Die Rolle der Psychotherapie bei Cyber

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Infobrief Schulpsychologie BW
Jan 2015, Nummer 15-1
DIE ROLLE DER PSYCHOTHERAPIE BEI BULLYING/CYBERBULLYING
Nina Spröber, Universitätsklinikum Ulm; nina.sproeber[at]uniklinik-ulm.de
ABSTRACT
Viele Schüler sind in unterschiedlichen Rollen (Opfer, Täter,
Täter- Opfer, Verstärker des Täters/ der Täter, Helfer des Opfers/
der Opfer) in Cyberbullying/Bullying involviert. Zwischen dem
Vorkommen von psychischen Störungen und Cyberbullying/Bullying besteht ein bidirektionaler Zusammenhang:
Psychische Erkrankungen können sowohl Ursache als auch
direkte Folge von Cyberbullying/Bullying sein. Familiäre und
persönliche Faktoren moderieren den Zusammenhang, die
Wahrscheinlichkeit von Chronifizierungen und das Anwenden
unterschiedlicher Lösungsstrategien. Schwerpunkt der Interventionen bei Kindern und Jugendlichen lag in Deutschland bislang
bei schulbasierten Interventionsansätzen. Die Wirksamkeit
dieser Ansätze kann gesteigert werden, wenn individuelle Maßnahmen für Opfer, Täter und Täter-Opfer ergänzend durchgeführt werden. Zu denken ist hierbei an eine Kinder- und Jugendpsychotherapie, die von den Sorgeberechtigten, den Kindern und
Jugendlichen bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung in
Anspruch genommen werden kann. Nach der Diagnostik- und
Probatorikphase, in der individuelle Probleme und Ressourcen in
den unterschiedlichen Lebensbereichen erhoben und ein individuelles Entstehungs- und Aufrechterhaltungsmodell der Problematik erarbeitet wird, werden störungs- und cyberbulling- und
bullyingspezifische Ziele für die Behandlung festgelegt. Im
Zusammenhang mit Cyberbullying/Bullying ergeben sich für die
Therapie mit Kindern/ Jugendlichen in der Rolle als Opfer,
Täter, Täter- Opfer und ihren Bezugspersonen folgende Schwerpunkte: Psychoedukation, Steigerung des Wissens über Rechtliche Grundlagen, Herstellen von „Sicherheit“/ Reduktion von
Krisen, Verbesserung des Selbstwertes, Veränderung dysfunktionaler Kognitionen, Verbesserung der sozialen Kompetenzen,
Verbesserung des Erziehungs- Kommunikations- und Problemlöseverhaltens im familiären Rahmen, ggf. Unterstützung der
Familie durch das Jugendamt. Eine zentrale Rolle spielt die
Kontaktaufnahme/ Zusammenarbeit mit der Schule in enger
Kooperation mit der lokalen schulpsychologischen Beratungsstelle. In Deutschland besteht noch Bedarf an einer verbesserten
Ausbildung von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten zu der
Thematik.
EINLEITUNG
Das Vorkommen von Bullying/ Cyberbullying stellt ein häufiges
Problem an deutschen Schulen dar, ca. 5 – 9 % der Schüler
schikanieren andere regelmäßig, 5 bis 11% schätzen sich als
„andauernde Opfer“, 2 – 3 % als Täter-Opfer ein (Scheithauer,
2006). Etwas geringere Prävalenzzahlen – 5 % für Cyberopfer,
4% für Cybertäter – finden sich für das Vorkommen von Cyberbullying (vgl. Riebel et al., 2009), wobei die Gruppen der Täter/
Opfer/ Täter-Opfer in der realen und in der virtuellen Welt sich
teilweise überlappen. Bei Bullying/Cyberbullying handelt es sich
um ein Gruppengeschehen, in der überwiegenden Anzahl der
Bullying-/Cyberbullyingfälle sind Mitschüler (real oder virtuell)
anwesend und beeinflussen bewusst oder unbewusst – als Beobachter/ Außenstehende, Helfer/ Verstärker der Täter, Verteidi-
Psychotherapie bei (Cyber-)Bullying
ger des Opfers - das Auftreten der Schikanen (Salmivalli et al.,
2010).
Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es grundsätzlich wichtig, dass sie lernen, Konflikte wahrzunehmen,
unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, Konfliktlösungen
zu antizipieren, durchzuführen, deren Erfolg zu bewerten und
ihre Konfliktlösekompetenzen zu modifizieren, bzw. weiter zu
festigen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Konfliktparteien
ähnlich „stark“ und zeitnahe Lösungen möglich sind. Da es sich
bei Bullying/Cyberbullying im Gegensatz zu entwicklungsfördernden Konflikten jedoch um wiederholte, zielgerichtete,
langandauernde Aggressionen (verbal/ non-verbal, direkt/ indirekt) handelt und ein physisches oder psychisches (z.B. das/ die
Opfer haben keine Freunde, ist/ sind emotional labil) Ungleichgewicht zwischen Täter und Opfer, bzw. der Gruppe der Täter/
der Opfer besteht (z.B. Olweus, 1994), fühlen sich viktimisierte
Schüler häufig deutlich psychisch belastet. Viele Studien haben
sich mit dem Zusammenhang zwischen Bullying und psychischen Störungen – sowohl als Ursache wie auch als Folge von
Bullying – beschäftigt, Cyberbullying wurde bisher eher selten
berücksichtigt.
RISIKOFAKTOREN FÜR UND FOLGEN VON
BULLYING
Die Ergebnisse der Studien weisen darauf hin, dass das Vorliegen bestimmter Eigenschaften oder Verhaltensweisen/-stile das
Auftreten von Bullying (z.B. Sourounder et al., 2009) begünstigt: Kinder/ Jugendliche, die sich schüchtern, unsicher verhalten, rasch emotional reagieren und die Schwierigkeiten haben,
emotionale und soziale Situationen adäquat zu verstehen (Camodeca, Goossens, Schuengel, & Terwogt, 2003; Woods et al.,
2009), haben eine höheres Risiko, Opfer von Bullying zu werden. Täter-Opfer tendieren dazu, verstärkt aggressive Verhaltensweisen zu zeigen, sich schnell zu ärgern und werden im
familiären Rahmen häufig von ihren Geschwistern schikaniert
(Wolke et al., 2012). Neuere Studien konnten jedoch auch
zeigen, dass Bullying – ganz unabhängig von Vorbedingungen –
psychische Belastungen und Störungen verursachen kann. Methodisch am aussagekräftigsten zur Überprüfung dieses direkten
Zusammenhangs zwischen Bullying/Cyberbullying und psychischen Erkrankungen sind prospektiv angelegte Langzeitstudien
wie die Great Smoky Montain Studie (Wolke, Copland, Angold
& Costello, 2013), die an dieser Stelle exemplarisch dargestellt
werden soll. In dieser Studie wurden im Jahre 1994 n = 1.420
Kinder und Jugendliche (49% weiblich) und deren Bezugspersonen zunächst im Alter von 9, 11 und 13 Jahren interviewt. Bis
zum 16. Lebensjahr folgten jährliche Interviews, dann ab dem
19. Lebensjahr jedes zweite Jahr bis zum 26. Lebensjahr. Als
Vorbedingungen wurden psychische Erkrankungen zum ersten
Erhebungstermin und erschwerende Lebensumstände (geringer
sozioökonomischer Status, Misshandlung/ Missbrauch/ Verwahrlosung, dysfunktionale und instabile familiäre Strukturen)
berücksichtigt. Als Resultat der Langzeitstudie konnte gezeigt
werden, dass das Vorkommen von Bullying – egal in welcher
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Rolle – zu einer geringeren körperlichen und psychischen Gesundheit, zu finanziellen Einschränkungen und sozialen und
verhaltensmäßigen Problemen führt. Allerdings werden die
Zusammenhänge für die Gruppe der Täter nicht mehr statistisch
signifikant, wenn die Vorbedingungen in die Berechnungen
einbezogen werden; für Opfer und Täter-Opfer hingegen beeinflusst Bullying die Entwicklung unabhängig von den Vorbedingungen negativ. Die negativen Entwicklungen von Opfern und
Täter-Opfern sind dann besonders ungünstig, wenn die Schikanen über einen langen Zeitraum, teilweise über viele Schuljahre
andauern, man spricht dann von sog. „chronischen“ Opfern,
bzw. Täter-Opfern. Gelingt es einem Kind/ Jugendlichen die
Schikanen nach kürzerer Zeit zu beenden, so entwickeln sich
diese Kinder nicht wesentlich unterschiedlich von Kindern/
Jugendlichen, die nicht viktimisiert werden. Bereits bestehende
Anpassungsprobleme, sozioökonomische Nachteile und wenig
Wärme in der Erziehung erhöhen das Risiko für solche Chronifizierungen (Bowes et al., 2013). Teilweise kann auch ein Wechsel der Rollen über die Zeit hinweg festgestellt werden: Chronifizierte Opfer, die aus eher deprivierten Familien stammen,
Probleme in der Gefühlsregulation und der Stressverarbeitung
aufweisen und psychische Probleme haben, bzw. entwickeln,
zeigen ein erhöhtes Risiko, selbst Täterverhalten zu zeigen
(Bowes et al., 2013).
