audiTs als WErKzEugE

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Nummer 48 / Dezember 2010
Newsletter für transfusionsmedizinische Forschung und Praxis
INHALT
D Audits als Werkzeuge
D Interview mit Stephan Aberle: „Mobilität der Viren“
D
D Kongressbericht: Jahrestagung Motivation zur Blutspende
Audits als Werkzeuge
Kontinuierliche Verbesserungsprozesse in der Blutspendezentrale.
D
ie Blutspendezentrale für Wien,
Niederösterreich und Burgen­
land ist gemäß §63 des Arznei­
mittelgesetzes (AMG) für das Herstel­
len, Inverkehrbringen und die Kontrol­
le von Arzneimitteln sowie nach dem
Wiener Krankenanstaltengesetz als
Krankenanstalt bewilligt. Damit sind
KOmmentar
N
Daniela Klemencic
DÖSGHO, Berlin Oktober 2010
Fotos: Michael Appelt, Nadja Meister
P.b.b. Verlagspostamt 1040 Wien; Zulassungsnummer 04Z035388 M
für uns alle Bestimmungen dieser Ge­
setze, der damit verbundenen Verord­
nungen (z. B. Arzneimittelbetriebsord­
nung; AMBO) und die weiterführenden
in den Gesetzen verankerten Richt­
linien der „Guten Herstellungspraxis“
(Good Manufacturing Practice; GMP)
und „Guten Vertriebspraxis“ (Good Dis­
tribution Practice; GDP) anzuwenden.
Für Blutspendedienste als spezielle
Form des pharmazeutischen Herstel­
lungsbetriebes gelten aber auch
sämtliche einschlägigen Gesetze wie
z. B. das Blutsicherheitsgesetz, die Blut­
spenderverordnung, die Hämovigilanz­
verordnung und eine Vielzahl
Fortsetzung auf S. 2
k
bezahlt oder belohnt? Wolfgang R. Mayr
icht nur mit den vier jährlichen Ausgaben von
blut.at wollen wir Sie über aktuelle Entwick­
lungen in der Transfusionsmedizin informieren.
Sie finden uns auch online jeden Monat neu auf
www.blut.at unter „Forschung aktuell“ mit einem
Review über aktuelle Artikel aus der Fachpresse.
Den November-Artikel ist in diesem blut.at abge­
druckt und berichtet von neuen Erkenntnissen zur
Blutspendermotivation. Für uns von der Blutspende­
zentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland
ist das ein wesentliches Thema: Sollen Menschen für
ihre Blutspende bezahlt werden – oder belohnt wer­
den mit dem guten Gefühl, geholfen zu haben?
Die Wissenschaft kommt zu der Erkenntnis: Die
freiwillige, unbezahlte Blutspende ist auch die si­
cherste. Deshalb darf Blut nicht zur Ware werden.
Das ist nicht nur die Haltung des Roten Kreuzes, das
ist auch die Meinung der WHO.
1
Titelgeschichte
weiterer Regulative.1) Darüber
hinaus besteht seit mittlerweile zwölf
Jahren eine aufrechte Zertifizierung
nach der ISO-9001-Norm.
Für ein so „vielgestaltiges“ Unterneh­
men stehen jährlich verschiedenste
Überprüfungen auf dem Plan oder wer­
den im Anlassfall durchgeführt.
Als Audit (lat. audire; audit: hören; er/
sie/es hört) werden Untersuchungs­
verfahren bezeichnet, die dazu dienen,
eine Bewertung der Erfüllung von
Anforderungen und Richtlinien vorzu­
nehmen. Inspektionen, Einschauen, Be­
gehungen und Betriebsüberprüfungen
werden von Behörden zur Überprüfung
der Einhaltung der gesetzlichen Be­
stimmungen durchgeführt und sind
somit „Behördenaudits“.
k
interne audits (1st Party Audits) werden
von zum Auditor geschulten Mitarbei­
tern der Organisation (meist des Quali­
tätsmanagements) durchgeführt und
dienen der Selbstüberprüfung.
