Verhandlungsdelegation Ostschweiz

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Herrn
Bundesrat Pascal Couchepin
Vorsteher EDI
3003 Bern
Bern, 27. Oktober 2006
(knEG/gd)
TEILREVISION DER KVV
Sehr geehrter Herr Bundesrat
Die FMH dankt für den Einbezug ins Vernehmlassungsverfahren. Der Zentralvorstand
nimmt u.a. gestützt auf interne Vernehmlassungen von kantonalen Ärztegesellschaften
und medizinischen Fachgesellschaften wie folgt Stellung:
Art. 59 Abs. 5 – Rechnungskopie im Tiers payant
Die Botschaft vom 6. November 1991 zum KVG vertritt die klare Auffassung, dass in
Tiers payant der Versicherer als Schuldner der Vergütung dem Versicherten eine
Kopie zuzustellen habe. Diese Auffassung blieb in den Debatten der Räte unbestritten,
insbesondere auch bei der Einfügung des Satzes „im System des Tiers payant erhält
die versicherte Person eine Kopie der Rechnung, die an den Versicherer gegangen
ist“. Hätte der Gesetzgeber dies ändern wollen, hätte er den Gesetzestext entsprechend
angepasst.
Daran ändern auch die in den Erläuterungen zur Verordnungsrevision zitierten
Entscheide des EVG gar nichts, weil sie nicht die Frage betreffen, wer dem Patienten
routinemässig eine Kopie zuzustellen hat.
Der Bundesrat sollte darauf verzichten in der KVV das Gegenteil dessen festzuhalten,
was bei Erarbeitung des KVG gewollt war.
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Dazu kommt, dass ein routinemässiger Tiers payant aus datenschutzrechtlichen
Erwägungen hochproblematisch ist: Der KVG-Versicherte hat oft nur eine virtuelle
obligatorische Krankenpflegeversicherung. Ein grosser Teil der Bevölkerung hat hohe
Wahlfranchisen gewählt und erhält über’s ganze Jahr keinerlei Rückerstattung der
Krankenversicherung für die Behandlungen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es
ein unzulässiger Leerlauf, dass die Krankenversicherung alle diese Rechnungen erhält
und dem Versicherten in der Folge voll weiter verrechnet. Dazu kommt, dass der
Versicherte unbestrittenermassen im Einzelfall entscheiden kann eine Rechnung selbst
zu bezahlen und nicht dem Krankenversicherer zustellen zu lassen – der Verzicht auf
KVG-Leistungen kann im Unterschied zum UVG formlos erfolgen.
Die datenschutzkonforme und KVG-konforme Ergänzung zu Art. 59 lautet als z.B.
wie folgt:
„Haben Versicherer und Leistungserbringer mit Zustimmung der
versicherten Person den Tiers payant vereinbart, stellt der Versicherer
als Honorarschuldner dem Patienten eine Rechnungskopie zu; der
Versicherte kann auch vom Leistungserbringer eine Kopie verlangen“.
Zu Art. 59c Tarifgrundsätze: LeiKoV-Kriterien übernehmen
Wir sind einverstanden damit, dass der Bundesrat die im Rahmen seiner
Rechtssprechung entwickelten Grundsätze ins positive Recht übernimmt - soweit sie
den Vorgaben des KVG entsprechen. Welches sind diese Vorgaben: Das KVG will
sowohl günstige Tarife wie auch eine optimale Behandlungsqualität.
Wir erachten den im Entwurf unterbreiteten Vorschlag als unausgewogen.
Insbesondere steht die im Verordnungsentwurf vorgesehene rechtliche Fiktion, dass
alle früheren Tarife im Gesamtvolumen sachgerecht waren und deshalb unverändert in
die Zukunft fortgeschrieben werden müssen, zu Recht nicht im KVG 1 . Dies würde ja
bedeuten, dass veränderte Verhältnisse und auch allfällige Fehlentscheide aus der
Vergangenheit nicht korrigiert werden dürften. Die Tarifpartner und die
Genehmigungsbehörden sind vielmehr von Gesetzen wegen verpflichtet, die
Kompatibilität der Tarife mit den heutigen gesetzlichen Zielen zu prüfen.
Die in ständiger Praxis des EVG verlangte zwar nicht maximale, aber optimale
Behandlungsqualität setzt auch voraus, dass in der Arztpraxis vernünftige Arbeits- und
Einkommensverhältnisse bestehen. Das Kreisschreiben des Bundesrats an die
Kantonsregierungen aus dem Jahr 1977 ging von der unzutreffenden Hypothese 2 aus,
für die Kaufkrafterhaltung der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte genüge es, die
Tarife nur zu ¾ der allgemeinen Teuerung anzupassen. Diese langfristig wirkende
Vorgabe hat wohl nachhaltig dazu beigetragen, dass heute insbesondere die
Grundversorgung nicht mehr attraktiv und ein Versorgungsengpass absehbar ist. Mit
1
Siehe etwa Hanspeter Kuhn: Tarifverträge, Tarifgenehmigung, «Kostenneutralität», Schweiz. Ärztezeitung
2001;82: Nr 16, S. 783ff.
2
Wie unzutreffend die Hypothese war, zeigen u.a. die in der Ärztezeitung 2006;87;39 Seite 1677 ff.
veröffentlichten Einkommensverhältnisse bis zum Jahr 2003 – der reale Kaufkraftverlust korreliert mit dem
erwähnten Kreisschreiben des Bundesrats. Die letzten beiden Jahre, bei der unter TarMed die Ärzteeinnahmen
noch mehr zurückgegangen sind, sind in diesem Beitrag nicht erfasst.