Deutlich wurde, dass das Vorliegen psychischer Störungen und
ungünstiger familiärer Strukturen das Auftreten von Viktimisierungen und Bullying begünstigt und dessen Verlauf (Chronifizierung, Wechsel der Rollen) beeinflusst, dass aber Viktimisierungen auch ganz direkt psychische Störungen verursachen
können.
Als spezifische psychische Erkrankungen im Zusammenhang
mit Bullying/Cyberbullying spielen vor allem soziale und allgemeine Ängste, Depressionen, Somatisierungsstörungen und
Belastungsreaktionen, im Falle der Opfer- Täter auch Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen eine wesentliche Rolle.
In der allgemeinen Psychotraumatologie hat das Vorkommen
von Bullying (in neuerer Zeit auch Cyberbullying) bereits vor
zwei Jahrzehnten Eingang gefunden (z.B. Fischer & Riedesser,
1998) und wird dort als „chronischer und kumulativer Stressfaktor“ benannt. Für den Erwachsenenbereich, bzw. im Zusammenhang mit der Arbeitswelt wurde der Begriff des „MobbingSyndroms“ festgelegt. Die Folgen von Bullying/Cyberbullying
werden in verschiedene Stadien eingeteilt und bestimmten
psychischen Erkrankungen zugeordnet:
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•
Stadium 1 Akute Belastungsreaktion (ICD 10 F 43.0)
Stadium 2 „Kumulative“ traumatische Belastungsstörung
(ICD 10 F 43.9)
Stadium 3 Posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F
43.1)
Stadium 4 Andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung (ICD 10 F 62.0)
Die Diagnostik und Behandlung dieser psychischen Erkrankungen erfolgt in der Psychotherapie durch ärztliche oder psychotherapeutische Fachpersonen.
SCHULBASIERTE INTERVENTIONEN
Im Kindes- und Jugendbereich lag bisher der Schwerpunkt der
Interventionen bei Bullying/Cyberbullying auf schulbasierten
Ansätzen (z.B. Entwicklung einer School Policy, positives
Psychotherapie bei (Cyber-)Bullying
Klassenmanagement, Veränderung des Schulklimas, verstärkte
Aufsicht, Festlegung von klaren Regeln und Konsequenzen). Im
deutschsprachigen Raum liegen verschiedene schulbasierte
Programme vor, die sowohl Präventions- wie auch Interventionsstrategien enthalten (z.B. Scheithauer & Bull, 2010; Schultze-Krumbholtz et al., 2012) und verschiedene Personengruppen
– bei ProACT + E (Spröber, Schlottke & Hautzinger, 2008) auch
die Eltern – aktiv einbeziehen.