Im Rahmen der Selbstinspektion
wird mit den Verantwortlichen der je­
weiligen Fachbereiche, aber auch durch
stichprobenartige Befragungen der
Mitarbeiter die Einhaltung aller auf das
Unternehmen anwendbaren Gesetze,
Regelwerke und Normen sowie die Um­
setzung und Wirksamkeit der in voran­
gegangenen internen und externen
Audits vereinbarten Maßnahmen über­
prüft und gemeinsam Verbesserungs­
potenziale erhoben.
Die Verpflichtung zur Durchführung
interner Audits in geplanten, regelmä­
ßigen Abständen ist im Punkt 8.2.2 der
ISO 9001:2008 festgelegt. Im Regelwerk
der Arzneimittelbetriebsordnung ist
die Durchführung interner Audits als
„Verpflichtung zur Selbstinspektion“ im
§5 (11) enthalten. Auch hier ist eine re­
gelmäßige Durchführung nach einem
zuvor geplanten Programm gefordert
und wie bei internen Audits soll die
Durchführung nach der ISO-9001-Norm
aufgezeichnet und erforderlichenfalls
Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen
eingeleitet werden.
2
Nr. 48 / Dezember 2010
Fotos: Michael Appelt (3), Nadja Meister (2), ÖRK/Anna Stöcher
Interne/externe Audits
Bis zur Lieferung in die Spitäler ist es ein weiter Weg: Stationen der Blutverarbeitung
Bei externen audits unterscheidet man
zwischen Lieferantenaudits und Zerti­
fizierungs-/Behördenaudits.
lieferantenaudits (2nd Party Audits)
werden von bestimmten Mitarbeitern
einer Organisation durchgeführt, um
einen Lieferanten zu evaluieren, in
regelmäßigen Abständen zu qualifizie­
ren oder aber im Anlassfall eine be­
stimmte Problematik vor Ort zu klären
und eine Verbesserung der Situation zu
erzielen.
3rd Party Audits
Das klassische 3rd Party Audit ist hinge­
gen das audit der iso-zertifizierungsgesellschaft – jährlich zur Überwachung
und alle drei Jahre zur Rezertifizierung.
behördenaudits sind ebenfalls 3rd Par­ty
Audits, werden aber von verschie­denen
Behörden auf der Basis der verschie­
denen gesetzlichen Anforderun­gen
durchgeführt:
Routinemäßige Audits der AGES
PharmMed (Österreichische Agentur
für Gesundheit und Ernährungssicher­
heit GmbH), die gemäß AMG §67 (2) für
Betriebe, welche menschliches Blut
oder Blutbestandteile, die zur Transfu­
sion bestimmt sind, verarbeiten, lagern
oder verteilen, einmal in zwei Jahren
stattfinden, dienen zur Überprüfung
der Umsetzung der Arzneimittelbe­
triebsordnung. Nach einer erfolgrei­
chen Inspektion kann dem Betrieb ein
GMP-Zertifikat oder für Lagerungs- und
Vertriebstätigkeiten ein GDP-Zertifikat
ausgestellt werden.
Weiters erfolgen Behördenbegehun­
gen der MA15, die Bestimmungen
des Wiener Krankenanstaltengesetzes
über­prü­fen, sowie der örtlich zustän­
digen Bezirksverwaltungsbehörden un­
ter Bei­ziehung von Amtsärzten zur
Überprüfung der Einhaltung des Blut­
si­cher­heitsgesetzes bei mobilen Ab­
nahmen (gemäß §18 BSG).
Neben behördlichen Routineaudits
kann aber auch ein Anlass der Auslöser
tungsstand der Bewilligungsverfahren
der Website der AGES PharmMed zu
entnehmen.2)
Eine Änderungsbewilligung nach
dem Krankenanstaltengesetz ist bei
we­sentlichen Änderungen des Leis­
tungs­angebots sowie der apparativen
Ausstattung zu beantragen.
