Nummer 48 / Dezember 2010 Newsletter für transfusionsmedizinische Forschung und Praxis INHALT D Audits als Werkzeuge D Interview mit Stephan Aberle: „Mobilität der Viren“ D D Kongressbericht: Jahrestagung Motivation zur Blutspende Audits als Werkzeuge Kontinuierliche Verbesserungsprozesse in der Blutspendezentrale. D ie Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgen­ land ist gemäß §63 des Arznei­ mittelgesetzes (AMG) für das Herstel­ len, Inverkehrbringen und die Kontrol­ le von Arzneimitteln sowie nach dem Wiener Krankenanstaltengesetz als Krankenanstalt bewilligt. Damit sind KOmmentar N Daniela Klemencic DÖSGHO, Berlin Oktober 2010 Fotos: Michael Appelt, Nadja Meister P.b.b. Verlagspostamt 1040 Wien; Zulassungsnummer 04Z035388 M für uns alle Bestimmungen dieser Ge­ setze, der damit verbundenen Verord­ nungen (z. B. Arzneimittelbetriebsord­ nung; AMBO) und die weiterführenden in den Gesetzen verankerten Richt­ linien der „Guten Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice; GMP) und „Guten Vertriebspraxis“ (Good Dis­ tribution Practice; GDP) anzuwenden. Für Blutspendedienste als spezielle Form des pharmazeutischen Herstel­ lungsbetriebes gelten aber auch sämtliche einschlägigen Gesetze wie z. B. das Blutsicherheitsgesetz, die Blut­ spenderverordnung, die Hämovigilanz­ verordnung und eine Vielzahl Fortsetzung auf S. 2 k bezahlt oder belohnt? Wolfgang R. Mayr icht nur mit den vier jährlichen Ausgaben von blut.at wollen wir Sie über aktuelle Entwick­ lungen in der Transfusionsmedizin informieren. Sie finden uns auch online jeden Monat neu auf www.blut.at unter „Forschung aktuell“ mit einem Review über aktuelle Artikel aus der Fachpresse. Den November-Artikel ist in diesem blut.at abge­ druckt und berichtet von neuen Erkenntnissen zur Blutspendermotivation. Für uns von der Blutspende­ zentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland ist das ein wesentliches Thema: Sollen Menschen für ihre Blutspende bezahlt werden – oder belohnt wer­ den mit dem guten Gefühl, geholfen zu haben? Die Wissenschaft kommt zu der Erkenntnis: Die freiwillige, unbezahlte Blutspende ist auch die si­ cherste. Deshalb darf Blut nicht zur Ware werden. Das ist nicht nur die Haltung des Roten Kreuzes, das ist auch die Meinung der WHO. 1 Titelgeschichte weiterer Regulative.1) Darüber hinaus besteht seit mittlerweile zwölf Jahren eine aufrechte Zertifizierung nach der ISO-9001-Norm. Für ein so „vielgestaltiges“ Unterneh­ men stehen jährlich verschiedenste Überprüfungen auf dem Plan oder wer­ den im Anlassfall durchgeführt. Als Audit (lat. audire; audit: hören; er/ sie/es hört) werden Untersuchungs­ verfahren bezeichnet, die dazu dienen, eine Bewertung der Erfüllung von Anforderungen und Richtlinien vorzu­ nehmen. Inspektionen, Einschauen, Be­ gehungen und Betriebsüberprüfungen werden von Behörden zur Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Be­ stimmungen durchgeführt und sind somit „Behördenaudits“. k interne audits (1st Party Audits) werden von zum Auditor geschulten Mitarbei­ tern der Organisation (meist des Quali­ tätsmanagements) durchgeführt und dienen der Selbstüberprüfung. Im Rahmen der Selbstinspektion wird mit den Verantwortlichen der je­ weiligen Fachbereiche, aber auch durch stichprobenartige Befragungen der Mitarbeiter die Einhaltung aller auf das