SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Die Staufer Porträt einer mittelalterlichen Dynastie Autor: Matthias Hennies Redaktion: Udo Zindel Regie: Udo Zindel Sendung: Freitag, 10. September 2010, 8.30 Uhr, SWR2 ___________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Man ahnt das Land jenseits des Flusses nur, doch an klaren Tagen geht der Blick weit nach Osten. 1 Hier oben, am höchsten Punkt des Städtchens Bad Wimpfen, ließen staufische Herrscher eine große Pfalz errichten, mit mächtigen Türmen und einem repräsentativen Palast – eine sichere Wohnstätte im konfliktreichen Hochmittelalter: Zur Zeit der Staufer wollten die Päpste die Kaiser zu ihren Untertanen machen, Städte erkämpften ihre Freiheit, die Kaiser gewannen Reichtümer in Italien und verloren sie wieder. Es war eine Zeit des Aufbruchs und des Wandels. Ansage: Die Staufer – Portrait einer mittelalterlichen Dynastie. Eine Sendung von Matthias Hennies. O-Ton – Rudolf Fischer: Als Barbarossa hier war, da sah er nur diese hohe, vorspringende Bergnase, strategisch hervorragend gelegen, das ganze Neckartal überschaubar, und gleichzeitig ging hier diese bedeutende Handelsstraße vorbei, also an diesem Punkt hat er dann den Auftrag gegeben, eine solche Pfalz zu errichten. Autor: Um das Jahr 1200 wurde mit dem Bau begonnen, erzählt Rudolf Fischer vom Geschichtsverein Bad Wimpfen. Heute wirbt der Ort, auf halber Strecke zwischen Heidelberg und Stuttgart gelegen, mit der guterhaltenen Pfalz um Touristen: Die alte Wehrmauer zieht sich noch beinahe lückenlos um den Felssporn. Vom „Hohenstaufentor“ führen kopfsteingepflasterte Gassen zwischen neueren Gebäuden hindurch zum „Steinhaus“, den Gemächern der Königin, und dem gewaltigen, viereckigen Bergfried. O-Ton – Rudolf Fischer: Der Blaue Turm ist der westliche Eckpfeiler der Pfalz und gleichzeitig unser Wahrzeichen hier in Wimpfen. Jeder Wimpfener ist stolz, wenn er zurückkommt in seine Stadt und sieht die Turmspitze vom Blauen Turm, dann fühlt man sich zuhause – Autor: … denn der kantige, fast 60 Meter hohe Wehrturm mit dem später ergänzten, blau schimmernden Schieferdach, ragt unübersehbar über die Häuser hinaus. Vom Palast allerdings, in dem staufische Könige residierten, ist nicht viel geblieben. Atmo: Schritte auf Holztreppe O-Ton – Rudolf Fischer: Wand an Wand mit der Pfalzkapelle stand hier der große Palas. Der Palas ging bis in die Mitte der Straße und der wurde abgerissen, weil man einfach die Steine gebraucht hat, um Häuser zu bauen, haben also die Wimpfer praktisch als Steinbruch benutzt. Und die Hinterfront von diesem Palas, das war jetzt diese schöne Arkadenreihe. Autor: Eine Reihe romanischer Rundbögen steht noch da, auf Doppelsäulen aus gelblichem Sandstein gestützt, typisch für die Repräsentationsbauten der Staufer. Ursprünglich waren sie Herzöge von Schwaben gewesen. Auf dem Hohenstaufen, einem Bergkegel in der Nähe von Göppingen, lag ihre Stammburg, danach wird ihr Adelsgeschlecht „Hohenstaufen“ oder „Staufer“ genannt. Sie bauten ihre Macht aus, indem sie Land an Rhein, Main und Neckar erwarben: das Elsass und Baden, die Pfalz mit ihren zahllosen Burgen – auf dem Trifels wurden lange Zeit die staufischen Reichkleinodien deponiert – 2 Südhessen mit der Königsstadt Frankfurt und Franken mit dem wohlhabenden Nürnberg. Später, als Friedrich Barbarossa