In einzelnen Wirksamkeitsstudien wurden positive Veränderungen durch das Durchführen der Schulprogramme festgestellt. Die
Ergebnisse von Meta-Analysen (Merrell, Gueldner, Ross &
Isava, 2008; Smith et al, 2004) weisen darauf hin, dass solche
schulbasierten Programme allgemein die sozialen Kompetenzen,
den Selbstwert und die Peerakzeptanz von Schülern fördern und
sich bei Lehrkräften das Wissen über Bullying/Cyberbullying
und die Fertigkeiten verbessern, Maßnahmen zur Reduktion von
Bullying/Cyberbullying umzusetzen. Allerdings gelingt es
weniger deutlich, die Teilnahme von Schülern an Bullying/Cyberbullying in der einen oder anderen Rolle zu reduzieren. Darüber hinaus konnte in den Meta-Analysen nur für einen
Teil der berücksichtigten Studien - in der Meta-Analyse von
Merrell et al. (2008) nur für ein Drittel der N = 16 integrierten
Studien - deutliche signifikant positive Effekte festgestellt
werden, bei einem überwiegenden Teil fallen die Ergebnisse zur
Wirksamkeit eher gering, in einzelnen Fällen sogar negativ aus
(Smith et al., 2004). Abhängig sind diese Ergebnisse natürlich
davon, wie intensiv, kontinuierlich, konsistent und langfristig die
geschulten Maßnahmen durchgeführt werden. Die schulbasierten, auf Gruppen ausgerichteten Programme genügen allerdings
nicht, um psychische Belastungen und Erkrankungen Einzelner,
das damit verbundene Leiden und die Funktionseinschränkungen
im Alltag zu reduzieren. In vielen der schulbasierten Programmen werden deshalb für die involvierten Kinder (Opfer, Täter,
Täter-Opfer) Individualmaßnahmen, z.B. in Form einer Beratung
oder Psychotherapie empfohlen.
PSYCHOTHERAPIE IM KONTEXT VON BULLYING
Die Aufnahme einer Psychotherapie im Zusammenhang mit
Bullying/Cyberbullying kann zwar von Lehrkräften, Schulpsychologen, Beratungslehrern, Sozialarbeitern Schülern und deren
Sorgeberechtigten empfohlen werden, die Sorgeberechtigten
müssen jedoch selbständig Kontakt zu Institutionen oder niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten herstellen.
Während schulbasierte Interventionen mit wenigen Ausnahmen
über die Schule/ das Regierungspräsidium/ das Kultusministerium bzw. die Schulverwaltung implementiert und finanziert
werden und eine schulpsychologische Beratung in BadenWürttemberg kostenfrei in Anspruch genommen werden kann,
handelt es sich bei einer von approbierten Psychotherapeuten
durchgeführten Psychotherapie (anerkannte Verfahren: Kognitive Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Psychoanalyse) um
eine Krankenkassenleistung nach SGB V. Unter Psychotherapie
versteht man einen bewussten und geplanten interaktionellen
Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus für behandlungsbedürftig gehalten werden und mit psychologischen Mitteln in Richtung eines definierten, nach Möglichkeit gemeinsam (mit Kind/
Jugendlichen, Sorgeberechtigten, Psychotherapeuten) erarbeiteten Ziels mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie
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des normalen und pathologischen Verhaltens (nach Mattejat,
2007) durchgeführt werden. Im Rahmen der Diagnostik- und
Probatorikphase verschafft sich der Psychotherapeut mit Hilfe
von Explorationen, Fragebogenverfahren, Testdiagnostik zunächst einen Überblick über die Problematik/ Symptomatik, aber
auch Ressourcen des Patienten in verschiedenen Lebensbereichen, dessen Entwicklungsstand, seine Lebensumstände und das
Vorliegen eines oder mehrerer psychischer Krankheitsbilder.
Hier erfolgt – unter der Voraussetzung der Zustimmung der
Sorgeberechtigten und des Patienten, da der Psychotherapeut der
Schweigepflicht unterliegt – eine erste Kontaktaufnahme mit
Lehrkräften oder anderen relevanten Akteuren im Schulsystem,
um Informationen über das Verhalten, Stärken und Probleme des
Patienten im schulischen Bereich zu erhalten. Eine solche
Kontaktaufnahme und Informationserhebung spielt natürlich im
Zusammenhang mit dem Vorkommen von Bullying/ Cyberbullying eine zentrale Rolle. Folgende Fragen sollte der Kinder- und
Jugendpsychotherapeut am Ende der Diagnostik- und Probatorikphase beantworten können:
•
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•
•
Liegt Bullying/Cyberbullying vor oder handelt es sich um
entwicklungsfördernde Konflikte?
