Grüne Gentechnik: Wettbewerbsnachteile abwenden, Welternährung sichern! (Stand: Mai 2011) In Deutschland sind die Bedenken gegen den Anbau gentechnisch veränderter agrarischer Rohstoffe groß. In der öffentlichen Debatte, die überwiegend durch eine ausgeprägte Technologie- und Fortschrittsfeindlichkeit gekennzeichnet ist, spielen wissenschaftliche Argumente so gut wie keine Rolle mehr. Völlig außer Acht gelassen wird, dass mit Hilfe der Gentechnik veränderte Pflanzen in Zukunft einen signifikanten Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten können. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die weltweite Nahrungsmittelproduktion bis 2050 verdoppelt werden muss, um die bis dahin auf mehr als neun Milliarden Menschen angewachsene Weltbevölkerung bei stetig rückläufiger landwirtschaftlicher Nutzfläche zu ernähren. Diese Aufgabe stellt die Landwirtschaft weltweit vor große Herausforderungen. Eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln wird nur dann zu gewährleisten sein, wenn alle Möglichkeiten zur Steigerung der Flächenproduktivität genutzt werden. Zudem muss dort, wo es nachhaltig möglich ist, ein Teil des bisher nicht genutzten Ackerlandes für die Agrarproduktion herangezogen werden. Dies gilt vor allem auch, weil in zunehmendem Maße fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzt werden müssen. Neben den großen Agrarerzeugerländern in Nord- und Südamerika setzen deshalb auch immer mehr Entwicklungs- und Schwellenländer wie Indien und China auf die Grüne Gentechnik. Dies wird sehr deutlich an der kontinuierlich steigenden Zahl gentechnisch veränderter Pflanzensorten, die bereits außerhalb der Europäischen Union kommerziell angebaut bzw. in den nächsten Jahren zur Aussaat kommen werden. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels ist eine sorgfältige und ideologiefreie Prüfung der Chancen der Grünen Gentechnik notwendig. Sollten Deutschland und die Europäische Union die Ausweitung des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen innerhalb der Gemeinschaft weiterhin verzögern bzw. blockieren, wird dies mittelfristig nicht nur zu massiven Wettbewerbsnachteilen und einer Einschränkung der Versorgungssicherheit mit agrarischen Rohstoffen führen, sondern auch die Lebenshaltung kräftig verteuern. Darüber hinaus ist die Europäische Union auf den Import von Futtermittelrohstoffen angewiesen, bei denen die Exportländer zum überwiegenden Teil auf gentechnisch veränderte Pflanzen setzen. Auch eine Reihe von Lebensmittelrohstoffen muss importiert werden, weil ihr Anbau in der Europäischen Union zum Teil gar nicht möglich ist. Heimische Alternativen zum Ersatz von beispielsweise importierten gentechnisch veränderten Sojabohnen und Sojaprodukten sind angesichts des Defizits an Proteinpflanzen in der Europäischen Union nicht vorhanden. Die bestehende “Nulltoleranz“ gegenüber gentechnisch veränderten Organismen (GVO), die außerhalb der Europäischen Union nach einem wissenschaftsbasierten Genehmigungsverfahren zugelassen sind und kommerziell angebaut werden, aber in der Gemeinschaft noch nicht für den Import zugelassen sind, drohen mittelfristig massive Wettbewerbsnachteile für die europäische Lebensmittel- und Veredelungswirtschaft. Vermischungen der Importware mit Spuren noch nicht zugelassener GVO können auf dem Weltmarkt auch bei größter Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden. Die Importeure sehen sich daher zunehmend mit Importschwierigkeiten und –ausfällen konfrontiert. Allein der Wegfall von Maiskleberfutter aus den USA infolge fehlender EUZulassung schlug 2007/08 mit Substitutionskosten von rund 850 Mio. Euro zu Buche. Das Beispiel der Funde nicht in der Europäischen Union zugelassener Leinsaat im Jahr 2010 zeigt, dass u. a. wegen fehlender Analysemethoden kein Unternehmen in der Europäischen Union Vorsorge treffen konnte. Obwohl zu keiner Zeit ein gesundheitliches Risiko bestand, sind viele Betriebe der Öl- und Getreidemüllerei, der Backzutatenhersteller, des Backgewerbes, der Futtermittelwirtschaft und des Lebensmittelhandels betroffen. Sie mussten hunderttausende von Tonnen gesundheitlich unbedenklicher Rohstoffe zurückrufen und vernichten. Die entstandenen finanziellen Schäden sind noch nicht abschließend bewertet, belaufen sich aber allein im Lebensmittelbereich auf mindestens 50 Millionen Euro. Dabei war die behördliche Vorgehensweise sowohl in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten als auch in den einzelnen Bundesländern höchst unterschiedlich, was zu massiven Wettbewerbsverzerrungen und wirtschaftlichen Nachteilen insbesondere für die mittelständischen Unternehmen der Lebensmittelbranche geführt hat. Der europäische Rechtsrahmen muss daher in Abkehr von der Nulltoleranz-Regelung dringend an die technischen Möglichkeiten angepasst werden. Mit dem Vorschlag für eine „technische Lösung“ für Bestandteile noch nicht abschließend genehmigter GVO in Futtermitteln hat der europäische Gesetzgeber bereits anerkannt, dass uneinheitliche Analysemethoden zu erheblicher Rechtsunsicherheit für die Wirtschaftsbeteiligten führen. Die technische Lösung gibt einheitliche Standards für die Probenahme, den Nachweis und die Ergebnisinterpretation vor und berücksichtigt die technische Nachweisgrenze von 0,1 Prozent. Die Argumentation und Begründung der EU-Kommission gilt im Grundsatz auch für Lebensmittel und Saatgut, wo die derzeitige Praxis zu größter Rechtsunsicherheit führt. Zudem muss die Zulassungspolitik für GVO innerhalb der Europäischen Union von politisch motivierten Verzögerungen befreit und auf eine rein wissenschaftliche Basis gestellt werden. Nur so kann das gemeinschaftliche Verfahren der weltweiten Entwicklung bei der kommerziellen Nutzung der Grünen Gentechnik gerecht werden, so dass zukünftig Versorgungsengpässe bei nicht ersetzbaren Rohstoffen vermieden werden können. Der Grain Club fordert, dass der Prozess der GVO-Zulassung ausschließlich auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt und weitere Verzögerungen innerhalb der für die Zulassung zuständigen gemeinschaftlichen Gremien vermieden werden. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, sich auf Gemeinschaftsebene nach Schweizer Vorbild für die Einführung eines Toleranzwertes von 0,5 Prozent für diejenigen GVO in Lebens- und Futtermitteln einzusetzen, die in Drittländern bereits kommerziell genutzt werden und damit auch eine behördliche Sicherheitsprüfung mit positivem Urteil durchlaufen haben. Als ersten Schritt in diese Richtung hält der Grain Club für Futtermittel, Lebensmittel und Saatgut die Verabschiedung einer „technischen Lösung“ für unerlässlich, im Rahmen derer gemeinschaftsweit Probenahme- und Analyseverfahren verbindlich festgelegt werden, um verlässliche und reproduzierbare Ergebnisse oberhalb der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent GVO-Anteil zu ermöglichen.