König geworden war, schrieb der Abt Otto von Freising: In dieser Region liege ... Zitator: … die größte Kraft des Reiches. Dieses Gebiet nämlich ist reich an Getreide und Wein und bietet eine Fülle von jagdbarem Wild und Fischen. Dort können daher die Herrscher, wenn sie sich im Gebiet nördlich der Alpen aufhalten, am längsten versorgt werden. Autor: Pfalzen wie die staufischen Neubauten in Wimpfen und in Gelnhausen bei Frankfurt oder die neu befestigte Anlage in Ingelheim am Rhein sind charakteristisch für das politische System des deutschen Mittelalters. Der König brauchte überall im Land Residenzen, die Burg und Palast zugleich waren, die feste Mauern und repräsentative Thronsäle hatten, denn er musste mit seinem Hofstaat überallhin reisen: nach Sachsen und Bayern, nach Böhmen und Schwaben. Bernd Schneidmüller, Historiker an der Universität Heidelberg, erklärt warum: O-Ton – Bernd Schneidmüller: Dort, wo er nicht ist, wird er vergessen. Deshalb ist Präsenz, persönliche Kommunikation unglaublich wichtig. Autor: Nicht das Amt war im Mittelalter entscheidend, sondern die Person, die es bekleidete. Darum musste sich der König persönlich zeigen und vor Ort die Fürsten empfangen, die die Herzogtümer und Grafschaften seines Reiches regierten. Er residierte nicht in einer zentralen Hauptstadt wie die Könige der Nachbarländer England, Frankreich oder Ungarn, weil das Reich keine Erbmonarchie war. Deutsche Fürsten und Bischöfe wählten den König aus den Reihen der führenden Adelsgeschlechter. Und jedes Geschlecht war in einer anderen Region verankert: Die Welfen in Sachsen, die Babenberger in Oberösterreich, die Wittelsbacher in Bayern. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Dadurch dass immer wieder andere Geschlechter gewählt werden, verschieben sich die Schwerpunkte in der deutschen Geschichte, man kann sagen, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Autor: Welches Geschlecht sich in der Königswahl durchsetzte, hing vom persönlichen Einfluss und der Aussicht auf Land- oder Macht-Gewinn ab, die der Kandidat seinen Wählern bot. Die Schattenseite des Verfahrens: Wer sich übergangen fühlte, warf dem Sieger oft den Fehdehandschuh hin. 1138 wurde Konrad III. zum ersten staufischen König gewählt, denn sein Geschlecht hatte sich zu einem mächtigen Mitspieler in der Reichspolitik entwickelt. Er musste dann aber mehrfach gegen die Welfen zu Felde ziehen, deren Ansprüche nicht erfüllt worden waren. Erst sein Nachfolger Friedrich Barbarossa, 1152 zum König und 1155 zum Kaiser gekrönt, besiegte den welfischen Herzog Heinrich den Löwen entscheidend – aber der Streit ruhte nur für zwei Generationen. O-Ton – Bernd Schneidmüller: 3 Das Mit- und das Gegeneinander von Königen, Fürsten und Adel ist eigentlich typisch für das Mittelalter, für alle europäischen Reiche. Aber im deutschen Reich haben wir eine ganz besondere Entwicklung, weil hier die Fürsten seit dem 12.Jahrhundert den Anspruch erheben, „Häupter des Staates“ zu sein. So nennen sie das selbst. Sie können das Reich mit und notfalls auch gegen den König repräsentieren. Autor: Der König musste seine Macht absichern, indem er seinen Parteigängern Land verlieh, ein Lehen, das sie eigenständig regieren konnten. Da die Lehen aber im Lauf der Zeit erblich wurden und nach dem Tod eines Fürsten nicht mehr an die Krone zurückfielen, blieb