Zur heilen Welt der Transferunion Mit den Augen von Till Eulenspiegel? O. Eurotas heißt der Fluß zwischen den irdischen Streitereien, Kriegen, Knappheiten und Zwängen und dem paradiesischen, ewigen Frühling, in dem alle Tiere, selbst die wildesten Tiere wie Löwen und Wildschweine gleich den Lämmern sind. Wer glaubt, sieht dort König Admetus und Apoll, der dessen Vieh hütet. Ein Bad in diesem Eurotas läutert die Seele und reinigt vom Blute des erschlagenen Python, also jenes irdischen Drachens der Knappheiten und Zwänge. Es ermöglicht den Übertritt in diesen nachhaltigen Frühlingstraum, in einen fast schon orgiastischen Taumel Europens. Der Euro ist dieser Fluß nicht – und schon gar nicht Europa. Er schützt nicht die Ufer des Landes Helenes – und schon gar nicht den Kontinent Europa. Der Euro ist aber auch nicht das goldene Vlies, also jenes Widder- (Lamm-) Fell voll des aus einem Fluß gewaschenen Goldstaubs, welches aus Kolchis zu holen, Admetus mit den Argonauten (Jason, Herkules, Orpheus usw.) aufbrach. Der Euro ist nicht das güldene Licht zwischen Himmel und Erde – und auch nicht über Europa. I. Die fast schon ritualisierte und tabuisierende politische Bestrahlung des Euros immunisiert zunehmend Politiker gegenüber ökonomischen Erklärungen und Diskussionen. Dabei ist die Politik mit dem Euro seit dem Krieg das größte europäische Wagnis eingegangen. Konnte zwar selbst von den Argonauten einer das Schiff verlassen, so kann heute scheinbar von den Mitgliedern niemand wieder aussteigen. Zu hoch sind scheinbar die dabei entstehenden und von ihnen selbst erzeugten Austrittskosten sowie insbesondere der Verlust an zukünftig zu erwartenden dauerhaften Transfers. Und es erscheint ihnen insgesamt egal zu sein, wie teuer die Expedition für die Transferzahler wird. Hat für viele Menschen seit Marx das Geld einen Fetischcharakter, so scheint vielen jetzt eine Metamorphose zu einem Euro-Chauvinismus beobachtbar. Dabei neigen zunehmend viele zur Apathie und fragen sich angesichts der Diskussionen, wer von ihnen in den letzten zwölf Jahren denn reale Einkommenserhöhungen oder steigende Leistungen in Form von öffentlichen Gütern erhalten hat. Und sie hören dieses wohlfeile Gerede über sinnvolles Verhalten der sog. kleinen Sparer in der Finanz- und dann der Eurokrise sowie beim anhaltenden Börsencrash. Sollen sie möglicherweise sogar von einem puren Zynismus gewärmt werden? Sie haben sich einen wahrlich erforderlichen Notgroschen zur Unterstützung ihrer kargen Alterssicherung geschaffen. Sei haben 10 oder 20 Tsd. Euro gespart – und müssen sich jetzt mühen, einen möglichst kleinen negativen Realzinssatz zu „ergattern“. Dürfen es 1,4 % auf Geldmarktkonten sein oder üppige 2,2 % bei einer Bindung über ein Jahr? Die Inflationsrate ist höher und wird weiter steigen. Der sog. kleine Mann bzw. die sog. kleine Frau kann nicht nur nichts wirklich ansparen, sondern kann nicht einmal mehr das Ersparte sichern. Sie verlieren ihre Ersparnis nach und nach real schon seit 2007/2008. Und sollten diese, um deren Willen wir letztlich die ganze ökonomische Veranstaltung durchführen, nicht durch eine auf Preisniveaustabilität verpflichtete Zentralbank geschützt werden. Und sollten eine freie Presse und insbesondere soziale Parteien diese Sicherung nicht durch öffentlichen Druck fest „zementieren“? Aber werden sie nicht schon in dem Marsch zum demokratischen Knappheitismus getragen? Ist es da nicht ein Glück, dass sog. Hartz IV Empfänger Lotto spielen dürfen? 1/5 Und es gibt keinen anderen Weg als die „Schröpfung“ der Millionen kleinen Sparer durch die Flutung der Banken mit Liquidität? Schafft man mit diesem versuchten Kauf von Zeit, dieser Anfeuerung der Aktienkurse und damit mit der Hilfe zur Erfüllung der politisch erhöhten Eigenkapitalanforderungen wirklich Vertrauen in die Institutionen? Oder bedient sich Politik für ihre Abenteuer nicht nur einfach der Notenpresse, um stur durchzumarschieren? Für niemanden eine Schritt zurück, keine neue Formationsbildung? II. Wurde da tatsächlich erklärt, daß angesichts der steigenden Zinssätze für italienische Staatsanleihen