Unternehmen anwendbaren Gesetze, Regelwerke und Normen sowie die Um­ setzung und Wirksamkeit der in voran­ gegangenen internen und externen Audits vereinbarten Maßnahmen über­ prüft und gemeinsam Verbesserungs­ potenziale erhoben. Die Verpflichtung zur Durchführung interner Audits in geplanten, regelmä­ ßigen Abständen ist im Punkt 8.2.2 der ISO 9001:2008 festgelegt. Im Regelwerk der Arzneimittelbetriebsordnung ist die Durchführung interner Audits als „Verpflichtung zur Selbstinspektion“ im §5 (11) enthalten. Auch hier ist eine re­ gelmäßige Durchführung nach einem zuvor geplanten Programm gefordert und wie bei internen Audits soll die Durchführung nach der ISO-9001-Norm aufgezeichnet und erforderlichenfalls Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen eingeleitet werden. 2 Nr. 48 / Dezember 2010 Fotos: Michael Appelt (3), Nadja Meister (2), ÖRK/Anna Stöcher Interne/externe Audits Bis zur Lieferung in die Spitäler ist es ein weiter Weg: Stationen der Blutverarbeitung Bei externen audits unterscheidet man zwischen Lieferantenaudits und Zerti­ fizierungs-/Behördenaudits. lieferantenaudits (2nd Party Audits) werden von bestimmten Mitarbeitern einer Organisation durchgeführt, um einen Lieferanten zu evaluieren, in regelmäßigen Abständen zu qualifizie­ ren oder aber im Anlassfall eine be­ stimmte Problematik vor Ort zu klären und eine Verbesserung der Situation zu erzielen. 3rd Party Audits Das klassische 3rd Party Audit ist hinge­ gen das audit der iso-zertifizierungsgesellschaft – jährlich zur Überwachung und alle drei Jahre zur Rezertifizierung. behördenaudits sind ebenfalls 3rd Par­ty Audits, werden aber von verschie­denen Behörden auf der Basis der verschie­ denen gesetzlichen Anforderun­gen durchgeführt: Routinemäßige Audits der AGES PharmMed (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicher­ heit GmbH), die gemäß AMG §67 (2) für Betriebe, welche menschliches Blut oder Blutbestandteile, die zur Transfu­ sion bestimmt sind, verarbeiten, lagern oder verteilen, einmal in zwei Jahren stattfinden, dienen zur Überprüfung der Umsetzung der Arzneimittelbe­ triebsordnung. Nach einer erfolgrei­ chen Inspektion kann dem Betrieb ein GMP-Zertifikat oder für Lagerungs- und Vertriebstätigkeiten ein GDP-Zertifikat ausgestellt werden. Weiters erfolgen Behördenbegehun­ gen der MA15, die Bestimmungen des Wiener Krankenanstaltengesetzes über­prü­fen, sowie der örtlich zustän­ digen Bezirksverwaltungsbehörden un­ ter Bei­ziehung von Amtsärzten zur Überprüfung der Einhaltung des Blut­ si­cher­heitsgesetzes bei mobilen Ab­ nahmen (gemäß §18 BSG). Neben behördlichen Routineaudits kann aber auch ein Anlass der Auslöser tungsstand der Bewilligungsverfahren der Website der AGES PharmMed zu entnehmen.2) Eine Änderungsbewilligung nach dem Krankenanstaltengesetz ist bei we­sentlichen Änderungen des Leis­ tungs­angebots sowie der apparativen Ausstattung zu beantragen. Zur Vorbereitung auf Inspektionen werden auf der Homepage der AGES In­ formationen über den Ablauf von GMP/ GDP-Inspektionen und -Inspektionsin­ halte sowie die benötigten Formulare angeboten.3) Für die amtsärztliche Prü­ fung der Blutspendeaktionen steht ei­ Titelgeschichte Links 1) www.roteskreuz.at/blutspende/blut-imdetail/gesetzliche-bestimmungen 2) www.basg.at/inspektionen/good-manufacturingdistribution-practice/bearbeitungsstand 