den Königen immer weniger Land, das sie als Gunstbeweis verteilen konnten. Sie büßten Handlungsfreiheit ein und mussten sich immer öfter gütlich mit den regionalen Herrschern einigen. Diese Schwäche der Zentralgewalt haben Historiker lange als politischen Mangel angesehen. Aber der Mittelalter-Experte Schneidmüller bewertet das konsens-orientierte Regierungssystem als Stärke: O-Ton – Bernd Schneidmüller: Wir schauen heute viel eher auf die Mechanismen des Aushandelns, des miteinander Auskommens, des Nachgebens, des sich manchmal Unterwerfens – auch Barbarossa muss das manchmal tun vor seinen Fürsten und das macht ihn letztlich dann doch zu einem erfolgreichen Kaiser. Diese Umwertung dieses alten obrigskeitsbetonten Herrschaftssystems zugunsten eines konsensgestützten lässt uns das Hohe Mittelalter, also die Stauferzeit, heute in einem ganz neuen Licht sehen und zeigt, wie wichtig und wie vielfältig, auch kulturell vielfältig, ein solches plurales Gebilde sein kann. Autor: Der Einfluss der Regionen des Reiches spiegelt sich bis heute im deutschen Föderalismus. Übrigens sahen mittelalterlichen Könige ihr Herrschaftsgebiet als „Römisches Reich“ an – obwohl seine Basis eindeutig auf deutschem Boden lag. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Der Nationalstaat war im Mittelalter überhaupt kein Handlungsprinzip. Autor: Die Könige kannten keine „Nation“, sondern orientierten sich an historischen Traditionen. Darum betrachteten sie nicht Deutschland als ihr Land, sondern das Territorium des antiken römischen Reiches. Friedrich Barbarossa zog 1158 erstmals mit einem Heer über die Alpen nach Oberitalien, in die Lombardei, um die aufsässigen reichen Handelsstädte um Mailand zu unterwerfen. Sein Nachfolger Heinrich VI. eroberte 1194 das Reich der Normannen in Sizilien und Unteritalien. Der wohl berühmteste Stauferkaiser, Friedrich II., selbst auf Sizilien geboren, kämpfte später erneut gegen den Lombardischen Städtebund. Die Staufer mussten die Herrschaft in Italien beanspruchen, weil es das Kerngebiet des Imperium Romanum war, das sie wiedererrichten wollten. Wer Herr dieses Reiches war, konnte die höchste weltliche Stellung erreichen: Er konnte sich in Rom zum Kaiser krönen lassen. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Das Römische Reich bot heilsgeschichtlich und politisch die Grundlage für gesteigerte Königsherrschaft. Und darauf kommt es an: Auf die Ehre des Reiches, auf die Steigerung des Prestiges, auf die Steigerung der Monarchie. Und mit diesem Recht, Kaiser der 4 Römer zu sein, stehen die deutschen Könige allen anderen europäischen Königen einfach voran. Das war der Charme des Römischen Kaisertums. Autor: Friedrich Barbarossa ergänzte den Namen dann zum „Heiligen Römischen Reich“ – als Gegenpol zur „Heiligen Römischen Kirche“, die der Papst deklariert hatte, um seinen Vorrang vor dem Kaiser zu betonen. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Gegen dieses Modell der Heiligen Römischen Kirche setzt Barbarossa sein Gegenmodell eines geheiligten Reichs, um gleichsam auf gleicher Augenhöhe mit dem Papst verkehren zu können und die Gleichrangigkeit des Imperiums neben der Kirche zu betonen. Autor: Der Konflikt zwischen Papst und Kaiser erreichte in der Stauferzeit einen Höhepunkt. Seit dem 10. Jahrhundert hatten sich die Päpste Schritt für Schritt emanzipiert. Sie forderten zuerst Gleichstellung und dann Vorrang vor den weltlichen Herrschern, gestützt auf das Bibelwort: Zitator: Alles was Du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein und alles was Du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein. Autor: Mit diesen Worten habe Jesus den Apostel Petrus aus allen anderen herausgehoben, heißt es im Neuen Testament. Und die Päpste sahen sich als Nachfolger Petri. Stand ihnen damit nicht dieselbe Bindegewalt zu, im Geistlichen wie im Weltlichen? Doch die staufischen Kaiser wehrten sich gegen diesen allumfassenden Führungsanspruch: O-Ton – Bernd Schneidmüller: Sie akzeptieren ihn nur als geistlichen Führer, aber sie gehorchen ihm nicht in weltlichen Dingen. Dieses duale Prinzip ist eigentlich charakteristisch für die Staufer-Zeit. Die Staufer sind die letzten Kaiser, die noch einmal politisch wirksam diese Kaiser-Idee weiterentwickeln und behaupten können. Autor: Sie hielten daran fest, dass der Kaiser dem Papst gleichrangig sei. Die erbitterten, oft blutigen Auseinandersetzungen darüber verstärkten die anderen Konflikte noch, die in der komplizierten Struktur des Reiches angelegt waren. Als Barbarossas Nachfolger Heinrich VI. 1197 starb und der Streit um die Herrschaft zwischen Staufern und Welfen erneut aufflammte, stellte sich Papst Innozenz III. erst auf welfische, dann auf staufische Seite. Mit seiner Hilfe wurde Friedrich II. 1212 zum König und 1220 zum Kaiser gekrönt. Doch Innozenz starb, sein Nachfolger segnete rasch das Zeitliche und unter dessen Nachfolger eskalierte der Machtkampf: Zweimal exkommunizierte Papst Gregor IX. Kaiser Friedrich II., dann denunzierte er ihn als Häretiker, ja, als Antichrist und schließlich erklärte er ihn für abgesetzt – allerdings vergeblich. Wenn es um „die Sache Gottes“ ging, wenn der Papst zum Kreuzzug aufrief, verstummten alle Streitigkeiten. Vertreter des Heiligen Stuhls reisten durch die Länder und mobilisierten 5 die gesamte Bevölkerung. Als der mächtige Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux im Dom zu Mainz predigte, kamen nicht nur die Edelherren, vor allem strömte das Volk. Atmo: Im Dommuseum in Mainz O-Ton – Winfried Wilhelmy: Bernhard galt als einer der begnadetsten Prediger des 12. Jahrhunderts und natürlich hat er sich an die Elite gerichtet, denn er brauchte ja Kämpfer. Aber trotzdem sind natürlich auch die einfachen Massen zu ihm geströmt, um eben letztlich dann seine Predigt zu hören – Autor: … und sie ließen sich nur allzu leicht überreden, ins Heilige Land zu ziehen, berichtet Winfried Wilhelmy vom Dommuseum in Mainz. Auch die Könige stellten während der Kreuzzüge alle anderen Sorgen hintan, den Streit mit den Welfen, das Bemühen um die Kaiserkrone, die Zwistigkeiten in Italien, erzählt Bernd Schneidmüller: O-Ton – Bernd Schneidmüller: Die Entscheidung für den Kreuzzug entzieht sich eigentlich moderner Rationalität. Trotzdem verbinden sich häufig politische Kalküle mit der individuellen Frömmigkeitsleistung, bei den Staufern ist festzustellen, dass eigentlich jeder Staufer von der Idee des Kreuzzuges durchdrungen war, der erste Stauferkönig, Barbarossa, Heinrich VI., Friedrich II. zieht auf Kreuzzug. Autor: Erfolgreich war nur Friedrich II. Als einziger Kaiser des Mittelalters zog er tatsächlich in Jerusalem ein. 1229 öffnete er die Stadt durch einen Waffenstillstand mit den Muslimen wieder für christliche Pilger. Trotz der grundlegenden Einigkeit im Glauben war das Wie, der Weg zu Gott, umstritten. Im Hohen Mittelalter wurden gewichtige Zweifel laut: an der Amtskirche, den gutgenährten Benediktinern und Zisterziensern, der wohletablierten Frömmigkeit der Pröpste und Prälaten. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Das ist eine Aufbruchsstimmung, die am Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts ganz Europa erfüllt. Wenn man so will, auch eine radikale Aufbruchsstimmung, weil jetzt plötzlich die Idee aufkommt, dass man „nackt dem nackten Christus folgt“. Autor: Der Kirche gelang es, einen Teil der Rebellion in neuen Bettelorden wie den Franziskanern zu kanalisieren und noch einmal in ihr geistliches Imperium zu integrieren. Gruppen wie die Katharer in Südfrankreich oder die Waldenser in Böhmen hingegen wurden als Ketzer verleumdet und brutal vernichtet. Die Aufbruchstimmung schlug sich auch in der sakralen Kunst nieder. Altarbilder und Skulpturen in den Kirchen dienten eigentlich dazu, der breiten Bevölkerung auf leicht verständliche Weise die offizielle kirchliche Lehre zu vermitteln. Dennoch spiegelte sich auch darin der Wandel, der in der Stauferzeit große Teile der Gesellschaft erfasste. Man erkennt es an dem aufwändigen, mit großen Figuren geschmückten Lettner, der ehemaligen Trennwand aus dem Westchor des Mainzer Doms. Die filigranen, grauen 6 Steinskulpturen entstanden um 1240 und sind heute in der „Staufischen Halle“ des Mainzer Dommuseums ausgestellt. Die Szene zeigt ein Weltgericht mit dem thronenden Christus in der Mitte und zwei Figurengruppen daneben: Links begeben sich die Seligen gemessenen Schritts ins Paradies, rechts wendet sich ein mitleiderregendes Häuflein flehend dem Betrachter zu: Die Verdammten, die an einer Kette in den Höllenrachen gezogen werden, erläutert der Kunsthistoriker Winfried Wilhelmy. O-Ton – Winfried Wilhelmy: An vorderster Front ein Mann mit einer Mütze, in der verlorenen Hand trug er einstmals einen Geldsack, also ein Geiziger. Geiz ist ja eine der sieben Todsünden. Dahinter ein Jude, an der typischen Kopfbedeckung, der Mütze mit dem Bommel erkennbar, der natürlich per se für die Hölle bestimmt war. Rechts neben dem Geizigen sehen wir eine Frau, die nach neuestem Pariser Chic gekleidet ist, sie hat eine sogenannte Schappel auf, also eine Stirnbinde, die ganz fein gekräuselt ist, eine Kinnbinde, zarte Seide ist da vermutlich gemeint, und das ist ganz klar, dass sich diese Frau der Luxuria, der Eitelkeit schuldig gemacht hat, ebenfalls eine Todsünde, damit ab nach rechts, in die Hölle. Autor: Die Botschaft entsprach ganz der etablierten Lehre. Neu war aber die Darstellung: Der verängstigte Widerstand der Verdammten, ihre verstörten Gesichter, ihre Mitleid heischende Gestik sind so lebensnah und detailreich dargestellt, wie man es in Deutschland zuvor nie gesehen hatte. An der Christusfigur in der Mitte zwischen Seligen und Verdammten erkennt man ebenfalls ein sprechendes Detail, das es vor dem 13. Jahrhundert nicht gab. Die gotische Gestaltung, die mit lebhaften, lebensnahen Figuren die abweisende Strenge der romanischen Kunst ablöste. Diesen Wandel führt Winfried Wilhelmy auf eine weit verbreitete Stimmung in der Bevölkerung zurück: O-Ton – Winfried