Können prädisponierende Faktoren beim Kind/ Jugendlichen oder in der Umgebung (Familie, Schule, Vereine)
festgestellt werden, die das Auftreten von Bullying/Cyberbullying begünstigen?
Welche Auswirkungen hat das Bullying/ Cyberbullying
auf die Entwicklung des Selbstwertes, der sozialen und
emotionalen Kompetenzen, der Problem- und Konfliktlösefertigkeiten, der Peerakzeptanz, der Einstellungen/
Kognitionen, der Umgebungsfaktoren (z.B. Beziehung
zwischen Kind/ Jugendlichem und Eltern)?
Wie kann die Entstehung und Aufrechterhaltung der eingangs geschilderten Problematik (Bullying/Cyberbullying,
weitere problematische Verhaltensweisen) erklärt werden?
Welche Änderungsversuche wurden bereits unternommen? Mit welchem Erfolg?
Die Durchführung einer Psychotherapie kann dann bei der
Krankenkasse beantragt werden, wenn beim Kind/ Jugendlichen
ein behandlungsbedürftiges psychisches Krankheitsbild (z.B.
eine depressive Episode, eine soziale Phobie, eine Posttraumatische Belastungsstörung) diagnostiziert wurde. Bei Selbstbehauptungstrainings, Stressbewältigungsverfahren, Entspannungsverfahren handelt es sich um keine Krankenbehandlungen.
Kognitive Verhaltenstherapie. Am Beispiel der Kognitiven
Verhaltenstherapie, für die im Kindes- und Jugendalter gute
Wirksamkeitsnachweise vorliegen, sollen relevante Inhalte der
psychotherapeutischen Behandlung bei dem Vorliegen von
psychischen Störungen im konkreten Zusammenhang mit Bullying/Cyberbullying skizziert werden. Folgende Bausteine
sollten – zusätzlich zu den störungsspezifischen – durchgeführt
werden:
•
•
Psychoedukation über Bullying/Cyberbullying und die
vorliegenden psychischen Störungsbilder.
Da es sich bei Bullying/Cyberbullying aus Sicht der Opfer/ Täter-Opfer um einen akuten oder chronischen Stressfaktor handelt, ist es zunächst wichtig, mit dem Patient/
den Sorgeberechtigten/ anderen relevanten Personen wie
Lehrkräften/ Sozialarbeitern nach Möglichkeiten zu su-
Psychotherapie bei (Cyber-)Bullying
•
•
•
•
chen, akute Stresssituationen zu reduzieren (z.B. Lehrkraft achtet verstärkt darauf, dass Schüler bei Gruppenarbeiten integriert wird, Kind hält sich im Pausenhof an beaufsichtigten Orten auf); hier könnte ggfs. auch die örtliche schulpsychologische Beratungsstelle unterstützend tätig werden. Teilweise – vor allem z.B. bei körperlichen
Übergriffen, Erpressung, Sachbeschädigungen, Verleumdungen – muss gewährleistet werden, dass das Kind/ der
Jugendliche sich wieder einigermaßen „sicher“ fühlt, bzw.
keine akute Gefahr droht.
Information über rechtliche Möglichkeiten beim Vorkommen von Bullying/Cyberbullying (z.B. Anzeige wegen Körperverletzung, Verleumdung/ übler Nachrede);
hierbei sollten mit dem Patienten und den Sorgeberechtigten mögliche Vor- und Nachteile des Rechtswegs für die
individuelle Situation des Opfers besprochen werden; keinesfalls sollte überstürzt gehandelt werden, wichtig ist es
jedoch aggressive Verhaltensweisen, bzw. Bullying/Cyberbullyingvorfälle zu dokumentieren (bei Cyberbullying z.B. durch Screenshots, Bullyingtagebuch), damit
ggf. zu einem späteren Zeitpunkt Kontakt mit der Polizei
aufgenommen werden kann. Täter sollten über die rechtlichen Konsequenzen von Bullying/Cyberbullying Bescheid wissen.