3) www.basg.at/inspektionen 4) www.bmg.gv.at, Bereich Arzneimittel/ Medizinprodukte/Blut- und Gewebesicherheit; Leitlinie für Blut- und Plasmaspenden 5) www.bmg.gv.at, Arzneimittel/ Medizinprodukte/Blut- und Gewebesicherheit Kontrollen der Geräte: Zentrifuge Laufende Kontrollen während des Produktionsprozesses für eine Inspektion sein. Neben Gefahr im Verzug, die glücklicherweise nur äußerst selten vorkommt, kommt es bei neuen Betriebsbewilligungen für andere Standorte oder bei wesent­ lichen Änderungen der bestehenden Betriebsbewilligungen nach Maßgabe der Behörde zu Inspektionen der jewei­ ligen Behörde. Wesentliche Änderungen sind phar­ mazeutisch gesehen vor allem jene, die Tätigkeiten, Räumlichkeiten oder tech­ nische Ausrüstung betreffend eine Auswirkung auf die Beschaffenheit der Arzneimittel oder das Produktions- bzw. Vertriebs­programm haben können. Für Interessierte ist der aktuelle Bearbei­ ne Checkliste des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verfügung.4) Sämt­ liche Unterlagen der prüfenden Behör­ den fließen daher vorab in die Check­ listen der internen Audits mit ein. festgelegt worden, die gemeinsam mit einer Checkliste für Selbstinspektionen von der Homepage abrufbar sind.5) Weder die Vorbereitungen auf Audits noch die Nachbereitungen sind einfach und schnell zu erledigen. Es steckt im Gegenteil für die jeweiligen Blutspen­ deeinrichtungen und Blutdepots viel Zeit und Arbeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin, die sich aber lohnt, da dadurch der Qualitätsstandard nicht nur aktuell gehalten, sondern ständig verbessert wird. Barbara Glock 1 Audits in Blutdepots Im Gegensatz zu Blutspendeeinrichtun­ gen, die als Herstellungsbetriebe dem AMG unterliegen, sind Blutdepots in Krankenhäuser eingegliedert und un­ terliegen damit dem Krankenanstaltenund Kuranstaltengesetz (§8) und dem Krankenanstaltengesetz in der jewei­ ligen Landesfassung. In Ergänzung sind vom Bundesministerium für Gesund­ heit Mindeststandards für Blutdepots ZUR PER­SON Dr. Barbara Glock, Qualitäts­ management und Regulatory Affairs in der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Nr. 48 / Dezember 2010 3 Interview D Fotos: Nadja Meister (4) as Department für Virolo­ gie an der Medizinischen Universität Wien ist in die internationalen Netzwerke einge­ bunden. Wir fragten Stephan Aber­ le nach Neuigkeiten, die für das Blutspendewesen relevant sind. Blut.at: Verändert sich die Verbrei­ tung von Krankheiten, die bisher auf warme Klimazonen beschränkt waren? Stephan Aberle: Damit man das sagen kann, müssen diese Infek­ tio­nen zuerst diagnostiziert wer­ den. Wir sind deshalb im europäi­ schen Netzwerk für Diagnostik von importierten Viruserkrankun­ gen aktiv tätig. Erwähnenswert ist, dass sich im Mittelmeerraum mit Aedes albopictus eine Moskitoart ausgebreitet hat, die geeignet ist, Dengue zu übertragen. ? Ist das für die Spenderselektion von Bedeutung? Der Virologe Stephan Aberle über die Wahrscheinlichkeit Dengue ist schon heute die häu­ figste virale Erkrankung, die man und Risiken neuer Pandemien. bei Reiserückkehrern findet. 