Protokoll der Seminarsitzung am 17.05.17 Universität Koblenz-Landau; Campus Koblenz Sommersemester 2017 Seminar: Lebensproblemorientierter Unterricht (Modul 8.2) Dozentin: Dr. Jutta Lütjen Protokollantinnen: Verena Mayer, Linda Droll Zu Beginn der Seminarsitzung wurde inhaltlich an die vorige Sitzung angeknüpft, indem Frau Dr. Lütjen daran erinnerte, dass die Seminarteilnehmer das Ende der zweiten, der sogenannten divergierenden Phase des dialogischen Lernmodells, erreicht hatte. Ziel der Sitzung sei es, die Methode fortzuführen. Im Anschluss daran sollte die theoretische Untermauerung in Form eines Referates erfolgen. Titel des Vortrags: Das dialogische Lernmodell als sinnstiftende Didaktik. Zur Anknüpfung folgte nun die Gruppenarbeitsphase. Dafür wurden die Seminarteilnehmer durch Frau Dr. Lütjen in mehrere Gruppen eingeteilt. Im ersten Schritt sollte ein offenes Gespräch stattfinden. Dies ist im schulischen Kontext insbesondere deswegen wichtig, da der freie Austausch zwischen den SuS nicht nur wesentlich für eine angenehme Lernatmosphäre, sondern auch zur Etablierung einer gesunden Gesprächskultur ist. In dem Zusammenhang sind Differenzen zwischen den SuS ausdrücklich erwünscht. Grundlage des Gruppengesprächs sollten die Unterlagen und Eindrücke der letzten Seminarsitzung sein. Das Leitthema der Diskussion lautete: Wie kann es einer Lehrkraft gelingen, Kinder in Reflexion zu bringen? Warum ist Reflexion wichtig für den Lernprozess? Nachdem die Gruppenarbeitsphase durch Frau Dr. Lütjen unterbrochen wurde, sollte in der regulären Phase nun eine Sicherung der Ergebnisse erfolgen. Was kann anhand unserer Gedanken als regulär bestimmt werden? Zur Erarbeitung der Ergebnisse war eine Zeitspanne von 30 Minuten vorgegeben. Zu den Leitthemen waren Thesen zu formulieren. Essentiell hierbei war die Beachtung dessen, dass jedes einzelne Gruppenmitglied mit den ausgearbeiteten Thesen einverstanden und überzeugt ist. Innerhalb der Gruppe wurde ein Schriftführer bestimmt, der das gemeinsam Beschlossene nach Zustimmung Aller niederschreiben und bis zur nächsten Sitzung an Frau Dr. Lütjen senden sollte. Die Beschriftung der Datei sollte: Gruppennummer_Reflexion_Lebensproblem lauten. Referat: Das dialogische Lernmodell als sinnstiftende Didaktik Zu Beginn des Referats wurde zunächst Grundlegendes zum dialogischen Lernmodell vorgestellt. Entwickelt wurde diese neue Didaktik von Peter Gallin und Urs Ruf, beide sowohl Mathematiker als auch Didaktiker, da sie sich die Fragen stellten, warum es SuS gibt, die keine Mathematik verstehen und warum manche SuS das Ergebnis kennen, aber nicht den Lösungsweg. Wichtig in dieser Didaktik ist, dass die SuS sich individuell mit dem fachlichen Inhalt auseinandersetzen, diese Inhalte frei gestalten, und daraufhin in einen Dialog mit anderen treten. Es ist möglich, diese Didaktik in allen Klassenstufen durchzuführen. Daraufhin wurde die Basis des dialogischen Lernmodells vorgestellt: die Kernidee. Diese wurde durch ein Zitat vorgestellt: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer!“ (Antoine de SaintExupéry) Das bedeutet, dass es essentiell ist, die Motivation und das Interesse der SuS durch die Kernidee zu wecken, sodass sie etwas selbst lernen wollen. Nur wenn die Ziele bedeutsam für die SuS sind, kann die intrinsische Motivation, Begeisterung und der „Forschergeist“ geweckt werden. Diese Bedeutung entsteht, wenn ein Bezug zur Lebenswelt besteht. Wenn man dieses Modell in der Schule anwendet, findet ein Unterricht mit Sinnorientierung statt. Orientiert man sich jedoch nur am Curriculum, welches Ziele ohne Bedeutung für die SuS sind, spricht man von Zielorientierung. Um einen sinnorientierten Unterricht führen zu können, muss diese Kernidee in einem offenen Arbeitsauftrag gestellt werden, der für alle SuS erfüllbar ist und jede Person ganz ansprechen. Im Anschluss wurden die drei Phasen des dialogischen Lernmodell erklärt: 1. Phase: ICH: singuläre Phase – „Ich mache das so“ In dieser Phase wird die eigene Meinung zu der offenen Aufgabe meist schriftlich in ein Reisetagebuch dokumentiert. In dieses Reisetagebuch werden alle Wege und Irrwege aufgenommen. Durch den Lehrer wird dieses regelmäßig kontrolliert gegebenenfalls eine neue Kernidee zu verfassen, damit das Ziel erreicht wird. um 2. Phase: DU: divergierende Phase - „Wie machst du es?“ In dieser Phase setzen sich die SuS mit den Vorgehensweisen und Meinungen der anderen auseinander und geben sich gegenseitig Rückmeldungen. Diese müssen vorher geübt werden, damit die SuS wissen, wie man respektvolles und nützliches Feedback geben kann. Dabei tritt das ICH dann in einen Dialog mit dem DU, zum einen in einen Dialog zwischen Person und dem fachlichen Inhalt und einen Dialog zwischen der Person über den fachlichen Inhalten. Frau Lütjen betonte an dieser Stelle, dass diese Phase für SuS immer sehr spannend sei, da sich SuS immer dafür interessieren, wie ihre Nachbarn die Probleme lösen. Dadurch wird die singuläre Einstellung zu einem Stoff durch eine divergierende erweitert. An diese Stelle wurde angemerkt, dass jüngere Kinder meist mehr emotionale Rückmeldungen geben, während ältere Kinder eine abstraktere Meinung mit Argumenten darlegen; hier ist es jedoch zum Ziel, die jüngeren Kinder dazu zu führen, Rückmeldungen mit Argumenten zu geben. Besonders wichtig ist in dieser Phase, dass der Horizont der Kinder erweitert wird. 3. Phase: WIR: reguläre Phase - „Das machen wir so!“ In der letzten Phase wollen die SuS wissen, wie es wirklich funktioniert und was richtig ist. Dabei orientieren sie sich an interessanten Versuchen und gelungenen, bewährten und regulären Verfahren und suchen Zugang zum Regulärem. Nachdem die Phasen vorgestellt wurden, ging die Referentin näher auf das Reisetagebuch, auch Lernjournal genannt, ein. In diesem dokumentieren die SuS ihren Lernprozess in exakter Reihenfolge, mit sowohl Wegen als auch Irrwegen. Dieses wird regelmäßig von der Lehrperson kontrolliert, um sicherzustellen, dass die SuS auf dem richtigen Weg sind. Rückmeldungen gibt der Lehrer mit einem Häkchensystem, mit welchem zum Ende die Note errechnet wird. Leitfragen zur Erstellung sind die folgenden: Wie wirkt der Stoff auf mich? Wie verhalte ich mich während des Problemlösens? Kann ich mit diesem Können vor anderen bestehen? Was habe ich bereits erreicht? Ein möglicher Aufbau kann in Datum, Thema, Auftrag, Orientierung, Spuren, Rückblick und Rückmeldung gegliedert werden. Durch das Führen eines Reisetagebuchs werden viele Kompetenzen gefördert. Zum einen lernen die SuS ihren eigenen Standpunkt festzulegen. Zum anderen wird ihre Selbstständigkeit und Kreativität durch