die Stabilität Italiens gesichert einzementiert werden muß? Ist Italien so etwas wie das letzte sichernde Schott in der aufgerissenen Titanic der heutigen Argonauten? Welch ein Unsinn! Da erklärt ein EZB-Präsident einen Zinssatz von über 6 % für Italien für nicht tragbar, wirft die EZB-Verpflichtung wieder einmal einfach über Bord und kauft italienische und spanische Papiere (wie zuvor griechische, portugiesische und irische im Wert von über 77 Mrd. Euro). Ist dieser Zinssatz denn nicht ein Normalzins Italiens aus der Zeit vor der EWU, schließlich hat sich das politische Verhalten nicht geändert und es wurde, wie zuvor, die Schuldenpolitik fortgetrieben. Und dieser Normalzinssatz ist jetzt nicht mehr verkraftbar? Wenn dieses aber so ist, wie vielfach mit Blick auf den hohen Schuldenstand und die Wachstumsraten Italiens erklärt wird, hat dann nicht der Euro der italienischen Wettbewerbsfähigkeit geschadet? So wie u.a. der griechischen. Oder hat die Vorstellung vom goldenen Vlies die Politiker zu einem frühlingshaften orgiastischen Ausgabentaumel verführt? Oder war Italien schon zur Zeit der Euro-Einführung nicht mehr wettbewerbsfähig und hätte gar nicht aufgenommen werden dürfen, so daß die EWU wie eine Art von institutionalisierter Insolvenzverschleppung wirkte? Eine weitere Möglichkeit gibt es wohl nicht – außer man zeigt wieder auf die bekannten bösen Unbekannten, wie bspw. den US-$ und die USA, das Internationale Finanzsystem oder die Finanzmärkte. Vielleicht erscheint eine kurz „Erdung“ gefällig? Welcher Handwerksbetrieb oder kleines bis mittleres Unternehmen erhält eigentlich Kredite zu einem Zinssatz von unter effektiv 6 %? Selbst die vor acht Jahren zinsgebundene Hypothek hat der sog. Häuslebauer heute mit immer noch mit 8 v.H. zu bedienen. Welches Investment ist denn nun eigentlich risikoreicher und bedarf der höheren Risikoprämie? Ist es die grundbuchgesicherte Schuld eines schwäbischen Häuslebauers oder die Anleihe zur Finanzierung von politisch bestimmten Staatsausgaben (trotz der staatlichen Steuerhoheit) im Euro-Club? Und wenn niemand die italienischen Staatsanleihen zu einem gegebenen Anleihekurs kaufen will, also die private Nachfrage (es sind nicht die bösen anonymen Märkte!) nahe Null ist, weil das Vertrauen in Politik und Politiker fehlt, dann sinkt der Kurs und steigt der Zinssatz. Wer dann aber einsteigt und diese Papiere massiv nachfragt, um einen weitern Kursverfall (bzw. Zinsanstieg) zu verhindern, heißt wohl gar Spekulant? Dieses gilt unabhängig davon, wer es ist. Die EZB (und nicht private Zocker oder Kapitalisten) ist hier wohl im Mantel des sog. lenders-of-last-resort eine Art von Spekulant? Ruft sie nicht gar durch ihre quasi gegebene Garantie einer Art von Kursuntergrenze (bzw. Zinsobergrenze) andere, private Investoren auf, mit ihr zu spekulieren? Und, aber nein, gefährdet sie nicht zugleich ihre Glaubwürdigkeit und die des gesamten bisherigen EWU-Vertragswerks? Oder war die Aktion nur eine nette politische Geste an die italienischen Freunde, demnächst einen der zwei Italiener im EZB-Board zum Rückzug zu bewegen, damit ein Franzose beim Wechsel im Präsidentenamt der EZB in das Board kommt? Natürlich ist es eine gute, stabilisierende Spekulation. Schließlich wird die EZB diese Titel wieder möglichst schnell aus ihren Büchern bekommen – die Zweckgesellschaft EFSF ist schon lange im Aufbau und im 2/5 September wohl handlungsfähig. Was die Deutschen sagen? Können wir die nicht einfach vergessen? Und die deutsche Kanzlerin? Eine eiserne Lady? III. Doch. „Alle Finanzmärkte, alle Finanzmarktakteure und alle Finanzinstrumente müssen einer angemessenen Aufsicht und Regulierung unterworfen sein“ soll laut einer Handelszeitung die Kanzlerin gesagt haben. Man denkt unwillkürlich auch an unsere staatlichen Banken und ihre Geschäfte mit Zweckgesellschaften von Irland bis zu den Cayman Islands aber auch an die europäischen Politiker. Ein eiserner Grundsatz - für wahr. Neue Aufsichtsämter, Basel III, Bankenabgabe, EFSF usw. Aber was ist für wen angemessen? Was angemessen ist, bestimmen wir. Und was ist mit der EZB? Ist