70 % der Infektionen sind asymptoma­ Auch wenn Reifen mehrfach gedreht tisch, 20 % sind milde Infektionen. Zwei Das ist einerseits richtig. Andererseits werden, kann eine kleine Wasserlacke Tage vor der Erkrankung ist die Virämie hat die Mobilität der Viren nicht immer hoch, und eine Übertragung über Blut­ mit dem Menschen zu tun. Die Vogel­ zurückbleiben. Darin können Moskitos influenza wurde durch Vögel verbreitet. überleben und brüten. Das ist ein transfusionen ist möglich, wenn auch Und auch das West-Nil-Virus sorgt für Grund, warum sich verschiedene Mos­ extrem unwahrscheinlich. West-Nil-Fälle in Israel, weil diese Ge­ kitoarten weltweit verbreitet haben. ? Haben die Temperaturen Einfluss auf das Vorkommen? gend eine Passage für Zugvögel ist. ? Ein weitere Gefahr bei Bluttransfusio­ Im Fall vom West-Nil-Fieber, das in Mit­ nen ist Hepatitis. Liegt der Anteil der un­ Aber auch durch Touristen, Schiffe, telmeer­ländern, in Israel und Rumä­nien Pflanzen und selbst Autoreifen können geklärten Übertragungswege bei Hepati­ vorkommt – zuletzt ist es in Grie­­chen­ Viren verbreitet werden. tis C nach wie vor bei rund 40 Prozent? Diese Zahl variiert von Studie zu Studie. land zu einem Ausbruch gekommen –, ? Wie funktioniert die Ausbreitung Man darf auch nicht vergessen, dass durch Autoreifen? muss man ab Juli bis in den Oktober viele Infektio­nen bereits hinein mit In­fek­­­tionen vor Jahrzehnten erfolgten. rech­nen und Spender, Damals wusste man noch die in den letzten zwei nichts von HIV und hatte Wochen in Re­gio­nen mit „SARS war bei mehr nicht die heutigen Kennt­ West-Nil-Fällen waren, als der Hälfte der über nisse über HCV. Infektio­ ausschließen. ? Kann man sagen, dass nen waren beim Zahnarzt 60-Jährigen tödlich“ analog zur Mobilität und möglich oder bei Biopsien. Reisefreude der Menschen Die Geräte wurden früher auch die Mobilität der nicht so genau gereinigt Viren zugenommen hat? wie heute. „Mobilität der Viren“ 4 Nr. 48 / Dezember 2010 Interview „Im Fall von West-Nil muss man ab Juli bis in den Oktober­ hinein mit Infektionen rechnen“ wenn man rechtzeitig ein Antibiotikum gibt. Aber man hat bei SARS gesehen, dass es auch heute Viruserkrankungen gibt, die tödlich verlaufen können. SARS war bei mehr als der Hälfte der über 60-Jährigen tödlich. ? Was hat SARS dann gestoppt? Die Schwelle, dass es von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, war zu hoch. Es gab in Europa nur importierte Fälle und einzelne Kontaktpersonen, die sich angesteckt haben. ? Warum verlief die vorjähri­ge Influen­ za trotz der Warnungen so mild? Geringe genetische Unterschiede im Influenza-Virus, die wir aber im Detail nicht kennen, können zu großen Unter­ schieden in der Schwere einer Influen­ za führen. Diese Influenza-Pandemie war eher mild. Sie ist bei uns im Herbst und im Winter als Welle angekommen und von selbst wieder abgeflaut, nach­ dem genügend Menschen die Infektion durchgemacht haben. Jetzt ist sie eine saisonale Influenza geworden. Sie wird diesen Winter wiederkommen, aber 1 interview: thomas aistleitner ZUR PER­SON Fotos: Nadja Meister ? Viel ansteckender als HCV ist Hepa­ titis B. Heute wird die Impfung schon für Kinder empfohlen. Gibt es wirklich Über­ tragungswege in Österreich? Das Risiko ist sehr gering. Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen könnten gebissen werden. Ein Kind könnte sich mit einer Nadel stechen. Die vorher erwähnte Mobilität und Reisetätigkeit betrifft auch Länder, in denen Hepatitis B häufiger vorkommt. Durch die Imp­ fung, die gut verträglich ist, kann eine Ansteckung verhindert werden. ? Immer wieder wird vor der Möglich­ keit der Entstehung neuer Pandemien gewarnt. Ist eine Pandemie wie die Spa­ nische Grippe von 1918 mit zig Millionen Toten auch in unserer Zeit denkbar? Wir hatten letztes Jahr eine InfluenzaPandemie, die allerdings vergleichs­wei­ se mild ausgeprägt war. Außerdem ist es gelungen, rechtzeitig eine Impfung anzubieten. ? Hätte sie so schwerwiegend werden können wie vor 90 Jahren? Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Untersuchungen zeigen, dass das Virus von 1918 bei Mäusen wirklich schwere, fulminante Erkrankungen hervorrufen kann, eine virale Pneumonie mit Lun­ gen­versagen. Andererseits sind damals bakterielle Infekte dazugekommen, die man heute besser behandeln kann, bisher ist sie mild geblieben. Man darf dabei nicht vergessen: Es hat auch bei uns Todesfälle gegeben. ? Die Grippeimpfung wird in der Öffentlichkeit diskutiert – wie kon­ trovers ist sie zu beurteilen? Ich lasse mich impfen, weil ich nicht krank sein will. Man muss die Impfung aber jährlich durch­ führen, weil sich der Stamm än­ dert. Die Infektion ist üblicher­ weise sehr stark und lästig, aber nicht sehr gefährlich. Es gibt viele Infektionen, vor denen wir uns nicht schützen können, aber in diesem Fall ist es möglich. ? Man hört auch, die Influen­za­ impfung wäre für Personen wichtig, die mit älteren Menschen oder Kindern zu tun haben, damit diese nicht angesteckt werden können. Diesen Aspekt sehe ich nur bei Kontakt zu sehr isolierten Personen. Es handelt sich um einen respiratorischen Infekt, und man kann von so vielen Seiten an­ gesteckt werden. Mit einer Durchimp­ fung von zehn oder 15 Prozent der Bevölkerung lässt sich eine Influenza­ welle nicht verhindern. Sie können nur verhindern, selbst zu erkranken, oder den Verlauf der Erkrankung mildern. Univ.-Prof. Dr. Stephan Aberle ist Facharzt für Virologie und Leiter des molekularbiologischen Labors am Department für Virologie, Medizini­ sche Universität Wien. Das Depart­ ment für Virologie erhebt auch Daten zur Epidemiologie spezifischer Virus­ infektionen in Österreich, die in zweiwöchentlichen Abständen in den „Virusepidemiologischen Informatio­nen“ publiziert werden (www.virologie.meduniwien.ac.at). Nr. 48 / Dezember 2010 5 Forschung Aktuell Wissenschaft auf ­ www.blut.at Jeden Monat ein neuer Artikel mit einem Überblick über Veröffentlichungen zu einem Schwerpunktthema. Fotos: Nadja Meister (3), Vereinigte Bühnen Wien motivation zur Blutspende ­ (November 2010) Trends in der Transfusionsmedizin ­ (Oktober 2010) blutsicherheit und demografische entwicklung (September 2010) www.blut.at, Menüpunkt ­ „Forschung aktuell“ Motiviert spenden! Wie wichtig sind freiwillige und ­ unbezahlte Blut- und Plasmaspender? D er Grundsatz, dass Blut- und Plasmaspenden nicht bezahlt werden sollen, gilt seit den 1970er-Jahren, als die hohe Rate infizier­ ter Spender die Hämotherapie in Verruf gebracht hatte. In einer rezenten Über­ sichtsarbeit wird das geltende Dogma kritisch hinterfragt.1) Die WHO fordert sicheres Blut – und damit ist auch Versorgungssicherheit gemeint – für alle Menschen, die Blut­ ersatz brauchen. Noch immer verbluten vor allem in Afrika Menschen, weil keine sicheren Blutprodukte zur Verfü­ gung stehen.2) Varianten der Blutspende Bei der Vollblutspende