eigenständiges Gestalten und das Formulieren der Erkenntnisse gefördert. Die Fähigkeit, fremde Aufgabenstellungen zu verstehen und zu testen wird ebenfalls gefestigt. Außerdem lernen die SuS eigene Vorgehensweisen zu formulieren, überdenken und überarbeiten. Besonders beim Schreiben lernen die SuS durch die Reflexion des Wichtigen, Denkprozesse zu vertiefen und in einen eigenen inneren Dialog zu treten. Von großer Wichtigkeit beim Führen eines Reisetagebuchs sind die Rückmeldung und der Austausch mit der Lehrperson und den Mitschülern. Gelungene Passagen können in einer Autografensammlung hervorgehoben werden. Durch dieses entwickeln sich die die SuS persönlich weiter und können mit verschiedenen Perspektivwechseln ihren Horizont erweitern. Im Anschluss wurde der Kreislauf des dialogischen Lernens mit folgende Abbildung erklärt: Zunächst wird die Kernidee von der Lehrkraft vorgestellt. Daraufhin gibt die Lehrkraft einen Auftrag. Während die SuS die drei Phasen ICH, DU und WIR dann zu diesem Thema durchlaufen, führen sie ein Lernjournal und bekommen währenddessen Rückmeldungen. Besonders wichtig ist zu sagen, dass die einzelnen Instrumente nicht unabhängig voneinander einsetzbar sind und immer im Gesamtpaket genutzt werden müssen. An dieser Stelle wurden nochmal wichtigste Punkte wiederholt. Die Kernidee muss die SuS ansprechen und offen gestellt sein, damit die SuS sich den Themenschwerpunkt selber festlegen können. Manchmal muss die Lehrperson an dieser Stelle die SuS mit weiteren Fragen anregen. Wenn dann immer noch Fragen bleiben, muss die Lehrperson eine neue Kernidee entwickeln. Hervorgehoben wurde, dass es sich nicht um differenzierten Aufgaben handelt, sondern dass jeder die gleiche Aufgabe bearbeiten soll, jedoch jeder einzelner SuS einen eigenen und individuellen Zugang finden soll. Allgemein wurde gesagt, dass das dialogische Lernmodell prozessorientiert ist, da sich die Lehrkraft am Entwicklungsstand der SuS orientiert. Zum Abschluss stellte die Referentin die Frage in den Raum, ob das dialogische Lernmodell mit Heterogenität vereinbar sei und ob Heterogenität berücksichtigt wird. Daraufhin meldeten sich einige Seminarteilnehmer. Diese sagt, dass Heterogenität berücksichtig wird, weil jeder SuS durch die offene Gestaltung einen individuellen Zugang finden kann. Außerdem wurde argumentiert, dass jedes Kind schauen darf, wo es steht, und somit kein Kind ausgeschlossen wird. Des Weiteren gibt das Dialogische Lernmodell die Möglichkeit für das eigene Lernen Verantwortung zu übernehmen. Eine Seminarteilnehmerin sagte, dass die sozialen Kompetenzen dadurch gefördert werden, oder gar daraus resultierten. Daraufhin fragte Frau Dr. Lütjen, welche sozialen Kompetenzen denn daraus erwachsen würden. Die Seminarteilnehmer antworteten hier mit der Empathiefähigkeit, Kritikfähigkeit (bezogen auf die sachliche Ebene), Kritik (wertschätzend) auszuüben, Kommunikationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit (durch Auseinandersetzen ohne „auszurasten“). Abschließend wollte Frau Lütjen einige Thesen aufstellen, zu denen die Seminarteilnehmer Stellung nehmen sollten. Da jedoch die Zeit des Seminars schon überschritten war, kam Frau Lütjen lediglich dazu, eine These aufzustellen: „Didaktik verhilft eine gute Klassenatmosphäre zu schaffen und Mobbing auszuschließen.“