die gesetzlich fixierte Unabhängigkeit der EZB keine Regulierung bzw. zumindest keine angemessene (weil wir doch bei Italien schon wieder an einem Abgrund, nur einem noch tieferen stehen)? Oder ist es kein Finanzinstrument, ein Land über Jahre vom internationalen Kapitalmarkt zu nehmen? Oder ist der Aufkauf italienischer Anleihen durch die EZB kein Finanzinstrument? Naja, stöhnt möglicherweise der Physiker - schließlich werden durch den Aufkauf nur wahrscheinlich Verluste entstehen, die dann aber später erst zu finanzieren sind - über (fiskalische) Transfers. Junkerliche, tapfer bekennende Politiker sind aber überzeugt, daß es nur Garantien sind, sogar gewinnbringende Garantien. Und Garantien können unbegrenzt eingegangen werden, ohne das Rating zu beschädigen und die Zinskosten zu erhöhen. Ansonsten ist die EZB wohl ein genuiner Teil der Aufsicht selbst und so ohne Aufsicht? Die Parlamente? Nein, die EZB ist doch unabhängig. Ansonsten haben die nicht zuvor zuzustimmen oder vorab eine entsprechende Regel einstimmig zu beschließen. Es konnte doch niemand vorhersehen, eine Notsituation mit unmittelbarem Handlungsbedarf. Ist es nicht geradezu beispielhaft, dass es so einfach und pragmatisch geht? Vielleicht auch wieder nur zur Bodenhaftung: Glaubwürdigkeit und das Vertrauen einer Unternehmenspolitik wird auch darnach beurteilt, wie viele Aktien der Unternehmung der Vorstand selbst kauft und verkauft. Es dient der Vertrauensbildung. Wieviele nationale Anleihen halten eigentlich die Mitglieder der doch unabhängigen Zentralbanken und Regierungsmitglieder? Und wir diskutieren bei den Banken und Unternehmen deren Entlohnungsschema. Warum beispielsweise nicht auch bei Zentralbankern? Die Einhaltung parlamentarischer, also gesetzlicher Vorgaben und Verträge durch Vorstandsmitglieder sind überprüfbar. Der Prinzipal kann das Verhalten der Agenten ex post sehen – und wenn es keine rechtlich fixierten Ausnahmeklauseln gibt, so wie hier, dann sind keine Ausnahmen statthaft! Kann und sollte die Entlohnung nicht an die Einhaltung der Bestimmungen gebunden werden? IV. Wozu brauchen wir derartige Regeln oder gar das Einhalten von Regeln und gesetzlichen Bestimmungen? Keine Partei fordert sie ein – und das Verfassungsgericht auch nicht. Aber sind der Euro und die EWU nicht außer jeder Diskussion und ganz in Ordnung bzw. wahre Wunderwerke? Zugegeben vielleicht, die Vorbereitungen waren nicht ganz optimal. Da haben die Politiker wohl leider nur die Menschen nicht richtig mitgenommen und auch den Ökonomen nicht erklärt, was es bedeutet, wenn anstelle der Währungsunion als Krönung der Integration die Politik eine gemeinsame Währung als Motor der Integration institutionalisiert. Aber gerade in einem Land wie Deutschland, in dem die Autoindustrie als eine Schlüsselindustrie verstanden wird, hätte doch jedem klar sein müssen, daß selbst der beste Motor das Fahrzeug nur in den wettbewerbsfähigsten Raum bewegen kann, wenn die Räder zumindest annähernd gleich ausgewuchtet sind. 3/5 Das Rad Deutschland ist im Vergleich zu den Rädern Griechenland, Spanien und Italien einfach zu industrielastig. Europa führe doch schneller und besser, wenn Deutschland etwas um-industrialisiert (nicht de-industrialisiert) wird und bspw. die anderen Länder damit auf-industrialisiert (nicht re-industrialisiert) werden. Dazu eignet sich nach der jüngsten Meinung eines deutschen Politikers gerade die Energieversorgung. Ach ja, das alte, frühere Gerede von der Notwendigkeit der Energie- bzw. Versorgungssicherheit – furchtbar, daß Großkonzerne wie RWE oder E.ON oder EnBW daran geglaubt haben und z.T. langfristige Lieferverträge oder andere diesbezügliche Investitionen eingegangen sind. Eine rasche und totale Wende in der deutschen Energiepolitik ist notwendig, und Energieriesen benötigen wir so wenig wie private Großbanken. Also sollten wir den Energieimport Deutschlands drastisch steigern – bspw. aus Griechenland, Italien und Spanien? Eine Idee mit wahrhaft europäischer Dimension. Zwar wird Strom dann hier wiederum teuerer und das verfügbare reale Einkommen (insbesondere des sog. kleinen