Zur Vorbereitung auf Inspektionen
werden auf der Homepage der AGES In­
formationen über den Ablauf von GMP/
GDP-Inspektionen und -Inspektionsin­
halte sowie die benötigten Formulare
angeboten.3) Für die amtsärztliche Prü­
fung der Blutspendeaktionen steht ei­
Titelgeschichte
Links
1) www.roteskreuz.at/blutspende/blut-imdetail/gesetzliche-bestimmungen
2) www.basg.at/inspektionen/good-manufacturingdistribution-practice/bearbeitungsstand
3) www.basg.at/inspektionen
4) www.bmg.gv.at, Bereich Arzneimittel/
Medizinprodukte/Blut- und Gewebesicherheit;
Leitlinie für Blut- und Plasmaspenden
5) www.bmg.gv.at, Arzneimittel/
Medizinprodukte/Blut- und Gewebesicherheit
Kontrollen der Geräte: Zentrifuge
Laufende Kontrollen während des Produktionsprozesses
für eine Inspektion sein. Neben Gefahr
im Verzug, die glücklicherweise nur
äußerst selten vorkommt, kommt es
bei neuen Betriebsbewilligungen für
andere Standorte oder bei wesent­
lichen Änderungen der bestehenden
Betriebsbewilligungen nach Maßgabe
der Behörde zu Inspektionen der jewei­
ligen Behörde.
Wesentliche Änderungen sind phar­
mazeutisch gesehen vor allem jene, die
Tätigkeiten, Räumlichkeiten oder tech­
nische Ausrüstung betreffend eine
Auswirkung auf die Beschaffenheit der
Arzneimittel oder das Produktions- bzw.
Vertriebs­programm haben können. Für
Interessierte ist der aktuelle Bearbei­
ne Checkliste des Bundesministeriums
für Gesundheit zur Verfügung.4) Sämt­
liche Unterlagen der prüfenden Behör­
den fließen daher vorab in die Check­
listen der internen Audits mit ein.
festgelegt worden, die gemeinsam mit
einer Checkliste für Selbstinspektionen
von der Homepage abrufbar sind.5)
Weder die Vorbereitungen auf Audits
noch die Nachbereitungen sind einfach
und schnell zu erledigen. Es steckt im
Gegenteil für die jeweiligen Blutspen­
deeinrichtungen und Blutdepots viel
Zeit und Arbeit aller Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter darin, die sich aber
lohnt, da dadurch der Qualitätsstandard
nicht nur aktuell gehalten, sondern
ständig verbessert wird.
Barbara Glock
1
Audits in Blutdepots
Im Gegensatz zu Blutspendeeinrichtun­
gen, die als Herstellungsbetriebe dem
AMG unterliegen, sind Blutdepots in
Krankenhäuser eingegliedert und un­
terliegen damit dem Krankenanstaltenund Kuranstaltengesetz (§8) und dem
Krankenanstaltengesetz in der jewei­
ligen Landesfassung. In Ergänzung sind
vom Bundesministerium für Gesund­
heit Mindeststandards für Blutdepots
ZUR PER­SON
Dr. Barbara Glock, Qualitäts­
management und Regulatory Affairs
in der Blutspendezentrale für Wien,
Niederösterreich und Burgenland.
Nr. 48 / Dezember 2010
3
Interview
D
Fotos: Nadja Meister (4)
as Department für Virolo­
gie an der Medizinischen
Universität Wien ist in die
internationalen Netzwerke einge­
bunden. Wir fragten Stephan Aber­
le nach Neuigkeiten, die für das
Blutspendewesen relevant sind.
Blut.at: Verändert sich die Verbrei­
tung von Krankheiten, die bisher
auf warme Klimazonen beschränkt
waren?
Stephan Aberle: Damit man das
sagen kann, müssen diese Infek­
tio­nen zuerst diagnostiziert wer­
den. Wir sind deshalb im europäi­
schen Netzwerk für Diagnostik
von importierten Viruserkrankun­
gen aktiv tätig. Erwähnenswert ist,
dass sich im Mittelmeerraum mit
Aedes albopictus eine Moskitoart
ausgebreitet hat, die geeignet ist,
Dengue zu übertragen.
? Ist das für die Spenderselektion
von Bedeutung?
Der Virologe Stephan Aberle über die Wahrscheinlichkeit
Dengue ist schon heute die häu­
figste virale Erkrankung, die man
und Risiken neuer Pandemien.
bei Reiserückkehrern findet. 70 %
der Infektionen sind asymptoma­
Auch wenn Reifen mehrfach gedreht
tisch, 20 % sind milde Infektionen. Zwei
Das ist einerseits richtig. Andererseits
werden, kann eine kleine Wasserlacke
Tage vor der Erkrankung ist die Virämie
hat die Mobilität der Viren nicht immer
hoch, und eine Übertragung über Blut­
mit dem Menschen zu tun. Die Vogel­
zurückbleiben. Darin können Moskitos
influenza wurde durch Vögel verbreitet.