Wilhelmy: Das Zeitende ist nah, es wurde um 1200 erwartet, es wurde um 1260 erwartet, der Antichrist war da. Autor: Das bevorstehende Weltende machte den Menschen Angst. Oder war es das Fegefeuer, die schmerzhafte Läuterung vor dem Jüngsten Gericht, wie Bernd Schneidmüller meint? Auf jeden Fall musste man Gott und die Heiligen um Barmherzigkeit bitten. Dieses Bedürfnis schlug sich in der Kunst nieder: In dieser Phase entwickelte sich auch eine „finanzielle Form der Frömmigkeit“, wie Schneidmüller es nennt: Man hoffte, sich mit Geld von Sünden freikaufen zu können. Dieser Ablasshandel und der große Zulauf zu den Bettelorden deuten bereits auf die Krise der Kirche hin, die drei Jahrhunderte später in den radikalen Umbruch der Reformation mündete. Doch noch war die Kirche nicht in der Defensive. Als im 11. Jahrhundert, schon vor staufischer Zeit, ein geistiger Wandel einsetzte, als sich die traditionelle Gelehrsamkeit zur Wissenschaft zu entwickeln begann, übenahmen Mönche, Äbte, ja der Papst selbst die Führung. Denker wie Anselm von Canterbury oder Abaelard beriefen sich erstmals seit der Antike wieder auf die menschliche Vernunft, wenn zwischen verschiedenen Ansichten zu entscheiden war. Sie führten nicht mehr anerkannte Autoritäten und etablierte 7 Lehrmeinungen an, sondern begannen zu argumentieren. Anselm versuchte, die Theologie auf Vernunftgründe zu bauen, erzählt der Kölner Philosoph Andreas Speer: O-Ton – Andreas Speer: Ein Einsichtigmachen dessen, was man glaubt. Ein Glaube, der nach Verstehen ruft und der das Verstehen sucht. Das ist eigentlich das Programm, welches also dann eine intellektuelle Neugierde erzeugt, die im 12. Jahrhundert dann kulturell absolut dominant und bestimmend wird. Autor: Die Erforschung der Natur in Experimenten, die Frage, wieso aus dem scheinbar unbelebten Boden lebende Würmer kommen: Das war etwas radikal anderes als das detail-versessene Ausdeuten überlieferter Texte, das war die Ahnung einer neuen Wissenschaftlichkeit. Im christlichen Europa verbreitete sich allmählich die Überzeugung … O-Ton – Andreas Speer: … dass man also sich der Natur widmen kann und der Erforschung der Ursachen in der Natur widmen kann, ohne sie in einem nächsten Schritt sogleich wieder in eine theologische Vermittlungszusammenhänge und Ursachenordnung einzubinden. Autor: Daran hatte auch Friedrich II. teil, der letzte staufische Kaiser. Der gebildete Herrscher verfolgte die intellektuellen Debatten seiner Zeit und skizzierte in seinem berühmten Buch über die Jagd mit Falken selbst ein Experiment, um die Natur der Vögel zu ergründen. Schon Friedrich Barbarossa, sein Großvater, hatte die Universität in Bologna, eine der ersten europäischen Universitäten, gefördert. Friedrich II. eröffnete 1224 in Neapel eine weitere. Zum Modell wurde jedoch die um 1200 gegründete Universität in Paris. Dort begann man, die wiedergefundenen Schriften des antiken Philosophen Aristoteles zu lesen und diskutierte erstmals systematisch über die unterschiedlichen Methoden der Wissenschaften. Wer aber stand an der Spitze dieser zukunftsweisenden Entwicklung? O-Ton – Andreas Speer: Es ist der Papst, der den Aristoteles sogar gegen den zurückhaltenden Pariser Klerus durchsetzt. Es werden dann aber auch wie in Köln die Bürger, die Stadtkultur, die dieses neue Leitbild einer Wissensgesellschaft