Mannes) wird sinken, aber wir bauen unsere Leistungsbilanzüberschüsse und unsere durch viele Reformen wieder erlangte Wettbewerbsfähigkeit dann wieder ab. Diese hat die Länder mit Leistungsbilanzdefiziten sowieso nur gestört und unter Druck gesetzt, schließlich haben sie doch gar nicht den mit der Öffnung und Liberalisierung der Märkte einhergehenden Wettbewerbsdruck haben wollen. Es ist doch selbstverständlich, daß wir voll funktionsfähige Anlagen vernichten werden müssen - aber das trifft doch nur die Unternehmen und Kapitalgeber und schafft neue Arbeitsplätze, genauso wie bei der vorzeitigen Verschrottung von Autos über die Abwrackprämie. Wir brauchen dann auch nicht so viele Off-Shore-Windräder und neue Stromleitungen – und unsere Arbeitslosenquote steigt nicht, sondern passt sich nur den Quoten in den anderen Ländern an. Es werden auch weder unser Rating sinken noch unser Zinssatz am internationalen Markt steigen – wir passen uns nur den anderen Ländern an. Wir sollten wie im Falle der Atomenergie, Verbundnetze und Versorgungssicherheit jetzt die Entwicklung der Windenergie und Photovoltaik fördern – ohne Diskriminierung, also egal wo, also auch in Spanien. Gibt es hier nach der Atomenergie nicht eine weitere Möglichkeit für eine geradezu vorbildliche Industriepolitik? Und mögliche Energieknappheiten oder Stromausfälle sind dann anderen Mitgliedern, vor allem aber den Spekulanten auf den Energiemärkten anzulasten – unabhängig davon, dass wir uns auch da nur den Ausfällen in anderen Ländern anpassen. Durch alle diese Anpassungen wird Europas Welt wieder kraftvoll und frühlingshaft. Dieser Traum ist einfach ein Angebot, welches wir nicht ausschlagen können - wir unterstützen unsere südeuropäischen Länder gerne. Dann wird Europa nicht nur wie die USA, sondern größer. Ein Finanzausgleich bzw. eine Transferund Haftungsunion ist dabei nur zu natürlich und doch wohl geradezu ein konstitutionelles Charakteristikum einer heilen Welt? Schließlich entspricht der gegenwärtige offizielle Nettobeitrag zur EU nur rd. 12 Mrd. Euro, also infolge des Multiplikatoreffektes doch nur eines unmittelbaren Verzichtes von rd. 20 Mrd. Euro (um die das BIP sonst größer wäre), wobei dieser Betrag Deutschlands allerdings bei einer intertemporalen Betrachtung unter Berücksichtigung von Wachstumseffekten um mehr als eine Null größer ist! Schon in der Krise, vor allem aber in der ausgebauten Transferunion darf dieser Betrag doch gerne das x-fache betragen. Oder? Stimmen nicht alle Ökonomen darin überein, daß wir sparen und unsere Schuldenquoten schnellstens reduzieren müssen? Die Bürger muß man einfach führen, denn wenn sie das schnelle Sparen nicht unterstützen und die dauerhaften Transferzahlungen nicht einsehen wollen, dann zerstören sie den Traum, verhindern sie den Erfolg unserer Argonauten. Jason fand doch auch das goldene Vlies! Hatte er aber am Ende nicht dennoch mehr verloren? Griechische Mystik, ein Mythos – egal was. Wir müssen vorwärts und können nur siegen. Welch Glück, dass wir uns jahrelang durch Reformen bemüht haben. Welch Glück sagt der Erzengel, dass wir Hartz IV, Steuererhöhungen, Leistungsminderungen, weniger Bildungsausgaben usw. durchgeführt oder 4/5 jetzt geplant haben. Auch das Gejammer auf hohem Niveau ist vorbei, natürlich zählte unser Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr zu den höchsten, aber warum wurde der Vergleich nicht an den niedrigeren ausgerichtet? Quantitatives Wachstum ist doch gar nicht erstrebenswert, sondern höchstens qualitatives. Immer mehr auf dem Konto macht gar nicht glücklich. Und daß wir pro Jahr rund 40 Tsd. Infektionen mit der sog. Krankenhauskrankheit bei über 1 Tsd. Toten mangels der Finanzierung einer angemessenen Hygiene haben, lässt sich leider nicht vermeiden. Auch vergessen wir bestimmt die sog. kleinen Leute und die sog. Mittelschicht nicht. Es mussten ihnen Opfer doch abverlangt werden und es werden weitere notwendig – aber auch für sie entsteht ein nachhaltiges Europa, auch sie werden und jeder Einzelne wird letztlich das güldene Licht noch sehen. Wilfried Fuhrmann Stand: 8.8.2011 5/5