überleben und brüten. Das ist ein
transfusionen ist möglich, wenn auch
Und auch das West-Nil-Virus sorgt für
Grund, warum sich verschiedene Mos­
extrem unwahrscheinlich.
West-Nil-Fälle in Israel, weil diese Ge­
kitoarten weltweit verbreitet haben.
? Haben die Temperaturen Einfluss auf
das Vorkommen?
gend eine Passage für Zugvögel ist.
? Ein weitere Gefahr bei Bluttransfusio­
Im Fall vom West-Nil-Fieber, das in Mit­
nen ist Hepatitis. Liegt der Anteil der un­
Aber auch durch Touristen, Schiffe,
telmeer­ländern, in Israel und Rumä­nien
Pflanzen und selbst Autoreifen können
geklärten Übertragungswege bei Hepati­
vorkommt – zuletzt ist es in Grie­­chen­
Viren verbreitet werden.
tis C nach wie vor bei rund 40 Prozent?
Diese Zahl variiert von Studie zu Studie.
land zu einem Ausbruch gekommen –,
? Wie funktioniert die Ausbreitung
Man darf auch nicht vergessen, dass
durch Autoreifen?
muss man ab Juli bis in den Oktober
viele Infektio­nen bereits
hinein mit In­fek­­­tionen
vor Jahrzehnten erfolgten.
rech­nen und Spender,
Damals wusste man noch
die in den letzten zwei
nichts
von HIV und hatte
Wochen in Re­gio­nen mit
„SARS war bei mehr
nicht die heutigen Kennt­
West-Nil-Fällen waren,
als der Hälfte der über
nisse über HCV. Infektio­
ausschließen.
? Kann man sagen, dass
nen waren beim Zahnarzt
60-Jährigen tödlich“
analog zur Mobilität und
möglich oder bei Biopsien.
Reisefreude der Menschen
Die Geräte wurden früher
auch die Mobilität der
nicht so genau gereinigt
Viren zugenommen hat?
wie heute.
„Mobilität der Viren“
4
Nr. 48 / Dezember 2010
Interview
„Im Fall von West-Nil muss
man ab Juli bis in den Oktober­
hinein mit Infektionen rechnen“
wenn man rechtzeitig ein Antibiotikum
gibt. Aber man hat bei SARS gesehen,
dass es auch heute Viruserkrankungen
gibt, die tödlich verlaufen können. SARS
war bei mehr als der Hälfte der über
60-Jährigen tödlich.
? Was hat SARS dann gestoppt?
Die Schwelle, dass es von Mensch zu
Mensch weitergegeben wird, war zu
hoch. Es gab in Europa nur importierte
Fälle und einzelne Kontaktpersonen,
die sich angesteckt haben.
? Warum verlief die vorjähri­ge Influen­
za trotz der Warnungen so mild?
Geringe genetische Unterschiede im
Influenza-Virus, die wir aber im Detail
nicht kennen, können zu großen Unter­
schieden in der Schwere einer Influen­
za führen. Diese Influenza-Pandemie
war eher mild. Sie ist bei uns im Herbst
und im Winter als Welle angekommen
und von selbst wieder abgeflaut, nach­
dem genügend Menschen die Infektion
durchgemacht haben. Jetzt ist sie eine
saisonale Influenza geworden. Sie wird
diesen Winter wiederkommen, aber
1
interview: thomas aistleitner
ZUR PER­SON
Fotos: Nadja Meister
? Viel ansteckender als HCV ist Hepa­
titis B. Heute wird die Impfung schon für
Kinder empfohlen. Gibt es wirklich Über­
tragungswege in Österreich?
Das Risiko ist sehr gering. Kinder in
Gemeinschaftseinrichtungen könnten
gebissen werden. Ein Kind könnte sich
mit einer Nadel stechen. Die vorher
erwähnte Mobilität und Reisetätigkeit
betrifft auch Länder, in denen Hepatitis
B häufiger vorkommt. Durch die Imp­
fung, die gut verträglich ist, kann eine
Ansteckung verhindert werden.