existieren der­ zeit die freiwillige unbezahlte Spende, die bezahlte Spende und die Familien­ spende oder gerichtete Spende (Re­ placement). In den Entwicklungslän­ dern sind Spender, die regelmäßig Blut spenden, selbst wenn sie Geld erhalten, akzeptiert, weil die Infektionsrate ver­ glichen mit Erstspendern niedriger ist. Die Betreuung der älteren Blutspender bedarf intensiver Arbeit 6 Nr. 48 / Dezember 2010 Die Rate an transfusionsassoziierten Infektio­nen liegt aber sowohl bei Erst­ spendern wie auch bei regelmäßigen Spendern wesentlich höher als bei uns. Der von der WHO geforderte Mindest­ standard von zehn Vollblutspenden/ 1000 Einwohner wird in vielen Ländern nicht erreicht. Deshalb ist dort auch die Familienspende häufig.3) Die Entwicklung des Blutspendewe­ sens ist weltweit gesehen sehr unter­ schiedlich verlaufen. Erst seit den 1970er-Jahren wurde in den USA die freiwillige unbezahlte Vollblutspende durch das Amerikanische Rote Kreuz propagiert. Die hohe Hepatitisrate, ver­ glichen mit anderen Ländern, war wohl der wichtigste Grund. Trendwende Großen Einfluss auf die Trendwende hatte auch eine Publikation: Das Buch „The Gift Relationship“ (TGF) des Sozio­ logen Richard Titmuss war eine treiben­ de Kraft der Reformbestrebungen. Seine Argumente verdienen Beachtung: 1. Die Kommerzialisierung des Blutspen­ dewesens untergräbt die Bereitschaft, freiwillig Blut zu spenden (Crowdingout-Effekt) – damit ist bei einem plötzlichen Anstieg des Bedarfs mit einer Verteuerung zu rechnen. 2.Die bezahlung für die Spen­ de verleitet Spen­­der aus Ri­si­ ko­gruppen, trotz des Wissens um Risken zu spenden. Forschung aktuell 3.Wer in einer finanziellen Links notlage spendet und damit 1) A. Farrugia, J. Penrod und J. M. Bult: gesundheitliche Folgen für Payment, compensation and replacement – the ethics and motivation of blood and sich selbst in Kauf nimmt, plasma donation; Vox Sang 99: 202–211, sollte vor diesem Schritt ge­ http://onlinelibrary.wiley.com/ schützt werden. doi/10.1111/j.1423-0410.2010.01360.x/abstract Neurobiologische Forschungs­ 2) www.who.int/bloodsafety/en/ ergebnisse der letzten Jahre 3) www.who.int/mediacentre/factsheets/ donations_ per1000_ population_20091110.pdf zeigen, dass der reziproke 4) www.iew.uzh.ch/institute/people/fehr.html Altru­ismus dem Menschen als sozialem Wesen immanent ist. 5) www.givelife2.org/donor/top10.asp Bahnbrechende Forschungen Spender eine Herausforderung. zu diesem Thema führte E. Aber auch der Aufbau einer Blut­ Fehr in Zürich durch.4) Untersucht man die Motiva­ spen­dergemeinschaft mit dem tion der Blutspender systema­ Ziel, Menschen zur regelmäßigen tisch, so zeigt sich, dass der Blutspende zu motivieren, sowie Blutspendeaktion zum Musical „Tanz der Vampire“: Für die jungen die Betreuung der älteren Spender Faktor, auch sich selbst etwas und Spenderinnen bedürfen in­ Spender eine Blutspendegemeinschaft aufbauen Gutes zu tun, durchaus nicht ten­si­ver Arbeit – der Autor des zu vernachlässigen ist und in und Plasma, durch Vollblutspende oder Reviews schließt mit dem Titel eines der Spenderwerbung angesprochen Apherese gewonnen, unersetzliche Roh­ Songs: „Let a thousand flowers bloom.