sich zu eigen machen und die danach streben, eine solche Universität gründen zu wollen. Autor: Bis deutsche Städte diesen Schritt schafften, dauerte es allerdings noch ein gutes Jahrhundert. Die Heidelberger Universität entstand erst 1386, Kölner Bürger gründeten ihre Universität 1388. Wie die gotische Kunst, wie die Innovationen der Geldwirtschaft kamen auch die neuen Bildungsstätten verspätet im Reich an. Doch dass die deutschen Städte künftig eine wichtige Rolle im Machtgefüge spielen würden, zeichnete sich schon zur Stauferzeit ab. Die Geschichte Frankfurts am Main, das direkt den staufischen Königen unterstand und von ihnen gefördert wurde, macht es deutlich. Atmo: Baulärm im Saalhof O-Ton – Frank Berger: 8 Wir stehen im historischen Saalhof, einer stauferzeitlichen Pfalz, die heute Teil des Historischen Museums ist. Autor: Das Historische Museum in Frankfurt wird gerade renoviert. Im Innenhof liegen Stapel von Steinplatten und Holzbalken, an den Fassaden stehen Gerüste, als Frank Berger, Experte für die Stadtgeschichte, die drei Gebäude aus der Zeit um 1200 zeigt. O-Ton – Frank Berger: Das älteste ist ein rechteckiger Turm, der noch mit einer Höhe von etwa 20 Metern aufragt, daran anschließend ist der Palas, das Wohngebäude von König und Königin, diese beiden sind nebeneinander und dann gibt es einen Anbau, um 1200, das war die Privatkapelle von König und Königin. Autor: Schon Konrad III. und Friedrich Barbarossa, die ersten staufischen Könige, nutzten Frankfurt für ihre Hofhaltung. Die Stadt lag günstig, und ähnlich wie in Wimpfen sicherten sie mit der wehrhaften Pfalz ihren Landbesitz, vor allem in der fruchtbaren Wetterau, zugleich kontrollierten sie ein Kreuz von Fernhandelsstraßen. Dass sie mit ihren Baumaßnahmen die Basis für die erste Blüte Frankfurts legten, zeigt sich auf einem Rundgang durch die Altstadt. Atmo: Straßengeräusche O-Ton – Frank Berger: Wir stehen auf dem Eisernen Steg, einer Fußgängerbrücke über den Main, und genau an dieser Stelle war die Furt durch den Main. Die Furt im Frankenland, die Frankonofurt, Frankfurt. Und parallel, etwa 400 Meter flussaufwärts, wurde in der Stauferzeit die erste Brücke erbaut, eine Brücke über den Main. Diese Brücke war wichtig für den gesamten Fernverkehr des Reiches, es war auch die einzige Brücke zwischen der Mainmündung und Würzburg. Autor: Hier kreuzten sich Handelswege aus allen vier Himmelsrichtungen. Aus Flandern und England kamen Tuche und Juwelen, aus Lübeck Holz und Häute. Lyon lieferte Seide, das Elsass Wein und aus Südosten, über Venedig und Augsburg, trafen die Spezereien des Morgenlandes ein. Atmo: Auf dem Römer Autor: Gleich vor der Pfalz, auf dem Römer, fand der Markt statt – und 1241 erlaubte Friedrich II. den Bürgern, dort eine eine besondere Handelsmesse abzuhalten. O-Ton – Frank Berger: Der Römer ist der Platz, auf dem die Frankfurter Messe von Anfang an stattgefunden hat. Hier ist der Ort von 1241, wo also dann die Luxuswaren des Reiches ausgebreitet wurden, und auf der Südseite des Römers, an der Nikolaikirche, stand die erste Bank Deutschlands, eine Banco, der städtische Wechsel. 