? Immer wieder wird vor der Möglich­
keit der Entstehung neuer Pandemien
gewarnt. Ist eine Pandemie wie die Spa­
nische Grippe von 1918 mit zig Millionen
Toten auch in unserer Zeit denkbar?
Wir hatten letztes Jahr eine InfluenzaPandemie, die allerdings vergleichs­wei­
se mild ausgeprägt war. Außerdem ist
es gelungen, rechtzeitig eine Impfung
anzubieten.
? Hätte sie so schwerwiegend werden
können wie vor 90 Jahren?
Dazu gibt es verschiedene Meinungen.
Untersuchungen zeigen, dass das Virus
von 1918 bei Mäusen wirklich schwere,
fulminante Erkrankungen hervorrufen
kann, eine virale Pneumonie mit Lun­
gen­versagen. Andererseits sind damals
bakterielle Infekte dazugekommen, die
man heute besser behandeln kann,
bisher ist sie mild geblieben. Man
darf dabei nicht vergessen: Es hat
auch bei uns Todesfälle gegeben.
? Die Grippeimpfung wird in der
Öffentlichkeit diskutiert – wie kon­
trovers ist sie zu beurteilen?
Ich lasse mich impfen, weil ich
nicht krank sein will. Man muss
die Impfung aber jährlich durch­
führen, weil sich der Stamm än­
dert. Die Infektion ist üblicher­
weise sehr stark und lästig, aber
nicht sehr gefährlich. Es gibt viele
Infektionen, vor denen wir uns
nicht schützen können, aber in
diesem Fall ist es möglich.
? Man hört auch, die Influen­za­
impfung wäre für Personen wichtig,
die mit älteren Menschen oder
Kindern zu tun haben, damit diese nicht
angesteckt werden können.
Diesen Aspekt sehe ich nur bei Kontakt
zu sehr isolierten Personen. Es handelt
sich um einen respiratorischen Infekt,
und man kann von so vielen Seiten an­
gesteckt werden. Mit einer Durchimp­
fung von zehn oder 15 Prozent der
Bevölkerung lässt sich eine Influenza­
welle nicht verhindern. Sie können nur
verhindern, selbst zu erkranken, oder
den Verlauf der Erkrankung mildern.
Univ.-Prof. Dr. Stephan Aberle ist
Facharzt für Virologie und Leiter des
molekularbiologischen Labors am
Department für Virologie, Medizini­
sche Universität Wien. Das Depart­
ment für Virologie erhebt auch Daten
zur Epidemiologie spezifischer Virus­
infektionen in Österreich, die in zweiwöchentlichen Abständen in den „Virusepidemiologischen
Informatio­nen“ publiziert werden
(www.virologie.meduniwien.ac.at).
Nr. 48 / Dezember 2010
5
Forschung Aktuell
Wissenschaft auf ­
www.blut.at
Jeden Monat ein neuer Artikel mit einem
Überblick über Veröffentlichungen zu
einem Schwerpunktthema.
Fotos: Nadja Meister (3), Vereinigte Bühnen Wien
motivation zur Blutspende ­
(November 2010)
Trends in der Transfusionsmedizin ­
(Oktober 2010)
blutsicherheit und demografische
entwicklung (September 2010)
www.blut.at, Menüpunkt ­
„Forschung aktuell“
Motiviert spenden!
Wie wichtig sind freiwillige und ­
unbezahlte Blut- und Plasmaspender?
D
er Grundsatz, dass Blut- und
Plasmaspenden nicht bezahlt
werden sollen, gilt seit den
1970er-Jahren, als die hohe Rate infizier­
ter Spender die Hämotherapie in Verruf
gebracht hatte. In einer rezenten Über­
sichtsarbeit wird das geltende Dogma
kritisch hinterfragt.1)
Die WHO fordert sicheres Blut – und
damit ist auch Versorgungssicherheit
gemeint – für alle Menschen, die Blut­
ersatz brauchen. Noch immer verbluten
vor allem in Afrika Menschen, weil
keine sicheren Blutprodukte zur Verfü­
gung stehen.2)
Varianten der Blutspende
Bei der Vollblutspende existieren der­
zeit die freiwillige unbezahlte Spende,
die bezahlte Spende und die Familien­
spende oder gerichtete Spende (Re­
placement). In den Entwicklungslän­
dern sind Spender, die regelmäßig Blut
spenden, selbst wenn sie Geld erhalten,
akzeptiert, weil die Infektionsrate ver­
glichen mit Erstspendern niedriger ist.