Veränderung des Selbstwertes (bei Opfern z.B. durch
Erfolgstagebücher, Aufbau positiver Aktivitäten, Ausbau
des sozialen Netzes, Integration der Bullying/Cyberbullyingvorfälle in das Selbstbild; bei Tätern Analyse der Rolle des Bullying/Cyberbullyings für das
Selbstbild)
Veränderung dysfunktionaler Kognitionen (bei Opfern
z.B. Reduktion von Schuldgefühlen durch Verdeutlichung
der gruppendynamischen Prozesse bei Bullying/Cyberbullying, positive Sicht der Zukunft, Abbau
von Schamgefühlen, irrationalen Ängsten, die teilweise
verhindern, dass Kinder/ Jugendliche sich Erwachsenen
gegenüber öffnen und Hilfe holen; bei Tätern Reduktion
von Gewaltbereitschaft/ positiver Einstellung zu Aggressionen)
Verbesserung sozialer Kompetenzen (bei Opfern z.B.
klare Grenzsetzungen, sicheres, „cooles“ Auftreten, Einfordern von Unterstützung, Aufbau von Freundschaften;
bei Tätern Förderung der Empathiefähigkeit, Konfliktlösefertigkeiten, Erkennen von Signalen von Interaktionspartnern)
In der Arbeit mit den Bezugspersonen sind folgende Inhalte
zentral:
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Psychoedukation
Steigerung Wissen über Bullying/Cyberbullying
Förderung eines positiven, unterstützenden, wertschätzenden Erziehungsverhaltens
Förderung der Kommunikation über Bullying/Cyberbullying
Entwickeln gemeinsamer Konfliktlöseprozesse
Unterstützung in der Kommunikation mit den Lehrkräften/ Sozialarbeitern/ der Schulleitung (Eltern sollten verhaltensnahe Beobachtungen schriftlich festlegen, kontinuierlich Kontakt halten, konkrete Absprachen treffen und
Entwicklungen regelmäßig besprechen)
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Vernetzung. Teilweise werden Sorgeberechtigte im Rahmen der
Kinder- und Jugendpsychotherapie darin unterstützt, beim
Jugendamt Hilfen zur Erziehung nach SGB VIII (z.B. in Form
einer sozialpädagogischen Familienhilfe, Erziehungsbeistand) zu
beantragen.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich der Psychotherapeut (bei
vorliegender Schweigepflichtentbindung) mit den zuständigen
Personen der Schule/ der schulpsychologischen Beratungsstelle
austauscht, um schulbasierte Maßnahmen und individuelle
Interventionen optimal aufeinander abzustimmen.
Obwohl eine individuelle Psychotherapie für an Bullying/Cyberbullying beteiligte Personen einen wichtigen Beitrag
zur Leidensreduktion und Aufbau hilfreicher Verhaltensweisen
führen kann, besteht zum derzeitigen Stand in Deutschland bei
Kinder- und Jugendpsychotherapeuten noch ein Bedarf an
bullying-/cyberbullyingspezifischem Wissen für die Psychotherapie. So ist Bullying/Cyberbullying kaum Bestandteil der
Curricula in der Psychotherapieausbildung, in Behandlungsmanualen ist die Thematik Bullying/Cyberbullying so gut wie gar
nicht enthalten. Im englischsprachigen Raum gibt es bereits ein
Behandlungsmanual (CBT) für Jugendliche im Zusammenhang
mit Bullying (Lohmann, 2013).
Insgesamt ist festzuhalten, dass eine engmaschige Zusammenarbeit zwischen Schule, Elternhaus, Schulpsychologie und Psychotherapie besonders erfolgversprechend ist für eine wirkungsvolle
und andauernde Reduktion von Bullying/Cyberbullying und
einer Veränderung der Rollen, die Schüler in diesem gruppendynamischen Geschehen einnehmen und die – wenn unbehandelt –
einen negativen Einfluss auf ihre Entwicklung nehmen können.
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