“ wird.5) Österreich liegt in dem von der WHO stoffe, für die kein synthetischer Ersatz Es sollte noch hinzugefügt werden: angegebenen Bereich von 35 Vollblut­ ohne die Blutsicher­ existiert. heit aufs Spiel zu spenden/1000 Einwohner. Der Bedarf Plasma ist ein wichtiger Ausgangs­ setzen! wird durch freiwillige, unbezahlte stoff zur Herstellung verschiedenster Renate heinz Spen­den gedeckt. Es muss aber gesagt pharmazeutischer Produkte. Die Plas­ werden, dass die Definition, was als ma­industrie in den USA ist mit einer Bezahlung gilt und was noch unter Mil­lion bezahlter Spender, die jährlich Anerkennung („Incentive“) fällt, nicht 17 Millionen Spenden leisten, für 55 % ZUR PER­SON der weltweiten Versorgung mit Plasma­ eindeutig ist. In Anlehnung an die FDA derivaten verantwortlich. kann folgende Unterscheidung getrof­ Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz ist fen werden (siehe Kasten unten). Fachärztin für innere Medizin mit Bewährter Weg Bessere Testung und die Möglichkeit Zusatzfach Hämato-Onkologie, Blut­ der Pathogeninaktivierung bei der Plas­ Die Blutaufbringung durch Non-Profitgruppenserologie und Transfusions­ medizin sowie für Humangenetik. maherstellung führten dazu, dass heu­ Organisationen ist ein bewährter Weg. Wissenschaftliche Direktorin des te auch in den hoch entwickelten Län­ Allerdings ist die Gewinnung junger Ludwig-Boltzmann-Instituts für dern ein pluralistisches System besteht: Menschen für die Erstspende labiler Leukämieforschung und Hämatologie. bezahlte Plasmaspende, unbezahlte Blutprodukte (Erythrozyten und Throm­ Jahrelange Tätigkeit als Oberärztin bozyten) als freiwillige, unbezahlte Vollblutspende. Bisher sind Blutzellen 1 Bezahlt oder belohnt? So unterscheidet die FDA. Bezahlung Anerkennung, keine Bezahlung Geld Incentives wie T-Shirts, Häferln etc. Stipendien an Studierende Fortbildungen oder Stipendien, die an Bildungseinrichtungen gezahlt werden Karten, Gutscheine, die weiterverkauft werden können Karten, Gutscheine und Ähnliches, die nicht weiterverkauft werden können „Voucher“ für medizinische Untersuchungen außerhalb von Blutspendeeinrichtungen Medizinische Untersuchungen, die über die vorgesehenen Pflichttests hinausgehen, aber im Rahmen der Blutspende durchge­ führt werden im Hanusch-Krankenhaus. Wissen­ schaftliche Studien über Probleme bei Lymphknotentumoren. Impressum Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Kommission Blut­­spen­de­wesen des ÖRK, Tel.: 01/589 00-205, Fax: DW 219. Für den Inhalt verantwortlich: Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang R. Mayr. Redaktion: Thomas Aistleitner (Leitung), Univ.-Prof. Dr. Renate Heinz, Dr. Eva Menichetti, Dr. Maya Winter. Layout & Satz: Mag. Andrea Chadt. Bildredaktion: Mona Saleh. Lektorat: Mag. Sabine Wawerda. Pro­duk­tion: Wortbild GmbH, 1010 Wien. Druck: Typo Druck Sa­res, 1190 Wien. ZVR-Nr.: 432857691. Namentlich ge­zeich­­nete Beiträge geben die Meinung des Autors wieder. Nr. 48 / Dezember 2010 7 Kongress Enttäuschungen Fortschritte Unbestritten sind die Therapiefort­ schritte bei Leukämien und malignen Nr. 48 / Dezember 2010 Tagung in Berlin Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, 1. – 5. Oktober 2010. Pro und kontra prophylaktische und therapeu­ tische Gabe von Thrombozytenkonzen­ traten. Neben einer exzellen­ten Litera­ turübersicht zeigte H. Wandt, dass bei gleichzeitiger Leuko- und Thrombozy­ topenie die Blutungsgefahr geringer ist. Diese Beobachtung könnte klinische Bedeutung