Die Betreuung der älteren Blutspender
bedarf intensiver Arbeit
6
Nr. 48 / Dezember 2010
Die Rate an transfusionsassoziierten
Infektio­nen liegt aber sowohl bei Erst­
spendern wie auch bei regelmäßigen
Spendern wesentlich höher als bei uns.
Der von der WHO geforderte Mindest­
standard von zehn Vollblutspenden/
1000 Einwohner wird in vielen Ländern
nicht erreicht. Deshalb ist dort auch die
Familienspende häufig.3)
Die Entwicklung des Blutspendewe­
sens ist weltweit gesehen sehr unter­
schiedlich verlaufen. Erst seit den
1970er-Jahren wurde in den USA die
freiwillige unbezahlte Vollblutspende
durch das Amerikanische Rote Kreuz
propagiert. Die hohe Hepatitisrate, ver­
glichen mit anderen Ländern, war wohl
der wichtigste Grund.
Trendwende
Großen Einfluss auf die Trendwende
hatte auch eine Publikation: Das Buch
„The Gift Relationship“ (TGF) des Sozio­
logen Richard Titmuss war eine treiben­
de Kraft der Reformbestrebungen. Seine
Argumente verdienen Beachtung:
1. Die Kommerzialisierung des Blutspen­
dewesens untergräbt die Bereitschaft,
freiwillig Blut zu spenden (Crowdingout-Effekt) – damit ist bei einem
plötzlichen Anstieg des Bedarfs mit
einer Verteuerung zu rechnen.
2.Die bezahlung für die Spen­
de verleitet Spen­­der aus Ri­si­
ko­gruppen, trotz des Wissens
um Risken zu spenden.
Forschung aktuell
3.Wer in einer finanziellen
Links
notlage spendet und damit
1) A. Farrugia, J. Penrod und J. M. Bult:
gesundheitliche Folgen für
Payment, compensation and replacement
– the ethics and motivation of blood and
sich selbst in Kauf nimmt,
plasma donation; Vox Sang 99: 202–211,
sollte vor diesem Schritt ge­
http://onlinelibrary.wiley.com/
schützt werden.
doi/10.1111/j.1423-0410.2010.01360.x/abstract
Neurobiologische Forschungs­
2) www.who.int/bloodsafety/en/
ergebnisse der letzten Jahre
3) www.who.int/mediacentre/factsheets/
donations_ per1000_ population_20091110.pdf
zeigen, dass der reziproke
4) www.iew.uzh.ch/institute/people/fehr.html
Altru­ismus dem Menschen als
sozialem Wesen immanent ist.
5) www.givelife2.org/donor/top10.asp
Bahnbrechende Forschungen
Spender eine Herausforderung.
zu diesem Thema führte E.
Aber auch der Aufbau einer Blut­
Fehr in Zürich durch.4)
Untersucht man die Motiva­
spen­dergemeinschaft mit dem
tion der Blutspender systema­
Ziel, Menschen zur regelmäßigen
tisch, so zeigt sich, dass der
Blutspende zu motivieren, sowie
Blutspendeaktion zum Musical „Tanz der Vampire“: Für die jungen
die Betreuung der älteren Spender
Faktor, auch sich selbst etwas
und Spenderinnen bedürfen in­
Spender eine Blutspendegemeinschaft aufbauen
Gutes zu tun, durchaus nicht
ten­si­ver Arbeit – der Autor des
zu vernachlässigen ist und in
und Plasma, durch Vollblutspende oder
Reviews schließt mit dem Titel eines
der Spenderwerbung angesprochen
Apherese gewonnen, unersetzliche Roh­
Songs: „Let a thousand flowers bloom.“
wird.5)
Österreich liegt in dem von der WHO
stoffe, für die kein synthetischer Ersatz
Es sollte noch hinzugefügt werden:
angegebenen Bereich von 35 Vollblut­
ohne die Blutsicher­
existiert.
