und beschleunigt die Kontaktaufnahme. Jochen Basler fragt in die Runde, ob es in Ordnung sei, wenn er Englisch spricht. Die meisten bejahen, doch viele der angehenden Akademiker können erstaunlich gut Deutsch. Kein Wunder: Jetzt in den Semesterferien besuchen die meisten von ihnen Sprachkurse an der Hochschule Offenburg. Manche sind schon zum wiederholten Mal in Deutschland. So wie Fernando Fonseca: Der aus Mexiko stammende Student will Wirtschaftsingenieur werden. Zeitweise hat er in Hamburg studiert. »Die Weinberge und die Gegend hier, das hat schon was«, sagt er in astreinem Hochdeutsch. » und S t eph a n H u n d (F otos) nischen Studenten. Spanisch kann die Offenburgerin deshalb so gut, weil sie lange Jahre als Deutschlehrerin in Peru tätig war. »Ich hoffe, ich kann hier noch von Nutzen sein«, schmunzelt die 77-Jährige. Kann sie auf jeden Fall, wie sich herausstellt: Bei der zweistündigen Tour durch die Rebhänge ist sie stets in Unterhaltungen vertieft – mal auf Deutsch, mal auf Englisch, mal auf Spanisch. Weißwein parat. Baslers Mitarbeiter kommen mit dem Nachschenken kaum nach. Überall werden den Helfern leere Weingläser entgegengehalten. Die Stimmung geht merklich nach oben. J ochen Basler klärt auf Englisch über Bouquet und andere Eigenschaften der edlen Tropfen auf: »Das ist oft auch abhängig von der Nasenlänge.« Der Winzerchef mimt den Weintester und hält sein Glas unter die Nase. »Auf jeden Fall den Rotwein nicht zu stark schwenken, sonst gibt es schnell Flecken auf dem Hemd.« Dabei macht er mehrere rotierende Bewegungen mit dem Weinglas. Das kommt gut an: Lautes Gelächter bei den Umstehenden. Ein paar hundert Meter weiter geht Jochen Basler ein Stück weit in die Reben hinein, zeigt auf den aufgewühlten Untergrund: »Das waren Wildschweine.« Die Spuren sieht man nur an bestimmten Stellen. Nämlich da, wo Gewürztraminer angebaut wird. Die Schweine lassen alle anderen Sorten links liegen, nur diese hier nicht. »Die wissen halt, was gut ist.« Zum Tra- Das waren Wildschweine – die wissen, was gut ist! L et’s go, gibt Basler das Startsignal. Die Menschentraube setzt sich nach Genuss des ersten Glases Rotwein gemütlich in Bewegung. Die erste Kontaktaufnahme lässt nicht lang auf sich warten: Roswitha Scheid unterhält sich angeregt mit einem mexika- « Steil geht es jetzt nach oben. Die Senioren halten erstaunlich gut mit. Einige Junge schnaufen dagegen hörbar. Ein Auto, bis unters Dach beladen mit weißem und rotem Burgunder, Viognier und Gewürztraminer aus eigener Herstellung, fährt den Wanderern immer ein Stück weit voraus. Dann auf einer Anhöhe die erste Rast – mit bester Aussicht bis zum Straßburger Münster. Die Winzergenossen halten frisches Brot und miner empfiehlt Basler Käse. »Was heißt Blauschimmel auf Englisch?« Ad hoc will ihm der Begriff nicht einfallen. »Blue cheese«, ruft ein französischer Student. Schulterzucken bei den Deutschen: Ach so ... Das war ja einfach. E stefania Mendez kommt ebenfalls aus Mexiko. Berufswunsch der 21-Jährigen: Mechatronikerin. Erste Erfahrungen mit dem hiesigen Rebensaft hat sie beim Ortenauer Weinfest in Offenburg gemacht. Gute, wie der Unterhaltung zu entnehmen ist. »Wir haben viel gefeiert, sind mit den Einheimischen ins Gespräch gekommen«, sagt sie halb auf Englisch halb auf Deutsch. »So etwas gibt es bei uns überhaupt nicht.« Die Weinwanderung sieht sie als eine Art Fortsetzung der Festivitäten. »Wir sind sehr herzlich empfangen worden. Das macht den Aufenthalt hier viel leichter.« Wie viele andere der wanderfreudigen Studenten bleibt sie für etwa ein Jahr in Deutschland. Mit dem Abstieg in Richtung Offenburg nähert sich die Stimmung der Gruppe dem Höhepunkt. Wer sonst wenig Alkohol trinkt, kämpft mit sich – aber die Senioren behalten ihre Schäfchen im Blick. Und auch die Studierenden passen aufeinander auf. Estefania hat plötzlich Äpfel in der Hand. Wo sie die her hat? »Von einem der Bäume hier«, verrät sie lachend, beißt in einen rein. »Hhmm, süß!« Nicht nur die Trauben hier seien einfach großartig. ◼ Wegen des Tags der Deutschen Einheit am kommenden Donnerstag erscheint die nächste Ortenau-Reportage am 10. Oktober. Sie dreht sich um einen ganz besonderen Brotesser. Eine Bildergalerie zu diesem Thema finden Sie unter : w w w.b o.d e | Webcode: 315A5 Ab in den Weinberg! Die Offenburger Senioren zeigen den Studierenden aus dem Ausland die Reize der Ortenau (Bilder, von links). Und zur hiesigen Lebensart gehört der Wein dazu. Das hielt der ein oder andere gleich im Bild fest.