haben. Erklärun­gen für dieses Phänomen gibt es derzeit nur aus dem Tierversuch. von-willebrand-syndrom (VWS). U. Bud­ de sprach über angeborene und erwor­ bene Formen. Bei Infektionen, Trau­ mata und auch in der Spätschwanger­ schaft ist der Willebrand-Faktor erhöht. Daher sind Blutungen während der Geburt selten. Die Blutungsneigung steigt aber im höheren Lebensalter. Auch erworbene VWS im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen, mono­ klonaler Gammopathien u. a. werden zunehmend häufiger beobachtet. eisenstoffwechseL. J. Hastka präsentier­ te in einem sehr anschaulichen Vortrag Neuigkeiten aus der Grundlagenfor­ schung. Diese Erkenntnisse und die Verfügbarkeit eines verträglichen i. v. applizierbaren Eisenpräparats verdrän­ gen die orale Eisentherapie mit ihren bekann­ten Nebenwirkungen und der daraus resultierenden schlechten Com­ pliance der Patienten. Allerdings sind die Kos­ten des Präparats beträchtlich. thrombozy­ten­konzentrate. Der Veranstaltungsort der Tagung in Berlin Als ein Beispiel sei die TORAVA-Studie genannt (clinicaltrials.gov/ct2/show/ NCT00619268). Bei Patienten mit Nie­ renzellkarzinom konnte das primäre Studienziel, die Verlängerung des progressionsfreien Überlebens, nicht erreicht werden. Mehr als 50 % der Patienten unterbrachen die Therapie, davon 40,9 % wegen Toxizitäten. Die ungezielte Verwendung der Targeted Therapies ist nicht angezeigt! Pezzuto rückte in seinem humor­vol­ len Vortrag die bisher als Randphäno­ men gesehenen Hämoglobinopathien in den Mittelpunkt. Ob die Gentherapie bei diesen Erkrankungen einen Durch­ bruch bringen wird, muss angesichts der bisherigen Probleme mit dieser Therapieform dahingestellt bleiben. 8 Fotos: Fotolia.com, Messe Berlin GmbH E s wird zunehmend schwieriger, sich einen Überblick über die Trends zu verschaffen, wobei die Organisatoren bemüht waren, den Ein­ fluss der Industrie zu minimieren. Die Sitzung „Best of the Year“ war ernüchternd: Es wurde eine unüber­ schaubare Zahl von onkologischen Stu­ dien vorgestellt. Die Zahl der neuen – innovativen? – Medikamente ist nicht mehr überblickbar. Am meisten gibt zu denken, dass die prospektiv randomi­ sierten Studien, Goldstandard der klinischen Forschung, für die weltweit Tausende Patienten rekrutiert werden, die (zu?) hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllt haben. Substanzen, die in der Monotherapie als Meilensteine des Fortschritts gepriesen werden und deren Kosten die Gesundheitssys­te­ me an die Grenzen der Finan­ zierbarkeit bringen, enttäusch­ ten, wenn sie kombiniert ange­ wendet wurden. Lymphomen, wobei die deutschen Stu­ diengruppen weltweit anerkannt sind. Studienrealität und klinischer Alltag sind aber häufig nicht deckungsgleich (P799 – Comprehensive evaluation of adult ALL patients treated with the protocol of the GMALL study of 07/03 in a single institution). Langzeitbeobachtungen liegen mitt­ lerweile für viele Knochenmarkstrans­ plantationstudien vor: In der Sitzung „Best Abstracts“ wurde gezeigt, dass beim Vergleich einer „Watch and Wait“Strategie mit autologer Transplantati­ on bei CLL Rezidive verzögert werden, das Überleben aber nicht beeinflusst wird (V665 – auto trial/GCLLSG CLL3R trial). Transfusionsmedizin Die sehr gut besuchte transfusionsme­ dizinische Fortbildung (V63–66) hatte drei Schwerpunkte: Renate heinz 1