heit aufs Spiel zu
spenden/1000 Einwohner. Der Bedarf
Plasma ist ein wichtiger Ausgangs­
setzen!
wird durch freiwillige, unbezahlte
stoff zur Herstellung verschiedenster
Renate heinz
Spen­den gedeckt. Es muss aber gesagt
pharmazeutischer Produkte. Die Plas­
werden, dass die Definition, was als
ma­industrie in den USA ist mit einer
Bezahlung gilt und was noch unter
Mil­lion bezahlter Spender, die jährlich
Anerkennung („Incentive“) fällt, nicht
17 Millionen Spenden leisten, für 55 %
ZUR PER­SON
der weltweiten Versorgung mit Plasma­
eindeutig ist. In Anlehnung an die FDA
derivaten verantwortlich.
kann folgende Unterscheidung getrof­
Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz ist
fen werden (siehe Kasten unten).
Fachärztin für innere Medizin mit
Bewährter Weg
Bessere Testung und die Möglichkeit
Zusatzfach Hämato-Onkologie, Blut­
der Pathogeninaktivierung bei der Plas­
Die Blutaufbringung durch Non-Profitgruppenserologie und Transfusions­
medizin sowie für Humangenetik. maherstellung führten dazu, dass heu­
Organisationen ist ein bewährter Weg.
Wissenschaftliche Direktorin des
te auch in den hoch entwickelten Län­
Allerdings ist die Gewinnung junger
Ludwig-Boltzmann-Instituts für dern ein pluralistisches System besteht:
Menschen für die Erstspende labiler
Leukämieforschung und Hämatologie.
bezahlte Plasmaspende, unbezahlte
Blutprodukte (Erythrozyten und Throm­
Jahrelange Tätigkeit als Oberärztin bozyten) als freiwillige, unbezahlte
Vollblutspende. Bisher sind Blutzellen
1
Bezahlt oder belohnt?
So unterscheidet die FDA.
Bezahlung
Anerkennung, keine Bezahlung
Geld
Incentives wie T-Shirts, Häferln etc.
Stipendien an Studierende
Fortbildungen oder Stipendien, die an Bildungseinrichtungen gezahlt werden
Karten, Gutscheine, die weiterverkauft werden können
Karten, Gutscheine und Ähnliches, die nicht
weiterverkauft werden können
„Voucher“ für medizinische Untersuchungen außerhalb von
Blutspendeeinrichtungen
Medizinische Untersuchungen, die über die vorgesehenen Pflichttests hinausgehen,
aber im Rahmen der Blutspende durchge­
führt werden
im Hanusch-Krankenhaus. Wissen­
schaftliche Studien über Probleme bei Lymphknotentumoren.
Impressum
Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Kommission
Blut­­spen­de­wesen des ÖRK, Tel.: 01/589 00-205, Fax: DW
219. Für den Inhalt verantwortlich: Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c.
Wolfgang R. Mayr. Redaktion: Thomas Aistleitner (Leitung),
Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz, Dr. Eva Menichetti, Dr. Maya
Winter. Layout & Satz: Mag. Andrea Chadt. Bildredaktion:
Mona Saleh. Lektorat: Mag. Sabine Wawerda. Pro­duk­tion:
Wortbild GmbH, 1010 Wien. Druck: Typo Druck Sa­res,
1190 Wien. ZVR-Nr.: 432857691. Namentlich ge­zeich­­nete
Beiträge geben die Meinung des Autors wieder.
Nr. 48 / Dezember 2010
7
Kongress
Enttäuschungen
Fortschritte
Unbestritten sind die Therapiefort­
schritte bei Leukämien und malignen
Nr. 48 / Dezember 2010
Tagung in Berlin
Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und
Schweizer Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, 1. – 5. Oktober 2010.
Pro und
kontra prophylaktische und therapeu­
tische Gabe von Thrombozytenkonzen­
traten. Neben einer exzellen­ten Litera­
turübersicht zeigte H. Wandt, dass bei
gleichzeitiger Leuko- und Thrombozy­
topenie die Blutungsgefahr geringer ist.