9 Autor: Im 12. Jahrhundert belebte sich die deutsche Wirtschaft nachhaltig: Ein anhaltend günstiges Klima sorgte für reiche Ernten, die Bevölkerung wuchs und der Handel nahm zu: Zuerst am Niederrhein, in Duisburg und Köln, der führenden deutschen Stadt des Mittelalters, dann auch in Binnenstädten wie Regensburg und Nürnberg. Immer mehr Kaufleute in den Städten trugen prall mit Geld gefüllte Beutel am Gürtel. Das brachte die traditionelle Stände-Ordnung von Bauern, Klerikern und Rittern gründlich durcheinander, betont Bernd Schneidmüller: O-Ton – Bernd Schneidmüller: Dieses Modell von drei Ständen zieht sich durch die Jahrhunderte durch, aber in der Stauferzeit kommt ein völlig neuer Typus hinzu, den es vorher noch nicht gegeben hat und das sind die Bürger der Städte. Autor: Die wohlhabenden Kaufleute lösten sich als erste aus der Unfreiheit, in der die meisten Menschen im Hochmittelalter lebten. Sie beanspruchten die Führungsrolle in den Städten – zusammen mit den Ministerialen, den neuen Verwaltungsfachleuten, die die staufischen Könige installiert hatten, um sich unabhängiger von den eigenmächtigen Fürsten zu machen. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Diese Ministerialen sind zum Teil außerordentlich mächtig im Königsdienst, aber sie haben diese Macht nicht aus der freien fürstlichen Geburt, sondern sie bleiben in der ganzen Stauferzeit unfrei. Diese Ministerialen brauchen, um zu heiraten, die Zustimmung ihres Königs, sie brauchen, um ihren Ort zu wechseln, die Zustimmung ihres Königs. Autor: Sie waren loyale und effiziente Diener ihrer Herren – bis zu dem Tag, als das staufische Geschlecht endete. 1250 starb Friedrich II. Sein ältester Sohn Heinrich, den er als deutschen König eingesetzt und dann selbst wieder entmachtet hatte, war bereits tot. Neuer König wurde Konrad IV., ein Kind aus zweiter Ehe, doch er starb schon vier Jahre nach Übernahme des Amtes. Sein unmündiger Sohn Konradin kam nicht mehr dazu, in den Streit um den deutschen Thron einzugreifen. Im Kampf um sein sizilisches Erbe wurde er von Karl von Anjou vernichtend geschlagen und in Neapel – im Alter von nur 16 Jahren – enthauptet. So starb der letzte Staufer. In Deutschland nutzten viele Ministerialen das Machtvakuum und eigneten sich Adelsrang an. Zusammen mit den reichen Kaufleuten bildeten sie die neue, städtische Führungsschicht: die Patrizier. Die persönliche Freiheit der Kaufleute ging dann auf die Städte und ihre Bürger über. „Stadtluft macht frei“: Das Sprichwort geht auf diese Epoche zurück. O-Ton – Bernd Schneidmüller: Bürgerliche Freiheit als neues Element in dieser feudalen Gesellschaft, das erst in der Stauferzeit sich ausbildet. Autor: Die bürgerliche Freiheit war wohl das bedeutendste, wenn auch gänzlich ungeplante Erbe der Staufer. Ein Grundstein für die deutsche Gesellschaft der kommenden Jahrhunderte, deren Konturen sich am Ende der Stauferzeit allmählich abzeichneten: Künstler und Wissenschaftler interessierten sich zunehmend für die Gesetze der Natur, die Amtskirche 10 verlor an Anerkennung und die Wirtschaft entwickelte sich zum mächtigen Antriebsfaktor, mit einem neuen bürgerlichen Stand an der Spitze: den Kaufleuten und Bankiers. Atmo: Baulärm Autor: Symbolisch für den Wandel ist das Schicksal der staufischen Pfalzen in Frankfurt und Wimpfen: Den Frankfurter „Saalhof“ erwarb ein Bürger namens Jakob Knobloch und machte ihn zu seinem Kaufmannskontor. Die Bürger in Wimpfen brachen den leer stehenden Palas ab und verbauten die Steine in ihren eigenen Häusern. Atmo: Baulärm, Hämmern *..*..*..*..* 11