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Tarmed sollte dies korrigiert werden – doch der gute Vorsatz scheiterte an der
politischen Vorgabe der Kostenneutralität pro Kanton.
Bis zu den 1960-er Jahren waren die Tarife der sozialen Krankenversicherung nicht
wirklich relevant für die Einkommenssituation der Ärzte; heute hingegen hängen in
den meisten medizinischen Disziplinen über 90% des Einkommens davon ab. Auch
bei den Anwälten waren früher die Fälle unentgeltlicher (d.h. vom Staat bezahlter)
Rechtspflege wenig relevant; auch in diesem Beruf ist dies heute nicht mehr so. Das
Bundesgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 6. Juni 2006 3 seine Praxis geändert
und die richtigen Konsequenzen aus der veränderten Situation gezogen: Heute kann
vom Anwalt keine „Fronarbeit“ mehr verlangt werden, weil er nicht mehr in anderen
Tätigkeitsbereichen kompensieren kann. Eine Anwältin, deren Infrastrukturkosten
zwischen 40 und 50 % des Bruttoeinkommens betragen, muss heute auch in Fällen der
unentgeltlichen Rechtspflege mit mindestens brutto Fr. 200.--/Std. entschädigt werden,
damit sie einen Betriebsgewinn von Fr. 60.-- bis Fr. 70.-- pro Stunde erzielt. Tiefere
Ansätze würden gemäss Bundesgericht heute das Gebot der Wirtschaftfreiheit und das
Willkürverbot verletzen. Nimmt man sich die Mühe, eine analoge Rechnung für die
Ärztinnen und Ärzte zu machen – diese weisen anerkannterweise heute Praxisunkosten
von 70 % und mehr des Bruttoeinkommens aus – muss eine Ärztin umgerechnet
mindestens Fr. 240.-- bis Fr. 250.-- pro Stunde verrechnen können. Mit der erwähnten
Formulierung in lit. b des Verordnungsentwurfs würde dies unseres Erachtens
verunmöglicht.
Auch ein Vergleich mit den Spitalärzten und deren Einkommen zeigt, dass die freie
Ärzteschaft bei den in den meisten Kantonen weit unter den Spitälern liegenden
Taxpunktwerten im ambulanten Bereich offensichtlich im Vergleich mit Oberärzten,
leitenden Spitalärzten und Chefärzten aus unerfindlichen Gründen weniger verdienen
soll. Mit der Einführung der erwähnten Litera wird diese Tendenz zementiert.
Nur der Vollständigkeit halber ergänzen wird, dass auch das Preisüberwachungsgesetz
einen differenzierteren Ansatz verlangt; unter anderem sind die folgenden Kriterien zu
berücksichtigen:
a) Preisentwicklung der Vergleichsmärkte
b) Notwendigkeit der Erzielung angemessener Gewinne
c) Kostenentwicklung
d) Besondere Unternehmerleistungen
e) Besondere Marktverhältnisse
Wir möchten nicht nur Kritik am KVV-Entwurf üben, sondern auch einen positiven
Lösungsvorschlag unterbreiten: Der Bundesrat hat die von der FMH, den kantonalen
Ärztegesellschaften und santésuisse getroffene Vereinbarung betreffend Kontrolle und
Steuerung von Leistungen und Kosten im Bereiche Tarmed, nationale LeiKoV,
genehmigt. Im Verordnungstext können und sollen deshalb die Leistungselemente
dieser Vereinbarung eingefügt werden, konkret:
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2P.17/2004 2P.325/2003.
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a)
b)
c)
d)
e)
Veränderungen in der Demographie
Veränderungen der Nachfragestruktur
Gezielte Eingriffe in die Angebotsstruktur
Veränderungen des Leistungskatalogs
Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen
Um den Willen des Gesetzgebers umzusetzen, müssen im KVG Tarife sowohl gesenkt
wie auch erhöht werden können. Art. 59 Abs. 2 hat wie folgt zu lauten:
„Die Vertragsparteien müssen die festgelegten Tarife regelmässig
überprüfen und bei Kosten oder Leistungsanpassungen erhöhen oder
reduzieren“.
Zu Art. 105a bis Art. 105d
Wir sind einverstanden mit den vorgeschlagenen Regelungen, soweit sie das
Verhältnis Versicherter – Versicherung betreffen.
(Hinweis: Im Verhältnis Kanton-Versicherer könnte auch die Lösung zum Vorbild
genommen werden, die der Kanton Waadt - unter zustimmender Kenntnisnahme des
EDI-Chefs - mit den Krankenversicherern vereinbart hat.)
Ungenügend ist hingegen die Regelung in Art. 105c Abs. 7, soweit es um die
Sicherstellung der Behandlung im Dreieck Patient-Leistungserbringer-Kanton geht.
Die KVV soll näher umschreiben auf welche Art der Kanton seine Verpflichtung
umsetzt, die Behandlungen sicherzustellen. Konkret soll dieser Absatz sowohl für den
Tiers garant sowie für den Tiers payant die Kostenübernahmepflicht des Kantons
vorsehen, ansonsten diese Problematik einmal mehr an den Leistungserbringern
hängen bleibt.
Wir danken Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesrat, für die Berücksichtigung unserer
Stellungnahme und stehen selbstverständlich für weitere Diskussionen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
FMH
Dr. med. Jacques de Haller
Präsident
Dr. med. Ernst Gähler
Mitglied ZV
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