Diese Beobachtung könnte klinische
Bedeutung haben. Erklärun­gen für
dieses Phänomen gibt es derzeit nur
aus dem Tierversuch.
von-willebrand-syndrom (VWS). U. Bud­
de sprach über angeborene und erwor­
bene Formen. Bei Infektionen, Trau­
mata und auch in der Spätschwanger­
schaft ist der Willebrand-Faktor erhöht.
Daher sind Blutungen während der
Geburt selten. Die Blutungsneigung
steigt aber im höheren Lebensalter.
Auch erworbene VWS im Rahmen
kardiovaskulärer Erkrankungen, mono­
klonaler Gammopathien u. a. werden
zunehmend häufiger beobachtet.
eisenstoffwechseL. J. Hastka präsentier­
te in einem sehr anschaulichen Vortrag
Neuigkeiten aus der Grundlagenfor­
schung. Diese Erkenntnisse und die
Verfügbarkeit eines verträglichen i. v.
applizierbaren Eisenpräparats verdrän­
gen die orale Eisentherapie mit ihren
bekann­ten Nebenwirkungen und der
daraus resultierenden schlechten Com­
pliance der Patienten. Allerdings sind
die Kos­ten des Präparats beträchtlich.
thrombozy­ten­konzentrate.
Der Veranstaltungsort der Tagung in Berlin
Als ein Beispiel sei die TORAVA-Studie
genannt (clinicaltrials.gov/ct2/show/
NCT00619268). Bei Patienten mit Nie­
renzellkarzinom konnte das primäre
Studienziel, die Verlängerung des
progressionsfreien Überlebens, nicht
erreicht werden. Mehr als 50 % der
Patienten unterbrachen die Therapie,
davon 40,9 % wegen Toxizitäten. Die
ungezielte Verwendung der Targeted
Therapies ist nicht angezeigt!
Pezzuto rückte in seinem humor­vol­
len Vortrag die bisher als Randphäno­
men gesehenen Hämoglobinopathien
in den Mittelpunkt. Ob die Gentherapie
bei diesen Erkrankungen einen Durch­
bruch bringen wird, muss angesichts
der bisherigen Probleme mit dieser
Therapieform dahingestellt bleiben.
8
Fotos: Fotolia.com, Messe Berlin GmbH
E
s wird zunehmend schwieriger,
sich einen Überblick über die
Trends zu verschaffen, wobei die
Organisatoren bemüht waren, den Ein­
fluss der Industrie zu minimieren.
Die Sitzung „Best of the Year“ war
ernüchternd: Es wurde eine unüber­
schaubare Zahl von onkologischen Stu­
dien vorgestellt. Die Zahl der neuen –
innovativen? – Medikamente ist nicht
mehr überblickbar. Am meisten gibt zu
denken, dass die prospektiv randomi­
sierten Studien, Goldstandard der
klinischen Forschung, für die
weltweit Tausende Patienten
rekrutiert werden, die (zu?)
hoch gesteckten Erwartungen
nicht erfüllt haben. Substanzen,
die in der Monotherapie als
Meilensteine des Fortschritts
gepriesen werden und deren
Kosten die Gesundheitssys­te­
me an die Grenzen der Finan­
zierbarkeit bringen, enttäusch­
ten, wenn sie kombiniert ange­
wendet wurden.
Lymphomen, wobei die deutschen Stu­
diengruppen weltweit anerkannt sind.
Studienrealität und klinischer Alltag
sind aber häufig nicht deckungsgleich
(P799 – Comprehensive evaluation of
adult ALL patients treated with the
protocol of the GMALL study of 07/03
in a single institution).
Langzeitbeobachtungen liegen mitt­
lerweile für viele Knochenmarkstrans­
plantationstudien vor: In der Sitzung
„Best Abstracts“ wurde gezeigt, dass
beim Vergleich einer „Watch and Wait“Strategie mit autologer Transplantati­
on bei CLL Rezidive verzögert werden,
das Überleben aber nicht beeinflusst
wird (V665 – auto trial/GCLLSG CLL3R
trial).
Transfusionsmedizin
Die sehr gut besuchte transfusionsme­
dizinische Fortbildung (V63–66) hatte
drei Schwerpunkte:
Renate heinz
1
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